FGSV-Nr. FGSV 002/109
Ort Bergisch Gladbach
Datum 04.03.2015
Titel Umweltsensitives Verkehrsmanagement (UVM) – Mehr als eine temporäre Grüne Welle
Autoren Dr. rer. nat. Ingo Düring, Tilo Hoffmann, Prof. Dr.-Ing. Uwe Plank-Wiedenbeck, Dipl.-Ing. Thomas Kraus, Dr. Thomas Flassak
Kategorien Luftqualität
Einleitung

Der Verkehr – und dabei insbesondere der innerstädtische Kfz-Verkehr – spielt eine dominierende Rolle beim Auftreten von umweltrelevanten Problemen, wie z. B. der Belastung durch Lärm und Luftschadstoffe. Um die verbindlichen Grenzwerte der Immissionsbelastung einzuhalten, wurden und werden kommunale und regionale Luftreinhaltepläne (LRP) erstellt und darin Minderungsmaßnahmen festgelegt. Eine Zusammenstellung und Systematisierung von Minderungsmaßnahmen findet sich u. a. in der MARLIS-Datenbank der Bundesanstalt für Straßenwesen (siehe http://www.bast.de/DE/FB- V/Publikationen/Datensammlungen/MARLIS/MARLIS.html).

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1. Ausgangssituation

Der Verkehr – und dabei insbesondere der innerstädtische Kfz-Verkehr – spielt eine dominierende Rolle beim Auftreten von umweltrelevanten Problemen, wie z. B. der Belastung durch Lärm und Luftschadstoffe. Um die verbindlichen Grenzwerte der Immissionsbelastung einzuhalten, wurden und werden kommunale und regionale Luftreinhaltepläne (LRP) erstellt und darin Minderungsmaßnahmen festgelegt. Eine Zusammenstellung und Systematisierung von Minderungsmaßnahmen findet sich u. a. in der MARLIS-Datenbank der Bundesanstalt für Straßenwesen (siehe http://www.bast.de/DE/FB- V/Publikationen/Datensammlungen/MARLIS/MARLIS.html).

Sehr häufig in LRP aufgenommene straßenverkehrsbezogene Minderungsmaßnahmen sind:

· Änderung der Flottenzusammensetzung, z. B. verschiedene Arten von Fahrverboten, besonders Lkw-Durchfahrverbot oder Umweltzonen

· Verkehrsverlagerung und Verkehrslenkung zur (temporären) Reduzierung von Verkehrsmengen, z. B. Zuflussdosierung (Pförtnerung) oder Alternativroutensteuerung

· Verstetigung des Verkehrsflusses zur Vermeidung emissionsintensiver Fahrzustände, z. B. Veränderung des Grünbandes zu Lasten der Wartezeit/des Verkehrsflusses auf Querstraßen und ggf. in der Gegenrichtung

· Tempolimits

Zu unterscheiden sind statische und dynamische Maßnahmen. Als dynamische Maßnahme wird zur Senkung der Immissionsbelastungen an den Hot Spots vermehrt auf das umweltsensitive Verkehrsmanagement (UVM) gesetzt, um kurzfristige Eingriffe in den Verkehrsablauf zu ermöglichen. Hierzu werden im Folgenden technische Randbedingungen aufgezeigt sowie anhand von Beispielen deren Umsetzung diskutiert.

2.  Technische Randbedingungen für ein UVM

Ein UVM muss folgende Aufgaben erfüllen [1]:

· Erfassung und Darstellung der aktuellen Umweltsituation,

· Prognose der zu erwartenden Umweltsituation,

· Wirkungskontrolle, d.h. Überwachung der Auswirkungen der Managementmaßnahme,

· Datenarchivierung zur Evaluierung und als Datengrundlage für die Planung.

