FGSV-Nr. FGSV 001/28
Ort Dortmund
Datum 05.10.2022
Titel Planung und Ausschreibung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen
Autoren RDir'in Dipl.-Ing. Janine Kübler
Kategorien Kongress
Einleitung

Die „Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme“ (RPS), die erstmals produktneutrale Anforderungen anstelle konkreter Systemvorgaben enthielten, wurden im Jahr 2010 vom Bundesverkehrsministerium eingeführt. Die Planung und Ausschrei- bung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen stellen aber auch zwölf Jahre nach der Einführung eine Herausforderung für viele Planende und Ausschreibende dar. Gründe hierfür sind die zahlreichen Regelungen, die auch aufgrund der produktneutralen Gestaltung der RPS erfor- derlich wurden und die nun zu beachten sind, aber auch die weiter zunehmende Systemviel- falt. Da Fahrzeug-Rückhaltesysteme immer dann funktionieren müssen, wenn Fahrzeuge von der Fahrbahn abkommen, sind ihre richtige Planung, Ausschreibung und Errichtung wesentli- che Bausteine für verkehrssichere Straßen.

Bei der Planung und Ausschreibung gilt es zunächst zwischen temporär in Arbeitsstellen und permanent eingesetzten Fahrzeug-Rückhaltesystemen zu unterscheiden. Die Anforderungen an temporär in Arbeitsstellen eingesetzte Fahrzeug-Rückhaltesysteme unterscheiden sich deutlich von denen an permanent eingesetzte Fahrzeug-Rückhaltesysteme. Für den dau- erhaften Einsatz steht mit den in der FGSV erarbeiteten „Hinweisen zur Planung und Aus- schreibung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen“ (H PA FRS) erstmals eine Zusammenstellung der Regelungen und Prozesse zur Verfügung, die als Nachschlagewerk bei der Planung und Ausschreibung dienen soll. Zahlreiche Planungs- und Ausschreibungsbeispiele komplettieren diese Hinweise. Im Zusammenhang mit der Nachrüstung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen vor Bäumen und anderen Objekten wurden weitere Regelwerke neu erstellt bzw. überarbeitet, um die Anforderungen der Praxis und neuartige Systemlösungen mit dem Schwerpunkt beim Baum- und Objektschutz darin abzubilden. Die Sonderlösungen von Schutzeinrichtungen in Einmündungsbereichen liefern dabei ebenso wie die Grundsätze für die passiv sichere Auf- stellung von Verkehrszeichen einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicher- heit durch neue innovative Produktentwicklungen.

Es wird ein Überblick über aktualisierte, neue und in der Fortschreibung befindliche Regelwer- ke, die für die Planung und Ausschreibung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen relevant sind, gegeben.

 

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

Die „Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme“ (RPS) (FGSV, 2009), die erstmals produktneutrale Anforderungen anstelle konkreter Systemvorgaben enthielten, wurden im Jahr 2010 vom Bundesverkehrsministerium eingeführt. Die Planung und Ausschreibung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen stellen aber auch zwölf Jahre nach der Einführung eine Herausforderung für viele Planende und Ausschreibende dar. Gründe hierfür sind die zahlreichen Regelungen, die auch aufgrund der produktneutralen Gestaltung der RPS erforderlich wurden und die nun zu beachten sind, aber auch die weiter zunehmende Systemvielfalt. Da Fahrzeug-Rückhaltesysteme immer dann funktionieren müssen, wenn Fahrzeuge von der Fahrbahn abkommen, sind ihre richtige Planung, Ausschreibung und Errichtung wesentliche Bausteine für verkehrssichere Straßen.

