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1 Einleitung
Eine leistungsfähige und sichere Straßeninfrastruktur ist die Grundvoraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt: Sie ermöglicht Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Wohlstand und stellt damit das Rückgrat einer modernen Gesellschaft dar. Der Verfall der Straßeninfrastruktur durch physikalisch-chemische Prozesse oder eine unvorgesehene Verkehrszunahme kann allmählich zur Reduktion der Leistungsfähigkeit, aber auch zur Verminderung der Sicherheit führen. Ein wachsamer Infrastrukturbetreiber kann diese in der Regel sich langsam entfaltenden Szenarien rechtzeitig erkennen und Gegenmaßnahmen zur Vorbeugung deren unerwünschten Folgen planen und einleiten. Plötzliche Ereignisse, wie ein Lawinenniedergang, Felssturz oder Tunnelbrand usw., welche zu unmittelbaren Schäden an Leib und Leben sowie zur Beeinträchtigung des Straßenverkehrs über längere Zeit führen können, sind kaum in ihrem zeitlichen Ablauf aufzuhalten. Hier sollten durch vorausschauende, präventive Maßnahmen die Konsequenzen solcher Ereignisse vermindert werden. Sowohl bei den langsam entfaltenden Szenarien als auch bei den plötzlichen Ereignissen gilt allerdings der gleiche Grundsatz: Die Maßnahmen sind so zu planen und auszuführen, dass die Risiken der ungenügenden Leistungsfähigkeit und Sicherheit aber auch die Risiken in Bezug auf Umweltschäden zu minimalen Kosten auf einem annehmbaren Niveau gehalten werden können. Die Entscheidungsfindung zu diesen Maßnahmen in Bezug auf ihre Art, Umfang und Zeitpunkt ist Hauptbestandsteil des Erhaltungsmanagements. Dabei wird zwischen dem strategischen und operativen Erhaltungsmanagement unterschieden. Die Schweizer Norm SN 640 900 (VSS, 2022) umfasst das strategische Erhaltungsmanagement als Festlegung der Leistungsziele und Rahmenbedingungen sowie kontinuierliche Verbesserung der Prozesse des operativen Erhaltungsmanagements. Das operative Erhaltungsmanagement, welches im Fokus dieses Artikels steht, umfasst die Planung der Überwachung, die Erhaltungsplanung und die Wirkungsanalyse der durchgeführten Erhaltungsmaßnahmen. Es ist zu beachten, dass die Durchführung der Überwachung sowie die Durchführung der Erhaltungsprojekte nicht zum Erhaltungsmanagement gehören. Die Aktivitäten des Erhaltungsmanagement sind v. a. darauf ausgerichtet die Grundlagen zu einer objektiven Entscheidung zu Erhaltungsmaßnahmen bereitzustellen. Die voranschreitende Digitalisierung v. a. im Zusammenhang mit Building Information Modelling (BIM) eröffnet neue Möglichkeit zur Bereitstellung dieser Grundlagen, welche in diesem Artikel diskutiert werden.
2 Digitalisierung des Erhaltungsmanagement
Die Straßeninfrastruktur besteht aus einer Vielzahl von Objekten, welche sich nach Form und Funktion deutlich unterscheiden. Als Objekte deutlich erkennbar sind die Ingenieurbauwerke, wie Brücken, Galerien, Stützmauern und Schutzbauten sowie die bergmännischen Tunnel und Tagbautunnel. Die freien Strecken können je nach Aufbau in mehrere Abschnitte1) aufgeteilt werden. Deren Abgrenzungen sind jedoch nicht immer einfach festzulegen. Hinzu kommen die Betriebs- und Sicherheitsanlagen (BSA) sowie weitere Objekte (wie Hangentwässerung, Straßenabwasser-Behandlungsanlagen (SABA), Ölabscheider usw.). Die genaue Information zu diesen unterschiedlichen Objekten bezüglich der Abmessungen, der Verortung, der Bauweise, des Herstellungsverfahrens usw., welche als Inventardaten bezeichnet werden, sind unabdingbare Grundlagen für eine objektive Entscheidungsfindung. Im Laufe der Zeit erfahren diese Objekte Veränderungen, welche im Rahmen der Überwachung festgestellt werden. Diese Veränderungen können Schäden, Verformungen, chemische Zusammensetzung, Materialeigenschaften, mechanische Eigenschaften u. a. m. betreffen, welche als Befunde dokumentiert werden. Die Gesamtheit aller Befunde zu einem bestimmten Zeitpunkt wird als Zustand bezeichnet. Im Rahmen der Erhaltungsplanung wird
- aufgrund der Inventardaten und aktuellen Befunde eine Zustandsprognose aufgestellt, welche auch die Prognose der Veränderungen von Leistungsfähigkeit und Sicherheit,
- die Handlungsoptionen, das heißt technisch mögliche Maßnahmen (inklusive Nichtstun) anhand der Zustandsprognose zu unterschiedlichen Zeitpunkten definiert und
- aufgrund einer Bewertungsmethode wie z. B. Kosten/Nutzen, Kosten/Wirksamkeit die
optimale Handlungsoption bestimmt.
____________ 1) Die Fahrbahn wird aufgrund des Zustands in Erhaltungsobjekte unterteilt. Diese Erhaltungsobjekte sind dynamisch, das heißt sie verändern sich im Laufe der Zeit. Bei den Kunstbauten und BSA sind die Erhaltungsobjekte statisch und den Objekten aus dem voranstehenden Abschnitt gleichzusetzen.
