FGSV-Nr. FGSV 001/22
Ort Düsseldorf
Datum 08.10.2008
Titel Dmotion – Düsseldorf in Motion
Autoren Dipl.-Ing. Andreas Budde
Kategorien Kongress
Einleitung

Düsseldorf in Motion (Dmotion) ist ein Förderprojekt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi), in dem prototypisch ein baulastträgerübergreifendes Strategiemanagement für einen Ballungsraum aufgebaut und in seinen verkehrlichen Wirkungen erprobt wird. Dmotion setzt auf die umfangreiche systemtechnische Infrastruktur auf, die die Landeshauptstadt Düsseldorf im Rahmen ihres Projektes „Verkehrssystemmanagement in Düsseldorf“ (VID) sukzessive in den letzten acht Jahren errichtet hat. Aufbauend auf der baulastträgerspezifischen Verkehrslageerkennung wird zwischen dem Land NRW und der Stadt Düsseldorf ein fortwährender Austauschprozess zur Strategieaktivierung und -blockierung etabliert. Dieser basiert semantisch auf einer ereignisorientierten Aktivierung der Strategien und einem kontinuierlichen Austausch der Schaltbarkeit mittels Maßnahmenaustauschliste. In ersten verkehrlichen Feldversuchen konnten für das System in einer nutzeroptimierten Steuerung eindeutige Reisezeitgewinne auf der Alternativroute und Verkehrsverlagerungen von 16 – 25 % im Schwachlastbereich auf die Alternativroute beobachtet werden.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Vorstellung Förderprojekt Dmotion

1.1 Förderinitiative „VM 2010“

Dmotion steht für einen baulastträger- und privatwirtschaftsübergreifenden Daten-, Informations- und Strategieverbund für die Region der Landeshauptstadt Düsseldorf.

Düsseldorf in Motion (Dmotion) ist ein Projekt im Rahmen der Förderinitiative „Verkehrsmanagement 2010“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi). Der Forschungsschwerpunkt der Initiative ist darauf ausgerichtet, vorhandene Infrastrukturen mit neuen Instrumenten des Verkehrsmanagements besser zu nutzen. Die wesentliche Zielstellung für die Projekte der Forschungsinitiative besteht in der Entwicklung und Realisierung deutlich effizienterer Methoden der Verkehrsgestaltung und -steuerung. Hierbei gilt es, möglichst lokale Ansätze eines innovativen Verkehrsmanagements zu regionalen und überregionalen Ansätzen auszubauen.

1.2 Projektziele

Ein wesentliches Projektziel von Dmotion liegt in der Erstellung eines einheitlichen und übergreifenden Verkehrslageberichts für die Region der Landeshauptstadt Düsseldorf. Auf diesem aufbauend wird bei Störungen steuernd in das Verkehrsgeschehen eingegriffen. Hierzu werden in gemeinsamer Abstimmung der Baulastträger Stadt Düsseldorf und Land NRW Verkehrsleitstrategien entwickelt. Durch die strategische Schaltung von Lichtsignalanlagen, Variotafeln und Wechselwegweisern wird der Verkehrsteilnehmer umgelenkt oder auf Alternativrouten aufmerksam gemacht. Sämtliche Informationen werden auch im Internet zur Verfügung stehen. Wesentlich ist hierbei, dass die entwickelten Ansätze in die Standardisierungen des Projektpartners OCA einfließen und auch die Aktivitäten des Bund-Länder-Arbeitskreises „Verkehrsrechnerzentralen“ aufgreifen.

Zusätzlich werden private Diensteanbieter angebunden, um die Strategieempfehlungen der öffentlichen Hand in moderne Navigationssysteme einzuspielen. Dieses sogenannte „strategiekonforme Routing“ stellt die Konsistenz zwischen kollektiven und individuellen Informationsangeboten sicher.

