Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.
1 Einleitung
Die stetig zunehmende Weltbevölkerung, der wachsende Anteil der städtischen Bevölkerung und das ungebrochene Mobilitätsbedürfnis der Menschen gehen mit wachsenden Herausforderungen für städtische Verkehrssysteme einher. Intelligente Verkehrssysteme (IVS) können zu einer effizienteren sowie sichereren Ausnutzung der bestehenden Infrastruktur beitragen. Zu den IVS zählen auch vernetzte Verkehrssysteme, deren Funktionen auf dem drahtlosen Informationsaustausch zwischen Fahrzeugen und Verkehrsinfrastruktur aufbauen. Ein prominentes Beispiel vernetzter Verkehrssysteme im städtischen Raum ist die kooperative Lichtsignalsteuerung. Deren Wirkpotential lässt sich anhand der Kommunikations- und Beeinflussungsrichtung unterteilen:
- Erstens können Fahrzeuge direkt beeinflusst und damit aktiv in die Verkehrssteuerung einbezogen werden. Die Beeinflussung kann durch Information des Fahrers oder automatisierte Eingriffe erfolgen. Beispielsweise sind eine Anpassung der Fahrgeschwindigkeit zur Vermeidung von Haltevorgängen, die Beeinflussung der Fahrstreifenwahl oder Warnungen bei Rotlichtverstößen möglich.
- Zweitens können vernetzte Fahrzeuge Daten wie Position, Geschwindigkeit oder Fahrzeugtyp an die Verkehrsinfrastruktur übermitteln. Der Informationsgehalt geht weit über denjenigen konventioneller, stationärer Detektion hinaus. Die erweiterte Datengrundlage kann für eine genauere Schätzung des Verkehrszustands genutzt werden und damit die Eingriffe der Lichtsignalsteuerung verbessern. Es ist davon auszugehen, dass die synergetische Verwendung beider Beeinflussungswege zur größtmöglichen Ausnutzung des Potentials der kooperativen Lichtsignalsteuerung führt. Jedoch resultiert aus dieser Kombination ein Zielkonflikt: Durch die verbesserte Datenlage ist eine größere Präzision und Flexibilität der Freigabezeiteinteilung möglich. Um aber Fahrzeuge beeinflussen zu können, ist eine Kenntnis über die künftigen Steuerungsentscheidungen der Lichtsignalanlage vonnöten.
2 Stand der Wissenschaft und Technik
Die Darstellung des Stands der Wissenschaft und Technik orientiert sich an den für die Vernetzung von Fahrzeugen und Lichtsignalanlage gewählten Beeinflussungswegen. Zunächst werden Verfahren vorgestellt, die auf eine Beeinflussung der Fahrzeuge abzielen. Anschließend werden solche Arbeiten vorgestellt, bei denen eine Verbesserung der Lichtsignalsteuerung durch Verwendung von Daten vernetzter Fahrzeuge im Vordergrund steht. Zuletzt werden Ansätze vorgestellt, die eine kombinierte Beeinflussung von Fahrzeugen und Lichtsignalsteuerung anstreben.
Zur Ermittlung von Geschwindigkeitshinweisen müssen zukünftige Schaltzeitpunkte von Lichtsignalanlagen bekannt sein. Die bestehenden Prognoseansätze lassen sich in zwei Stoßrichtungen unterteilen: Verfahren, bei denen Systemwissen der Steuerung zum Einsatz kommt und solche, bei denen bewusst auf dieses Wissen verzichtet wird. Beim Einsatz von Systemwissen werden Berechnungen des jeweiligen Steuerungsverfahrens genutzt, um Vorhersagen zu generieren. Beispielsweise finden sich in der Literatur Untersuchungen für Verfahren wie SCOOT (siehe GRAYSTON et al. (2016), [1]), UTOPIA (siehe BOTTERO et al. (2015), [2]), oder auf Rahmensignalplänen basierenden Steuerungen (siehe DINKEL et al. (2013), [3]). Andere Prognoseansätze verzichten dagegen auf Systemwissen, um eine Übertragbarkeit auf eine Vielzahl von Knotenpunkten zu ermöglichen. Dabei dienen in der Regel historische Daten von Signalzuständen beziehungsweise Detektordaten als Eingangsparameter. Als statistische Instrumente zur Vorhersage kommen beispielsweise Markov-Ketten (siehe MENIG et al. (2008), [4]) oder Support Vector Machines (siehe WEISHEIT et al. (2014), [5]) zum Einsatz. Daneben existieren Verfahren, deren Datengrundlage durch Crowd-Sourcing gebildet wird. So beschreiben AXER et al. (2016), [6] ein Verfahren, welches zur Schätzung von Schaltzeitpunkten Floating Car Data nutzt. Ein Verfahren, welches aktuelle Signalzustände mittels Bildverarbeitung aus Smartphone-Kameras ableitet und darauf aufbauend eine Prognose erstellt, wird von KOUKOUMIDIS et al. (2011), [7] vorgestellt.
Auch für den zweiten Beeinflussungsweg, bei dem die Daten vernetzter Fahrzeuge als Grundlage für Steuerungsentscheidungen von Lichtsignalanlagen dienen, finden sich zahlreiche Beispiele in der Literatur. So beschreiben PRIEMER et al. (2009), [8] ein Steuerungsverfahren, welches die Rückstaulänge als Regelgröße verwendet. Der Rückstau wird hierzu mittels konventioneller Detektion und den Informationen vernetzter Fahrzeuge geschätzt. OERTEL (2014), [9] beschreibt ein regelbasiertes Steuerungsverfahren, welches speziell auf die Verwendung der Daten vernetzter Fahrzeuge ausgelegt ist, aber auch mit konventioneller Detektion betrieben werden kann. Bei dem vorgestellten Verfahren werden die Geschwindigkeitsdaten von Fahrzeugen dazu genutzt, deren signalbedingte Verlustzeit abzuschätzen. Ein Phasenübergang wird dann eingeleitet, wenn alle Fahrzeuge, die eine Verlustzeit durch die Signalsteuerung erfahren haben, abgeflossen sind. Ein Steuerungsverfahren mit multimodalem Fokus stellen RAKHA et al. (2016), [10] vor. Die Vernetzung von Verkehrsteilnehmern und Infrastruktur wird dazu genutzt, die Signalsteuerung gezielt für einzelne Modi zu beeinflussen. Neben dem motorisierten Individualverkehr werden ÖPNV-Fahrzeuge, Einsatzfahrzeuge, Lkw und Fußgänger berücksichtigt.