Die Erhaltungsplanung ist ein datengetriebener Prozess und es ist offenkundig, dass dessen Ergebnis stark von Umfang und Qualität der Daten abhängig ist. Die Qualität der Ergebnisse kann mit der Ausweitung des Datenumfangs sicherlich verbessert werden, aber zu Kosten der u. U. teuren Datengewinnung. Im strategischen Erhaltungsmanagement wird mit der Festlegung der benötigten Daten genau dieses Gleichgewicht gesucht. Traditionell werden die Methoden des Erhaltungsmanagements durch die bewältigbaren Datenmengen zu deren Anwendung bestimmt. Die Digitalisierung kann dort Abhilfe schaffen und dies wurde auch relativ früh erkannt. Bereits in den 1970er Jahren hat man v.a. in den USA mit der Digitalisierung des Erhaltungsmanagement begonnen. Zuerst haben die Inventar- und Zustandsdatenbanken die Karteien ersetzt. In den 1990er Jahren wurden zudem analytische Informatikwerkzeuge entwickelt, mit welchen mittelfristige bis langfristige Zustandsprognosen aufgestellt und Handlungsoptionen definiert werden konnten. Die Inventar- und Zustandsdatenbanken bilden dabei einen digitalen Realitätsausschnitt der realen Straßeninfrastruktur. Diese Abbildung wird maßgeschneidert nach den unterschiedlichen Anforderungen diverser Infrastrukturbetreiber. Es muss allerdings festgehalten werden, dass dieser Realitätsausschnitt rudimentär ist. Die Angaben zu Straßenobjekten liegen oftmals in Papierform vor und müssen manuell digitalisiert werden. Die manuelle Erfassung ist langwierig und fehleranfällig, sodass man die zu erfassende Datenmenge klein gehalten hat. Des Weiteren hat jeder Betreiber die Begriffe und deren Beziehungen im Zusammenhang mit der Straßeninfrastruktur selbst nach seinen eigenen Anforderungen entwickelt, so dass sich diese zwischen den Betreibern z. T. stark unterscheiden – oder aus Sicht der Informatik ausgedrückt: Sowohl die Semantik als auch die Ontologie, auf welcher diese Datenbanken beruhen, sind unterschiedlich. Die analytischen Werkzeuge verwenden diese Daten, um die Erhaltungsplanung zu unterstützen. Die Algorithmen, welche in diese analytischen Werkzeuge implementiert werden, unterscheiden sich ebenfalls von Betreiber zu Betreiber sehr stark. Die Datenbanken und analytischen Werkzeuge werden gemeinsam als Erhaltungsmanagement-Systeme bezeichnet. Die Vielfalt dieser Systeme ist, bedingt durch die unterschiedlichen Ontologien der Datenbanken und die gewählten Algorithmen, recht groß. Eine Vereinheitlichung dieser Systeme wird vermutlich nur sehr langsam voranschreiten, da viele Infrastrukturbetreiber kaum bereit sind ihre bewährte Praxis zu verändern und ihre wertvolle Datengrundlage zu verlieren. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die maßgeschneiderten Erhaltungsmanagement-Systeme zukünftig erhalten bleiben. Die gegenwärtigen Erhaltungsmanagement-Systeme haben allerdings ihre Grenzen. Bedingt durch den eher rudimentären digitalen Realitätsausschnitt der realen Straßeninfrastruktur eignen sich die Ergebnisse der analytischen Werkzeuge zu einer groben Definition der Erhaltungsmaßnahme. Für die detaillierte Definition von Erhaltungsmaßnahmen und der Projekterarbeitung bedarf es weitere Daten, welche in den Datenbanken zurzeit nicht erfasst werden.
3 Digitalisierung der Projektierung und Ausführung
Die Digitalisierung, das heißt der Einsatz von Building Information Modeling (BIM) in der Projektierung und Ausführung von Straßeninfrastrukturprojekten nimmt seit einiger Zeit kontinuierlich zu. Dies bedeutet, dass das BIM(odell) als Datenrepository für die Projektierung und Ausführung dient. Nach Fertigstellung des Baus oder der baulichen Erhaltung eines Objekts wird dieses BIM(odell) dem Betreiber übergeben. Die Informationen, welche bis dahin in Papierform vorlagen und im Erhaltungsmanagement-System manuell erfasst werden müssten, liegen nun in Digitalform vor. Es wäre somit naheliegend dieses BIM(odell) als Grundlage für das Erhaltungsmanagement einzusetzen. Leider ist dies nicht ohne Weiteres möglich, wie es im weiteren Text erläutert wird. Das erste, eher kleinere Problem liegt beim BIM(odell), da diverse auf dem freien Markt verfügbare Softwares, welche zur Erstellung der BIM(odellen) eingesetzt werden, die sogenannten Autorensoftwares, gegenseitig in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Die zugehörigen BIM(odelle) sind somit proprietär. Ein Erhaltungsmanagement-System kann diese proprietären Formate nicht verarbeiten. Eine Abhilfe bietet das IFC (Industry Foundation Classes)-Format, welches den Datenaustausch zwischen den verschiedenen Autorensoftwares mit Einschränkungen erlaubt und von ihnen weitgehend über eine Exportschnittstelle unterstützt wird. Diese exportierte IFC-Datei kann somit – rein theoretisch – in ein Erhaltungsmanagement-System eingelesen werden. Das zweite, eher größere Problem liegt in den unterschiedlichen Ontologien des IFC-Formats und der Erhaltungsmanagement-Systeme. Bei den meisten Erhaltungsmanagement-Systemen ist die Datenstruktur bzw. die Ontologie deutlich umfangreicher als jene des gegenwärtigen IFC-Formats. Die Gliederung der Objekte und deren Attributierung erfolgen mit Hilfe von sehr umfangreichen und feingliedrigen Fachkatalogen. Diese Gliederung müsste auch bei der Erstellung von BIM(odellen) berücksichtigt werden, was entweder eine Anpassung der Autorensoftwares oder eine Importsoftware (siehe Abschnitt 6.6) mit sich ziehen würde. Diese Probleme lassen sich allerdings lösen in dem die Betreiber definierte Vorgaben für die IFC-Dateien aufstellen. Diese Vorgaben müssen durch eine automatische Prüfung der IFC-Dateien durchgesetzt werden. Auf diese Weise kann die hohe Datenqualität in den Erhaltungsmanagement-Systemen sichergestellt werden. Noch viel wichtiger ist, dass damit der Datenumfang in den Erhaltungsmanagement-Systemen deutlich erweitert werden kann und v. a. die genaue geometrische Abbildung der realen Objekte zur Verfügung steht. Das Nutzenpotenzial des BIM(odells) im Erhaltungsmanagement wird im Abschnitt 5 diskutiert. 