Für den Einsatz des UVM ist ein System erforderlich, das es erlaubt, die aktuelle und/oder zu erwartende Luftschadstoffbelastung zu bestimmen sowie die notwendigen Informationen für die Umsetzung von Steuerungsmaßnahmen bereitzustellen. Ein bereits vorhandenes dynamisches Verkehrsmanagement wird als UVM damit zu einem multikriteriellen Managementsystem erweitert (Abb. 1). Das UVM ist somit als Werkzeug zu verstehen, um verkehrssteuernde (Luftschadstoff und ggf. Lärm mindernde) Maßnahmen temporär nach Erfordernis zu schalten.

Solche Systeme sind sowohl im überregionalen Bereich für Bundesfernstraßen als auch in einigen Städten bzw. Ballungsräumen bereits in Betrieb.

Abb. 1: Funktionsschema eines Verkehrsmanagements mit integrierter umweltsensitiver Verkehrssteuerung

Ein vollständiges und weitgehend automatisiertes UVM besteht aus folgenden technischen Einrichtungen:

· Infrastruktur zur Bereitstellung der Onlinedaten,

· Verkehrsdetektoren zur Erfassung von Verkehrsstärken, Fahrzeugarten und Geschwindigkeiten bzw. der Verkehrsqualität,

· Meteorologische Messeinrichtungen (Wind, Temperatur, Globalstrahlung, Stabilität der Atmosphäre),

· repräsentative Luftschadstoffmessungen zur Ableitung der urbanen oder regionalen Vorbelastung

Infrastruktur zur Verkehrssteuerung und Verkehrsinformation

· Verkehrsrechner, Verkehrsmanagementzentralen,

· verkehrs- und umweltabhängig steuerbare LSA,

· Wechselbeschilderung, Wechselwegweisung,

· Kollektive und/oder individuelle mobile Verkehrsinformation.

Statische Daten:

· Geometrie der Randbebauung in den Hot Spots,

· georeferenziertes digitales Straßennetz mit Verkehrsmengen,

· Emissionskataster. Software:

· Verkehrs- und Umweltdatenmanagementsystem zur kontinuierlichen Analyse und Qualitätssicherung von Verkehrs-, Meteorologie- und Umweltdaten, zur Versorgung des Verkehrslagesystems und der Luftschadstoffmodelle sowie zur kontinuierlichen Wirkungsermittlung,

· Verkehrslagesystem zur flächendeckenden kontinuierlichen modellbasierten und detektorgestützten Verkehrslageanalyse und Verkehrslageprognose im gesamten Hauptstraßennetz (Verkehrsmodell, dynamisches Verkehrsumlegungsverfahren),

· Prognosedaten für die meteorologischen Eingangsdaten,

· Luftschadstoffmodelle zur Bestimmung der Vorbelastung und der Gesamtbelastung in den Hot Spots sowohl für den aktuellen Zustand wie für die notwendigen Prognosehorizonte,

· Schnittstellen zwischen dem Luftschadstoffmodell und dem Verkehrsmanagementsystem (bestehend aus den Teilsystemen: Verkehrsrechner, Verkehrs- und Umweltdatenmanagementsystem, Verkehrslagesystem).

Vereinfachte Systeme kommen auch mit einer geringeren technischen Ausstattung aus. Hier ist eine Abwägung zwischen der Komplexität der Maßnahme im Straßennetz, der notwendigen Genauigkeit bzw. dem gewünschten Detaillierungsgrad der Berechnungsergebnisse, dem notwendigen bzw. gewünschten Automatisierungsgrad der Maßnahmenaktivierung und den Kosten des Systems zu führen. Entscheidend ist auch die Frage, ob die Aktvierung von temporären Maßnahmen auf der Basis der aktuellen Belastungssituation in Kombination mit einer zu erwartenden weiteren zeitlichen Entwicklung oder aber auf der Basis prognostizierter Belastungen für die kommenden Stunden oder Tage erfolgen muss.

Als Umweltmodule für UVM stehen bereits verschiedene Systeme zur Verfügung ([1], [2]). Man kann dabei zwischen Emissions- und Ausbreitungsmodellen sowie statistischen Verfahren (z. B. multilineare Regression, neuronale Netzwerke) unterscheiden, wobei auch Kombinationen eingesetzt werden können.

