FGSV-Nr. FGSV 002/140
Ort Stuttgart
Datum 13.03.2024
Titel Mikroskopische Verkehrsflusssimulation von Autobahnen mit Streckenbeeinflussungsanlagen
Autoren Dr.-Ing. Claude M. Weyland
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Kurzfassung

Ziel dieser Untersuchung ist die simulative Abbildung der Wirkung einer Streckenbeeinflussungsanlage (SBA) auf den Verkehrsfluss einer Autobahn. Hierzu wird ein mikroskopisches Verkehrsflussmodell einer deutschen Autobahn erstellt, das Steuerungsmodell der dortigen SBA nachgebildet und ein Akzeptanzmodell zur Abbildung der Reaktionen der Verkehrsteilnehmenden auf die dynamischen SBA-Anzeigen entwickelt. Die Untersuchung liefert eine Methode zum Aufbau und zur Kopplung dieser Komponenten und zur Kalibrierung des gesamten Modells.

Es resultiert ein Verkehrsflussmodell, das die Verkehrssituation auf einer viel befahrenen deutschen Autobahn mit dem Schaltverhalten der SBA und den Reaktionen der Verkehrsteilnehmenden an einem typischen Werktag realitätsnah abbildet. Ein solches Modell ermöglicht es, verkehrsbeeinflussende Maßnahmen vor einer Realimplementierung simulativ zu untersuchen.

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1 Problemstellung und Forschungsziele

Streckenbeeinflussungsanlagen (SBA) werden auf viel befahrenen Autobahnen eingesetzt, um den Verkehrsfluss zu optimieren und die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Eine SBA verfügt über Mess- und Anzeigequerschnitte, die mit Detektoren und Wechselverkehrszeichengebern ausgestattet sind. An den Messquerschnitten werden die Verkehrssituationen erfasst und mithilfe eines Steuerungsmodells Schaltbilder ermittelt. Neben den Verkehrsdaten (Verkehrsstärke, Verkehrsdichte und Geschwindigkeit) fließen auch die Umfeldbedingungen wie Wetter und aktuelle sicherheitsrelevante Informationen in das Steuerungsmodell ein. Basierend auf den erfassten Daten werden automatisch Geschwindigkeitsbeschränkungen, Überholverbote und Warnungen an den Anzeigequerschnitten angeordnet. Die Verkehrsteilnehmenden reagieren auf diese dynamischen Anzeigen und es entsteht eine beeinflusste Verkehrssituation.

Die Möglichkeiten der Modifikation und der Parametrisierung des Steuerungsmodells einer SBA sind vielfältig. Änderungen am Algorithmus wirken sich auf die Verkehrsbeeinflussung und damit auf den resultierenden Verkehrsfluss aus. Die Akzeptanz der Verkehrsteilnehmenden variiert für unterschiedliche Schaltbilder und hängt zudem von weiteren Faktoren, insbesondere von der wahrgenommenen Verkehrssituation, ab. Es ist nicht möglich, Steuerungsmodelle umfangreich im Realbetrieb zu testen, da mögliche Fehlschaltungen Stau auslösen können, zu Akzeptanzverlust führen können und im schlimmsten Fall Unfälle begünstigen können. Ein mikroskopisches Verkehrsflussmodell einer Autobahn mit allen Steuerungsmaßnahmen ermöglicht es, Steuerungsmodelle vor einer realen Implementierung ausführlich zu erproben und optimieren.

Im Bereich von innerstädtischen Verkehrsanlagen sind mikroskopische Simulationen gängige Praxis bei der Planung, Optimierung und Bewertung von Verkehrsabläufen. Innerorts ist der Verkehrsfluss maßgeblich vom Verkehrsablauf an Knotenpunkten geprägt, an denen der Verkehr nach eindeutigen Regeln abfließt, die gut in der Simulation abgebildet werden können. Ein Beispiel sind Lichtsignalanlagen: Zeigt ein Signalgeber Rot, gibt es nach den Verkehrsregeln nur eine mögliche Aktion: Anhalten. Die Verkehrsteilnehmenden reagieren einheitlich auf dieses Signal: sie halten an. Auf Autobahnen sind die Reaktionen auf die geltenden Verkehrsregeln weniger eindeutig definierbar, da der Aktionsspielraum größer ist. Die maximal zulässige Höchstgeschwindigkeit darf unterschritten werden und gleichzeitig streut die Befolgung der Geschwindigkeitsanzeigen stark. Die Modellierung und Kalibrierung einer Autobahn ist daher umfangreich und das Potenzial dieses Werkzeugs ist bislang nicht ausgeschöpft.

Ziel dieser Untersuchung ist die Abbildung der Wirkung einer SBA in einem mikroskopischen Verkehrsflussmodell. Der Fokus liegt dabei auf SBA in Deutschland, da sich die Rahmenbedingungen zwischen deutschen und internationalen Autobahnen unterscheiden. Es wird eine Methode zum Modellaufbau entwickelt und vorgestellt, die aus drei Komponenten besteht: einem mikroskopischen Verkehrsflussmodell einer deutschen Autobahn, einer Nachbildung des Steuerungsmodells der SBA und einem Akzeptanzmodell, das die Reaktionen der Verkehrsteilnehmenden auf die dynamischen SBA-Anzeigen abbildet. Die Komponenten werden gekoppelt und das gesamte Modell wird kalibriert und validiert. Das Ergebnis ist ein Verkehrsflussmodell, das die Verkehrssituation auf einer viel befahrenen deutschen Autobahn mit dem Schaltverhalten der SBA und den Reaktionen der Verkehrsteilnehmenden an einem typischen Werktag realitätsnah abbildet. Mithilfe solcher Modelle können in Zukunft verkehrsbeeinflussende Maßnahmen vor einer Realimplementierung simulativ untersucht werden.

