Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.
1 Stand der kommunalen Zustandserfassung
1.1 Anlass der Untersuchungen
Bei mittelgroßen und großen Kommunen ist die messtechnische Zustandserfassung im Rahmen der systematischen Straßenerhaltung zumindest bei Hauptverkehrsstraßen mittlerweile Standard. Angelehnt an die seit Jahrzehnten bewährte und praktizierte Straßenzustandserfassung außerorts werden die Merkmale der Längs- und Querebenheit sowie Substanzmerkmale (Oberfläche) mit schnellfahrenden Messsystemen erfasst.
Als weitere Erfassungsmethode wird vermehrt die visuell-bildbasierten Erfassung eingesetzt. Diese Erfassungsmethode, beruhend auf der Auswertung von Foto- und Videoaufnahmen, lässt die gleichzeitige Erfassung von Bestands- und Zustandsdaten zu. Hierbei liegt nicht immer die nach ZTV-ZEB geforderte zeitbefristete Betriebszulassung durch die Bundesanstalt für Straßenwesen vor.
Wegen des finanziellen und administrativen Aufwandes in den kommunalen Verwaltungen zur Durchführung der Erfassungskampagnen werden zur Vereinfachung der periodischen Zustandserfassung alternative Methoden untersucht. Diese Ansätze zur Straßenzustandserfassung bedienen sich vermehrt der Erschütterungssensorik. Teilweise werden hier Erfassungen mittels Smartphones oder anderer Geräte der Consumer Electronics propagiert. Ein Forschungsprojekt an der TH Nürnberg greift diese Ansätze auf und untersucht, welche Genauigkeiten und Wiederholbarkeiten mit Erschütterungssensoren erreichbar sind, um die kommunal bedeutsamen Merkmale des Straßenzustandes zu erfassen. Dabei steht zunächst die Auswahl geeigneter und einfach bedienbarer Erschütterungssensoren im Vordergrund.
Den Kommunen soll ein Überblick und eine Entscheidungshilfe gegeben werden, wann und wie die Erschütterungssensorik im Rahmen der systematischen Straßenerhaltung zielgerichtet eingesetzt werden kann.
1.2 Aufbau eines alternativen Messsystems
Zur Konzeption eines alternativen Messsystems wurde zunächst die Forderung aufgestellt, GPS-, Video und Beschleunigungsdaten während der Fahrt zu erfassen. Für die Erfassung der GPS- und Videodaten wurde eine Actionkamera eingesetzt. Die Erfassung der Beschleunigungsdaten erfolgte im ersten Schritt durch Smartphones und zur Verbesserung der Erfassung anschließend durch USB-Beschleunigungssensoren. Bei ersten Auswertungen wurde festgestellt, dass die GoPro HERO9 Black Actionkamera nicht nur GPS- und Videodaten, sondern auch Beschleunigungsdaten aufzeichnet. Bei der Aufzeichnung aller drei Datentypen durch ein Gerät wird die Synchronisierung der Daten vereinfacht. Aus diesem Grund wurden in einer Phase der Entwicklung die Beschleunigungsmessungen mit der GoPro HERO9 Black durchgeführt und deren Eignung als Messsystem geprüft.
In der Weiterentwicklung des alternativen Messsystems wurden die Smartphones dann durch USB-Beschleunigungssensoren ersetzt. Zur Steuerung des Messsystems wurde hierfür ein Raspberry Pi 3 verwendet, welcher zwei Beschleunigungssensoren und ein GNSS-Modul mit einem Python-Code anspricht. Das GNSS-Modul wurde erforderlich, weil die verwendeten USB-Sensoren im Gegensatz zur Actionkamera bzw. den Smartphones kein Standortsignal empfangen konnten. Bei der Ansprache der Beschleunigungssensoren und des GNSS-Moduls über den gleichen Einplatinencomputer konnten alle Messwerte mit der Systemzeit des Rechners gespeichert und so synchronisiert werden. In der praktischen Durchführung der Messfahrten konnte somit ein georeferenziertes Erschütterungsprofil der untersuchten Straßenabschnitte gewonnen werden.