4 BIM(odelle) für die bestehende Straßeninfrastruktur Im vorherigen Abschnitt wurde beschrieben wie ein BIM(odell) im Rahmen der Projektierung und Ausführung erzeugt wird. Dieses BIM(odell) kann grundsätzlich im Erhaltungsmanagement – trotz der beschriebenen Probleme – verwendet werden. Auf diese Weise können jedoch nur für wenige Objekte BIM(odelle) in absehbarer Zeit gewonnen werden. Wenn die Einführung von BIM(odellen) lediglich auf solche Objekte beschränkt bliebe, würde es noch Jahrzehnte dauern, bis für einen relevanten Anteil der Straßeninfrastruktur derartige Modelle vorliegen. Das Potenzial, das sich mit dem Einsatz von BIM(odellen) in der Erhaltung eröffnet, kann jedoch erst dann voll ausgeschöpft werden, wenn diese für einen Großteil der Straßeninfrastruktur vorhanden sind. Erst dann können die Prozesse in Betrieb und Erhaltung entsprechend digitalisiert und angepasst werden. Es zeigt sich also, dass eine zeitnahe ganzheitliche Anwendung von BIM nur dann möglich ist, wenn auch die Erstellung von BIM(odellen) für die bestehende Straßeninfrastruktur realisiert wird. Eine Möglichkeit besteht darin, dass man für diese Objekte systematisch anhand der Pläne BIM(odelle) erstellt. Dieser Schritt erfordert jedoch einen großen Arbeitsaufwand und ist daher flächendeckend kaum umsetzbar. Hinzu kommt die Unsicherheit, inwieweit teilweise alte Pläne noch mit der Ist-Situation übereinstimmen. Mit neuen Überwachungstechnologien, wie 3D-Laserscanning, Fotogrammmetrie, Ground Penetration Radar (GPR), Thermographie sowie der Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) ergeben sich vielversprechende neue Optionen zur effizienten Erstellung von BIM(odellen). So ist es z. B. möglich anhand der Künstlichen Intelligenz Bauteile eines mit 3D-Laserscanning aufgenommenen Ingenieurbauwerks zu identifizieren wie im Bild 1 links dargestellt. Der Oberbau ist in grün, Stützen in orange und Widerlager in gelb dargestellt. Im Wesentlichen sind die jeweiligen Punkte, welche von einem neuronalen Netz dem Oberbau, der Stütze oder dem Widerlager zugewiesen wurde, mit der entsprechenden Farbe gekennzeichnet. In einem zweiten Schritt werden jene Punkte, welche zu einer Stütze gehören, extrahiert und weiterbearbeitet, um ein Volumenmodell zu gewinnen. Hierfür gibt es unterschiedliche Methoden, wobei die anschaulichste diejenige ist, bei der ein Bauteil mit Alpha-Shape angenähert wird. Vereinfacht ausgedrückt entsteht ein Alpha-Shape, wenn man eine Punktwolke mit einer dehnbaren Folie überzieht, diese dicht abschließt und dann langsam die Luft aussaugt.
4 BIM(odelle) für die bestehende Straßeninfrastruktur
Im vorherigen Abschnitt wurde beschrieben wie ein BIM(odell) im Rahmen der Projektierung und Ausführung erzeugt wird. Dieses BIM(odell) kann grundsätzlich im Erhaltungsmanagement – trotz der beschriebenen Probleme – verwendet werden. Auf diese Weise können jedoch nur für wenige Objekte BIM(odelle) in absehbarer Zeit gewonnen werden. Wenn die Einführung von BIM(odellen) lediglich auf solche Objekte beschränkt bliebe, würde es noch Jahrzehnte dauern, bis für einen relevanten Anteil der Straßeninfrastruktur derartige Modelle vorliegen. Das Potenzial, das sich mit dem Einsatz von BIM(odellen) in der Erhaltung eröffnet, kann jedoch erst dann voll ausgeschöpft werden, wenn diese für einen Großteil der Straßeninfrastruktur vorhanden sind. Erst dann können die Prozesse in Betrieb und Erhaltung entsprechend digitalisiert und angepasst werden.
Es zeigt sich also, dass eine zeitnahe ganzheitliche Anwendung von BIM nur dann möglich ist, wenn auch die Erstellung von BIM(odellen) für die bestehende Straßeninfrastruktur realisiert wird. Eine Möglichkeit besteht darin, dass man für diese Objekte systematisch anhand der Pläne BIM(odelle) erstellt. Dieser Schritt erfordert jedoch einen großen Arbeitsaufwand und ist daher flächendeckend kaum umsetzbar. Hinzu kommt die Unsicherheit, inwieweit teilweise alte Pläne noch mit der Ist-Situation übereinstimmen.
Mit neuen Überwachungstechnologien, wie 3D-Laserscanning, Fotogrammmetrie, Ground Penetration Radar (GPR), Thermographie sowie der Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) ergeben sich vielversprechende neue Optionen zur effizienten Erstellung von BIM(odellen). So ist es z. B. möglich anhand der Künstlichen Intelligenz Bauteile eines mit 3D-Laserscanning aufgenommenen Ingenieurbauwerks zu identifizieren wie im Bild 1 links dargestellt. Der Oberbau ist in grün, Stützen in orange und Widerlager in gelb dargestellt. Im Wesentlichen sind die jeweiligen Punkte, welche von einem neuronalen Netz dem Oberbau, der Stütze oder dem Widerlager zugewiesen wurde, mit der entsprechenden Farbe gekennzeichnet.
In einem zweiten Schritt werden jene Punkte, welche zu einer Stütze gehören, extrahiert und weiterbearbeitet, um ein Volumenmodell zu gewinnen. Hierfür gibt es unterschiedliche Methoden, wobei die anschaulichste diejenige ist, bei der ein Bauteil mit Alpha-Shape angenähert wird. Vereinfacht ausgedrückt entsteht ein Alpha-Shape, wenn man eine Punktwolke mit einer dehnbaren Folie überzieht, diese dicht abschließt und dann langsam die Luft aussaugt.