1.3 Projektpartner

Dmotion ist ein Verbundprojekt, in welchem Partner aus Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam technische Lösungen für den prototypischen Betrieb erarbeiten. Unter Federführung der Landeshauptstadt Düsseldorf, Amt für Verkehrsmanagement, haben sich hierbei die folgenden Partner zusammengetan:

  • GEVAS software GmbH,
  • ifak – Institut für Automation und Kommunikation V. Magdeburg,
  • ivh – Institut für Verkehrswirtschaft, Straßenwesen und Städtebau, Leibniz Universität Hannover,
  • PTV AG,
  • OCA V. (mit den Unterauftragnehmern ComNets RWTH Aachen und AlbrechtConsult).

2 Ausgangslage

Für die Einrichtung eines baulastträgerübergreifenden Informations-, Daten- und Strategieverbunds sind zum einen die verkehrliche und netztopologische Ausgangslage zu beleuchten, das heißt mögliche Alternativrouten müssen im Falle von Störungen zur Verfügung stehen, und zum anderen müssen die systemtechnischen Voraussetzungen bestehen, Störungen zu erkennen und die Verkehrsteilnehmer auf entsprechende Alternativrouten umzuleiten.

2.1 Verkehrliche und netztopologische Ausgangslage

Mit ca. 400 000 IV-Pendlern pro Tag bei ca. 580 000 Einwohnern ist die Landeshauptstadt Düsseldorf besonders hohen Pendlerströmen unterworfen. Die Begründung hierfür ist in der hervorgehobenen Bedeutung der Stadt in unmittelbarer Nähe zum Ruhrgebiet mit seinen ca. 6 Mio. Einwohnern zu sehen. Sowohl als Dienstleistungsstandort als auch als Sitz bedeutender Konzerne stellt Düsseldorf ein erhebliches Arbeitsplatzangebot in der Region. Zudem ist Düsseldorf als Einkaufsmetropole bekannt. Weitere Besonderheiten bestehen mit dem Stadion und der Messe als zwei wesentlichen Hauptverkehrszielen im Stadtbereich, die mit Großveranstaltungen zusätzliches Verkehrsaufkommen im Ballungsraum Düsseldorf erzeugen. Zudem stellt der relativ stadtnahe internationale Flughafen im Norden Düsseldorfs an der A 44 einen bedeutenden Verkehrserzeuger dar (Bild 1).

Die starken Pendler- und Einkaufsverkehre erreichen Düsseldorf über das umgebende Autobahnnetz A 3/A 44/A 46/A 52/A 57 und die Haupteinfallstraßen auf dem innerstädtischen Netz. Dieses Autobahnviereck ist als ein idealer Netzabschnitt für eine Alternativroutensteuerung zu sehen.

Die netztopologischen Alternativen haben zu dem Gedanken geführt, in enger Kooperation mit dem Land NRW ein baulastträgerübergreifendes Strategiemanagement zu entwickeln und umzusetzen, welches in Störfallsituationen die Verfügbarkeit freier Alternativrouten prüft und gegebenenfalls auf diese umleitet. Dieser Ansatz kann als das „Herz“ des Projektes Dmotion bezeichnet werden.

Bild 1: Strategisches Netz des Ballungsraums Düsseldorf

2.2 Systemtechnische Ausgangssituation

Die Einrichtung einer baulastträgerübergreifenden Alternativroutensteuerung für einen Ballungsraum setzt bei den involvierten Baulastträgern jeweils die Verfügbarkeit einer Zentrale zur Detektion von Verkehrszuständen und zur Steuerung der straßenseitigen Aktorik voraus. Diese Funktion nimmt auf der Landesseite die Verkehrsrechnerzentrale Leverkusen wahr (Bild 2). Hierbei werden kontinuierlich Verkehrszustände auf den Streckennetzen erhoben. Diese stellen die Grundlage für die Steuerung der Verkehrsbeeinflussungsanlagen und der Informationen im Internet dar. Hierzu erfolgt an jeder Anschlussstelle eine Vollerfassung der Verkehrsströme, das heißt der zu- und abfahrende Verkehr wird genauso erfasst, wie der Verkehr auf der durchgehenden Hauptfahrbahn. Mittels Schwellenwertanalysen von Verkehrsstärke, Belegung und lokaler Geschwindigkeiten werden Störfallanalysen durchgeführt.