2 Beschleunigungsdaten als Zustandsindikatoren
Die Verwendung der vertikalen Beschleunigung als Zustandsindikator für den Straßenzustand ist über den International Roughness Index (IRI) weit verbreitet. Der IRI wurde erstmals 1986 in einer von der Weltbank in Auftrag gegebenen Publikation erwähnt und ist außerhalb Deutschlands in vielen Ländern der Welt verbreitet und seine Erhebung wird nach wie vor von der Weltbank, bei von ihr finanzierten Straßenbauprojekten, als regelmäßige Zustandsüberwachung verlangt. Daher liegt es nahe, mittels Erschütterungssensorik gewonnene Beschleunigungsdaten auf die IRI-Skala zu beziehen.
Der IRI ist als Eigenschaft eines einzelnen Radspurprofils definiert, weil viele Messsysteme zur Profilerkennung nur ein einzelnes Längsprofil aufnehmen können. Grundsätzlich wird für den IRI ein Messintervall von 300 mm benötigt, für weniger genaue Ergebnisse sind 600 mm ausreichend. Für Straßen, die eine sehr gute Ebenheit aufweisen, ist ein Intervall von weniger als 300 mm erforderlich. Das aufgenommene Längsprofil soll eine konstante Steigung zwischen erfassten Hochpunkten aufweisen, woraus sich die empfohlene Einheit des IRI von Meter pro Kilometer (m/km), Millimeter pro Meter (mm/m) oder Steigung x 1000 ergibt.
Mit dem IRI werden die Auswirkungen der Längsebenheit auf ein Fahrzeug beschrieben. Damit lassen sich aus diesem Index Aussagen zu den folgenden Punkten treffen:
- Gesamtbetriebskosten des Fahrzeugs,
- allgemeiner Fahrkomfort,
- dynamische Radlasten,
- allgemeiner Oberflächenzustand.
Das Bild 1 zeigt die ungefähre Größenordnung des IRI auf verschiedenen Straßentypen. Auf der Ordinate ist die IRI-Skala dargestellt.
Bild 1: IRI-Skala [1]
3 Untersuchungsmethodik
Im Rahmen der Untersuchungen wurden Messfahrten auf einer ausgewählten Teststrecke durchgeführt. Dabei wurden die folgenden Kriterien angelegt:
- gestreckte Linienführung,
- mindestens ein Belagswechsel,
- verschiedene vorhandene Zustandsmerkmale,
- Höchstgeschwindigkeit 50 km/h,
- vorhandene Vergleichsdaten aus einer ZEB.
Zur Sicherstellung einer Vergleichbarkeit und Kalibrierung der über Erschütterungssensorik gewonnenen Zustandsdaten wurde zunächst eine Erfassung der Längsebenheit mit einem Messsystem durchgeführt, das über eine zeitbefristete Betriebszulassung der Bundesanstalt für Straßenwesen verfügt. Die Längsebenheitsmessung erfolgte hierbei über eine Mehrfach-Laserabtastung.
Der alternative Messaufbau wurde an einem VW T5 am Querlenker auf der Beifahrerseite vorgenommen. Dazu wurde ein Beschleunigungssensor an diesem Querlenker befestigt. Die Beifahrerseite wurde gewählt, weil die Laserabtastung des Messfahrzeugs der Kalibrierungsmessung ebenfalls auf der rechten Fahrzeugseite erfolgte. Der GNSS-Sensor wurde auf dem Armaturenbrett unmittelbar hinter der Frontscheibe in der Fahrzeugmitte montiert. Wie bei den vorhergehenden Versuchsfahrten wurden die Sensoren über einen Raspberry PI gesteuert.
Die gewonnenen Beschleunigungsdaten wurden rechnerisch mit den GPS-Daten synchronisiert. Dazu kam ein Makro zur Verwendung, um die Daten entsprechend in Excel berechnen zu können. Nach dieser Synchronisierung erfolgte eine Darstellung der Messergebnisse in einem Geoinformationssystem.
