Motorradfahren hat in Europa eine weitgehend unterschätzte wirtschaftliche und verkehrliche Bedeutung. In Deutschland nutzen etwa 5 Mio. Menschen derzeit 3,7 Mio. Motorräder. Das Unfallgeschehen konzentriert sich auf die Monate April bis September (85 % d. U.) und dabei auf die Wochenenden und Feiertage (30 % d. U.).
Die Unfallentwicklung ist seit Jahren gleichbleibend hoch, so im Jahr 2005: 35 000 Unfälle mit Personenschäden, 12 000 Unfälle mit schweren Personenschäden (U-SP), 875 Getötete. Ein Zugewinn an Sicherheit, wie er sich im allgemeinen Verkehrsgeschehen darstellt, bleibt aus. Das Unfallrisiko liegt etwa 10- bis 12-mal höher als das bei Pkw-Nutzung.
Motorradunfälle unterscheiden sich deutlich von anderen Unfällen. Es gibt keine schützende Karosserie. Unfallverhütende Sicherheitseinrichtungen wie ABS, ESP oder schadensmindernder Airbag sind derzeit nicht Standard oder nur bedingt einsetzbar.
Schwerste Motorradunfälle sind ein Phänomen der Landstraße – insbesondere die landschaftlich reizvollen Strecken mit hohem Zweiradverkehr. So verunglückten 2005 auf Außerortsstrecken etwa 65 % der getöteten Fahrer (600 Pers), auch die U-SP finden sich hier mit etwa 50 % (5 500 Pers). Innerorts ereignen sich über 40 % der U-SP, dagegen nur 25 % der Unfälle mit Getöteten.
Das Augenmerk liegt deshalb auf den sogenannten Motorradstrecken. Die schweren Unfälle liegen zu etwa 50 % in Kurven, zu 30 % an Knoten und zu etwa 20 %, auf der Strecke. Rund 75 % der Unfälle in Kurven sind Fahrunfälle („meist nicht angepasste Geschwindigkeit“) und enden beim Abkommen von der Fahrbahn häufig auf einem Hindernis mit oft tödlichen Folgen: Anteile Baum 35 %, Schutzplanke 30 %, sonstige Hindernisse 20 %.
Der „hindernisfreie Seitenraum“ hat deshalb eine – wie in der Sicherheitspolitik der Verkehrsplanung leider nur schwer durchsetzbare – herausragende Bedeutung. Die üblicherweise vorhandenen Umfeldbedingungen geben nur selten freien Raum an der Kurvenaußenseite. Diese ist dann durch passive Schutzeinrichtungen geschützt, die für den Motorradfahrer jedoch ein zusätzliches gefährliches Hindernis darstellen.
Erste Abhilfemaßnahmen der 80er Jahre wie Sigmapfosten oder SPU-Ummantelungen erwiesen sich als sehr wenig wirksam. Ende der 90er Jahre ergab sich aus einem Forschungsprojekt mit dem „Schweizer Kastenprofil“ eine technisch brauchbare, aber wirtschaftlich nicht tragfähige Lösung, die sich nicht durchsetzen konnte. Den Durchbruch in Deutschland brachte der von einem Straßenbauamt pragmatisch entwickelte und eigenverantwortlich eingesetzte Unterfahrschutz „Typ Euskirchen“, der 2004 die Zulassung mit festgelegten Einsatzbedingungen erlangte. Kostengünstig, nachrüstbar und praxistauglich – als System nicht nur in Deutschland vielfach eingesetzt – selbst ein Verein für Mehr Sicherheit für Motorradfahrer sponsert seinen Einsatz.
Eine Weiterentwicklung zu einem Typ „Euskirchen plus“ für einen allgemeinen Einsatz (nicht nur für „rutschenden“, sondern auch für „aufrechten“ Sturz) ist in einem zweiten Forschungsprojekt der BASt mit Anpralluntersuchungen erfolgreich geprüft worden – die für eine Zulassung nötigen Pkw-Anpralltests stehen noch aus.
Der Arbeitskreis 3.8.6 „Motorradunfälle“ der FGSV erarbeitet seit 2003 mit Mitgliedern aus Straßenbauverwaltung, Verkehrsbehörden, Polizei, Sicherheitsinstituten, Hochschulen und Motorradverbänden ein „Merkblatt zur Verbesserung der Verkehrssicherheit auf Motorradstrecken“ (M VMot).
Dieses Merkblatt für die Praxis wird sich befassen mit:
- der Ermittlung und Detailanalyse unfallauffälliger Bereiche
- dem Weg der Maßnahmenfindung
- den Maßnahmen: verkehrsrechtlich, baulich, betrieblich (geeignete Schutzeinrichtungen) und der Verkehrsüberwachung
- sowie weiterführenden Konzepten.
In Anhängen werden Daten zum Unfallgeschehen, Technische Entwicklung von Motorrad-Sicherheitssystemen, Methoden der Verkehrsüberwachung sowie Beispiele von Sonder-Untersuchungen und Modellstrecken aufgeführt. Es soll 2007 erscheinen. |