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1 Hintergrund
Zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt hat die Europäische Union seit 1996 Richtlinien zur Verbesserung der Luftqualität und zur Minderung des Umgebungslärms verabschiedet. Mit der Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes am 6. August 2010 werden die Anforderungen der Richtlinie 2008/50/EG über Luftqualität und saubere Luft für Europa umgesetzt. Diese beinhalten die Information der Öffentlichkeit, den Wegfall von Aktionsplänen bei Grenzwertüberschreitungen sowie die Pflicht zur Aufstellung von Luftreinhalteplänen bei der Überschreitung der Grenzwerte wie der PM 2,5-Feinstaub-Zielwert von 25 µg/m3 als Jahresmittelwert, der ab 2015 als Grenzwert gilt. Insbesondere der Tagesgrenzwert für Feinstaub (PM10) von 50 µg/m3 und der ab dem 1. Januar 2010 geltende Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 µg/m3 werden vor allem an stark befahrenen Straßen mit Straßenschluchten überschritten und bedürfen dann eines Luftreinhalteplans. Hierdurch entsteht erheblicher Handlungsbedarf.
Da die lokalen Belastungsschwerpunkte der Luft beim Straßenverkehr als Hauptverursacher sich vielfach überschneiden mit den lokalen Belastungsschwerpunkten durch Lärm, ist im Zuge der Aufstellung von Luftreinhalteplänen und Lärmaktionsplänen eine integrierte Betrachtung beider Umweltaspekte sinnvoll.
2 Aufgabenstellung
Der Förderung einer integrierten Vorgehensweise dient das FoPS (Forschungsprogramm Stadtverkehr)-Vorhaben 73.0334 „Wirksamkeit und Effizienz kommunaler Maßnahmen zur Einhaltung der EU-Luftqualitäts- und Umgebungslärmrichtlinie“[1]. Mit dem Projekt sollen Potenziale zur Steigerung der Effizienz der Luftreinhalte- und Lärmminderungsplanung durch Maßnahmen- und Verfahrensoptimierung aufgezeigt, die Anwendungsmöglichkeiten bewertet und die sich ergebenden Erfordernisse für Politik, Verwaltung und Gesetzgebung in Bund, Ländern und Gemeinden dargestellt werden.
Als Ergebnis wurde ein Leitfaden entwickelt, in dem Verfahrensschritte für die Aufstellung der Pläne unter Nutzung möglicher Synergieeffekte ebenso enthalten sind wie Hinweise zur Auswahl, Bewertung und abgestimmten Durchführung geeigneter Maßnahmen.
Entsprechend der bisher vielfach üblichen Erfassung der Luftschadstoffbelastung über ein punktuelles Messstellennetz wurden in bisherigen Aktionsplänen häufig nur punktuell im Umfeld der Messstelle wirksame Maßnahmen, wie Lkw-Durchfahrverbote auf einzelnen Straßenabschnitten oder räumlich wirkende Maßnahmen mit einem nur schwachen Eingriff in den Kfz-Verkehr, ausgearbeitet und umgesetzt. Erste Erfahrungen aus der Praxis zeigen jedoch, dass
- punktuelle Einzelmaßnahmen in der Regel nicht zu einer ausreichenden Verringerung der Schadstoffbelastung führen, sondern
- Maßnahmenbündel innerhalb abgestimmter Handlungskonzepte am ehesten die notwendigen Effekte erreichen können.
Diesen Erkenntnissen folgte der Untersuchungsansatz, vom bisherigen Schwerpunkt auf Einzelmaßnahmen im Umfeld von Messstationen auf integrierte Verfahrens- und Maßnahmenansätze überzugehen.
Um für ein solches Vorgehen Planungshinweise zu erhalten, wurden für drei Fallbeispiele in Teilräumen von 5 x 5 km2 unabhängig von bestehenden lokalen Planungen idealtypische Planungskonzepte entwickelt und die sich daraus ergebenden Entlastungen berechnet, um die Wirkung von komplexen Handlungspaketen mit zum Teil starken Eingriffen in der motorisierten Straßenverkehr auf die Luftbelastung zu testen, die Auswirkungen auf die Lärmminderung zu beachten und verfahrensmäßige Voraussetzungen zu beschreiben. Die Auswahl der Fallbeispiele erfolgte nach einem breit gestreuten Aufruf: Hannover, Karlsruhe, Wuppertal und Ludwigsburg.