Bild 2: Systemtechnische Ausgangssituation: VRZ und VLZ

Bild 3: VID – Verkehrssystemmanagement in Düsseldorf und Dmotion

Aufseiten der Stadt erfolgte im Rahmen des Projektes „Verkehrssystemmanagement in Düsseldorf“ (VID) der Ausbau der Verkehrsleitzentrale, in der alle verkehrlich relevanten Informationen zusammenlaufen und zu einem Verkehrslagebericht für das städtische Netz aufbereitet werden (Bild 3). Zudem wird durch den Ausbau der Verkehrsleitzentrale sichergestellt, dass 90 % der Lichtsignalanlagen zentralenseitig ansteuerbar sind. Da die LSA zusammen mit den Variotafeln die wesentliche Aktorik im innerstädtischen Bereich repräsentieren, ist dieser integratorische Schritt von maßgeblicher Bedeutung.

Die Ermittlung einer Störfallanalyse auf dem strategischen Netz innerhalb der Stadt Düsseldorf stellt eine größere algorithmische Herausforderung dar, da aus ökonomischen Gründen nur eine Erfassung der Verkehrszustände auf ausgewählten Links möglich ist. Innerhalb von Dmotion werden zurzeit zwei Verfahren zur Datenvervollständigung implementiert und getestet.

Weitere, bereits abgeschlossene Teilprojekte im Rahmen von VID umfassen u.a. den Aufbau und die Inbetriebnahme OCIT-fähiger Lichtsignalanlagen (mit Nutzung von LSA-Detektoren für die Verkehrslageberechnung), den Aufbau und die Inbetriebnahme eines neuen Verkehrsrechnersystems für das gesamte Stadtgebiet sowie die Einrichtung von 41 Messstellen (Infrarot- und Videotechnik) an strategischen Punkten im Netz.

Die Planung des baulastträgerübergreifenden Strategiemanagements erfolgte zusammen mit dem Landesbetrieb Straßenbau NRW. Nach einer ersten Stufe der Konzeptplanung (technisch und betrieblich) wurde im Rahmen der Genehmigungsplanung die detaillierte Planung der Schilderstandorte im BAB-Bereich und innerhalb des städtischen Netzes erarbeitet.

Zur Alternativroutensteuerung wurden im Großraum Düsseldorf insgesamt 19 dWiSta-Tafeln an zehn Entscheidungspunkten im BAB-Netz und sieben Freitextanzeigen im innerstädtischen Netz errichtet (Bild 4). Die umfangreiche Aktorik sowohl auf städtischer Seite als auch aufseiten des Landes NRW stellt die systemtechnische Grundvoraussetzung für die Einrichtung des baulastträgerübergreifenden Strategiemanagements dar.

Bild 4: Standorte der dWiSta-Tafeln auf BAB und der innerstädtischen Freitextanzeigen

3 Konzeption und Umsetzung

Um ein konsistentes System der Alternativroutensteuerung zu etablieren, ist ein integrierter Planungsprozess der Aktorik zusammen mit den Planungen der Leitstrategien durchzuführen. Mit der Planung der Aktorik werden gleichzeitig baulastträgerübergreifende Strategien geplant und deren Umsetzung in einem kooperativen Prozess konzipiert. Dabei wird ein Kooperationsmodell entwickelt und umgesetzt, dass für die beteiligten gleichberechtigten Partner die Entscheidungshoheit im eigenen Netzbereich gewährleistet.

3.1 Planung von Strategien

In den Planungsprozess der Leitstrategien sind alle involvierten Akteure mit einzubinden. Bereits an dieser Stelle ist ein sogenannter „Runder Tisch“ zu etablieren, der die Anforderungen und Wünsche der einzelnen Partner zusammenfasst und in den Planungsprozess einbringt. Wichtig ist hierbei aber, dass sich auf einen Partner als Leiter der Planungen verständigt wird. Im Falle des baulastträgerübergreifenden Strategiemanagements nimmt die Stadt Düsseldorf diese Funktion wahr.

