FGSV-Nr. FGSV 002/106
Ort Stuttgart
Datum 02.04.2014
Titel Modellbasierte Anpassung von Grünzeiten in koordinierten Steuerungen unter der Randbedingung vollständiger Warteschlangenleerung
Autoren Dr.-Ing. Stefan Lämmer, Dipl.-Ing. Kathleen Tischler
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Es wird ein neuer Ansatz zur Steuerung von Lichtsignalanlagen vorgestellt, der die Grünzeiten modellbasiert an kurzfristige Verkehrsschwankungen anpasst. Das Steuerverfahren ermittelt für eine Phase einen Umschaltzeitpunkt zwischen einer minimalen und maximalen Grünzeit. Dabei erhält zunächst der Abbau aller Warteschlangen der aktuellen Phase Priorität. Falls erforderlich, wird anschließend die maximale Grünzeit verkürzt, um auch für die nächste Phase eine vollständige Warteschlangenleerung zu ermöglichen. Im verbleibenden Freiraum wird ein Umschaltzeitpunkt so gewählt, dass die Fahrzeughalte der aktuellen und der nächsten Phase minimiert werden. Der neue Ansatz ist so konzipiert, dass er sich als lokales Modul innerhalb von Koordinierungen oder Netzsteuerverfahren einsetzen lässt. In einer Simulation wird gezeigt, dass das Verfahren als Alternative zur bisher eingesetzten Zeitlückensteuerung Verbesserungen hinsichtlich der Fahrzeughalte und Wartezeiten erzielt.

PDF
Volltext

Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Einleitung

Um den Verkehr in Städten flüssiger zu gestalten, werden häufig Koordinierungen eingerichtet. Diese sind als umlaufbasierte Festzeitsteuerungen oder auch verkehrsabhängig realisiert. Mit den Systemen MOTION (siehe BUSCH 2001, [1]) und BALANCE (siehe FRIEDRICH 1997, [2]) gab es in Deutschland erste Erfolge beim Einsatz netzweiter Optimierungen. Dabei werden Freigabezeitanteile und Umlauf- bzw. Versatzzeiten entsprechend der globalen Verkehrslage optimiert. Anschließend geben beide Verfahren Rahmensignalpläne an die lokale Ebene jedes Knotenpunktes im Netz weiter. Die lokale Anpassung der Grünzeiten an kurzfristige Verkehrsschwankungen geschieht dort in der Regel auf Basis einer Zeitlückenmessung.

Diese sog. Zeitlückensteuerung beendet eine Phase bei Auftreten einer größeren als der zuvor definierten kritischen Zeitlücke. Dies bewirkt, dass vor einem Umschalten zuerst die Warteschlangen der aktuellen Phase geleert werden, vorausgesetzt die maximale Grünzeit wurde noch nicht überschritten. Weil die Zeitlückensteuerung nur die aktuelle Phase beachtet und der Detektionshorizont aufgrund geringer Detektorabstände zur Haltelinie beschränkt ist, können zwei ungünstige Fälle auftreten: (a) Es kommen nach einer größeren Lücke nochmals viele Fahrzeuge an, die dann anhalten müssen. (b) Einzelne Fahrzeuge, deren Zeitlücken gerade unterhalb des kritischen Wertes liegen, verzögern das Phasenende und halten dadurch eine ggf. ankommende Kolonne in der nächsten Phase an.

