| FGSV-Nr. | FGSV 002/139 |
|---|---|
| Ort | Karlsruhe |
| Datum | 19.09.2023 |
| Titel | Ökobilanzierung des Winterdienstes |
| Autoren | Dietlinde Quack |
| Kategorien | Straßenbetrieb, Winterdienst |
| Einleitung |
Wesentliche Aufgabe des Winterdienstes ist die Gewährleistung von Sicherheit und Verkehrsfluss für Personen- und Güterverkehr in Perioden mit winterlichen Witterungsbedingungen (z. B. Schneefall, überfrierende Nässe, Glatteis, Schneematsch). Der Winterdienst soll nach Möglichkeit die Glättebildung vermeiden, entstandene Glätte beseitigen bzw. ihre Auswirkungen auf den Verkehr minimieren. Gleichzeitig steht der Winterdienst aufgrund der mit der Ausbringung von Taustoffen potenziell verbundenen Umweltwirkungen aber auch in der Kritik. Insgesamt stehen für den Winterdienst unterschiedliche Techniken und Methoden zur Verfügung, die kontinuierlich weiterentwickelt werden. Die Bewertung der unterschiedlichen Ansätze erfolgt derzeit prioritär unter den Gesichtspunkten von Sicherheit und Wirtschaftlichkeit. Mithilfe der Methode der Ökobilanz können zusätzlich dazu die mit dem Winterdienst über seinen Lebensweg verbundenen potenziellen Umweltwirkungen abgeschätzt und in die Entscheidungen einbezogen werden. Der Lebensweg umfasst dabei grundsätzlich die Rohstoffgewinnung, die Herstellung, die Distribution, die Nutzung und die Entsorgung. Bezogen auf die unterschiedlichen Umweltwirkungskategorien können mit dieser Methode insbesondere das Treibhauspotenzial, das Versauerungspotenzial, das Ozonabbaupotenzial, das Photooxidantienpotenzial sowie der kumulierte Energieaufwand berechnet werden. Eine Auswertung verschiedener Ökobilanzstudien zum Winterdienst zeigte, dass die verbrauchten Streumittel (insbesondere Natriumchlorid) und Kraftstoffe den größten Anteil an den Umweltauswirkungen des Winterdienstes haben. Die Anwendung der Streumittel in Form von Feuchtsalz statt in Trockensalz führt zu einer erheblichen Verringerung aller Umweltauswirkungen während des gesamten Lebenszyklus. Im Beitrag wird außerdem das Berechnungsbeispiel einer fiktiven Autobahnmeisterei mit dem Tool ÖkoWin vorgestellt. Die Methode der Ökobilanz eignet sich insgesamt sehr gut, um Optimierungspotenziale für die Durchführung des Winterdienstes innerhalb einer Meisterei zu identifizieren. Dagegen ist ein direkter Vergleich des Winterdienstes unterschiedlicher Meistereien bzw. generell von unterschiedlichen Organisationen, die den Winterdienst durchführen, auf Basis einer Ökobilanz nur sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich. Ebenso gibt es verschiedene Auswirkungen des Winterdienstes, die mit der Methode der Ökobilanz aufgrund offener methodischer Fragen und fehlender Daten zumindest derzeit nicht abgebildet werden können. Darunter fallen potenzielle ökotoxische Wirkungen insbesondere aus der Ausbringung der Streumittel. Ebenso können potenzielle negative Wirkungen auf Bauwerke und Fahrzeuge, die Reparaturen und Ersatzmaßnahmen notwendig machen und darüber Umweltauswirkungen verursachen, nicht berücksichtigt werden. Auch die Effekte des Winterdienstes auf den Verkehrsfluss können mit der Methode Ökobilanz derzeit nicht abgebildet werden. Der Beitrag beruht weitgehend auf Arbeiten von Dietlinde Quack, Ran Liu (Öko-Institut), Franz Götzfried (Salt Research + Consulting), Stefan Gartiser (Hydrotox) im Rahmen des von der Bundesanstalt für Straßenwesen beauftragten Forschungsprojekts FE 03.0617/2021/MGB „Ermittlung von Grundlagen und Bewertungsmethoden einer Ökobilanz des Straßenwinterdienstes“ (ÖkoWin). |