2 Stand der Technik

Ein Ziel von SBA ist die Reduktion von Geschwindigkeitsunterschieden zwischen Fahrzeugen und dadurch eine Verbesserung der Stabilität des Verkehrs. Diese Harmonisierungswirkung ist dabei unstrittig [1, 15, 19]. Auch die Zunahme der Stabilität des Verkehrsflusses mit einer Erhöhung des Geschwindigkeitsniveaus bei hohen Verkehrsstärken [13, 15, 19] und eine gleichmäßigere Fahrstreifenaufteilung [15, 17, 19] sind Ergebnisse von einigen Analysen. Die Frage der Auswirkungen von SBA auf die Kapazität von Autobahnen ist hingegen nicht klar zu beantworten. Wohingegen einige Untersuchungen eine Erhöhung der Kapazität durch SBA ermitteln [2, 17], zeigen andere, dass keine Kapazitätserhöhung erzielt werden kann [15, 19]. Insgesamt kann geschlussfolgert werden, dass SBA den Verkehrsfluss verbessern und dadurch die Stauanfälligkeit und Zusammenbruchwahrscheinlichkeit abnimmt [15, 19].

Ausschlaggebend für die Wirkung einer SBA ist die Akzeptanz der dynamischen Anzeigen und die daraus resultierende Befolgung. Verkehrsabhängige Geschwindigkeitsbeschränkungen erreichen bei guter Steuerungsqualität eine höhere Akzeptanz als statische und zeitabhängige Geschwindigkeitsbeschränkungen [17]. Die Akzeptanz ist abhängig von der erkennbaren Übereinstimmung zwischen den dynamischen Anzeigen und der vorherrschenden Verkehrssituation und der daraus resultierenden Vertrauenswürdigkeit in die SBA [17]. Ein Ansatz zur Feststellung der Befolgung ist die Betrachtung der Einhaltung der Geschwindigkeitsbeschränkungen, i. d. R. einschließlich einer Toleranz [12, 13]. Die Übereinstimmung der gefahrenen Geschwindigkeiten mit den Geschwindigkeitsbeschränkungen ist jedoch nicht ausschließlich abhängig von der Akzeptanz, sondern kann auch durch die verkehrliche Situation oder Witterung bedingt sein. Laut Kappich u. a. [12] liegt dann eine hohe Akzeptanz vor, wenn die Verkehrsteilnehmenden ohne Verkehrsbeeinflussung schneller fahren würden. Dieser Aspekt kann mithilfe einer Gegenüberstellung von beeinflussten und unbeeinflussten Fundamentaldiagrammen berücksichtigt werden [21]. Ein Problem bei dieser Vorgehensweise ist, dass SBA i. d. R. lediglich bei wenig Verkehr ausgeschaltet sind und somit nur Referenzdaten aus Schwachlastzeiten für ein unbeeinflusstes Fundamentaldiagramm vorliegen. Riegelhuth und Glatz [17] nutzen daher neben der Untersuchungsstrecke mit SBA einen vergleichbaren Autobahnabschnitt ohne SBA zur Ermittlung der Befolgung. Allgemein haben Zusatzzeichen eine positive Wirkung auf die Akzeptanz [1, 21]. Die Akzeptanz von Lkw-Überholverboten wird in der Literatur als hoch eingeschätzt [19]. Zusätzlich weisen Lkw eine höhere Akzeptanz der TSF als Pkw auf [6, 16].

Als Simulationswerkzeug wird die Software PTV Vissim (im Folgenden Vissim genannt) verwendet. Vissim simuliert den Verkehrsfluss auf Basis des psycho-physischen Fahrzeugfolgemodells von Wiedemann, das allen Fahrzeugen individuelle Eigenschaften beim Folgen aus vorgegebenen Verteilungen zuordnet [26]. Das Querverhalten der Fahrzeuge wird von einem regelbasierten Fahrstreifenwechselmodell abgebildet, das an die Arbeit von Sparmann [20] anknüpft. Die Eignung von Vissim zur Abbildung von deutschem Autobahnverkehr wurde u. a. von Geistefeldt u. a. [5] nachgewiesen, die HBS-konforme Standardparametersätze für verschiedene Simulationswerkzeuge liefern. Die Abbildung einer SBA erfolgt in Vissim i. d. R. über Wunschgeschwindigkeitsentscheidungen und einer Anpassung der Wunschgeschwindigkeitsverteilungen [7, 8, 18]. Auch die Einteilung in Fahrzeugklassen zur Abbildung von regelkonformen und nicht regelkonformen Verkehrsteilnehmenden ist eine mögliche Vorgehensweise zur Modellierung von SBA [7]. Vereinfachend wird der Befolgungsgrad in manchen Studien vernachlässigt und es wird angenommen, dass bei restriktiveren Geschwindigkeitsbeschränkungen verringerte Wunschgeschwindigkeiten vorliegen [22, 23]. In Untersuchungen, die den Befolgungsgrad berücksichtigen, erfolgt i. d. R. lediglich eine Variation mit anschließender Quantifizierung der Auswirkungen von unterschiedlichen Befolgungsgraden [7, 8, 9, 18]. Dabei weisen alle Simulationsstudien einen positiven Zusammenhang zwischen Verkehrsfluss und Befolgungsgrad auf. Eine realitätsnahe Modellierung des Befolgungsgrades stellt sich als Herausforderung heraus, weil die für die Kalibrierung notwendige empirische Erfassung und Auswertung des Befolgungsgrades schwierig ist. Hilgers u. a. [10] beschäftigen sich mit der Abbildung der Reaktionen der Verkehrsteilnehmenden auf SBA-Anzeigen und entwickeln ein Wirkmodell, das das Fahrverhalten mittels eines hybriden Bayesschen Netzes abbildet.