Der bei der kombinierten Nutzung beider Beeinflussungswege entstehende Zielkonflikt wird beispielsweise von BLEY et al. (2011), [11] adressiert. Die Autoren beschreiben ein Verfahren, bei dem die Progressionsgeschwindigkeiten auf Streckenzügen als Entscheidungsvariable der Optimierung aufgefasst werden. Auf eine lokale Anpassung der Steuerung durch Anforderungen des ÖPNV oder durch kurzfristige Schwankungen wird bei diesem Vorgehen zugunsten einer vorhersagbaren Steuerung verzichtet. Einen ähnlichen Ansatz wählt LÜSSMANN (2015), [12], wobei sich die Zielfunktion an den Emissionen von Fahrzeugen orientiert. Weiterhin werden, neben Geschwindigkeitshinweisen, auch Fahrstreifenempfehlungen an die Fahrzeuge übermittelt. Bei den zuletzt genannten Steuerungsverfahren wird der Zielkonflikt durch die bewusste Verringerung der Dynamik der Lichtsignalsteuerung aufgelöst. Um eine möglichst große Flexibilität der Steuerung zu erhalten, ist es aber auch möglich, eine gleichzeitige Bestimmung von Schaltzeitpunkten und Fahrzeuggeschwindigkeiten vorzunehmen. Derartige Verfahren werden von MENIG (2012), [13] und ERDMANN et al. (2015), [14] vorgestellt. Dieser Ansatz wird auch bei dem im Folgenden beschriebenen Steuerungsverfahren verfolgt.
3 Steuerungsverfahren preXible
In diesem Kapitel wird ein neuartiges Verfahren zur gleichzeitigen Optimierung von Schaltzeitpunkten und Fahrzeuggeschwindigkeiten vorgestellt. Auf die Festlegung von Umlaufzeiten, Versatzzeiten und eine feste Phaseneinteilung wird bei diesem Verfahren verzichtet. Stattdessen werden lediglich minimale Grünzeiten und Zwischenzeiten als harte Nebenbedingungen der Steuerung eingeführt und die freie Kombination verträglicher Verkehrsströme ermöglicht. Durch die gleichzeitige Optimierung von Schaltzeitpunkten und Fahrzeuggeschwindigkeiten soll eine größtmögliche Ausschöpfung des Potentials der kooperativen Lichtsignalsteuerung ermöglicht werden. Die mikroskopische Modellierung des Verkehrsflusses erlaubt darüber hinaus die Priorisierung einzelner ausgestatteter Fahrzeuge bestimmter Typen. Durch die Verwendung der Methodik der modellprädiktiven Regelung (engl.: Model Predictive Control, kurz: MPC), liefert das Verfahren eine systemimmanente Vorhersage künftiger Schaltzeitpunkte.
Da eine größtmögliche Flexibilität der Steuerung unter Berücksichtigung der Anpassungsmöglichkeit der Annäherungsgeschwindigkeiten und damit eine Vorhersagbarkeit der Steuerung angestrebt wird, wird das im Rahmen dieser Arbeit entwickelte Verfahren im Folgenden mit dem Akronym preXible (engl.: predictive + flexible) bezeichnet.
Für die im Rahmen dieses Beitrags vorgestellten Ergebnisse werden nachfolgende Annahmen getroffen:
-Ausgestattete Fahrzeuge kommunizieren sekündlich Position, Geschwindigkeit, Fahrzeugtyp und Abbiegewunsch; als Reichweite werden 200 m angenommen, Latenzzeiten oder Ortungsfehler werden nicht berücksichtigt.
- Ausgestattete Fahrzeuge befolgen die an sie übermittelten Geschwindigkeitshinweise, wobei der Geschwindigkeitshinweis die Hälfte der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht unterschreitet und für die Befolgung der Geschwindigkeitshinweise notwendige Beschleunigungen und Verzögerungen beschränkt sind.
- Nicht ausgestattete Fahrzeuge werden durch Schleifendetektoren punktuell erfasst. Nach der Erfassung werden Geschwindigkeit und Position der Fahrzeuge mit Hilfe des unten erläuterten Verkehrsflussmodells geschätzt.
3.1 Modellprädiktive Regelung
Die theoretischen Grundlagen von MPC werden beispielsweise von CAMACHO et al. (2004), [15] beschrieben. Die wichtigsten Eigenschaften lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- MPC nutzt explizit ein mathematisches Modell, um den Systemzustand x über eine Reihe von Zeitschritten vorherzusagen (Vorhersagehorizont Np).
- Für eine festgelegte Anzahl von Zeitschritten (Steuerhorizont) wird eine Sequenz optimaler Stellgrößen u berechnet, indem eine Zielfunktion minimiert wird.
- Lediglich die erste Stellgröße der Sequenz u wird zum Zeitschritt k tatsächlich umgesetzt und durch erneute Berechnung zum Zeitschritt k + 1 kommt das Prinzip des rollenden Zeithorizonts zum Tragen. Während des Zeitschritts k bleibt der Steuereingriff konstant.
- Nebenbedingungen, wie beispielsweise eine Beschränkung der Stellgrößen, können im Rahmen der Optimierung direkt berücksichtigt werden.
- Stell- und Zustandsgrößen können auf ganzzahlige Werte beschränkt werden, beispielsweise um Schalter abzubilden. In Kombination mit kontinuierlichen Größen können so Regelungen für hybride Systeme entworfen werden.
- Eine Mehrgrößenregelung kann vergleichsweise einfach umgesetzt werden, um Systeme zu regeln, bei denen mehrere Regelgrößen und Stellgrößen untereinander verkoppelt sind.
Diese Eigenschaften werden im Folgenden für die Knotenpunktsteuerung genutzt, welche die gleichzeitige Beeinflussung von Fahrzeuggeschwindigkeiten und Schaltzeitpunkten ermöglicht. So werden die Geschwindigkeitsreduktionen von Fahrzeugen ebenso als Stellgrößen aufgefasst, wie die Zustände einzelner Signalgruppen. Während es sich bei den Geschwindigkeitsreduktionen um kontinuierliche Variablen handelt, wird der Zustand einzelner Signalgruppen jeweils mit einer binären Variable abgebildet, womit sich ein hybrides System ergibt.
Zur Bestimmung der Sequenz der optimalen Stellgrößen wird eine Zielfunktion aufgestellt, welche die Steuereingriffe und die Systemzustände mit Gewichtungen verknüpft. Im vorliegenden Beitrag wird eine lineare Zielfunktion gewählt. Fasst man Stell- und Zustandsgrößen zu einem Vektor zusammen und nutzt für die Gewichtungen den Vektor so ergibt sich für die Kosten:
Formel (1) siehe PDF.
Dabei können Nebenbedingungen der Optimierung mit Hilfe der Matrix M und dem Vektor g wie folgt formuliert werden:
Formel (2) siehe PDF.
Nebenbedingungen, welche fordern, dass der Nebenbedingungsvektor gleich oder kleiner gleich der Multiplikation aus Entscheidungsvariablen und Nebenbedingungsmatrix ist, können in die Form von Ungleichung (2) überführt werden. Der kompakteren Darstellung wegen, werden solche Formulierungen im Folgenden ebenfalls verwendet.
