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1 Einleitung und Motivation
Der voranschreitende Klimawandel, der insbesondere durch die Freisetzung von Treibhausgasemissionen bedingt wird, sowie die Verknappung von Rohstoffen aus Primärquellen bewirken derzeit ein Umdenken bei Volkswirtschaften sowie bei jedem einzelnen Wirtschaftsteilnehmer. Der Infrastruktur- und Tiefbau zeichnet sich, im Vergleich zu anderen Industriezweigen, durch einen besonders hohen Verbrauch der global verfügbaren Ressourcen aus (Müller, et al. 2017).
Die deutsche Bundesregierung verfolgt mit dem Klimaschutzplan 2050 ambitionierte Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen und folglich zum globalen Klimaziel. Das wesentliche Ziel des Klimaschutzplans ist die Erreichung einer weitgehenden Treibhausgasneutralität im Jahr 2050, darunter wird die Reduzierung der Treibhausgasemissionen von mindestens 80 % im Vergleich zu 1990 angestrebt Dieses Klimaziel dient primär der Begrenzung des Temperaturanstiegs in der Folge des Klimawandels auf 1,5 °C (BMU 2016).
Neben dem mit dem Klimawandel verbundenen Temperaturanstieg in der Atmosphäre steht die globale Gemeinschaft zusätzlich vor der Herausforderung einer Verknappung der Ressourcen aus Primärquellen entgegenzuwirken. Diese Entwicklung bedingt eine Neuorientierung diverser Wirtschaftsaktivitäten und der Abkehr von einer primär ökonomischen Betrachtung der Lebenszyklen hin zu einer verstärkten Betrachtung von ökologischen Belangen und deren langfristigen Wirkungen. Der Begriff Circular Economy beschreibt diese Neuorientierung geschlossener Ressourcenkreisläufe und gewinnt insbesondere in ressourcenintensiven Wirtschaftszweigen an Relevanz, nicht zuletzt auch durch steigende Rohstoffpreise und damit verbundene Vorteilhaftigkeit von Recyclingprodukten.
Die Sustainable Development Goals der UN (SDG), das Pariser Klimaabkommen, der EU Green Deal und die Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands, die sich im aktuellen Koalitionsvertrag widerspiegelt, verdeutlichen, dass Nachhaltigkeit auf der politischen Ebene angekommen ist und auf alle Bereiche der Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft Einfluss nimmt. Der aktuelle Bericht des Weltklimarats zeigt noch einmal eindringlich, dass zeitnahes Handeln und Umdenken zu mehr Ressourcen- und Klimaschutz zwingend notwendig sind. Die Nachhaltigkeitskriterien wachsen daher zu einem wesentlichen Entscheidungstreiber der öffentlichen Hand und privatwirtschaftlicher Marktteilnehmer heran. Diese Entwicklung erfordert jedoch nicht nur die Benennung nachhaltiger Ziele, sondern gleichermaßen die Quantifizierbarkeit dieser Ziele und der damit vorweggehenden Entscheidungen, um eine objektive Messbarkeit sicherzustellen. Dies ist vor dem Hintergrund der Nachvollziehbarkeit – insbesondere bei Entscheidungen, die aus der Sphäre der öffentlichen Hand resultieren – unabdingbar und daher für den Straßenbau besonders relevant, handelt es sich schließlich bei Errichtungs- und Erhaltungsmaßnahmen der Straßeninfrastruktur um hoheitliche Aufgaben von Bund und Ländern.
Derzeit stehen bei der Investitionsentscheidung in Straßenbaumaßnahmen ökonomische, sicherheitsrelevante und soziale Kriterien – im Sinn volkswirtschaftlicher Kenngrößen – im Vordergrund. Das ökonomische Prinzip zum bedarfsgerechten Einsatz und zur Verbesserung der Wohlfahrt (Maximierung des volkswirtschaftlichen Nutzens) verpflichtet vor dem Hintergrund, eine gesamtgesellschaftliche Vorteilhaftigkeit bereitzustellen, zum sorgsamen Umgang mit den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln von Bund und Ländern. Zur Umsetzung dieses Interesses existiert in Deutschland der Bundesverkehrswegeplan als wichtigstes strategisches Planungsinstrument für Verkehrsinfrastrukturen. Der Bundesverkehrswegeplan berücksichtigt multidimensional die zukünftigen Errichtungs- und Erhaltungsmaßnahmen der Verkehrsinfrastruktur auf Netzebene, ordnet die angestrebten Maßnahmen nach Relevanz unter Betrachtung einer Nutzen-Kosten-Analyse und bewertet umwelt- und naturschutzfachliche, raumordnerische und städtebauliche Kriterien.
