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1 Einführung
Maßgeblich bestimmt durch EU-rechtliche Anforderungen und die Finanzknappheit öffentlicher Haushalte ist von einer weiter fortschreitenden Liberalisierung des Nahverkehrsmarktes in Deutschland auszugehen. Kennzeichen dieser Liberalisierung sind Reformen der Organisations- und Finanzierungsstrukturen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) durch die Trennung von Besteller- und Erstellerfunktion und durch die Bündelung der öffentlichen Finanzmittel beim Besteller. Daraus ergibt sich eine zunehmende Anzahl von Ausschreibungen von Nahverkehrsleistungen mit anschließendem Abschluss von Verkehrsverträgen. Daneben gibt es übergangsweise oder dauerhaft die Möglichkeit der Direktvergabe an ein kommunales, eigenes Unternehmen. Die Gestaltung dieser neuen Vertragsbeziehungen obliegt den Aufgabenträgern in ihrer Funktion als Besteller des ÖPNV.
Hierbei wird intensiv und häufig kontrovers über ÖPNV-Qualität diskutiert. Zum einen wird erwartet, dass der ÖPNV durch die neuen Strukturen sowohl effizienter als auch qualitativ besser wird. Andererseits gibt es aber auch Befürchtungen, dass die Strukturveränderungen die vielerorts schon hohe Qualität des ÖPNV beeinträchtigen. So besteht die Gefahr, dass die verantwortlichen Besteller künftig überkommene Qualitätsstandards nicht explizit vorschreiben bzw. deren Erfüllung überwachen, da sie dies für „Luxus“ erachten bzw. ihnen die finanziellen und personellen Mittel für eine Kontrolle fehlen. Auch ist zu befürchten, dass die Qualitätssteuerung über die Kundenbeziehung verloren geht, wenn die beauftragten Verkehrsunternehmen vielfach kein Erlösrisiko und damit keine Verantwortung für Fahrgastzahlen tragen und daher folgerichtig ihre Anstrengungen auf Kostenreduzierungen bei der zu erbringenden Leistung konzentrieren (müssen).
Daraus wird deutlich, dass das Thema Qualität im ÖPNV vor dem Hintergrund der neuen Rahmenbedingungen eine hohe Bedeutung hat. Die bisherigen Steuerungsmechanismen entfallen; stattdessen müssen dem Ersteller der ÖPNV-Leistungen Anreize und Spielräume gegeben werden, damit sich Qualität im Ertrag niederschlägt und deshalb lohnt. Oder es müssen Qualitätsstandards vereinbart und ihre Einhaltung überwacht werden – mit anderen Worten: Qualität muss geregelt werden. Wichtig ist vor allem, dass in diesem Prozess die Sicht der Kunden des ÖPNV nicht verloren geht. Denn Qualität ist kein Selbstzweck, sondern es muss das Qualitätsniveau gefunden werden, das unter Berücksichtigung der spezifischen Eigenschaften des Produktes ÖPNV das optimale Gleichgewicht zwischen Kosten und Nutzen der Qualität erbringt. Der Nutzen spiegelt sich in der Wahlentscheidung und damit Kaufkraft zu Gunsten des ÖPNV wider.
Die skizzierten Problemstellungen waren Anlass für die FGSV, sich innerhalb des Arbeitsausschusses Öffentlicher Verkehr der Arbeitsgruppe Verkehrsplanung mit diesem Thema eingehender zu beschäftigen. Das Arbeitsergebnis ist die im Juni 2006 erschienene FGSV-Veröffentlichung „Hinweise für die Qualitätssicherung im ÖPNV“ [1]. Die folgenden Ausführungen stellen eine gekürzte Fassung daraus dar. Es folgt zunächst eine allgemeine Einführung in das Thema Qualität im ÖPNV mit der Vorstellung der wichtigsten Begriffe und Definitionen und der Darstellung des wirtschaftlichen Kontextes. In diesem Zusammenhang wird auch die Europäische Norm DIN EN 13816:2002 erläutert, die eine wesentliche Grundlage für die Beschreibung von Qualität im ÖPNV liefert. Der Abschnitt 3 enthält Empfehlungen für Aufgabenträger zur Vorgehensweise im Regulierungsprozess und zur Klärung von Fragen und Abhängigkeiten. Außerdem werden Vertragsformen und bei Verträgen zu beachtende Grundsätze dargestellt.
2 Qualität im ÖPNV
2.1 Spannungsverhältnis Aufgabenträger – Unternehmen – Kunden
Die ISO-Qualitätsnorm 9000:2000 erklärt Qualität allgemein als die Eignung einer Gesamtheit von Merkmalen eines Produktes, eines Systems oder eines Prozesses zur Erfüllung von Forderungen von Kunden und anderen interessierten Parteien.
Unabhängig von der Öffnung des ÖPNV-Marktes steht das Produkt „Öffentlicher Nahverkehr“ in einem besonderen Dreiecksverhältnis zwischen Nahverkehrskunden, Verkehrsunternehmen und Aufgabenträgern (bzw. allgemein der Öffentlichen Hand). Kunde im eigentlichen Sinne sind die tatsächlichen und potenziellen Fahrgäste des ÖPNV. Ihnen stehen die Besteller und Ersteller von Nahverkehrsleistungen gegenüber, die die Verantwortung für die Herstellung und Vermarktung des Produktes ÖPNV unter sich aufteilen. Die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche hängt von der jeweils vor Ort gewählten Organisationsform ab. Dennoch sind die Verkehrsunternehmen als Ersteller in jedem Fall für die Betriebsabwicklung und die Aufgabenträger als Besteller für die Definition des Leistungsangebotes und die Beachtung der Bedienungsstandards des Nahverkehrsplans verantwortlich.
