FGSV-Nr. FGSV 001/29
Ort Bonn
Datum 23.10.2024
Titel Potenziale der Nachhaltigkeit und deren Erschließung
Autoren M.Sc. Michael Sulzbach
Kategorien Kongress
Einleitung

Der voranschreitende Klimawandel und die weiter zunehmende Rohstoffknappheit zeigen deutlich, wie wichtig ein nachhaltiger Wandel ist. Dieser Wandel muss auch im Straßenbau vorangetrieben werden. Allerdings ist es schwierig, eine Entwicklung einzuschlagen, wenn nicht bekannt ist, welcher Weg der Beste ist. Die umfassende Bilanzierung von Treibhausgasemissionen, Ressourcen- und Energieverbräuchen gibt hierbei eine wichtige Entscheidungshilfe. Die größten Nachhaltigkeitspotentiale sollten, falls möglich, auch als Erstes angegangen werden, während sehr kleine Faktoren erst zu einem späteren Zeitpunkt oder gar nicht bearbeitet werden müssen. Eine Grundlage stellen europäische und deutsche Regelwerke und Normen dar. Sie bilden das Gerüst einer Nachhaltigkeitsbilanzierung, müssen aber für den Straßenbau angepasst werden.  

 

Innerhalb eines vom BMDV beauftragten Forschungsprojekts wurden, in engem Austausch mit Vertretern aus Industrie, Forschung und Verwaltung, Annahmen zu Baustoffen, Transporten und Lebenszyklen für die betrachteten Bauweisen festgelegt, sodass unterschiedliche Szenarien betrachtet werden konnten. Hier wurde auch ein Berechnungs-Tool erstellt, welches im Folgenden für weitere Berechnungen durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) genutzt wurde. Dabei wurden die größten Hebel für die Nachhaltigkeit bestimmt. Als Ergebnis konnten die Nutzungsdauern der einzelnen Schichten, die genutzten Energieträger und die Transportweiten als größte Einflussfaktoren identifiziert werden.

 

Um darüber hinaus die Sicht der handelnden Akteure zu erfahren, wurde in 2024 durch die BASt ein Diskussionsforum veranstaltet, in dem Maßnahmen zur CO2-Reduktion im Straßenbau diskutiert wurden. Dabei wurden die bereits beschriebenen Einflussfaktoren weitestgehend bestätigt und um weitere Faktoren ergänzt.

 

Die Arbeiten im Bereich der Nachhaltigkeit sind aber noch bei Weitem nicht abgeschlossen. Es werden neue Forschungsprojekte angestoßen und Hinweispapiere erstellt. Die politischen Voraussetzungen werden sich weiter ändern, die Datengrundlagen werden sich ändern, die Zielsetzungen werden sich ändern.  All das führt dazu, dass der Straßenbau beim Thema Nachhaltigkeit sprichwörtlich noch eine lange, kurvenreiche Fahrt vor sich hat.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

Der Klimawandel stellt für Deutschland und die Welt eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre dar. Die Anzahl der Extremereignisse – Dürreperioden, Flusshochwasser, Starkregen – allein im Jahr 2024 verdeutlichen die Dringlichkeit, mit der ein ökologischer Wandel vollzogen werden muss. Auch die Politik auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene kommt immer mehr in Bewegung. Klimaziele müssen offensiver formuliert und umgesetzt werden. Die aktuelle Überarbeitung der EU-Bauprodukten-Verordnung, die fortlaufende Anpassung der Nachhaltigkeitsstrategie (Bundesregierung 2021) die Taxonomie-Verordnung und vor allem das im Sommer 2024 verabschiedete Klimaschutzgesetz geben eine deutliche Richtung vor, die in den kommenden Jahren weiterverfolgt werden wird und muss. Zwar wurde die Abschaffung der Sektorenziele allgemein kritisch gesehen, aber die sektorübergreifende Betrachtung, verbunden mit weiterhin schweren Vorgaben (Bild 1) lassen auch weiterhin keine Spielräume zu. Daher muss auch der Straßenbau weiter seinen Anteil leisten und signifikante Anpassungen vornehmen, ohne einen Verlust an technischer Qualität zu erleiden.

