FGSV-Nr. FGSV B 36
Ort Halle
Datum 27.09.2023
Titel Das Verfahren zur Substanzbewertung nach den RSO Beton (Entwurf)
Autoren Axel Riwe
Kategorien Betonstraßen
Einleitung

Die „Richtlinien zur Bewertung der strukturellen Substanz des Oberbaus von Verkehrsflächen mit unbewehrter Betondecke“ (RSO Beton – Entwurf) befinden sich zurzeit in der Bearbeitung. Mit einer abgestimmten Textfassung aus dem zuständigen Arbeitskreis der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen ist im kommenden Jahr zu rechnen. Kernstück dieser neuen Richtlinien ist eine Methodik zur rechnerischen Prognose der Lebensdauer einer Fahrbahn. Das Verfahren basiert auf der Methodik der rechnerischen Dimensionierung nach RDO Beton 09, ergänzt und modifiziert diese aber in vielen Punkten. Eine wesentliche Neuerung ist die Beschreibung des Nutzungszeitraumes der Fahrbahn als Schädigungsprozess. Dafür werden einzelne Systemeigenschaften in ihrem zeitlichen Verlauf erfasst. Für die Berechnung der Schädigungssumme wird jeweils das gesamte Lastkollektiv, bestehend aus unterschiedlichen Achslastklassen und Temperaturgradienten, berücksichtigt. Hiermit ergeben sich völlig neue Möglichkeiten für die adäquate Erfassung von Einflüssen, welche die Lebensdauer der Fahrbahn in relevanter Weise beeinflussen.

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1 Die RSO Beton (Entwurf)

Die „Richtlinien zur Bewertung der strukturellen Substanz des Oberbaus von Verkehrsflächen mit unbewehrter Betondecke“ (RSO Beton) befinden sich seit mehreren Jahren in der Entwicklung. Erste Ideen und Konzepte wurden in (Grossmann; Villaret, 2009) und (Kiehne; Villaret et al. 2011) veröffentlicht. Nach jahrelanger Entwicklungsarbeit und Verzögerungen, welche u. a. auch durch die Corona-Krise bedingt waren, steht nunmehr ein praktikables Berechnungsverfahren zur Verfügung. Ein erster Textentwurf für das Vorschriftenwerk liegt vor und befindet sich in der Diskussion bzw. Überarbeitung im zuständigen Arbeitskreis der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen.

Die RSO Beton gelten für Verkehrsflächen mit unbewehrter Betondecke in Plattenbauweise. Die in den Richtlinien thematisierte strukturelle Substanz wird als die Anzahl der noch möglichen äquivalenten Achsübergänge bis zum Erreichen des wirtschaftlichen Nutzungsausfallpunktes definiert. Mit dem wirtschaftlichen Nutzungsausfall ist dabei gemeint, dass die Erhaltung der technischen Nutzungsfähigkeit durch Reparatur- und Wartungsarbeiten teurer wird als ein Neubau. Als technisches Kriterium zur Quantifizierung der strukturellen Substanz dient die Ausfallrate (Anteil gerissener Platten). Die Kernaufgabe besteht also darin, die zeitliche Entwicklung der Ausfallrate zu berechnen und damit die voraussichtliche verbleibende Lebensdauer der Fahrbahn zu prognostizieren.

Die Verfahrensweise umfasst folgende grundsätzliche Schritte:

  • Ermittlung der grundlegenden technischen Daten für die zu bewertende Fahrbahn,
  • Bildung homogener Abschnitte,
  • Ermittlung des aktuellen Zustandes,
  • Generierung der Eingangsdaten für die Berechnung,
  • streckenbezogene Kalibrierung,
  • Berechnung der Ausfallrate für die weiteren Nutzungsjahre,
  • Identifikation des voraussichtlichen wirtschaftlichen Nutzungsausfallzeitpunktes.

Für jeden dieser Schritte enthält die RSO Beton Regelungen und Hinweise. Der vorliegende Beitrag erläutert schwerpunktmäßig das Verfahren zur Berechnung der Ausfallrate.