Bei der Planung und Umsetzung von Straßenbaumaßnahmen gelten heute und zukünftig vergaberechtliche Grundsätze. Diese Grundsätze orientieren sich ebenfalls an der effizienten Verwendung der Haushaltsmittel des Bundes und der Länder. Das öffentliche Vergabewesen in Deutschland ist geprägt durch die Grundsätze, die aus den Vergabeverordnungen (VgV, UVGV), der Sektorenverordnung (SektVO) sowie zugehörigen Richtlinien resultieren.
Auf Objektebene sind Vergabeentscheidungen bisher primär ökonomisch motiviert, es gilt das Prinzip des Preiswettbewerbs. Die Betrachtung von Lebenszykluskosten, sofern diese überhaupt bei der Planung und der Vergabe eine Rolle spielen, bildet dabei jedoch nur ein Kriterium im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung ab. Weitere Vergabekriterien werden zumeist über Bewertungsskalen der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung unterworfen. Neben der ökonomischen Dimension sollte im Zuge einer nachhaltigen Vergabeentscheidung die ökologische Dimension adressiert werden.
Zur Bereitstellung bewertbarer Grundlagen ist es notwendig Einsparpotenziale in einem ersten Schritt zu qualifizieren und anschließend zu quantifizieren. Anhand von Referenzbauweisen des Untersuchungsgegenstands werden praxisnahe Lebenszyklen dargestellt, die den Status-Quo der derzeitigen Umweltwirkungen abbilden. Durch modulare Anpassung von Maßnahmen entlang des Lebenszyklus können die daraus resultierenden Umweltwirkungen simuliert und gegenüber der Referenzbauweise verglichen werden. Dieses Vorgehen hat zum Ziel, einen modularen Maßnahmenkatalog zur Reduzierung der Umweltwirkungen entstehen zu lassen, sodass zukünftige Bauherren in die Lage versetzt werden, die jeweiligen baulichen Maßnahmen in Variantenvergleichen ökologisch bewerten zu können und somit neben der ökonomischen auch eine ökologische Betrachtung und Entscheidungsgrundlage vorfinden.
2 Ziel und Vorgehensweise des Forschungsvorhabens
Nachstehend werden das Ziel sowie die Vorgehensweise des diesem Bericht zugrundeliegenden Forschungsvorhabens, welches bis Ende 2023 bearbeitet wird, erläutert.
2.1 Ziel des Forschungsvorhabens
Ziel des Forschungsvorhaben ist es, quantifizierte Aussagen über ökologische Einsparpotenziale zur Reduzierung von Umweltwirkungen entlang des Lebenszyklus von Straßenbauwerken zu treffen. Die Analysen sind dabei auf die drei Umweltwirkungskategorien
- Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen)
- Energieverbrauch, erneuerbare und nicht-erneuerbare Energien und
- Ressourcenverbrauch
zu begrenzen.
Der Betrachtungsrahmen umfasst die drei übergeordneten Betrachtungsebenen
- Materialgewinnung und -recycling
- Herstellungs-, Einbau-, Erhaltungs- und Rückbauprozesse und
- Transportprozesse.
Die Qualifizierung und Quantifizierung der Einsparpotenziale erfolgt anhand eines exemplarischen Straßenbauwerks der Regelquerschnittsklasse RQ31.
Bild 1: Konzeptionelle Darstellung der Berücksichtigung der drei Umweltwirkungskategorien über den Lebenszyklus eines Straßenbauwerks
Wie vorstehend dargestellt verfolgt das Forschungsvorhaben das Ziel die drei Umweltwirkungskategorien simultan über den Lebenszyklus des Straßenbauwerks zu analysieren sowie die Interdependenzen und Korrelationen von Einsparwirkungen zu ermitteln. Die zyklische Erhaltung resultiert aus der Annahme, dass das Straßenbauwerk durch entsprechende Maßnahmen immer wieder in den betriebsbereiten und verkehrssicheren Zustand versetzt wird.
