FGSV-Nr. FGSV 002/124
Ort Bergisch Gladbach
Datum 27.03.2019
Titel Vergleich von verkehrssituationsbasierten und motorkennfeldbasierten Emissionsmodellen zur Luftschadstoffberechnung für das dynamische Verkehrsmanagement
Autoren M. Sc. Nihan Celikkaya, Dr.-Ing. Marcus Gerstenberger
Kategorien Luftqualität
Einleitung

Der motorisierte Straßenverkehr trägt einen großen Anteil zur NOX und PM Schadstoffbelastung in urbanen Räumen in Deutschland bei. Aufgrund verschärfter gesetzlicher Vorgaben wurden in den letzten Jahren, zusätzlich zu statischen Maßnahmen (z. B. Umweltzonen oder Geschwindigkeitsbegrenzungen), für die Luftreinhaltung auch vermehrt dynamische Verkehrsmanagementmaßnahmen (temporäre Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Zufahrtsbeschränkungen) eingesetzt. Anwendungen, bei denen Verkehrsbeeinflussungsmaßnahmen auf Grundlage der aktuellen bzw. prognostizierten Luftschadstoffbelastung für einen definierten Bereich und eine bestimmte Zeit aktiviert werden, werden unter dem Begriff Umweltsensitives Verkehrsmanagement (UVM) zusammengefasst [1].

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Die Beurteilung der Luftschadstoffbelastung stellt einen wesentlichen Baustein des UVM dar, da die lokalen Schadstoffbelastungen als Schwellwert für die Aktivierung und Deaktivierung von entsprechenden Verkehrsbeeinflussungsmaßnahmen verwendet werden [1]. Diese Beurteilung erfolgt unter Nutzung verschiedener Berechnungsmethoden: Verkehrsflusssimulationen, Emissions- und Ausbereitungsmodelle sowie empirische Daten und statistische Modelle [2]. Der Detaillierungsgrad der verwendeten Modellierungsansätze sowie der Aggregierungsgrad der jeweiligen Eingangsdaten haben einen wesentlichen Einfluss auf die ermittelten Emissionswerte [2] [3] [4] [5]. Derzeitige UVM-Systeme konzentrieren sich zumeist auf kleinräumige Bereiche, um vorhandene Hotspots der Luftschadstoffbelastung durch entsprechende Maßnahmen zu beeinflussen. Dennoch verwenden diese Systeme als Eingangsdaten überwiegend aggregierte Verkehrszahlen (z. B. Durchschnittlicher Täglicher Verkehr, Schwerverkehrsanteil oder mittlere Geschwindigkeiten) und makroskopische Emissionsmodelle, welche Emissionsfaktoren für unterschiedliche Fahrzeugtypen und Verkehrssituationen vorsehen und zur Analyse größerer stadtweiter Netze und längerer Zeiträume entwickelt wurden. Mehrere Studien weisen darauf hin, dass dieser Detaillierungsgrad nicht immer ausreichend ist, um kurzfristige kritische Schadstoffbelastungen zu erfassen oder die Auswirkungen der lokalen dynamischen UVM-Maßnahmen genau zu evaluieren [3] [4] [5].

Das Ziel der vorliegenden Simulationsstudie ist darzustellen, in welcher Weise die Ausprägung von Eingangsparametern, wie z. B. Straßenklassen und der (räumliche bzw. zeitliche) Aggregierungsgrad der Eingangsdaten die ermittelten Emissionswerte, mit dem Fokus auf die Verwendung der Berechnungsergebnisse im UVM, beeinflussen. Hierzu werden die Ergebnisse der Emissionsberechnungen eines verkehrssituationsbasierten makroskopischen Modells (Handbuch für Emissionsfaktoren im Straßenverkehr - HBEFA) und eines motorkennfeld-basierten mikroskopischen Modells (Passenger Car and Heavy-Duty Emission Model - PHEM) gegenübergestellt. Es wird der Einfluss unterschiedlicher Aggregierungsgrade der Eingangsdaten auf die Ermittlung der verkehrsbedingten Schadstoffemissionen dargestellt. Dabei werden sowohl unterschiedliche Zeitintervalle (15 min, 30 min, 60 min, …) als auch unterschiedliche räumliche Aggregierungen der Verkehrsdaten (auf separaten kurzen Streckenabschnitten oder zusammengefassten längeren Straßenzügen) berücksichtigt.