Im Falle von preXible enthält der Entscheidungsvektor ganzzahlige wie auch kontinuierliche Werte, womit sich ein Mixed-Integer Linear Program (MILP) ergibt. Im Rahmen dieses Beitrags wird zur Lösung die kommerziell verfügbare Software CPLEX (siehe IBM (2015), [16]) genutzt. Zur Ermittlung der optimalen Lösung kommt dabei eine Kombination des Branch-and-Bound- Verfahrens, des Simplex-Verfahrens und verschiedener Heuristiken zum Einsatz.
Die angeführten Eigenschaften von MPC werden für die Entwicklung von preXible genutzt. So führt die Möglichkeit der Umsetzung einer Mehrgrößenregelung dazu, dass Signalisierungszustände einzelner Signalgruppen sowie Einzelfahrzeuggeschwindigkeiten gemeinsam betrachtet werden können. Die Formulierung von Nebenbedingungen erlaubt eine Berücksichtigung von gesetzlichen Forderungen wie beispielsweise Mindestgrünzeit und Zwischenzeit. Auch die Möglichkeit, hybride Systeme regeln zu können, ist für die Entwicklung von preXible unabdingbar. So stehen mit Lichtsignalen binäre Stellgrößen (Freigabe oder Sperrung) zur Verfügung, während die Fahrzeuggeschwindigkeiten als kontinuierlich betrachtet werden. Die vorteilhaften Eigenschaften von MPC gehen mit zwei hauptsächlichen Nachteilen einher, welche in der notwendigen Kenntnis eines Modells des zu regelnden Systems sowie dem hohen Rechenaufwand bestehen.
3.2 Modellierung des Verkehrsflusses und der Lichtsignalsteuerung
Aufbauend auf den zuvor beschriebenen Grundlagen der modellprädiktiven Regelung wird nun die für preXible gewählte Modellierung des Verkehrsflusses beschrieben. Die durch die Optimierung zu ermittelnden Entscheidungsvariablen enthalten für jeden Zeitschritt des Steuerhorizonts Zustandsvariablen und Stellgrößen. Diese Variablen werden für jedes betrachtete Fahrzeug einzeln bestimmt, die Modellierung durch preXible ist also mikroskopisch. Abbildung 1 illustriert die maßgeblichen Entscheidungsvariablen von preXible anhand einer Zufahrt mit zwei Fahrzeugen bei einer Berücksichtigung von maximal Fahrzeugen.
Bild 1: Entscheidungsvariablen von preXible für zwei von ? Fahrzeugen in einer rot signalisierten Zufahrt
Die Zustandsgröße beschreibt den Abstand des n-ten Fahrzeugs von der Haltlinie für. Der Signalgeber der Zufahrt wird wie ein zusätzliches Fahrzeug an der Stelle modelliert, welches sich bei rotem Signal wie in Abbildung 1 mit auf der Haltlinie befindet und somit die Zufahrt sperrt. Bei grünem Signal nimmt die Variable x einen betragsmäßig großen negativen Wert S an, womit die Zufahrt freigegeben ist. Dieses Element, dass der Abbildung des Signalgebers dient, wird im Folgenden als Signalbarriere bezeichnet. Da Signalisierung und Geschwindigkeitshinweise gemeinsam optimiert werden sollen, stellen bei preXible die Geschwindigkeitsreduktionen der Fahrzeuge ebenfalls Entscheidungsvariablen dar. Die Geschwindigkeitsreduktion wird hierzu in zwei Anteile aufgeteilt: Die Stellgröße beschreibt die Verzögerung des n-ten Fahrzeugs durch einen Geschwindigkeitshinweis, während die Stellgröße eine weitergehende Verzögerung beispielsweise durch ein rotes Signal oder ein stromabwärts befindliches Fahrzeug beschreibt.
Um Einschränkungen durch die häufig verwendete Zustandsraumdarstellung (siehe KATHS (2014), [17]) zu vermeiden, erfolgt die Modellierung ausschließlich durch die Formulierung von Nebenbedingungen.
3.2.1 Modellierung des Verkehrsflusses
Die folgende Gleichheitsnebenbedingung beschreibt den Abstand der Fahrzeuge zur Haltlinie in aufeinanderfolgenden Zeitschritten.
Formel (3) siehe PDF.
Der Abstand zur Haltlinie entspricht damit dem Abstand zur Haltlinie im vorausgegangen Zeitschritt, abzüglich der in diesem Zeitschritt zurückgelegten Strecke. Diese ergibt sich aus der maximalen Fahrzeuggeschwindigkeit abzüglich der Geschwindigkeitsverzögerungen durch Geschwindigkeitshinweise und sonstige Verzögerungen multipliziert mit der Länge des Zeitschritts. Die Länge eines Zeitschritts beträgt eine Sekunde. Wie zuvor beschrieben, wird der Signalgeber wie ein Fahrzeug modelliert, welches sich bei rotem Signal auf der Haltlinie und bei grünem Signal im Abstand S stromabwärts von der Haltlinie befindet. Hierzu wird ein binäres Steuersignal verwendet. u = entspricht einem grünen Signal, während u = 1 einem roten Signal entspricht. Damit lautet die Bewegungsgleichung für die Signalbarriere:
Formel (4) siehe PDF.
Für alle Fahrzeuge wird der Abstand zur Signalbarriere beschränkt. Der Abstand zum Signalgeber ist aber nur dann einzuhalten, wenn das betrachtete Fahrzeug die Haltlinie noch nicht überfahren hat. Würde diese logische Bedingung nicht eingeführt, wäre ein Zurückschalten von grünem zu rotem Signal während des Steuerhorizonts nicht möglich, falls ein Fahrzeug das grüne Signal im Intervall des Steuerhorizonts überfährt.
Formel (5) siehe PDF.
Die in Ungleichung (5) gegebene Nebenbedingung enthält eine logische Verknüpfung, welche mit Hilfe des von BEMPORAD et al. (1999), [18] beschriebenen Vorgehens implementiert wird. Dieses erfordert eine Erweiterung des Vektors der Entscheidungsvariablen um Hilfsvariablen. In ähnlicher Form werden weitere Nebenbedingungen formuliert, um Phänomene des Verkehrsflusses abzubilden und um das gewünschte Systemverhalten zu erzielen. Im Rahmen dieses Beitrags können die Formulierungen nicht erschöpfend dargestellt werden, daher sei lediglich die folgende Auswahl weiterer Nebenbedingungen genannt:
- minimaler Abstand zwischen zwei Fahrzeugen,
- minimale Zeitlücke zwischen zwei Fahrzeugen,
- Reaktionszeit beim Anfahrvorgang,
- Beschränkung von Beschleunigung und Verzögerung sowie
- Vorgabe einer unteren Grenzgeschwindigkeit für Geschwindigkeitshinweise.