Demzufolge ist auch der Aufgabenträger als Kunde des Verkehrsunternehmens auf dem ÖPNV-Markt anzusehen. In Abhängigkeit von der Aufgabenverteilung zwischen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen und der konkreten politischen Situation vor Ort kann dies dazu führen, dass der Fahrgast als zahlender Kunde – und dies sowohl für den Aufgabenträger als auch für das Verkehrsunternehmen – in den Hintergrund tritt. Sofern das Verkehrsunternehmen keine Verantwortung für die Fahrgastbetreuung und -gewinnung hat, wird es sein unternehmerisches Handeln weitgehend auf die Befriedigung der Forderungen des Aufgabenträgers ausrichten.
Fragt man in diesem Kontext nach der Qualität eines bestimmten Verkehrsangebotes, so wird sie von den drei Akteuren auf dem ÖPNV-Markt durchaus unterschiedlich beantwortet. Während der Fahrgast die Qualität vor allem subjektiv und erlebnisorientiert (Fahrzeit, Service usw.) und im Vergleich mit konkurrierenden Angeboten (Individualverkehr, Straßenbahn, Bus, SPNV usw.) bewertet, neigen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen eher zu einer prozessorientierten, technischen Bewertung (Auslastungsgrade, optimale Betriebsabläufe).
Im Folgenden wird als Qualitätsmaßstab die Kundensicht der vorhandenen bzw. potenziellen Fahrgäste in den Vordergrund gestellt, da sich letztlich nur durch die Zufriedenheit der Fahrgäste und die damit realisierte Zahlungsbereitschaft sowie durch die Gewinnung von neuen Fahrgästen die umwelt- und verkehrspolitischen Ziele der Aufgabenträger und die wirtschaftlichen Ziele der Verkehrsunternehmen zusammenführen lassen. Die eingangs beschriebene Definition für Qualität kann daher für den ÖPNV so formuliert werden: Qualität ist die Eignung aller Merkmale des Produktes ÖPNV, die Anforderungen der Kunden zu erfüllen.
2.2 Qualität um jeden Preis?
Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass die Qualitätsansprüche in erster Linie aus der Sicht der (aktuellen und potenziellen) Kunden zu formulieren sind. Die Aufgabenträger als Besteller des ÖPNV sind Mittler dieses Interesses. Die vom Aufgabenträger zu vertretende Kundensicht muss allerdings auch wirtschaftliche Gesichtspunkte beachten. Grundsätzlich ist Qualität kein Selbstzweck: Für die Qualität der Leistung entstehen Kosten, die mit dem zu erwartenden Nutzen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen müssen. Dies wird am ehesten der Fall sein, wenn der Abgleich der Interessen des Aufgabenträgers mit den Kundeninteressen zu einem für beide Seiten befriedigenden Ergebnis führt.
Dabei ist es zweckmäßig, die Ansprüche und Bedürfnisse der unterschiedlichen Kundengruppen (z. B. Vollzeiterwerbstätige, Teilzeiterwerbstätige mit Kindern, Schüler, Mobilitätseingeschränkte) zu identifizieren und zu berücksichtigen. Die Gruppen unterscheiden sich in ihrer Bindung an den ÖPNV und damit in ihrem Verkehrsmittelwahlverhalten.
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die Kunden für die angebotene Qualität bezahlen und sich das richtige Qualitätsniveau im Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage entwickelt. Die Definition von angemessenen Qualitäten könnte also dem Verkehrsunternehmer (Ersteller) überlassen bleiben – sofern er auch das vollständige Marktrisiko trägt. Hierbei treten aber in der Praxis Probleme auf:
- Oft ist der Zusammenhang zwischen Nachfrage/Erträgen und Verkehrsleistung nicht herstellbar, da die Tarife die individuelle Leistung zu wenig abbilden (Einheitstarif, Verbundtarif) und die Einnahmenaufteilung nur zeitverzögert und oft nur pauschale Ergebnisse liefert.
- Durch die hohe Vernetzung im ÖPNV-System werden individuelle Anstrengungen des Erstellers vom Kunden, der den ÖPNV als ein System begreift, nicht
- Die Kunden decken mit ihren Erträgen in der Regel nur einen Teil der Kosten. Die übrigen Kosten werden von der öffentlichen Hand getragen. Bei konstanten Zuschüssen lohnt es sich daher für die Unternehmen, Qualität abzubauen, falls dadurch ihre Kosten stärker abnehmen als ihre Erträge.
- Gerade im Hinblick auf potenzielle Kunden leidet der ÖPNV oft an einem Image-Defizit. Dieses können beauftragte Unternehmen (Ersteller) in den relativ kurzen Laufzeiten von Verkehrsverträgen (4 bis 8 Jahre im Busverkehr) in der Regel nicht abbauen. Hier kann der Systemnutzen erhöht werden, wenn der Besteller bestimmte Qualitätsversprechen entwickelt und kommuniziert und dadurch ein Systemvertrauen
Kunden, die für die Erfüllung bestimmter Mobilitätsbedürfnisse auf das Angebot des ÖPNV angewiesen sind, werden erst bei einem sehr schlechten Qualitätsniveau dem ÖPNV fernbleiben, sich bis dahin aber mit einem Qualitätsabbau abfinden. Dies wirkt als Anreiz für die Verkehrsunternehmen, kurzfristige Kosteneinsparungen durch Qualitätsverzicht zu realisieren. Hier muss der Aufgabenträger nicht nur aus sozialstaatlichen (Daseinsvorsorge), sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen (Einnahmeverluste) eine erforderliche Mindestqualität definieren und auch kontrollieren.
2.2.1 Kosten von Qualität
Ein höheres Qualitätsniveau schlägt sich tendenziell in höheren Gestehungskosten nieder. Besonders deutlich wird dies bei der Taktdichte. Bei diesem Merkmal kann von einer linearen Kostenfunktion ausgegangen werden: je dichter der Takt, desto höher die Kosten; bei einem höheren Fahrzeugbedarf entstehen Kostensprünge. Umgekehrt gibt es aber auch Qualitätsmerkmale, bei denen eine höhere Qualität nicht unbedingt zu Mehrkosten führt.