Bild 1: Gewinnung des Volumenmodells (Alpha-Shape) einer Stütze aus einer Punktwolke (Zusammenarbeit mit Hasso-Plattner-Institut)
Auf diese Weise gewinnt man das Volumenmodell der Stütze. Obgleich bei anderen Bauteilen u. U. andere Methoden wirksamer sind; das Ziel ist es, alle wesentlichen Bauteile als Volumenmodelle zu gewinnen und in einem BIM(odell) zu vereinen. Diese Volumenmodelle kann man naturgemäß nur von jenen Bauteilen erzeugen, welche sichtbare Flächen aufweisen. Eine weitere Verfeinerung des BIM(odells) mit jenen Bauteilen, welche nicht sichtbar sind, muss manuell erfolgen. Dies betrifft bspw. die Fundamente, teilweise die Widerlager, die Vorspannkabel usw.
Eine mit 3D-Lasecscanning aufgenommene Punktwolke kann als Grundlage dienen, um die Fahrbahnoberfläche und Straßenachse als IFC-Datei in einem dreidimensionalen Raum zu gewinnen, wie im Bild 2 dargestellt. Auf diese Weise können die Parameter der Linienführung (Geraden, Kreisbögen und Klothoiden) im Grundriss bestimmt werden. Das gleiche gilt für die Querneigung. Schließlich können mit Hilfe des GPR auch die Dicken der Oberbauschichten ermittelt und so das BIM(odell) des Straßenkörpers vervollständigt werden.
Gegenwärtig wird im Bereich der Überwachungstechnologie und der Künstlichen Intelligenz intensiv geforscht und es ist zu erwarten, dass zeitnah weitere Fortschritte erzielt werden.
Bild 2: Gewinnung der Straßenachse aus einer Punktwolke (Zusammenarbeit mit der Universität Vigo)
5 Nutzenpotenzial des BIM-basierten Erhaltungsmanagements
Ähnlich wie bei der damaligen Einführung von GIS bei den Erhaltungsmanagement-Systemen ist gegenwärtig kaum absehbar, welchen Nutzen ein BIM-basiertes Erhaltungsmanagement-System mit sich bringt. Dennoch können Bereiche identifiziert werden, in welchen ein BIMbasiertes Erhaltungsmanagement-System für die Betreiber und anderen Beteiligten Effizienz- und Effektivitätsvorteile bringt.
5.1 Visualisierung der Straßeninfrastruktur – Auskunftssystem
Im Rahmen der täglichen Arbeit setzen die Infrastrukturbetreiber Erhaltungsmanagement-Systeme als Auskunftssysteme ein. Auf der Netzebene werden verschiedene Daten zu einzelnen Infrastrukturobjekten und Abschnitten ausgewertet und aggregiert. In Bezug auf Einzelobjekte können die verfügbaren Informationen zu Typ, Gliederung, Materialeigenschaften, Ortung usw. einfach und schnell abgerufen werden. Die meisten modernen Erhaltungsmanagement-Systeme sind zudem GIS-basiert, so dass Infrastrukturobjekte und Abschnitte auf einer Landkarte dargestellt werden können. Diese Funktionalität deckt die Bedürfnisse in Bezug auf den Straßenoberbau ab, da für die Darstellung der Schichten die dritte Dimension nicht unbedingt erforderlich ist. Für ein intuitives Handling der Straßeninfrastruktur bringt die 3D-Geomterie sicherlich Vorteile, in dem die Straße in ihrer Umgebung dargestellt wird und die Querprofile samt des Schichtenaufbaus und dessen Eigenschaften in einem Querprofil mit einem Mausklick abgerufen werden können (vgl. Bild 3). Dennoch ist ein BIM-Modell in den bestehenden Erhaltungsmanagement-Systemen für den Straßenoberbau eher ein „nice to have“.
Für die Weiterentwicklung von Modellen für die Zustandsentwicklung und die Erhaltungsplanung ist ein BIM(odell) hingegen sicherlich eine zwingende Voraussetzung. Dies wird in den nachfolgenden Abschnitten beschrieben.
Bei den Ingenieurbauwerken und Tunneln ist eine differierende Situation festzustellen, da die GIS-Darstellung v.a. bei den Brücken nicht ausreicht. Gegenwärtig werden zur Identifikation von einzelnen Bauteilen markierte Pläne verwendet, wobei deren genaue Lokalisierung jedoch nicht möglich ist. Die Position von Bauteilen ist in einer 3D-Darstellung direkt ersichtlich und deren Eigenschaften können mit einem Mausklick abgerufen werden. Damit entfällt die z. T. mühsame Suche nach den alphanummerischen Bezeichnungen der Bauteile (vgl. Bild 4).
Bild 4: Darstellung eines Infrastrukturobjektes in einem BIM-orientierten Asset-Managementsystem
Der offensichtliche Nutzen liegt in der Visualisierung der Straßeninfrastruktur, wodurch ein intuitives Arbeiten deutlich erleichtert wird. Dies kann mit einem terrestrischen Geländemodell noch weiter verbessert werden, indem die Ingenieurbauwerke und Tunnel sowie deren Umgebung in ihrer dreidimensionalen Ausprägung visualisiert werden. Dies hat v. a. bei der Bewertung diverser Gefährdungsszenarien große Bedeutung.
5.2 Überwachung
Die Verortung oder gar direkte grafische Erfassung von Befunden im Rahmen der Überwachung wird mit einem BIM(odell) ebenfalls wirksam unterstützt. Dies kann mit Hilfe der erweiterten Realität erfolgen da das BIM(odell) bei der Erfassung von Befunden zusammen mit dem physischen Objekt eingeblendet wird. Des Weiteren können in einem BIM(odell) Sensoren oder Marker genau verortet werden. Die genaue Angabe der Lage von Befunden ist bei der Erhaltungsplanung von großer Bedeutung, da dadurch deutlich genauere Zustandsprognosen aufgestellt werden können und folglich bessere Entscheidungen getroffen werden können.