Entsprechend den für das jeweilige Fallbeispiel festgelegten Maßnahmenschwerpunkten wurde für die betrachteten Teilräume ein idealtypisches Handlungskonzept erarbeitet, um bestehende Minderungspotenziale maximal auszuschöpfen. Die Maßnahmenauswahl basiert sowohl auf den Ergebnissen der von der Bundesanstalt für Straßenwesen aufgebauten MARLIS-Datenbank („Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft in Bezug auf Immissionen an Straßen“) als auch auf einer umfassenden Literaturanalyse.
3 Untersuchungsmethode
Die MARLIS-Datenbank der Bundesanstalt für Straßenwesen enthält Maßnahmen aus vorliegenden Luftreinhalte- und Aktionsplänen mit einer groben Bewertung der Minderungswirkung für PM10 und NO2. Ausgewertet wurde die erste Version der Datenbank aus dem Jahr 2006 mit 1 404 Maßnahmen. Zur Bewertung der Maßnahmen wird eine fünfstufige Skala verwendet, auf der die Wirkung von „1“ (≥ 10μg/m³; sehr hohe Wirkung) bis „5“ (keine Wirkung) bewertet wird (Tabelle 1).
Tabelle 1: Einteilung der Maßnahmenwirkungen in Wirkungskategorien gemäß MARLIS
Sowohl für die PM10- als auch die NO2-Minderung führte die Auswertung zu einem ernüchternden Ergebnis: Von den 1.404 Maßnahmen führen bezogen auf die PM10-Belastung lediglich 8 und bezogen auf die NO2-Belastung lediglich 20 zu sehr hohen Minderungswirkungen. Die große Mehrheit der aufgeführten Maßnahmen führt dagegen nur zu einer geringen oder gar keiner Minderungen der Schadstoffbelastung. Die drei Wirkungsgrade sehr hohe, hohe und mittlere Wirkung beinhalten nur gut ein Viertel der 1.404 betrachteten Maßnahmen. Das Bild 1 stellt die Verteilung der Wirksamkeit der Maßnahmen auf die PM10-Reduzierung dar. Die Maßnahmen, die zu nennenswerten Wirkungen führen, sind für PM10 und NO2 nicht vollständig identisch, sind jedoch überwiegend in ihrer Minderungswirkung ähnlich.
Bild 1: Wirksamkeit der Maßnahmen bezogen auf PM10 (Grundgesamtheit 1.404 Maßnahmen); Prozentangaben gerundet
Aus der Literaturrecherche wurden vor allem potenzielle Maßnahmen ermittelt, die in bisherigen Luftreinhalte- oder Aktionsplänen nicht dokumentiert sind. Darunter fallen insbesondere Ergebnisse aus aktuellen Forschungen sowie jüngeren Ansätzen, die im Rahmen der MARLIS-Datenbank noch nicht erfasst wurden.
Die für die Immissionsberechnungen benötigte Datenaufbereitung wurde durch ein Datenmanagement begleitet. Grundsätzlich hat sich herausgestellt, dass die Daten der beteiligten Fallbeispielstädte unterschiedlich strukturiert und qualifiziert waren. Eine Synergie gemeinsamer Datennutzung wurde erst nach dem Import in die eingesetzte Datenbank möglich.
Um eine realistische Einschätzung der zu erwartenden Luftschadstoffbelastungen zu erhalten, war die großräumige Berücksichtigung des Straßennetzes der Fallbeispielstädte angebracht. Für die Immissionsberechnungen wurde das Modell PROKAS verwendet. Mit dem Zusatzmodul PROKAS_B wurde der Einfluss der Straßenrandbebauung für typisierte Bebauungssituationen einbezogen.
Die Bewertung der Maßnahmenwirkungen auf die NO2- sowie die PM10-Belastungen erfolgt anhand der Wirkungskategorien der MARLIS-Datenbank.
