FGSV-Nr. FGSV 002/127
Ort online-Konferenz
Datum 13.04.2021
Titel Entwicklung eines Verfahrens zur Abschätzung des Potenzials von Leihfahrradstationen
Autoren Prof. Dr.-Ing. Johannes Schlaich, M.Eng. Loan Ngo
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Das vorliegende Paper stellt eine Bewertungsmethodik zur Potenzialabschätzung von Gebietserweiterungen von Leihfahrradstationen vor.

Zu Beginn werden auf vorhandene Untersuchungen sowie auf Faktoren von Fahrradverleih­systemen eingegangen, welche die Nutzungshäufigkeit eines Leihrades beeinflussen. Auf dieser Grundlage wird anschließend eine Methodik von Bewertungskriterien und Indikatoren hergeleitet, die einem Punkte- und Faktorensystem zugrunde liegen. Am Praxisfall LIDL-Bike und dem Untersuchungsgebiet Berlin-Wedding wird die Bewertungsmethodik exemplarisch vorgestellt.

Abschließend werden im Fazit und Ausblick Optimierungen und Möglichkeiten zur Weiterent­wicklung zukünftiger Potenzialanalysen erörtert.

Download der Formblätter

Die zur Anwendung der vorgestellten Bewertungsmethodik erforderlichen Formblätter sind im Anhang abgedruckt. Zudem können diese Formblätter als Excel-Dokumente online zur freien Nutzung und ggf. Anpassung zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus finden Sie dort auch die ausgefüllten Formblätter für das im Text erwähnte Praxisbeispiel:

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1 Einleitung

In Deutschland gibt es in den letzten Jahren einen großen Zuwachs an Fahrradverleih­systemen (FVS). Diese in der Regel von Privatanbietern angebotenen Systeme erhalten teil­weise finanzielle Unterstützung von der öffentlichen Hand oder von Werbepartnern (Tagesspiegel 2017). Ziel der finanziellen Unterstützung durch die öffentliche Hand ist dabei die Förderung einer nachhaltigen Mobilität, indem FVS entweder direkte Wege des motorisierten Individualverkehrs ersetzen sollen oder als Zubringer zum Öffentlichen Verkehr (ÖV) den ÖV attraktiver machen sollen.

Viele FVS werden vor allem in (inner-)städtischen Gebieten angeboten, da dort aufgrund der Einwohnerdichte für die Anbieter die größte Sichtbarkeit erreicht wird, die höchsten Ausleihzahlen zu erwarten sind und damit die Wirtschaftlichkeit optimiert wird. Dagegen wären FVS aus Sicht einer nachhaltigen Entwicklung auch gerade in Randgebieten, in denen die Qualität des ÖV schlechter ist (geringere Bedienungshäufigkeit, größere Haltestellen­ab­stände), wichtig.

Um solche Ausweitungen des Bedienungsgebietes systematisch und erfolgreich durchführen zu können, bedarf es einer Potenzialanalyse. Eine Literaturanalyse zeigt dabei, dass bisherige Untersuchungen zum Potenzial meist ein bereits bestehendes FVS voraussetzen. Daher wird in diesem Paper eine Methodik zur Abschätzung des Potenzials von Leihfahrradstationen vorgeschlagen, die konkret auf den Anwendungsfall einer Gebietserweiterung in ein noch unerschlossenes Gebiet abzielt. Ziel der Methodik ist es dabei nicht nur, eine Entscheidung zu treffen, ob eine Gebietserweiterung stattfinden soll oder nicht, sondern auch bereits die idealen Standorte von Verleihstationen zu identifizieren.

In Kapitel 2 werden ausgewählte Untersuchungen zu FVS kurz vorgestellt sowie auf die inneren und äußeren Einflussfaktoren auf die Nutzung von FVS eingegangen. Daraus wird in Kapitel 3 die Methodik zur Potenzialanalyse von FVS abgeleitet und im Detail vorgestellt und anhand einer beispielhaften Anwendung im Norden von Berlin erläutert.

2 Literaturanalyse

2.1 Bisherige Untersuchungen

In Rabenstein (2015) wird eine Methode zur Untersuchung von Nutzungspotenzialen vorgestellt, die auf Wegetagebüchern, Erhebungen an Stationen und Daten aus den Buchungs­systemen der FVS-Anbieter basiert. In einem ersten Schritt wird das charakteris­tische Verhalten von Leihfahrradnutzern hinsichtlich ihrer Verkehrsmittelwahl erfasst. Anschließend werden im nächsten Schritt die beobachteten Wege der Bevölkerungsstich­probe, die dem untersuchten Mobilitätsverhalten entsprechen, ausgewertet und auf ihre Verlagerbarkeit vom motorisierten Individualverkehr auf das FVS analysiert. Somit wird abgeschätzt, welche Effekte auftreten, wenn mehr Personen sich wie Nutzer von FVS verhalten. Die Methode gibt zwar Aussagen über die untersuchten Wege sowie die potenziellen Ausleihzahlen und Auslastung des FVS wieder, jedoch ist ihre Anwendung nur bei bereits implementierten FVS möglich.