Im Weiteren ist die genaue Verortung von Schäden bei Ingenieurbauwerken zur Beurteilung der Tragsicherheit sehr wichtig. Dies kann nur mit einem 3D-Modell effizient erfolgen. Dabei steht die Geometrie im Vordergrund, welche mit den Daten in bestehenden Brückenmanagementsystemen verknüpft werden kann. Wie bereits erwähnt, basieren Erhaltungsmanagement-Systeme auf sehr umfangreichen und feingliedrigen Fachkatalogen, welche sich als eine Grundlage für diese Verknüpfung anbieten.
Im Bild 5 sind Abplatzungen, welche anhand einer fotogrammetrischen Aufnahme als eine 3D-Oberfläche modelliert wurden, in grün dargestellt (Isailovic; et al., 2020). Die Eigenschaften dieser Schäden, welche aus der Erhaltungsmanagement-System abgerufen werden, sind in der Tabelle oberhalb des 3D-Modells eingeblendet. Eine 3D-Geometrie fördert auch hier intuitives Arbeiten, bietet aber auch Möglichkeiten, durch die genauere Verortung von Messinstrumenten und mit Hilfe von dadurch gewonnenen Messdaten das Tragverhalten von Ingenieurbauwerken realitätsgetreu vorherzusagen. Hierfür kann auch das Tragwerksmodell in das 3D-Modell eingebettet werden, was die Nachrechnungen maßgeblich erleichtern könnte.
Bild 5: Darstellung von Schäden in einem BIM-orientierten Asset-Managementsystem
5.3 Erhaltungsplanung
Es wurde bereits erwähnt, dass sich die gegenwärtigen Erhaltungsmanagement-Systeme aufgrund der eher rudimentären Abbildung der realen Straßeninfrastruktur nur zu einer groben Definition von Erhaltungsmaßnahmen eignen. Für die detaillierte Definition der Erhaltungsmaßnahmen bedarf es weitere Daten, welche in den Datenbanken zurzeit nicht erfasst werden. Mit den BIM(odellen) stünden diese Daten jedoch zur Verfügung. Sowohl die Prognosen der Veränderungen von Leistungsfähigkeit und Sicherheit als auch die Erarbeitung von Handlungsoptionen zu unterschiedlichen Zeitpunkten können deutlich verbessert werden.
In den letzten Jahrzehnten wurden diverse, allerdings datenhungrige Modelle für die Zustandsentwicklung von Straßenobjekten entwickelt, welche eine hohe Qualität aufweisen. Die meisten benötigten Daten um diese Modelle in der Praxis umzusetzen stehen mit den BIM(odellen) zur Verfügung. Die BIM(odelle) können auch in Finite-Elemente-Modelle umgewandelt werden, mit welchen das Verhalten von Ingenieurbauwerken und des Fahrbahnoberbaus
- unter diversen Einwirkungen und
- bei festgestellten Befunden
ermittelt werden. Bei bestehenden Ingenieurbauwerken kann damit eine effiziente statische Nachrechnung und Erbringung von rechnerischen Nachweisen erfolgen.
In (Tang; Tao; Yongsheng; Zhixiang, 2020) wird ein BIM(odell) des Fahrbahnoberbaus mit der Finite-Elemente-Software ABAQUS unter Fahrzeugbelastung analysiert, um die Zugspannungen im Fahrbahnoberbau zu bestimmen (siehe Bild 6)
Bild 6: BIM(odell) oben und Konturdiagramm der Zugspannungen (unten) (Tang; Tao; Yongsheng; Zhixiang, 2020)
Ferner bietet die Einbettung der Straßeninfrastruktur in deren Umgebung Simulationsmöglichkeiten von Gefährdungsszenarien, wie Hochwasser, Lawinenniedergang, Felssturz u. a. m. In mehreren Forschungsprojekten wurden diese Simulationen bereits erfolgreich erprobt. In (Hackl; Adey; Wozniak; Schümperlin, 2018) wird ein BIM(odell) einer Brücke – erzeugt anhand einer photogrammetrischen Punktwolke – in die Umgebung, welche einen Fluss umfasst, eingebettet. Die Flussströmung wird auch modelliert und ihre hydrodynamische Wirkung auf die Kolkbildung wird analysiert (siehe Bild 7). Auf diese Weise könnte das Risiko eines Versagens ermittelt werden. Bei einem unzulässigen Risiko würden präventive Maßnahmen eingeleitet werden.
Eine Integration der als BIM modellierten Verkehrsinfrastruktur in das 3D-Geländemodell im Sinne eines 3D-Katasters erlaubt eine Überprüfung von geometrischen Anforderungen wie z. B. aus der Raumplanung oder bautechnischen Anforderungen aus den ZTVen. Diese Einbettung in das Geländemodell bietet aber auch kaum absehbare Simulationsmöglichkeiten, mit welchen z. B. die Resilienz eines Gebiets bezüglich Naturgefahren untersucht werden kann.
Bild 7: Simulation der Kolkbildung in der Nähe einer Brücke (Hackl; Adey; Wozniak; Schümperlin, 2018)
Eine genauere Zustandsprognose erlaubt weiterhin Handlungsoptionen besser zu definieren. Die geometrische Abbildung ermöglicht auch eine verbesserte Abschätzung der Kosten von technisch möglichen Erhaltungsmaßnahmen. Die baulichen Abhängigkeiten, Bauverfahren und Installationskosten können deutlich besser abgeschätzt werden, wenn eine genaue Geometrie abgerufen werden kann.
6 Datenaktualisierung – Herausforderung für die Zusammenarbeit
Die Digitalisierung der Projektierung und Ausführung hat, wie im Abschnitt 3 aufgeführt, dazu geführt, dass alle am Bau Beteiligten im Idealfall am gleichen BIM(odell) arbeiten, welches als Datenrepository dient. Es ist naheliegend ein solches BIM(odell) für die gesamte Lebensdauer, das heißt vom Bau bis zum Rückbau einzusetzen. Hierfür bietet sich ein fortschrittliches BIM-basiertes Erhaltungsmanagement-System mit den Funktionalitäten an, welche im Abschnitt 5 beschrieben sind. Dieses neue fortschrittliche BIM-basierte Erhaltungsmanagement-System wird im Folgenden als EMS 2.0 bezeichnet.