Im ersten Planungsschritt werden regelmäßig wiederkehrende Verkehrsprobleme (z. B. Berufsverkehr oder Veranstaltungen) sowie Abschnitte, deren Störung sich gravierend auf das Gesamtnetz auswirken (z. B. Tunnel und Brücken), identifiziert. Den Problemzonen werden sogenannte Haupt- und Alternativrouten zugeordnet. Bei gestörter Hauptroute wird die zugehörige Alternativroute empfohlen. Aus diesem Planungsschritt ergaben sich 52 mögliche Alternativroutensteuerungen für den Ballungsraum. Im nächsten Schritt werden auslösende Kriterien für Strategien und Kriterien zur Rücknahme einer Schaltung bzw. einer Strategie definiert. Als Kriterien werden hauptsächlich Verkehrszustandsdaten (z. B. LOS) sowie kapazitätseinschränkende Ereignisse (z. B. Baustellen, Teil- und Vollsperrungen) herangezogen. Die Nutzung von Verkehrszustandsdaten erfordert eine Analyse der aktuellen Verkehrssituation im Hinblick auf vorhandene Detektorik auf den Haupt- und Alternativrouten.

Die Vielzahl grundsätzlich möglicher Alternativrouten führt sehr schnell zu einer komplexen Problemstellung: wann welche Strategie verkehrlich schaltbar ist und/oder inwieweit mehrere Störfälle eine Strategieschaltung verhindern bzw. diese blockieren. Hieraus lässt sich bereits im Planungsprozess die Schalthäufigkeit der Strategien abschätzen und eine verkehrliche, volkswirtschaftliche oder politische Priorisierung der Strategien untereinander überprüfen. Die Komplexität dieser Thematik führte zu einer GIS-basierten Datenbanklösung. Sämtliche RDS-TMC-Meldungen eines Jahres werden auf das BAB-Netz im Ballungsraum Düsseldorf gematcht. Im innerstädtischen Bereich werden aus Expertenbefragungen und Messstellen Störfälle auf dem strategischen Netz verortet. Diese Informationen werden datenbankgestützt mit der Entscheidungslogik der Alternativroutensteuerung gekoppelt. Somit besteht für einen Analysezeitraum die Möglichkeit, die Arbeitsweise des Systems darzustellen und auszuwerten. Die Funktionsfähigkeit des baulastträgerübergreifenden Strategieabgleichs wird im Rahmen von Dmotion an Hand von ausgewählten Strategien demonstriert.

3.2 Kooperationsmodell

Der Unterschied der Alternativroutensteuerung innerhalb von Dmotion zu bisherigen Konzepten ist, dass die Routen mitsamt den auszulösenden Steuerungsmaßnahmen die Hoheitsgrenzen überschreiten. Bereits bei der Initiierung des Projektes war klar, dass eine baulastträgerübergreifende Steuerung nur unter den Aspekten einer Kooperation unter Partnern mit gleichen Rechten durchgeführt werden kann. An diesem Leitbild hatten sich alle technischen und organisatorischen Planungen zu orientieren. Zu einem der ersten Schritte der Umsetzung der organisatorischen Randbedingungen gehörte hierbei die Einrichtung des Runden Tisches. Das Konzept der Kooperation gleichberechtigter Partner ohne Kompetenzabtretungen führt zu einem wechselnden Rollenverständnis. Abhängig vom Ort der Störfalldetektion (BAB oder Stadt) nimmt entweder das Land oder die Stadt die Rolle des aktiven (anfordernden) oder passiven (genehmigenden) Partners an.