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| Volltext | Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.1 EinleitungWesentliche Aufgabe des Winterdienstes ist die Gewährleistung von Sicherheit und Verkehrsfluss für Personen- und Güterverkehr in Perioden mit winterlichen Witterungsbedingungen (z. B. Schneefall, überfrierende Nässe, Glatteis, Schneematsch). Der Winterdienst soll nach Möglichkeit die Glättebildung vermeiden, entstandene Glätte beseitigen beziehungsweise ihre Auswirkungen auf den Verkehr minimieren. Um die Glätte effizient bekämpfen zu können, sind neben den technischen Voraussetzungen und einer sachgerechten Ausstattung insbesondere eine wirkungsvolle Organisation und eine gute Einsatzplanung erforderlich. Die Auswirkungen auf das Verkehrsgeschehen sind umso positiver, je schneller der Winterdienst auf die Glättebildung reagiert. Bei hinreichend sicherer Glättevorhersage ist eine vorbeugende Ausbringung von Taustoffen hinsichtlich der Wirkung auf den Verkehr besonders effektiv. Gleichzeitig steht der Winterdienst aufgrund der mit der Ausbringung von Taustoffen potenziell verbundenen Umweltwirkungen aber auch in der Kritik. Darunter fallen auch potenzielle Belastung von Bauwerken, Pflanzen und Böden sowie Grund- und Oberflächenwässern durch Tausalze. Insgesamt stehen für den Winterdienst unterschiedliche Techniken und Methoden zur Verfügung, die kontinuierlich weiterentwickelt werden. Die Bewertung der unterschiedlichen Ansätze erfolgt derzeit prioritär unter den Gesichtspunkten Sicherheit und Wirtschaftlichkeit. Fragen zu den Umweltauswirkungen stehen eher im Hintergrund: Wie lassen sich die Umweltbelastungen des Winterdienstes insgesamt reduzieren? Welche Prozesse des Winterdienstes sind dabei besonders relevant im Hinblick auf die Belastung der Umwelt? Welche Optimierungspotenziale bestehen? Um diese Fragen zu beantworten, bietet sich die Methode der Ökobilanz an. Mit ihrer Hilfe können, die mit der Bereitstellung eines Produktes oder einer Dienstleistung im Verlauf ihres Lebensweges verbundenen potenziellen Umweltwirkungen abgeschätzt werden. Der Lebensweg umfasst dabei grundsätzlich die Rohstoffgewinnung, die Herstellung, die Distribution, die Nutzung und die Entsorgung. 2 Anwendung der Methode der Ökobilanz auf den Winterdienst2.1 Grundlegende Eckpunkte der ÖkobilanzDie Methodik der Ökobilanz ist in den internationalen Normen (DIN EN ISO 14040) und (DIN EN ISO 14044) festgelegt. Durch die Einhaltung der in den Normen festgelegten Anforderungen und Empfehlungen ist gewährleistet, dass die in einer Ökobilanzstudie getroffenen Annahmen und die inhaltliche Zielstellung der Studie transparent dokumentiert werden. Grundsätzlich umfasst eine Ökobilanz dabei vier Phasen: Phase 1. Festlegung des Ziels und des Untersuchungsrahmens dient dazu zu definieren, welchen Nutzen und welche Funktion das/die zu untersuchende Produkt/Dienstleistung hat, wie die funktionelle Einheit aussieht, auf die sich die Ökobilanz bezieht (z. B. betreute Fläche innerhalb einer Winterperiode), und wo die Grenzen des untersuchten Systems liegen, z. B. welche Anteile des Lebensweges berücksichtigt werden und welche nicht. Außerdem wird in dieser Phase auch festgelegt, welche Umweltwirkungskategorien einbezogen werden sollen und welche weiteren Annahmen und gegebenenfalls Einschränkungen es in der Studie gibt. Die Phase 2 Sachbilanz dient dazu zusammenzustellen welche quantitative Input- und Outputströme mit der funktionellen Einheit über den Lebensweg innerhalb des definieren Untersuchungsrahmens verbunden sind (z. B. Rohstoffe, Emissionen). Im Rahmen der 3. Phase Wirkungsabschätzung werden die Ergebnisse der Sachbilanz auf Basis wissenschaftlicher Kriterien den verschiedenen Wirkungskategorien zugeordnet und entsprechend ihrem Beitrag als Wirkungspotenziale zusammengefasst (z. B. Treibhauspotenzial). In der 4. Phase Auswertung erfolgt die Interpretation der Ergebnisse. Beitragsanalysen dienen dazu Hotspots zu identifizieren: Welche Prozesse