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1 Einleitung
Während in den letzten zehn Jahren die Unfälle mit Personenschäden insgesamt zurückgegangen sind, stagnieren die Radverkehrsunfälle mit Personenschäden seit Jahren auf gleichem Niveau bzw. sind sogar leicht angestiegen. Besonders betroffen hiervon sind ältere Personen, mehr als die Hälfte der getöteten Fahrradfahrer im Jahr 2011 waren 65 Jahre oder älter. Radfahrer waren, sind und bleiben als Verkehrsteilnehmer stark gefährdet. Jeder Dritte bei Radunfällen Getötete oder Schwerverletzte ist jedoch auf einen Alleinunfall zurückzuführen, das heißt auf einen Unfall ohne Mitwirkung anderer Verkehrsteilnehmer. Radfahrer werden also nicht nur durch den Kraftfahrzeugverkehr oder andere Radfahrer und Fußgänger gefährdet, sondern stürzen auch aus anderen Gründen.
Auch wenn die polizeiliche Unfallstatistik die vollständigste und beste Datenbasis ist, die in Deutschland flächendeckend zur Verfügung steht, zeigt sie in der Regel nur einen geringen Anteil der tatsächlichen Radverkehrsunfälle. Bild 1: Entwicklung der Radverkehrsunfälle (Datenbasis: Statistisches Bundesamt)
Aus einer Studie, die die Unfallforschung der Versicherer (UDV) gemeinsam mit der Universitätsklinik und der Polizei in Münster durchgeführt hat, geht hervor, dass nur etwa jeder dritte in einem Krankenhaus behandelte Fahrradfahrer auch bei einem polizeilich erfassten Unfall verletzt wurde. Da bei vielen Radverkehrsunfällen die Radfahrer entweder nur leicht oder gar nicht verletzt werden, dürfte die tatsächliche Dunkelziffer der Radverkehrsunfälle demnach noch weitaus größer sein.
2 Mehr Radverkehr und mehr Unfälle
Ein wachsendes Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung, steigende Mobilitätskosten und die gezielte Förderung der Nahmobilität auf vielen Ebenen werden zu mehr Radverkehr in unseren Städten führen. Die zunehmende Verbreitung von elektronisch unterstützten Fahrrädern (Pedelecs) wird zudem zu steigenden Fahrleistungen und höheren Durchschnittsgeschwindigkeiten im Radverkehr führen. Und durch den demografischen Wandel werden immer mehr ältere Personen am Verkehrsgeschehen teilnehmen, auch als Radfahrer. Diese Trends werden Folgen haben für die Verkehrssicherheit:
- steigende Anteile des Radverkehrs, höhere Fahrleistungen und höhere Geschwindigkeiten beim Radverkehr führen zu mehr Unfällen,
- die Anzahl der Konflikte und Unfälle zwischen Radfahrern untereinander und zwischen Radfahrern und Fußgängern sowie motorisiertem Verkehr wird zunehmen,
- die Anzahl nicht polizeilich registrierter Unfälle (z. B. Alleinunfälle oder Unfälle zwischen Fahrradfahrern) wird ansteigen,
- besonders Ältere werden zunehmend als Fußgänger und Radfahrer schwer verletzt oder getötet werden.
Die Hauptunfallursachen bei Radverkehrsunfällen sind bekannt. Bei Unfällen, die Kraftfahrer verursachen, sind es überwiegend die typischen Kreuzungsunfälle wie Fehler beim Abbiegen und das Nichtbeachten der Vorfahrt. Die häufigsten Ursachen für Unfälle, die Fahrradfahrer verursachen sind die Benutzung von Gehwegen oder das Fahren in der falschen Richtung.