2.2 Vorgehensweise des Forschungsvorhabens
Zur zielführenden Durchführung des Forschungsvorhabens sind insbesondere zu Beginn Festlegungen und Definitionen von großer Bedeutung. Die funktionale Definition der Lebenszyklusdefinitionen ist ein wesentlicher Kern des Forschungsvorhabens, daher wurde diesem Arbeitspaket besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Übersicht über die Vorgehensweise sowie die Arbeitsschritte des Vorhabens zeigt die nachstehende Grafik.
Bild 2: Erläuterung der Vorgehensweise zur Ermittlung der Einsparpotenziale entlang des Lebenszyklus
Die erste Phase des Forschungsvorhabens befasst sich mit der Definition der Randbedingungen sowie des Untersuchungsrahmens. Der Untersuchungsgegenstand wurde seitens des Forschungsgebers BASt auf einen exemplarischen Autobahnabschnitt sowie die zu untersuchenden Bauweisen eingegrenzt. Ausgehend von diesen Randbedingungen werden die Grundlagen des Untersuchungsgegenstands hinsichtlich der Materialzusammensetzungen sowie weiterer asphalt- und betontechnologischer Grundlagen ausgearbeitet. Weiterhin werden die Lebenszyklusphasen des Straßenbauwerks definiert und gemäß den Besonderheiten des Infrastrukturbaus eingeordnet. Zur Definition der Lebenszyklusphasen dient den Forschenden die DIN EN 15643 als Grundlage. Ziel ist die eindeutige Abgrenzung von Aktivitäten sowie die Zuordnung von Umweltwirkungen zu diesen Aktivitäten und Phasen. Die notwendigen Datengrundlagen, die zur späteren Berechnung herangezogen werden, werden ebenfalls im Rahmen der Definition festgelegt.
In der zweiten Phase der Untersuchung werden die baulichen Maßnahmen entlang des Lebenszyklus definiert. Ziel hierbei ist es den Untersuchungsrahmen zu schärfen sowie eindeutige Abgrenzungen der Betrachtung zu ziehen. Gemäß der ausgeschriebenen Leistung ist der vollständige Lebenszyklus eines Straßenbauwerks abzubilden, hierbei sind die baulichen Maßnahmen von der initialen Errichtung über die bauliche Erhaltung bis zur Verwertung bzw. der Entsorgung zu definieren. Weiterhin sind in diesem Arbeitsschritt die Einsparpotenziale, die sich entlang des Lebenszyklus ergeben können, qualitativ herzuleiten und für die weitere Betrachtung sowie Berechnung vorzubereiten.
In der dritten Phase der Untersuchung werden die Umweltwirkungen entsprechend der zuvor qualifizierten Festlegungen berechnet. Im Fokus stehen hierbei die drei Umweltwirkungskategorien. Ziel dieser Phase ist die systematische Abbildung der Umweltwirkungen sowie die quantifizierte Zuordnung dieser zu den einzelnen Phasen. Nach Abschluss dieser Phase der Untersuchung sind die Umweltwirkungen quantifiziert entlang des Lebenszyklus abbildbar. Zur Quantifizierung der Umweltwirkungen wird sich der Methodik einer Ökobilanzierung (Life-Cycle-Assessment, LCA) bedient. Zur Vorgehensweise einer Ökobilanzierung ist an dieser Stelle auf die einschlägigen Normen DIN EN ISO 14040 bzw. DIN EN ISO 14044 verwiesen.