2 Die Bedeutung der Nutzungsdauer

Im Hochbau und Ingenieurbau werden Bauwerke errichtet, welche vielfach jahrhundertelang auf nahezu gleichbleibendem Niveau ihre Funktion erfüllen. Im Gegensatz dazu ist im Straßenbau schon bei der Herstellung das Ende absehbar. Im Allgemeinen wird eine Nutzungsdauer von 30 Jahren angestrebt. In diesem Zeitraum wird die Straße so weit geschädigt, dass eine Weiternutzung nicht mehr möglich oder wirtschaftlich sinnvoll ist. Damit spielt die mögliche Nutzungsdauer eine zentrale Rolle bei allen wirtschaftlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Herstellung und dem Betrieb von Fahrbahnen. Dies beginnt bereits bei der Frage, ob der Bau einer Strecke wirtschaftlich vernünftig ist, und setzt sich fort in der Entscheidung über eine Oberbauvariante. Aber auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer konkreten Reparatur oder Sanierungsmaßnahme ist nur rational zu entscheiden, wenn die Restnutzungsdauer prognostiziert wird. Gleiches gilt für die Entscheidung über den Zeitpunkt einer grundhaften Erneuerung.

Unabhängig davon, auf welchem Niveau man so eine Prognose erstellen kann, ist sie für eine begründete Entscheidung unerlässlich. Daraus ergibt sich die große Bedeutung, welche ein Verfahren hat, das eine nachvollziehbare und verlässliche Prognose generiert.

3 Die Prognose der Nutzungsdauer mit aktuell eingeführten Verfahren

Die Prognose der zu erwartenden Nutzungsdauer erfolgt in der aktuellen Ingenieurpraxis zumeist durch Anwendung der RStO 12. Indem ein Standardaufbau für eine zu erwartende Verkehrsbelastung ausgewählt wird, prognostiziert man, dass die angestrebte Nutzungsdauer (im Regelfall 30 Jahre) erreicht wird. Dieses Verfahren basiert auf Erfahrungswerten. Diese liegen zwar nicht systematisch erhoben vor, sind aber historisch gewachsen und können als praktisch bewährt gelten.

Die rechnerische Dimensionierung nach RDO Beton 09 ergänzt das Erfahrungswissen aus RStO 12 durch das systematische Wissen über mechanische und materialtechnische Zusammenhänge. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, einzelne Parameter der Standardaufbauten zu variieren und somit den Oberbau für konkrete Anwendungsfälle zu optimieren. Außerdem wird es möglich, den Erfahrungsraum zu verlassen und für Belastungssituationen zu dimensionieren, welche in der Vergangenheit noch nicht auftraten.

Einen anderen Ansatz verfolgt die Prognoseerstellung nach RPE-Stra 01. Hier wird die Entwicklung des baulichen Zustandes der Fahrbahn im Wesentlichen aus empirischen Werten zum Oberflächenbild abgeleitet. Die Sinnhaftigkeit und Aussagekraft dieses Ansatzes sollen hier in keiner Weise infrage gestellt werden. Der Autor ist aber der Meinung, dass das hier vorgestellte mechanisch-empirische Modell zu einem wesentlich tieferen Verständnis der Funktionsweise des Fahrbahnsystems führt und letztlich ein größeres Potenzial in Hinblick auf die Anwendungsmöglichkeiten und auch die weitere Entwicklung bietet.

4 Das Verhältnis des Substanzbewertungsverfahrens zum Dimensionierungsverfahren

Es ist evident, dass es zwischen Substanzbewertung und Dimensionierung einen engen Zusammenhang gibt. Während es bei der Dimensionierung darum geht, für einen vorgegebenen Nutzungszeitraum den passenden Oberbau zu finden, wird bei der Substanzbewertung für einen vorgegebenen Oberbau der passende Nutzungszeitraum gesucht. Es handelt sich also um inverse Fragestellungen zum gleichen Objekt der Betrachtung. Folglich ist es ein naheliegender Gedanke, das Dimensionierungsverfahren „umzudrehen“ und für die Ermittlung der strukturellen Substanz zu benutzen.