Auch die Gefährdungsbereiche für den Radverkehr sind bekannt. Es sind in erster Linie die Kreuzungen und Einmündungen mit und ohne Lichtsignalanlagen, und es ist eine für höhere Radverkehrsstärken und schnelleren Radverkehr unzureichende Radverkehrsinfrastruktur. Aber auch das Verhalten aller Verkehrsteilnehmer stellt eine Gefährdung für den Radverkehr dar. Regelmissachtungen, Unaufmerksamkeit und fehlende Rücksichtnahme führen immer wieder zu schweren Unfällen.
3 Regelwerk der FGSV
Zur Verbesserung der Situation und der Verkehrssicherheit des Radverkehrs werden von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) aktuelle Regelwerke erstellt.
Wie eine komfortable und vor allem sichere Infrastruktur für den Radverkehr angelegt werden kann, wird in den „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA, 2010) beschrieben. Die ERA enthalten Hinweise von der Erstellung von Radverkehrskonzepten über die richtige Radverkehrsführung an Strecken und Knotenpunkten, bis hin zu Bau und Betrieb von Radverkehrsanlagen. Bei der sicheren Führung des Radverkehrs legen die ERA insbesondere Wert auf gute Sichtbeziehungen zwischen Kraftfahrzeugen und Radverkehr. Darüber hinaus enthalten die ERA Mindestanforderungen für die Dimensionierung von Radverkehrsanlagen.
Diese Mindestanforderungen sollten grundsätzlich eingehalten werden. Bei Bedarf, z. B. bei besonders hohen Radverkehrsstärken, sollte die Dimensionierung entsprechend angepasst werden. Die ERA 2010 sind inzwischen in fünf Bundesländern eingeführt, in Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Baden-Württemberg.
Bild 2: Bedarfsgerechte Dimensionierung (Kopenhagen) Die „Hinweise zum Fahrradparken“ der FGSV enthalten neben Orientierungswerten für den Bedarf an Fahrradabstellplätzen bei unterschiedlichen Gebäudenutzungen viele wichtige Hinweise zur Planung, dem Entwurf und der Ausführungsform von Fahrradabstellanlagen. Darüber hinaus werden auch rechtliche Aspekte angesprochen sowie Hinweise zur Finanzierung von Abstellanlagen im öffentlichen Straßenraum gegeben.
Das in der Überarbeitung befindliche „Merkblatt zur wegweisenden Beschilderung für den Radverkehr“ gibt Hinweise zu den Grundsätzen der Radverkehrswegweisung, zum Wegweisungsnetz und der Zielauswahl. Es beschreibt die Elemente der Radverkehrswegweisung, deren Inhalte und Ausführung und gibt Hilfestellung bei Planung und Realisierung der Wegweisungssysteme sowie bei der Unterhaltung des Wegweisungsnetzes.
Die überarbeitete Fassung des „Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen“ (HBS) wird künftig ein eigenes Kapitel zur Bemessung von Radverkehrsanlagen enthalten.
Innerhalb des Arbeitsausschusses 2.5 „Anlagen des Fußgänger- und Radverkehrs“ werden Arbeitspapiere erarbeitet, die sich mit Radschnellwegen und Radverkehr auf gemeinsamen Flächen mit Fußgängern befassen.
4 Forschungen der BASt und der UDV
Neben den Regelwerken der FGSV befasst sich eine Vielzahl von Forschungen bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und der UDV damit, wie die Sicherheit im Radverkehr verbessert werden kann.