In der vierten Phase der Untersuchung werden die Umweltwirkungen entlang des Lebenszyklus hinsichtlich der Einsparpotenziale analysiert sowie Maßnahmen zur Schöpfung dieser Potenziale erarbeitet. Die Einsparpotenziale werden auf Basis von Szenarien nachgewiesen. Weiterhin werden die Umweltwirkungskategorien untereinander hinsichtlich Korrelation und Kausalität analysiert. Ziel dieses abschließenden Arbeitsschritts ist es Phasen und Maßnahmen mit besonders hohen Einsparpotenzialen zur Reduzierung der Umweltwirkungen entlang des Lebenszyklus eines Straßenbauwerks zu ermitteln. Es ist nicht Ziel eine Bewertung oder Priorisierung der Umweltwirkungskategorien vorzunehmen.
3 Lebenszyklus eines Straßenbauwerks
Die DIN EN 15643 definiert Lebenszyklusphasen und Informationsmodule, die zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Bauwerken herangezogen werden können. Die Unterteilung von Informationsmodulen dient der eindeutigen Abgrenzung von Aktionen innerhalb des Lebenszyklus und erlaubt die Zuordnung von Umweltwirkungen zu einer spezifischen Phase und Aktion. Derzeit wird die DIN EN 15643 primär im Hochbau angewandt und ist folglich auf Bauwerke des Hochbaus ausgelegt.
Damit den Belangen des Tief- und Straßenbaus Rechnung getragen werden kann, wird in dem hier zugrundeliegenden Forschungsvorhaben der Lebenszyklus eines Straßenbauwerks in einen linearen und einen zirkulären Anteil gegliedert. Dies resultiert aus der Annahme, dass Bauwerke des Tief- und Straßenbaus nach einer initialen Errichtung fortwährend bestehen und nie gänzlich rückgebaut werden. Aus diesem Grund wird das Bauwerk nach einer einmaligen Errichtung fortan lediglich durch Erhaltungsmaßnahmen in den betriebsbereiten Zustand versetzt. Nach der ersten Betriebsphase werden baulichen Maßnahmen als Erhaltungsmaßnahmen klassifiziert, sodass sich das Bauwerk in der zyklischen Phase des Lebenszyklus befindet. Ziel der Erhaltungsmaßnahmen ist es jeweils das Bauwerk in den betriebsbereiten Nutzungszustand zurückzuführen.
Bild 3: Lebenszyklus eines Straßenbauwerks mit linearem und zirkulärem Anteil
Die vorstehende Grafik zeigt einen exemplarischen Lebenszyklus eines Straßenbauwerks unter der Annahme, dass die Trassierung und Nutzungsart unverändert bleibt und das Bauwerk folglich „unendlich“ besteht. Die Informationsmodule entsprechen der DIN EN 15643 und sind auf die zuvor genannten Straßenbau-spezifischen Belange ausgelegt. Die Erläuterungen zum linearen und zirkulären Anteil der gezeigten Grafik sind in den Abschnitten 3.1 und 3.2 gegeben.
Infrastrukturen haben gegenüber anderen Gütern, insbesondere Konsumgütern, eine besonders lange Lebensdauer. Ressourcen werden folglich über lange Perioden in der Straße gebunden. Die im Straßenbau primär verwendeten Rohstoffe sind mineralischen Ursprungs und sollten aufgrund der Endlichkeit dieser Ressourcen unbedingt wiederverwendet oder wiederverwertet werden (Müller, et al. 2017). Hierzu gibt es bereits große Anstrengungen in der Forschung und in der Praxis.
3.1 Linearer Bestandteil des Lebenszyklus
Es gilt die Annahme, dass der lineare Bestandteil eines Straßenbauwerks ein einmaliger Vorgang zur erstmaligen Errichtung der Trasse (Straße) ist. Diese Annahme wird darauf zurückgeführt, dass durch die Trassenfestlegung im Bundesverkehrswegeplan bereits eine umfängliche Prüfung der grundsätzlichen (volkswirtschaftlichen) Notwendigkeit zur Errichtung dieser Straße erfolgt ist.
Der lineare Bestandteil impliziert die Phase vor der Nutzung der Straße und umfasst die Informationsmodule A1 bis A5, die repräsentativ für die erstmalige Errichtung (Herstellung) der Trasse respektive Straße steht. Der Übergang an dem Material von natürlichen Systemen durch technologische Aktivitäten zur Technosphäre überführt wird und Emissionen an die Umwelt abgibt, ist als allgemeine Systemgrenze für die Herstellungsphase zu verstehen.