3 Methodischer Ansatz

Die für die Modellierung eines Autobahnabschnitts mit SBA benötigten Komponenten und der Datenfluss zwischen diesen Komponenten sind in Bild 1 dargestellt. Zunächst wurde das Steuerungsmodell in Python implementiert und anhand von realen Verkehrs- und Schaltdaten validiert (siehe Abschnitt 3.2). Anschließend wurde ein Akzeptanzmodell entwickelt, das für die realitätsnahe Abbildung der Befolgung der dynamischen SBA-Anzeigen unerlässlich ist (siehe Abschnitt 3.3). Im nächsten Schritt erfolgte der Modellaufbau in Vissim, wobei neben dem Fahrverhalten die Modellierung der SBA mit im Fokus stand (siehe Abschnitt 3.4). Das Steuerungsmodell, das Akzeptanzmodell und das Verkehrsflussmodell wurden anschließend gekoppelt und es resultiert der folgende Datenfluss: Der in der Simulation erfasste Verkehr wird an das Steuerungsmodell übergeben, welches anhand der aktuellen Verkehrssituation Schaltbilder für die Streckenbeeinflussung ermittelt. Diese werden sowohl an das Akzeptanzmodell als auch in Form von Maßnahmen (bspw. Öffnung des Seitenstreifens) an die Simulation übergeben. Basierend auf den dynamischen Schaltbildern und der aktuellen Verkehrssituation ermittelt das Akzeptanzmodell die Reaktionen der Verkehrsteilnehmenden. Diese Reaktionen werden wiederum an die Simulation zurückgespielt und dort zusammen mit den Maßnahmen der SBA umgesetzt. Im letzten Schritt wurde die Kopplung zwischen Verkehrsflussmodell, Steuerungsmodell und Akzeptanzmodell anhand empirischer Daten kalibriert und validiert (siehe Abschnitt 3.5).

Bild 1: Komponenten der Modellierung und Datenfluss

3.1 Untersuchter Autobahnabschnitt

Für die Untersuchungen wurde ein etwa 30 Kilometer langer Abschnitt der Bundesautobahn 5 (A 5) im Bereich Frankfurt am Main betrachtet (siehe Bild 2). Mit einer maximalen täglichen Verkehrsstärke zwischen etwa 160.000 und 200.000 Kfz/Tag im Jahr 2019 stellt der Abschnitt einen der höchstbelasteten Autobahnabschnitte in Deutschland dar. Es wurden beide Fahrtrichtungen berücksichtigt. Der untersuchte Abschnitt ist mit einer SBA ausgestattet, die 35 Mess- und Anzeigequerschnitte je Fahrtrichtung beinhaltet. Des Weiteren verfügt er über eine temporäre Seitenstreifenfreigabe (TSF) zwischen der Anschlussstelle Friedberg und dem Nordwestkreuz Frankfurt. Zusätzlich zu den drei Hauptfahrstreifen kann hier in beide Fahrtrichtungen der Seitenstreifen bei Kapazitätsengpässen temporär für den Verkehr freigegeben werden.

Bild 2: Untersuchter Autobahnabschnitt der A 5

Für die Analyse des Verkehrsflusses und der Akzeptanz auf der A 5 standen die folgenden Verkehrsdaten zur Verfügung: Detektordaten der SBA (01.01.2019 - 31.08.2020), Schaltdaten der SBA (15.04.2019 - 05.05.2019 und 16.09.2019 - 29.09.2019), Einzelfahrzeugdaten mit Schaltdaten für 2 Messquerschnitte (29.11.2017 - 07.12.2017), typische Tagesganglinien (2021) und Floating Car Data (FCD) (16.09.2019 – 29.09.2019).

3.2 Steuerungsmodell

In Deutschland sind die Anforderungen an die Steuerungsmodelle einer SBA im Merkblatt zur Ausstattung von Verkehrsrechnerzentralen und Unterzentralen (MARZ) [14] hinterlegt. Das hessische Steuerungsmodell SARAH (Streckensteuerung mit Antizipierendem Regelbasiertem Ansatz in Hessen), das auf der A 5 eingesetzt wird, ist eine Weiterentwicklung der Algorithmen nach MARZ 99 [17]. SARAH ist ein regelbasiertes Steuerungsmodell, das auf dem Vergleich von Detektordaten bzw. berechneten Kenngrößen mit Schwellenwerten von automatischen Schaltprogrammen basiert. Je nach Verkehrs- und Umfeldsituation können verschiedene Schaltprogramme mit unterschiedlichen Beeinflussungsstrategien geschaltet werden. Dabei wird zwischen Automatikprogrammen, bei denen die Wechselverkehrszeichen automatisch angezeigt werden, und manuellen Schaltprogrammen, die vom Bedienpersonal ausgeführt werden, unterschieden. Verkehrsbezogene Automatikprogramme sind dabei die Harmonisierung der Geschwindigkeiten (Harmonisierung 120, 100 und 80), die Stauwarnung, das Lkw-Überholverbot und die Ein- bzw. Ausfahrhilfe. Ein Schaltprogramm umfasst eine Schaltbildfolge benachbarter Anzeigequerschnitte mit aufeinander abgestimmten Wechselverkehrszeichen.