4 Auswertung
In der Überprüfung der aufgenommenen Beschleunigungswerte stellte sich eine gute Übereinstimmung mit den örtlich vorhandenen Zustandsmerkmalen Querrisse, Substanzverluste (Schlaglöcher) und aufgelegte Flickstellen dar. Weiterhin waren aus den Beschleunigungswerten Belagswechsel, Kanaldeckel und Schieberkappen abzulesen. Eine Differenzierung der aufgenommenen Erschütterungen durch Einbauteile von denen durch Zustandsmerkmale der Oberfläche ist ohne begleitende Videoauswertung nicht möglich.
Weitergehend wurde der bereits aus zahlreichen Studien bekannte Zusammenhang zwischen dem IRI und dem Root Mean Square (RMS oder RMSA) untersucht. Der RMS ist der quadratische Mittelwert der vertikalen Beschleunigung. Für eine Vergleichbarkeit von IRI und RMS müssen die Abschnitte vertikale Beschleunigung so eingeteilt werden, dass IRI und RMS gleich berechnet werden. Beispielhaft wurden 100 Meter-Abschnitte gebildet.
Der RMS wird berechnet nach der folgenden Gleichung:
Formel in der PDF
Dabei ist N die Anzahl der Beschleunigungsaufzeichnungen im Abschnitt, azi ist der Maximalwert der Beschleunigung im Abschnitt i und g die Erdbeschleunigung (9,81 m/s²).
Für 9 ausgewählte Abschnitte der Teststrecke wurden die IRI-Werte und die RMS-Werte berechnet und im Bild 2 gegenübergestellt.
Bild 2: Korrelation zwischen IRI und RMS
Die Korrelation zwischen IRI und RMS weist ein Bestimmtheitsmaß von 0,932 und einen Korrelationskoeffizienten R = 0,965 auf. Im Bild 3 werden die für den jeweiligen Abschnitt berechneten IRI- und RMS-Werte gegenübergestellt.
Bild 3: Beziehung zwischen IRI und RMS
Wegen der hohen Korrelation kann der IRI über die mithilfe des alternativen Messaufbaus gewonnenen Beschleunigungsdaten berechnet werden. Im vorliegenden Falle mit dem beschriebenen Messaufbau einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 50 km/h und einem 100 m langen Abschnitt gilt dafür:
IRI = 0,8278 x RMS + 0,5415
5 Fazit
Die Straßenzustandserfassung mittels Erschütterungssensorik kann eine Zustandserfassung und -bewertung nach dem Regelwerk der FGSV nicht ersetzen. Für eine kontinuierlichere Erfassung ist es jedoch möglich, die vereinfachten Messprinzipien anzuwenden. Eine periodische Zustandserfassung in kürzeren Abschnitten erlaubt einen schnelleren Blick auf Zustandsveränderungen und kann dazu beitragen, Erhaltungsintervalle weiter zu optimieren. Die Erschütterungssensorik kann nicht alle Zustandsmerkmale der Straßenbefestigung erfassen und ist deshalb nur als Ergänzung der turnusgemäßen ZEB zu sehen.
Literaturverzeichnis
- Abulizi, et al.: Measuring and evaluating of road roughness conditions with a compact road profiler and ArcGIS. Journal of Traffic and Transportation Engineering (English Edition), 2016 https://doi. org/10.1016/j.jtte.2016.09.004
- Angerer, Helena: Entwicklung von alternativen Methoden zur Straßenzustandserfassung, Masterarbeit, 2022, Technische Hochschule Nürnberg (unveröffentlicht)
- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Arbeitspapiere zur Systematik der Straßenerhaltung, Reihe K: Kommunale Straßen (AP 9/K), Ausgabe 2018, Köln (FGSV 490 AP 9 K)
- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Empfehlungen für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen (E EMI), Ausgabe 2012, Köln (FGSV 487)
- Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Richtlinien für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Straßenbefestigungen (RPE-Stra), Ausgabe 2001, Köln (FGSV 488)
- Zaiko, Anna: Korrelation zwischen dem International Roughness Index (IRI) und der vertikalen Beschleunigung eines Fahrzeuges, Bachelorarbeit, 2022, Technische Hochschule Nürnberg (unveröffentlicht)
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