Die genannten Nebenbedingungen dienen dazu, den Verkehrsablauf inklusive eines Signals auf einem einzelnen Fahrstreifen abzubilden. Im Bereich von Mischfahrstreifen können für Fahrzeuge mit unterschiedlichem Abbiegewunsch und separater Signalisierung unterschiedliche optimale Annäherungsgeschwindigkeiten gelten. Fahren Fahrzeuge mit unterschiedlichem Abbiegewunsch hintereinander, können unterschiedliche Geschwindigkeitshinweise zu einem negativen Einfluss auf das Gesamtsystem führen. Um dies im Rahmen der Optimierung zu berücksichtigen, werden Aufstellbereiche, welche exklusiv einer Signalgruppe zugeordnet werden können, im Modell stromaufwärts über ihre tatsächliche Länge hinaus verlängert. In diesem Bereich, der nicht exklusiv einer Signalgruppe zugeordnet werden kann, wird auf beiden parallel verlaufenden Fahrstreifen je ein Fahrzeug erzeugt und mittels entsprechender Nebenbedingungen festgelegt, dass diese doppelt auftretenden Fahrzeuge denselben Abstand zur Haltlinie aufweisen.
Werden Zustands-, und Stellgrößen für ein Fahrzeug an Position n des Fahrstreifens i zum Zeitschritt k zu einem Vektor zusammengefasst, so ergibt sich unter Weglassen der Hilfsvariablen für logische Verknüpfungen:
Formel (6) siehe PDF.
Für die Signalbarriere lautet der Vektor:
Formel (7) siehe PDF.
Bei maximal N betrachteten Fahrzeugen je Zufahrt und einem Signalgeber am Ende der Zufahrt lautet der Vektor der Entscheidungsvariablen je Fahrstreifen FSi:
Formel (8) siehe PDF.
Auf Grundlage der bisher beschriebenen Nebenbedingungen ist eine Abbildung des Verkehrsflusses möglich. Erst durch weitere Nebenbedingungen, die die Steuerung der Lichtsignalanlage betreffen, werden aber regelkonforme Steuerungsentscheidungen möglich. Diese Modellierung wird im nachfolgenden Abschnitt beschrieben.
3.2.2 Modellierung der Lichtsignalsteuerung
Da eine signalgruppenbasierte Steuerung angestrebt wird, wird lediglich die Verträglichkeit der einzelnen Verkehrsströme zueinander festgelegt. Im Rahmen der Optimierung können alle Kombinationen von zueinander verträglichen Verkehrsströmen beziehungsweise deren Signalgruppen ausgewählt werden. Für jede Kombination zweier Signalgruppen i und j, welche zueinander unverträglich sind, wird folgende Nebenbedingung eingeführt, die die gleichzeitige Freigabe der beiden Signalgruppen verhindert:
Formel (9) siehe PDF.
Auf ähnliche Weise werden von einer Zwischenzeitenmatrix Nebenbedingungen abgeleitet, die das Einhalten der Zwischenzeiten zwischen den unverträglichen Signalgruppen sicherstellen. Da das verwendete binäre Schaltsignal nur Freigabe und Sperrung unterscheidet, werden die Zwischenzeiten nachträglich in Übergangszeiten und Rotzeiten aufgeteilt. Um im Rahmen der Vorhersage Mindestfreigabezeiten zu berücksichtigen, werden Nebenbedingungen aufgestellt, welche das Umschalten einer Signalgruppe innerhalb des einstellbaren Zeitintervalls von grün nach rot verhindern. Hierzu wird eine Nebenbedingung je Prädiktionsschritt nc und je Schritt innerhalb des Zeitintervalls eingeführt. Die Subtraktion in den beiden Termen der linken Seite der Ungleichung dient dazu, den Signalwechsel und nicht den Signalzustand selbst zu betrachten:
Formel (10) siehe PDF.
Dabei gilt für die Zählvariablen: Formel siehe PDF.
Da Ungleichung (10) lediglich für eine Vorhersage von Mindestfreigabezeiten sorgt, nicht aber deren tatsächliche Umsetzung garantiert, werden zusätzliche Nebenbedingungen erforderlich, falls ein Verkehrsstrom freigegeben wird. In diesem Fall dient ein Zähler dazu, die verbleibende Mindestfreigabezeit zu bestimmen. Die zusätzliche Nebenbedingung zum Fixieren der Freigabe lautet dann:
Formel (11) siehe PDF.
Analog zur Mindestfreigabezeit werden Nebenbedingungen für eine minimale Sperrzeit formuliert.
3.3 Bestimmung der Zielfunktion
Das Hauptziel der Steuerung besteht in einer Reduktion der Anzahl der Halte. Wie Gleichung (3) angibt, beschreiben die Entscheidungsvariablen u und u T eine Geschwindigkeitsreduktion des jeweils betrachteten Fahrzeugs. Da es sich bei der Optimierung gemäß Gleichung (1) um eine Minimierung handelt, sorgt eine Gewichtung dieser Variablen im Gewichtungsvektor f dafür, dass Geschwindigkeitsreduktionen vermieden werden. Die Gewichtung führt nicht nur zu einer Bestrafung von Haltevorgängen, sondern auch von Wartezeiten, da ein haltendes Fahrzeug durch die dann dauerhaft auftretende Geschwindigkeitsreduktion das Ergebnis der Kostenfunktion erhöht. Da das Verfahren preXible die Signalisierung und die Möglichkeit der Geschwindigkeitsreduktion gleichzeitig berücksichtigen soll, wird die Geschwindigkeitsreduktion eines Fahrzeugs in zwei Anteile aufgeteilt. So kann eine Geschwindigkeitsreduktion durch einen Geschwindigkeitshinweis u mit einem geringeren Gewicht belegt werden, als eine darüber hinausgehende Geschwindigkeitsreduktion u T. Durch eine hohe Gewichtung von u T sollen Geschwindigkeiten unterhalb des für Geschwindigkeitshinweise eingestellten Schwellwertes vermieden werden. Haltevorgänge werden durch ein Auftreffen auf die Signalbarriere oder vorausfahrende Fahrzeuge erzeugt. Demzufolge führt die Optimierung dazu, dass Halte, durch eine geeignete Einteilung der Freigabezeit beziehungsweise Geschwindigkeitsreduktionen, möglichst vermieden werden. Obwohl Geschwindigkeitsreduktionen bis zum Schwellwert gewünscht sind, sollte u mit einem Gewichtungsfaktor belegt werden. Andernfalls würden Geschwindigkeitshinweise auch dann erzeugt werden, wenn diese nicht zwingend notwendig wären. Ähnlich verhält es sich mit der Gewichtung der Variablen, die den Abstand der Fahrzeuge zur Haltlinie beschreibt. Eine Gewichtung dieser Variablen sorgt dafür, dass Geschwindigkeitsreduktionen möglichst nah zur Haltlinie erfolgen. Für die Gewichtungen gilt:
Formel (12) siehe PDF.