Zur Nachbildung der SBA wurde zunächst das Steuerungsmodell SARAH in Python implementiert. Eingabegrößen sind, wie in Realität auch, die minutenfeinen Rohdaten der Kfz- und Lkw-Verkehrsstärke und mittleren Pkw- und Lkw-Geschwindigkeit an allen Messquerschnitten. Diese Rohdaten wurden aufbereitet und weitere verkehrliche Kenngrößen berechnet. Die Schaltprogramme wurden mit ihren querschnitts- oder fahrstreifenbezogenen Schwellenwerten, ihren Ein- und Ausschaltverzögerungen und ggfs. der Mindestanzahl an anfordernden Messquerschnitten implementiert. Sind die Schaltkriterien eines Schaltprogramms erfüllt, wird eine Schaltanforderung für den jeweiligen Anzeigequerschnitt gestellt. Alle Schaltanforderungen eines Anzeigequerschnitts wurden anschließend priorisiert und einem Quer- und Längsabgleich unterzogen. Die so ermittelten Schaltbilder erzeugen im letzten Schritt Schaltbefehle und werden an den Anzeigequerschnitten geschaltet. Die in Realität unvermeidbaren Zeitverzögerungen durch Messung, Datenübertragung und Datenverarbeitung wurden durch eine parametrisierbare Latenz zwischen Schaltbildermittlung und Anzeige der Schaltbilder nachgebildet.

Eine Herausforderung war die Abbildung des halbautomatischen Schaltprogramms der TSF. Das Steuerungsmodell gibt eine schwellenwertbasierte Empfehlung zur Freigabe und Schließung des Seitenstreifens in Abhängigkeit der Verkehrssituation aus. Die tatsächliche Aktivierung und Deaktivierung erfolgt jedoch durch das Bedienpersonal und beruht neben den Schaltempfehlungen auf Erfahrung, Ganglinien des Verkehrsflusses und Sicherheitsaspekten (bspw. Hindernisfreiheit auf dem Seitenstreifen). Daher unterliegen die Rahmenbedingungen beim Öffnen und Schließen des Seitenstreifens Schwankungen. Die TSF wurde mithilfe der vorliegenden minutenfeinen Detektordaten der SBA analysiert und es wurde eine Schaltlogik entwickelt, die die menschlichen Entscheidungen der Operator:innen beschreibt. Die resultierende Logik wurde anschließend in das Steuerungsmodell integriert und in der Simulation eingesetzt.

In der Entwicklungsphase wurde die Implementierung des SARAH-Steuerungsmodells auf die Detektordaten der SBA angewendet und die resultierenden Geschwindigkeitsbeschränkungen und Warnungen wurden mit den realen Schaltbildern der SBA verglichen. Es trug somit kein simulierter Verkehr zur Validierung bei. Die Auswertungen wurden auf alle Anzeigequerschnitte und Fahrstreifen beider Fahrtrichtungen an den repräsentativen Werktagen zwischen dem 16. und 29.09.2019 angewandt. So konnten in einem iterativen Prozess Abweichungen erkannt und die Implementierung entsprechend korrigiert werden. Bild 3 zeigt ein Beispiel eines solchen Vergleichs. Die validierte SARAH-Implementierung hat eine gute Übereinstimmung mit den realen Schaltbildern. Die Geschwindigkeitsbeschränkungen (A-Anzeige) sind je nach Fahrtrichtung und Tag zwischen 75 % und 85 % der Minutenintervalle identisch, bei den Warnungen (B-Anzeige) sind es zwischen 80 % und 90 %. Abweichungen sind vorrangig auf lokale Parameterwertanpassungen durch die Operator:innen und manuelle Schaltungen, bspw. durch Baustellen kürzerer Dauer oder Unfälle, zurückzuführen, die nicht von der SARAH-Implementierung abgebildet werden können.

Bild 3: Vergleich zwischen den Schaltbildern der realen SBA und der SARAH-Implementierung am Beispiel von AQ 36 (Fahrstreifen 3) in Fahrtrichtung Süden am 18.09.2019

3.3 Akzeptanzmodell

Eine wichtige Komponente ist die Analyse und Abbildung der Akzeptanz der dynamischen SBA-Anzeigen. Eine Simulation, in der alle Fahrzeuge ausnahmslos ihre Geschwindigkeit an die Geschwindigkeitsbeschränkungen anpassen, alle Lkw sich an das Lkw-Überholverbot halten und der Seitenstreifen als vollwertiger Fahrstreifen akzeptiert wird, wird keine realitätsnahen Ergebnisse liefern. Diese Aspekte wurden anhand der Verkehrsdaten untersucht und darauf aufbauend ein Akzeptanzmodell hergeleitet, das eine realitätsnahe Befolgung wiedergibt und zur simulativen Abbildung von SBA eingesetzt werden kann.