Bild 1: Ziele der Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2045 laut Klimaschutzgesetz (Bundesregierung 2024)

Angesichts der Herausforderungen eines sich ändernden Klimas und einer zunehmenden Verknappung von Rohstoffen ist eine ganzheitliche Bewertung von Straßenbauprojekten unerlässlich. Die Bilanzierung von Primärbaustoffen, Ressourcen- und Energieverbräuchen ist eines der wichtigsten Werkzeuge, um nachhaltige Entscheidungen zu treffen und die Nachhaltigkeit von Bauprojekten effizient zu fördern. Einzelne Faktoren können gegeneinander aufgewogen und rein monetär-basierte schlechte Entscheidungen verhindert werden. Neben der reinen Bilanzierung ist die Umsetzung in die Praxis von größter Wichtigkeit. Dabei ist es bedeutsam, die über Forschungen und Berechnungen erreichten Erkenntnisse auch zu den Anwendern zu bringen. Ansätze, wie dieser Wissenstransfer stattfinden soll bzw. stattfindet, werden hier beschrieben.

2 Nachhaltigkeitsbilanzierung

Die Grundlage für Nachhaltigkeitsbilanzierungen im Straßenbau stellt eine Reihe von europäischen Normen dar, die aber nicht spezifisch für den Straßenbau ausgestaltet sind. So liefern die Normen DIN EN ISO 14040 (DIN 2020) und DIN EN ISO 14044 (DIN 2020(2)) die Anforderungen und Rahmenbedingungen für Ökobilanzen im Allgemeinen, während die Normen DIN EN 15643 (DIN 2021) und DIN EN 15804 (DIN 2022) die Nachhaltigkeit von Bauwerken bzw. Bauprodukten definiert. Der Lebenszyklus eines Bauwerks steht dabei immer im Vordergrund, sodass nicht mehr nur der initiale Bau betrachtet wird, sondern auch bereits alle geplanten bzw. planbaren Instandsetzungen und Erneuerungen. Darüber hinaus spielt hier die Entsorgung eine Rolle. Um eine Anpassung an den Straßenbau vorzunehmen, müssen demnach Lebenszyklen definiert und ökologische Kennwerte für die Baustoffe gefunden werden.

2.1 Forschungsprojekt “Ökopost”

Im Auftrag des BMDV wurde hierzu ein Forschungsprojekt mit dem Titel Nachhaltigkeitspotenziale im Straßenbau mit dem Fokus auf Treibhausgasemissionen, Energiebedarf und Ressourcenschonung (“Ökopost”) ausgeschrieben, welches durch ein Konsortium unter der Federführung der TU Braunschweig bearbeitet wurde (Kessel et al., 2023). Um die Komplexität und den Umfang des Projekts einzugrenzen, wurden folgende Vorgaben gemacht:

  • 5 km Autobahnabschnitt mit einem Regelquerschnitt (RQ) von 31
  • Verkehrsaufkommen von 52.000 Kfz/24 h
  • Schwerverkehrsanteil von 10.000 Lkw/24h
  • Belastungsklasse Bk100 (Oberbau 85 cm)
  • Auswahl der Asphaltbauweisen: Splittmastixasphalt SMA konventionell, SMA in Kompaktbauweise und Gussasphalt MA
  • Auswahl des Oberbetons in Abhängigkeit der Texturierung: Waschbeton und Textur-Grinding

Die Lebenszyklusphasen aus den genannten Normen (DIN 2021, DIN 2022) wurden für die Belange des Straßenbaus angepasst. Der lineare Ablauf vom Neubau bis zum Abriss ist im Straßenbau nur sehr selten anwendbar, da meist nur einzelne Schichten erneuert werden und eine Straße im Grunde nie komplett rückgebaut wird. Um diese Besonderheit abzubilden, wurde im Zuge des Forschungsprojekts auch diese Darstellung angepasst (siehe Bild 2). Innerhalb der Nutzungsphase (B) kommt es immer wieder zu Erneuerungen und Instandsetzungen einzelner Schichten. Diese Schichten durchlaufen dann die Entsorgung und den Neubau, aber nie die Straße als Ganzes (Kessel et al., 2023).