Bei der Planung und Ausschreibung gilt es zunächst zwischen temporär in Arbeitsstellen und permanent eingesetzten Fahrzeug-Rückhaltesystemen zu unterscheiden. Die Anforderungen an temporär in Arbeitsstellen eingesetzte Fahrzeug-Rückhaltesysteme unterscheiden sich deutlich von denen an permanent eingesetzte Fahrzeug-Rückhaltesysteme. Für den dauerhaften Einsatz steht mit den in der FGSV erarbeiteten „Hinweisen zur Planung und Ausschreibung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen“ (H PA FRS) (FGSV, 2021) erstmals eine Zusammenstellung der Regelungen und Prozesse zur Verfügung, die als Nachschlagewerk bei der Planung und Ausschreibung dienen soll. Zahlreiche Planungs- und Ausschreibungsbeispiele komplettieren diese Hinweise. Im Zusammenhang mit der Nachrüstung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen vor Bäumen und anderen Objekten wurden weitere Regelwerke neu erstellt bzw. überarbeitet, um die Anforderungen der Praxis und neuartige Systemlösungen mit dem Schwerpunkt beim Baum- und Objektschutz darin abzubilden. Im Folgenden wird ein Überblick über aktualisierte, neue und in der Fortschreibung befindliche Regelwerke, die für die Planung und Ausschreibung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen relevant sind, gegeben.

2 Temporär eingesetzte Fahrzeug-Rückhaltesysteme

Für Fahrzeug-Rückhaltesysteme (FRS), die temporär in Arbeitsstellen eingesetzt werden und diejenigen, die permanent an Straßen oder auf Bauwerken errichtet werden, gelten unterschiedliche Regelwerke und Anforderungen.

Während die permanent eingesetzten Fahrzeug-Rückhaltesysteme der Bauproduktenver- ordnung (Europäische Union, 2011) und damit Schutzeinrichtungen sowie Anpralldämpfer für den permanenten Einsatz der CE-Kennzeichnungspflicht unterliegen, ist dies für alle temporär eingesetzten Fahrzeug-Rückhaltsysteme nicht der Fall. Die Anforderungen an temporäre1) Schutzeinrichtungen sind in den „Technischen Lieferbedingungen für transportable Schutzeinrichtungen – TL-Transportable Schutzeinrichtungen 97“ (FGSV,1997) enthalten und die Einsatzbedingungen in den „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Sicherungsarbeiten an Arbeitsstellen an Straßen – ZTV SA“ (FGSV, 1997/2001). Beide Regelwerke sind noch gültig, befinden sich aber aktuell in der Überarbeitung.

Auch temporär eingesetzte Schutzeinrichtungen (TSE) müssen positiv nach DIN EN 1317, Teile 1 (DIN, 2011) und 2 (DIN, 2010) geprüft sein, es werden hier aber andere Aufhaltestufen gefordert als beim permanenten Einsatz. Engere Fahrstreifen und niedrigere Geschwindigkeiten in Arbeitsstellen führen zu anderen Anprallsituationen und damit zu anderen Prüfparametern bzw. Abnahmekriterien gegenüber denen für den permanenten Einsatz von Schutz einrichtungen.

1) Der Begriff „temporäre Schutzeinrichtungen“ wird anstelle des Begriffs „transportable Schutzeinrich- tungen“ für Schutzeinrichtungen zum Einsatz in Arbeitsstellen verwendet, u. a. da es transportable Schutzeinrichtungen gibt, die nur für den dauerhaften Einsatz geeignet sind (z. B. fest in den Unter- grund eingebundene Betonschutzwandfertigteile – transportabel, aber dauerhaft eingebaut).

Während die dauerhaft eingesetzten Schutzeinrichtungen im Mittelstreifen mindestens die Aufhaltestufe H2 aufweisen müssen, und daher mit einem 13 t Bus, der unter einem Anprallwinkel von 20° mit 70 km/h an die Schutzeinrichtung anprallt, geprüft wurden, wird in Arbeitsstellen zur Gegenverkehrstrennung (außerhalb der Überleitungsbereiche bei maßgeblicher Fahrzeugart Lkw, siehe Bild 1) die Aufhaltestufe ≥T3 gefordert (Allgemeines Rundschreiben Straßenbau Nr. 18/1999). Schutzeinrichtungen der Aufhaltestufe T3 werden mit einem 10-t-schweren Lkw unter einem Winkel von 8° und einer Geschwindigkeit von 70 km/h geprüft.