3.2 Zirkulärer Bestandteil des Lebenszyklus
Der zirkuläre Bestandteil des Lebenszyklus beruht auf der Annahme, dass das Straßenbauwerk nach Errichtung fortwährend besteht. Der zirkuläre Fortbestand des Straßenbauwerks impliziert nach dessen erstmaligen Errichtung, dass die Gewährleistung zur Nutzung der Straße über die bauliche Erhaltungsmaßnahmen (Instandsetzungs- und Erneuerungsmaßnahmen) gesichert wird. Regelmäßig anfallende bauliche Erhaltungsmaßnahmen ermöglichen den stetigen Fortbestand des Straßenbauwerks. Die Regelmäßigkeit der Maßnahmen wird durch die zirkuläre Darstellung der Informationsmodule abgebildet und stellt damit die auf modulare Struktur der Herangehensweise ab.
Im Zuge der Erhaltungsmaßnahmen werden der Rückbau (C1), Transportvorgänge (C2) und die Abfallaufbereitung/Wiederverwertung (C3) sowie mögliche Entsorgungen (C4) vor der Materialherstellungsphase (A1 bis A3) durchgeführt. Die Materialherstellungs- sowie die Einbauprozesse der Erhaltungsmaßnahmen zeichnen sich durch identische Aktivitäten zur initialen Errichtung aus und sind dementsprechend mit den gleichen Informationsmodulbezeichnung versehen. Die jeweils zu betrachtenden Erhaltungsmaßnahmen berücksichtigen dabei Geräteaufwandswerte sowie den Materialbedarf, die entsprechend anfallen.
4 Umweltwirkungskategorien
Zur Messung der ökologischen Auswirkungen, die sich entlang des Lebenszyklus eines Straßenbauwerks ergeben, sind Umweltwirkungskategorien zu definieren. Diese dienen der Abgrenzung und Eingrenzung des Forschungsvorhabens und bilden den Betrachtungsrahmen für die weitere Qualifizierung von Einsparmaßnahmen. Nachstehend werden die zu betrachtenden Umweltwirkungskategorien erläutert.
4.1 Treibhausgasemissionen
Der wesentliche Treiber des Klimawandels und gleichzeitig die in der gesellschaftlichen Diskussion bekannteste Umweltwirkungskategorie berücksichtigt die THG-Emissionen. THG-Emissionen sind jegliche Emissionen, die die Treibhauswirkung der Atmosphäre bedingen und somit zur Klimaerwärmung beitragen. Dieses Wirkungsmodell beschreibt die kumulierten Wirkungen verschiedener Treibhausgase bezogen auf die Leitsubstanz Kohlendioxid (CO2). Die THG-Emissionen werden kumuliert mit der Einheit kg CO2-eq. (eq. – equivalents, „Äquivalente“) erfasst Die Quantifizierung der Treibhauswirkung wird auf Basis des 6. Sachstandsberichts des IPCC vorgenommen. (IPCC 2021) (IPCC 2022). Weiterhin sind Methan (CH4), Lachgas (N2O) als Bestandteile der relevanten THG zu nennen.
4.2 Energieverbrauch
Diese Wirkungskategorie quantifiziert den kumulierten Energieaufwand der nicht-erneuerbaren sowie auch den Energieaufwand erneuerbarer Energieträger. In der Bauwirtschaft ist dieser Kennwert bereits etabliert und wird folglich in Ökobilanzdaten der Bauwirtschaft verwendet. Das Ergebnis der Ökobilanz wird bei der Methode des kumulierten Energieaufwands als MJ-Oil-eq. oder kWh Oil-eq. (MJ / kWh Öl-Äquivalente) ausgegeben. Eine MJ-Oil-eq. bildet, analog zur Methode der Treibhausgase (kg CO2-eq.), die Basislinie zur Umrechnung der verschiedenen Energiequellen auf einen gemeinsamen Nenner (Frischknecht, et al. 2007).