Der hier vorgestellte Ansatz ist so konzipiert, dass er als Alternative zur Zeitlückensteuerung sowohl an umlauf- und phasenbasierten Einzelknoten als auch innerhalb der zuvor erwähnten adaptiven Netzsteuerungen sowie offline geplanter Koordinierungen einsetzbar ist. Ebenso wie bei der Zeitlückensteuerung werden die Phasen zwischen einer minimalen und einer maximalen Grünzeit beendet. Zunächst wird die vollständige Warteschlangenleerung abgewartet, um die Grünzeit so effizient wie möglich zu nutzen und ein mehrmaliges Halten zu vermeiden. So lange innerhalb der verbleibenden Grünzeit noch mehr Fahrzeuge in der aktuellen Phase abfließen können als in der nächsten halten müssen, wird weiterhin Grün gegeben. Kurz bevor mehr Stopps in der nächsten Phase als in der aktuellen auftreten würden, wird umgeschaltet. Spätestens wird aber so umgeschaltet, dass auch die Warteschlangen der nächsten Phase vollständig geleert werden können. Im Gegensatz zur regelbasierten Zeitlückensteuerung entscheidet sich die hier vorgeschlagene Steuerung modellbasiert für einen optimalen Umschaltzeitpunkt, so dass die Anzahl der Halte aller potenziell betroffenen Fahrzeuge in der aktuellen und der nächsten Phase minimiert werden. Dieser Ansatz wurde bereits in TISCHLER 2013, [3] vorgestellt und wird hier um den Aspekt der Warteschlangenleerung erweitert.

Im Netzsteuerverfahren SCOOT (siehe HUNT 1981, [4]) zielt die kurzfristige Anpassung von Grünzeiten darauf ab, ebenso zuerst eine Leerung der Warteschlangen zu ermöglichen und dann verbleibende Grünzeitpuffer möglichst gleichmäßig auf alle Phasen zu verteilen. Kriterium hierfür ist der Auslastungsgrad, also das Verhältnis aus tatsächlichem Grünzeitbedarf zur angebotenen Grünzeit. Eine Möglichkeit für die Überwachung von Warteschlangenlängen ist das Verfahren von MÜCK 2002, [5], das beispielsweise in der Netzsteuerung BALANCE (siehe FRIEDRICH 1997, [2]) zur Minimierung maximaler Rückstaulängen eingesetzt wurde. Das nur für Einzelknoten geeignete Verfahren MOVA (siehe VINCENT 1988, [6]) optimiert Halte und Wartezeiten gleichzeitig, nachdem die aktuellen Warteschlangen geleert wurden. Ebenso wie hier vorgeschlagen betrachtet es in der aktuellen Phase die Anzahl der Halte. Im Gegensatz zum hier vorgestellten Ansatz wird für die nächsten Phasen aus den bereits detektierten Warteschlangen und einer angenommenen konstanten Ankunftsrate die Wartezeit optimiert.

Im nächsten Kapitel wird die Methodik beschrieben. Kapitel 3 stellt die Simulation des neuen Steueransatzes in einem Vergleich zu einer Festzeit- und einer Zeitlückensteuerung vor. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst.

2 Methodik

Es ist ein Rahmensignalzeitenplan vorgegeben, in dem neben der Umlaufzeit, der Phasenteilung und Phasenfolge auch die minimalen und maximalen Grünzeiten vorab geplant sind (Abschnitt 2.1). Weiterhin gibt es als Eingangsdaten aktuelle Detektormesswerte, aus denen sich Fahrzeugankünfte an der Haltelinie prognostizieren lassen (siehe 2.2). Im Folgenden wird ein Entscheidungskonzept vorgestellt, das für eine noch verbleibende Grünzeit in der aktuellen Phase den bestmöglichen Umschaltzeitpunkt findet. Hierbei sind in erster Linie die Warteschlangen zu leeren. Dazu wird zunächst abgewartet bis die aktuellen Warteschlangen geleert sind (siehe 2.3). Anschließend erfolgt für die nächste Phase eine Prüfung, wann spätestens umzuschalten ist, um dort die Warteschlangen leeren zu können. Gegebenenfalls wird so das spätestmögliche Grünende für die aktuelle Phase entsprechend vorgezogen (siehe 2.4). Für jeden Umschaltzeitpunkt innerhalb der verbleibenden Grünzeit wird nun bilanziert, wie viele Stopps sowohl in der aktuellen als auch in der nächsten Phase auftreten würden (Abschnitt 2.5). Abschließend erfolgt eine Entscheidung für einen optimalen Umschaltzeitpunkt, bei dem die Anzahl der Stopps minimal wird (siehe 2.6).