Bild 1: Temporäre und permanente Schutzeinrichtungen zur Gegenverkehrstrennung

Auch gibt es weitere spezielle Anforderungen an temporäre Schutzeinrichtungen für den Einsatz in Arbeitsstellen, die über die Prüfungen nach DIN EN 1317 hinausgehen. Beispiele dafür sind die Kipplängenprüfung gemäß dem Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau Nr. 5/1999 oder Anforderungen an die Ermittlung der dynamischen Querverschiebung in der Anprallprüfung, die zur späteren Festlegung der möglichen Einsatzbereiche gemäß dem Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau Nr. 18/1999 benötigt werden.

Die temporär eingesetzten Fahrzeug-Rückhaltesysteme unterliegen nicht der europäischen CE-Kennzeichnung, sondern müssen die nationalen Regelungen der TL und ZTV erfüllen. Dazu werden die temporären Schutzeinrichtungen bei akkreditierten Prüflaboren geprüft und anschließend von der BASt hinsichtlich der Erfüllung der Anforderungen der TL und der ZTV überprüft. Daraufhin wird ein Begutachtungsschreiben ausgestellt und die positiv begutachteten Systeme werden von der BASt in die Liste nach TL-Transportable Schutzeinrichtungen eingetragen und (sofern der Hersteller zustimmt) veröffentlicht. Die im Internet veröffentlichte Liste (BASt, 2020) enthält alle transportable Schutzeinrichtungen, die die Anforderungen der TL-Transportable Schutzeinrichtungen 97 und dem ARS 5/99 genügen und für die es zulässige Einsatzbereiche nach den ZTV-SA 97 in Verbindung mit dem ARS 18/99 gibt. Für Anpralldämpfer (APD), Übergangskonstruktionen (ÜK) sowie Anfangs- und Endkonstruktionen (AEK) von temporären Schutzeinrichtungen gibt es bislang noch keine Anforderungen im nationalen Regelwerk, so dass es hierfür auch keine Begutachtungen oder Einträge in der Liste gibt. Einen Überblick über die wesentlichen Unterschiede zwischen temporär und permanent eingesetzten Fahrzeug-Rückhaltesystemen gibt Tabelle 1. Da die Regelwerke für temporäre FRS bereits sehr alt sind und noch vor der Einführung der heutigen DIN EN 1317 veröffentlicht wurden, sind darin nicht alle Anforderungen so klar formuliert, wie es heute bei den permanent eingesetzten FRS nach den RPS 2009 der Fall ist. Auch die Einführung der neuen „Richtlinien für die verkehrsrechtliche Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen“ (RSA 21), (FGSV, 2021) erfordert Anpassungen bei den Regelwerken zu temporären Schutzeinrichtungen. Bei der laufenden Überarbeitung der Regelwerke für temporäre Schutzeinrichtungen sollen diese bestehenden Lücken geschlossen werden.

Tabelle 1: Wesentliche Unterschiede zwischen temporär und permanent eingesetzten Fahrzeug-Rückhaltesystemen (FRS)

2.1 Temporäre Schutzeinrichtungen mit Aufsatzzaun

Zum Schutz von Beschäftigten in Arbeitsstellen, zur Verbesserung des Verkehrsflusses sowie zur Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsabstände der Arbeitsbereiche wurden u. a. in Hessen und Rheinland-Pfalz temporäre Schutzeinrichtungen mit Aufsatzzaun in Arbeitsstellen im Rahmen von Pilotprojekten eingesetzt. Hier sollten Erfahrungen im Umgang mit diesen neuen Konstruktionen gesammelt werden, um darauf aufbauend konkrete Anforderungen an temporäre Schutzeinrichtungen mit Aufsatzzaun definieren zu können. Diese Idee wurde im Zusammenhang mit der Einführung der Technischen Regeln für Arbeitsstätten – Anforderungen an Arbeitsplätze und Verkehrswege auf Baustellen im Grenzbereich zum Straßenverkehr ASR A5.2 (BAUA, 2018/2022) und der Handlungshilfe für das Zusammenwirken von ASR A5.2 und RSA bei der Planung von Straßenbaustellen im Grenzbereich zum Straßenverkehr (BASt, 2021) entwickelt. Temporäre Schutzeinrichtungen, die zwischen Arbeits- und Verkehrsraum aufgestellt werden, könnten mit einem Aufsatzzaun versehen werden, um u. a. ein Hineingreifen der Arbeitenden in den Verkehr zu verhindern und dadurch Sicherheitsabstände wie SQ möglicherweise zu verringern.