4 Untersuchungsergebnisse
Die Wirksamkeit der verkehrlichen Maßnahmen auf die PM10-Zusatzbelastung hängt wesentlich davon ab, ob und wie stark der Schwerverkehr reduziert werden kann. Das wird vor allem am Beispiel Karlsruhe deutlich. Dort ließe sich mit der idealtypisch hoch angesetzten Reduzierung des Schwerverkehrs eine deutliche Reduzierung der PM10-Zusatzbelastung erzielen. Größer ist der Einfluss des Schwerverkehrs auf die NO2-Zusatzbelastung, da die größten Emittenten von Stickoxiden die Lkw sind, weil die in der Regel mit Dieselmotoren ausgestattet sind.
Wenn nur die Anzahl der Pkw reduziert werden kann, ergibt sich eine größere Wirkung auf die Veränderung der NO2-Zusatzbelastung bei einem relativ niedrigen Lkw-Anteil, während im Umkehrschluss bei einem hohen Lkw-Anteil eine Verringerung der Anzahl der Pkw sich nur relativ gering auf eine Verringerung der NO2-Zusatzbelastung auswirkt.
Die Wirksamkeit der auf den Pkw-Verkehr einwirkenden Maßnahmen fällt wesentlich geringer aus als bei den Lkw-bezogenen Maßnahmen:
- Die Maßnahmen „City-Maut“ und „Erhöhung des Besetzungsgrades“ (Mobilitätsmanagement, Kapazitätserhöhung im öffentlichen Verkehr) haben lediglich eine geringe bis mittlere Wirksamkeit.
- Die Maßnahmenkombination aus Lückenschluss von Umfahrungsstraßen, Straßenrückbau, intensiver Förderung des ÖPNV, Parkraummanagement und Mobilitätsmanagement weist ebenfalls maximal eine mittlere Wirksamkeit auf. Dies lässt auf eine geringe Wirkung der Einzelmaßnahmen schließen.
- Eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h auf Hauptverkehrsstraßen kann als alleinige Maßnahme in der Regel nicht dazu führen, dass die Grenzwerte dauerhaft unterschritten werden. Ihre Wirksamkeit auf die Luftbelastung ist als gering bis mittel einzustufen.
- Die Wirkung von Umweltzonen sollte dagegen nicht unterschätzt werden. Der „zielgruppenreine“ Ausschluss von stark emittierenden Kfz vermag die Luftbelastung möglicherweise stärker zu reduzieren als beispielsweise der diffuse Ausschluss von Kfz durch eine Mautpflicht. Eine mittlere Wirksamkeit ist jedoch nur bei einer konsequenten Umsetzung mit Ausschluss der Schadstoffklassen 1 bis 3 (Einfahrt nur für Fahrzeuge mit grünen Plaketten) gegeben.
- Die Machbarkeitsstudie für Ludwigsburg-Eglosheim unterstreicht die Notwendigkeit von Maßnahmenkombinationen auch bei „starken“ Maßnahmen wie dem Bau von Ortsumfahrungen.
Tabelle 2: Wirkung der Maßnahmen (-kombinationen) anhand der Immissionsberechnungen
Aus den Ergebnissen der Untersuchung wird deutlich, dass der Schwerverkehr die Emissionen von NO2 und PM10 bestimmt (Tabelle 2). Nur mit einer Verringerung des Schwerverkehrs lässt sich eine deutliche Reduzierungen der NO2- und PM10-Zusatzbelastungen erreichen. Andere Maßnahmenkombinationen werden in der Regel nur auf Straßenabschnitten mit einer geringen Grenzwertüberschreitung dazu beitragen, die Grenzwerte einzuhalten oder gar zu unterschreiten.
5 Handlungsempfehlungen
Sowohl bei Maßnahmen zur Verkehrsverlagerung oder -vermeidung als auch bei Maßnahmen mit direkter Auswirkung auf die Schadstoffimmissionen bleiben ausreichend starke Wirkungen für eine dauerhafte Reduzierung der Schadstoffbelastung oder gar eine Unterschreitung der Grenzwerte bislang in den meisten Fällen aus (Auswertung MARLIS-Datenbank). Dies zeigen auch die Immissionsberechnungen im Rahmen des Forschungsvorhabens.