Die praktische Anwendung dieser Methodik zeigt aber, dass die Vorgehensweise oftmals zur Prognose unrealistisch langer Nutzungszeiten führt. Ursächlich hierfür ist das Verlassen des Parameterraumes, für welchen das Dimensionierungsverfahren funktioniert und kalibriert ist. Während bei der Dimensionierung grundsätzlich davon ausgegangen werden muss, dass die Fahrbahn normgerecht und der Planung entsprechend hergestellt wird, muss bei der Substanzbewertung vom tatsächlich vorhandenen Zustand ausgegangen werden.

Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Form der Ermüdungsfunktion für den Beton, welche bei der Dimensionierung eine zentrale Stellung einnimmt. Während bei der Dimensionierung der Auslastungsgrad des Betons beim äquivalenten Achsübergang zwangsläufig in einen Bereich geführt wird, wo die Ermüdungskurve realistische Ergebnisse liefert, ist das bei der Substanzbewertung nicht der Fall. Eine theoretisch vorhandene Überdimensionierung, welche schon allein durch die Einführung notwendiger Vorhaltemaße entsteht, führt bereits zu theoretischen Lebensdauern, welche jeglicher Erfahrung widersprechen. Im Bild 1 ist dieser Zusammenhang exemplarisch dargestellt.

Bild 1: Ermüdungskurve für den Beton

Grün dargestellt ist die dimensionierte Situation. Die relativ geringe Reduzierung des Auslastungsniveaus für die tatsächlich gebaute Fahrbahn führt bereits zu einer möglichen Lastwechselzahl von mehr als 1 Milliarde.

Dieser Befund führt zu einer tieferliegenden Frage. Dem oben beschriebenen Zusammenhang folgend müsste es möglich sein, mit einer moderaten Erhöhung der Deckendicken Fahrbahnen herzustellen, welche praktisch unbegrenzt halten. Eine ähnliche Aussage lässt sich auch aus den Standardaufbauten der RStO 12 und den zugeordneten B-Zahlen ableiten. Hier zeigen sich offensichtlich die Grenzen der aktuellen Dimensionierungsmodelle.

Die Frage, warum es in der Praxis zu einem früheren Versagen kommt als die Modelle in diesen Fällen prognostizieren, lässt sich leicht beantworten. Wie bereits weiter oben erläutert, ist die Fahrbahn einem kontinuierlichen Schädigungsprozess unterworfen. Dadurch kommt es sukzessive zu einem, gegebenenfalls nur lokal begrenzten, Ansteigen des Belastungsniveaus beim Lastübergang. Die Anzahl der möglichen Lastübergänge sinkt dadurch dramatisch. Im Bild 2 ist dies beispielhaft dargestellt.

Bild 2: Änderung des Beanspruchungsniveaus im Laufe der Nutzung

Um eine realistische Prognose für die Nutzungszeit einer Fahrbahn zu generieren, ist es also erforderlich, im Berechnungsmodell die zeitliche Entwicklung des Systems abzubilden.

Die hier erläuterten Zusammenhänge zeigen, dass das Berechnungsverfahren der RDO Beton 09 als Ausgangspunkt und Grundlage für das Verfahren zur Berechnung der strukturellen Substanz dienen konnte, dass aber wesentliche Erweiterungen und Modifizierungen vorgenommen werden mussten.

5 Berücksichtigung der zeitlichen Entwicklung im Berechnungsverfahren der RSO Beton (Entwurf)

Um die zeitliche Entwicklung des Systems im Berechnungsverfahren abzubilden, wurden für einzelne Parameter (Dübelfaktor, Lagerungsfaktor, Stoßfaktor) zeitliche Verlaufsfunktionen (ZVF) definiert. Diese Verlaufsfunktionen haben eine einheitliche prinzipielle Form. Der Anfangswert (Zustand bei Verkehrsfreigabe) wird vorgegeben. Es folgt ein allmählicher Anstieg, welcher sich zunächst progressiv verstärkt, dann aber degressiv abschwächt, sodass sich die Funktion schließlich asymptotisch einem oberen Grenzwert annähert (Bild 3). Im mathematischen Sinne handelt es sich um eine Sigmoid-Funktion.

