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1. Problemstellung und Literaturanalyse
Mobility Pricing nimmt in der verkehrspolitischen Diskussion eine zentrale Stellung ein. Die gezielte Steuerung der Nutzungskosten für unterschiedliche Infrastrukturangebote soll einerseits der verursachergerechten Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen und andererseits der Lenkung des Verkehrsaufkommens dienen. Eine besondere Herausforderung für die Infrastrukturplanung stellt hierbei die Lenkung des motorisierten Individualverkehrs durch Straßennutzungsgebühren (Road Pricing) dar. International kommen gegenwärtig verschiedenste Road Pricing Systeme mit unterschiedlichen Zielsetzungen und beobachteten Effekten zum Einsatz.
In Österreich müssen motorisierte Verkehrsteilnehmer derzeit für Autobahnen und Schnellstraßen Straßenbenutzungsabgaben leisten. Darüber hinaus werden aufgrund der kostenintensiven Errichtung und Instandhaltung von Brücken und Tunnel auf sogenannten „Sondermautstrecken“ zusätzliche Benutzungsgebühren eingehoben. Die Vignette ist im internationalen Vergleich eine Flatrate für Autofahrer und wird somit von den Verkehrsteilnehmern nicht als leistungsbezogene Abgabe gesehen. Im Gegensatz dazu könnte durch leistungsgerechte Abgaben, etwa durch eine Erhöhung der Mineralölsteuer oder zeitlich und örtlich gestaffelte Nutzungsgebühren, das Verkehrsverhalten differenziert gelenkt werden.
Für einen gezielten Einsatz von Mobility Pricing-Maßnahmen muss die Wirkung unterschiedlicher Einflussfaktoren auf das Verhalten der Verkehrsteilnehmer bekannt sein [Vrtic, 2004; Boltze & Roth, 2009; Roth, 2009; Reiter et al., 2009]. Hierzu werden auf Basis repräsentativer empirischer Daten über das Entscheidungsverhalten der Verkehrsteilnehmer Modelle generiert, welche die für die Routen- und Verkehrsmittelwahl relevanten Parameter (Kosten, Zeit, Verlässlichkeit des Verkehrsmittel, soziodemografische Charakteristika etc.) abbilden.
Aus bisherigen Forschungsarbeiten geht hervor, dass sich die Effekte von Mobility Pricing-Maßnahmen vor allem in der Routen- und Verkehrsmittelwahl zeigen. Die Verhaltensveränderungen hängen dabei sowohl von der Art des Mobility Pricing-Systems als auch von der Höhe des Entgelts ab. Hinsichtlich des unmittelbaren Einflusses räumlicher und soziodemografischer Faktoren auf die Wahlentscheidungen der Verkehrsteilnehmer ist die Datenlage widersprüchlich. Die unterschiedliche Wirtschaftslage, Infrastruktur und Verkehrssituation im europäischen Raum lassen dennoch die Übertragbarkeit der Ergebnisse nationaler Studien auf andere Länder offen. Dies verweist zum einen auf die Notwendigkeit von Validierungsstudien auch im innereuropäischen Vergleich. Zum anderen gilt es, relevante Faktoren zu ermitteln, die differentielle Ergebnisse aus unterschiedlichen Ländern erklären können und somit eine Umlegung nationaler Studienergebnisse (wie die der vorliegenden Untersuchung) auf andere Länder rechtfertigen. Nicht zuletzt müssten die für eine Übertragbarkeit auf internationaler Ebene notwendigen Modifikationen ermittelt werden.
Für österreichische Konzeptionen wurde bislang auf die Ergebnisse ausländischer Studien (v. a. aus der Schweiz und Deutschland) zurückgegriffen, ohne deren Übertragbarkeit auf österreichische Verhältnisse zu hinterfragen. Entsprechende empirische Untersuchungen im österreichischen Raum liegen bislang nicht vor. Erstmals untersucht die vorliegende Arbeit die Auswirkungen von Mobility Pricing-Maßnahmen anhand repräsentativer Daten über österreichische Verkehrsteilnehmer. Folgende übergeordnete Forschungsfragen sollen hierbei geklärt werden:
• Wie verändert sich das Entscheidungsverhalten der Verkehrsteilnehmer im Hinblick auf die Verkehrsmittel- und Routenwahl durch unterschiedliche Mobility Pricing-Maßnahmen?
• Wie wirkt sich eine Variation der Reisekosten und Reisezeit auf die Routenwahlentscheidung und Verkehrsmittelwahl der Verkehrsteilnehmer aus?
Die Modellierung der Entscheidungen hinsichtlich der Routen- und Verkehrsmittelwahl erfolgt über diskrete Entscheidungsmodelle, wie das multinominale Logit-Modell. Dabei wird der Einfluss von Kriterien wie Reisekosten, Reisezeit, der Verlässlichkeit und der Straßenart einer Route untersucht. Die Grundlage dafür bildet ein Stated Preference Experiment, das anhand von Echtzeitdaten die Eigenschaften der Routen beschreibt und die Präferenzen der Verkehrsteilnehmer misst. Die Einflussgrößen werden in Nutzenfunktionen (Modellschätzungen) durch Modellparameter ausgedrückt. Dabei wird in der vorliegenden Arbeit auch ein möglicher Zusammenhang zwischen soziodemografischen Variablen, wie Alter, Geschlecht oder Einkommen, und dem Entscheidungsverhalten der Verkehrsteilnehmer untersucht. Die Modellspezifikationen mit der höchsten Modellgüte und Plausibilität werden näher dargestellt und in der Folge um weitere potentiell entscheidungsrelevante Faktoren (Abonnements für den öffentlichen Verkehr etc.) ausgebaut. Im Speziellen sollen mögliche Wirkzusammenhänge im Entscheidungsverhalten der Verkehrsteilnehmer anhand nachangeführter Fragestellungen geklärt werden:
• Welchen Einfluss hat die zu erwartende Reisedauer auf die Routen- und Verkehrsmittelwahl sowie die Zahlungsbereitschaft der Verkehrsteilnehmer?
• Wie wirkt sich die zu erwartende Verlässlichkeit des Verkehrsangebots auf die Routenwahl der Verkehrsteilnehmer aus?
• Inwieweit beeinflusst die Straßenart die Routenwahl sowie die Zahlungsbereitschaft der Verkehrsteilnehmer?