Aufgrund des verteilten Datenhaltungskonzepts zwischen den beiden Leitzentralen von Stadt und Land und der Versorgung der Strategien auf beiden Seiten gemäß der Baulastträgerschaft führen die 25 zu einer Erstversorgung ausgewählten Strategien zu insgesamt 84 detailliert geplanten und zu versorgenden Einzelabläufen, abgebildet als Workflows. Dabei wurden jeweils szenariospezifisch auslösende und verhindernde Bedingungen festgelegt. Der zahlenmäßige Zuwachs der Workflows aus den Strategien heraus verdeutlicht die Komplexität der technischen Umsetzung eines baulastträgerübergreifenden Systems. Ein operativer Betrieb ist nur mittels weitestgehender Automatisierung der Prozessabläufe möglich. Dies gilt auch für den Fall, dass wie in Dmotion aufseiten des Landes vor der Umsetzung noch eine Operatorenzustimmung erforderlich ist.

3.3 Technische Umsetzung des Strategiemanagements

Grundvoraussetzung für jeden Strategieverbund über Hoheitsgrenzen hinaus ist, dass ein direkter Zugriff auf die Aktoren im Netz des anderen Baulastträgers nicht möglich ist, das heißt jeder Betreiber setzt Schaltungen direkt nur in seinem Einflussbereich um (Bild 5).

Die Flexibilität des Rollenverständnisses und die Anforderung der Umsetzung von Strategien unter Berücksichtigung mehrerer Maßnahmenanforderungen macht eine prozessorientierte Analyse für die Strategieabläufe notwendig. Innerhalb von Dmotion wurde hierzu sowohl auf der Landesseite als auch aufseiten der städtischen Verkehrsleitzentrale ein Workflowsystem aufgesetzt. Dieses stellt ein Modul in einer 4-Schichten-Architektur dar, welche sich aus den Teilmodulen

  • regelbasierte Situationserkennung für die Strategieeinleitung und zur Bereitstellung von verdichteten Indikatorvariablen (SFC),
  • Workflow-System für die Strategieabläufe und die Operatorinteraktion (WFS),

Bild 5: Beispielstrategie

  • Aktivitäten-Manager zur Auflösung von Gruppen - in Einzelschaltungen und zur Konfliktlösung (AGM, Prognosefähig),
  • Aktor-Verwaltung zur internen Repräsentation von an die Leitzentralen angeschlossenen Aktoren und zur Umsetzung der einzelnen Schaltungen (AKT)

zusammensetzt.

Eine wesentliche Anforderung vonseiten der Operatoren bestand darin, unnötige Strategieanfragen des jeweils anderen Baulastträgers zu vermeiden. Aus diesem Grunde und um den Datenfluss zwischen den Partnern gering zu halten, veröffentlichen die beteiligten Baulastträger regelmäßig in der sogenannten „Maßnahmenaustauschliste“, welche Maßnahmen jeweils durch die Gegenseite schaltbar sind. Die Schaltbarkeit einer Maßnahme kann dabei sowohl durch eine gestörte Aktorik als auch aufgrund der Verkehrssituation auf der Alternativroute, eine Operatoreingabe oder auch aufgrund konfliktierender Strategien blockiert sein (Bild 6). Neben dem Parameter „Schaltbar“ werden über die Maßnahmenaustauschliste pro Maßnahme Werte für „Geschaltet“ und für „Schaltwunsch“ übertragen. „Geschaltet“ enthält die Rückmeldung über den Umsetzungsstand der Maßnahmen; eine mögliche Rückmeldung kann hier z. B. die Ablehnung der Maßnahme durch den Operator aufseiten des passiven Baulastträgers enthalten. „Schaltwunsch“ dient der Maßnahmenanforderung und der Quittierung einer Maßnahmenanforderung durch den passiven Baulastträger.

Die Übertragung der Zustandsinformationen pro Maßnahme erfolgt ereignisorientiert. Die Maßnahmenaustauschliste bildet demnach stets den aktuellen Zustand der Maßnahmenaktoren ab und stellt somit einen echten Zustandsvektor dar. Beide Baulastträger haben in der Systematik des aktiven und passiven Rollenverständnisses die Möglichkeit, angeforderte Maßnahmen situationsabhängig zu verhindern oder bereits umgesetzte Maßnahmen jederzeit zurückzunehmen (Bild 7).