Die Auswahl eines Systems erfordert eine Abwägung zwischen vorhandener Infrastruktur und Datenlage, Anforderung an die Prognosegenauigkeit und Kosten.

3. Beispiele

Bundesweit sind einige (wenige) Systeme im operationellen Betrieb bzw. im Aufbau. Eine Übersicht ist z. B. in [1] gegeben. Nachfolgende Tab. 1 charakterisiert vorhandene, in Betrieb befindliche UVM-Systeme nach betroffenem Straßenzug, gesteuerter Maßnahme sowie maßgebendem Luftschadstoff.

Wie diese Tab. 1 zeigt, werden innerhalb der UVM unterschiedliche verkehrliche Maßnahmen gesteuert, vom Tempolimit auf der A12 sowie einer innerörtlichen Hauptverkehrsstraße, über LKW-Umleitung bis hin zur Pförtnerung und „Grünen Wellen“. Ein UVM ist somit nicht allein auf die Verstetigung des Verkehrs zu reduzieren. Es ist eher als Werkzeug zu verstehen, um verkehrssteuernde Maßnahmen temporär nach Erfordernis zu schalten.

Nachfolgend soll das Prinzip und die Umsetzung eines UVM anhand eines vereinfachten Systems (UVM Lutherstadt Wittenberg) sowie anhand eines komplexen Systems (UVM Erfurt) erläutert werden.

3.1 UVM Lutherstadt Wittenberg

Zielstellung und Konzept

Wegen PM10-Tagesgrenzwertüberschreitungen beinhaltet der LRP Wittenberg als Minderungsmaßnahme u. a. eine verkehrslenkende Maßnahme (LKW-Umleitung Dessauer Straße, Ableitung des LKW-Verkehrs aus Richtung Westen in Fahrtrichtung Ost, siehe Abb. 2). Die kurzfristig zu ergreifende Maßnahme wird aktiviert, wenn das Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (LAU) der Lutherstadt Wittenberg und dem Landkreis Wittenberg eine bevorstehende Überschreitung des Tagesmittelwertes Partikel PM10 von 50 µg/m3 signalisiert. Die Maßnahme bleibt stets bis zur Deaktivierung durch das LAU aktiv.

Die Auslösung der Maßnahme erfolgt entsprechend der Prognoseergebnisse des Modellsystems ProFet/PROKASOnline des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt. ProFet/PROKASOnline prognostiziert den zu erwartenden PM10-Tagesmittelwert für den nächsten Tag und erstellt eine Trendprognose für die folgenden fünf Tage.

Technische Umsetzung

Technische Voraussetzungen für dieses UVM sind:

· Umweltmodul: ProFet/PROKASOnline Umweltrelevante Voraussetzungen:

· Meteorologische Messdaten (Windrichtung, Windgeschwindigkeit, Temperaturprofil, Globalstrahlung, Luftdruck, Niederschlagsmenge) aus Landesüberwachungssystem (LÜSA),

· meteorologische Prognosedaten (Windrichtung, Windgeschwindigkeit, Niederschlagsmenge, Inversion, Bewölkung) des DWD,

· Immissionsmessdaten (Hintergrundbelastungen und Verkehrsstation) aus LÜSA,

· Verkehrszählung (Kfz, SV) für Dessauer Straße.

Die Maßnahme wird bei Prognose einer Tagesgrenzwertüberschreitung manuell geschaltet (Verkehrszeichen LKW-Durchfahrverbot = Klapptafel).

Minderungspotenziale und Schlussfolgerungen

Entsprechend [3] konnten folgende Minderungen nachgewiesen werden:

· PM10: max. 1 bis 2 µg/m³ im Tagesmittelwert bzw. -3 Überschreitungstage in Episode über 14 Tage,

· NOx: nicht untersucht.

Die gewählte (vereinfachte) technische Lösung ist praktikabel und hat sich im operationellen Betrieb bewährt. Die Aktivierungsraten der LKW-Umleitung variierten im Zeitraum 2007 bis 2013 zwischen 12 Tagen (2012) und 66 Tagen (2011) pro Jahr.