Bild 2: Temporäre Schutzeinrichtung mit Aufsatzzaun

Für die Pilotmaßnahmen wurde gefordert, dass die TSE in Kombination mit dem Aufsatzzaun nach DIN EIN 1317 positiv geprüft sein muss. Weitere Anforderungen, beispielsweise hinsichtlich der Höhe des Aufsatzzauns oder Anforderungen an die Dichtheit des Zauns (z. B. Durchgriffsicherheit, blickdicht), wurden individuell in den Ausschreibungen formuliert.

In Hessen kam es während der Baumaßnahme zu einem Unfall, bei dem ein schwerer Lkw in den Anfang der TSE mit Aufsatzzaun gefahren ist und diese auf mehreren hundert Metern zum Umkippen gebracht hat (Dominoeffekt). Die TSE mit Aufsatzzaun ist dabei in den Arbeitsbereich gekippt. Da der Unfall in der Nacht geschah, gab es keine Verletzten. Aufgrund des Vorfalls bat das Bundesverkehrsministerium die Länder und die Autobahn GmbH des Bundes, vorerst auf TSE mit Aufsatzzaun zu verzichten, bis Anforderungen und Einsatzbereiche vollständig geregelt sind.

Am Markt stehen heute schon verschiedene von den Herstellern entwickelte temporäre Schutzeinrichtungen, die mit Aufsatzzaun positiv nach DIN EN 1317 geprüft wurden, und die die TL-Transportable Schutzeinrichtungen 97 erfüllen, zur Verfügung. Auf Basis der TL-Transportable Schutzeinrichtungen 97 werden auch für diese Schutzeinrichtungen von der BASt Begutachtungen ausgestellt, in denen der Einsatz aber auf Bereiche beschränkt wird, in denen eine Gefährdung infolge Kippens aufgrund der Örtlichkeit ausgeschlossen werden kann und in denen der Aufsatzzaun somit nur als Sichtschutz dient.

Zur gesamtheitlichen Beurteilung müssen belastbare Kriterien erarbeitet werden. In der noch andauernden Erarbeitung dieser Kriterien zur Beurteilung von TSE mit Aufsatzzaun, mit den entsprechenden Fachleuten aus den Bereichen Verkehr und Arbeitsschutz, wurde eine erste Übersicht der wesentlichen Anforderungen formuliert, die nun noch mit den Herstellern der TSE mit Aufsatzzaun abgestimmt werden sollen.

3 Permanent eingesetzte Fahrzeug-Rückhaltesysteme

Die RPS 2009 regeln den Einsatz von permanent eingesetzten Fahrzeug-Rückhaltesystemen an Straßen und auf Bauwerken in Deutschland. Daneben gibt es weitere Regelwerke, wie beispielsweise die ZTV FRS 2017 (FGSV, 2017), die Einsatzempfehlungen für Fahrzeug-Rückhaltesysteme (BASt, 2020) oder die Technischen Kriterien für den Einsatz von Fahrzeug-Rückhaltesystemen in Deutschland (BASt, 2019) die beim Einsatz und der Auswahl sicherer und geeigneter Fahrzeug-Rückhaltesysteme zu beachten sind. Die Regelungen und auch die Fahrzeug-Rückhaltesysteme selbst sind immer komplexer und vielfältiger geworden. Eine richtige Anwendung der Regelwerke und der sichere Einsatz von Fahrzeug-Rückhaltesyste- men stellen damit eine besondere Herausforderung dar (Kübler, 2019). Die im Folgenden dargestellten neuen Regelungen, Leitfäden und Hinweise sollen zum einen die Planenden und Ausschreibenden unterstützen, liefern zum anderen aber auch einheitliche Vorgaben für die Industrie zur Entwicklung der benötigten Systeme für spezielle Einbausituationen.