innerhalb des Winterdienstes tragen am meisten zu den Umweltauswirkungen der unterschiedlichen Umweltwirkungskategorien bei? Mit Hilfe von Sensitivitätsanalysen kann darüber hinaus die Auswirkung der Änderung einzelner Eingabedaten auf das Ergebnis der Ökobilanz ermittelt werden, beispielsweise wie hoch die Einsparpotenziale verschiedener (Optimierungs)maßnahmen sind oder welchen Einfluss Unsicherheiten (z. B. aufgrund von Datenlücken) auf das Ergebnis haben. Auch wenn die vier Phasen grundsätzlich als hintereinander durchzuführende Phasen angelegt sind, so erfolgt das Vorgehen bei der Erstellung einer Ökobilanz dabei als iterativer Prozess. Dies bedeutet, dass es auf Basis der Ergebnisse in einer bestimmten Phase der Ökobilanz sinnvoll sein kann, noch einmal Veränderungen oder Ergänzungen in der vorangegangenen Phase vorzunehmen. Der iterative Ansatz innerhalb und zwischen den Phasen trägt zur Ganzheitlichkeit und Konsistenz einer Ökobilanz-Studie bei. 2.2 Systemgrenzen und Untersuchungsrahmen von Ökobilanzen des WinterdienstesMit der Festlegung der funktionellen Einheit wird zu Beginn einer Ökobilanz-Studie die spezifische Größe definiert, auf die sich in der Folge alle Stoffflüsse und Umweltwirkungen der Analyse beziehen. Die funktionelle Einheit umfasst den quantifizierten Nutzen des untersuchten Systems Winterdienst. Je nach Fragestellung können dies beispielsweise die geräumten Kilometer sein, wie in den Studien von (Vignisdottir; Ebrahimi et al., 2020; LaLonde, 2019; Vignisdottir; Booto et al., 2016), die behandelte Straßenfläche als Länge multipliziert mit der Streubreite wie in (Gartiser; Reuther et al., 2003) oder alle Aktivitäten des Winterdienstes während einer Winterperiode wie in der Studie (Quack; Möller et al., 2004) zum kommunalen Winterdienstes auf dem Gebiet der Stadt Nürnberg. Einige Studien konzentrieren sich auf die Herstellung der Streumittel und verwenden als funktionelle Einheit beispielsweise die Bereitstellung von einer Tonne Auftausalz beim Hersteller resp. einschließlich Transport bis zum Zwischenlager (Stratmann; Quack, 2009; Stettler; Kägi, 2019). Die Systemgrenzen können die folgenden Prozesse umfassen:
Die Infrastruktur, das heißt die Herstellung, Distribution und Entsorgung von Maschinen, Fahrzeugen sowie die Errichtung und Entsorgung von Gebäuden, die für den Winterdienst genutzt werden, spielt aufgrund der jeweils vergleichsweisen langen Lebensdauern der verschiedenen Infrastrukturelemente für die Ergebnisse eine vernachlässigende Rolle und wird daher in der Regel in Ökobilanzen nicht berücksichtigt. Das Bild 1 gibt einen Überblick über die typischerweise bei einer Ökobilanz des Winterdienstes berücksichtigen Prozesse und damit der möglichen Festlegung der Systemgrenzen. Bild 1: Mögliche Festlegung für die Systemgrenzen einer Ökobilanz des Winterdienstes (Quelle: eigene Darstellung Öko-Institut) Je nach Zielsetzung der Studien werden unterschiedliche Systemgrenzen definiert. In Studien, die den gesamten Winterdienst betrachten, werden in der Regel die Prozesse Bereitstellung der Streumittel, Antransport der Streumittel vom Produktionsstandort zum Lager, die Ausbringung sowie die jeweiligen Vorketten einbezogen. Bei Studien, in denen der Fokus auf der Bereitstellung der Streumittel liegt, wird dagegen die Ausbringung nicht betrachtet. An die Ausbringung schließt sich im Prinzip noch die End-of-Life-Phase an. Abstumpfende Streumittel, wie z. B. Splitt, werden vom Straßenbetreiber wieder eingekehrt, das heißt der Fahrzeugbetrieb einschließlich Kraftstoffverbrauch und Vorketten für den Kehrvorgang fließt in die Ökobilanz ein. Bei Streusalz ist dies nicht der Fall. Ausgebrachtes Streusalz wird durch Regen und Schmelzwasser ausgewaschen (Run-off) und wird so in Boden und Gewässer verbracht. Es