Im Endbericht zur Evaluation des bundesweiten Wettbewerbs zum Modellprojekt „Innovative öffentliche Fahrradverleihsysteme – Neue Mobilität in Städten“ (Friedrich et al. 2015) wird das Nutzerpotenzial durch Gegenüberstellung bestehender FVS abgeschätzt. Zweck dieser Analyse ist es, auf Basis bereits vorhandener FVS (40 nord- und südamerikanische sowie europäische Angebote inkl. der Modellprojekte) Kenngrößen zu identifizieren, welche zum erfolgreichen Betrieb eines FVS führen. Als prägnanten Anhaltspunkt für den Erfolg wird die Anzahl der täglichen Ausleihe je Rad eines Verleihangebotes genannt. Hierfür wird der ITDP Bike-share Planning Guide zugrunde gelegt, welcher vier bis acht tägliche Ausleihen je Fahrrad als optimal nennt (Gauthier et al. 2013). Dieses Merkmal wurde mit weiteren Kenngrößen (z.B. Einwohnerzahl, Größe des Bediengebietes, Stationsanzahl, Anzahl der Leihfahrradflotte etc.) verglichen und über die lineare Regressionsanalyse ein Zusammenhang ermittelt.

Ein weiterer Ansatz zur Potenzialabschätzung ist ein Vergleich zwischen der zu untersuchenden Stadt ohne FVS und ähnlichen Städten mit erfolgreich bestehendem FVS. So werden im Handbuch Optimising Bike Sharing in European Cities (Büttner et al. 2011) Erfolgsfaktoren eines FVS aus unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Akteure identifiziert. Je nach Akteur werden Erfolgsfaktoren und mögliche Indikatoren benannt. Zum Beispiel ist ein FVS für Benutzer erfolgreich, wenn die Systemverfügbarkeit bemessen an der Stationsdichte hoch ist. Dagegen ist für Betreiber ein FVS erfolgreich, wenn im Hinblick auf die Nutzung die Anzahl der täglichen Ausleihen hoch ist. Die im Handbuch aufgeführten Indikatoren sind daher geeignet, um die Komplexität der Erfolgsmessung eines FVS zu veranschaulichen. Der Ansatz bietet jedoch keine Messgrößen bzw. Schwellenwerte und viele der aufgeführten Indikatoren sind erst nach Implementierung eines FVS erfassbar. Zudem ist ein Vergleich zwischen ähnlichen Städten nur anhand von Richtwerten möglich, um die zu erwartenden Auswirkungen gegenüber stellen zu können. Die Städte können sich in ihrer äußeren Gestalt (z.B. räumliche Struktur, Topografie, Klima etc.) ähneln, jedoch kann die Bevölkerung bspw. ein anderes Mobilitätsverhalten aufweisen.

2.2 Einflussfaktoren auf Fahrradverleihsysteme

Der Erfolg eines FVS bemessen an der Ausleihzahl eines Leihrades pro Tag nach Ahrens et al. (2010) kann durch sogenannte innere und äußere Faktoren beschrieben werden. Im Folgenden wird näher auf die Faktoren eingegangen und welche Auswirkungen sie auf ein Fahrradverleihsystem ausüben können (vgl. dazu zusammenfassend Tabelle 1).  

Im Hinblick auf die zeitliche und räumliche Systemverfügbarkeit bietet ein durchgehendes Angebot (24/7, jahreszeitenunabhängig) sowie eine hohe Stations- und Räderdichte pro Flächeneinheit in Bereichen mit hohem Verkehrsaufkommen (Ahrens et al. 2010) eine erleichterte Zugänglichkeit. Jedoch bieten auch Stationen außerhalb des Kerngebietes an wichtigen Zielen eine flexible Nutzung (Midgley 2011). Aufwendig ist hingegen die Veränderung eines bestehenden Stationsnetzes stationsbasierter FVS sowie die Flächenverfügbarkeit bei zusätzlichen Erschließungen.  