Bild 2: Angepasste Darstellung der Lebenszyklusphasen für den Straßenbau (modifiziert nach DIN 2021)

Um die anfallenden Baustoffmengen zu errechnen und mit den ökologischen Parametern zu koppeln, wurde innerhalb des Projekts auch ein Bilanzierungstool entwickelt. Dieses wurde bewusst als Excel-Applikation entwickelt, um ein hohes Maß an Transparenz bei der Berechnung zu erzeugen. Es multipliziert die Baustofftonnagen für Einbau und Entsorgung mit den zugehörigen spezifischen Ökokennwerten in Kilogramm CO₂-Äquivalente (kg CO2-eq) und addiert Transporte über den gesamten Lebenszyklus mit einem Betrachtungszeitraum von 50 Jahren. Da das Tool viele Annahmen enthält, eignet es sich nicht zur Bewertung von Planungsvarianten, komplexen Bauprojekten oder zur Anwendung in der Ausschreibung. Trotzdem stellt das Tool den aktuellen Wissensstand dar und eignet sich sehr gut für die Bestimmung von Potenzialen.

2.2 Potenzialanalysen durch die BASt

Die innerhalb des Projekts “Ökopost” vorgenommenen Potenzialanalysen wurden in den vergangenen Monaten um weitere Analysen durch die BASt ergänzt, um ein noch vollständigeres Bild zu erhalten. Als Werkzeug wurde hierfür das entwickelte Tool genutzt und für jedes Szenario mit verschiedenen Lebenszyklen angewendet. Es wurden verschiedene Varianten betrachtet und berechnet, zur Vereinfachung werden hier aber zunächst nur die Ergebnisse einer Beton- und einer Asphaltbauweise mit jeweils einem definierten Lebenszyklus beschrieben. Beide Bauweisen wurden mit den unter 2.1 beschriebenen Vorgaben angesetzt und mit den als aktuell angesehenen Werten für bestimmte Randparameter als Referenzszenarien definiert. Diesen Aufbauten wurden alternative Szenarien gegenübergestellt, deren jeweils veränderte Parameter aus den Tabellen 1 & 3 hervorgehen.

2.2.1 Asphaltbauweise

Für die Asphaltbauweise wurde ein Splittmastixasphalt (SMA) als Referenzszenario ausgewählt. Der genaue Aufbau bestand aus einer Deckschicht SMA 11 S, einer Binderschicht AB 16 B S, einer Tragschicht AC 32 T S und der Frostschutzschicht. Dem gegenüber wurde zunächst ein pessimales Szenario (1) betrachtet, bei dem die Transportweiten verdreifacht wurden. In Szenario 2 wird der Anteil des Asphaltgranulats auf den nach derzeitigem Regelwerk maximalen Anteil angehoben. Szenario 3 beschreibt den Energieträger-Wechsel von Braunkohlestaub zu Gas in den Asphaltmischwerken, während Szenario 4 den Einsatz von temperaturreduziertem Asphalt annimmt (-20 °C).

Szenario 5 nutzt das durch die BASt entwickelte Konzept der Ewigkeitsstraße, bei der durch den Einsatz vom Kompaktasphalt für die Decke in Kombination einer Tragschicht mit polymer modifiziertem Bitumen deutlich höhere Nutzungsdauern für die Deck- und Binderschicht sowie den gebundenen Oberbau erzielt werden können.

Tabelle 1: Übersicht der Szenarien für die Potenzialanalysen an Asphaltstraßen. In Rot sind die Änderungen gegenüber dem Basisszenario zu sehen.

Die Ergebnisse der Berechnungen, die alle über den gesamten Lebenszyklus ermittelt wurden, zeigen deutlich die Einflüsse der geänderten Variablen (siehe Bild 3). Die Steigerung der Transportentfernungen führt zu einer deutlichen Zunahme an Treibhausgasemissionen von 13 %. Dabei ist allerdings anzumerken, dass hier von einer bestimmten Lkw-Flottenzusammensetzung ausgegangen wird und ein Schiffstransport unberücksichtigt bleibt. Trotzdem zeigt das Ergebnis, dass es absolut sinnvoll ist, Transportweiten zu minimieren. Der Effekt von einer gesteigerten Wiederverwendungsrate von Asphaltgranulat und dem Einsatz von temperaturabgesenktem Asphalt fällt allerdings sehr gering aus. Dies liegt zum einen daran, dass die aktuellen Wiederverwendungsraten im Referenzszenario bereits sehr hoch sind und im Falle des TA die Einsparungen des Mischwerks in der Lebenszyklusbetrachtung schlicht untergehen.