Bild 3: Prinzipieller Verlauf der zeitlichen Verlaufsfunktionen (rot – günstiger Verlauf, blau – ungünstiger Verlauf)

Die allgemeine Formel lautet:

Formel im PDF

Der bei der Ermittlung des aktuellen Fahrbahnzustandes festgestellte Funktionswert bestimmt also den konkreten Verlauf der ZVF. Damit ist sichergestellt, dass der für einen bestimmten Systemparameter ermittelte Zustand unabhängig von subjektiven Bewertungen ins Berechnungsmodell einfließt. Die ZVF spiegelt die Qualität der Fahrbahn bezüglich eines bestimmten technischen Merkmals wider.

Selbstverständlich ist der Wert eines Systemparameters nur im Kontext mit der bereits ertragenen Verkehrsbelastung aussagekräftig. Ein guter ZVF-Wert bei bisher geringer Verkehrsbelastung sagt weniger über die Qualität aus als der gleiche Wert bei bereits hoher ertragener Belastung. Die ZVF ist deshalb in Abhängigkeit von der bereits ertragenen B-Zahl definiert. Für die weiteren Berechnungen erfolgt aber eine Umrechnung auf die zugeordneten Nutzungsjahre. Damit wird im Verlauf der ZVF auch der Einfluss der zeitlichen Entwicklung der Verkehrsbelastung erfasst.

Diese wird üblicherweise mit einem Faktor beschrieben, welcher die mittlere jährliche Zunahme des Schwerverkehrs angibt. Im Berechnungsverfahren der RSO Beton besteht diese Möglichkeit auch. Darüber hinaus ist es aber auch möglich, für jedes Nutzungsjahr eine beliebige B-Zahl anzugeben.

Das Verfahren berücksichtigt weiterhin auch die zeitliche Entwicklung der Betonfestigkeit (Nacherhärtung). Dabei wird auf Ergebnisse aus (Birbaum; Buch et al., 2013) zurückgegriffen.

Grundsätzlich ist es möglich und auch wünschenswert, den zeitlichen Verlauf weiterer Einflussgrößen in das Verfahren zu integrieren. An dieser Stelle ist aber anzumerken, dass die theoretischen und empirischen Grundlagen für die Definition dieser Verlaufsfunktionen vielfach noch unzureichend sind. Dies gilt bis zu einem bestimmten Grad auch für die bereits im Verfahren implementierten Verlaufsfunktionen. An diesem Bereich wird weiterer Forschungsbedarf gesehen.

6 Beschreibung der äußeren Belastung

Als äußere Belastungen werden wie in den RDO Beton 09 Radlasten und Temperaturgradienten berücksichtigt. Die Beschreibung dieser Einwirkungen erfolgt aber erheblich umfassender und besser auf den Einzelfall angepasst. Die Grundlage hierfür bilden die Ergebnisse aus Forschungsprojekten der Bundesanstalt für Straßenwesen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang: (Augter; Kayser et al., 2019), (Kathmann; Oeser et al., 2019) und „Arbeitspapier Eingangsgrößen für die Dimensionierung und Bewertung der strukturellen Substanz, Teil 1: Verkehrsbelastung“ (AP EDS-1).

Die Radlasten betreffend wird das gesamte Verkehrslastkollektiv, also die Verteilung der Radlasten, berücksichtigt. Die entsprechenden Verteilungsfunktionen können dem AP EDS-1 entnommen werden bzw. mit den im AP EDS-1 angegebenen Verfahren bestimmt werden. Erfasst werden Achslasten bis 26 t. Solche weit außerhalb des verkehrsrechtlich zulässigen Bereiches liegende Lasten sind äußerst selten, für die Schädigung der Fahrbahn aber sehr relevant.

Die Temperaturgradienten werden ebenfalls entsprechend ihrer Auftretenswahrscheinlichkeit in die Kalkulation einbezogen. Berücksichtigt wird der gesamte mögliche Wertebereich, also positive und negative Gradienten. In (Augter; Kayser et al., 2019) sind für das gesamte Bundesgebiet Parameterwerte für die betreffende Verteilungsfunktion angegeben. Für die Berechnung der strukturellen Substanz kann also jeweils mit den lokal angepassten Temperaturwerten berechnet werden.