Das Geschwindigkeitsverhalten in Vissim kann mithilfe des Konzepts von Wunschgeschwindigkeiten erklärt werden. Unter der Wunschgeschwindigkeit wird die Geschwindigkeit verstanden, die eine Person wählt, wenn sie unbeeinflusst von anderen Verkehrsteilnehmenden fährt. Verkehrsteilnehmende versuchen sich mit ihrer Wunschgeschwindigkeit fortzubewegen; sie fahren nicht freiwillig schneller oder langsamer. Je nach Verkehrssituation werden sie durch langsamere Fahrzeuge ausgebremst und können sich nicht mit ihrer Wunschgeschwindigkeit fortbewegen. In solchen Fällen fahren sie beeinflusst. Die Akzeptanz der Geschwindigkeitsbeschränkungen spiegelt sich in den Wunschgeschwindigkeiten der Verkehrsteilnehmenden wider. Die tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeiten resultieren aus den individuellen Wunschgeschwindigkeiten in Kombination mit verkehrsabhängigen Einschränkungen bedingt durch die Verkehrsstärke und -dichte. Ziel war es, Wunschgeschwindigkeitsverteilungen im Modell zu hinterlegen, welche die beobachteten Geschwindigkeiten widerspiegeln. Während die gefahrenen Geschwindigkeiten gemessen werden können, sind die Wunschgeschwindigkeiten nicht für alle Fahrzeuge erfassbar. In dieser Untersuchung kam die modifizierte Kaplan-Meier Methode [11, 4], ein anerkanntes Schätzverfahren für Wunschgeschwindigkeitsverteilungen, zum Einsatz. Es basiert auf einer mathematischen Überlebensfunktion und bestimmt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fahrzeug beeinflusst fährt. Datengrundlage waren die Einzelfahrzeugdaten mit Schaltdaten. Diese wurden nach der Fahrzeugklasse, angezeigten Geschwindigkeitsbeschränkung und Verkehrsdichte gefiltert und für jede Kombination wurden Wunschgeschwindigkeitsverteilungen geschätzt. Durch die Berücksichtigung der Verkehrsdichte wurde in der Simulation abgebildet, dass die Akzeptanz u. a. von der Verkehrssituation abhängt und Geschwindigkeitsbeschränkungen besser akzeptiert werden, wenn sie in Zusammenhang mit der Verkehrssituation stehen und nachvollziehbar sind. Insgesamt zeigte sich, dass annähernd normalverteilte Wunschgeschwindigkeiten für Pkw gute Ergebnisse in der Simulation liefern. Für Lkw waren jedoch Gleichverteilungen zielführend. Dazu wurden die annähernd normalverteilten Wunschgeschwindigkeiten mit Gleichverteilungen approximiert, sodass die sehr langsamen und sehr schnellen Lkw in den Randbereichen entfallen. Alle Verteilungen wurden plausibilisiert und es resultierten die in Bild 4 dargestellten Wunschgeschwindigkeitsverteilungen.

Bild 4: Wunschgeschwindigkeitsverteilungen in Abhängigkeit der Geschwindigkeitsbeschränkung, Fahrzeugklasse und Verkehrsdichte (auf dem linken Fahrstreifen)

Für die Bewertung der Akzeptanz der TSF wurde die Nutzung des Seitenstreifens auf dem untersuchten dreistreifigen Abschnitt mit der Nutzung des rechten Fahrstreifens auf einer vierstreifigen Autobahn [3] verglichen. Diese Gegenüberstellung zeigte keine signifikanten Unterschiede in der Fahrstreifenaufteilung (siehe Bild 5a). Die Akzeptanz des Seitenstreifens ist demnach sehr gut und es wurden keine weiteren Maßnahmen im Modell vorgenommen, um die Nutzung der TSF zu steuern. Die Fahrstreifenaufteilung wurde in der Kalibrierung berücksichtigt.

Bild 5: Untersuchung der Akzeptanz der TSF und des Lkw-Überholverbots

Zur Analyse der Akzeptanz des Lkw-Überholverbots wurde die Lkw-Fahrstreifenaufteilung bei aktivem und inaktivem Überholverbot untersucht (siehe Bild 5b). Der Lkw-Anteil auf dem rechten Fahrstreifen ist tendenziell höher, wenn ein Überholverbot angezeigt wird. Gleichzeitig ist der Lkw-Anteil auf dem mittleren Fahrstreifen leicht reduziert. Nur wenige Lkw nutzen den linken Fahrstreifen. Insgesamt unterscheidet sich die Fahrstreifenaufteilung der Lkw zwischen aktivem und inaktivem Überholverbot nur geringfügig. Die Anteile akzeptierender und nicht-akzeptierender Lkw waren jedoch anhand der vorliegenden Verkehrsdaten nicht empirisch bestimmbar und gingen daher als Kalibrierungsgröße ein.

3.4 Verkehrsflussmodell

Die Fahrbahngeometrie des untersuchten Abschnitts wurde basierend auf Luftbildern für beide Fahrtrichtungen in Vissim (Version 2023) aufgebaut. Das Längsprofil wurde als Streckeneigenschaft im Modell hinterlegt. Zusätzlich wurden Langsamfahrbereiche auf den Ausfahrten platziert, damit ausfahrende Fahrzeuge vor dem Verlassen des Netzes realitätsnah abbremsen. Die Fahrzeugzuflüsse und Verkehrszusammensetzungen aus Pkw- und Lkw-ähnlichen Fahrzeugen wurden aus den Detektordaten der Einfahrten in 5-Minuten-Intervallen generiert. Die Fahrzeugzusammensetzungen innerhalb der Pkw- und Lkw-ähnlichen Fahrzeugklassen wurden entsprechend ihren Anteilen aus den Einzelfahrzeugdaten abgebildet: Pkw-Ähnliche (90 % Pkw und 10 % Lieferwagen) und Lkw-Ähnliche (65 % Sattelkraftfahrzeuge, 15 % Lkw, 15 % Lkw mit Anhänger und 5 % Busse). Busse fungieren in der Simulation stellvertretend für Busse und Pkw mit Anhänger. Sie wurden separat abgebildet, weil sie annähernd die Geschwindigkeiten von Lkw haben, jedoch nicht vom Lkw-Überholverbot betroffen sind. Die Quelle-Ziel-Matrizen wurden stundenfein für typische Werktage aus den FCD abgeleitet und für die Belastungen der Fahrzeugrouten herangezogen. Für die Fahrverhaltensparameter wurden die erwähnten HBS-konformen Standardparameter für Autobahnverkehr [5] eingesetzt und an die Gegebenheiten der A 5 angepasst. Es wurde das Fahrzeugfolgemodell Wiedemann 99 verwendet.