Die aktuelle Fortschreibung des Luftreinhalteplanes enthält diese Maßnahme nunmehr auch für die Gegenrichtung, um das Minderungspotenzial zu erhöhen.

Tab. 1: Beispiele für in Betrieb befindliche UVM-Systeme nach betroffenem Straßenzug, gesteuerter Maßnahme sowie maßgebendem Luftschadstoff

Abb. 2: Beispiel UVM Lutherstadt Wittenberg. Quellen: Entwurf Luftreinhalteplan 2013 für die Lutherstadt Wittenberg /DTK50 © GeoBasis-DE / LVermGeo LSA, [12/2012 / 010312]

3.2  Beispiel UVM Erfurt

Zielstellung und Konzept

Die Landeshauptstadt Erfurt verfolgt das Ziel, mit intelligenten Maßnahmen des Verkehrsmanagements und gezielten Eingriffen in die Verkehrssteuerung einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der verkehrsbedingten Emissionen und damit der Gesamtimmissionsbelastung durch Stickstoffdioxid und Feinstaub zu leisten. Der hier verfolgte prozessorientierte Gesamtansatz eines integrierten Verkehrs- und Umweltmanagements beinhaltet folgende Maßnahmenschwerpunkte:

· Verstetigung des Verkehrsflusses zur Vermeidung emissionsintensiver Fahrzustände

· Verkehrsverlagerung und -lenkung zur Reduzierung von Verkehrsbelastungen

· Erweiterung der P+R-Möglichkeiten und Erhöhung der Attraktivität des P+R-Angebotes

· Bereitstellung von kollektiven und individuellen Verkehrsinformationen. Er erfordert neben der Umsetzung der Maßnahmen zur Verkehrssteuerung auch den Aufbau neuer bzw. die Erweiterung vorhandener Systemkomponenten des Verkehrsmanagements für die Zwecke:

· Monitoring und Analyse von Meteorologie-, Umwelt- und Verkehrsdaten,

· Strategiemanagement zur kontinuierlichen umweltsensitiven Verkehrssteuerung,

· kontinuierliche Wirkungsermittlung der umgesetzten Maßnahmen.

Für die ganzheitliche Umsetzung eines umweltorientierten Verkehrsmanagements in Erfurt wurden hierfür Systemkonzept und Maßnahmenpaket entwickelt, das im Produktivbetrieb einen flexiblen dynamischen Einsatz ermöglicht, da die implementierten Steuerungsstrategien, je nach aktueller Verkehrs- und Umweltsituation, räumlich und insbesondere auch zeitlich differenziert eingesetzt werden können.

Zur Prüfung der Realisierbarkeit dieses Ansatzes und zur Abschätzung der mit Maßnahmen des umweltorientierten Verkehrsmanagements erzielbaren verkehrlichen und umweltseitigen Wirkungen wurden im Zeitraum 2011-2014 zwei Pilotmaßnahmen geplant, umgesetzt und wissenschaftlich evaluiert. Die Wirkungsermittlung bezogen auf verkehrliche, emissionsseitige und immissionsseitige Aspekte erfolgt im Vergleich jeweils zweier implementierter Steuerungsstrategien. Dazu wurden umfangreiche Daten aus den Bereichen Verkehr, Meteorologie und Umwelt analysiert.

Pilotmaßnahme I: Talstraße/Bergstraße

Der untersuchte Straßenzug hat eine Länge von 770 Metern und ist Teil des nördlichen Stadtringes. Er verläuft vom Knotenpunkt Magdeburger Allee/Stauffenbergallee (Talknoten) in westlicher Richtung über Talstraße und Bergstraße bis zum Knotenpunkt Nordhäuser Straße/Bergstraße. Es handelt sich um einen Querschnitt mit zwei Fahrstreifen (Einbahnstraße). Das durchschnittlich tägliche Verkehrsaufkommen liegt Montag bis Freitag bei 13 300 Kfz/d. Am Ende des Straßenzuges wird mit der Nordhäuser Straße eine stark befahrene Hauptradialstraße gekreuzt. In deren Achse verlaufen zwei Stadtbahnlinien jeweils im 10-min-Takt mit weitreichender ÖPNV-Priorisierung und damit maßgeblichem Einfluss auf den Verkehrsablauf in der Bergstraße. Zudem weist die Bergstraße in diesem Bereich eine Längsneigung von +3 % auf. Wegen der ungünstigen Belüftungssituation, u. a. durch die 4-geschossige Reihenhausbebauung, ist dieser Abschnitt hinsichtlich der Immissionssituation problematisch.