Bild 6: Baulastträgerübergreifendes Strategiemanagement – Ablauf der Strategien

Bild 7: Zusammenwirken der Strategiemanager

Die Einrichtung einer Maßnahmenaustauschliste hat sich als eine effektive technische Lösung ergeben, da im Ballungsraummanagement von einer Vielzahl (nach Vorstudien 85 %) sich gegenseitig blockierender Ereignisse auszugehen ist. Alle Daten werden standardkonform ausgetauscht, das heißt sie werden über die Schnittstellen des Datenverteilers (nach Bund-Länder-Arbeitskreis „Verkehrsrechnerzentralen“) und Open Traffic Systems (OTS) auf städtischer Seite übertragen und sind in den jeweiligen Daten-modellen dieser Standards verankert (Bild 8). Als wesentlicher Schritt ist hierbei die Einrichtung der KEX-OTS zu sehen. Hier treffen die beiden Standardisierungsaktivitäten des Bundes und der Städte zusammen.

Bild 8: Daten- und Systemverbund für die Region Düsseldorf

Zwischen den Partnern besteht bezüglich des algorithmischen Moduls des Strategiemanagementsystems Flexibilität. Durch die semantischen und datentechnischen Festlegungen zu den Schnittstellen stellen diese den Verbund des Systems sicher. Jedoch ist bei der Auswahl eines Strategiemanagementtools auf die Flexibilität der Definierbarkeit frei versorgbarer Workflows zu achten. Hier waren Lösungen aus anderen Strategiemanagementanwendungen in Deutschland nicht einsetzbar. In Dmotion kommt ein algorithmisch symmetrisches System zum Einsatz. Das bedeutet, dass sowohl auf Landes- als auch auf städtischer Seite das gleiche algorithmische Modul eingesetzt wird. Dies hat beim Versorgungsprozess eindeutige Vorteile. Zwingend ist eine solche symmetrische Lösung aber nicht.

3.4 Umsetzung des strategiekonformen Routings

Das strategiekonforme Routing stellt eine Weiterentwicklung der Ansätze aus dem Projekt INVENT dar. Gestörte bzw. vom Strategiemanagement der öffentlichen Baulastträger nicht empfohlene Routen werden nach diesem Konzept (in Form sogenannte Measure-Links) im Routing geringer gewichtet, empfohlene (Alternativ-) Routen höher. Trigger-Links kennzeichnen die Ein- und Ausfahrten zu den von der Leitstrategie erfassten Netzbereichen und stellen sicher, dass die Auf- und Abschläge der Measure-Links nur denjenigen Routenanfragen zugeordnet werden, die die ausgewiesenen Alternativrouten auch nutzen können.

Routenempfehlungen werden technisch ebenfalls als Maßnahmenaktor abgebildet, für die allerdings beim Diensteanbieter keine Zustimmung eingeholt wird: Die Übernahme der Empfehlung durch den Diensteanbieter bzw. dessen Kunden ist freiwillig.

Im Gegensatz zum Entwicklungsstand von INVENT, bei der die Measure- und Trigger-Links sowohl auf der öffentlichen als auch der privaten Seite versorgt sein mussten, ist dies mit dem an dieser Stelle weitergehenden Konzept von Dmotion nicht mehr erforderlich, da die Verortungsinformationen mit übertragen werden. Als Referenzierungsbasis dient im Projekt TMC, es sind aber auch andere Wege, wie z. B. die logische Adressierung mit AGORA-C, denkbar.

4 Verkehrliche Wirksamkeit des Systems

Im Rahmen des prototypischen Betriebs des Gesamtsystems konnten mehrere interessante verkehrliche Effekte des Systems beobachtet werden. Die hierbei gesammelten Erkenntnisse lassen zu den aufgeführten Punkten die folgenden Schlussfolgerungen ziehen.