Bild 3: Relative Entwicklung der Treibhausgasemissionen der Szenarien im Vergleich zum Basisszenario mit Darstellung der Beiträge einzelner Schichten (Asphalt).

Der Wechsel des Energieträgers weg vom Braunkohlestaub hat hingegen mit einer Reduktion von 15 % deutliche Auswirkungen. Hierbei wurde sogar nur der ‘realistische’ Wechsel auf Erdgas betrachtet. Andere Energieträger wie Wasserstoff wurden zunächst nicht betrachtet. Die größten berechneten Einsparungen an CO2-Äq. konnten aber durch die Ewigkeitsstraße erzielt werden. Die deutlich gesteigerten Nutzungsdauern des gebundenen Oberbaus resultieren in einem drastischen Rückgang von 45 %. Dies zeigt die massive Hebelwirkung der Nutzungsdauern und verdeutlicht, dass in der Steigerung der Nutzungsdauern einer der Ansätze eines nachhaltigen Asphaltstraßenbaus liegen muss.

Als weiterer Schritt ist es auch möglich, die in den ersten Szenarien dargestellten Variationen miteinander zu kombinieren, um größere Einsparpotenziale zu verwirklichen (siehe Bild 4). Hierzu wird in Szenario 6 ein reines Asphaltszenario aufgebaut, bei dem die Steigerung der Wiederverwendung mit dem Umstieg auf Erdgas und temperaturreduziertem Asphalt verbunden wird. Für Szenario 7 werden die Änderungen aus Szenario 6 mit einer erhöhten Nutzungsdauer kombiniert, um die Wirkungen der Nutzungsdauer weiter zu verdeutlichen.

Bild 4: Kombinierte Szenarien mit relativen Auswirkungen gegenüber dem Basisszenario.

Neben der Betrachtung der Treibhausgasemissionen wurden identische Berechnungen auch für den kumulierten Energieverbrauch (KEA) und den Ressourcenverbrauch (ReCiPe Methode) durchgeführt. Der KEA wird in Megajoule Öläquivalente (MJ-oil-eq) angegeben, der Ressourcenverbrauch als schadensbasierte Wirkungsabschätzung in Kilogramm Kupfer-Äquivalente (kg Cu-eq). Wenn man die Ergebnisse der Potenzialanalysen bezüglich der Treibhausgasemissionen mit denen des Energieverbrauchs und des Ressourcenverbrauchs vergleicht, ist zu sehen, dass der Trend oftmals gekoppelt verläuft (siehe Tabelle 2). Die größeren Abweichungen zwischen den Nachhaltigkeitsindikatoren in Szenario 6 und 7 liegen darin begründet, dass erst über die Erhöhung der Nutzungsdauer die Verbräuche der Frostschutzschicht signifikant verändert werden, was die Ressourcenverbräuche stark beeinflusst.

Tabelle 2: Auswirkungen der Szenarien auf die Treibhausgasemissionen, den Energieverbrauch und den Ressourcenverbrauch in Relation zum Basisszenario in Prozent.

Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass gleichzeitig sämtliche Asphaltmischwerke von Braunkohlestaub auf Erdgas umstellen und die maximal erlaubten Asphaltgranulat-Anteile zum Einsatz kommen. Trotzdem veranschaulichen diese Szenarien, was schon heute möglich wäre, und dass, gerade über die Nutzungsdauern, die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes erreichbar sind.