Die meisten Qualitätsmerkmale haben hingegen einen nicht-linearen Kostenzusammenhang. Viele Merkmale verhalten sich über einen Mittelbereich nahezu kostenneutral, reagieren aber ab einem bestimmten Punkt massiv bei Qualitätsabbau durch Kostenentlastung. Umgekehrt bewirkt ab einem bestimmten Punkt eine weitere Qualitätserhöhung eine massive Kostensteigerung. Bei solchen Funktionen (Bild 1) ist es von Interesse, die Qualität möglichst bis zu dem Punkt anzuheben, der kurz vor diesem Sprungeffekt liegt. Damit kann bei geringstmöglichen Steigerungen der Kosten die noch vorhandenen Zahlungsbereitschaften abgeschöpft werden.
Bild 1: Kostenfunktion Typ 1
Möglich ist auch (Bild 2), dass eine Funktion in einem Mittelbereich einen besonders starken progressiven Anstieg hat, während bei einem niedrigen wie auch bei einem hohen Niveau ein wenig ausgeprägter Zusammenhang zu den Kosten besteht. In der Zone des progressiven Anstiegs wird man kaum einen optimalen Nutzenausgleich antreffen. Daher empfiehlt es sich, einen Punkt zu finden, der möglichst nah vor dem starken Kostenanstieg liegt, aber sich noch auf dem unteren Niveau befindet.
Der Kostenverlauf für die Verbesserung der Pünktlichkeit von Bussen oder Straßenbahnen ist ein Beispiel für derartige Sprungeffekte. Bis zu einem gewissen Punkt lässt sich die Pünktlichkeit durch Maßnahmen wie zügiger Fahrstil, ausreichende Türenzahl, zügiger Fahrgastfluss, ausreichend dimensionierte Fahrpläne, Sensibilisierung des Fahrpersonals und angemessenes Störungsmanagement mit relativ geringen Zusatzkosten steigern. Ab einem gewissen Punkt ist eine weitere Steigerung nur mit einem kostenintensiven Beschleunigungsprogramm (eigener Fahrweg, Bevorrechtigungen an Kreuzungen etc.) zu erreichen. Die weitere Pünktlichkeitsverbesserung kann dagegen dann wieder relativ kostengünstig sein (Optimierung des Vorrangprogramms z. B. im Hinblick auf die Einbeziehung der Verspätung).
Bild 2: Kostenfunktion Typ 2
Zu den „Kosten für Qualität“ zählen auch die Kosten für die Qualitätskontrollen. Qualitätsvereinbarungen, deren Umsetzung nicht kontrolliert wird, erfüllen nicht ihren Zweck. In der Praxis kommt es wegen der Kosten von Qualitätskontrollen oft zu Diskussionen. Das Bild 3 zeigt, wie sich die Verantwortung für Leistungs- und Qualitätskontrollen verteilt.
Bei Verkehren mit Zuschüssen der öffentlichen Hand werden die Kosten direkt oder indirekt immer vom Aufgabenträger (Besteller) zu übernehmen sein, weil er sich vor der Zahlung der vereinbarten Vergütung immer von der ordnungsgemäßen Leistungserbringung überzeugen muss. Bei Verkehren ohne Zuschüsse stellt sich dies anders dar. Hier wird das Verkehrsunternehmen im Wettbewerb um die (zahlenden) Kunden bzw. im Wettbewerb um die Genehmigung der Konzession aus eigenem Interesse Qualität sichern müssen.
Bild 3: Zuständigkeit für die Durchführung von Leistungs- und Qualitätskontrollen
2.2.2 Nutzen von Qualität
Der Nutzen von Qualität im ÖPNV ist vielschichtig und schwierig zu bestimmen. Es gibt den direkten Nutzen aus Sicht der Kunden, die sich in ihrem Nachfrageverhalten und ihrer Kaufkraft bzw. Zahlungsbereitschaft niederschlägt. Weiter gibt es Nutzen, die an anderer Stelle entstehen und denen keine (ausreichenden) Erträge durch Fahrgeldeinnahmen entgegenstehen: Beispielsweise nutzt der Einsatz von Erdgasbussen der Umwelt, damit werden umweltpolitische Ziele des Aufgabenträgers erreicht; für eine Abgeltung dieser Qualitätsmaßnahme wird auf Seiten der Fahrgäste nur eine geringe Zahlungsbereitschaft bestehen.
Für viele Qualitätskriterien fehlen belastbare Aussagen über den Zusammenhang zwischen Qualitätsdifferenzierung und der jeweiligen Zahlungsbereitschaft. Auch wenn die Marktforschung mittlerweile Methoden entwickelt, die Zahlungsbereitschaft der Zielgruppen für die einzelnen Qualitätskriterien zu ermitteln, werden diese Möglichkeiten bei der Gestaltung von Angeboten nur selten genutzt.
Theoretisch sind folgende Zusammenhänge bekannt: Während zum Beispiel eine „Basisqualität“ als selbstverständlich vorausgesetzt wird (Mindeststandard) und ihre Verletzung in einer tiefen Enttäuschung des Verbrauchers mündet (und daher unterbleiben sollte), kann eine „Begeisterungsqualität“ besonders nachhaltige Kaufkraftreaktionen auslösen, so dass bei günstiger Kostenkurve mit geringem Zusatzaufwand hohe Kundenwirkungen erreicht werden können. Diese erlöswirksamen Qualitäten sind vor allem im Bereich der Kundenbindung untersucht. Umgekehrt lösen „Überflussqualitäten“ kaum Reaktionen aus und können gegebenenfalls sogar kontraproduktiv wirken, insbesondere wenn Kundenerwartungen in anderen Bereichen nicht erfüllt werden. In der empirischen Marktforschung kann diese Segmentierung durch das so genannte KANO-Modell [2] ermittelt werden (Bild 4).