kann dort dann eine ökotoxische Wirkung entfalten. Die End-of-Life-Phase wird in den ausgewerteten Studien entweder mangels eines entsprechenden Wirkungsabschätzungsmodells für die Ermittlung des Ökotoxizitätspotenzials in Ökobilanzen (s. u.) aus den Systemgrenzen ausgeschlossen oder im Rahmen der Sachbilanz auf Inventarebene (z. B. als Chloremissionen) abgehandelt und diskutiert. Die ausgebrachten Streumittel können nach der Ausbringung auch eine negative Wirkung auf Bauwerke und Fahrzeuge haben. Auch wenn sich die Anfälligkeit in den letzten Jahrzehnten aufgrund verbesserter Materialien und Technologien sowie entsprechender technischer Vorgaben deutlich verringert hat, ist unbestritten und vielfach belegt, dass Streusalze aufgrund ihrer korrosiven Wirkungen Schäden an Bauwerken und Fahrzeugen verursachen können. Diese Schäden könnten grundsätzlich im Rahmen einer Ökobilanz abgebildet werden. Beispielsweise indem die Umweltauswirkungen der Aufwendungen für eine Reparatur der Schäden berechnet und berücksichtigt würden. Um dies tun zu können wäre es aber notwendig, einer bestimmten Winterdienst-Dienstleistung, z. B. einer einzelnen Ausbringung oder der Ausbringung in einer Winterperiode, eine spezifische (Schad-)Wirkung zuzuordnen und diese zu quantifizieren. Die hierfür notwendigen Daten liegen derzeit aber nicht vor. Vor diesem Hintergrund können korrosive Wirkungen auf Bauwerke und Fahrzeuge im Rahmen der Ökobilanz nicht betrachtet werden. Im Folgenden wird festgelegt, welche Umweltwirkungskategorien in einer durchzuführenden Studie berücksichtigt werden sollen. Ziel ist es, alle relevanten potenziellen Schadwirkungen auf die Umwelt, die über den Lebensweg hinweg entstehen können, zu betrachten. Grundsätzlich sollten die relevanten Umweltthemen für das zu untersuchende System durch das gewählte Vorgehen im Rahmen der Wirkungsabschätzung adäquat abgedeckt werden. Eine Sonderform stellen Studien dar, die sich auf klimarelevante Emissionen beschränken. Die Berechnung der potenziellen Umweltauswirkungen beruht insbesondere auf den folgenden Wirkungskategorien: Kumulierter Energie-Aufwand (KEA) in MJ-Äquivalent KEA ist ein Maß für den gesamten Verbrauch an energetischen Ressourcen, die für die Bereitstellung eines Produktes oder einer Dienstleistung benötigt werden. Im KEA enthalten ist auch der Energiegehalt, der im Produkt selbst enthalten ist. Der KEA weist generell alle nicht erneuerbaren und erneuerbaren energetischen Ressourcen als Primärenergiewerte aus. Treibhausgaspotential (Global Warming Potential, GWP) in kg CO2-Äquivalent Unter dem Treibhauseffekt wird die klimarelevante Veränderung der Atmosphäre durch den anthropogenen Beitrag von Treibhausemissionen verstanden, die zu einer Erwärmung der Erde führt. Zur Erfassung des Treibhauspotentials werden die in der Sachbilanz erfassten Treibhausgase mit sogenannten Charakterisierungsfaktoren) multipliziert, die ihre Klimarelevanz in Relation zu CO2 mit dem Charakterisierungsfaktor abbilden und die einzelnen Beiträge addiert. Auf diese Weise wird das Treibhauspotential in Form von CO2-Äquivalenten errechnet. Versauerungspotenzial (Acidification Potential, AP) in kg SO2-Äquivalent Die wichtigsten Substanzen, die zu einer Erniedrigung des PH-Wertes von Niederschlagswasser führen und damit ein Versauerungspotenzial besitzen, sind Schwefeldioxid (SO2), Stickoxide (NOx) und Ammoniak (NH3), die zur Freisetzung von Wasserstoffionen (H+) führen (Zampori, Pant 2019). mol H+-Äquivalent dient als Leitindikator für die Quantifizierung des Versauerungspotenzial. Ozonabbaupotenzial (ODP) Die Emissionen ozonabbauender Stoffe, z. B. langlebige Chlor und Brom enthaltende Gas wie FCKW (Fluorchlorkohlenwasserstoffen), Halone-FCKW tragen dazu bei, die stratosphärische Ozonschicht zu