2.1 Umschaltfenster

In einem nach planerischen Gesichtspunkten festgesetzten Rahmensignalplan werden am Ende jeder Phase s Umschaltfenster ws definiert. Ein Fenster beginnt nach dem Mindestgrün, das durchaus größer als das Mindestgrün im Sinne der RiLSA 2010 [7] sein kann, und es endet nach einer maximalen Grünzeit (siehe Abbildung 1(a)). Es kann in Abhängigkeit der benötigten Zeit zur Warteschlangenleerung auch später beginnen oder früher enden.

Aufgrund von verschiedenen Zwischenzeiten können die Signalgruppen einer Phase in ihrem Beginn und Ende zueinander versetzt liegen. Da die Anzahl aller Fahrzeugstopps bezogen auf einen Umschaltzeitpunkt ts pro Phase ermittelt werden soll, ist für die Ankünfte jeder Signalgruppe i ein Zeitversatz Δti gegenüber ts zu beachten (siehe Abbildung 1(b)).

Die durch den Rahmen vorgegebenen Grünzeiten können verkürzt werden. Um Umlauf- und Versatzzeiten bei Koordinierungen zu garantieren, müssen diese Gewinne an geeigneter Stelle wieder zugegeben werden. Dafür wird in jeder koordinierten Phase ein Synchronisationspunkt am Beginn des Fensters festgelegt.

Abbildung 1: (a) Die Umlaufzeit eines vorgegebenen Signalzeitenplanes ist in Phasen (grün) und Phasenübergänge (Zwischenräume) eingeteilt. Innerhalb der Ums chaltfenster(hellgrün) liegen mögliche Umschaltzeitpunkte??. (b) Ein individuelles Grünende ergibt sich für jede Signalgruppe i über den Zeitversatz ∆ti.

2.2 Fahrzeugdetektion und Warteschlangenmodell

Um Fahrzeugankünfte an der Haltelinie modellieren zu können, ist mindestens ein Zuflussdetektor auf jeder Fahrspur notwendig. Er sollte soweit stromaufwärts der Haltelinie positioniert sein, dass ein ausreichender Prognosehorizont gewährleistet ist. Idealerweise sollte er so groß sein, dass alle von einem Umschaltzeitpunkt betroffenen Fahrzeuge bei Fensterbeginn bereits erfasst sind. Es wird hier angenommen, dass der Zuflussdetektor immer stromaufwärts des möglichen Stauendes positioniert ist. Nimmt man eine bekannte Reisegeschwindigkeit im freien Verkehr an, dann können über die Entfernung des Detektors zur Haltelinie die voraussichtlichen Überfahrzeiten tarr = tdet + T geschätzt werden. Ein nicht verzögertes Fahrzeug erreicht also T Sekunden später die Haltelinie, als es im Zuflussdetektor erfasst wurde, was dem Prognosehorizont entspricht (siehe Abbildung 2). Wenn sich zwischen dem Zuflussdetektor und der Haltelinie weitere Detektoren befinden, ermöglichen sie eine Verfeinerung der Prognose, falls Geschwindigkeiten variieren oder Spurwechsel auftreten.

Vereinfachend wird hier von einer Fahrspur je Signalgruppe i ausgegangen, für den allgemeinen Fall sei auf TISCHLER 2013, [3] verwiesen. Die Ankunftszeitreihe an der Haltelinie ergibt sich für einen beliebigen Zeitpunkt t innerhalb des Prognosehorizontes T direkt aus den um T zeitversetzten, kumulierten Messwerten des Zuflussdetektors. Für weiter in der Zukunft liegende Zeitpunkte t ergibt sich die Ankunftszeitreihe aus der Summe der bis zum aktuellen Zeitpunkt t0 detektierten Fahrzeuge am Zuflussdetektor und einem Schätzwert der Ankünfte an der Haltelinie   im Zeitraum von t0 + T bis t.