• Unterscheiden sich die Richtung und Stärke des Einflusses der verschiedenen entscheidungsrelevanten Parameter bei unterschiedlichen Reisezwecken (Berufs-, Einkaufs- bzw. Freizeitverkehr)?
2. Empirische Studie – Stated Preference Befragung
Um möglichst verallgemeinerbare Aussagen über die österreichischen Verkehrsteilnehmer treffen zu können, wurde eine proportionale Stichprobenschichtung nach Geschlecht und Alter vorgenommen, und wo die Informationen zugänglich waren, auch nach den Variablen Haushaltsgröße sowie Kind(er) im Haushalt. Ortsgröße/Einwohnerzahl, Bildungsgrad, Beschäftigungsverhältnis und Nettoeinkommen (pro Person und pro Haushalt) wurden als Kontrollvariablen miterhoben. Die Verteilung der soziodemografischen Variablen in der gewonnenen Stichprobe wurde in der Folge mit der Verteilung in der Grundgesamtheit der österreichischen Führerscheinbesitzer bzw. der österreichischen Gesamtbevölkerung verglichen.
Zur Datengenerierung wurden zum einen persönliche mündliche Interviews mit Unterstützung von Tablets (iPads) durchgeführt. Die befragten Personen hatten die Möglichkeit, das iPad selbst zu bedienen (Computer Assisted Self Interview/CASI) oder den Interviewer das iPad bedienen zu lassen (Computer Assisted Personal Interview/CAPI). Zum anderen wurde eine schriftliche Befragung durchgeführt. Die befragten Personen konnten sich entscheiden, ob sie an der Befragung webbasiert in Form von Web Assisted Personal Interviews (WAPI) oder an der Paper-Pencil-Befragung (PAPI) teilnehmen möchten. Abbildung 1 gibt einen Überblick über das System der Erhebungstechniken.
Abbildung 1: Erhebungsmix der eingesetzten Instrumente für die personalisierte Befragung (Reiter 2013)
Die vorliegende Studie baut auf einem webbasierten Fragebogen, der zum Teil auch postalisch verschickt wurde, auf. Neben der Programmierung des interaktiven Fragebogens wurde im Sinne eines realitätsnahen Stated Choice-Experiments ein Softwaresystem entwickelt, das auf Echtzeitdaten der einzelnen Attribute (Reisezeit für den Individualverkehr und öffentlichen Verkehr, Reisekosten, Ticketpreis, Treibstoffverbrauch und Reisedistanz) abzielt.
Technische Umsetzung
Während der Datenerhebung wurden im Hintergrund vielschichtige technische Funktionen abgerufen. Auf der Startseite der Erhebung im Internet und über das Tablet wurde die Zeit, im Tablet die GPS-Koordinaten und im Internet die IP-Adresse erfasst und automatisch in eine Datenbank eingetragen, wodurch die Datenerhebung kontrolliert werden konnte. Da viele Teilnehmer zum ersten Mal ein Tablet bedienten, wurde der interaktive Fragebogen benutzerfreundlich gestaltet [Reiter et al. 2012a]. Vor der eigentlichen Befragung wurde im Tablet eine Übung vorgeschaltet, bei der die befragten Personen ihr eigenes Automodell anhand von Bildern zuordnen sollten. So konnten die Teilnehmer lernen, mit dem Touchscreen umzugehen. Nachdem die befragte Person ihre Hauptbeschäftigung angegeben hat, wurden 70 % der Berufstätigen automatisch dem Berufsverkehr und die restlichen 30 % sowie die Nichterwerbstätigen dem Einkaufs- und Freizeitverkehr zugeordnet. Die dem Berufsverkehr zugeordneten Personen wurden nach ihrem Wohnort und ihrem Arbeitsplatz (jeweils Postleitzahl und Straße) befragt. Die Reisedistanz vom Wohnort zum Arbeitsplatz wurde im Hintergrund berechnet. War die Route zwischen Wohn- und Arbeitsplatz zu kurz oder gaben die Befragten an, ohne Auto zur Arbeit zu fahren, wurden sie automatisch dem Einkaufs- und Freizeitverkehr zugeordnet. Die dem Einkaufs- und Freizeitverkehr zugeordneten Personen wurden nach ihrem Wohnort (Postleitzahl und Straße) sowie einem Point of Interest (POI) befragt. Hierfür wurden dreimal drei POIs durch das Programm in drei unterschiedlichen Entfernungsklassen, gesplittet nach Einkaufszielen und Freizeitzielen, generiert (zur Berechnung der POIs). Danach wurde eine Route für den motorisierten Individualverkehr (MIV) und den öffentlichen Verkehr (ÖV) im Hintergrund abgefragt. Die Routenabfrage für den MIV wurde mithilfe von Google Maps berechnet, die ÖV-Abfrage durch das Fahrplanauskunftsservice der öffentlichen Verkehrsunternehmen: Scotty – ÖBB, Steirischer Verkehrsverbund, Verkehrsverbund Ostregion und Wiener Linien.
Point of Interest (POI)-Empfehlungen
Alternativ zur Eingabe einer Anschrift als Ziel für die später berechneten Routenvarianten kann der Anwender auch aus einer Reihe von Zielen wählen. Diese werden auf Basis der Heimatadresse der befragten Personen errechnet und liegen regional betrachtet in der Nähe (siehe Abbildung 2). Die Empfehlungen setzen sich aus je 3 POIs in drei unterschiedlichen Entfernungskategorien (bis 7,5 km, 7,5 km–20 km, über 20 km) zusammen. Damit stehen 3 x 3 Destinationen zur Auswahl. Abbildung 2: Beispiel von POI-Auswahlmöglichkeiten
Die hohe Anzahl von Kombinationen der POI mit möglichen Postleitzahlen macht es unmöglich, den oben genannten Routing-Mechanismus für die Erstellung der Empfehlungen ad hoc zu verwenden, da dieser Schritt unzählige Anfragen von Routing-Schnittstellen erfordern würde. Um dieses Problem zu lösen, wurden 44.761 Postleitzahlenkombinationen vorab berechnet und in einer indizierten Datenbanktabelle abgelegt. Anhand dieser Daten werden die POI-Empfehlungen mittels lokaler Datenbankabfragen durchgeführt, um die Eignung der Destinationen in Hinblick auf die Entfernungskategorien zu überprüfen. Sobald ein empfohlener POI durch den Benutzer ausgewählt wurde, ist die Routenberechnung gemäß dem beschriebenen Ablauf möglich.