Zur Ermittlung der grundlegenden Eingangsdaten für die Emissionsberechnung wird eine mikroskopische Verkehrssimulation (PTV VISSIM) genutzt. Für die HBEFA-Berechnungen wurden die Verkehrskenngrößen der einzelnen Streckenabschnitte (Mittelwerte der Verkehrsbelastung und Geschwindigkeit im jeweiligen Zeitintervall) verwendet und die geschwindigkeitsbasierte Verkehrszustandsklassifizierung des HBEFA zur Definition der maßgeblichen Verkehrssituation berücksichtigt. Die zur Ermittlung der Emissionen mittels PHEM benötigten Einzelfahrzeugtrajektorien wurden aus der Verkehrssimulation exportiert. Die für beide Berechnungsmodelle verwendete Fahrzeugflotte enthält Personenkraftwagen, leichte Nutzfahrzeuge und Lastkraftwagen und die Verteilung der Emissionsklassen der einzelnen Fahrzeugtypen entspricht der durchschnittlichen Verteilung für Deutschland (auf Grundlage des HBEFA). Das in der Studie betrachtete innerstädtische Straßennetz beinhaltet unterschiedliche Straßentypen (Bundesstraßen, Hauptverkehrsstraßen und Sammelstraßen) mit verschiedenen Querschnitten (einstreifige und zweistreifige sowie zweibahnige Abschnitte). Weiterhin werden verschiedene Verkehrszustände durch variierte Verkehrsbelastungen und verschiedene Geschwindigkeitsbegrenzungen der Straßentypen berücksichtigt.

Die Studie zeigt, dass sich die Emissionsergebnisse zwischen den beiden Berechnungsmodellen für die einzelnen Straßentypen unterscheiden. Im Vergleich der beiden Modelle werden für Sammelstraßen höhere mittlere Emissionswerte durch die Berechnungen mit HBEFA ermittelt, für Bundesstraßen liefert PHEM höhere mittlere Belastungswerte. Mögliche Gründe der höheren ermittelten Emissionen bei der mikroskopischen Emissionsberechnung sind die höheren Verkehrsbelastungen und die häufigeren Staus (vor allem durch Rückstau vor den Lichtsignalanlagen). Weiterhin führen größere Zeitintervalle (zeitliche Aggregierung der Eingangsdaten) und/oder längere Streckenabschnitte (räumliche Aggregierung der Verkehrsdaten) zu geringeren Schwankungen der relativen Unterschiede zwischen beiden Berechnungsmodellen.

Dies weist daraufhin, dass der Aggregierungsgrad der Eingangsdaten und der Detailierungsgrad des genutzten Modells für die Beurteilung der Luftqualität einen großen Einfluss bei der Verwendung im UVM haben kann. Außerdem zeigt sich, dass die Verwendung von makroskopischen verkehrssituationsbasierten Emissionsmodellen bei der Analyse von kleinräumigen Streckenabschnitten, kurzen Zeitintervallen sowie Straßen mit ungleichmäßigem Verkehrsfluss (z.B. Stop-and-go) dazu führen kann, dass Spitzenwerte der Emissionsbelastung nicht detektiert werden. Der Vergleich der Ergebnisse verdeutlicht, dass makroskopische Emissionsmodelle sich eher zum Screening eines kompletten Straßennetzes und zur Identifizierung von Bereichen hoher Luftschadstoffbelastung eignen. Mikroskopische Emissionsmodelle hingegen können entsprechend genutzt werden, um in den detektierten Hotspots kurzfristige Spitzenbelastungen und die Wirkung von lokalen dynamischen Verkehrsbeeinflussungsmaßnahmen zu ermitteln, um damit zur Vermeidung von Grenzwertüberschreitungen beizutragen.

[1]   Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV). Wirkung von Maßnahmen zur Umweltbelastung, Teil 3: Umweltsensitives Verkehrsmanagement. FGSV 210/3. Köln, 2014.

[2]   Boltze, M. and S. Kohoutek. Environment-responsive traffic control. World Conference on Transport Research (WCTR). Lissabon, 2010.

[3]   Düring, I., Hoffmann, T., Flassak, T. and Nagel, T.. Luftschadstoffprognosemodelle als Umweltmodule für umweltorientiertes Verkehrsmanagement. In HEUREKA'14 Optimierung in Verkehr und Transport. Stuttgart, 2014.

[4]   Boltze, M., Busch, F., Friedrich, B., Friedrich, M., Kohoutek, S., Löhner, H., Lüßmann, J. and Otterstätter ,T.. AMONES: Anwendung und Analyse modellbasierter Netzsteuerungsverfahren in städtischen Straßennetzen - Teil 2: Analyse und Ergebnisse. Straßenverkehrstechnik. 2011. Nr. 6, S. 374-381.

[5]   Plank-Wiedenbeck, U., Seiler, N., Harder, R., and Kraus, T.. Umweltorientierente Verkehrssteuerung Erfurt – Ergebnisse des mehrjährigen Feldversuchs. Kolloquium Luftqualität an Straßen. Bergisch Gladbach, 2017, S.145-155.