4.3 Ressourcenverbrauch
Die Betrachtung der Wirkungskategorie Ressourcenverbrauch ist im Bereich des Infrastrukturbaus von hohem Interesse, da die Verwendung mineralischer Rohstoffe im Vergleich zu anderen Gütern (insbesondere Konsumgütern) besonders hoch ist. Mineralische Rohstoffe sind nicht nachwachsende Rohstoffe und stellen damit eine endliche Ressource dar. (Müller, et al. 2017)
Die Ökobilanzmethode „ReCiPe“ ist die in diesem Forschungsvorhaben verwendete Methode zur Messung des Ressourcenverbrauchs, da diese eine teilaggregierte oder vollaggregierte Auswertung in der Ökobilanz erlaubt. Bei der teilaggregierten Auswertung lässt die Methode die separate Ausgabe der abiotischen Ressourcenentnahme zu, wohingegen bei einer vollaggregierten Auswertung (sog. „End-Point“ LCA Auswertung) eine einzelne Wirkungskategorie nicht mehr abgebildet werden kann. (Huijbregts, et al. 2017).
5 Ermittlung ökologischer Einsparpotenziale
Zur Ermittlung der ökologischen Einsparpotenziale entlang des Lebenszyklus des Straßenbauwerks sind die Wirkungskategorien verursachungsgerecht den jeweiligen Informationsmodulen und Aktivitäten zuzuordnen. Die eindeutige Zuordnung von Einsparpotenzialen zu den jeweiligen Informationsmodulen erhöht die Vergleichbarkeit der Bauweisen und ermöglicht die zielgerichtete Fokussierung zur Schöpfung weiterer Potenziale innerhalb einer Lebenszyklusphase durch anschließende Forschungsvorhaben.
Bild 4: Schritte einer Ökobilanz nach ISO 14040ff. Das Vorgehen zwischen den einzelnen Schritten ist iterativ
Die vorstehende Abbildung zeigt das generelle Ablaufschema einer Ökobilanzierung nach ISO 14040 mit den vier wesentlichen Teilschritten (1) Festlegung der Rahmenbedingungen („Goal and Scope“ (2) Aufstellen einer Sachbilanz, (3) Berechnung der Auswirkungen auf die Umwelt und Wirkungsabschätzungen sowie (4) die Auswertung und Interpretation der Ergebnisse. Ergänzt ist in dieser Abbildung das Feld „Anwendungen“ zur Darstellung möglicher Anwendungsfälle der Ökobilanzierung. Generell besitzt eine Ökobilanzierung zuvorderst eine Informationsfunktion und kann als Grundlage für die Entscheidungsfindung herangezogen werden.
Die Methodik der Ökobilanzierung ist die etablierte holistische Herangehensweise der quantitativen Bewertung ökologischer Potenziale zur Erfassung jeglicher Umweltwirkungen entlang einer definierten Prozesskette (Klinglmair, et al. 2014).
Bevor eine Quantifizierung von Einsparpotenzialen vorgenommen werden kann, gilt es zuerst entsprechende Betrachtungsbereiche zu qualifizieren, die eine Reduzierung der Umweltwirkungen versprechen. Die Herangehensweise sowie der Status Quo zur Qualifizierung und Quantifizierung der Einsparpotenziale ist nachstehend erläutert.
5.1 Qualifizierung der Einsparpotenziale
Die Qualifizierung der Einsparpotenziale entlang des Lebenszyklus eines Straßenbauwerks ist die hinreichende Aufgabe zur Festlegung des Detaillierungsgrads der Betrachtungsebene. Der Detaillierungsgrad der Betrachtungsebene nimmt wesentlichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Prozessketten von Errichtung und Rückbau des Straßenbauwerks sowie die zu betrachtenden Arbeitsschritte und Maschinen. Ziel ist es, diejenigen Aktivitäten zu ermitteln, die einen wesentlichen Beitrag zu den Umweltwirkungen leisten oder ein erhebliches Einsparpotential aufweisen.
Zur Qualifizierung der Einsparpotenziale dient derzeit eine strukturierte Literaturrecherche (SLR) als vorgeschaltete Grundlagenermittlung vor der konkreten Betrachtung der Einsparmaßnahmen mit Fokussierung des Untersuchungsgegenstands. Die Methodik der SLR ist eine wissenschaftlich anerkannte und verbreitete Methode zur Analyse und Abbildung des Forschungsstands (State of the art).