Routing-Mechanismus
Die verschiedenen Varianten der Routen basieren auf den Adressen, welche von den befragten Personen angegeben wurden. Dies erfordert eine dynamische Berechnung der Routing-Daten zwischen zwei Punkten zum Zeitpunkt des Interviews. Die wichtigsten Faktoren der resultierenden Routing-Informationen sind die Distanz und die Dauer der gegebenen Strecke, die zudem eine Grundlage für die Berechnung von weiteren Komponenten der Variationen bilden. Für die Generierung von realistischen Streckenszenarien zieht der Server einerseits die Google Directions API für Informationen zu individuellen Routen und andererseits Funktionen zur Streckenberechnung von Websites regionaler öffentlicher Verkehrsbetriebe heran.
Die gesammelten Eigenschaften der Routen (Reisezeit, Entfernung, Zonen etc.) wurden mit dem Versuchsplan verknüpft und in sechs Choice Sets (Wahlaufgaben) ausgegeben. Jedes Choice Set umfasste vier Routenalternativen, drei mit dem Auto (MIV) und eine mit dem öffentlichen Verkehr. Die befragten Personen hatten hierbei die Aufgabe, unter den vier angebotenen die von ihnen bevorzugte Routenalternative anzugeben. Im Anschluss wurden das Mobilitätsverhalten und die soziodemografischen Daten erfasst. Bei der Erhebung mit Tablets wurden die Personen um ein Feedback zur Tabletbedienung gebeten. Im Anschluss an die Erhebung über das Internet und das Tablet wurde abermals der Zeitstempel erfasst sowie bei der Erhebung über das Tablet die GPS-Koordinaten. Abbildung 3 gibt einen Überblick über die technische Umsetzung in Bezug auf den Aufbau des Fragebogens.
Versuchsaufbau
Um Wahlentscheidungen vorlegen zu können, benötigt man neben der computergestützten Generierung der personalisierten realistischen Basiswerte (Reisezeit für den motorisierten Individualverkehr bzw. öffentlichen Verkehr, Distanzen, Treibstoffkosten etc.) einen Versuchsplan. Im Versuchsplan wird die Antwortform „stated choice“ und die Form der Antwort (Bestimmung der Attribute, die Einfluss haben könnten; Größe der Ausprägungen; Kombination der Attribute; Anwendung des Efficient Designs) bis hin zum Auswertungsverfahren festgelegt. Um die Aufgabenkomplexität der Wahlaufgaben in einem übersichtlichen Rahmen zu halten, wurde wie bei Brocke [2006] die eingesetzte Anzahl an Attributen, Alternativen und Wahlaufgaben möglichst gering gehalten. Um einen effizienten Versuchsplan hinsichtlich Ausschluss von sinnlosen Wahlsituationen, Verbesserung der Reliabilität der Parameterschätzung und kleinerer Stichproben für die vorgelegte Studie zu erstellen, wurde das Efficient Design verwendet. Für die Erstellung des Versuchsplans wurde das Programm Ngene [Rose et al., 2008] verwendet.
Abbildung 3: Untersuchungsdesign u. technische Umsetzung (Module) der Erhebung im Hintergrund [Reiter et al.,2012a]
3. Modellschätzung
Im ersten Schritt wird ein Modell erstellt, welches sich auf die grundlegenden Komponenten wie (Gesamt) Kosten und (Gesamt‐)Reisezeiten bezieht. Dieses Modell wird durch verschiedene Parameter und Interaktionsterme erweitert, wobei beispielsweise weitere Variablen eingefügt werden, deren Güte anhand von statistischen Tests geprüft wird.
Ausgehend von den generierten linearen Modellschätzungen werden in der Nutzenfunktion die Parameter zusätzlich zu den linearen Termen um Exponenten (nichtlineare Komponenten) ergänzt. Mithilfe selbst erstellter Algorithmen wurden nichtlineare Elemente mit den bestehenden verknüpft und daraus Modelle für die Reisezwecke geschätzt. Tabelle 1 stellt ein nichtlineares Routenwahlmodell mit drei Prädiktorvariablen differenziert nach Fahrtzweck und Verkehrsmittel in einer dreidimensionalen Funktion grafisch dar. In den statistischen Analysen wurde eine Vielzahl von Variablenkombinationen für jedes Modell in einem hochaufwendigen Rechenprozess getestet. Im nächsten Abschnitt wird der Modellansatz mit der besten Güte unter Berücksichtigung der nichtlinearen Ansätze. Der nun berichtete nichtlineare Modellansatz integriert nichtlineare Interaktionen zwischen Einkommens‐ und Kostenkomponenten. Die Einbeziehung der Attribute betreffend Kosten und Reisezeit basiert auf der methodischen Entwicklung von Mackie et al. [2003], der Modellansätze mit einkommens‐ und distanzabhängigen Elastizitäten untersuchte. Hintergrund dieses Ansatzes war die Herstellung einer ergänzenden monetären Bewertung der Reisezeit in Abhängigkeit von Einkommen und anderen Einflussgrößen. König [2004], Axhausen et al. [2007; 2008] und Hess et al. [2008] setzten diese Interaktionsterme in ihren Modellen ein, um einen höheren Erklärungsgrad zu erzielen. Aufbauend auf diesen Ansätzen führt die Entwicklung von Termen in der vorliegenden Studie teilweise zur Erhöhung der Modellgüte. Die allgemeine Form der Interaktionsterme lautet [Axhausen et al., 2010]:
Formel (1) siehe PDF.
Der Referenzwert y- kann beliebig gewählt werden und hat keine Auswirkungen auf den geschätzten Wert oder die Modellgüte [Axhausen et al., 2010]. In dieser Studie werden jeweils die Stichprobenmittelwerte aus Vorstudien verwendet. Die Ansätze beziehen sich weiters auf Franklins „linear‐in Persönliches Einkommen“‐Nutzenfunktion [Franklin, 2006, S. 75 ff.], in der die Verhaltensparameter linear sind und das Einkommen logarithmiert in die erste Ordnung eingeht.