Für die Modellierung der SBA wurden im Verkehrsflussmodell Messquerschnitte an den Positionen angelegt, an denen auch in Realität Detektoren auf dem untersuchten Abschnitt vorhanden sind. Anschließend wurden Querschnittsmessungen definiert, welche die für das Steuerungsmodell notwendigen Verkehrsdaten in der Simulation minutenfein erfassen. An den Positionen der Anzeigequerschnitte wurden im Modell Wunschgeschwindigkeitsentscheidungen eingefügt. Wenn das Steuerungsmodell Geschwindigkeitsbeschränkungen für einen oder mehrere Anzeigequerschnitte ermittelt, werden den jeweiligen Wunschgeschwindigkeitsentscheidungen die entsprechenden Wunschgeschwindigkeitsverteilungen aus dem Akzeptanzmodell (siehe Abschnitt 3.3) zugeordnet. Beim Überfahren einer Wunschgeschwindigkeitsentscheidung wird den Fahrzeugen entsprechend ihrer Fahrzeugklasse und ihrem Perzentil eine neue, der Geschwindigkeitsbeschränkung entsprechenden Wunschgeschwindigkeit zugeordnet. Die Modellierung der TSF erfolgte mithilfe von Fahrzeugteilrouten und Fahrstreifensperrungen, die Vorgehensweise wird im Detail von Weyland u. a. [25] beschrieben. Das Lkw-Überholverbot wurde mithilfe von Fahrstreifensperrungen für Lkw modelliert. Es wurden dabei zwei Fahrzeugklassen für Lkw hinterlegt: Akzeptierende und Nicht-Akzeptierende. Der linke Fahrstreifen ist in der gesamten Simulation für alle Lkw gesperrt, der mittlere Fahrstreifen ist bei aktiviertem Lkw-Überholverbot für Akzeptierende gesperrt. Nicht-Akzeptierende ignorieren das Lkw-Überholverbot und ändern ihr Verhalten nicht. In den meisten Fällen nutzen Lkw aufgrund ihres Fahr- und Geschwindigkeitsverhaltens trotzdem den rechten Fahrstreifen.

Das Verkehrsflussmodell, das Akzeptanzmodell und das Steuerungsmodell wurden anschließend über die COM-Schnittstelle gekoppelt. Ein Skript pausiert nach jeder simulierten Minute den Verkehrsfluss. Der Verkehr, der kontinuierlich an den Messquerschnitten erfasst und aggregiert wird, wird an das Steuerungsmodell übergeben und es folgt der in Bild 1 dargestellte Ablauf. Anschließend wird die Simulation für eine weitere Minute fortgeführt.

3.5 Kalibrierung und Validierung

Das gesamte Modell wurde anhand empirischer Verkehrsdaten kalibriert und validiert. Es wurden jeweils 20 Simulationsläufe durchgeführt; ein Lauf umfasste sechs Stunden mit einem zusätzlichen zeitlichen Vorlauf von 30 Minuten. Für die Kalibrierung wurde die morgendliche Hauptverkehrszeit des 18.09.2019 ausgewählt. Die Validierung erfolgte anhand der nachmittäglichen Hauptverkehrszeit des gleichen Tages und anhand der morgendlichen Hauptverkehrszeit des 26.09.2019. Zur Bestimmung der Modellgüte wurden Fundamentaldiagramme, raumzeitliche Verläufe der Verkehrssituation, Fahrstreifenaufteilungen, Zeitlückenverteilungen (aus Einzelfahrzeugdaten) und Reisezeiten (aus FCD) herangezogen. Mithilfe von Visualisierungen und dem Fehlermaß RMSPE wurden Parameteranpassungen bewertet. Die wesentlichen Probleme waren eine abweichende Fahrstreifenaufteilung und eine zu geringe Kapazität.

Zur realitätsnahen Abbildung der Fahrstreifenaufteilung wurden fahrstreifenspezifische Streckenverhaltenstypen in Vissim hinterlegt. Auf Autobahnen sortieren sich die Fahrzeuge so auf die Fahrstreifen, dass die Geschwindigkeit und die Aggressivität des Fahrverhaltens i. d. R. von rechts nach links zunehmen. Diese Modellierungsart ermöglicht die Abbildung von unterschiedlichem Fahrverhalten auf unterschiedlichen Fahrstreifen und wurde daher eingesetzt. Inwieweit Verkehrsteilnehmende den Fahrstreifen entsprechend ihrem Fahrverhalten und ihrer Wunschgeschwindigkeit auswählen oder sie ihr Fahrverhalten an den jeweiligen Fahrstreifen anpassen, bleibt zu untersuchen. Die Fahrstreifenaufteilung in den Simulationen zeigte allgemein einen zu hohen Lkw-Anteil bei insgesamt zu wenigen Fahrzeugen auf dem mittleren Fahrstreifen. Dabei hatte die Freifahrtzeit einen großen Einfluss. Die Simulationen erzielten gute Ergebnisse für sehr geringe Werte für Lkw, die sich dadurch nach einem Überholvorgang möglichst schnell wieder auf den rechten Fahrstreifen einordneten. Für Pkw bildeten hohe Parameterwerte auf dem rechten Fahrstreifen eine geringe Befolgung des Rechtsfahrgebots ab. Geringere Freifahrtzeiten auf dem mittleren Fahrstreifen förderten Fahrstreifenwechsel von Pkw vom linken Fahrstreifen zurück in die Mitte. Durch die vermehrte Nutzung des mittleren Fahrstreifens durch Pkw reduzierten sich die Überholmöglichkeiten für Lkw und folglich deren Überholvorgänge.