zerstören. Als Leitindikator wird FCKW-11 verwendet. Photooxidantienpotenzial (POCP) in kg NMVOC-Äquivalent) Die photochemische Bildung von Ozon in bodennahen Luftschichten ist das Resultat der Reaktion von Stickoxiden (NOx) mit flüchtigen organischen Kohlenwasserstoffen (VOC) unter dem Einfluss von UV-Licht. Dieser Vorgang wird auch als Sommersmog bezeichnet. Dabei wirkt NOx als Katalysator. Die Ozonbildung ist nicht linear mit der NOx-Konzentration korreliert. Zur quantitativen Erfassung des Sommersmogs wird das photochemische Ozonbildungspotenzial (POCP) definiert. Als Leitindikator wird NMVOC verwendet. Die Berücksichtigung der Wirkungskategorie Ökotoxizität ist m Rahmen von Ökobilanzen nicht möglich, da es derzeit keine wissenschaftlich abgesicherte Methode für die Berücksichtigung potenzieller Wirkungen der Streumittel nach der Ausbringung – dem für die potenzielle Ökotoxizitäts-Wirkung relevantesten Prozess – gibt. 2.3 Ergebnisse von Ökobilanzstudien zum WinterdienstEine Auswertung verschiedener Ökobilanzstudien zum Winterdienst zeigte, dass die verbrauchten Streumittel (insbesondere Natriumchlorid) und Kraftstoffe den größten Anteil an den Umweltauswirkungen des Winterdienstes haben. Die Verbrauchsmengen von Streumitteln und Kraftstoffen sind von den spezifischen Rahmenbedingungen des Winterdienstes abhängig, z. B. von der Witterung, dem Straßenzustand, der Fahrzeug- und Streutechnik, der Wahl der Streumittel sowie den konkreten Einsätzen (Vignisdottir; Ebrahim et al., 2020). Darüber hinaus beeinflussen auch die Transportentfernungen und vor allem die Wahl der Transportmittel vom Herstellungs- zum Einsatzort einschließlich etwaiger Zwischenlager die Umweltauswirkung. Bezogen auf die Umweltauswirkungen von Natriumchlorid spielen die unterschiedlichen Verfahren zu seiner Herstellung, konkret Steinsalz, Siedesalz und Meersalz, eine wesentliche Rolle. Die Siedesalz-Herstellung verursacht prozessbedingt deutlich höhere Umweltauswirkungen als die Steinsalz- und Meersalz-Herstellung. Meersalz hat die geringsten Umweltauswirkung (Stratmann; Quack, 2009). Werden nur die Produktion und der Antransport der Salze betrachtet, hat bei Siedesalz die Herstellung einen höheren Anteil an den Umweltauswirkungen als der Antransport. Dies liegt daran, dass die Produktion von Siedesalz energieaufwändig und somit mit hohen Umweltauswirkungen verbunden ist. Umgekehrt spielt der Antransport bei Steinsalz und Meersalz eine größere Rolle als die Produktion (Stettler; Kägi, 2019; Stratmann; Quack, 2009). Die Anwendung der Streumittel in Form von Feuchtsalz statt in Trockensalz führt zu einer erheblichen Verringerung aller Umweltauswirkungen während des gesamten Lebenszyklus (LaLonde, 2019; Fitch; Smith et al., 2013; Quack; Möller et al., 2004). 3 Beispielrechnung einer Ökobilanz Winterdienst mit dem ÖkoWin-ToolIm Rahmen des Projekts ÖkoWin wurde ein Berechnungstool für den Straßenwinterdienst auf Außerortsstraßen entwickelt, mit dessen Hilfe Straßen und Autobahnmeistereien und andere Organisationen, die den Winterdienst durchführen, zukünftig selbst orientierende Ökobilanzen erstellen können. Nutzer und Nutzerinnen müssen entsprechend ihrer spezifischen Fragestellung eine funktionelle Einheit, das heißt Streufläche und Zeitraum definieren sowie Angaben zu den damit in Bezug stehenden konkreten Verbräuchen von Streumitteln, Kraftstoffen, Strom, Wärme und Wasser machen sowie Daten zu den Transportprozessen für die Anlieferung der Streumittel einschließlich etwaiger Zwischenlager eingeben (z. B. Entfernungen und Transportmittel). Eingaben der Nutzer und Nutzerinnen zu Details des jeweiligen Winterdienstes, wie beispielsweise die Anzahl und Stärke von Glätte- und Schneefallereignissen im Rahmen der funktionellen Einheit helfen bei der späteren