Bei der Nutzenfunktion wird angenommen, dass bei Probanden mit steigendem Einkommen der Einfluss des Einkommens auf die Verkehrsmittelwahl steigt [Franklin, 2006; Small, 1983]. Abgeleitet heißt das, dass Verkehrsteilnehmer mit geringerem Einkommen eine geringe Neigung haben, das Auto dem öffentlichen Verkehr vorzuziehen, während dieses Verhalten bei Besserverdienenden verstärkt zu beobachten ist [Kickhöfer, 2009]. Franklin nimmt diesen Zusammenhang mit einem linearen logarithmierten Einkommen an. Diese Studie verwendet Terme bzw. Interaktionen zur Abbildung von einkommens‐ und distanzabhängigen Variablen. Diese verbinden die persönliche Bedeutung der Variablen Kosten und Reisezeit mit weiteren Merkmalen einer Route in Abhängigkeit von Einkommen etc. Die entsprechenden Nutzenfunktionen sind Tabelle 1 zu entnehmen.
Tabelle1: Erweitertes Modell mit zusätzlichen Interaktionen des Einkommens und der Reisekosten
In diesem Modell wurden alle ß‐ und ;\‐Werte geschätzt und die relevanten soziodemografischen Variablen bestimmt. Die Zeitkosten werden auf Basis von (2) jeweils getrennt nach dem Verkehrsmittel berechnet:
Formel (2) siehe PDF.
Im Gegensatz zu den konstanten Zahlungsbereitschaften für Zeiteinsparungen in den bisherigen Modellspezifikationen) wird in diesen Modellen der Zeitwert als variable Größe eingeführt. Abbildung 4 zeigt die Veränderung des Zeitwerts in Abhängigkeit von Einkommen und Reisezeit getrennt nach Reisezweck und Verkehrsmittel.
Abbildung 4: Zahlungsbereitschaft in Abhängigkeit von der Reisezeit und vom persönlichen Einkommen – getrennt nach Reisezweck und Verkehrsmitteln (MIV, ÖV)
Beschreibung der erweiterten Modellspezifikationen zur Schätzung der Zahlungsbereitschaft
In der linken Spalte zeigt Abbildung 4 die berechneten Zeitkosten für den motorisierten Individualverkehr, in der rechten Spalte die berechneten Zeitkosten für den öffentlichen Verkehr. Von oben nach unten sind die Zeitwertfunktionen bei unterschiedlichen Reisezwecken aufgeschlüsselt: Berufsverkehr (1. Zeile), Freizeitverkehr (2. Zeile), Einkaufsverkehr (3. Zeile) sowie Freizeit- und Einkaufsverkehr kombiniert (4. Zeile). Jedes der abgebildeten 2 x 3 = 6 Modelle zeigt in der horizontalen Ebene die Werte für die unabhängigen Variablen Reisezeit und Personennettoeinkommen (in der Folge mit Einkommen bezeichnet). Auf der Abszisse (x-Achse) ist die Reisezeit (in Stunden) als experimentelle Variable und auf der Ordinate (y-Achse) das persönliche Einkommen (in Euro) als personenspezifische Variable abgetragen. Die Reisezeit wurde innerhalb der Wahlaufgaben systematisch variiert, das Einkommen in 9 gleich verteilten Einkommenskategorien erhoben. In der Modellschätzung sind beide Prädiktoren stetig verteilt. Auf der Applikate (z-Achse) ist in jedem Datenpunkt die resultierende Ausprägung des anhand der empirischen Daten geschätzten Zeitwerts dargestellt. Die ebenfalls experimentell variierten Reisekosten sind im Zeitwert selbst repräsentiert.
Die Randbereiche bei kurzen Fahrten sind mit Vorsicht zu interpretieren, hier ist eine deutliche Überschätzung des Zeitwertes zu erwarten. Das Entscheidungsverhalten und die Zahlungsbereitschaft bei kurzen Fahrten (auch unter 2 km) wären gesondert empirisch zu untersuchen.
Der gefundene umgekehrt proportionale Zusammenhang zwischen Reisezeit und Zahlungsbereitschaft steht im Widerspruch zu den Studienergebnissen der ETH Zürich für die Schweiz, in denen ein negativ linearer Anstieg der Zahlungsbereitschaft in Abhängigkeit von der Reisezeit gefunden wurde [vgl. u.a. Vrtic et al., 2007; Vrtic & Schüssler, 2011]. Der in früheren Untersuchungen ermittelte mit der Reisezeit zunehmende Zeitwert bedeutet, dass umso höhere Kosten in Kauf genommen werden, um eine Zeitverzögerung zu verhindern, je höher die erwartete Reisezeit ist. Vrtic et al. [2004] gehen aufgrund ihrer Daten davon aus, dass der Wert der Reisezeit mit zunehmender Reisezeit steigt, da längere Fahrten in der Regel auch mit höheren Budgets verbunden sind. Dagegen legt die aktuelle Untersuchung einen umgekehrt proportionalen Zusammenhang dieser beiden Parameter nahe: Je höher die Reisezeit, umso geringer ist die Bereitschaft, für einen Zeitgewinn zusätzliche Kosten aufzuwenden.
Dieses Ergebnis ließe sich damit erklären, dass eher die absoluten als die relativen Kosten als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden und die Reaktion auf diese durch einkommensabhängige Budgetbeschränkungen und die a priori erwartete („subjektive“) Verlässlichkeit des Verkehrsmittels moderiert wird. Die Verkehrsteilnehmer orientieren ihre Zahlungsbereitschaft an ihrem Einkommen und an den erwartbaren Kosten für eine Zeitverzögerung, weniger an dem erwartbaren absoluten Zeitgewinn durch Kostenaufwendung. Eine andere Erklärung wäre, dass mit zunehmender Reisezeit einer absoluten Zeitverzögerung (wie sie im Zeitwert repräsentiert ist) weniger Relevanz beigemessen wird und daher auch die Bereitschaft, zusätzliche Kosten in Kauf zu nehmen, sinkt. Eine Ersparnis von fünf Minuten wird bei einer 30-minütigen Fahrt möglicherweise bewusster wahrgenommen oder höher bewertet als bei einer Reisezeit von drei Stunden und damit steigen auch die dafür aufgewendeten Kosten. Bei einer dreistündigen Fahrt stellen sich Verkehrsteilnehmer auf eine längere Reisedauer ein und messen einer Zeitersparnis bzw. einem Zeitverlust von fünf Minuten deutlich weniger Bedeutung bei, was letztlich die Zahlungsbereitschaft mindert.