3.1 Hinweise zur Planung und Ausschreibung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen (H PA FRS)

Mit den „Hinweisen zur Planung und Ausschreibung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen“ (H PA FRS), (FGSV, 2021) wurde im Arbeitskreis 3.7.2 der FGSV erstmals eine Arbeitshilfe geschaffen, die einen Überblick über die bei der Planung und Ausschreibung anzuwendenden Regelungen und Arbeitsschritte von dauerhaft eingesetzten Fahrzeug-Rückhaltesystemen gibt. In diesen Hinweisen sind Wissen und Erfahrungen von Planenden und Ausschreibenden mit langjährigen Praxiserfahrungen eingeflossen. Die Hinweise sollen den Planenden und Ausschreibenden eine Übersicht zum Planungsprinzip und einen „roten Faden“ zum Ablauf geben und unterstützen diese mit Checklisten, Prozessbeschreibungen und Beispielen. Planung und anschließende Ausschreibung sind dabei aufeinander aufbauend beschrieben. Die Hinweise sind kein Ersatz für die Regelwerke und es werden darin keine zusätzlichen Regelungen getroffen. Regelungen beispielsweise aus den RPS 2009, die häufig zu Fragen von Anwendern führen, sind in den Hinweisen in anderer Form dargestellt, um die Verständlichkeit zu verbessern. So gibt es beispielsweise im Anhang C ein Ablaufdiagramm zur Bestimmung der erforderlichen Längen von Schutzeinrichtungen.

3.2 Leitfaden für Sonderlösungen zum Baum- und Objektschutz an Landstraßen

Unfälle mit einem Aufprall auf ein ungeschütztes Hindernis neben der Fahrbahn sind meist durch eine besonders hohe Unfallschwere gekennzeichnet (Schreck von Below, 2021). Bereits im Jahr 2017 hat das Bundesverkehrsministerium daher die Länder zur präventiven Nachrüstung von Schutzeinrichtungen vor Bäumen und anderen Objekten, die dicht an der Straße stehen (Bild 3), aufgefordert. Da es trotz einer Vielzahl an unterschiedlichen am Markt verfügbaren Schutzeinrichtungen, noch längst nicht für alle Situationen die passenden geprüften Lösungen gibt, wurde von der BASt in Zusammenarbeit mit dem Bund-Länder-Arbeitsgremium Schutzeinrichtungen und in Abstimmung mit den Herstellervertretern ein Leitfaden für Sonderlösungen zum Baum- und Objektschutz an Landstraßen (BASt, 2020) entwickelt und 2020 aktualisiert. Der Leitfaden enthält Lösungen für die Absicherung von Bäumen und anderen Objekten mit Fahrzeug-Rückhaltesystemen. Da es bei beengten Verhältnissen oft nicht möglich ist, geprüfte Systeme regelwerkskonform einzusetzen, enthält er Beispiele für Sonderlösungen zum Baum- und Objektschutz. Diese können als Grundlage für die Planung und Ausschreibung von Nachrüstlösungen vor Bäumen und Hindernissen genutzt werden, um diese Bereiche mit möglichst verkehrssicheren Lösungen abzusichern.

Bild 3: Landstraße mit ungeschützten Hindernissen (Mauer und Bäume)

3.3 Sonderlösungen von Schutzeinrichtungen in Einmündungsbereichen

Bei der Anwendung des Leitfadens für Sonderlösungen zum Baum- und Objektschutz an Landstraßen zeigte sich, dass es häufig die Situation gibt, bei der sich Gefahrenstellen in unmittelbarer Nähe von Einmündungsbereichen (z. B. bei Feldzufahrten) befinden (Bild 4).