Der Bauprozess im Bereich des Straßeninfrastruktur ist klar geregelt. Die Betreiber (oder Eigentümer) sind für die Sicherstellung der Leistungsfähigkeit und Sicherheit der Straßeninfrastruktur verantwortlich. Für die Projektierung und Ausführung von baulichen Maßnahmen sind sie auf eine enge Zusammenarbeit mit den beauftragten Planungsbüros und den ausführendenden Bauunternehmen angewiesen. Bei der Beauftragung stellen sie ihnen alle notwendigen Informationen zur betroffenen Straßeninfrastruktur zur Verfügung. Die beauftragten Planungsbüros und ausführendenden Bauunternehmen befassen sich somit nur zeitlich begrenzt mit der Straßeninfrastruktur. Diese Organisation soll lediglich in die digitale Welt übertragen werden. Die Betreiber stellen die Daten bzw. das BIM(odell) jenes Teiles der Straßeninfrastruktur aus dem EMS 2.0 zur Verfügung, welcher durch die Planungsbüros und/oder Bauunternehmen bearbeitet werden soll. Diese Daten werden lediglich ausgeliehen und müssen nach dem Abschluss der Arbeiten aktualisiert und zurückgegeben werden. Dieser Logik zur Folge muss das BIM(odell) oder Datenrepository durch den Betreiber gepflegt werden. Dies ist mit den bestehenden Erhaltungsmanagement-Systemen der Fall. Der Unterschied liegt allerdings darin, dass die Ausleihung und insbesondere die Aktualisierung der Daten kaum ohne Medienbrüche erfolgt. Gemäß einer PIARC Umfrage (Hajdin; et al., 2019) weisen in der Praxis fast alle Infrastrukturbetreiber auf Probleme bei der Datenaktualisierung auf. Diese Probleme können bei einem EMS 2.0 noch größer werden, da die Datenmenge, welche unter den verschiedenen Beteiligten ausgetauscht wird, wesentlich größer sein wird. Es ist deshalb notwendig, Anwendungsfälle zu untersuchen, welche digitalen Abbildungen der Straßeninfrastruktur mit der physischen Realität synchronisiert werden müssen.
Im Bild 8 ist die Lebenspanne eines Infrastrukturobjektes sowie das EMS 2.0, welches eine Datenbank inkl. BIM(odellen) und ein analytisches Werkzeug umfasst. Die Anwendungsfälle, bei denen Daten nachgeführt werden, sind von 0 bis 3 nummeriert.
Bild 8: Lebensspanne eines Infrastrukturobjektes
6.1 Neubau – Anwendungsfall 0
Die Erfassung der Daten zu einem neu erstellten Infrastrukturobjekt ist im Bild 8 mit dem Punkt 0 dargestellt. Je nach Zuständigkeit wird das Planungsbüro oder das Bauunternehmen ein BIM(odell) erstellen, welches den Anforderungen der Betreiber entspricht. In der Regel wird dabei eine IFC-Datei übergeben, welche durch den Betreiber geprüft wird. Es gilt zu beachten, dass alle geometrischen Elemente in der IFC-Datei einem Elementtyp gemäß der vom Betreiber festgelegten Ontologie entsprechen muss. Dies bedeutet, dass die geometrischen Elemente im BIM(odell) ausreichend feingliedrig sein müssen. Im Bild 9 ist die Zerlegung eines Bauwerks in seine Einzelteile dargestellt, welche der Anforderungen bzw. der Ontologie der ASB-ING entspricht.
Bild 9: Zuweisung der 3D-Geometrie den Bauteilen auf Basis der ASB-ING
Ferner sind die zu erfassenden Attribute vom Typ abhängig, so dass z. B. eine Belagsschicht andere Attribute als ein Strahlträger hat. In anderen Worten handelt es sich um eine dynamische Attribuierung, die von der Autorensoftware unterstützt werden muss. Dies setzt voraus, dass die ganze Ontologie des Zielsystems in der Autorensoftware eingebettet werden muss. Des Weiteren sollten das Planungsbüro und/oder die Bauunternehmen diese ebenfalls gut kennen. Diese Anforderungen stellen an sich eine große Herausforderung dar, jedoch fallen diese in Deutschland durch die ASB-Richtlinien, welche die Ontologie weitgehend standardisieren, deutlich kleiner als in anderen Ländern aus.
6.2 Überwachung (ZEB und Bauwerksprüfungen) – Anwendungsfall 1
Die Aktualisierung des EMS 2.0 mit Überwachungsergebnissen (Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) bei Straßen und Bauwerksprüfung bei Ingenieurbauwerken) erfolgt im Punkt 1 im Bild 8. Die meisten bestehenden Erhaltungsmanagement-Systeme unterstützen eine direkte Erfassung dieser Daten. Einige Systeme verfügen über Tablet-Anwendungen oder haben Schnittstellen zu Datenerfassungsgeräten, so dass die Erfassung dieser Daten automatisch erfolgt. Je nach Datensicherheitsregel kann es notwendig sein, unmittelbar vor einer ZEB oder Bauwerksprüfung die Inventar- und Zustandsdaten der zu behandelnden Infrastrukturobjekte zu exportieren und in die Tablet-Anwendung oder in die Datenerfassungsgeräte zu importieren. Die Daten werden für die ZEB bzw. Bauwerksprüfung somit ausgeliehen. Nach durchgeführter ZEB bzw. Bauwerksprüfung werden die erfassten Daten in das Erhaltungsmanagement-System zurückgespielt. Dieser Datenaustausch birgt gewisse Gefahren des Datenverlustes, welche allerdings mit guter Qualitätssicherungsmaßnahmen eliminiert werden können. Für das EMS 2.0 wird ebenfalls das BIM(odell) ausgeliehen, um die Überwachung mit der erweiterten Realität zu unterstützen. Allfällige Tablet-Anwendungen müssen entsprechend angepasst werden. Dies ist allerdings als keine unüberwindbare Hürde anzusehen.