5.2 Quantifizierung der Einsparpotenziale
Zur Ermittlung ökologische Einsparpotenziale entlang des Lebenszyklus einer Straßenbaumaßnahme ist es im ersten Schritt notwendig die Prozesse und Aktivitäten sowie Materialflüsse über die Lebensdauer einer Straße dezidiert aufzustellen. Im nächsten Schritt werden Aktivitäten qualifiziert, die eine besonders hohe Einsparung versprechen bzw. ein hohes Einsparpotenzial besitzen.
Hierbei lassen sich die folgenden zwei Treiber der Einsparpotenziale benennen.
- Aktivitäten mit einem besonders hohen Energieverbrauch, einer hohen Freisetzung von THG-Emissionen oder einem hohen Ressourcenkonsum, besitzen durch den hohen Konsum ein entsprechend hohes Reduzierungspotenzial,
- Aktivitäten oder Materialflüsse die durch anderweitige, bereits erprobte Verfahren oder Materialein ersetzt werden können besitzen ein Einsparpotenzial hinsichtlich der Substituierbarkeit.
Ein weiteres Einsparpotenzial ist die verlängerte Nutzungsdauer eines Straßenbauwerks nach der Durchführung einer Erhaltungsmaßnahme oder der Errichtung. Dies ergibt sich aus der Annahme, dass die ökologischen Aufwendungen einer Maßnahme eine entsprechend daraus resultierenden Nutzungsdauer rechtfertigen. Hierbei ist eine Maßnahme als nachhaltig zu deklarieren, je länger als Produkt genutzt werden kann und in dem ursprünglichen Zustand gehalten werden kann. Auch ökologisch aufwändige Maßnahmen können gerechtfertigt sein, wenn eine entsprechend lange Nutzungsdauer aus der Durchführung der Maßnahme resultiert.
In dem diesem Bericht zugrundeliegenden Forschungsvorhaben wird die ökologische Performance einer Maßnahme durch die Verwendung einer zeitlichen Komponente bzw. der Hinterlegung einer zeitlichen Nutzungsdauer gerechtfertigt. Gleichzeitig gilt, dass Maßnahmen eine gewisse Mindestdauer der Haltbarkeit bzw. Dauerhaftigkeit aufweisen müssen. Die technische Abnutzung und damit zusammenhängende Sicherheitsindikatoren der Straße sind selbstverständlich in dieser Betrachtung zu berücksichtigen.
An dieser Stelle ist hervorgehoben, dass ein verminderter Energie- und Ressourceneinsatz sowie die angestrebte Reduzierung von THG-Emissionen nicht mit einer Qualitätsminderung des Straßenkörpers oder einer Sicherheitseinschränkung einhergehen dürfen. Es ist darauf zu achten, dass die technischen Fähigkeiten der Straße (u. a. Abriebfestigkeit und Griffigkeit) erhalten bleiben.
Die Umweltwirkungskategorien, die im Zuge des hier vorliegenden Forschungsvorhabens untersucht werden, werden separat betrachtet analysiert. Zum jetzigen Zeitpunkt wird davon ausgegangen, dass Korrelationen zwischen den Wirkungskategorien auftreten, sobald eine Reduzierung einer Dimension angestrebt wird.
Im Zuge des verstärkten Einsatzes erneuerbarer Energien wird eine reduzierte Emission der THG die Folge sein, dies ist unumstritten. Ob sich eine Erhöhung der Recyclingquote, die sich direkt auf die Reduzierung des Ressourcenverbrauchs auswirkt, auch mit einem verminderten Energiebedarf einhergeht, darf zum jetzigen Zeitpunkt bezweifelt werden. Der Rückbau der Fahrbahn, die sortenreine Trennung und Aufbereitung des Recyclingmaterials sind energieintensive Prozesse, die gleichzeitig die Ressourceneffizienz erhöhen. In diesem Fall spricht man von einer Lebensdauerverlängerung des eingesetzten Materials, sofern es sich um eine gleichwertige Wiederverwendung des Materials handelt.