Formel (1) siehe PDF.

Für die Ermittlung von Nest (t0 + T, t) gibt es verschiedene Möglichkeiten: Beispielsweise kann eine durchschnittliche Ankunftsrate angenommen werden oder man integriert über ein periodisches Ankunftsmuster, das man beispielsweise aus Messungen der Umläufe zuvor erhält.

Über die Ankunftszeitpunkte hinaus ist es für die Steuerung nur notwendig zu wissen, wann eine Warteschlange geleert sein wird. Räumliche Ausdehnungen von Warteschlangen sowie Brems- und Beschleunigungsvorgänge bleiben unberücksichtigt. Deshalb können die Fahrzeuge an der Haltelinie vereinfachend als Punktwarteschlange modelliert werden, so dass für das Modell dieselben Ankunftszeitpunkte an der Haltelinie wie bei unbehinderter Fahrt gelten. Kann ein Fahrzeug nicht sofort abfließen, wird es zur Warteschlange gezählt.

Beispielsweise können Warteschlangenlängen unter der Annahme, dass Fehldetektionen vernachlässigbar klein sind, mit dem Section-Based-Model (siehe Treiber 2013, [8]) und ebenso deren Leerungszeit geschätzt werden (siehe Lämmer 2007, [9]). Dafür wird angenommen, dass alle Fahrzeuge mit bekannter Sättigungsrate qs zum Zeitpunkt des effektiven Grünbeginns abfließen.

Abbildung 2: Detektion und Prognose der Fahrzeuganzahl sowie des Abflusse

2.3  Warteschlangenleerung in der aktuellen Phase

Es soll nun antizipiert werden, wie lange eine Warteschlange zur Leerung benötigt. Dies legt den Beginn des aktuellen Umschaltfensters fest, das danach begonnen wird. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zu den bei Grünbeginn wartenden Fahrzeugen weitere Ankünfte hinzukommen können, die die Leerungszeit der Warteschlange verlängern. Die Zeitreihe der erwarteten, kumulierten Ankünfte an der Haltelinie Narr (t) für jede Signalgruppe i erhält man aus dem Zuflussdetektor (siehe Abbildung 2). Daneben lässt sich aus dem Abflussgesetz eine Zeitreihe Ndep(t) für die Fahrzeuge aufstellen, die ab dem effektiven Grünbeginn mit bekannter Sättigungsrate qs abfließen. Die Differenz aus beiden Zeitreihen entspricht der Anzahl der verzögerten Fahrzeuge zu einem bestimmten Zeitpunkt t. Wenn erstmals mehr Fahrzeuge abgeflossen sein könnten als bis dahin an der Haltelinie erwartet worden sind, bedeutet dies das Ende der Warteschlangenleerung tWS,leer. Da Narr (t) niemals steiler als Ndep(t) verläuft, kann man den Zeitpunkt der abgeschlossenen Leerung numerisch effizient durch Intervallhalbierung (Bisektion) finden.

Ein Abflussdetektor unmittelbar vor oder nach der Haltelinie ermöglicht die Verifizierung dieser Abflussprognose. Werden die Zeitlücken zwischen den Fahrzeugen größer, dann kann davon ausgegangen werden, dass eine Warteschlange vollständig geleert ist. So wird die Prognose beispielsweise gegenüber Fahrzeitschwankungen robust.

2.4 Grünzeitbedarf der nächsten Phase

Um für die nächste Phase eine vollständige Leerung der Warteschlangen zu ermöglichen, ist eine ausreichende Grünzeit vorzusehen. Dafür sollte die aktuelle Phase spätestens so beendet werden, dass eine Warteschlange in der nächsten Phase gerade noch abfließen kann.