7 Berücksichtigung der Streuung wesentlicher Einflussgrößen

Prinzipiell sind nahezu alle physikalischen Einflussgrößen im mathematischen Sinne als Zufallsgrößen zu betrachten. Beim aktuellen Stand des Verfahrens werden aber nur die Streuungsparameter für die Deckendicke und die Betonfestigkeit für die Berechnung verwendet. Dabei wird jeweils eine Normalverteilung unterstellt.

Grundsätzlich ist es problemlos möglich, für weitere Einflussgrößen die Streuung zu berücksichtigen. Dies würde allerdings die Rechenzeit deutlich erhöhen. Perspektivisch wird aber auch diesen Punkt betreffend eine Erweiterung des Verfahrens angestrebt. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass die Streuung anderer Einflussgrößen für das Ergebnis in ähnlichem Maße relevant ist wie die Streuung der Deckendicke und der Betonfestigkeit.

8 Spannungsberechnung

Die Berechnung der Spannungen erfolgt wie in den RDO Beton 09 mit dem Formelwerk nach Westergaard und Eisenmann. Für die Kalkulation der aus negativen Temperaturgradienten resultierenden Spannungen wurden die Eisenmannformeln entsprechend den Angaben in (Eisenmann; Leykauf, 2003) ergänzt.

Für die nahe Zukunft wird eine Umstellung der Spannungsberechnung auf die Finite-Elemente-Methode (FEM) angestrebt. Wesentliche Voraussetzungen hierfür wurden u. a. durch (Kiehne; Riwe et al., 2014) und (Blasl; Liu, 2023) geschaffen. Die Anwendung der FEM erlaubt nicht nur eine wesentlich realitätsnähere Spannungsberechnung, sondern sie eröffnet auch neue Möglichkeiten für eine umfassendere und detailliertere Modellierung des Gesamtproblems.

Problematisch ist allerdings die mit der FEM einhergehende enorme Erhöhung der Rechenzeit. Um diesbezüglich zu praktikablen Lösungen zu kommen, ist es notwendig, numerische Näherungsverfahren anzuwenden, welche unterschiedlich ausgestaltet werden können. Letztlich ist auch die FEM selbst ein Näherungsverfahren. Entsprechend können sich auch leicht abweichende Ergebnisse ergeben.

Weiter ist zu beachten, dass der FEM-Solver eine zusätzliche Software darstellt, welche, auch wenn sie selbst programmiert wird, im Regelfall vorgefertigte Bausteine enthält (z. B. Gleichungslöser). Daraus ergeben sich neue Fragestellungen, die bis in den juristischen Bereich reichen.

9 Berechnung der Schädigung

Für die Berechnung der Schädigung bis zum Betrachtungszeitpunkt wird die Miner-Hypothese benutzt. Diese hat die allgemeine Form:

Formel im PDF

Versagen tritt ein, wenn D = 1 erreicht ist.

Im Berechnungsverfahren werden unterschiedliche Lastniveaus sowohl für die einzelnen Jahre im Betrachtungszeitraum wie auch für jede mögliche Kombination der Belastungswerte (Radlast + Temperaturgradient) gebildet. Die mögliche Anzahl des Lastwechsels ergibt sich für jedes Belastungsniveau aus der Ermüdungsformel.

Weil für die Berechnung der abstrakten Schädigung alle Radlastklassen berücksichtigt werden, also auch die selten vorkommenden hohen Lasten, ist es erforderlich, dass die Ermüdungsfunktion für das Lastniveau 1 (Spannung = Festigkeit) den Wert 1 liefert. Dies bedeutet, dass eine Belastung, welche eine Spannung erzeugt, die der Festigkeit entspricht, genau einmal ertragen werden kann. Die Ermüdungsfunktion nach RDO Beton 09 erfüllt diese Bedingung nicht. Für die Berechnung der strukturellen Substanz wird deshalb eine andere Ermüdungsfunktion verwendet, welche sich nur im Bereich kleiner Lastwechselzahlen in relevantem Maße unterscheidet.