Ob und wie Radverkehr an innerörtlichen Kreisverkehren sicher geführt werden kann war Bestandteil einer Forschung, die das Büro Brilon Bondzio Weiser Ingenieurgesellschaft für Verkehrswesen mbH im Auftrag der UDV durchgeführt hat. Hauptbestandteil der Forschung war die detaillierte Analyse von 100 kleinen Kreisverkehrsplätzen, die weitgehend nach dem „Merkblatt für die Anlage von Kreisverkehren“ (FGSV, 2006) gestaltet waren. Darüber hinaus wurden an zehn ausgesuchten Kreisverkehren Verhaltensbeobachtungen mittels Videoanalysen durchgeführt und das gesamte Unfallgeschehen über sechs Jahre an Kreisverkehren in Nordrhein-Westfalen analysiert. Fazit dieser Studie ist, dass die nach dem Merkblatt gestalteten Kreisverkehre relativ sicher sind. Auch wenn ein Sicherheitsgewinn gegenüber signalisierten Knotenpunkten und unsignalisierten Kreuzungen erreicht werden kann, profitiert der Radverkehr in der Regel am wenigsten davon. Nur wenn er entweder im Mischverkehr auf der Kreisfahrbahn mitgeführt wird oder bei umlaufenden Radwegen an den Zu- und Einfahrten zum Kreisverkehr verkehrsrechtlich untergeordnet wird, wird die Sicherheit auch für den Rad verkehr verbessert. Als generell wichtig für die Sicherheit an innerörtlichen kleinen Kreisverkehren hat sich gezeigt, dass unbedingt das Ablenkmaß eingehalten werden muss und dass markierte Innenringe aus Sicherheitsgründen abzulehnen sind.
Weitere Untersuchungen der UDV befassen sich derzeit mit der Sicherheit von Knotenpunkten für schwächere Verkehrsteilnehmer (insbesondere Kinder, ältere und mobilitätseingeschränkte Personen) und mit den Abbiegeunfällen zwischen Kraftfahrzeugen und Radfahrern. Diese Untersuchung ist eng verzahnt mit einer Untersuchung zum Toten Winkel, die derzeit von der BASt betreut wird.
Bei der BASt wird derzeit auch untersucht, wie der Radverkehr im Mischverkehr sicher geführt werden kann. Ebenso ist die Verbesserung der Sicherheit bei Radwegen, die in Gegenrichtung befahren werden dürfen, zurzeit ein Forschungsthema bei der BASt. Weitere Forschungsfelder sind hier die Sicherheitskenngrößen für den Radverkehr oder die Praxisfragen bei der Radwegebenutzungspflicht.
Die Sicherheit von Pedelecs wird derzeit sowohl bei der BASt als auch bei der UDV mit zwei unterschiedlichen Projekten untersucht. Zudem untersucht die UDV wegen des zu erwartenden zunehmenden Radverkehrs, älter werdender Radfahrer und schneller werdender Radfahrer, ob die heutige Führungsform des Radverkehrs in unseren Städten auf Dauer zukunftsfähig ist oder ob über ganz neue Führungsformen nachgedacht werden muss.
5 Verkehrssicherheitsarbeit
Wesentlich für die Sicherheit des Radverkehrs ist eine konsequente und gezielte Verkehrssicherheitsarbeit, bei der die Unfallhäufungsstellen und Unfallhäufungslinien ermittelt werden und das Verkehrsverhalten sowohl von Radfahrern als auch von anderen Verkehrsteilnehmern entsprechend beobachtet wird. Es müssen geeignete Maßnahmen durchgeführt werden, um das Unfallgeschehen im Radverkehr zu reduzieren, diese Maßnahmen sind zu evaluieren. Für die Verkehrssicherheitsarbeit hat die FGSV im Jahr 2012 das Merkblatt zur Örtlichen Unfalluntersuchung in Unfallkommissionen (M Uko) herausgegeben, das aktuelle und praxisnahe Hinweise enthält, wie Unfallhäufungsstellen erkannt werden können. Nicht alle Unfälle sind jedoch durch eine verbesserte Infrastruktur in den Griff zu bekommen. Auch das Verkehrsverhalten aller Verkehrsteilnehmer muss sich ändern. Im Mittelpunkt sollte § 1 der StVO stehen, denn gegenseitige Rücksichtnahme führt zu mehr Verkehrssicherheit. Bild 3: Rücksicht-Kampagne (www.rücksicht-im-strassenverkehr.de) |