Die Faktoren Servicequalität sowie die Topografie und das Klima sind dann erfolgreich, wenn eine flächendeckende und gleichmäßige Verteilung der Fahrräder sowie freie Abstellplätze an Stationen vorhanden sind (Midgley 2011). Schwierig ist hingegen die Optimierung des Redistributionsaufwandes der Leihräder (Büttner et al. 2011).

Hinsichtlich der Kosten für den Zugang/ Registrierung und Nutzung des FVS sind ein leicht verständliches Tarifsystem sowie Freiminuten als Kundenanreiz, von großer Bedeu­tung. Die Herausforderung hierbei ist ein Gleichgewicht zwischen der Kostendeckung und der Attraktivität des FVS zu halten. Hinzu kommen hohe Betriebskosten für die Wartung und Redistribution der Leihräder (Büttner et al. 2011).

Zudem bietet die Eingliederung eines FVS in bereits bestehende Verkehrssysteme Möglichkeiten der multimodalen und intermodalen Anwendung und damit die Stärkung des Umweltverbundes, zu denen der ÖPNV sowie Fuß- und Radverkehr zählen. Erstrebenswert ist eine Synergie durch Integration und Kombination mit dem ÖPNV, was eine Kooperation und Kostenaufteilung zwischen den Betreibern voraussetzt (Büttner et al. 2011). Eine   vorhan­dene Radverkehrskultur kann fördernd sein, was jedoch hohen Fahrradbesitzquoten gegen­über­steht (Bührmann 2007).

Von Vorteil ist auch das Vorhandensein von Radverkehrsanlagen, welche jedoch sicher und zusammenhängend sein sollten und deren Instandhaltung gegeben ist (Midgley 2011).

Durch verschiedene Zielgruppen werden unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse erzeugt, weshalb zu Beginn eine Auswahl und eine zielgerichtete Ansprache stattfinden sollte. Dies kann jedoch im Konflikt zu privaten Verleihanbietern, z.B. bei der Zielgruppe Touristen, stehen.

Tabelle 1: Zusammenfassung Faktoren nach Erfolgsfaktoren und Herausforderungen

3 Methodik zur Potenzialanalyse von Leihfahrradstationen

3.1 Herleitung einer Bewertungsmethodik

Basierend auf den im vorherigen Kapitel 2.2 vorgestellten Erfolgsfaktoren wird in diesem Kapitel eine Bewertungsmethodik für neue Gebiete eines FVS vorgestellt. Fokus ist dabei die Bewertung der möglichen verkehrlichen Nachfrage. Zur Vereinfachung werden daher Free-Floating-Systeme als stationsbasierte Systeme angenommen.

Bei Bewertung einer Erweiterung für FVS sind nicht alle oben genannten Erfolgsfaktoren entscheidend. So sind die zeitliche Verfügbarkeit, die Servicequalität, die Kosten sowie Klima in der Regel vergleichbar für mögliche Erweiterungsgebiete und werden daher im Folgenden nicht ausgewiesen.

Die verbleibenden Faktoren werden den drei Zielfeldern Potenziale, Räumliche Struktur und Verkehrsinfrastruktur zugeordnet. Zusätzlich wird basierend auf dem Bike-share Planning Guide (Gauthier et al. 2013; Yanocha et al. 2018), den Empfehlungen für Verkehrserhebungen (FGSV 2012) sowie dem Bewertungsverfahren zur Attraktivität von Radverkehrsanlagen der Bundesanstalt für Straßenwesen (Alrutz et al. 1998) für jeden Faktor eins oder mehrere Bewertungskriterien abgeleitet (vgl. Tabelle 2).

Tabelle 2: Zielfelder und Zuordnung der Faktoren

Grundlage einer Bewertung ist eine Standortanalyse möglicher Verleihstationen, die in Kapitel 3.2 beschrieben wird. Anschließend erfolgt die Bewertung der in Tabelle 2 genannten Bewertungskriterien der drei Zielfelder. Dies ist detailliert in Kapitel 3.3 beschrieben.

3.2 Standortanalyse

Die Ermittlung möglicher Standorte für Stationen erfolgt zweistufig: Zuerst werden auf der Makroebene Stationsstandorte anhand der Übersichtskarte mit Hilfe weiterer Recherchen identifiziert, um anschließend auf der Mikroebene die gewählten Standorte durch eine Begehung im Straßenraum genauer zu verorten und zu verifizieren.

Formblatt A im Anhang listet mit S-/ U-Bahn-Stationen und andere Points of Interest die nach Gauthier (2013) zu berücksichtigen­den Standorte auf. Dabei ist anzustreben, dass die Ausleihstationen möglichst netzar­tig aufgebaut sind und ein maximaler Abstand von 300 Metern zwischen den Stationen sichergibt. Bild 1 illustriert dies anhand eines Anwendungsbeispiels im Berliner Norden. Hier sind je nach Ergebnis ggf. weitere Stationen in Wohngebieten o.ä. zu ergänzen.