Weil bei der Berechnung der Schädigung auch die extremen Belastungsfälle einbezogen werden, erübrigt sich die gesonderte Kalkulation dieser Fälle. Auf den in den RDO Beton 09 definierten Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit wird mangels Relevanz hier ebenfalls verzichtet. Damit reduziert sich die Anzahl der zu berechnenden Grundzustände gegenüber den RDO Beton 09 von 3 auf 1.

10 Berechnung der Ausfallrate

Die Ausfallrate wird berechnet, indem die einzelnen Auftretenswahrscheinlichkeiten aller Versagensfälle aufsummiert werden. Im Kern ist dies die Methode der Integration über den Ausfallbereich.

Zu bemerken ist an dieser Stelle, dass sich die Auftretenswahrscheinlichkeit der einzelnen Werte für die Deckendicke und die Betonfestigkeit jeweils auf den Zustand zu Beginn bezieht. Jeder Anfangszustand wird in seiner Wahrscheinlichkeit erfasst und dann in seiner zeitlichen Entwicklung verfolgt. Damit erübrigt sich die äußerst schwierige Berechnung der sich jährlich ändernden Verteilungsfunktionen für die Dicke und die Festigkeit.

Die Berechnung der Ausfallrate wird gesondert für die Längs- und die Querfuge durchgeführt. In einem letzten Schritt werden diese Werte zu einer einzigen Ausfallrate zusammengefasst:

Formel im PDF

Die Ausfallrate kann für jedes Nutzungsjahr berechnet werden. Sobald der entsprechende Schwellenwert überschritten wird, endet die Nutzungszeit. Die zeitliche Entwicklung der Ausfallrate liefert also direkt die Lebensdauer der Strecke.

11 Streckenbezogene Kalibrierung

Bei der praktischen Durchführung einer Substanzbewertung erfolgt eine Ermittlung des aktuellen Zustands im Bewertungsjahr. Damit ist auch die Ausfallrate im Bewertungsjahr bekannt. Idealerweise sollte dieser empirisch ermittelte Wert mit der berechneten Ausfallrate übereinstimmen. Praktisch wird es aber in den meisten Fällen Abweichungen geben. Das Verfahren wird deshalb bei jeder konkreten Anwendung so kalibriert, dass hier eine Übereinstimmung hergestellt ist.

Konkret wird ein Kalibrierungsfaktor eingeführt, mit dem die berechneten Spannungen multipliziert werden. Damit enthält der Kalibrierungsfaktor pauschal alle Defizite des Berechnungsmodells.

Ein Kalibrierungsfaktor von 1 spricht theoretisch für eine perfekte Übereinstimmung des Modells mit der Wirklichkeit. Bei der praktischen Anwendung des Verfahrens ergeben sich üblicherweise Kalibrierungsfaktoren zwischen 0,75 und 1,25.

Das Bild 4 zeigt das Prinzip der streckenbezogenen Kalibrierung beispielhaft. Der blaue Punkt markiert die im Bewertungsjahr festgestellte Ausfallrate.

Bild 4: Streckenbezogene Kalibrierung

12 Potenziale und Grenzen des Verfahrens

Mit dem vorgestellten Verfahren ist es möglich, die zeitliche Entwicklung der Ausfallrate langfristig zu prognostizieren. Prinzipiell kann diese Methodik deshalb für die Substanzbewertung und auch die Dimensionierung unbewehrter Betonfahrbahnen benutzt werden. Mit Einführung der FEM-gestützten Spannungsberechnung ist auch eine Modifikation des Verfahrens für die Berechnung anderer Betonflächen, wie z. B. Containerstellplätze oder Flugverkehrsflächen, möglich.

Ein weiterer Anwendungsbereich wird in der Forschung gesehen. Durch Variation einzelner Parameter kann die Auswirkung der Änderung bestimmter konstruktiver oder materialtechnischer Merkmale studiert werden.

Die auf die Betrachtung der einzelnen Nutzungsjahre bezogene Konzeption des Verfahrens eröffnet neue Möglichkeiten für die Erhaltungsplanung. So ist es beispielweise mit dem Verfahren möglich, die Auswirkungen einzelner Ereignisse oder Maßnahmen zu kalkulieren.