Ein aktuelles Umschaltfenster wird deshalb verkürzt, wenn in der nächsten Phase s + 1 zu erwarten ist, dass für eine zugehörige Signalgruppe j die vorgesehene maximale Grünzeit gj,max = gj,min + ws+1 zur Fahrzeugabfertigung nicht ausreicht. Da die Fahrzeugzahl in der Warteschlange und das Ende der Leerung ohne sichere Kenntnis des tatsächlichen Grünbeginns nicht vorausgesagt werden kann, wird die maximale Zahl der Fahrzeuge in einer Warteschlange der nächsten Phase angenommen. Dies sind alle Ankünfte einer Signalgruppe j bis zum spätesten Grünende tGE,max in der nächsten Phase, gegeben durch Narr (tGE,max) aus Geichung (1), die eine obere Grenze für die Warteschlange darstellen. Sollte die Leerung eher abgeschlossen sein, kann ein in der nächsten Phase auftretender Puffer später für die Warteschlangenleerung der übernächsten Phase oder die Minimierungvon Halten genutzt werden. Die maximal erforderliche Grünzeit entspricht dann dem Quotienten aus Narr (tGE,max) und der Sättigungsrate qs:

Formel (2) siehe PDF.

Wenn gj,bed > gj,bed – gj,max ist, dann ist Δw = gj,bed – gj,max die Zeitspanne, die in der nächsten Phase zusätzlich benötigt wird. Entsprechend früher muss – sofern noch möglich – die aktuelle Phase beendet und das aktuelle, noch verbleibende Umschaltfenster verkürzt werden.

2.5 Bilanzierung von Stopps

Innerhalb des in 2.3 und 2.4 zeitlich angepassten Umschaltfensters ws werden nun für jeden Umschaltzeitpunkt ts die Fahrzeughalte für die aktuelle und die nächste Phase aus den antizipierten Fahrzeugankünften ermittelt. Die Methodik ist in Tischler 2013, [3] ausführlich dargelegt.

2.5.1 Aktuelle Phase

Für die gerade freigegebene Phase werden allein die Ankünfte betrachtet, die innerhalb des Umschaltfensters liegen. Denn nur deren Halte können durch die Wahl des Umschaltzeitpunktes verhindert werden. Für jeden möglichen Umschaltzeitpunkt ts innerhalb des Fensters werden die dabei auftretenden Stopps für alle zugehörigen Signalgruppen und Fahrstreifen aufsummiert. Eine Ankunft nach ts bedeutet einen Fahrzeughalt. Ein späteres Umschalten ermöglicht das Abfließen von mehr Fahrzeugen und bedeutet somit immer weniger Halte. Während bei einem Grünende zu Beginn des Umschaltfensters alle im Fenster erwarteten Fahrzeuge halten müssen (siehe Abbildung 3 (a), gelbe Fahrzeuge in der oberen Zeile), können bei einer Phasendehnung bis zum Fensterende alle Fahrzeuge abgefertigt werden (siehe Abbildung 3 (c), obere Zeile).

2.5.2 Nächste Phase

Als Nächstes sind die Halte für die nachfolgende Phase in Abhängigkeit des Umschaltzeitpunktes wiederum für alle zugehörigen Signalgruppen und Fahrstreifen zu ermitteln. Hier ist es umgekehrt: Je später auf Grün geschaltet wird, desto mehr Fahrzeuge müssen halten. In der nächsten Phase werden ebenso nur die Fahrzeuge betrachtet, deren Halt durch die Wahl des Umschaltzeitpunktes beeinflusst werden kann. Das heißt, Fahrzeuge, die bei einer frühestmöglichen Freigabe bereits in einer Warteschlange stehen, werden nicht bilanziert (dunkelblaue Fahrzeuge in Abbildung 3 (a)). Jedes danach ankommende Fahrzeug wird genau dann verzögert oder muss halten, wenn der Umschaltzeitpunkt so spät liegt, dass die zuvor angekommenen Fahrzeuge nicht mehr recht- zeitig abfließen können. Dabei liegen die vom Halt betroffenen Fahrzeugankünfte nicht zwangsläufig innerhalb des Umschaltfensters, wie in Abbildung 2 (c) (gelbe Fahrzeuge in der unteren Zeile) ersichtlich ist.