Einsatzbereich des Gesamtsystems

Der in vorangegangenen Analysen prognostizierte Sachverhalt der gegenseitigen Verriegelung von Strategien in der Spitzenstunde aufgrund beidseitig gestörter Streckenabschnitte auf Haupt- und Alternativroute wurde bestätigt. Die Strategieschaltungen sind vornehmlich zu den folgenden Situationen zu erwarten:

  1. Strategieschaltung durch eine außergewöhnliche Störfallsituation (z. Unfall) auf der Hauptroute innerhalb des Schwachlastbereichs.
  2. Strategieschaltung während eines zeitversetzten Stauauf- oder -abbaus in der morgendlichen Verkehrsspitze,
  3. Strategieschaltung im Schwachlastbereich (z. durch eine betriebsbedingte Umleitung aufgrund von Baustellen auf der Originalroute).

4.1 Befolgungsgrade

Auf Basis der Vergleiche der erfassten Zielverkehre auf Haupt- und Alternativroute während der Strategieschaltung mit dem Aufteilungsverhältnis der Zielverkehre ohne Strategieschaltung sind für die identifizierten Einsatzbereiche unterschiedliche Befolgungsgrade nachgewiesen worden. Diese liegen für die Strategieschaltungen in den Versatzzeiten der Verkehrsspitzen (in Abhängigkeit des Vergleichsintervalls „vor“ bzw. „nach der Schaltung“) zwischen 10 und 20 %, im klassischen Schwachlastbereich (Situation I oder III) bei ca. 25 %.

Bild 9: Prozentuale Aufteilung der Verkehrsanteile auf HR und AR in Zielrichtung für die Strategien 101101 bzw. 100302 in angepassten Berechnungsintervallen für die dWiSta-Schaltung während des Feldversuchs (4. bis 6. März 2008)

Das Bild 9 verdeutlicht exemplarisch die während einer Felduntersuchung erhobenen Befolgungsgrade für eine Alternativroutensteuerung für den von der A 57 am AK Meerbusch nach Düsseldorf fahrenden Zielverkehr im Schwachlastbereich. Hierbei wurde mittels Kennzeichenerfassungsystemen (ANPR) die prozentuale Verteilung des Zielverkehrs auf Original- und Alternativroute im Schaltungsfall und im ungeschalteten Zustand erhoben und verglichen. Aus der prozentualen Veränderung des Fahrzeugsplits kann die umgeleitete Verkehrsmenge abgeleitet werden. Aufgrund einer betriebsbedingten Störung wurde zu den dargestellten Zeitbereichen eine Umleitungsempfehlung aktiviert. Hierbei zeigt sich deutlich, dass nach dem Anstieg des Zielverkehrs auf der Alternativroute während der Schaltung der Split nach der Deaktivierung der Alternativroutenempfehlung in allen Fällen auf das Ausgangsniveau zurückfällt.

4.2 Reisezeitnutzen

Durch Aufzeichnung der am Entscheidungspunkt gleichzeitig begonnenen GPS-Messfahrten auf Haupt- und Alternativroute konnte der individuelle Reisezeitnutzen während der Strategieschaltungen ermittelt werden. In diesem Zusammenhang wurden einzelne Messfahrten auf Haupt- und Alternativroute mit einem gemeinsamen Ziel im Düsseldorfer Zentrum durchgeführt. Beispielhaft sind die Ergebnisse im Bild 10 dargestellt

Bild 10: Weg-Zeit-Linien zweier Fahrten, Strategie 101101 (HR+AR)

Gezeigt werden die Weg-Zeit-Linien zweier gleichzeitig am Entscheidungspunkt auf die Netzmasche einfahrender Messfahrzeuge. Dabei befuhr das eine Fahrzeug die Haupt-, das andere Fahrzeug die Alternativroute. Das linke Darstellung (Einfahrzeitpunkt 6:29 Uhr) stellt die Situation bei einer gestörten Hauptroute und einer (noch) freien Alternativroute dar. Trotz der längeren Strecke auf der Alternativroute entsteht ein Reisezeitvorteil von ca. 5 Minuten.