Das Bild 5 zeigt beispielhaft die berechneten Auswirkungen einer Grindingmaßnahme im 23. Nutzungsjahr. Bei dieser Simulationsrechnung wurden sowohl der Dickenverlust im Beton als auch die Verbesserung der Ebenheit im Gefolge des Grindens berücksichtigt. Bei diesem Beispiel führt das Grinden offenbar zu einer Verlangsamung des Anstiegs der Ausfallrate (rote Kurve).

Bild 5: Auswirkung einer Grindingmaßnahme (rot)

Es ist evident, dass die Ergebnisse der Berechnungen in hohem Maße von der Qualität der Eingangsdaten abhängen. Die gewonnenen Resultate sind deshalb immer unter diesem Aspekt kritisch zu bewerten. Im Zweifelsfall kann durch Variation unsicherer Parameter eine Abschätzung des möglichen Ergebnisbereiches erfolgen.

Generell ist zu sagen, dass die vorgestellte Methodik bereits eine Vielzahl der für die Lebensdauer einer Fahrbahnkonstruktion relevanten Einflussgrößen berücksichtigt. Trotzdem ist auch dieses Verfahren noch weit davon entfernt, die komplexen und zeitlich veränderlichen Zusammenhänge, welche hier relevant sind, umfassend und präzise zu erfassen. Gleichwohl bietet die Konzeption des Verfahrens das Potenzial für umfangreiche Verbesserungen und Erweiterungen.

Da, wie weiter oben beschrieben, der Verzicht auf eine Prognose der Lebensdauer nicht möglich ist, sollte in jedem Fall die bestmögliche Prognose erstellt werden.

Literaturverzeichnis

  1. Grossmann, A.; Villaret, S. (2009): Restwertermittlung von Asphalt- und Betonstraßen, Straße und Autobahn, 06/2009, Kirschbaum Verlag, Bonn
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  3. Birbaum, J.; Buch, M.; Eickschen, E.; Nießen, J.; Pichottka, S.; Riwe, A.; Tschernack, T.; Villaret, S.; Zander, U. (2013): Grundlagen für eine vergleichende Bewertung der Restsubstanz von Fahrbahnbefestigungen in Betonbauweise nach mehrjähriger Verkehrsnutzung, Forschungsprojekt der Bundesanstalt für Straßenwesen, FE 04.433/2009
  4. Augter, G.; Kayser, S.; Riwe, A.; Villaret, S. (2019): KIST-Zonen-Karte RDO und RSO Beton – Verteilungsfunktion und Extremwerte, Forschungsprojekt der Bundesanstalt für Straßenwesen, FE 04.254/2017
  5. Kathmann, T.; Oeser, M.; Riwe, A.; Schroeder, S.; Ueckermann, A.; Villaret, K.; Villaret, S. (2019): Aktualisierung und Anpassung der Straßenbelastungsdaten für die Dimensionierung, Forschungsprojekt der Bundesanstalt für Straßenwesen, FE 04.285/2018
  6. Eisenmann, J.; Leykauf, G. (2003): Betonfahrbahnen, 2. Auflage, Ernst & Sohn Verlag, Berlin, 2003
  7. Kiehne, A.; Riwe, A.; Villaret, K.; Villaret, S. (2014): Entwicklung eines Finite Elemente Modells für die rechnerische Dimensionierung von Straßen gemäß RDO Beton, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft S 127
  8. Blasl, A.; Liu, C.; Neumann, J.; Reinhardt, U. (2023): Optimierung der Anwendbarkeit der Probabilistik in der Dimensionierung und Substanzbewertung von Betonstraßen, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft S 182
  9. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2012): Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO 2012), Köln (FGSV 499)
  10. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2009): Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung von Betondecken im Oberbau von Verkehrsflächen (RDO-Beton 09), Köln (FGSV 497)
  11. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2001): Richtlinien für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Straßenbefestigungen (RPE-Stra 01), Köln (FGSV 488)
  12. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2022): Arbeitspapier Eingangsgrößen für die Dimensionierung und Bewertung der strukturellen Substanz, Teil 1: Verkehrsbelastung (AP EDS-1), Köln (FGSV 498/1)