Die Entwicklung eines Handlungskonzepts sollte deshalb über den in der bisherigen Planungspraxis üblichen Umfang hinausgehen. Es gibt nur wenige Maßnahmen, die aus sich heraus ein hohes Potenzial zur Minderung der Schadstoffbelastung besitzen. Die Ergebnisse der Fallbeispiele zeigen, dass folgende „Regeln“ für eine erfolgreiche Umsetzung beachtet werden sollten:
- Die Maßnahmen sind in aufeinander abgestimmten Paketen zu konzipieren, in denen Kernmaßnahmen mit hoher Wirkung mit geeigneten flankierenden Maßnahmen geringerer Wirkung kombiniert werden, um Synergieeffekte zu erzeielen.
- Die Maßnahmen sind so zu kombinieren, dass im Gegensatz zu bisher vielfach üblichen einseitigen Angebotsplanungen gleichrangig Push- und Pull-Effekte genutzt werden.
- Es sind möglichst umfassende Maßnahmen zur Beeinflussung des Lkw-Verkehrs vorzusehen, da sie die höchsten Minderungswirkungen erwarten lassen.
- Schließlich sind die Maßnahmen konsequent, das heißt ohne zu weitreichende Ausnahme- und Sonderregelungen, umzusetzen und entsprechend zu überwachen.
Eine mögliche Maßnahmenkombination mit den Elementen Push-/Pull-Effekte und Kernmaßnahmen/flankierende Maßnahmen zur Reduzierung des Lkw-Verkehrs bzw. des durch den Lkw-Verkehr verursachten Schadstoffausstoßes werden im Bild 2 dargestellt.
Bild 2: Maßnahmenpaket „Lieferverkehr“
6 Beitrag luftreinhaltender Maßnahmen zur Lärmminderung
Ein Vergleich der Wirkung der Lärmminderungsmaßnahmen im Verkehrsbereich mit den im Forschungsvorhaben vorgeschlagenen Maßnahmen identifiziert die Maßnahmen, bei denen Synergieeffekte genutzt und konträre Wirkungen ausgeschlossen werden können. Dazu werden im Folgenden die Wirkungen lärmmindernder Maßnahmen (Tabelle 3) mit der Wirkung luftreinhaltender Maßnahmen (Tabelle 4) „verschnitten“.
Tabelle 3: Maßnahmen mit hoher Lärmminderungswirkung
Tabelle 4: Lärmmindernde Wirkung von Maßnahmen mit (hoher) Minderungswirkung der Luftbelastung (0 = keine Wirkung, + Wirkung vorhanden)
Ein Vergleich der beiden Tabellen zeigt, dass vor allem folgende Maßnahmen die hocheffektive Schnittmenge mit großer Wirkung auf die Luft- und Lärmbelastung darstellen:
- Ortsumfahrungen/Entlastungsstraßen mit Straßenrückbau (mittel- bis langfristig),
- Lkw-Beschränkungen mit Lkw-Lenkungskonzept (kurz- bis mittelfristig),
- Förderung des Umweltverbundes mit Veränderung des Modal Splits (mittel- bis langfristig).
Diese Maßnahmen sind nicht nur in der Lage, Luftschadstoff- und Lärmprobleme effektiv zu mindern, sondern sie tragen auch maßgeblich zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes bei.
Wie auch bei der Wirkung auf die Luftqualität, ist auch bei der Lärm- und CO2-Minderung der größte Effekt von Maßnahmen zu erwarten, die den Lkw-Verkehr reduzieren. Da der städtische Lieferverkehr vor allem vom leichten Güterverkehr (bis 3,5 t) dominiert wird, müssen auch in der Lärmminderung hier die Maßnahmen ansetzen. Die schon tot geglaubte City-Logistik kann hier möglicherweise unter anderen Rahmenbedingungen (z. B. Elektro-Mobilität) eine unerwartete Renaissance erfahren.
Alle Ergebnisse des FoPS-Vorhabens werden als Leitfaden vom BBSR in Kürze als Online-Publikation veröffentlicht.
Literaturverzeichnis
1 Bearbeitet von: Planungsbüro Richter-Richard, Aachen; LAIRM CONSULT GmbH, Hammoor; M.O.S.S Computer Grafik Systeme, Taufkirchen |