Die Modellierung der Verflechtungsvorgänge an den Anschlussstellen ist eine wichtige Stellschraube für die Abbildung der Kapazität. Die Fahrzeuge fädelten zunächst zu vorsichtig an den Anschlussstellen ein, was durch ein aggressives Fahrstreifenwechselverhalten gelöst werden konnte. Dies betraf zum einen die Parameter in Bezug auf die Verzögerung bei notwendigen Fahrstreifenwechseln und den Sicherheitsabstandsfaktor, der für geringere Werte für Pkw in den Anschlussstellen eine positive Wirkung auf die Verflechtungen zeigte. Reduzierte Werte für Lkw auf dem rechten Fahrstreifen förderten die Fahrstreifenwechsel von Lkw zurück nach rechts. Der Verkehrsfluss an den Anschlussstellen konnte zusätzlich durch die Wahl geeigneter Verteilungen für die Fahrstreifenwechseldistanzen verbessert werden. Des Weiteren wurden für den Parameter CC1 Verteilungen anstatt von einzelnen Werten hinterlegt, da so eine bessere Abbildung der realen Zeitlückenverteilungen in der Simulation gelang. Es resultierten fahrstreifenfeine Fahrverhalten für Pkw und Lkw und jeweils für Stecken und Anschlussstellenbereiche.

4 Ergebnisse

Der untersuchte Autobahnabschnitt charakterisiert sich durch komplexe verkehrliche Abläufe, die stochastische Effekte und Wechselwirkungen bedingen, die einen großen Einfluss auf die Verkehrszustände haben. Die Auswertungen der Verkehrs- und Schaltdaten ergeben trotz ähnlicher Rahmenbedingungen und Verkehrsaufkommen für gleiche Werktage zum Teil stark abweichende Verkehrsabläufe. Auch der Verkehrsfluss in der Simulation birgt diese Effekte, wodurch unterschiedliche Simulationsläufe zum Teil stark variieren. Das Modell bildet somit eine große Spannweite an möglichen Verkehrsabläufen ab, wobei alle Simulationsläufe einen plausiblen und realitätsnahen Verkehrsablauf auf dem Abschnitt darstellen. Es resultiert ein Verkehrsflussmodell, das die Verkehrssituation auf einer viel befahrenen deutschen Autobahn mit dem Schaltverhalten der SBA und den Reaktionen der Verkehrsteilnehmenden an einem typischen Werktag realitätsnah abbildet. Ein solches Modell ermöglicht es, verkehrsbeeinflussende Maßnahmen vor einer Realimplementierung simulativ zu untersuchen.

Bild 6: CC1-Verteilungen für Lkw (links) und Pkw (rechts) in Abhängigkeit des Fahrstreifens (gleiche Verteilungen für Strecken und Anschlussstellen)

Tabelle 1: Kalibrierte Parameterwerte des Fahrzeugfolgeverhaltens in Vissim

Tabelle 2: Kalibrierte Parameterwerte des Fahrstreifenwechselverhaltens in Vissim

Die folgenden Größen zeigen den größten Einfluss bei der Kalibrierung: die Wunschgeschwindigkeitsverteilungen, die Fahrstreifenwechseldistanzen an den Anschlussstellen, die Folgezeitlücken-Verteilungen (CC1), die Parameter der Verzögerung bei notwendigen Fahrstreifenwechsel, der Sicherheitsabstandsfaktor und die Freifahrtzeit. Die Tabellen 1 und 2 zeigen die resultierenden Parameterwerte des Fahrzeugfolge- und Fahrstreifenwechselverhaltens in Vissim. Zusätzlich ergibt die Kalibrierung des Befolgungsgrades der dynamischen Lkw-Überholverbote eine realitätsnahe Fahrstreifenaufteilung der Lkw für einen Anteil Akzeptierender von 80 %.

Bild 7: Raumzeitlicher Verlauf der Verkehrssituation in Fahrtrichtung Süden

Bild 7 zeigt die raumzeitliche Verkehrssituation in der morgendlichen Hauptverkehrszeit in Fahrtrichtung Süden für einen beispielhaften Simulationslauf im Vergleich zu den realen Verkehrsdaten der A 5. Die vorhandenen Engpässe werden in der Simulation gut abgebildet, die Auswirkungen variieren jedoch je nach Simulationslauf. Allgemein weisen die Verkehrssituationen im Stau in der Simulation andere Charakteristika auf als in Realität. Die Stausituationen aus den Detektor- und Schaltdaten der A 5 kennzeichnen sich durch Stauwellen. Im Gegensatz dazu charakterisieren sich die Stausituationen in der Simulation überwiegend durch weite Bereiche mit einer sehr hohen Verkehrsdichte, die nicht wie in Realität durch kurze Verkehrsentspannungen unterbrochen werden. In der Simulation sind demnach Stauwellen bei sehr geringen Geschwindigkeiten weniger ausgeprägt. Dies bedingt, dass sich der Stau in der Simulation tendenziell nicht so weit ausbreitet. Die Stauauflösung und -dauer wird gut abgebildet.