Berufsverkehr
Bei differenzierter Betrachtung der einzelnen Reisezwecke ist im Falle des Berufsverkehrs bei Nutzung des Autos gegenüber der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ein höheres Ausgangsniveau der Zahlungsbereitschaft festzustellen. So wären Verkehrsteilnehmer mit einem Einkommen von 1000 € und einer geplanten Reisezeit von einer halben Stunde der Modellschätzung zufolge bereit, Kosten von 52 ct pro Minute nicht verlorener Reisezeit in Kauf zu nehmen (VTTS = 31 €/h). Bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel würden sie dagegen für den gleichen Zeitgewinn bei gleicher Reisezeit mit 24 ct/min einen weniger als halb so hohen Betrag aufwenden (VTTS = 14 €/h). Je höher das Einkommen und je länger die Reisezeit, umso weniger weichen beim Arbeitsweg die Zahlungsbereitschaften für öffentlichen Verkehr und motorisierten Individualverkehr voneinander ab. So liegt das Verhältnis der Zahlungsbereitschaft bei Personen mit einem Einkommen von 2000 € bei ÖV : MIV = 1 : 1,58 (z. B. VTTS = 22 €/h gegenüber 36 €/h bei 0,5 h geplanter Fahrtzeit; bei einem Einkommen von 1000 € ergibt sich ein Verhältnis von ÖV : MIV = 1 : 2,15), bei Personen mit einem um die Hälfte höheren Einkommen (3000 €) erhöht die Nutzung des Autos die Zahlungsbereitschaft gegenüber öffentlicher Verkehrsmittelnutzung nur mehr um ein Drittel (ÖV : MIV = 1 : 1,32; 29 €/h gegenüber 39 €/h bei 0,5 h geplanter Fahrtzeit). Diese Daten deuten darauf hin, dass im Falle des Berufsverkehrs Personen mit höherem Einkommen bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel in Relation zur Nutzung des Autos mehr für Pünktlichkeit zu zahlen bereit sind als Personen mit geringerem Einkommen.
Freizeitverkehr
Bei Autonutzung im Freizeitverkehr sinkt die Zahlungsbereitschaft kaum mit der Reisezeit. Sind Personen mit einem monatlichen Einkommen von 1000 € bei einer geplanten Reisezeit von 30 Minuten bereit, 24 ct pro gewonnene Minute zu zahlen, und verringert sich die Zahlungsbereitschaft bei doppelter Fahrtzeit (1 h) um etwa ein Achtel (ca. 3 ct/min), so sinkt sie bei höheren Fahrtzeiten kaum mehr ab und pendelt sich schließlich bei einem Wert von 17 ct pro gewonnene Minute ein. Das Einkommen zeigt hier keine spezifische moderierende Wirkung.
Bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel im Freizeitverkehr ähnelt die Modellschätzung hinsichtlich ihres Verlaufs jener für den Berufsverkehr, wenn sie auch bei einem geringeren Ausgangswert (Applikatenabschnitt) startet. Während Personen mit einem Einkommen von 1500 € bei einer Viertelstunde erwarteter Reisezeit im Berufsverkehr 41 ct pro Minute nicht verlorener Reisezeit bezahlen würden, so würden sie im Freizeitverkehr für den gleichen Zeitgewinn bei gleicher erwarteter Reisezeit nur 15 ct für denselben Zeitgewinn investieren.
Verglichen mit dem Berufsverkehr sind im Freizeitverkehr ein geringeres Ausgangsniveau der Zahlungsbereitschaft sowie wesentlich flachere Zeitwertfunktionen als im Berufsverkehr festzustellen, insbesondere wenn der Weg mit dem Auto zurückgelegt wird. D. h., ein Zeitverlust wird im Freizeitverkehr von den Verkehrsteilnehmern insgesamt weniger negativ bewertet bzw. wird hier einem Zeitgewinn weniger „Wert“ beigemessen als im Berufsverkehr.
Einkaufsverkehr
Die Modelle für den Einkaufsverkehr sagen im motorisierten Individualverkehr gegenüber dem öffentlichen Verkehr einen sehr ähnlichen Verlauf der Zahlungsbereitschaft in Abhängigkeit von Einkommen und Reisezeit vorher. Die geschätzten Zeitwertfunktionen zeigen einen linearen Verlauf mit geringer Steigung und im Verhältnis zum Freizeitverkehr etwas geringerem Ausgangsniveau.
Bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sind die Verkehrsteilnehmer für Einkaufsfahrten bereit, um etwa ein Viertel (23 %) höhere Kosten pro gewonnene Zeiteinheit in Kauf zu nehmen als bei der Nutzung des PKW. Etwa würde eine Person mit einem Einkommen von 1500 € bei 30 Minuten erwarteter Reisezeit bei einer Einkaufsfahrt mit dem PKW 19 ct für jede entgegen einer Zeitverzögerung gewonnene Fahrtminute zahlen, bei einer Einkaufsfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln dagegen 24 ct für den gleichen Zeitgewinn.
Freizeit- und Einkaufsverkehr
In der kombinierten Modellspezifikation für Freizeit- und Einkaufsverkehr spiegeln sich die Verläufe der einfachen Modellschätzungen für diese beiden Fahrtzwecke wider. Ist das Ausgangsniveau der Zahlungsbereitschaft beider Fahrtzwecke vergleichbar, so fällt die Zahlungsbereitschaft bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel mit steigender Entfernung deutlich rascher ab als bei PKW-Nutzung. Etwa würden Verkehrsteilnehmer mit einem Einkommen von 1500 €, bei einer halben Stunde erwarteter Fahrtzeit, der Modellschätzung zufolge 25 ct pro Minute nicht verlorener Fahrzeit bezahlen, wenn sie den Weg mit dem PKW zurücklegen, wohingegen sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln um ein Fünftel weniger zu zahlen bereit sind (20 ct/min; ÖV : MIV = 1 : 1,26), um demselben Zeitverlust entgegenzuwirken. Je höher die geplante Fahrtzeit und je höher das Einkommen, umso stärker wird diese Differenz. Bei drei Stunden geplanter Fahrtzeit liegt die Zahlungsbereitschaft von Personen mit einem Einkommen von 1500 € bei 19 ct/min bei Fahrten mit dem PKW, bei Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln jedoch nur mehr bei 7 ct/min. Mit der sechsfachen Fahrtzeit sinkt damit die Zahlungsbereitschaft hinsichtlich des motorisierten Individualverkehrs nur um ein Fünftel, hinsichtlich des öffentlichen Verkehrs dagegen um nahezu zwei Drittel (ÖV : MIV = 1 : 2,86).