Dagegen stellt die rechte Darstellung den Reisezeitvergleich bei sowohl gestörter Haupt- als auch Alternativroute dar. Hier wäre eine Schaltung in Anbetracht einer Reisezeitdifferenz von ca. 12 Minuten zugunsten der Hauptroute nicht zielführend. In diesem Fall war die Schaltung durch die Staudetektion auf der AR bereits zurückgenommen.

Im Schaltungsfall wurden trotz eines etwas längeren Streckenabschnitts auf der Alternativroute Reisezeitvorteile von bis zu 9 Minuten erreicht. Neben dem identifizierten Verlagerungseffekt und dem berechneten Befolgungsgrad des Fahrzeugkollektivs konnte somit auch der individuelle Nutzen einer Strategieschaltung nachgewiesen werden. An dieser Stelle muss aber auch betont werden, dass sich gerade in den Spitzenstunden Verkehrsstörungen auf der Haupt- und Alternativroute gegenseitig blockieren. Um die Versatzzeiten für eine Steuerung auszunutzen, ist eine schnelle und zuverlässige Störfalldetektion im Netz unabdingbar.

4.3 Weitere wichtige Erkenntnisse

Die Verlagerungseffekte und erreichbaren Befolgungsgrade während der meist kurzen Versatzzeiten in der Phase des Stauauf- und -abbaus der Morgenspitze können nur durch ein dynamisches Gesamtsystem auf Basis einer aktuellen Verkehrslageerfassung erzielt werden. Die Güte und Reaktionsschnelligkeit eines baulastträgerübergreifenden Strategiemanagements hängen in diesem Zusammenhang unmittelbar von der Lage der Detektoren und von der dynamischen Störungs- bzw. Stauidentifikation eines Verkehrsmodells ab.

5 Fazit

Die Erfahrungen aus der Implementierung des Systems zeigen, dass sich die Aufgabenstellung der Einrichtung eines baulastträgerübergreifenden Strategiemanagements als sehr komplex darstellt. Unter Voraussetzung des Betriebes gleichberechtigter Partner mit eigener Entscheidungshoheit ergibt sich aus einzelnen Strategien eine Vielzahl von Workflows. Die Flexibilität in der Parametrierbarkeit der Workflows nimmt in Bezug auf die Semantik des Strategiemanagements somit eine herausragende Stellung ein.

Das Strategiemanagement ist im Rahmen eines Runden Tisches durch intensive Planungen zu begleiten. Hierbei ist nicht nur die singuläre Strategie zu bewerten, sondern auch der vollständige Auslösungsprozess zu analysieren und in die Priorisierung mit einzubringen. Insbesondere durch die verbindlichen Schnittstellenspezifikationen ist in Dmotion ein Ansatz entwickelt worden, der eine allgemeine und übertragbare Lösung für die Aufgabenstellung „Verkehrsmanagement-Strategien unter Einbeziehung verschiedener Baulastträger“ darstellt.

Die verkehrliche Wirksamkeit des Systems konnte mit Befolgungsgraden zwischen 10 % und 25 % nachgewiesen werden. Wichtig ist hierbei, dass Reisezeiteinsparungen auf der Alternativroute verzeichnet werden. Im Rahmen einer nutzeroptimierten Steuerung ist dieser Aspekt wesentlich, um die Akzeptanz der Maßnahme zu sichern. Daraus ergeben sich jedoch hohe Qualitätsanforderungen an eine automatische Verkehrszustandsklassifikation. Der in Dmotion eingeschlagene Weg der Strategieauslösung auf Basis von Schwellenwertvergleichen an neuralgischen Messstellen muss für einen Wirkbetrieb auf die Basis einer flächendeckenden Verkehrslageerkennung migriert werden. Hierzu befinden sich zurzeit zwei Modellverfahren in der Evaluierungsphase.