Abbildung 3: Bilanz der Fahrzeugstopps für einen Umschaltzeitpunkt (a) am Fensterbeginn (b) bei minimalen Stopps und (c) am Fensterende. Vereinfachend ist nur eine Signalgruppe in jeder Phase um die Zwischenzeiten versetzt dargestellt.

2.6 Schaltregel

Innerhalb der aktuellen Phase wird zunächst die vorab definierte Mindestgrünzeit und weiter die Leerung aller Warteschlangen abgewartet. So kann der tatsächliche Anfang eines Umschaltfensters auch später erfolgen als ursprünglich geplant. Dies kann bei langen Warteschlangen bis zu einer Nutzung der gesamten zur Verfügung stehenden Grünzeit führen, so dass ggf. kein Umschaltfenster übrig bleibt.

Anschließend erfolgt eine Prüfung, ob die Abfertigungskapazitäten für die nächste Phase ausreichen werden. Wenn zusätzlich Grünzeitbedarf für die nächste Phase festgestellt wird, ist das aktuelle Umschaltfenster ws entsprechend eher zu beenden. Sofern eine an die aktuelle Situation angepasste Fensterzeit verbleibt, wird dann innerhalb von ws der hinsichtlich Stopps optimale Umschaltzeitpunkt ermittelt.

Dafür wird die Summe der Halte der aktuellen und der nächsten Phase für jeden Umschaltzeitpunkt ts innerhalb von ws gebildet. Zum Schluss ist derjenige auszuwählen, für den die Anzahl der Halte minimal wird. Dauert ein Minimum mehrere Sekunden an, fällt die Wahl auf den Umschaltzeitpunkt, nachdem das letzte Fahrzeug der aktuellen Phase innerhalb des Minimum-Intervalls abgefertigt wurde.

Abbildung 4: Arterie mit fünf unregelmäßig angeordneten Knotenpunkte

3 Simulation

Die zuvor beschriebene Steuerung, hier als Stopp-Minimierung bezeichnet, wurde in Java implementiert und unter Nutzung der COM-Schnittstelle in die Simulationssoftware VISSIM integriert. Die Simulation fand im Vergleich zu einer optimierten Festzeitsteuerung und einer Zeitlückensteuerung statt. Die modellierte Arterie besteht aus fünf unregelmäßig angeordneten Knotenpunkten mit der Hauptkoordinierungsrichtung von West nach Ost (siehe Abbildung 4).

Tabelle 1: Zuflüsse und Abbiegebeziehungen

Die Signalzeitenprogramme wurden auf der Grundlage von HBS 2005, [10] und RiLSA 2010, [7] entworfen und für die Festzeitsteuerung so optimiert, dass auf der Arterie in der verkehrsstärkeren Richtung von West nach Ost eine Grüne Welle mit einer Progressionsgeschwindigkeit von 50 km/h entstand. Aus Tabelle 1 sind die verwendeten Zuflussraten und Abbiegerelationen ersichtlich. Die Bemessung der netzweiten Umlaufzeit (90 s) und der Freigabezeiten erfolgte anhand des am meisten belasteten Knoten K5, sodass die Auslastung dort für die Linksabbieger bei maximal 80 %, für die anderen Phasen maximal bei 70 % lag. Für alle Knotenpunkte gab es vier Phasen mit entsprechenden Grünzeiten:

Die koordinierte Ost-West Richtung mit Geradeausverkehr und Rechtsabbiegern (32 s),

die Linksabbieger aus der Arterie mit 7 s,

alle Verkehrsströme aus Nord mit 14 s und

der Verkehr aus Süd mit 15 s Grünzeit.