Abb. 3: Beispiel UVM Erfurt – Pilotmaßnahme I – Systemkomponenten

Im Fokus der Pilotmaßnahme stand die Thematik Verstetigung des Verkehrsablaufes („grüne Welle“) durch Optimierung der LSA-Steuerung. Es wurden verschiedene Steuerungsstrategien am Knotenpunkt Talstraße/Auenstraße (Lage am Beginn der Bergstraße) implementiert und hinsichtlich ihres Wirkungspotenziales untersucht:

· Strategie S0: Ohne Koordinierung

· Strategie S1: Grundkoordinierung (ohne Berücksichtigung ÖPNV-Priorisierung)

· Strategie S2: Optimierte Koordinierung (mit Berücksichtigung ÖPNV-Priorisierung).

Die Datenbasis für die Wirkungsermittlung umfasste Verkehrsdaten (Verkehrsstärke, Belegungsgrad und z. T. Geschwindigkeit) als 1-min-Werte an 6 Messquerschnitten sowie Umweltdaten (Stickstoffdioxid, Feinstaub) als 60-min-Werte an 2 Messquerschnitten über die gesamte Laufzeit der Pilotmaßnahme von 03/2012 bis 02/2013. Darüber hinaus erfolgte eine Auswertung meteorologischer Daten, eine Beobachtung des Verkehrsablaufes, eine Erhebung zur Fahrzeugflotte sowie Messfahrten zur Erfassung von Floating-Car-Daten.

Folgende Ergebnisse sind festzustellen: Im Bereich der Bergstraße bestand bereits vor Beginn der Pilotmaßnahme I eine steuerungsseitig vergleichsweise gute Ausgangssituation (Strategie S1). Insofern waren die Optimierungsmöglichkeiten der Verkehrssteuerung begrenzt. Dennoch konnte durch Optimierung der Signalsteuerung der zeitliche Anteil des flüssigen Verkehrs um etwa 11 % (von 84 % auf 95 %) gesteigert werden. Die erzielbaren Reduktionspotenziale der Immissionen liegen bezogen auf den Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid bei 0.9 bis 1.5 µg/m³ und für Feinstaub bei 1 bis 2 µg/m³. Zudem kann eine Reduktion der Überschreitungshäufigkeit des Tagesmittelwertes der FeinstaubImmissionen um 2 Tage erzielt werden. Ein negativer Einfluss der optimierten Verkehrssteuerung in der Bergstraße auf die Immissionssituation im vorgelagerten Bereich Talstraße durch das erhöhte Rückstaurisiko war nicht festzustellen.

Aufgrund des Erfolges der Pilotmaßnahme wurde die Strategie S2 (Optimierte Koordinierung) direkt in den Produktivbetrieb übernommen.

Pilotmaßnahme II: Leipziger Straße

Dieser untersuchte Straßenzug hat eine Länge von 3 410 Metern und stellt eine der 10 Hauptradialen zwischen dem Erfurter Schnellstraßenring (hier Ostumfahrung B7) und dem Stadtzentrum dar. Er verläuft vom Knotenpunkt Leipziger Straße/Walter-Gropius-Straße in westlicher Richtung bis zum Knotenpunkt Leipziger Straße/Stauffenbergallee (Stadtring). Es handelt sich um einen Querschnitt mit zwei Fahrstreifen und Stadtbahn auf separatem Bahnkörper in Mittellage. Das durchschnittlich tägliche Verkehrsaufkommen liegt Montag bis Freitag bei 17 000 Kfz/d (beide Fahrtrichtungen). Der in stadteinwärtiger Fahrtrichtung letzte 960 Meter lange Abschnitt vor dem Stadtring stellt wegen der Bebauungs- und Belüftungssituation einen umweltsensiblen Bereich dar, der in der Ausgangssituation in der Morgenspitze durch zähfließenden Verkehr gekennzeichnet ist.