Der Zeitwert nimmt mit dem Einkommen im motorisierten Individualverkehr verglichen mit dem öffentlichen Verkehr in den unteren Einkommensschichten etwas stärker zu, im Bereich von 2500 € Nettoeinkommen erreichen beide Funktionen eine vergleichbare Steigung (4 % Zeitwertsteigerung pro 250 € Einkommenssteigerung).
Einbezug weiterer soziodemografischer Variablen mit nichtlinearen Ansätzen
Durch die Implementierung nichtlinearer Terme konnte die Modellgüte unter Einbeziehung soziodemografischer Variablen deutlich gesteigert werden. Tabelle 2 (siehe Anhang) zeigt die Ergebnisse der Modellschätzung (Tabelle siehe Anhang C) mit der höchsten erreichten Güte, gemessen an der insgesamt erklärten Varianz (Kriterium 1, adjusted ρ²) einerseits und an der Signifikanz der einzelnen Modellparameter (Kriterium 2) andererseits. Das Ziel war, in Anlehnung an andere internationale Studien ein Modell zu finden, in dem jeder geschätzte Parameter mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von zumindest 95 % (d. h. mit p < 0,05) signifikant ist. Zwar ließ sich in manchen der ermittelten Modellschätzungen eine noch höhere Effektstärke (adjusted ρ²) als im dargestellten Modell beobachten, jedoch erreichten in diesen Modellen nicht alle Modellparameter statistische Signifikanz. Diese Variablen, die für sich genommen keinen bedeutsamen Erklärungswert aufwiesen, jedoch die Varianzaufklärung insgesamt deutlich verbessert hätten, wurden in der Folge wieder aus der Modellschätzung ausgeschlossen (Modellgütekriterium 2, siehe oben).
Tabelle 2: Beispiel Modell für den Berufsverkehr mit soziodemografischen Eigenschaften
Wie Tabelle A (siehe Anhang) zeigt, weisen die nichtlinearen erweiterten Modellschätzungen mit einem Varianzanteil von 12,7 % bis 16,2 %, einen zufriedenstellenden Erklärungswert auf. Für alle Reisezwecke ist der erwartete negative Zusammenhang der Reisekosten und der Reisezeit zur Auswahlwahrscheinlichkeit festzustellen, ausgedrückt durch das Vorzeichen des Koeffizienten (Einkaufsverkehr) bzw. des Exponenten (Berufs‐ und Freizeitverkehr). Das Einkommen geht, wie in den vorhergehenden Modellspezifikationen, nutzenerhöhend in die Schätzung der Auswahlwahrscheinlichkeit ein, jedoch ist der entsprechende Parameter in dieser Modellschätzung als Exponent berücksichtigt und erreicht hier nur für den Freizeitverkehr und das kombinierte Modell (Einkaufs‐ und Freizeitverkehr) statistische Signifikanz.
Personen mit ÖV-Abos weisen wiederum eine Präferenz für öffentliche Verkehrsmittel gegenüber dem PKW auf. Als bedeutsame Routenwahlcharakteristika konnten neben den Attributen der Grundmodelle die Verlässlichkeit des Verkehrsmittels und der Straßentyp identifiziert werden. Je höher die mögliche Verspätung ( QM) bei einer Routenwahlalternative ist, desto geringer ist ihre Auswahlwahrscheinlichkeit. Dies gilt für alle Reisezwecke. In Bezug auf den motorisierten Individualverkehr stellte sich der Straßentyp Autobahn in den Modellen für den Freizeitverkehr sowie im kombinierten Modell (Einkaufs- und Freizeitverkehr) als nutzenerhöhend heraus.
Hinsichtlich soziodemografischer Einflussgrößen lässt sich ein negativer Nutzen der mittleren Alterskategorien (21 bis 60 Jahre) für die Entscheidung, die Strecke zu einem Einkaufsziel mit dem PKW zurückzulegen, erkennen. Auf der Strecke zu einem Freizeitziel ergibt sich ebenso ein negativer Nutzen für den motorisierten Individualverkehr in der Gruppe der 41- bis 60-Jährigen. D. h., diese Altersgruppen entscheiden sich bei Freizeitaktivitäten (Einkaufs- bzw. Freizeitverkehr) eher für öffentliche Verkehrsmittel. Für den Berufsverkehr lässt sich in diesem Modell kein unmittelbarer Einfluss des Alters nachweisen.
Führerscheinbesitzer mit mindestens einem im eigenen Haushalt lebenden Kind wählen ebenfalls im Freizeitverkehr bevorzugt öffentliche Verkehrsmittel.
Bewohner von Städten mit geringer Einwohnerzahl erledigen Einkaufsfahrten eher mit dem PKW als mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Personen, die in Städten mit hoher Einwohnerzahl leben, wählen für Freizeitaktivitäten bevorzugt öffentliche Verkehrsmittel.
Eine geringe Jahresfahrleistung verringert die Wahrscheinlichkeit der PKW-Nutzung bei allen Fahrtzwecken. Demgegenüber erhöht die Verfügbarkeit eines Autos mit hoher Motorleistung die Wahrscheinlichkeit der PKW-Nutzung im Berufs- und Einkaufsverkehr. Ist das vorwiegend gefahrene Auto der eigene oder ein Firmenwagen, so fällt bei den Fahrtzwecken Berufs- und Freizeitverkehr sowie dem kombinierten Fahrtzweck Einkaufs- und Freizeitverkehr die Entscheidung eher auf den PKW als auf öffentliche Verkehrsmittel.
Vergleich Zahlungsbereitschaft bisherige Studien
Auszugweise werden in Tabelle 2 die ermittelten Zahlungsbereitschaften mit anderen internationalen Studien gegenübergestellt. Aufgrund der individuellen Forschungsfragen, ist eine Vergleichbarkeit nur bedingt möglich.
Tabelle 2: Gegenüberstellung internationaler Zahlungsbereitschaften bzw. Zeitkostensätze
4. Exkurs: Wahrnehmung der Kostenkomponenten
Als potentielle Einflussgröße auf die Routenwahlentscheidung soll im Folgenden die Rolle der Gesamtwahrnehmung der Kostenkomponenten untersucht werden. In den vorgegebenen Wahlaufgaben wurden allen Probanden die Einzelkosten der kostengebundenen Attribute (Treibstoff-/Ticketkosten und Straßenbenützungsgebühren) angezeigt. Die Gesamtkosteninformation jeder Alternative wurde bei jedem zehnten Fragebogen ausgeblendet, um deren Bedeutung für das Entscheidungsverhalten ermitteln zu können. Die tatsächlichen Gesamtkosten wurden durchgängig im Hintergrund berechnet und für die Modellschätzungen abgespeichert.