5 Fazit und Ausblick

Diese Untersuchung liefert eine Methode zum Aufbau und zur Kopplung aller notwendigen Komponenten für die Abbildung einer Autobahn mit SBA in einem mikroskopischen Verkehrsflussmodell. Neben dem entwickelten Akzeptanzmodell ist die Beschreibung der Modellkalibrierung und der relevanten Parameter hervorzuheben. Damit wird ein Leitfaden für die mikroskopische Verkehrsflusssimulation von Autobahnverkehr in Vissim bereitgestellt, der sowohl für beeinflussten als auch unbeeinflussten Autobahnverkehr eingesetzt werden kann. Die Erkenntnisse können auf andere Simulationswerkzeuge übertragen werden. Neben der Analyse von verkehrsbeeinflussenden Maßnahmen, Umweltauswirkungen (siehe bspw. [25]) und Anpassungen von Steuerungsmodellen sowie Parametrisierungen können mit dem entwickelten Modell Fragestellungen zu automatisiertem Fahren oder kooperativen Verkehrssystemen erforscht werden.

Weiteren Forschungsbedarf zeigen vorrangig die Akzeptanzanalysen und die Kalibrierung des Fahrverhaltens auf. Eine größere Datengrundlage und weitere Datenquellen würden eine Weiterentwicklung des Akzeptanzmodells ermöglichen, so wäre bspw. eine separate Betrachtung der Auswirkungen von Gefahrenwarnungen auf die Akzeptanz möglich. Zudem ist bei hohen Verkehrsdichten wenig über die tatsächliche Verteilung der Wunschgeschwindigkeiten bekannt. Die Untersuchung von Trajektoriendaten könnte Abhilfe schaffen, da gleiche Fahrzeuge bei unterschiedlichen Verkehrsdichten beobachtet werden können. Des Weiteren haben die Simulationen gezeigt, dass weiterer Forschungsbedarf zur Schätzung von Lkw-Wunschgeschwindigkeitsverteilungen besteht. Es ist denkbar, dass die Grundidee von beeinflussten und unbeeinflussten Fahrzeugen aufgrund von geringeren Lkw-Geschwindigkeiten, größeren Zeitlücken, Pulkbildungen und Lkw-Überholverboten nicht ohne Weiteres von Pkw auf Lkw übertragbar ist. Es besteht außerdem weiterer Forschungsbedarf zu der Frage, wie sich das Folgeverhalten der Verkehrsteilnehmenden in Abhängigkeit der Verkehrssituation und der dynamischen SBA-Anzeigen ändert. Die Datenanalysen geben erste Hinweise auf eine Abnahme der Folgezeitlücken mit steigender Verkehrsstärke und auf ein allgemein abweichendes Folgeverhalten je nach Anzeige. Ebenfalls denkbar ist ein variierendes Fahrstreifenwechselverhalten je nach SBA-Anzeige. In Bezug auf Vissim zeichnen sich einige Aspekte zur Abbildung des Fahrverhaltens ab, die weiter erforscht werden sollten. So fällt bspw. auf, dass Lkw in dichten Verkehrssituationen vermehrt nach einem Überholvorgang nicht mehr zurück auf den rechten Fahrstreifen wechseln können, weil dort keine ausreichend große Lücke vorhanden ist. Im Gegensatz zu notwendigen Fahrstreifenwechseln ist für freiwillige Fahrstreifenwechsel in Vissim keine aktive Behinderung der anderen Verkehrsteilnehmenden vorgesehen. Es ist jedoch denkbar, dass Lkw ein aggressives Fahrstreifenwechselverhalten für freiwillige Fahrstreifenwechsel in Kauf nehmen. Die Simulationen zeigen außerdem, dass die Fahrzeuge bereits bei geringen Unterschieden zwischen der eigenen und der Wunschgeschwindigkeit des Vorderfahrzeugs einen Fahrstreifenwechselwunsch generieren. Kleine Differenzen in der Wunschgeschwindigkeit werden jedoch möglicherweise von den Verkehrsteilnehmenden akzeptiert, eventuell sogar nicht wahrgenommen. Die Implementierung eines Parameters zur Abbildung der Akzeptanz der Wunschgeschwindigkeitsdifferenzen würde zu einer realitätsnahen Abbildung der Fahrstreifenaufteilung und der Pulkbildung von Lkw auf dem rechten Fahrstreifen beitragen.

6 Hintergrund

Die vorgestellten Erkenntnisse basieren auf Arbeiten im Projekt U-SARAH live, das vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr im Rahmen der Forschungsinitiative mFUND gefördert wurde. Die Verkehrsdaten und Informationen zum Steuerungsmodell SARAH wurden von der Autobahn GmbH zur Verfügung gestellt. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den einzelnen Aspekten der Modellierung und Kalibrierung ist in der Dissertation von Weyland [24] zu finden.

7 Literatur

  1. Balz, Werner; Ermer, Peter: Feldversuche zur Bestimmung der Wirkungen verschiedener Kombinationen von WVZ-Anzeigen. In: Straßenverkehrstechnik (1998), 12, S. 644–649. – ISSN 0039–2219
  2. Bode, Karl-Rudolf; Haller, Wolfgang: Geschwindigkeitssteuerung auf der A7 zwischen den Autobahndreiecken Hannover-Nord und Walsrode. In: Straßenverkehrstechnik (1983), Nr. 5, 145–151. – ISSN 0039–2219
  3. Geistefeldt, Justin: Verkehrsablauf und Verkehrssicherheit auf Autobahnen mit vierstreifigen Richtungsfahrbahnen. Bochum, Lehrstuhl für Verkehrswesen, Ruhr-Universität Bochum (Heft 30/2007), Dissertation, 2007
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