Abb. 4: Beispiel UVM Erfurt – Pilotmaßnahme II – Systemkomponenten

Im Fokus der Pilotmaßnahme stand neben der Verstetigung des Verkehrsablaufes insbesondere die Thematik Verkehrsverlagerung und Verkehrslenkung. Kernstück ist eine sogenannte Zuflussdosierung am Knotenpunkt Leipziger Straße/Am Alten Nordhäuser Bahnhof in stadteinwärtiger Fahrtrichtung vor dem umweltsensiblen Abschnitt. Hierbei kann nur so viel Verkehr in den kritischen Streckenabschnitt einfahren, wie umweltverträglich und im Regelfall ohne Behinderungen bis zur Stauffenbergallee abgewickelt werden kann. Der sich als Konsequenz in Spitzenzeiten aufbauende Rückstau vor dem Dosierungsquerschnitt verlagert den Verkehr stromaufwärts in unkritische, da weniger bewohnte und besser durchlüftete Streckenabschnitte. Die jeweils in der zu untersuchenden Morgenspitze (Mo-Fr) von 6:30 bis 8:30 Uhr aktivierte Zuflussdosierung ist so parametriert, dass sich eine Reduzierung der Verkehrsstärke um etwa 20 % auf 480 Kfz/h einstellt. Parallel dazu erfolgt eine kontinuierliche Überwachung des Stauraumes, so dass in Abhängigkeit von der Staulänge die Reduzierung der Freigabezeiten vermindert bzw. aufgehoben wird. Folgende Steuerungsstrategien wurden implementiert und hinsichtlich ihres Wirkungspotenziales untersucht:

· Strategie S0: ohne Zuflussdosierung

· Strategie S1: mit Zuflussdosierung.

Die Datenbasis für die Wirkungsermittlung umfasste Verkehrsdaten (Verkehrsstärke, Belegungsgrad und z. T. Geschwindigkeit) als 1-min-Werte an 11 Messquerschnitten über die gesamte Laufzeit der Pilotmaßnahme von 08/2013 bis 07/2014 sowie Umweltdaten (Stickstoffdioxid) hauptsächlich als 5-min-Werte an 4 Messquerschnitten (verteilt über den gesamten Straßenzug) von 12/2013 bis 07/2014. Darüber hinaus erfolgte eine Auswertung meteorologischer Daten, eine Beobachtung des Verkehrsablaufes, eine Erhebung zur Fahrzeugflotte sowie mehr als 200 Messfahrten zur Erfassung von Floating-Car-Daten (Geschwindigkeitsverlauf und Kraftstoffverbrauch).

Zur Erfassung der Stickstoffdioxid-Konzentrationen kamen aktive Gassensormodule, basierend auf einer patentierten Halbleitergassensortechnologie zum Einsatz. Deren Referenzierung und Validierung erfolgte mit bewährten Chemolumineszenzdetektoren an den verfügbaren Messstationen der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie.

Folgende Ergebnisse sind bezogen auf das untersuchte Zeitintervall 6:30 bis 8:30 Uhr festzustellen: Durch die Aktivierung der dynamischen Zuflussdosierung konnte der zeitliche Anteil des flüssigen Verkehrs im umweltsensiblen Bereich deutlich um etwa 48 % (von 10 % auf 58 %) gesteigert werden. Gleichzeitig reduzierte sich erwartungsgemäß dessen Anteil im Zulauf auf den Dosierungsquerschnitt moderat um etwa 12 % (von 43 % auf 31 %). Die dadurch erzielte deutliche Reduktion der verkehrsbedingten Emissionen liegt im umweltsensiblen Abschnitt bezogen auf Stickstoffdioxid und Feinstaub im Bereich von 22 bis 26 %. Auch in der Gesamtbilanz des untersuchten Straßenzuges wurde eine Reduktion der verkehrsbedingten Emissionen bezogen auf Stickstoffdioxid, Feinstaub und Kohlendioxid im Bereich 5 bis 6 % erzielt.