Der Gewichtungsvektor f weist die gleiche Dimension wie der Vektor der Entscheidungsvariablen auf. Damit lassen sich die in (12) angegebenen Gewichtungen für jedes Fahrzeug einzeln festlegen. Dies wird für die in diesem Beitrag untersuchte Bevorrechtigung von Einzelfahrzeugen angewandt, indem die Gewichtungen von Bussen erhöht wird, wodurch eine Priorisierung gegenüber den übrigen Fahrzeugen erfolgt.
Neben der Priorisierung von Einzelfahrzeugen wird die Kostenfunktion dynamisch um verschiedene andere Elemente erweitert. Hierzu zählt auch eine mögliche Bestrafung von Abweichungen von der Prädiktion, um Geschwindigkeitshinweise zu stabilisieren (siehe KATHS (2016), [19]). Weiterhin wird die Beschränkung der Sperrzeit durch die Anpassung der Kostenfunktion erzielt. Hierzu wird bei Erreichen der maximalen Sperrzeit t ein Fahrzeug an der Haltlinie platziert und mit dem Faktor pts sehr hoch gewichtet, wodurch eine schnellstmögliche Freigabe der betroffenen Signalgruppe erfolgt. Dieses Vorgehen wurde der alternativen Umsetzung durch Nebenbedingungen vorgezogen. So käme es bei der Verwendung von Nebenbedingungen ohne zusätzliche Vorkehrungen zu Unlösbarkeiten für den Fall, dass zwei zueinander unverträgliche Signalgruppen die maximale Sperrzeit gleichzeitig erreichen.
3.4 Erweiterung der Knotenpunktsteuerung auf Netze
Die Erweiterungen von preXible zur Berücksichtigung von Effekten in Straßennetzen beruhen lediglich auf dem Austausch von Informationen zwischen den einzelnen Knotenpunkten und gegebenenfalls einer Anpassung der Gewichtungen. Die Entscheidungen der Steuerung erfolgen weiterhin dezentral am Knotenpunkt.
Um die Flexibilität der Steuerung durch gemeinsame Umlaufzeiten und feste Versatzzeiten nicht einzuschränken, wird auf das gezielte Ermitteln einer Koordinierung der Lichtsignalanlagen zwar verzichtet. Eine Koordinierung soll sich aber bei entsprechender Verkehrssituation dynamisch einstellen, wie es auch bei dem Verfahren von LÄMMER (2016), [20] angestrebt wird. Erfolgt die Erfassung von Fahrzeugen in ausreichender Entfernung zum Knotenpunkt, erscheint dies prinzipiell möglich, da durch modellbasierte Steuerungsansätze die Ankunft von Fahrzeugpulks antizipiert werden kann. Dennoch können in Straßennetzen Situationen auftreten, welchen bei rein knotenpunktbasierter Betrachtung nicht optimal begegnet werden kann. Hierzu zählen Überstauungen an flussabwärts gelegenen Knotenpunkten und geringe Knotenpunktabstände.
Ist eine Zufahrt an einem stromabwärts gelegenen Knotenpunkt überstaut, sollten an stromaufwärts gelegenen Knotenpunkten möglichst keine Verkehrsströme freigegeben werden, welche den stromabwärts gelegenen Knotenpunkt weiter überlasten. Im ungünstigsten Fall kann der Rückstau bis zum stromaufwärts gelegenen Knotenpunkt gelangen und dort den Abfluss von Fahrzeugen behindern, Freigabezeit würde hier ungenutzt verstreichen. Zur Berücksichtigung von stromabwärtigen Überstauungen durch preXible kommunizieren benachbarte Knotenpunkte ihren derzeitigen Zustand untereinander. Überschreitet der Rückstau an einem stromabwärts gelegenen Knotenpunkt einen festgelegten Schwellwert, werden am stromaufwärts gelegenen Knotenpunkt diejenigen Fahrzeuge mit einer geringeren Gewichtung versehen, welche Verkehrsströmen zugehörig sind, die zu einem weiteren Anwachsen des stromabwärts gelegenen Rückstaus führen. Dies geschieht ähnlich zu der im vorigen Abschnitt beschrieben Priorisierung von Einzelfahrzeugen, allerdings mit um den Faktor pRED reduzierten Gewichtungen. Um der Entstehung derartiger Situationen entgegenzuwirken, wird bei Überschreiten der eingestellten Rückstaulänge das letzte Fahrzeug des Rückstaus pTU stärker gewichtet.
Neben der Berücksichtigung von Überstauungen durch die stromaufwärts gelegenen Knotenpunkte, werden auch die erwarteten Ankünfte von Fahrzeugen an die stromabwärts gelegenen Knotenpunkte übermittelt. Dies ist insbesondere dann notwendig, wenn die Strecke zwischen zwei Knotenpunkten so kurz ist, dass Fahrzeuge diese üblicherweise in einer Zeit zurücklegen, die kleiner ist, als der Steuerhorizont. Um auch bei solch kurzen Strecken die Fahrzeugankünfte frühzeitig antizipieren zu können, wird das Verkehrsflussmodell dahingehend erweitert, dass ein Anfügen neuer Fahrzeuge zum Zustandsvektor während des Steuerhorizonts möglich ist. Für die von stromaufwärts gelegenen Knotenpunkten zu empfangenden Fahrzeuge wird der erwartete Eintritt in den Steuerhorizont bestimmt. Die Fahrzeuge werden anschließend an den ermittelten Stellen in den Zustandsvektor eingefügt und fortan im Rahmen der Optimierung berücksichtigt.
Durch das azyklische Verhalten von preXible sind insbesondere die zuvor beschriebenen Ein- griffe durch die Begrenzung der maximalen Sperrzeit der Ausbildung einer Koordinierung von Streckenzügen abträglich. Erfolgen diese Eingriffe strikt und unkoordiniert zum Zeitpunkt der eingestellten maximalen Sperrzeit, können viele zusätzliche Haltevorgänge die Folge sein. Aus diesem Grund wird für die Netzsteuerung ein zweistufiges, flexibleres Konzept für die Beschränkung der maximalen Sperrzeit eingesetzt. Zusätzlich zu der eingeführten maximalen Sperrzeit t und der zugehörigen Gewichtung pts werden zwei weitere Größen mit analoger Wirkung eingeführt. So wird eine geringere Grenze mit einer deutlich geringeren Gewichtung genutzt, um ein vorzeitiges Beenden der Sperrzeit zu ermöglichen. Dies soll dann der Fall sein, wenn nur wenige Fahrzeuge konkurrierender Verkehrsströme von einem solchen Eingriff betroffen sind. Tritt bis zum Erreichen von t kein günstiger Moment ein, sorgt der höhere Faktor pts für ein Erzwingen der Freigabe zu diesem Zeitpunkt. Insbesondere in Kombination mit der Berücksichtigung von Fahrzeugen stromaufwärts gelegener Knotenpunkte während des Steuerhorizonts kann so im Bedarfsfall eine Freigabe zu einem günstigeren Zeitpunkt vorgezogen werden. Folglich verringert sich die maximale Sperrzeit tendenziell bei gleichzeitiger Verringerung der negativen Einflüsse dieser Eingriffe.