Die Planung auf Mikroebene legt dann den genauen Standort der Stationen fest. Dies kann je nach Planungsstand auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

Bild 1: Max. Entfernung zwischen zwei Nachbarstationen (Quelle Hintergrundkarte: Senatsverwaltung Berlin)

3.3 Beschreibung der Zielfelder

Zielfeld Potenziale

Zum Zielfeld Potenziale zählen zwei Bewertungskriterien:

1.    Systemverfügbarkeit für Nutzer:           
Die Systemverfügbarkeit für Nutzer umfasst die räumliche Präsenz von FVS-Stationen. Je mehr Stationen vorhanden sind, desto höher steige exponentiell die Anzahl der Fahrten mit einem Leihrad (Dechant 2013). Wichtig sei auch die Wahl des Verkehrsmittels in Abhängigkeit von der zurückzulegenden Distanz, was aus dem Ergebnis des Forschungsprojektes „Mobilität in Städten - SrV 2013“ hervorging. Als Indikatoren werden daher an dieser Stelle die Stationsdichte als auch die maximale Entfernung zwischen zwei Nachbarstationen eingeführt.

2.    Nutzerpotenzial.
Das Nutzerpotenzial beschreibt die grundlegende Fahrradnutzung sowie die bereits abgestellten Leihräder im Untersuchungsgebiet anhand mittels der Indikatoren durchschnittlicher Auslastungsgrad und maximale Anzahl von Leihrädern.

Die Erfassung der Indikatoren erfolgt an den gewählten Standorten (vgl. Kapitel 3.2) und nach den Empfehlungen für Verkehrserhebungen (FGSV, 2012). Die Erfassung und Berechnung der Auslastungsgrade sowie die Erhebungsdurchgänge erfolgen nach Formblatt B bzw. Formblatt C im Anhang.

Bild 2: Absolute Auslastung als Tagesganglinie an den potenziellen Standorten (Privaträder und FVS)

Bild 2 zeigt am Praxisfall LIDL-Bike und dem Untersuchungsgebiet Berlin-Wedding die durchschnittliche Auslastung als Tagesgang­line für Privaträder und Leihräder von FVS-Anbietern.

Bietet der zu betrachtende Anbieter (hier im Praxisfall: LIDL-Bike) eine Online-Karte in Echtzeit zur Verfügbarkeit der Leihräder an, sollten die Leihräder außerhalb der Stationen im Untersuchungsgebiet zusätzlich aufge­nommen werden. Dies soll als Hilfestellung für die Abschätzung einer Empfehlung dienen.

Zielfeld Räumliche Struktur

Zum Zielfeld Räumliche Struktur zählen zwei Bewertungskriterien:

1.    Umfeldpotenzial:

Das Umfeldpotenzial wird mithilfe der Indikatoren Einwohnerdichte sowie der Nutzungs­durchmischung des Untersuchungsgebietes bewertet. Die Durchführung einer statisti­schen Analyse basierend auf Daten von Friedrich et al. (2015) mit den Kenngrößen Einwohnerdichte und tägliche Ausleihe ergibt einen starken Zusammenhang zwischen beiden Kenngrößen. Die Abschätzung der Nutzungsdurchmischung erfolgt anhand der Verteilung verschiedener Nutzungen (Dienstleistungen und Industrie, Grünanlagen etc.) mit einer Einstufung von niedrig bis hoch.

2.    Verknüpfung mit dem ÖPNV:

Die Verknüpfung mit dem ÖPNV wird über den Indikator der maximalen Entfernung zwischen einer ÖPNV-Haltestelle und Verleihstation gemessen, welche den Erschließungsstandards für den ÖPNV im Tagesverkehr des Berliner Nahverkehrs­plans 2019 - 2023 (SenUVK 2013) zugrunde gelegt wird. Bild 3 veranschaulicht dies aus dem o.g. Praxisfall.