Fazit und Ausblick

Die Realisierung des Ansatzes eines umweltorientierten Verkehrsmanagements war erfolgreich und hat sich als zielführend und nachhaltig erwiesen. Mit den aus den beiden Pilotvorhaben in Erfurt gewonnenen positiven Erfahrungen wurden die Voraussetzungen geschaffen, diesen Ansatz nunmehr – basierend auf einem kontinuierlichen Monitoring von Verkehrs-, Umwelt- und Meteorologiedaten – in den Jahren 2015-2018 gesamtstädtisch – d. h. unter Einbeziehung des gesamten Hauptstraßennetzes innerhalb des Erfurter Schnellstraßenringes – umzusetzen.

4. Schlussfolgerungen

Aus dem Betrieb der derzeit im operationellen Betrieb befindlichen Systeme ergeben sich u. a. folgende Schlussfolgerungen:

· Ein UVM ist nicht allein auf die Verstetigung des Verkehrs („Grüne Welle“) zu reduzieren. Es ist eher als Werkzeug zu verstehen, um verkehrsplanerische (Luftschadstoff und ggf. Lärm mindernde) Maßnahmen temporär nach Erfordernis zu schalten. Solche Maßnahmen können neben der o. g. Verflüssigung des Verkehrs auch sein

o   Änderung der Flottenzusammensetzung, z. B. verschiedene Arten von Fahrverboten, besonders LKW-Durchfahrverbot,

o   Verkehrsverlagerung und Verkehrslenkung zur Reduzierung von Verkehrsmengen, z. B. Zuflussdosierung (Pförtnerung) oder Alternativroutensteuerung sowie

o   Tempolimits.

· Die Aktivierungsraten können ganz unterschiedlich sein und hängen von der konkreten Maßnahme und von der maßgeblichen Luftschadstoffkomponente ab. Für Maßnahmen im Fokus des PM10-Tagesgrenzwertes wird die Aktivierung nur an wenigen Tagen des Jahres notwendig sein. Für Maßnahmen im Fokus des NO2-Jahresmittelwertes sind die Aktivierungsraten deutlich höher.

· Die Komplexität eines UVM wird ebenfalls von der/den hinterlegten konkreten Maßnahme(n) und von der maßgeblichen Luftschadstoffkomponente bestimmt. Hier ist eine sorgfältige Abwägung zwischen Kosten und Nutzen durchzuführen (siehe dazu auch Abschnitt 5).

5. Forschungsbedarf

UVM ist meist lokal begrenzt und kann wie erläutert statisch oder dynamisch ausgelegt sein. Eine statische Lösung hat den Vorteil der gegenüber dynamischen Systemen vermuteten höheren Wirksamkeit in den entlasteten sensiblen Bereichen, jedoch den Nachteil einer insgesamt ungünstigeren Gesamtbilanz. Dynamische Lösungen haben den Charme, dass sie Eingriffe in das Verkehrsgeschehen erst dann vornehmen, wenn es aus Luftschadstoffsicht erforderlich und sinnvoll ist. Dabei muss mit einer geeigneten Ausgestaltung und Überwachung eines UVM versucht werden, eine hohe Akzeptanz bei Verkehrsteilnehmern sowohl im statischen wie auch im dynamischen Fall zu erreichen. Hier fehlen entsprechende systematische Untersuchungen.

Ein dynamisches UVM ist wegen der notwendigen Investitionen und Betriebskosten in Abhängigkeit von der bereits vorhandenen Infrastruktur in der Regel aufwändiger als ein rein statisches System. Dabei kommt den Schnittstellen zum Verkehrsmanagement (VM) und der Abstimmung von UVM- und VM-Strategien eine wichtige Rolle zu, sei es bei Ortsdurchfahrten in Bundesbaulast oder Autobahnen (hier sind wahrscheinlich eher einfache UVM zielführend) oder bei Bundesstraßen in städtischer Baulast, z. B. in Ballungsräumen und Großstädten, zur Sicherung der Netzfunktion der Fernstraßen (hier sind wahrscheinlich eher aufwändigere UVM zielführend).