6.3 Detaillierte Untersuchung und OSA – Anwendungsfall 1a
Falls weitere tiefgreifende Untersuchungen erforderlich sind, wie z. B. eine objektspezifische Analyse (OSA) bei Ingenieurbauwerken oder eine Bohrkernuntersuchung beim Straßenoberbau, werden die Daten gegenwärtig manuell, und zwar in einem reduzierten Umfang, in das Erhaltungsmanagement-System eingepflegt. Diese Aktualisierung erfolgt im Punkt 1a im Bild 8. In der Regel besteht hierfür keine geeignete Datenstruktur im Erhaltungsmanagement-System, so dass nur ein PDF-Bericht abgelegt wird. Dies bedeutet, dass die gewonnenen Erkenntnisse aus den tiefgreifenden Untersuchungen im analytischen Werkzeug nicht oder nur marginal berücksichtigt werden.
Im EMS 2.0 erlaubt das vorhandene BIM(odell) die Verortung von Ergebnissen diverser Prüfungen an Ingenieurbauwerken oder Bohrkernuntersuchungen beim Straßenoberbau. Ferner können die Ergebnisse der Simulationen und Nachrechnungen, welche im Rahmen der OSA durchgeführt werden, zusammen mit den jeweiligen Finite-Elemente-Modellen abgelegt werden.
6.4 Erhaltungsplanung – Anwendungsfall 2
Wie bereits ausgeführt, wird ein analytisches Werkzeug zur Ermittlung von Maßnahmenvorschläge an erhaltungsbedürftigen Infrastrukturobjekten auf Basis von Zustandsdaten verwendet. In den meisten Erhaltungsmanagement-Systemen werden hierfür keine Daten ausgetauscht, da das analytische Werkzeug mit der Datenbank modulartig verknüpft wird. Mit der Ausnahme von Konfigurationsdaten, wie z. B. Zielzustand, Budget, maximale Länge der Baustelle, werden auch keine Daten zu Infrastrukturobjekten erfasst. Es gibt allerdings Verfahren, bei welchen externe, allenfalls proprietäre analytische Werkzeuge eingesetzt werden. In diesem Fall müssen die Inventar- und Zustandsdaten aus dem Erhaltungsmanagement-System exportiert und in die analytischen Werkzeuge importiert werden, worin sie verarbeitet werden. Die Ergebnisse werden entweder im analytischen Werkzeug direkt angezeigt oder in die Datenbank importiert. Dieser Import ist mit dem Punkt 2 im Bild 8 dargestellt und ist unproblematisch. Dies gilt auch für EMS 2.0 mit der Ausnahme, dass die Ergebnisse, das heißt die Handlungsoptionen im BIM(odell), als separater Layer visualisiert werden.
Es gilt zu beachten, dass in diesem Anwendungsfall keine Veränderung der realen Infrastruktur geschieht. Bei einigen Systemen werden die Ergebnisse der Erhaltungsplanung gar nicht abgespeichert, sondern lediglich tabellarisch mit Maßnahmenvorschlägen, oft auch Arbeitsprogramm, genannt, ausgegeben. Diese Arbeitsprogramme können in den meisten Fällen „on-the-fly“ berechnet werden. Falls die Ergebnisse diverser Erhaltungsplanungen aufbewahrt werden sollten, dann gelten die gleichen Regeln wie bei jeder Simulation. Dies bedeutet, dass die Ausgangsdaten inklusive die Konfigurationsdaten, welcher einer Simulation zu Grunde liegen, ebenfalls aufbewahrt werden müssen, um die Nachvollziehbarkeit sicherzustellen.
6.5 Durchgeführte Erhaltungsmaßnahmen – Anwendungsfall 3
In der Regel wird das im Anwendungsfall 2 erarbeitete Arbeitsprogramm iterativ verfeinert, ergänzt und bildet schließlich die Grundlage zur Projektierung von Erhaltungsmaßnahmen. Bei der Ausschreibung wird aus EMS 2.0 das BIM(odell) zusammen mit dem Layer mit den erhaltungsbedürftigen Abschnitten bzw. Bauwerken an das Planungsbüro zur weiteren Bearbeitung ausgeliehen. Die weiteren Möglichkeiten des Einsatzes des BIM(odells) bei der Ausschreibung von Maßnahmen sind in z. B. in (Weißbrod; Hein; Brungsberg, 2021) und (New Zealand; Goverrment Procurement, 2019) zu finden.
Nach der Projektierung werden die Maßnahmen durchgeführt. Dabei werden die betreffenden Infrastrukturobjekte in ihrem Zustand und dem Aufbau verändert und müssen im EMS 2.0 aktualisiert werden. Diese Aktualisierung ist mit dem Punkt 3 im Bild 8 dargestellt. Es gilt zu beachten, dass in Erhaltungsmanagement-Systemen in der Regel auch die Historie der Straßeninfrastruktur, d. h. sowohl der aktuelle Stand als auch die vergangenen Stände abgebildet werden. Diese historischen Daten erlauben eine kontinuierliche Verbesserung der Erhaltungsplanung in dem die Verfallsmodelle, die Auswahl der Maßnahmentypen und deren Kosten nachgeführt werden. Im Zusammenhang mit dem EMS 2.0 bedeutet dies, dass die Geometrie der abgebrochenen Objekte bzw. deren Teile als solche gekennzeichnet werden müssen. Diese müssen u. U. geteilt und die abgebrochenen Teile archiviert werden, das heißt in der Datenbank werden sie mit einem Zeitstempel mit Gültigkeitsende versehen. Die neu erstellten Objekte bzw. deren Teile erhalten hingegen einen Zeitstempel für den Gültigkeitsbeginn. Im Wesentlichen gelten die gleichen Regeln wie für alle temporalen Datenbanken.