Die Spanne der Kundenvorstellungen reicht von „Wünschen an das Christkind“ bis hin zu tatsächlich kauf- und damit auch erfolgsrelevanten Erwartungen. Grundsätzlich ist daher bei allen Qualitätserwartungen und -präferenzen der Konsumenten immer das Verhältnis zwischen Aufwand (des Erstellers und Bestellers) und Nutzen (für die Konsumenten und den Besteller) zu beachten und zu prüfen.
Bild 4: Segmentierung der Teilqualitäten durch das KANO-Modell
2.3 DIN EN 13816
Mit dem Ziel, „die Qualitätsphilosophie für öffentliche Verkehre zu fördern“ sowie „das Augenmerk auf die Bedürfnisse und Interessen der Kunden zu lenken“, hat das Europäische Komitee für Normung (CEN) eine Norm zur „Definition, Festlegung von Leistungszielen und Messung der Servicequalität“ erarbeitet. Sie wurde am 30.12.2001 verabschiedet und ist zwischenzeitlich als DIN EN 13816:2002 [3] auch in Deutschland verbindlich. Eine ergänzende Norm (DIN EN 15140) definiert Anforderungen und gibt Empfehlungen für Systeme zur Messung der erbrachten Dienstleistungsqualität im ÖPNV [4].
Die DIN EN 13816 enthält eine Liste von Qualitätskriterien, die zur Definition der Qualität des Öffentlichen Personenverkehrs aus Kundensicht herangezogen werden können (Bild 5). Die Norm beschreibt außerdem die drei wichtigsten Messmethoden für Qualität: Kundenbefragungen, Testkundenverfahren und direkte Leistungsmessung. Gleichzeitig zeigt sie auf, welche Regularien zu beachten sind, wenn auf der Grundlage der DIN ein Vertrag zwischen einem Aufgabenträger und einem Verkehrsunternehmen abgeschlossen werden soll und gibt Empfehlungen zur Verteilung von Zuständigkeiten und für die Gestaltung eines Qualitätsmanagements. Während Kriterien und Kennwerte zur Erfassung und Beschreibung der räumlichen und zeitlichen Bedienungsqualität des ÖPNV-Angebots aus deutschen Richtlinien und Empfehlungen seit langem bekannt sind und von den Betreibern angewendet werden, sind die Kriterien der Beförderungsqualität bis zur Veröffentlichung der DIN EN 13816 bisher nicht in vergleichbarer Weise systematisch beschrieben und „internationalisiert“ worden.
Die DIN definiert Qualität im ÖPNV anhand des Dienstleistungsqualitätskreises. Dieses Schema differenziert zwischen der Sicht der Kunden und der Sicht der Dienstleistungspartner. Die Dienstleistungspartner sind hier die Verkehrsbetriebe und die zuständigen Aufgabenträger, wobei letztere als Besteller von Qualität auftreten können.
Im Anhang der DIN sind mehr als 100 Qualitätskriterien aufgelistet, die in 8 Gruppen und drei Ebenen untergliedert sind. Die Kriterien werden beschrieben, es wird jedoch keine Aussage über das Niveau bzw. den Qualitätsstandard getroffen.
Bild 5: Inhalte der DIN EN 13816:2002
In der DIN selbst wird die Anwendung der Norm in folgenden Fällen als sinnvoll angesehen:
- bei öffentliche Personenverkehrsleistungen, bei denen ein einziger Betreiber die gesamte Verantwortung für alle wichtigen Qualitätskriterien trägt oder bei denen zwei oder mehr Parteien sich die Verantwortung auf der Grundlage einer Vereinbarung teilen und
- von Behörden im Falle einer Ausschreibung bzw. eines Vertragsabschlusses, wenn diese verlangen, dass die Leistung in Übereinstimmung mit der Norm erbracht
Bei einer Ausschreibung bietet die Anwendung der Norm zusätzliche Vorteile:
„Der Bieter kann sicher sein, dass alle nicht ausdrücklich in der Ausschreibung angeführten Qualitätskriterien nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fallen und nationalem und europäischem Recht entsprechen, sowie, dass er daher keinen Sicherheitszuschlag in sein Angebot einbeziehen muss, um etwaige implizite Zuständigkeiten zu berücksichtigen, die nationalen oder lokalen Traditionen entspringen können.“
Dies bedeutet, dass Qualität, die nicht in der Ausschreibung gefordert wurde, nicht geliefert oder geleistet werden muss. Der Bieter ist außerdem in der Lage, Forderungen der Ausschreibung genauer zu verstehen, da einheitliche Begriffe verwendet werden, die in der Liste der Qualitätskriterien definiert sind. Weiter heißt es in der DIN: „Es wird empfohlen, dass eine Ausschreibung, in der gefordert wird, dass die Leistung gemäß dieser Norm erbracht wird, auch Anforderungen hinsichtlich des Qualitätsniveaus enthält.“ Dieses Niveau müssen die ÖPNV-Verantwortlichen vor Ort selbst festlegen.
Auch die Verantwortung für die einzelnen Qualitätskriterien ist nicht festgelegt. Wer im Einzelfall für die Qualitätssicherung eines bestimmten Merkmals zuständig ist, hängt von der konkreten Organisation und Aufgabenverteilung des ÖPNV vor Ort ab. So sind in einem Verkehrsverbund, der für die Infrastruktur, die Angebotsplanung sowie Information und Tarife zuständig ist, die Verkehrsunternehmen nur für die den Betrieb, das Fahrpersonal und die Fahrzeuge betreffenden Qualitätskriterien verantwortlich. Bezogen auf die in der DIN zusammengestellten Kriterien bedeutet dies, dass das Verkehrsunternehmen nur für einen Teil der dort zusammen gestellten Qualitätskriterien verantwortlich ist. Bei anderen Organisationsstrukturen kann sich dies ganz anders darstellen.