4 Simulationsstudie
Zur Untersuchung der Leistungsfähigkeit von preXible wird eine Simulationsstudie mit Hilfe der mikroskopischen Verkehrsflusssimulation SUMO (siehe KRAJZEWICZ et al. (2012), [21]) durchgeführt. Relevante Kenngrößen zur Bewertung des Verfahrens werden zur Laufzeit der Simulation ermittelt und anschließend statistisch nach den Empfehlungen von DOWLING et al. (2004), [22] mit Hilfe der Statistiksoftware R (siehe R CORE TEAM (2008), [23] und WICKHAM (2009), [24]) ausgewertet. Tabelle 1 und Tabelle 2 beinhalten, neben Mittelwert und Standardabweichung der einzelnen Varianten, die p-Werte der durchgeführten Varianzanalyse (ANOVA). In den Tabellen sind unterhalb der prozentualen Abweichungen des paarweisen Vergleichs (fett gedruckt bei signifikantem Unterschied) die zugehörigen p-Werte des Tukey-HSD-Tests angegeben. Es werden je Variante mindestens zwölf Simulationsläufe á 1800 s durchgeführt. Ist das erreichte Konfidenzintervall größer als das Doppelte der Standardabweichung, werden weitere Simulationsläufe durchgeführt.
4.1 Bevorrechtigung von Einzelfahrzeugen
Zur Untersuchung der Bevorrechtigung von Einzelfahrzeugen wird ein dreiarmiger Knotenpunkt (siehe Abbildung 2) aus der Beispielsammlung der RiLSA (siehe FGSV (2010), [25]) ausgewählt, die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 50 km/h. Da das Verkehrsflussmodell von preXible derzeit keine bedingt verträglichen Verkehrsströme vorsieht, werden keine Fußgängerströme betrachtet. In der Beispielsammlung ist angegeben, dass der Knotenpunkt in eine Koordinierung eingebunden ist, welche sowohl von West nach Ost, als auch von Ost nach West besteht.
Bild 2: Simulationsnetz des Szenarios "Bevorrechtigung von Einzelfahrzeugen"
Um eine dementsprechende Pulkung der Fahrzeuge zu erreichen, werden zusätzliche Signal- geber im Zulauf der beiden Hauptrichtungen eingefügt. Diese werden in Festzeit betrieben und sorgen mit entsprechender Versatzzeit für ein Grünband von 35 s. Eine zweite, kürzere Freigabezeit bildet einbiegenden Verkehr aus flussaufwärts gelegenen Nebenströmen ab. In den südlichen und östlichen Zufahrten sind, für die Verwendung durch preXible, Detektoren in den nicht exklusiven und den exklusiven Bereichen der Fahrstreifen platziert.
Die in Abbildung 2 gezeigten Meldepunkte dienen der An- bzw. Abmeldung des von Süden nach Westen verkehrenden Busses und werden ausschließlich von den Referenzsteuerungen verwendet, da Busse bei der Verwendung von preXible stets als vernetztes Fahrzeug angenommen werden. Die Busse verkehren in einem zeitlichen Abstand von 5 Minuten mit einer normalverteilten Fahrplanabweichung. Die angenommenen Verkehrsstärken orientieren sich an den in der Beispielsammlung gegebenen Freigabezeiten der jeweiligen Verkehrsströme und sind in Abbildung 2 gezeigt.
4.1.1 Referenzsteuerung
Um aussagekräftige Ergebnisse zur erzielen, wird die Referenzsteuerung in drei Varianten ausgeführt. In allen Varianten werden die Signalgruppen in drei Phasen (siehe Abbildung 2) eingeteilt. Durch das Weglassen des Fußgängerverkehrs werden die Phasenübergänge gegenüber der in der Beispielsammlung angegebenen Steuerung verkürzt. Die Freigabezeiten werden gegenüber der Beispielsammlung nicht geändert.
In der ersten Variante der Referenzsteuerung wird der Knotenpunkt in Festzeit gesteuert. Bei einer angenommenen Sättigungsverkehrsstärke von 1800 Fzg/h ergibt sich eine Gesamtkapazität von etwa 3500 Fzg/h am Knotenpunkt. Die mittlere Auslastung mit den angenommenen Verkehrsstärken beträgt damit etwa 60%. Die Verkehrsnachfrage der von Süden kommenden Linksabbieger wurde niedrig gewählt, um in den nachfolgend vorgestellten Varianten der Referenzsteuerung die Effektivität der Bevorrechtigungsmaßnahme nicht durch Rückstau zu reduzieren. Die zweite Variante entspricht der in der Beispielsammlung beschriebenen Steuerung und wird im Folgenden mit „Phasentausch“ bezeichnet. Wird der Meldepunkt „An“ durch einen Bus während Phase 1 aktiviert, wird die Phasenfolge so geändert, dass Phase 3 als nächstes bedient wird. Im nächsten Umlauf wird wieder zur üblichen Phasenfolge 1-2-3-1 zurückgeschaltet. Da die Variante mit Phasentausch nur während Phase 1 aktiv wird, ist die Effektivität der Bevorrechtigung des Busses gering. Aus diesem Grund wird eine dritte Variante genutzt, die Eingriffe in allen drei Phasen ermöglicht. Diese Variante wird nachfolgend als „absolut“ bezeichnet. Bei einer Anmeldung während Phase 1 oder Phase 2, werden diese nach Ablauf der Mindestfreigabezeit abgebrochen. Im Falle von Phase 1 wird zusätzlich die Phasenfolge geändert, um den Bus möglichst schnell bedienen zu können. Phase 3 wird dann so lange gehalten, bis eine Abmeldung des Busses erfolgt. Um im nächsten Umlauf die Koordinierung wiederherzustellen, wird die Freigabezeit von Phase 1 nach der Bevorrechtigungsmaßnahme entsprechend verlängert.
4.1.2 Konfiguration von preXible
Für die Konfiguration von preXible werden dieselben Zwischenzeiten wie für die Referenzsteuerung verwendet. Die Geschwindigkeitshinweise werden auf 25 km/h beschränkt und es wird ein Steuerhorizont von 18 s gewählt. Zur Bevorrechtigung wird die Gewichtung der Busse um das 50-fache erhöht. Die Signalgeber zur Pulkung werden auch bei der Verwendung von preXible aktiviert und verbleiben festzeitgesteuert.