2.2.2 Betonbauweise

Für die Betonbauweise wurde eine zweischichtige Bauweise aus Unter- und Oberbeton mit Textur-Grinding als Referenzszenario ausgewählt. Der genaue Aufbau bestand aus einem Ober- und Unterbeton mit Portlandzement (CEM I), einer hydraulisch gebundenen Tragschicht (ebenfalls mit CEM I) und der Frostschutzschicht. Wie auch bereits im Asphaltbereich wurde zunächst das pessimale Szenario 1 mit verdreifachten Transportweiten für die Rohstoffe betrachtet. In Szenario 2 wird Recycling-Beton in Unterbeton und HGT eingesetzt. Im Unterbeton wird die Hälfte der benötigten Gesteinskörnung substituiert, während in der HGT sogar 100 % ersetzt werden. Szenario 3 ersetzt den Portlandzement (CEM I) im Oberbeton durch Portlandhüttenzement (CEM II/A-S) und im Unterbeton durch Hochofenzement (CEM III/A). Die HGT wird in diesem Szenario nicht modifiziert. Szenario 4 setzt sich mit der Möglichkeit einer längeren Nutzungsdauer der HGT auseinander und verdoppelt hierfür die im Lebenszyklus angesetzte Nutzungsdauer. Das Konzept der Ewigkeitsstraße wird auch für die Betonbauweise umgesetzt und in Szenario 5 berechnet. Hierbei wird auf eine durchgehend bewehrte Fahrbahn gesetzt, die auf einer Asphalttragschicht statt auf der HGT des Referenzszenarios aufliegt. . Die dafür angesetzte Nutzungsdauer des Oberbaus von 50 Jahren soll hier die Wirkung zeigen. 

Tabelle 3:  Übersicht der Szenarien für die Potenzialanalysen an Asphaltstraßen. In Rot sind die Änderungen gegenüber dem Basisszenario zu sehen.

Die Berechnungsergebnisse (siehe Bild 5) zeigen, dass, ähnlich wie schon bei dem Beispiel aus dem Asphaltbereich, die Erhöhung der Transportweiten einen stark negativen Effekt auf die Treibhausgasemissionen hat. Er wirkt hier umso signifikanter, da für den Betonbereich ausschließlich die Transporte in Lebenszyklusphase A2 erhöht werden. Die Wiederverwendung von RC-Beton im gebundenen Oberbau birgt hingegen auf dieser Basis keinen Mehrwert. Da es sich bei den Zementen um einen der Haupttreiber der CO2-Äq.-Bilanz handelt, ist es wenig verwunderlich, dass Szenario 3 mit der Zementsubstitution einen deutlichen Rückgang von 19 % verzeichnen kann. Da der Rückgang hier im Ober- und Unterbeton anzusetzen ist, ist ein Blick auf Szenario 4 besonders interessant. Die höher angesetzte Nutzungsdauer der HGT führt ebenfalls über den Lebenszyklus zu starken Einsparungen (8 %). Die kombinierten Auswertungen im Asphaltbereich haben bereits gute Synergien aufgezeigt, und auch hier würde eine Kombination von den Szenarien 3 und 4 zu weiter gesteigerten Einsparungen führen. Das Konzept der Ewigkeitsstraße kann bei der Betonbauweise glänzen. So führen die Änderungen und damit verbundenen Annahmen zu um 45 % reduzierten THG-Emissionen. Hierbei sind die Nutzungsdauern des Oberbaus wieder der entscheidende Faktor und belegen die Notwendigkeit der Priorisierung der Nutzungsdauern.

Bild 5: Relative Entwicklung der Treibhausgasemissionen der Szenarien im Vergleich zum Basisszenario mit Darstellung der Beiträge einzelner Schichten (Beton).

3 Wissenstransfer

3.1 Diskussionsforum BASt 2024

Um weitere Einblicke in die Praxis zu erhalten und gleichzeitig realistisch umsetzbare Nachhaltigkeitspotentiale zu definieren, wurde am 25. Januar 2024 das Diskussionsforum Nachhaltigkeit unter dem Thema “10 Schnellmaßnahmen zur CO2-Minderung im Straßenbau” durch die BASt veranstaltet. Hierbei tauschten sich Vertreter aus Industrie, Verwaltung und Forschung über Potenziale und mögliche Hemmnisse bei der CO2-Minderung aus. Hierzu wurden die knapp 30 Teilnehmer auf drei Themenbereiche aufgeteilt, ehe sie in einem zweiten Teil ihren Themenbereich frei wählen konnten.