Um den Einfluss der Gesamtkosteninformation auf das Entscheidungsverhalten zu untersuchen, wurden die Routenwahlmodelle getrennt für die Substichprobe mit und jene ohne Gesamtkosteninformation geschätzt. In Tabelle (Anhang B) wird deutlich, dass sich bei Ausblendung der Gesamtkosten das Routenwahlverhalten anhand der untersuchten Routencharakteristika und soziodemografischen Variablen besser vorhersagen lässt (ρ²), als wenn die Gesamtkosteninformation den Verkehrsteilnehmern dargeboten wird.
Abbildung 5 zeigt die Reisezeitersparnis (VTTS) in Abhängigkeit vom Einkommen und der Gesamtkosteninformation für die drei einzelnen Fahrtzwecke. Hier ist ein negativer Einfluss der Gesamtkosteninformation auf den Zeitwert zu beobachten. Die Ordinatenabschnitte weisen für den Zeitwert in der Bedingung „Show“ im Berufs- und Freizeitverkehr ein geringeres Niveau auf als in der Bedingung „No Show“, d. h., die Zahlungsbereitschaft ist bei Ausblendung der Gesamtkosten höher als bei Anzeige der Gesamtkosten.
Im Berufsverkehr ist bei fehlender Gesamtkosteninformation ein um etwa zwei Drittel höherer Zeitwert als bei Verfügbarkeit der Gesamtkosteninformation zu verzeichnen (No Show : Show = 1 : 1,7). Im Freizeitverkehr ist der Unterschied bei geringem Einkommen zwar weniger ausgeprägt, zugleich steigt aber die Zahlungsbereitschaft bei diesem Fahrtzweck mit dem Einkommen stärker an, wenn die Gesamtkosten nicht ersichtlich sind, als wenn diese angezeigt werden. Die höhere Zahlungsbereitschaft bei Ausblendung der Gesamtkosten einer Routenalternative könnte damit erklärt werden, dass in diesem Fall die Kostenkomponente weniger stark in die Routenwahlentscheidung einfließt oder einfach die realen Kosten bei fehlender Gesamtkosteninformation von den Verkehrsteilnehmern unterschätzt werden. Nur im Einkaufsverkehr ist kein Einfluss der Darstellung der Kostenkomponenten auf die Zahlungsbereitschaft objektivierbar.
Abbildung 5: Zeitwert in Abhängigkeit vom Einkommen und Reisezweck für den motorisierten Individualverkehr
5. Diskussion und Empfehlungen
Die vorliegende Arbeit untersuchte sowohl einfache als auch komplexe Ansätze von Routenwahlentscheidungen. Die Modellschätzungen erfolgten mithilfe der Software BIOGEME. In einer sukzessiven Analyse wurden unterschiedliche Modellansätze auf ihre Plausibilität und ihr Erklärungspotential hin geprüft und die Modellspezifikationen mit der höchsten Modellgüte in der Folge weiter ausgebaut, mit dem Ziel, ein möglichst aussagekräftiges Routenwahlentscheidungsmodell für Berufs-, Freizeit- und Einkaufsverkehr zu bilden.
Die Parameter Reisekosten und Reisezeit zeigen in internationalen Studien den stärksten Effekt auf das Entscheidungsverhalten. Für den Einfluss der Variable Verlässlichkeit bzw. Pünktlichkeit findet sich allerdings nur im Berufsverkehr gesicherte Evidenz. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung stehen im Einklang mit diesen empirischen Befunden. Erwartungsgemäß sinkt in den ermittelten Modellansätzen die Wahrscheinlichkeit, eine Routenalternative mit steigender Reisezeit und steigenden Reisekosten auszuwählen. Soziodemografische Variablen lassen in der Regel einen geringeren und weniger eindeutigen Erklärungswert für das Entscheidungsverhalten der Verkehrsteilnehmer erkennen, hier konnten bisher primär Effekte des Einkommens und des Alters nachgewiesen werden. In der aktuellen Untersuchung ließen sich als relevante personenspezifische Variablen ÖV-Abos und das Einkommen identifizieren. Der Besitz einer ÖV-Dauerkarte erhöht die Wahrscheinlichkeit, sich für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu entscheiden. Weiters ist eine Interaktion zwischen dem Einkommen und der Nachfrageelastizität zu beobachten (siehe unten). Zusätzlich zu den linearen Grundmodellen wurde in dieser Arbeit durch die Erweiterung der Grundmodelle um nichtlineare Terme neben Reisezeit und Reisekosten die Rolle verschiedener Routencharakteristika und soziodemografischer Variablen für die Routenwahl sowie deren Interaktion mit Reisezeit und -kosten untersucht.
Hier ist bei Freizeitaktivitäten eine Präferenz der Verkehrsteilnehmer für den PKW gegenüber öffentlichen Verkehrsmitteln zu beobachten, wenn der Weg mit dem Auto über eine Autobahn zurückgelegt werden kann. Zudem verringert sich mit sinkender Verlässlichkeit (als zunehmender möglicher Verspätung) die Wahrscheinlichkeit, dass eine Route sowohl im öffentlichen wie auch motorisierten Individualverkehr ausgewählt wird. Spezifische soziodemografische Variablen zeigten, neben Einkommen und ÖV-Abos, in den erweiterten, nichtlinearen Modellansätzen einen inkrementellen Erklärungswert:
Hinsichtlich der Zahlungsbereitschaft stellten sich Reisezweck und Einkommen des Probanden als relevante Wirkfaktoren heraus. Mit steigendem Einkommen steigt, wie in den Schweizer Studien, auch die Zahlungsbereitschaft. Im motorisierten Individualverkehr ist eine höhere Zahlungsbereitschaft als im öffentlichen Verkehr zu verzeichnen, insbesondere den Arbeitsweg betreffend.