Die untersuchten Ausstattungsraten werden von 0% bis 100% in 25% Schritten erhöht. Da in naher Zukunft nur mit geringen Ausstattungsraten vernetzter Fahrzeuge gerechnet werden kann, wird zusätzlich eine Variante mit 10% untersucht. Die Busse werden in allen untersuchten Varianten als vernetzt angenommen, weshalb die Meldepunkte durch preXible nicht genutzt werden.
4.1.3 Ergebnisse
Zur Bewertung der Effektivität der Bevorrechtigungsmaßnahme ist zunächst die gesamte im Netz verbrachte Zeit der Busse relevant. Aus Abbildung 3 geht hervor, dass preXible mit allen untersuchten Ausstattungsraten die für Busse benötigte Zeit zum Durchfahren der Route gegenüber den Referenzsteuerungen reduzieren kann. Wie Tabelle 1 zeigt, sind diese Ergebnisse in der Regel signifikant. Lediglich beim Vergleich der absoluten regelbasierten Priorisierung mit preXible ohne vernetzte Fahrzeuge im Individualverkehr ist die Verbesserung statistisch nicht signifikant. Die Ergebnisse der verschiedenen Ausstattungsraten unterscheiden sich untereinander nicht signifikant. Dies entspricht insofern der Erwartung, als dass alle Busse als vernetzt angenommen werden und sich die Ausstattungsraten lediglich auf den Individualverkehr beziehen.
Bild 3: Boxplots der gesamten im Netz verbrachten Zeit für den Fahrzeugtyp Bus
Tabelle 1: Ergebnistabelle der gesamten im Netz verbrachten Zeit für den Fahrzeugtyp Bus
Im Gegensatz zu den regelbasierten Verfahren, können bei der Verwendung von preXible Halte von Bussen fast gänzlich vermieden werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das zur Steuerung eingesetzte Verkehrsflussmodell von preXible den vor dem Bus liegenden Rückstau berücksichtigt. Für eine haltfreie Durchfahrt des Busses beginnt die Freigabe nötigenfalls früher. Zudem werden den Bussen Geschwindigkeitshinweise übermittelt, die die Wahrscheinlichkeit eines Halts weiter reduzieren.
Zur Untersuchung des Einflusses der Bevorrechtigungsmaßnahmen auf die Verkehrseffizienz des Gesamtverkehrs zeigt Abbildung 4 die Boxplots der gesamten im Netz verbrachten Zeit. Es zeigt sich, dass mit stärker werdenden Eingriffen der regelbasierten Steuerungen höhere Beeinträchtigungen für den Gesamtverkehr einhergehen. Bei der Verwendung von preXible ist dagegen die gesamte im Netz verbrachte Zeit geringer als im Falle der Referenzsteuerungen. Diese Verbesserungen sind für alle untersuchten Ausstattungsraten signifikant. Zwischen den verschiedenen Ausstattungsraten zeigen sich zumeist keine signifikanten Veränderungen. Bei Betrachtung der Anzahl der Halte steigen die erzielten Verbesserungen dagegen stetig mit steigender Ausstattungsrate und es zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den Varianten mit verschiedenen Ausstattungsraten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit zunehmender Ausstattungsrate die Wirkung der Geschwindigkeitshinweise stärker zutage tritt.
Eine Betrachtung der maximalen Wartezeit zeigt, dass die gesteigerte Verkehrseffizienz des Knotenpunkts nicht durch eine übermäßige Beeinträchtigung der Nebenströme erzielt wird. Durch die eingestellte maximale Sperrzeit von 90 s zeigen sich bei der Verwendung von preXible moderate Verschlechterungen gegenüber der Festzeitsteuerung und leichte Verbesserungen gegenüber den beiden Referenzsteuerungen mit Bevorrechtigungsmaßnahmen.
Bild 4: Boxplots der gesamten im Netz verbrachten Zeit für den Gesamtverkehr
4.2 Netz geregelter Knotenpunkte
Die folgenden Untersuchungen basieren auf einem Netz (siehe Abbildung 5), welches aus drei lichtsignalisierten Knotenpunkten besteht.
Bild 5: Anordnung dreier Knotenpunkte im Straßennetz (nicht maßstabsgetreu) mit drei Hauptrichtungen und Signalgebern im Zufluss
Die Knotenpunkte sind jeweils vierarmig und weisen einen getrennten Fahrstreifen mit separater Signalisierung für Linksabbieger auf. Die Länge des Aufstellbereichs beträgt an allen vier Zufahrten 75 m. Zu Beginn des Aufstellbereichs sind Detektoren für preXible platziert. Bei ausreichender Länge der Zufahrt sind zusätzliche Detektoren 200 m vor der Haltlinie im Bereich des Mischfahrstreifens platziert. Die in Route B enthaltene Strecke ist bewusst kurz gewählt, um das Systemverhalten von preXible für den Fall zu untersuchen, bei dem die typische Zeit zum Durchfahren der Zufahrt kürzer ist als die Länge des Steuerhorizonts. Die Nachfrage auf den drei Hauptrouten beträgt qHR = 260 Fzg/h und ist niedrig gewählt, um eine effektive Koordinierung bei Verwendung der Referenzsteuerung zu garantieren. Die Routen der Nebenrichtungen werden so definiert, dass an jeder Signalgruppe der drei Knotenpunkte eine Nachfrage besteht, welche zu qNR = 0,25 ∙ qHR = 65 Fzg/h gewählt wird. Wie im vorherigen Szenario, dienen Signalgeber an den Rändern des Netzes dazu, eine Pulkung von Fahrzeugen abzubilden.
4.2.1 Referenzsteuerung
Für die Referenzsteuerung wird eine koordinierte Festzeitsteuerung entworfen. Dabei werden Koordinierungen mit einer Progressionsgeschwindigkeit von 12,5 m/s entlang der drei Hauptrouten geplant, die Grünbänder mit mindestens 20 s Bandbreite und aufweisen. An jedem Knotenpunkt werden vier Phasen mit Zwischenzeiten von 5 s gewählt, wobei entgegenkommende Geradeausströme zu einer Phase zusammengefasst werden und Linksabbieger in einer separaten Phase geführt werden. Die zu koordinierenden Phasen, welche die geradeausfahrenden Verkehrsströme bedienen, erhalten eine Freigabezeit von 25 s. Die Linksabbieger erhalten eine Freigabezeit von 10 s, womit sich eine Umlaufzeit von tu = 90 s ergibt.
4.2.2 Konfiguration von preXible
Gegenüber dem vorherigen Szenario werden lediglich die Gewichtungsparameter zur Netzsteuerung sowie das Einsetzen von Fahrzeugen während des Steuerhorizonts ergänzt. Weiterhin wird das beschriebene zweistufige Vorgehen zum Beschränken der maximalen Sperrzeit gewählt. Ab einer Sperrzeit von 90 s wird eine moderate Erhöhung der Gewichtung der gesperrten Signalgruppe mit dem Faktor 3 vorgenommen, die zweite Stufe mit dem Faktor 100 erfolgt ab 120 s.