Die drei Themenbereiche wurden in Anlehnung an die Lebenszyklusphasen der Straße ausgewählt und umfassten Herstellungsprozesse (LZ-Phasen A1-A3), Bauprozesse (LZ-Phasen A4, A5, B3, B4) und den Rückbau (LZ-Phase C). Mit jeweils zwei Moderatoren der Abteilung Straßenbautechnik der BASt wurden Maßnahmen je Diskussionstisch gesammelt und in eine Prioritätenliste einsortiert. Dabei wurde der Fokus auf eine schnelle Umsetzbarkeit und große Wirkung gelegt. Im Ergebnis wurden insgesamt 15 Maßnahmen (fünf je Diskussionstisch) gesammelt und im Gesamtplenum abschließend nochmals diskutiert (siehe Tabelle 4). Insgesamt lassen sich die meisten Maßnahmen in zwei große Blöcke einteilen. Zum einen Maßnahmen, die die Nutzungsdauern positiv beeinflussen, und zum anderen Maßnahmen, die eine höhere Wiederverwendung von Material ermöglichen.

Tabelle 4: Zusammenstellung der im Diskussionsforum an den einzelnen Diskussionstischen herausgearbeiteten Nachhaltigkeits-Hebeln im Straßenbau im Vergleich zu den Ergebnissen der Potenzialberechnungen auf Basis des Ökopost-Tools.

Prozessoptimierungen und Performanceanforderungen stellen eine hohe technische Bauqualität sicher und tragen damit dazu bei, angestrebte Nutzungsdauern zu erreichen oder sogar zu steigern. Ein projektbezogenes Fräskonzept bei der Gewinnung von Ausbauasphalt soll helfen, eine möglichst hochwertige Wiederverwendung des Fräsguts umzusetzen. Ebenso wird ein schichtenweises Fräsen empfohlen, um die Qualität des Ausbaumaterials zu erhöhen und ein effizientes Recycling zu ermöglichen, während das Angebot einer Fräsgutbörse ein effizientes Haldenmanagement unterstützen könnte.

Mehrere der vorgeschlagenen Maßnahmen zielen außerdem auf eine Reduktion von Transportweiten ab. In diesem Zusammenhang gilt es, Materialien und Ressourcen möglichst lokal zu beschaffen und durch optimierte Logistik Leerfahrten zu vermeiden. Neben den direkten Einsparungen sollte eine Aufnahme des Transportwegs von der Mischanlage zur Baustelle nach Meinung der Teilnehmer als Vergabekriterium bei Bauaufträgen zu einem Umsetzungsanreiz führen. Unternehmen könnten so Anreize erhalten, ihre Fahrzeugflotte einschließlich der Nutzung umweltfreundlicher Antriebe wie Elektro-, Wasserstoff- oder Hybridfahrzeuge zu optimieren. Um zusätzliche Transportwege zu reduzieren, sollte bei Instandsetzungs- und Erneuerungsmaßnahmen die Aufbereitung und Wiederverwertung möglichst vor Ort erfolgen.

Die weitere Erhöhung der Wiederverwendung von Asphalt ist ein zentrales Ziel, um Ressourcen zu schonen und die Umweltbelastung zu reduzieren. Die Zielsetzung sollte dabei eine maximale, technisch umsetzbare Wiederverwendung, möglichst sogar in derselben Baumaßnahme, sein. Neben Konzepten für die Asphaltbauweise steht bei der Betonbauweise die Nutzung klinkerreduzierter Zemente im Fokus. Bei der Produktion von Portlandkompositzementen (CEM II) und Hochofenzementen (CEM III) wird deutlich weniger CO2 erzeugt. Das einschlägige Regelwerk für den Betonstraßenbau lässt die Verwendung dieser Zemente bereits zu. In der Praxis wird aber immer noch häufig der klassische Portlandzement (CEM I) verwendet.

Der Einsatz von Photovoltaik wurde nur insofern als weniger wichtig angesehen, da Betriebe, die die räumlichen Kapazitäten haben, auch rein aus wirtschaftlichen Gründen bereits auf Photovoltaik setzen.