Auch hier fehlen bisher entsprechende Untersuchungen, in welcher Weise finanzieller Aufwand und Wirksamkeit des UVM in Verbindung mit VM in Beziehung stehen und ob es je nach Randbedingung (z. B. Lage der Straße, Zielkriterium und verkehrlicher(n) Maßnahme(n)) ein Optimum der Auslegung des UVM gibt? Dabei sollte auch der Einfluss des UVM auf die Lärmimmissionen, die CO2-Emissionen bzw. den Kraftstoffverbrauch sowie weitergehende Wirkungen auf den Verkehrsablauf und die Verkehrssicherheit mit behandelt werden.

Es sollte auch systematisiert werden, wie wirksam bisher realisierte UVM-Systeme sind, welche Komponenten in den eingesetzten Systemen zur räumlichen und zeitlichen Vorhersage von Luftschadstoffkonzentrationen verwendet werden, welche Synergien aus einer Kopplung von VM mit UVM resultieren können und inwieweit sich einfache Lösungen ohne wesentliche Einbußen an eine Anwendbarkeit und Wirksamkeit definieren lassen.

6. Literatur

[1] Diegmann, V. 2013: Potentiale des Umweltorientierten Verkehrsmanagements - eine Übersicht. In: BASt; FGSV (Hrsg.): Luftqualität an Straßen 2013. Tagungsband. Kolloquium der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), 20.-21.3.2013 in Bergisch Gladbach. 2013.

[2] Düring, I.; Hoffmann, T. u. a (2014): Luftschadstoffprognosemodelle als Umweltmodule für umweltorientiertes Verkehrsmanagement. In Tagungsband zur HEUREKA ´14 -Optimierung in Verkehr und Transport am 2./3. April 2014 in Stuttgart. FGSV-Verlag. ISBN 978-3-86446-074-6.

[3] Albrecht, W.; Zimmermann, U. u. a. 2012: Maßnahmen zur Luftreinhalteplanung in Sachsen-Anhalt, Vortrag auf dem Statusseminar Luftqualität Sachsen, Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Dresden 2012.

[4] BUW, pwp (2013): Schlussbericht Umweltsensitive Verkehrssteuerung Erfurt (UVE) UVE-Pilotmaßnahme Bergstraße/Talstraße Erfurt. Bauhaus-Universität Weimar, Professur Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, pwp-systems GmbH im Auftrag vom Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Verkehr Thüringen. April 2013.

[4] Brannolte, U.; Kraus, Th.; Kreher, N.; Plank-Wiedenbeck, U.: Umweltsensitive Verkehrssteuerung Erfurt. UVE-Pilotmaßnahme Bergstraße Erfurt. Schlussbericht, Bauhaus-Universität Weimar, pwp-systems GmbH, 04/2013.

[5] Brannolte, U.; Kraus, Th.; Harder, R.; Plank-Wiedenbeck, U.: Umweltsensitive Verkehrssteuerung Erfurt. UVE-Pilotmaßnahme Leipziger Straße Erfurt. Schlussbericht, Bauhaus-Universität Weimar, pwp-systems GmbH, 09/2014.

[6] Erfurt, pwp: Umweltsensitive Verkehrssteuerung Erfurt (UVE). UVE-Gesamtkonzept (Fortschreibung). Landeshauptstadt Erfurt, Tiefbau- und Verkehrsamt in Zusammenarbeit mit pwp-systems GmbH, 12/2014.

[7] Potsdam 2012: http://www.potsdam.de/cms/bilder/40682/80/0/0/9217f0cf/Massnahmen_Zeppelinstr_BreiteStr_LangeBruecke_HMA_web.jpg

[8] http://www.landtagsklub.tirol.spoe.at/mediaarchiv//shared/Dokumente/10 0_Tage_VBA_Umwelt_Tirol.pdf