Die zeitliche Entwicklung eines Objektes wird bereits heute durch ein BIM(odell) unterstützt werden, da die Bauphasen abgebildet werden können. Diese Funktionalität wird oft als BIM 4D bezeichnet und kann auch über die gesamte Lebensdauer ausgeweitet werden.
6.6 Technische Aspekte der Zusammenarbeit
Im Abschnitt 6.1 wurde darauf hingewiesen, dass die ganze Ontologie des EMS 2.0 in der Autorensoftware eingebettet werden muss. Bei einer standardisierten Ontologie, wie in Deutschland, ist dies durchaus ein gangbarer Weg. Es gilt jedoch auch hier zu beachten, dass eine Veränderung bzw. Erweiterung der Ontologie zwangsläufig die Anpassung der Autorensoftware mit sich ziehen wird.
Besteht hingegen keine standardisierte Ontologie und/oder maßgeschneiderte Autorensoftware müssen andere Lösungen gesucht werden. Im Rahmen von zwei Forschungsprojekten AMSFree (Stöckner; et al., 2022) und BIM4AMS (Hajdin, R.; et al., 2022) wurde eine Lösung für diese Problemstellung ausgearbeitet, welche folgende Randbedingungen erfüllt:
- Die bestehenden Erhaltungsmanagement-Systeme und damit verbundenen Prozesse sollen so wenig wie möglich verändert werden. Die Semantik und Ontologie der bestehenden Erhaltungsmanagement-Systeme bleiben somit unverändert.
- Die Abbildung der Infrastrukturobjekte und deren Einzelteile (oder Bauteile) im Erhaltungsmanagement-System wird durch die 3D-Geometrie angereichert. Die 3D-Geometrie muss so feingliedrig sein, dass sie den Einzelteilen zugewiesen werden kann.
- Es wird davon ausgegangen, dass die 3D-Geometrie in einem IFC-Format spezifiziert und ausgetauscht wird.
- Die Semantik und die Ontologie des Erhaltungsmanagement-Systems werden im IFC-Format nicht zwingend abgebildet.
Die in den Forschungsprojekten AMSFree (Stöckner; et al., 2022) und BIM4AMS (Hajdin R.; et al., 2022) erarbeitete Lösung umfasst die Verknüpfung und Überführung unterschiedlicher Datenquellen, -modelle oder -formate. Dies ist eine bekannte Herausforderung, die nicht allgemeingültig gelöst werden kann. Der Einsatz der Semantic Web Technology (SWT) bietet die Möglichkeit, Daten aus unterschiedlichen Datenquellen miteinander zu verknüpfen (Domingue, 2011). Um domänenspezifische, semantische Informationen zu beschreiben, in diesem Fall konkret aus dem Umfeld der Straßeninfrastruktur und dem Asset Management, können entsprechende auf Resource Description Framework (RDF) (Cyganiak; Wood; Lanthaler, 2014) und Web Ontology Language (OWL) basierende Ontologien entwickelt werden (Motik; Patel-Schneider; Parsia, 2012).
Der Information Container for linked Document Delivery (ICDD) nach ISO 21597-1 (ISO, 2020) bietet eine Umgebung für die Erfassung und Verlinkung von Daten aus unterschiedlichen Formaten. In diesem Informationscontainer können dateibasierte Dokumente, z. B. IFC-Modell, Excel-Tabelle, Fotos etc., und die Ontologie miteinander verknüpft werden. Der Austausch von komplexen Daten zwischen den Beteiligten wird somit mittels des ICDD erleichtert. Hierbei gilt es, die feingliedrigste Granularität der Asset-Management-Datenbank zu berücksichtigen, um BIM mit den unterschiedlichen Datenmodellen verknüpfen zu können. Zum Beispiel muss bei der Zerlegung einer Brücke in ihre Bauteile mit einer feinen Granularität, z. B. in die obere Platte, die untere Platte, die Stege und den Fahrbahnbelag anstelle eines ganzen Kastenträgers, die geometrische Darstellung dieser einzelnen Elemente in BIM aufgenommen werden (Isailović; Hajdin, 2022). Dieses Konzept wird für alle vier vorher erwähnten Anwendungsfälle in (Hajdin; Stöckner; König, 2022) näher beschrieben. Um die Umsetzbarkeit dieses Konzeptes nachzuweisen, wurde eine prototypische Plattform entwickelt, in welcher unterschiedliche Datenquellen verknüpft werden können. Diese Plattform ist in (Liu; König; Hajdin; Stöckner; Grossauer, 2021) detailliert beschrieben.
7 Schlussbemerkungen
Viele Straßeninfrastrukturbetreiber haben mit der Zeit eigene, proprietäre Erhaltungsmanagement-Systeme entwickelt, die inzwischen einen bedeutenden Datenbestand enthalten. Diese Daten unterliegen einer reichen Semantik und die in den Datenstrukturen abgebildete Ontologie erlaubt nutzbringende Auswertungen, welche die Entscheidungsfindung im Erhaltungsmanagement erheblich unterstützen. Diese umfangreiche Semantik kompensiert teilweise eine fehlende Visualisierung der Verkehrsinfrastruktur.
In diesem Artikel wurde beschrieben, welche Vorteile eine durchgehende Digitalisierung des Erhaltungsmanagements bringen würde. Durch das Wegfallen von Medienbrüchen steht eine viel größere Datenmenge als gegenwärtig der Fall ist für die Entscheidungsfindung zur Verfügung: Die Daten aus der Bauphase, aber auch jene aus der Überwachung, aus detaillierten Untersuchungen bzw. OSA sind auf Knopfdruck verfügbar. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Infrastrukturbetreiber nicht nur die Datenherrschaft übernehmen, sondern auch die Datenflüsse aktiv steuern. Schließlich gehören dem Eigentümer der Infrastruktur auch die zugehörigen Daten. Es ist deshalb unabdingbar, dass die Infrastrukturbetreiber klare Anforderungen an die BIM(odelle) stellen, welche ihnen nach dem Neubau, nach dem Abschluss von Erhaltungsmaßnahmen oder nach sonstigen Dienstleistungen zu übergeben sind.
Literaturverzeichnis
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