Der Qualitätsregelkreis der DIN EN 13816 stellt auch klar, dass unzufriedene Kunden nicht das Ergebnis einer schlechten Leistungserfüllung durch den Leistungserbringer sein müssen. Entspricht nämlich die erbrachte Dienstleistungsqualität zwar der vom Aufgabenträger geforderten Dienstleistungsqualität, jedoch nicht der von den Kunden erwarteten Dienstleistungsqualität, so wird die Kundenzufriedenheit ebenfalls negativ sein. Die daraus erwachsende Kritik fällt dann voll auf den Aufgabenträger zurück, der genau diese Leistungen so bestellt hat. Damit bietet die DIN EN 13816 auch die Möglichkeit, die Planungsqualität des Aufgabenträgers zu beurteilen.
Insgesamt bietet die DIN EN 13816 eine gute Zusammenstellung von Qualitätskriterien im ÖPNV und über Qualitätssicherungssysteme. Zu Kosten und Nutzen der Qualität liefert sie keine Hinweise. Hervorzuheben ist außerdem, dass die Norm Raum gibt für die Pluralität der Methoden – so sind sowohl Qualitätspartnerschaften als auch Kundengarantien ausdrücklich Möglichkeiten im Rahmen des betrieblichen Qualitätsmanagements.
3 Empfehlungen zur Vorgehensweise von Aufgabenträgern
3.1 Veränderungsprozesse gestalten
Die Beziehungen zwischen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen wandeln sich, weg vom bisherigen Regelkreis, der hauptsächlich über die Politik durch pauschale Aufträge der Daseinsvorsorge funktionierte, hin zu einem Besteller-Ersteller-Verhältnis. Eine solche Beziehung stellt neue Anforderungen an die Steuerungsmechanismen. Dabei treten viele Fragen auf: Welche Punkte müssen wie zwischen welchen Beteiligten geregelt werden? An welchen Stellen sind Kontrollmechanismen erforderlich, wie muss oder kann das aussehen, wer ist zuständig? Dabei hängt viel von der gewählten oder gewünschten Organisation des ÖPNV ab. Im Folgenden sollen Hinweise gegeben werden, in welcher Form eine Umsetzung vor Ort durchgeführt werden kann.
Sinnvoll ist in der Regel eine Bestandsaufnahme der Situation vor Ort. Ein wesentlicher Ausgangspunkt ist der „Typ“ des Aufgabenträgers. Dabei sind die siedlungsstrukturellen Bedingungen sowie die vorhandenen Angebots- und Organisationsstrukturen im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Aufgabenträgers ausschlaggebend: zum Beispiel Großstädte mit eigenen, kommunalen Verkehrsunternehmen mit mehreren Betriebszweigen (U-Bahn, Straßenbahn, Bus) in großen regionalen Verbünden, kreisfreie Mittelstädte mit Stadtbusnetzen, dünn besiedelte Landkreise, eine Länderbehörde mit der Zuständigkeit für den Schienenpersonennahverkehr usw.
Konkret sollte die Bestandsaufnahme folgende Punkte umfassen:
- Charakterisierung des vorhandenen Verkehrsangebots (lokales Netz, regionales Netz, einzelne Linien, Art der Verkehrsmittel) und der vorhandenen Nachfrage
- Derzeitige Organisation des ÖPNV, Beteiligte, derzeitige Verteilung der Zuständigkeiten (Zahl und Eigentumsverhältnisse der Verkehrsunternehmen, Infrastruktur, Verkehrsverbund, Planung, Marketing, Tarif, …)
- Derzeitige Finanzierung (Querverbund, Landeszuschüsse, Fahrzeug-/Betriebshofförderung etc.) und vertragliche Regelungen, Konzessionen
- Vorhandene verkehrspolitische Zielsetzungen und Nahverkehrspläne.
Auf der Grundlage dieser Bestandsaufnahme ist es möglich, eine grundsätzliche Strategie festzulegen, die sich an folgenden Aspekten orientiert:
- Definition von handlungsleitenden Zielen (z. B. Erhöhung des Marktanteils des ÖPNV oder Begrenzung der finanziellen Mittel)
- Rollenbestimmung des Aufgabenträgers: Gestalter oder Gewährleister des ÖPNV
- Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Aufgabenträger, Verkehrsunternehmen und anderen Beteiligten
- Neuordnung der Finanzierung
- Bestimmung der Leistungen, die durch eine Vereinbarung geregelt werden sollen
- Ableitung der durchzuführenden Maßnahmen (organisatorisch und inhaltlich, z. B. Untersuchungsbedarf)
- Setzen von Prioritäten und
Bei diesen politisch festzulegenden Rahmenbedingungen der Finanzierung und Organisation muss immer beachtet werden, dass der ÖPNV als Dienstleistung mit einer Gegenleistung durch Fahrgäste (Fahrgelder) erbracht wird und konkreten Nutzen (Daseinsvorsorge, Attraktivität zum Zwecke der Entlastung des Straßenverkehrs) erbringen soll.
3.2 Eine Qualitätsstrategie festlegen
Jeder Aufgabenträger muss für sich bestimmen, welche Qualitätsphilosophie er verfolgen möchte. Dabei ist insbesondere das Ziel der Qualitätsbemühungen zu klären: Soll der ÖPNV mehr Fahrgäste gewinnen oder die aktuelle Nachfrage effizienter abgewickelt werden? Vor diesem Hintergrund kann eine Strategie entwickelt werden.
Bei der Festlegung von Qualitätsstandards handelt es sich um einen komplexen Abwägungsprozess zwischen Aufwand und Nutzen (vgl. Ausführungen in den Abschnitten 2.1 und 2.2). Folgende Vorgehensweise ist hilfreich, um das Verhältnis von Kosten und Nutzen von Qualität zu ermitteln:
- Analyse der aktuellen Qualität: Auf welchem Niveau befindet sich ein bestimmtes Qualitätsmerkmal aktuell und innerhalb welcher Grenzen kann sich dieses Niveau theoretisch bewegen (Untergrenze, Obergrenze, Ist-Zustand). Mit anderen Worten: Welches ist die „bestmögliche“ Qualität, die erreicht werden kann, und wie sieht die schlechteste Ausprägung aus und die Bewertung durch den Kunden. Dabei wird gleichzeitig ein Bewertungsmaßstab, z. B. eine Skala, festgelegt.