Bild 3: Max. Entfernung zwischen ÖPNV-Haltestelle und Verleihstation

Zielfeld Verkehrsinfrastruktur

Das Zielfeld Verkehrsinfrastruktur umfasst folgende zwei Bewertungskriterien:

1.    Subjektive Sicherheit:

Abgeleitet aus den Ergebnissen des Fahrrad-Monitors Deutschland 2017 (Sinus Markt- und Sozialforschung GmbH 2017) wird bei der subjektiven Sicherheit die Länge der Radverkehrsanlagen mit der Gesamtlänge des Hauptverkehrsstraßennetzes gegenüber­gestellt. Darüber hinaus wird die vorhandene Radverkehrsführung in Abhängigkeit des DTV-Wertes gem. der Ausführungsvorschrift für Geh- und Radwege nach dem Berliner Straßengesetz überprüft (> 10.000 Kfz/Tag getrennte Führung von Radfahrer und Kfz; SenStadtUm 2013). Formblatt D im Anhang zeigt die Vorgehensweise zur Ermittlung beider Indikatoren.

2.    Geringe Reisezeit:

Der Faktor Reisezeit ist für viele Verkehrsteilnehmer von großer Bedeutung, weshalb eine Verleihstation in unmittelbarer Nähe am Radroutennetz vorteilhaft ist. Bemessen wird dies quantitativ an der Anzahl der Stationen am Radroutennetz mit der Gesamtanzahl von Stationen. Gemäß Formblatt E im Anhang erfolgt qualitativ die Gegenüberstellung von Reisezeitgewinnen Pkw-Fahrrad und ÖPNV-Fahrrad anhand von Beispielrouten im Untersuchungsgebiet.

3.4 Gesamtbewertung

Formblatt G im Anhang zeigt eine Übersicht zu den Bewertungskriterien und Indikatoren mit ihrer jeweiligen Gewichtung. Dabei erhalten Indikatoren mit direktem Bezug zu FVS eine höhere Gewichtung (z.B. Stationsdichte) als Indikatoren ohne direktem Bezug zu FVS (z.B. Einwohnerdichte). Die erzielte Punktezahl wird mit der maximal zu erreichenden Gesamtpunktzahl von 500 Punkten gegenübergestellt, wodurch sich ein Prozentsatz ergibt.

Dieser ist am Schulnotensystem (ohne der Note 6) angelehnt. Bild 4 zeigt eine Zusammenfassung des Benotungs-systems und der Prozentsätze. Der untersuchte Praxisfall hat 69 % erreicht, was einer Note 3 entspricht.

Bild 4: Benotungssystem und Prozentsätze

Neben der absoluten Bewertung ist natürlich eine vergleichende Bewertung mehrerer potenzieller Erweiterungsgebiete möglich.

4 Fazit und Ausblick

Die Arbeitsschritte der in Kapitel 3 entwickelten Methodik zur Potenzialanalyse von Leihfahrradstationen wird in Bild 5 mit den zugehörigen Formblättern zusammengefasst:

Bild 5: Vorgehensweise zur Bewertung

Die hergeleitete Bewertungsmethodik orientiert sich an internationalen Planungshandbüchern sowie deutschen Regelwerken, Bewertungsverfahren, Forschungsprojekten und berlin-bezogenen Planungsinstrumenten und Vorschriften. Die gewählten Bewertungskriterien und Indikatoren beziehen sich auf die Abschätzung der verkehrlichen Nachfrage in einem zu untersuchenden Gebiet, bei der die Nutzung von Leihrädern als nachhaltiges Verkehrsmittel im Vordergrund steht. Wirtschaftliche Betrachtungen waren nicht Gegenstand dieser Arbeit.

Das Ziel der Bewertungsmethodik, mit einer pragmatischen und effizienten Herangehens­weise die Ausweitung von FVS auf neue Gebiete zu untersuchen, kann unter Nutzung der Formblätter im Anhang erreicht werden.

Die Bewertungsmethodik kann mit vertretbarem Aufwand und typischerweise frei verfügbaren Daten durchgeführt werden, wie die beispielhafte Anwendung am Praxisfall LIDL-Bike und Berlin-Wedding zeigt. Verkehrsmodelle, GIS-Systeme oder Zugang zu open-data-Plattform sind nicht erforderlich.

Zukünftig könnten zusätzlich zur Standortanalyse und einer verstärkten Berücksichtigung der sozi-demographischen Gegebenheiten auch Nutzerwünsche und Standortvorschläge erfasst werden, beispielweise durch Online-Umfragen oder Befragungen an ÖPNV-Haltestellen.

Zur besseren Abschätzung der verkehrlichen Nachfrage bei Free-Floating-Systemen könnten die Leihräder anderer FVS-Anbieter per Online-Karte in Echtzeit in kurzen Intervallen (abhängig von der Tageszeit) erfasst werden. Solche Daten könnten in Zukunft auch vermehrt auf open-data-Plattformen der Anbieter (z.B. data.deutschebahn.com) zur Verfügung stehen.

5 Literatur

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6 Anhänge

Formblätter A-G siehe PDF.