Interpretation der Ergebnisse. Im Tool sind Hintergrunddaten mit Emissionsfaktoren zu Bereitstellungs- und Transportprozessen hinterlegt. Diese ermöglichen Aussagen zu den Wirkungskategorien Treibhauspotenzial, Versauerungspotenzial, Ozonabbaupotenzial, Photooxidantienpotenzial sowie kumulierter Energieaufwand. Die Erfahrungen aus dem Projekt zeigen allerdings, dass die für die Nutzung des Tools erforderlichen spezifischen Daten zu den Winterdienstaktivitäten oftmals in den Meistereien nicht unmittelbar vorliegen. Sie müssen erst ermittelt werden. Das kann mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden sein. Im Folgenden soll zur Illustration ein Beispiel vorgestellt werden, das mit dem Tool berechnet wurde. Basis sind Daten zum Winterdienst einer fiktiven Autobahnmeisterei über eine Winterperiode. Mit dem Beispiel soll vereinfachend dargestellt werden, wie mit diesem Tool eine Ökobilanz des Winterdienstes erstellt werden kann. Die funktionelle Einheit ist definiert als die Aktivitäten des Winterdienstes vom 1.10.2022 bis zum 31.3.2023 auf einer Streufläche von 1,3 Mio. Quadratmetern (ca. 110 km Autobahn). An Prozessen werden die Herstellung der Streumittel (inklusive Vorketten), die Transporte der Streumittel (direkte Emissionen beim Transport und Herstellung Kraftstoffe), die Ausbringung der Streumittel (direkte Emissionen bei der Ausbringung und Herstellung Kraftstoffe) sowie der Stromverbrauch in der Meisterei/ im Bauhof (Bereitstellung Strom, Netzbezug) berücksichtigt. Als Streumittel wird Natriumchlorid auf Basis von Steinsalz eingesetzt und es wird von einer eigenen Soleherstellung ausgegangen. An spezifischen Inputdaten liegen der Streumittelverbrauch (in Tonnen), der Strom-, der Kraftstoff- sowie der Wasserverbrauch (in kWh, Litern resp. Litern) mit Bezug zur funktionellen Einheit vor. Außerdem werden Angaben zu den Transportentfernungen und den Transportmitteln (Lkw) für die Berechnung der potenziellen Umweltauswirkungen aus dem Antransport der Streumittel berücksichtigt. Im Bild 2 sind die prozentualen Anteile der vier Prozesse am Gesamtergebnis in den fünf Wirkungskategorien Kumulierter Energie Aufwand, Treibhauspotenzial, Versauerungspotenzial, Ozonabbaupotenzial und Photooxidantienpotenzial dargestellt. Dabei zeigt sich, dass die Ausbringung der Streumittel mit zwischen 43 und 55 Prozent in allen Phasen den größten Anteil ausmacht, gefolgt mit einem Anteil von 27 bis 41 Prozent vom Antransport der Streumittel vom Produktionsort in die Meisterei. Die Bereitstellung des verbrauchten Stroms folgt an dritter Stelle, wobei der kumulierte Energieaufwand und das Treibhauspotenzial mit 23 beziehungsweise 13 Prozent deutlich stärker zu Buche schlagen als die drei anderen Kategorien mit einem Anteil von 2 bis 4 Prozent. Bild 2: Prozentuale Anteile der verschiedenen Prozesse am Ergebnis der Ökobilanz in fünf Wirkungskategorien für das Berechnungsbeispiel einer fiktiven Autobahnmeisterei Die Herstellung des Streumittels – Natriumchlorid aus Steinsalz – macht wie das Bild 2 zeigt, nur einen relativ geringen Anteil am Gesamtergebnis der verschiedenen Wirkungskategorien aus. Würde man bei ansonsten gleichen Annahmen Natriumchlorid aus Steinsalz durch Natriumchlorid aus Siedesalz ersetzen, dann verändert sich dieses Bild allerdings. Aufgrund des deutlich höheren Energieaufwandes für die Herstellung von Siedesalz würde das absolute Gesamtergebnis in allen Wirkungskategorien zwischen 11 und 89 Prozent höher ausfallen (Photooxidatienpotenzial beziehungsweise kumulierter Energieaufwand) als vorher. Gleichzeitig würde der Anteil der Herstellung der Streumittel am Gesamtergebnis auf zwischen 11 Prozent (Photooxidatienpotenzial) und 51 Prozent (kumulierter Energieaufwand) ansteigen. Dieses Beispiel zeigt, dass