- Kosten der Qualität: Es muss Klarheit darüber geschaffen werden, was es kostet, die aktuelle Qualität über den Ist-Zustand hinaus anzuheben bzw. abzusenken.
- Analyse des Zusammenhangs zwischen den Qualitätsveränderungen und der Zahlungsbereitschaft der Kunden: Sind die heutigen Zahlungsbereitschaften entsprechend abgeschöpft oder kann eine bessere Ergiebigkeit (aus Menge und Preis) erreicht werden? Bestehen Erfahrungen und Erkenntnisse über Zusammenhänge von Qualitätserhöhungen oder -abbau und Nachfragereaktionen?
- Analyse der Reaktion der verschiedenen Kundengruppen auf Qualitätsveränderungen: Welche Qualitäten müssen diesen gegebenenfalls aus Gründen der Daseinsvorsorge garantiert werden?
Eine wesentliche Grundlage liefert die Analyse der Kundenbedürfnisse. Dazu bieten sich folgende Methoden an:
- Ermittlung der Bedeutung der Qualitätsaspekte für die Fahrgäste: Mit Hilfe von Kundenzufriedenheitsuntersuchungen kann in Erfahrung gebracht werden, ob das betrachtete Qualitätskriterium überhaupt wahrgenommen wird und in welcher Weise es das Handeln der Fahrgäste bzw. der potenziellen Fahrgäste beeinflusst.
- Ermittlung der Wirkungen von Maßnahmen in verschiedenen Qualitätsbereichen: Zusammen mit den Ergebnissen der Kundenzufriedenheitsuntersuchung lässt sich für jedes Qualitätsmerkmal ein mögliches Verlagerungspotenzial ermitteln. So kann beispielsweise erkennbar gemacht werden, wie sich das Fahrgastverhalten unter dem Einfluss bestimmter Qualitätsniveaus verändert, bzw. um welche Fahrgeldeinnahmen es in der Diskussion um die Verbesserung eines Qualitätskriteriums gehen kann.
- Ableitung der Qualitätsziele und Festlegung der maßgebenden Qualitätskriterien, der Zuständigkeiten und der Erhebungs- und Messmethoden.
Die Abschätzung von Potenzialen und möglichen zukünftigen Verhaltensweisen ist allerdings nicht nur mit den üblichen Unsicherheiten von Prognosen verbunden. Erschwerend kommt hinzu, dass sich der ÖPNV in hohem Umfang in der Wettbewerbs- und Vergleichssituation zum MIV befindet und die Kaufkraft der Fahrgäste (Fahrpreise) nur einen Teil der Kosten deckt. Deshalb können sich keine üblichen Produkt-Preis-Beziehungen entwickeln. Hier ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine Untersuchung sinnvoll ist. Als Entscheidungskriterium lässt sich beispielsweise heranziehen, ob mit dem fraglichen Qualitätsstandard hohe Investitions- oder Betriebskosten verbunden sind. Auch die Kosten der Untersuchung selbst sind hierbei zu berücksichtigen.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen und seiner sonstigen Ziele kann der Aufgabenträger seine spezifische Qualitätsstrategie ableiten. Er muss für sich festlegen, welche Qualität im ÖPNV erzielt werden soll, wer dafür zuständig ist und welche Regulierungsmechanismen greifen sollen. Der Aufgabenträger formuliert nicht nur die Anforderungen an das reine Leistungsangebot, sondern auch Komfort- und Qualitätsmerkmale. Entsprechen diese Qualitäten nicht den Vorstellungen der Kunden, so ist dies nicht der Fehler der Unternehmen, sondern Angelegenheit des Auftraggebers.
3.3 Umsetzung in Verträgen
3.3.1 Vereinbarung von Qualitätsstandards
In Verträgen zwischen Besteller und Ersteller von öffentlichen Personenverkehrsleistungen sind als Bestandteile des Vertrages die Qualitätsstandards und deren Sicherstellung aufzunehmen. Die Anforderungen an die Qualität lassen sich dabei häufig aus den Qualitätsvorstellungen des Aufgabenträgers für seinen ÖPNV ableiten, die dieser für sich entwickelt und dabei schon Kosten, Nutzen und technische Machbarkeit abgewogen hat. Dieser Rahmen muss für den Vertrag konkretisiert werden. Dabei sind folgende Grundsätze zu beachten.
Es sind nur Standards oder Vorgaben aufzunehmen, die von dem Unternehmen beeinflusst werden können, einen Bezug zur vergebenen Leistung aufweisen und kontrollierbar sind.
Dieser Grundsatz hängt stark von der Organisation des ÖPNV vor Ort ab (wie ist die Aufgabenverteilung zwischen den Beteiligten vorgesehen?), außerdem von der gewählten Vertragsform und dem jeweiligen Qualitätskriterium.
Die gewünschte Qualität muss eindeutig und unmissverständlich beschrieben werden.
Vage Beschreibungen sind nicht Ziel führend, sondern konfliktträchtig. Beide Seiten sollten das Gleiche unter dem geforderten Qualitätsstandard verstehen. Sinnvoll ist daher die Beachtung der DIN EN 13816 und deren Begrifflichkeit sowie die Verwendung von (messbaren/ quantifizierbaren) Vorgaben. Dies ist nicht immer möglich. Im Zweifelsfall sollte das Kriterium entfallen.
Die Art und Weise der Überprüfung der Qualität muss verständlich und nachvollziehbar beschrieben werden.