Insgesamt konnte festgestellt werden, dass das Meinungsbild der Teilnehmer sehr gut mit den errechneten Nachhaltigkeitspotentialen übereinstimmt. Die Nutzungsdauern wurden ebenfalls als größter Hebel angesehen, während Energieträger und Transportwege ebenfalls Berücksichtigung fanden. Das Ziel einer schnellen Umsetzung ist aber bei vielen der genannten Komponenten recht komplex und bedarf auf allen Seiten entsprechendes Engagement und Energie, um diese voranzutreiben.

3.2 Forschungsplan

Um die Nachhaltigkeit und die Nutzung erkannter Potenziale im Straßenbau voranzutreiben, hat die BASt eine Strategie entwickelt, die verschiedenste Aktivitäten umfasst und konkret angeht (siehe Bild 6). So wurden in den vergangenen Jahren neben der bereits genannten Forschung weitere Forschungsprojekte initiiert und durchgeführt. Dabei ist insbesondere das Forschungsprojekt “Literaturstudie zur Nachhaltigkeit im Straßenbau” (Kemper et al., 2023), bei dem Nachhaltigkeitsthemenfelder und -kriterien überprüft und definiert wurden, zu nennen. Ein derzeit noch laufendes Gutachten bearbeitet die Quantifizierung von Treibhausgasemissionen für den Bau, Erhaltung und Betrieb der Bundesfernstraßen (THG-Lebenszyklusemissionen) für die frühen Planungsphasen. Ziel ist hier eine Aktualisierung der Datensätze aus dem Methodenhandbuch des BVWP für Treibhausgasemissionen für Bundesautobahnen, Bundesstraßen sowie für  Brücken- und Tunnelabschnitte.

Bild 6: Schematische Darstellung der (Forschungs-)Aktivitäten der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)

Laufende und kommende Forschung beschäftigt sich unter anderem mit europäischen und internationalen Lösungen für Nachhaltigkeitsbewertungs-Tools und einer Trendprognose für Nachhaltigkeitskriterien. Neben Forschungsthemen muss der Straßenbau auch gemeinsam nach weiteren Lösungen suchen. Dabei sind Produktkategorieregeln, die derzeit für Asphalt in Bearbeitung sind und für den Betonbereich bereits existieren, für die Straßenbaustoffe ebenso unerlässlich wie die Definition von Datenquellen. Hier und auch bei zukünftigen Arbeiten kommt der gemeinsamen Arbeit in der FGSV eine besondere Rolle zu.

3.3 Hinweispapier NHK-Bilanz StB 24

Auf der Grundlage der vorgestellten Arbeiten wurde im Arbeitskreis 4.6.2 “Umweltschutz und Ressourcenschonung” der FGSV ein Hinweispapier “zur Verwendung von Kriterien und Daten bei einer vereinfachten Ökobilanz von Straßenbaumaßnahmen” erstellt. Darin wird mithilfe einer einheitlichen vereinfachten Bilanzierung der ökologische Teil Nachhaltigkeit abgebildet, wobei zunächst nur der gebundene Oberbau, die Lebenszyklusphasen A1-A4 analog DIN EN 15643 (DIN 2021) und die entstehenden CO2-Äquivalente betrachtet werden. Es werden CO2-Äq.-Grundwerte für die Lebenszyklusphasen A1-A4 je Tonne Asphalt bzw. Kubikmeter Beton für eine möglichst repräsentative Auswahl an Beton- und Asphaltbauweisen tabellarisch aufgelistet. Um eine hohe Transparenz zu gewährleisten, werden alle genutzten Gleichungen und getroffenen Annahmen werden ausführlich erläutert. Eine Vergleichbarkeit der Lebenszyklusphasen A1-A3 mit Angaben aus produktspezifischen Produktdeklarationen wird darüber sichergestellt, dass die genutzten ökologischen Kennwerte aus den Datenbanken Ecoinvent (Asphalt) und GaBi/Sphera (Beton) stammen. Diese Datenbanken finden auch für die Produktkategorieregeln der genannten Baustoffe Anwendung.