mit Hilfe des Tools der Einsatz verschiedener Streumittel verglichen werden kann, beispielsweise der Einsatz verschiedener Anteile von Feuchtsalz 30 (FS30) und Feuchtsalz 100 (FS100). Voraussetzung ist allerdings, dass die entsprechenden Daten zu den jeweils mit den unterschiedlichen Alternativen verbundenen Verbräuchen an Streumitteln, Strom, Kraftstoffen etc. vorliegen und in das Tool eingegeben werden können. Ebenso wie die Variation des Streumittels kann mit Hilfe des Tools berechnet werden, welchen Effekt es auf die Umweltauswirkungen hat, wenn der Antransport der Streumittel variiert wird und statt per Lkw wie im Berechnungsbeispiel oben mit der Bahn oder mit einem Binnenschiff erfolgen würde. Im konkreten Beispiel würden – bei ansonsten gleichen Annahmen – durch den Antransport der Streumittel mit der Bahn beim kumulierten Energieaufwand, dem Treibhauspotenzial und dem Versauerungspotenzial gut 30 bis 50 Prozent eingespart beziehungsweise reduziert werden können. Der Antransport mit einem Binnenschiff hat einen ähnlichen Effekt. Hierbei sind allerdings etwaig notwendige Transporte zwischen Entladeort Bahn beziehungsweise Schiff und der Meisterei nicht berücksichtigt. Perspektivisch könnten im Tool auch neue Fahrzeugtechnologien, wie beispielsweise E-Lkw abgebildet werden. Die Möglichkeit verschiedene Varianten zu berechnen, besteht auch für die Ausbringung. Auch hier können z. B. verschiedene Emissionsklassen und Fahrzeugtechnologien variiert werden. 4 Abschließende Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen von Ökobilanzen des WinterdienstesMit Hilfe der Methode der Ökobilanz können die Umweltauswirkungen des Winterdienstes und Optionen für deren Reduzierung untersucht und abgeschätzt werden. Bezogen auf die unterschiedlichen Umweltwirkungskategorien können mit dieser Methode insbesondere das Treibhauspotenzial, das Versauerungspotenzial, das Ozonabbaupotenzial, das Photooxidantienpotenzial sowie der kumulierte Energieaufwand berechnet werden. Für die Wirkungskategorie Ökotoxizität, die Fragen zu potenziellen ökotoxischen Wirkungen aus dem Verbleib der Streumittel in der Umwelt nach der Ausbringung auf Pflanzen, in Böden und in Gewässern adressiert, steht für Ökobilanzen derzeit kein geeigneter Indikator zur Verfügung, der die Wirkung abbilden könnte. Vor diesem Hintergrund müsste dieser Aspekt ergänzend zur Ökobilanz mit Hilfe anderer Ansätze dargestellt werden. Die Methode der Ökobilanz erlaubt die Beantwortung verschiedener konkreter Fragestellungen zu den Umweltauswirkungen von Winterdienstaktivitäten zu den oben genannten Wirkungskategorien. Aussagen werden jeweils in Bezug auf eine funktionelle Einheit getroffen, das heißt ein konkretes Untersuchungsgebiet und einen spezifischen Zeitraum. Als wichtigste Fragestellungen sind die folgenden zu nennen:
Darunter:
Die Methode der Ökobilanz eignet sich sehr gut, um Optimierungspotenziale für die Durchführung des Winterdienstes innerhalb einer Meisterei zu identifizieren Dagegen ist ein direkter Vergleich des Winterdienstes verschiedener Meistereien bzw. generell von Organisationen, die den Winterdienst durchführen, auf Basis einer Ökobilanz nur sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich. Grund dafür ist, dass in der Regel die Unterschiede der Klima- und Wetterbedingungen und/oder der Straßen- und Verkehrssituationen zwischen den verschiedenen Meistereien so groß sind, dass man bei einem direkten Vergleich Gefahr läuft, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Beispielsweise ist die Höhenlage der betreuten Strecken von Meisterei zu Meisterei unterschiedlich, auch bei den einzelnen Meistereien können erhebliche Höhenunterschiede bei ihren Betreuungsstrecken bestehen. Dies hat Einfluss auf die Intensität der Winterdiensteinsätze, die