Im Zuge der Quantifizierungen der Einsparpotenziale wird im weiteren Projektverlauf insbesondere auf die Korrelationen zwischen den Umweltwirkungskategorien, die sich aus den Reduzierungen ergeben, eingegangen. Die Ergebnisse dieser Korrelationsanalysen können Aufschluss über die zu wählende zukünftige nachhaltige Strategie im Straßenbau geben. Es gilt die Frage zu stellen, ob eine erhöhte Ressourceneffizienz durch Erhöhung der Recyclingquote einen erhöhten Energieeinsatz rechtfertigt.
6 Zusammenfassung und Ausblick
In der globalen Krise des Klimawandels und der abnehmenden Ressourcenverfügbarkeit sind Maßnahmen zur Reduzierung der Abhängigkeit von Ressourcen aus Primärquellen sowie zur Einschränkung der Freisetzung von THG-Emissionen von besonderer Relevanz. Das hier vorgestellte Forschungsvorhaben bildet eine Grundlage in der langfristigen Zielstellung die Umweltwirkungen des Straßenbaus zu reduzieren. Aus den Erkenntnissen dieses Vorhabens lassen sich anschließende Aufgaben ableiten, die konkrete Auswirkungen auf Vergabeentscheidungen oder Vergabekriterien nehmen und damit die Position der ökologischen Nachhaltigkeit auch in die ausführenden Bauunternehmen tragen. Für eine langfristige Etablierung von umweltfreundlicheren Errichtungs- und Erhaltungsmaßnahmen bedarf es der hohen Innovationsfreude und Kompetitivität des Markts entsprechende Verfahren flächendeckend zu entwickeln.
Konkret bezogen auf das weitere Vorgehen des Forschungsvorhabens werden die nachstehenden Aufgaben durchgeführt
- Qualitative Bewertung und Eingrenzung von zu untersuchenden Potenzialen respektive Szenarien,
- Prüfung und Validation der vorhandenen Daten(-banken) und gegebenenfalls Ermittlung, Abfrage und Vervollständigung fehlender Daten durch ein Datenanforderungsblatt,
- Definition praxisnaher Prozess- und Arbeitsschritte für notwendige Tätigkeiten im Lebenszyklus einer Straße (z. B. Einsatz von Gerätschaften, Arbeits- und Betriebsstunden),
- Festlegung des Untersuchungsrahmen im Sinne der Ökobilanzierung, das heißt die Definition der Systemgrenze für die Sachbilanz anhand der festgelegten Szenarien,
- Erarbeitung und Festlegung von Referenzflüssen (derjenige Stofffluss auf den die Ökobilanz bezogen wird) entsprechend den Anforderungen des Forschungsgegenstandes.
Literaturverzeichnis
Frischknecht, Rolf, et al. (2007): Implementation of Life Cycle Impact Assessment Methods. ecoinvent report No. 3 v2.0. Dübendorf: Swiss Centre for Life Cycle Inventories
IPCC. Climate Change (2021): The Physical Science Basis. Contribution of Working Group + to the Fifth Assessment Report of the Intergeovernmental Panel on Climate Change. Cambridge, United Kingdom and New York, USA: Cambridge University Press
IPCC. Climate Change (2022): Synthesis Report. Genf: Intergovernmental Panel on Climate Change
DIN EN ISO 14040: Umweltmanagement – Ökobilanz – Grundsätze und Rahmenbedingungen (ISO 14040:2006 + Amd 1:2020)
DIN EN ISO 14044: Umweltmanagement – Ökobilanz – Anforderungen und Anleitungen (ISO 14044:2006 + Amd 1:2017 + Amd 2:2020)
Klinglmair, Manfred; Serenella Sala; Miguel Brandao und „Assessing resource depletion in LCA: a review of methods and methodological issues.“ International Journal of Life Cycle Assessment, 2014:580–592
Müller, Felix; Christian Lehmann; Jan Kosmol; Hermann Keßler; Til Bolland (2017): Urban Mining – Ressourcenschonung im Anthropozän. Umweltbundesamt
DIN EN 15643: Nachhaltigkeit von Bauwerken – Allgemeine Rahmenbedingungen zur Bewertung von Gebäuden und Ingenieurbauwerken |