Die Tabellen des Hinweispapiers befähigen die Baulastträger, schnelle und einfache Aussagen über den Treibhausgas-Impakt von Vorhaben zu treffen, ohne viele Hintergrunddaten zu benötigen. Ein vertieftes Wissen über Lebenszyklusanalysen wird nicht benötigt, gleichzeitig liefert das Papier alle Informationen, um einem geschulten Anwender mit Zugang zu den entsprechenden Datenbanken ein Nachvollziehen zu ermöglichen.

Das Hinweispapier befindet sich aktuell in der Abstimmung zwischen den bautechnischen Arbeitsgruppen der FGSV und wird in Kürze verfügbar sein.

In Zukunft sollen weitere Teile des Hinweispapiers erscheinen, in denen das Papier um weitere Lebenszyklusphasen sowie Nachhaltigkeitskriterien ergänzt wird. Ziel ist es, herstellerunabhängige und transparente Ökobilanzdaten für die Straßenbaulastträger als Entscheidungshilfe in der Planung bereitzustellen.

4 Fazit

In den letzten Monaten und Jahren wurde innerhalb des deutschen Straßenbaus viel Aufwand betrieben, um eine nachhaltige Entwicklung einzuleiten. Industrie, Forschung und Verwaltungen ziehen vermehrt an einem Strang, um nachhaltige Lösungen, die zum Teil bereits verfügbar sind, zu fördern. Für konkrete nachhaltige Entscheidungen mangelt es derzeit oft noch an den vorhandenen Datengrundlagen, umso wichtiger sind erste Berechnungen und Prognosen, um handlungsfähig zu bleiben. Es ist zu erwarten, dass sich in den kommenden Jahren bei den Ökobilanzierungen im Straßenbau vieles ändern wird. Die Einführung von verbindlichen Umweltproduktdeklarationen (EPD) auf Basis eingeführter Produktkategorieregeln und die Leistungserklärungen im Zuge der EU-BauPVo wird helfen, die vorhandenen Daten signifikant zu verbessern.

Die hier dargestellten Potenzialanalysen und Umsetzungsplanungen zeigen, dass vieles möglich ist und der Straßenbau in eine nachhaltige Zukunft blicken kann. Nachhaltigkeit darf nicht mehr länger als eines der zyklisch wiederaufkommenden Themen wahrgenommen werden, sondern muss sich fest im Denken verankern. Ein “Weiter so” darf es nicht mehr geben.

5 Literaturverzeichnis

  • Bundesregierung (2021), Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Berlin
  • Bundesregierung (2024), Ein Plan fürs Klima – Klimaschutzgesetz und Klimaschutzprogramm, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Berlin
  • DIN (2020)(1): DIN EN ISO 14040:2006 + Amd 1:2020. Umweltmanagement – Ökobilanz – Grundsätze und Rahmenbedingungen (EN ISO 14040:2006 + A1:2020), DIN Media, Berlin
  • DIN (2020)(2): DIN EN ISO 14044:2006 + Amd 1:2017 + Amd 2:2020. Umweltmanagement – Ökobilanz – Anforderungen und Anleitungen (EN ISO 14040:2006 + A1:2018 + A2:2020), DIN Media, Berlin
  • DIN (2021): DIN EN 15643:2021-12. Nachhaltigkeit von Bauwerken - Allgemeine Rahmenbedingungen zur Bewertung von Gebäuden und Ingenieurbauwerken. (EN 15643:2021), DIN Media, Berlin
  • DIN (2022): DIN EN 15804:2022-03. Nachhaltigkeit von Bauwerken – Umweltproduktdeklarationen – Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte. (EN 15804:2012+A2:2019+AC:2021), DIN Media, Berlin
  • Kemper, D.; Carreno, N.; Holldorb, C.; Cypra, S. (2023): Literaturstudie zur Nachhaltigkeit im Straßenbau. Schlussbericht zum Forschungsprojekt 04.335/2021/ARB. Aachen
  • Kessel, T.; Wistuba, M.; Pohl, T. (2023): Nachhaltigkeitspotentiale im Straßenbau mit dem Fokus auf Treibhausgasemissionen, Energiebedarf und Ressourcenschonung. Schlussbericht zum Forschungsprojekt 04.341/2021/ARB. Braunschweig