angewandte Streutechnologie und das Räumerfordernis. Entsprechend fallen auch die Umweltauswirkungen des Winterdienstes unterschiedlich hoch aus. Ebenso gibt es verschiedene Auswirkungen des Winterdienstes, die mit der Methode der Ökobilanz aufgrund offener methodischer Fragen und fehlender Daten zumindest derzeit nichtabgebildet werden können. Darunter fallen wie oben schon erwähnt potenzielle ökotoxische Wirkungen insbesondere aus der Ausbringung der Streumittel. Ebenso können potenzielle negative Wirkungen auf Bauwerke und Fahrzeuge, die Reparaturen und Ersatzmaßnahmen notwendig machen und darüber Umweltauswirkungen verursachen, nicht berücksichtigt werden. Auch die Effekte des Winterdienstes auf den Verkehrsfluss können mit der Methode Ökobilanz derzeit nicht abgebildet werden. LiteraturverzeichnisDIN EN ISO 14040: Environmental management – Life cycle assessment – Principles and framework (ISO 14040:2006 + Amd 1:2020); English version EN ISO 14040:2006 + A1:2020, English translation of DIN EN ISO 14040:2021-02 Fitch, G. Michael; Smith, James A.; Clarens, Andres F. (2013): Environmental Life-Cycle Assessment of Winter Maintenance Treatments for Roadways. In: Journal of Transportation Engineering 139 (2), S. 138–146. DOI: 10.1061/(ASCE)TE.1943-5436.0000453 Gartiser, S.; Reuther, R.; Gensch, C.-O. (2003): Machbarkeitsstudie zur Formulierung von Anforderungen für ein neues Umweltzeichen für Enteisungsmittel für Straßen und Wege, in Anlehnung an DIN EN ISO 14024. Forschungsbericht 200 95 308/04; UBA-FB 000404. Umweltbundesamt (FKZ 200 95 308/04) LaLonde, K. M. (2019): Highway Deicer Use in Oregon: Life Cycle Assessments of Magnesium Chloride and Sodium Chloride. Master‘s thesis, Harvard Extension School. https://dash.harvard.edu/bitstream/handle/1/42006714/LALONDE-DOCUMENT-2019. pdf?sequence=1&isAllowed=y zuletzt geprüft am 31.8.2023 Quack, D.; Möller, M.; Gartiser, S. (2004): Ökobilanz des Winterdienstes in den Städten München und Nürnberg – Stadt Nürnberg – im Auftrag der Stadt Nürnberg. Öko-Institut e. V.; Hydrotox Labor für Ökotoxikologie und Gewässerschutz GmbH. Online verfügbar unter https://www.oeko.de/publikationen/p-details/oekobilanz-des-winterdienstes-in-den-staedten-muen- chen-und-nuernberg, zuletzt geprüft am 31.8.2023 Stettler, C.; Kägi, T. (2019): Ökobilanz Auftausalze. Vergleich der lokalen Siedesalz Produktion Riburg gegenüber unterschiedlichen Importen von Siedesalz, Steinsalz und Meersalz. AdvancedLCA (vs2.2). Online verfügbar unter https://carbotech.ch/cms/wp-content/ uploads/%C3%96kobilanz-Auftausalz-Riburg-v2.2cs.pdf, zuletzt geprüft am 31.8.2023 Stratmann, B.; Quack, D. (2009): Vergleichende Ökobilanz drei verschiedener Auftausalze: Steinsalz, Siedesalz und Meersalz. Im Auftrag der Südsalz GmbH, Heilbronn. Unter Mitarbeit von Franz Götzfried, Florian Knappe, Gero Morlock und Eörs Kondorosy. Öko-Institut e. V. Freiburg Vignisdottir, H. R.; Booto, G. K.; Bohne, Rolf A.; Ebrahimi, B.; Brattebø, H.; Wallbaum, H. (2016): Life Cycle assessment of Anti- and Deicing Operations in Norway. Online verfügbar unter https://www.semanticscholar.org/paper/Life-Cycle-assessment-of-Anti-and-Deicing-in- Vignisdottir-Booto/7d40d07ba09c08edebf46be78478b011d493f02d, zuletzt geprüft am 31.8.2023 Vignisdottir, H. R.; Ebrahimi, B.; Booto, G. K.; O’Born, R.; Brattebø, H.; Wallbaum, H.; Bohne, R. A. (2020): Life cycle assessment of winter road maintenance. In: Int J Life Cycle Assess 25 (3), S. 646–661. DOI: 10.1007/s11367-019-01682-y Zampori, L.; Pant, R. (2019): Vorschläge zur Aktualisierung der Methode zur Berechnung des Umweltfußabdrucks von Produkten (PEF). Online verfügbar unter https://ec.europa.eu/ environment/eussd/smgp/pdf/product-environmental-footprint-PEF-methode_de.pdf, zuletzt geprüft am 31.8.2023 |