Die tatsächlich erreichte Qualität muss regelmäßig überprüft werden. Die gewählte Vorgehensweise ist im Vertrag festzulegen. Dazu gehören z. B. die Angabe der Methode (Umfragen in Fahrzeugen, Berichtspflichten o. a.), Inhalte, Häufigkeit, betrachteter Zeitraum, und Beweislastregeln. Bei der Festlegung der Kontrollmethoden sollte der personelle und finanzielle Aufwand, der dem Aufgabenträger entsteht (z. B. für jährliche Überprüfungen der Kundenzufriedenheit), berücksichtigt werden.
Es muss festgelegt werden, was passiert, wenn die vereinbarte Qualität nicht erreicht wird.
Ohne Sanktionen oder Bonus-Malus-Regelungen verfehlt die Vereinbarung von Qualitätsniveaus ihren Sinn. Die Höhe der Sanktionen ist schwierig zu bemessen. Einerseits sollen die Abzüge für minderwertige Leistung bzw. Nichtleistungen so spürbar sein, dass damit ein eindeutiger Anreiz zum Erhalt bzw. zur Verbesserung der Qualität verbunden ist. Bei Nichtleistungen entfällt in der Regel das durchschnittliche Leistungsentgelt für die nicht erbrachten Leistungen, Minderungen führen zum Abzug in der Höhe des nicht vorhandenen Werts. Reichen diese Abzüge nicht, da sie Anreize zur unverhältnismäßigen Kostenreduktion setzen, sind darüber hinaus Vertragsstrafen möglich. Vertragsstrafen sichern das vertragsgemäße Vorgehen des Anbieters. Während Minderungen und Nichtleistungen verschuldensunabhängig sind, setzen Vertragsstrafen Verschulden voraus. Für eine wirksame Steuerung müssen die Abzüge höher sein als die Kosten, die für die Bereitstellung der Qualität beim Betreiber entstehen. Andererseits dürfen Vertragsstrafen nicht unangemessen hoch sein bzw. das Unternehmen ruinieren. Die Gesamthöhe der möglichen jährlichen Abzüge muss deshalb begrenzt werden; derzeitige Erfahrungswerte gehen von 5 bis 10 % des jährlichen Auftragsvolumens aus. Als Ergänzung kann es daher sinnvoll sein, ein Sonderkündigungsrecht im Vertrag zu verankern. Dieses greift, wenn in einem Jahr die Sanktionen in voller Höhe anfallen und die Leistung des Betreibers den Qualitätsansprüchen nicht genügt.
Qualitätsstandards, die schon in anderen Regelwerken verbindlich beschrieben sind, brauchen nicht noch einmal aufgeführt zu werden.
Hier genügt ein entsprechender Verweis, zum Beispiel auf Normen und den Nahverkehrsplan. Es ist nicht sinnvoll, rechtliche Standards wie beispielsweise der BOKraft oder StVZO nochmals vorzugeben, es sei denn, man vertraut nicht der staatlichen Überwachung.
Qualitätsstandards sind nicht auf ewig geltende objektive Festsetzungen, sondern stellen die zum Zeitpunkt der Aufstellung als Momentaufnahme ermittelten subjektiven Qualitätsmaßstäbe der Kunden dar. Deshalb sollten die Verträge Optionsklauseln beinhalten, die eine Anpassung der zu erbringenden Leistungen an geänderte subjektive Qualitätsmaßstäbe und Wertvorstellungen der Kunden ermöglichen.
3.3.2 Art und Inhalte von Verkehrsverträgen
Je nachdem, wie der Aufgabenträger die Zuständigkeiten für die verschiedenen Aufgaben im ÖPNV verteilen möchte, ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an die Leistungsbeschreibung im Vertrag. Auf der einen Seite gibt es die konstruktive Leistungsbeschreibung (z. B. die Vorgabe des Fahrplans) und auf der anderen Seite die funktionale Leistungsbeschreibung (z. B. Mindestfahrtenanzahl, Takt). Die Leistungsbeschreibung kann in verschiedene Vertragsformen eingebettet werden: einen sogenannten Bruttovertrag, Nettovertrag oder Anreizvertrag. Die Vertragsformen unterscheiden sich hinsichtlich der Gestaltung der Finanzierung der Verkehrsleistungen.
Bei der Wahl der Vertragsform sind die Rahmenbedingungen vor Ort und die tatsächlichen Gestaltungsmöglichkeiten der einzelnen Beteiligten genau zu beachten, um zu einer zweckmäßigen und zielorientierten Vereinbarung zu kommen. Dem Unternehmen darf zudem kein ungewöhnliches Wagnis auferlegt werden.
Unabhängig von den beschriebenen unterschiedlichen Vertragsformen (Bild 6) sollte ein Verkehrsvertrag die folgenden Inhalte haben:
- eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung nach Quantität und Qualität mit Optionen zur Anpassung an sich verändernde Verkehrsbedürfnisse (Zu- oder Abbestellung von Leistungsbestandteilen), Verweise auf geltende Nahverkehrspläne u.a.
- Art der Finanzierung der Leistung, insbesondere Zahlungsmodalitäten und gegebenenfalls Preisanpassungsklauseln, Umgang mit Fahrgeldeinnahmen, gesetzlichen Ausgleichsleistungen und Fördermitteln
- Berichtspflichten des Unternehmens zur Überprüfung der vertragsgemäßen Leistungserbringung
- Steuerungs- und Kontrollverfahren zur Sicherung der gewünschten Qualität der Leistung mit Festlegung von Mess- und Kontrollverfahren, Bonus-Malus-Regelungen, Vertragsstrafen bei Schlecht- oder Nichterfüllung der Leistung
- Kooperationspflichten, z. B. Information und regelmäßige Zusammenarbeit
- sonstige Bestimmungen: Laufzeit, Kündigung, Sicherheitsleistungen u.a.