4.2.3 Ergebnisse
Wie Abbildung 6 und Tabelle 2 zeigen, ergibt sich, bezogen auf das Gesamtnetz, eine Verringerung der Anzahl der Halte für alle Ausstattungsraten, wobei die Verbesserungen ab 25% Ausstattungsrate statistisch signifikant sind. Mit zunehmender Ausstattungsrate verringert sich die Anzahl der Halte tendenziell weiter, was auf den vermehrten Einfluss der Geschwindigkeitshinweise zurückzuführen ist. Bei Betrachtung der Anzahl der Halte auf den Hauptrouten zeigt sich allerdings eine Verschlechterung gegenüber der Festzeitsteuerung. Daran wird deutlich, dass die Koordinierung der Hauptrouten, aufgrund fehlender zentraler Vorgaben, zugunsten des Gesamtnetzes geschwächt wird.
Bild 6: Boxplots der Anzahl der Halte für den Gesamtverkehr
Tabelle 2: Ergebnistabelle der Anzahl der Halte für den Gesamtverkehr
Die gesamte im Netz verbrachten Zeit reduziert sich bei einer Ausstattungsrate von 0% durch den Einsatz von preXible signifikant um über 20%. Ähnlich wie in den vorherigen Szenarien nimmt die gesamte im Netz verbrachte Zeit mit steigenden Ausstattungsraten ab. Der Unterschied zwischen den einzelnen Varianten ist jedoch weniger stark als bei der Anzahl der Halte, da die zunehmende Verwendung von Geschwindigkeitshinweisen nur einen geringeren Beitrag zur Senkung der im Netz verbrachten Zeit liefert. Obwohl sich die Anzahl der Halte auf den Hauptrouten erhöht, verringert sich die zur Befahrung der Hauptrouten notwendige Zeit ebenfalls.
Die vorgestellten Ergebnisse lassen Rückschlüsse auf eine Erhöhung der Verkehrseffizienz im Gesamtnetz zu. Diese Steigerung der Verkehrseffizienz geht allerdings mit einer Erhöhung der maximal auftretenden Wartezeit einher. Dies ist auf die Flexibilisierung der Beschränkung der maximalen Sperrzeit zurückzuführen. Da sich Umlaufzeiten von 120 s noch innerhalb der Vorgaben der Richtlinien FGSV (2010), [26] befinden, sind diese Werte in Anbetracht der Verbesserungen der Verkehrseffizienz noch akzeptabel.
Die zuletzt beschriebenen Ergebnisse legen nahe, dass die Verwendung des dezentralen Steuerungsverfahrens preXible auch in einem Netz aus geregelten Knotenpunkten zur Erhöhung der Verkehrseffizienz beitragen kann. So zeigt sich zwar eine Erhöhung der Anzahl der Halte auf den Hauptrouten, für das Gesamtnetz werden jedoch Verbesserungen erzielt. Die gesamte im Netz verbrachte Zeit wird ebenfalls deutlich reduziert. Die Erweiterung von preXible um Elemente der Netzsteuerung wirkt sich, wie eine Vorstudie während der Entwicklung zeigte, deutlich positiv gegenüber dem rein isolierten Betrieb aus.
5 Zusammenfassung und Ausblick
In diesem Beitrag wurde ein dezentrales Lichtsignalsteuerungsverfahren vorgestellt. Dieses agiert signalgruppenbasiert und beruht auf der Methode der modellprädiktiven Regelung. Das entwickelte mikroskopische Verkehrsflussmodell erlaubt es, die Gewichtung einzelner Fahrzeuge zu parametrieren. Damit kann eine effiziente Bevorrechtigung von Einzelfahrzeugen, bei nur geringer Beeinträchtigung des Gesamtverkehrs, erzielt werden. Weiterhin wurde das dezentrale Steuerungsverfahren um Aspekte der Netzsteuerung erweitert. Diese basieren ausschließlich auf der Kommunikation zwischen den Knotenpunkten, eine zentrale Steuerungsinstanz besteht nicht. Die Steuerung kann Verkehrsströme in Netzen effizient bedienen, wenngleich deutlich wird, dass auf koordinierten Streckenzügen einer Festzeitsteuerung gegebenenfalls Leistungseinbußen zugunsten des Gesamtnetzes zu erwarten sind.
Das vorgestellte Verfahren wurde losgelöst von technischen Restriktionen entwickelt. Um das Verfahren auf reale Knotenpunkte übertragen zu können, ist eine Erhöhung der Recheneffizienz unabdingbar, da Echtzeitfähigkeit bei den durchgeführten Simulationsstudien nicht durchgängig erreicht wurde. Denkbar sind hierzu Anpassungen des Optimierungsverfahrens oder eine Vergrößerung des Berechnungsintervalls, das für die vorliegenden Untersuchungen auf eine Sekunde eingestellt wurde. Weiterhin ist zu beachten, dass Geschwindigkeitshinweise durch preXible explizit unter Berücksichtigung von Schaltzeitpunkten und Rückstau im Rahmen der Optimierung ermittelt werden. Der Nachrichtenstandard SPaT sieht hingegen lediglich einen Versand künftiger Schaltzeitpunkte vor, die darauf basierende Ableitung und Anzeige von Geschwindigkeitsempfehlungen erfolgt anschließend im Fahrzeug. Neben diesen künftigen technischen und organisatorischen Fragestellungen, besteht auch auf funktionaler Ebene weiterer Forschungs- und Entwicklungsbedarf. Hier ist insbesondere die Modellierung bedingt verträglicher Verkehrsströme zu nennen, wodurch auch eine Integration von Fußgängern und Radfahrern ermöglicht würde. Ausgehend vom aktuellen Entwicklungsstand sind mit Hilfe des Steuerungsverfahrens eine Vielzahl weiterer Forschungsfragen zu beantworten. Beispielsweise kann durch die flexible Gewichtung von Einzelfahrzeugen, bei entsprechender Datenverfügbarkeit, das Konzept der „balanced priority“ einfach umgesetzt und untersucht werden. So könnten Fahrzeuge individuell, etwa in Abhängigkeit des Belegungsgrads oder der Emissionsklasse, priorisiert werden.
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Danksagung
Mein Dank gilt Univ.-Prof. Dr.-Ing. Fritz Busch für die fachliche Unterstützung, die zum Gelingen dieser Forschungsarbeit beigetragen hat. Die Finanzierung erfolgte durch die Bosch-Forschungsstiftung (ehemals Hans L. Merkle-Stiftung), wofür ich der Stiftung herzlich danken möchte. |