Dieser Signalzeitenplan für die Festzeitsteuerung war zugleich der Rahmensignalplan, innerhalb dessen die Umschaltfenster gleichermaßen für die Stopp-Minimierung und die Zeitlückensteuerung lagen, so dass folgende Mindestgrünzeiten garantiert waren:

5 s für nicht koordinierte Phasen und

für die koordinierte Phase eine Grünzeit, die zum Abfluss der im Mittel ankommenden Fahrzeuge benötigt wird.

Für die Zeitlückensteuerung erfolgte die Wahl einer verhältnismäßig großen Zeitlücke von 4 s, wie sie Akcelik 1999, [11] für Koordinierungen in seiner Studie über die Abflusscharakteristik an signalisierten Kreuzungen vorschlägt.

In beiden Steuerungen wurden die Umschaltfenster gleichermaßen dynamisch so angepasst, dass die Warteschlangenleerung der aktuellen Phase zuerst sichergestellt wurde, um in einem nächsten Schritt die Kapazitäten für die nächste Phase zu garantieren. Zeitgewinne aus einem früheren Phasenabbruch erweiterten die Umschaltfenster darauf folgender Phasen bis zur koordinierten Phase, in der ein Synchronisationszeitpunkt am Fensteranfang definiert wurde.

Die Steuerungen wurden hinsichtlich Anzahl der Halte und der Wartezeiten pro Fahrzeug für die gesamte Arterie miteinander verglichen. Gegenüber der als Referenz festgelegten Festzeitsteuerung lagen die statistisch signifikanten Gewinne für die Zeitlückensteuerung bei ca. 4 % (Halte) bzw. 6 % (Wartezeiten), für die Stopp-Minimierung bei ca. 6 % bzw. 8 % (siehe Tabelle 2).

Tabelle 2: Durchschnittliche Anzahl der Halte und Wartezeiten pro Fahrzeug bei 40 Simulationsläufen von einer Stunde. Die relativen Gewinne beziehen sich auf die Festzeitsteuerung, die zugehörigen t-Werte weisen auf eine signifikante Verbesserung hin (p < 10-9).

Die Ergebnisse zeigen, dass offensichtlich beide Steuerstrategien von dem Konzept der dynamisch angepassten Fenster profitieren, das die Warteschlangenleerung und die Kapazitäten der nächsten Phase priorisiert. Lediglich der verbleibende Freiraum, das realisierte Umschaltfenster, bewirkt das verbesserte Ergebnis der Stopp-Minimierung gegenüber der Zeitlückensteuerung.

4  Zusammenfassung

Die vorgestellte Stopp-Minimierungssteuerung wurde genutzt, um eine koordinierte Festzeitsteuerung verkehrsabhängig zu erweitern. Eine Phase lässt sich dabei innerhalb eines Umschaltfensters zwischen einem Minimal- und Maximalgrün so beenden, dass die Fahrzeughalte minimiert werden. Dieses wird dynamisch angepasst und beginnt frühestens, nachdem alle Warteschlangen geleert wurden. Das Umschaltfenster endet beim Maximalgrün oder bei Bedarf um die Zeitdauer eher, die in der nächsten Phase für die Abfertigung der erwarteten Fahrzeuge über das Maximalgrün hinaus zusätzlich benötigt wird. Um in einer Koordinierung eine gemeinsame Umlaufzeit und feste Versatzzeiten für alle Knotenpunkte zu gewährleisten, wurden Synchronisationszeitpunkte eingeführt.