Zwischen Reisezeit und Zahlungsbereitschaft ist in der aktuellen Untersuchung ein umgekehrt proportionaler (und in den nichtlinearen Modellansätzen zudem negativ beschleunigter) Zusammenhang ersichtlich. D. h. je höher die Reisezeit, umso geringer ist die Bereitschaft, für einen Zeitgewinn zusätzliche Kosten aufzuwenden. Dieses Ergebnis ließe sich damit erklären, dass eher die absoluten als die relativen Kosten als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden und die Reaktion auf diese durch einkommensabhängige Budgetbeschränkungen und die a priori erwartete („subjektive“) Verlässlichkeit des Verkehrsmittels moderiert wird. Die Verkehrsteilnehmer orientieren ihre Zahlungsbereitschaft an ihrem Einkommen und an den erwartbaren Kosten für eine Zeitverzögerung, weniger an dem erwartbaren absoluten Zeitgewinn durch Kostenaufwendung. Eine andere Erklärung wäre, dass mit zunehmender Reisezeit einer absoluten Zeitverzögerung (wie sie im Zeitwert repräsentiert ist) weniger Relevanz beigemessen wird und daher auch die Bereitschaft, zusätzliche Kosten in Kauf zu nehmen, sinkt. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu den Studienergebnissen der ETH Zürich für die Schweiz, wo ein Anstieg der Zahlungsbereitschaft mit der Reisezeit gefunden wurde. Der Unterschied zu früheren Studien könnte aus der vergleichsweise geringeren relativen Abweichung von den Basiswerten der Reisezeit und der Reisekosten im vorliegenden Design oder aus anderen methodischen Spezifika resultieren.
Schließlich ließ sich im Rahmen der vorliegenden Studie ein negativer Einfluss der Verfügbarkeit der Gesamtkosteninformation auf die Zahlungsbereitschaft für den Berufs- und Freizeitverkehr, nicht jedoch für den Einkaufsverkehr zeigen. Zusätzlich war ein moderierender Einfluss des Einkommens festzustellen. Die höhere Zahlungsbereitschaft bei Ausblendung der Gesamtkosten einer Routenalternative könnte damit erklärt werden, dass in diesem Fall die Kostenkomponente weniger stark in die Routenwahlentscheidung einfließt oder einfach die realen Kosten bei fehlender Gesamtkosteninformation von den Verkehrsteilnehmern unterschätzt werden.
Zeitkosten
Die Studie zeigt, dass unterschiedliche Zeitkostensätze für die generalisierten Kosten eingesetzt werden können. Die Berechnungen zeigen, dass es differenzierte Zeitkostensätze nach dem Berufs-, Einkaufs- und Freizeitverkehr gibt. Man konnte hier auch eine unterschiedliche Zahlungsbereitschaft in Abhängigkeit des Einkommens und der Reisedauer bestimmen. Diese Erkenntnis würde den Einsatz einer variablen oder dynamischen Bepreisung je nach Tageszeit, Straßentyp und Verkehrsaufkommen im Vergleich zu einer Besteuerung des Treibstoffes hinsichtlich eines Lenkungseffektes präferieren. Man kann zum Beispiel sowohl von den Zeitkostensätzen als auch von den Ergebnissen der Modelle Folgendes ableiten: Personengruppen mit derselben Soziodemografie zeigen beim Einkaufsverkehr eine deutlich niedrigere Zahlungsbereitschaft von Straßenbenützungsgebühren als am Weg zur Arbeit. Mögliche Wechselwirkungen und Prognosen über Langzeiteffekte bei einer variablen oder dynamischen Straßenbenutzungsgebühr können mithilfe dieser erhobenen Daten nicht gemacht werden. Eine automatische Abnahme einer Verkehrsleistung des motorisierten Individualverkehrs ist als Langzeiteffekt mittels dieser Studie nicht vorhersehbar.
Die Zahlungsbereitschaft der motorisierten Verkehrsteilnehmer für eine Stunde eingesparte Fahrzeit im Berufsverkehr beträgt 31 €/h. Bei der Interaktion von nichtlinearen Termen der Nutzenfunktion haben das persönliche Einkommen und die Reiselänge einen Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft. Hier gibt es eine Bandbreite von 9 €/h bis 50 €/h. Diese Werte ändern sich jedoch in Abhängigkeit vom Fahrtzweck. Im Freizeit- und Einkaufsverkehr liegen diese deutlich niedriger. Eine weitere Erkenntnis ist, dass die Zeitwerte mit den Gesamtreisekosten sinken. Das bedeutet, dass bei längeren Fahrten die Zahlungsbereitschaft aufgrund der Limitation der Kosten nach oben beschränkt ist. Die differenzierten Zeitwerte können zukünftig für großräumige Simulationen in Österreich, zum Beispiel bezüglich des Verkehrsmodells Österreich, Verwendung finden. Auf Basis dieser Grundlagen der Verhaltensreaktionen können bei Maßnahmen hinsichtlich Mobility Pricing verkehrliche Auswirkungen quantifiziert werden. Mithilfe deren ist es möglich, verschiedenste verkehrspolitische Varianten von Bepreisungen von Straßen zu modellieren und zu kontrollieren, ob die verkehrspolitischen Ziele erreicht werden.
In der aktuellen Studie wurde ein gegenüber früheren Arbeiten differierender Einfluss der Reisezeitersparnis in Abhängigkeit von Einkommen und Reisezeit gefunden. Dieses Ergebnis könnte aus der vergleichsweise geringeren relativen Abweichung von den Basiswerten der Reisezeit und der Reisekosten im vorliegenden Design oder aus anderen methodischen Spezifika resultieren. Sollten sich die aktuellen Ergebnisse auf nationaler Ebene in anderen Designs replizieren lassen, so bliebe zu ermitteln, inwieweit der räumliche (politische, wirtschaftliche, soziale, infrastrukturelle) Kontext das von den Schweizer Untersuchungen differierende Ergebnis im österreichischen Raum bedingen könnte. Die Rolle der Operationalisierung der systematisch variierten Prädiktorvariablen (insbesondere der relativen Abweichungen von Reisekosten und Reisezeit) hinsichtlich der Schätzung der Routenwahlmodelle wäre als grundlegende forschungsmethodische Fragestellung durch vergleichende Untersuchungen oder Simulationen zu klären.
Danksagung
Die Studie wurde mit eigenen Mitteln durch das Institut für Straßen- und Verkehrswesen finanziert. Die Autoren möchten sich bedanken für die fachliche Expertise über die Grenzen hinaus bei den Kollegen Claude Weiss und Alexander Erath von der ETH Zürich.
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