Bild 4: Typische Situation mit Gefahrenstellen in Einmündungsbereichen

Einmündungsbereiche stellen für Schutzeinrichtungen aufgrund ihrer geringen Krümmungsradien eine besondere Einbausituation dar. Nach den RPS 2009 werden in diesen Fällen die in der Geraden nach DIN EN 1317 geprüften Schutzeinrichtungen entsprechend der Bilder 11c und d ohne weitere konstruktive Veränderungen an der Schutzeinrichtung in der Krümmung (oft auch als Sonderkonstruktion) ausgeführt. Dieses Vorgehen stellt sowohl aus Sicht der Hersteller als auch der Straßenbauverwaltungen keine befriedigende Lösung zur Absicherung von Gefahrenstellen in diesem Bereich dar, da das Verhalten und die Leistungsfähigkeit der stark gekrümmten Schutzeinrichtungen unbekannt sind. Der Grund ist, dass diese Einbausituation sehr stark von der geprüften Einbausituation der Schutzeinrichtung in der Geraden abweicht. Um unter diesen häufig auftretenden Randbedingungen Gefahrenstellen besser absichern zu können, wurden hierfür seitens der Industrie Sonderlösungen entwickelt, die ein Potenzial zur Verbesserung der Verkehrssicherheit bieten können. Um diese Sonderlösungen beurteilen und vergleichen zu können, wurde von der BASt, in Zusammenarbeit mit einzelnen Ländervertretern und in Abstimmung mit dem Bund-Länder Arbeitsgremium Schutzeinrichtungen sowie Vertretern der Industrie, auf Basis der bislang vorliegenden Erkenntnisse aus Anprallversuchen ein Dokument mit Bewertungskriterien entwickelt. In diesem Dokument Sonderlösungen von Schutzeinrichtungen in Einmündungsbereichen (BASt, 2021) sind die Prüfbedingungen für derartige Sonderlösungen sowie die Anforderungen an diese beschrieben. Ausschreibungstexte wurden ebenfalls bereits als Entwurf erstellt und sollen bei einer Überarbeitung des Standardleistungskatalogs Berücksichtigung finden. Für die Planung und Ausschreibung von Schutzeinrichtungen zur Absicherung von Hindernissen in Einmündungsbereichen stehen damit einheitliche Bewertungsgrundlagen und inzwischen auch geprüfte und gemäß den Kriterien begutachtete Systeme zur Verfügung, die verwendet werden können, um diese Stellen mit FRS abzusichern (Bild 5).

 Bild 5: Mit einer positiv geprüften Sonderlösung abgesicherte Gefahrenstelle im Einmündungsbereich (Foto: Anja Riemann)

 3.4 Grundsätze für die passiv sichere Aufstellung von Verkehrszeichen

Im Zuge der Nachrüstung von Schutzeinrichtungen vor Bäumen und anderen Objekten stellte sich die Frage, welche der heute verwendeten Aufstellvorrichtungen für Verkehrszeichen als passiv sicher eingestuft werden können und daher keine Nachrüstung von FRS erfordern. Insbesondere für Trimaste lagen keine Nachweise und Einstufungen vor.

Im Sinne der RPS 2009 sind passiv sichere Tragkonstruktionen keine Hindernisse und damit auch nicht mit Fahrzeug-Rückhaltesystemen abzusichern. Für die Definition umfahrbarer, unverformbarer und leicht verformbarer Masten verweisen die RPS 2009 auf das ARS Nr. 21/2000. Im Rahmen von Forschungen (Tomasch et al., 2022) wurde nun überprüft, inwieweit Tragkonstruktionen als passiv sicher nach DIN EN 12767 Passive Sicherheit von Tragkonstruktionen für die Straßenausstattung – Anforderungen und Prüfverfahren (DIN, 2019) bewertet werden können. Dazu wurden Anprallversuche (Bild 5) und ergänzende numerische FE-Simulationen durchgeführt.