Grundsätzlich ist dieses Konzept als Baustein mit jeder Art von umlaufbasierter Steuerung kompatibel. Die Priorisierung der Wartschlangenleerung vor der Minimierung von Fahrzeughalten adaptiert die Grünzeiten auch bei höheren Auslastungen innerhalb eines von außen vorgegebenen Rahmens. Da die Stopp-Minimierungsstrategie im simulierten Szenario signifikant bessere Ergebnisse erzielt, stellt sie eine beachtenswerte Alternative zur regelbasierten Zeitlückensteuerung dar. Im Gegensatz zu dieser betrachtet der modellbasierte Ansatz alle Fahrzeugankünfte innerhalb eines erweiterten Prognosehorizontes und für zwei aufeinander folgende Phasen. Deshalb ist zu vermuten, dass er die Verkehrssituation umfassender einschätzen und bedarfsgerechter regeln kann. Die Allgemeingültigkeit dieser Aussage muss durch weitere Untersuchungen getestet werden, z. B. durch komplexere bzw. aus der Praxis entnommene Beispiele.

Ein weiterer entscheidender Punkt liegt in der Fahrzeugdetektion. Detektoren können sowohl fehlerbehaftet sein, so dass die erforderliche Genauigkeit nicht erreicht wird, als auch nicht weit genug von der Haltelinie entfernt sein, so dass der Prognosezeitraum eingeschränkt ist. Im Besonderen erfordern lange Warteschlangen der nächsten Phase einen großen Prognosehorizont, da Fahrzeughalte erst nach deren Leerung vermieden werden können. Dafür könnte man beispielsweise auf gemessene Ankunfts-Zeitmuster der vergangenen Umläufe zurückgreifen, um daraus auf Ankünfte über den unmittelbar durch den Zuflussdetektor messbaren Zeitraum hinaus zu schließen. Insbesondere in Ballungsräumen mit benachbarten lichtsignalgeregelten Knotenpunkten prägen sich ggf. periodische Ankunftsprofile aus.

5  Literatur

[1]    BUSCH, F. a. (2001). MOTION for SITRAFFIC – a modern approach to urban traffic control. IEEE Intelligent Transportation Systems Conference Proceedings (S. 61-64), Oakland: IEEE.

[2]    FRIEDRICH, B.; KRUSE, G. (1997). Ein verkehrsadaptives Verfahren zur Steuerung von Lichtsignalanlagen. Technische Universität München.

[3]    TISCHLER, K.; LÄMMER, S. (2013). Minimization of Vehicle Stops by an Early Termination of Green Times in Traffic-Light Controlled Road Networks. 3rd International Conference on Models and Technologies for Intelligent Transportation Systems 2013, Proceedings, S. 57-67. TUDpress, Dresden.

[4]    HUNT, P.; ROBERTSON, D; BRETHERTON, R.; WINTON, R. (1981). SCOOT – a traffic responsive method of coordinating signals. TRRL Report 1014, Crowthorne, Berkshire, UK. Transport and Road Research Laboratory.

[5]    MÜCK, J (2002). Schätzverfahren für den Verkehrszustand an Lichtsignalanlagen unter Verwendung halteliniennaher Detektoren. Straßenverkehrstechnik 46(11), S. 613-618.

[6]    VINCENT, R.; PEIRCE, J. (1988). MOVA: Traffic responsive, self-optimising signal control for isolated intersections. Research Report 170. Crowthorne, UK. Transport and Road Research Laboratory.

[7]    Richtlinien für Lichtsignalanlagen (2010). Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Arbeitsgruppe Verkehrsmanagement, Köln.

[8]    TREIBER, M.; KESTING, A. (2013). Traffic Flow Dynamics. Springer.

[9]    LÄMMER, S.; DONNER, R.; HELBING, D. (2007) Anticipative control of switched queueing systems. The European Physical Journal B, 63(3), S. 341-347.

[10]  Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (2001/2005). Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln.

[11]  AKCELIK, R. (1999). Fundamental relationships for traffic flows at signalised intersections. Research Report ARR 340, ARRB Transport Research. Vermont South, Australia.