Der Bruttovertrag
Bei dieser Vertragsform werden die zu erbringenden Leistungen vorgegeben und entsprechend vergütet. Die erzielbaren Fahrgeldeinnahmen sind nicht Gegenstand der Kalkulation des Erstellers. Diese Einnahmen stehen dem Aufgabenträger zu bzw. werden direkt verrechnet. Das Unternehmen trägt kein Erlösrisiko. Somit liegt das Risiko für den wirtschaftlichen Erfolg des Verkehrs beim Aufgabenträger, woraus sich ergibt, dass er für das „drum herum“ des Linienverkehrs zuständig sein muss (Festlegung der Tarife, Fahrgastinformation, Werbung, Haltestelleninfrastruktur etc.). Von einem Interesse des Unternehmens an einer Steigerung der Qualität seiner Leistungen (für den Kunden), um durch mehr Fahrgäste auch mehr Einnahmen zu erzielen, kann hier nicht ausgegangen werden.
Der Nettovertrag
Hier geben die Unternehmen den aus ihrer Sicht erforderlichen Zuschussbedarf an. Das wirtschaftliche Risiko für den Verkehr liegt bei den Erstellern. Die Unternehmen können die aus ihrer Sicht noch nicht gehobenen Fahrgastpotenziale berücksichtigen. Da der wirtschaftliche Erfolg des Verkehrs ausschließlich beim Unternehmen liegt, wird es selbst im Rahmen seiner Möglichkeiten für das „drum herum“ sorgen (Fahrgastinformation, Werbung etc.) Der Nettovertrag ist aber bisher im Busverkehr selten praktiziert, da eine Reihe von durch den Unternehmen nicht beeinflussbare Größen nicht kalkulierbar sind. Das betrifft schon vielfach die Tarifgestaltungsrechte und Einnahmenaufteilung. Aber auch Parkgebühren, Parkplatzangebot, Beschleunigungsmaßnahmen, Haltestellenausstattung etc. können das wirtschaftliche Ergebnis stark beeinflussen. Dementsprechend müssten bei einem Nettovertrag entsprechende Zusagen seitens des Aufgabenträgers erfolgen, die die gesamte Verkehrspolitik des Aufgabenträgers für die Laufzeit des Vertrages binden.
Der Bruttoanreizvertrag
Die Vergütung erfolgt analog dem Bruttovertrag, jedoch wird der Unternehmer z. B. bei Erreichen einer bestimmten vorgegebenen Fahrgeldeinnahme an den Fahrgeldeinnahmen beteiligt. Wird der Anreizvertrag auf das gesamte wirtschaftliche Ergebnis des Verkehrs bezogen, liegt das Interesse des Unternehmens natürlich auch in der betriebswirtschaftlich möglichst günstigen Erbringung der Leistung. Durch dieses Vorgehen nähern sich die hier an sich grundsätzlich entgegengesetzten Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer an. Anreize können auch zur Erhöhung der Qualität gegeben werden, um das durch den Bruttovertrag gegebene geringe Interesse des Unternehmens an einer hohen Qualität der Leistungserbringung zu steigern.
Der Nettoanreizvertrag
Hierbei wird neben dem Erlösrisiko aus dem Nettovertrag noch zusätzlich ein Anreiz für neu gewonnene Fahrgäste vom Aufgabenträger ausgesetzt. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass der Fahrpreis oft nur einen Teil der Beförderungskosten deckt und daraus für das Unternehmen noch kein ausreichender Anreiz für Gewinnung zusätzlicher Fahrgäste und dem „sich Aussetzen des Qualitätsurteils“ dieser Fahrgäste resultiert.
Bild 6: Vertragsformen
4 Ausblick
Die Hinweise zur Qualitätssicherung im ÖPNV sollen Anregungen und Hilfen für Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen liefern. Sie sollen einen Beitrag zum allgemeinen Umgang mit Qualität im ÖPNV mit Schwerpunkt auf die Kundensicht leisten, die Auswahl relevanter Qualitätskriterien sowie ihrer Kenngrößen aus der Sicht der Beteiligten erleichtern und den Aufgabenträger auf mögliche Probleme hinweisen. Darüber hinaus werden Empfehlungen für die Gestaltung von Umsetzungsanreizen und die Messung bzw. Überwachung der Qualitätskriterien unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gegeben. Dazu gehören eine Beschreibung ausgewählter Qualitätskriterien und beispielhafte Hinweise für deren mögliche Regulierung. Auch die wesentlichen Methoden zur Messung der Dienstleistungsqualität werden behandelt.
Konkrete Erfahrungen zur vertraglichen Vereinbarung von Qualitätsstandards und Kontrollmethoden im ÖPNV liegen bisher kaum vor. Die Autoren (Arbeitskreis Qualitätskriterien im ÖV der FGSV, stützten sich bei der vorliegenden Ausarbeitung im Wesentlichen auf verfügbare Nahverkehrspläne, technische und betriebliche Erfahrungswerte, Forschungsberichte, vorhandene Vorschriften und Empfehlungen. Die Zukunft wird zeigen, welche Probleme in der Praxis auftreten und welche Lösungsansätze unter welchen Bedingungen geeignet erscheinen. Eine Fortführung erscheint zweckmäßig, sobald Erkenntnisse aus der Praxis vorliegen und das Aufzeigen ausgewählter praktikabler Lösungen zur Qualitätssicherung ermöglichen.
Literaturverzeichnis
- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV): Hinweise für die Qualitätssicherung im ÖPNV, Arbeitsgruppe Verkehrsplanung, Köln 2006
- Sauerwein, E. : Das KANO-Modell der Kundenzufriedenheit, Wiesbaden 2000
- Europäisches Komitee für Normung: DIN EN 13816, Transport – Logistik und Dienstleistungen – Öffentlicher Personenverkehr – Definition und Festlegung von Leistungszielen und Messung der Servicequalität, Brüssel 2002
- Europäisches Komitee für Normung: DIN EN 15140, Transport – Logistik und Dienstleistungen – Öffentlicher Personenverkehr – Grundlegende Anforderungen an und Empfehlungen für Systeme zur Messung der erbrachten Dienstleistungsqualität, Brüssel 2006
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