Bild 6: Anprallversuche an Aufstellvorrichtungen nach DIN EN 12767

Für einige konkrete Konstruktionen konnte die passive Sicherheit nachgewiesen werden. Auf Basis dieser Untersuchungen wurde das Allgemeine Rundschreiben Straßenbau Nr. 21/2000 grundlegend überarbeitet und durch das Allgemeine Rundschreiben Straßenbau Nr. 02/2022 und die Grundsätze für die passiv sichere Aufstellung von Verkehrszeichen (BASt, 2022) er- setzt. Als passiv sicher werden Rohrpfosten mit d ≤ 76,1 mm mit einer Wanddicke t ≤ 2,9 mm aus Stahl sowie d ≤ 76,0 mm mit einer Wanddicke t ≤ 3,0 mm aus Aluminium sowie die Gabel- ständer und Trimaste, die die Anforderungen und konstruktiven Vorgaben des ARS Nr. 02/2022 in Verbindung mit den Grundsätzen für die passiv sichere Aufstellung von Verkehrszeichen erfüllen, angesehen. Diese Konstruktionen müssen nicht mit Fahrzeug-Rückhaltesystemen abgesichert werden. Für andere Konstruktionen ist die passive Sicherheit durch Anprallversuche nach DIN EN 12767 nachzuweisen oder eine Absicherung mit Fahrzeug-Rückhaltesystemen erforderlich.

4 Zusammenfassung und Ausblick

Die richtige Planung, Ausschreibung und der sichere Einsatz von Fahrzeug-Rückhaltesystemen sind ein wichtiger Beitrag zur Verkehrssicherheit. Dabei ist eine Unterscheidung zwischen temporärem und permanentem Einsatz und den jeweiligen Anforderungen wichtig. Während die gültigen Regelwerke für den temporären Einsatz inzwischen sehr alt sind, wurden für die permanenten Fahrzeug-Rückhaltesysteme zahlreiche Regelwerke überarbeitet. Mit den „Hinweisen zur Planung und Ausschreibung von Fahrzeug-Rückhaltesystemen“ (H PA FRS) steht nun erstmals ein Nachschalgewerk für die Planung und Ausschreibung permanenter Fahrzeug-Rückhaltesysteme zur Verfügung, welches eine Zusammenstellung der Regelungen und Prozesse sowie zahlreiche Planungs- und Ausschreibungsbeispiele enthält. Leitfäden und Hinweise für bestimmte Einsatzbereiche, wie für Schutzeinrichtungen zur Absicherung von Hindernissen im Bereich von Einmündungen, geben zum einen den Herstellern einheitliche Vorgaben für die Produktentwicklung, zum anderen aber auch den Planenden und Ausschreibenden die Möglichkeit, anstelle von bislang häufig erforderlichen individuellen Einzellösungen, nun entsprechend den Leitfäden geprüfte Konstruktionen zu fordern. Die durchgeführten Anprallversuche an Trimaste und Gabelständer nach DIN EN 12767 haben gezeigt, dass die geprüften Konstruktionen passiv sicher sind und vor ihnen auf Schutzeinrichtungen verzichtet werden kann. Mit dem ARS Nr. 2/22 stehen nun auch dafür verbindliche neue Regelungen zur Verfügung.

Eine Fortschreibung der RPS 2009 wurde parallel begonnen. Die RPS soll wie auch andere Regelwerke in die Teile Allgemeines, RPS für Autobahnen und RPS für Landstraßen aufgeteilt werden. Bei der laufenden Überarbeitung zeigte sich, dass dies einige Vereinfachungen ermöglicht, da nicht in einem Regelwerk alle möglichen Situationen von der kleinen Landstraße bis zur Autobahn abgebildet werden müssen, die unterschiedliche Regelungen und Lösungen erfordern.

Literaturverzeichnis

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