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1 Projektbeschreibung und zeitliche Entwicklung
Garmisch-Partenkirchen ist verkehrlich geprägt durch die Bundesstraßen B 2 und B 23. Die B 2 verläuft, von Norden aus Richtung München kommend, durch den Ortsteil Partenkirchen und führt weiter in südöstlicher Richtung über Mittenwald nach Innsbruck. Die B 23 zweigt nördlich von Garmisch-Partenkirchen von der B 2 nach Westen ab und verläuft durch den Ortsteil Garmisch weiter in südwestlicher Richtung nach Griesen und über den Fernpass nach Österreich. Die B 2 weist innerhalb der Ortsdurchfahrt von Partenkirchen derzeit eine durchschnittliche Verkehrsbelastung von bis zu 28.000 Fahrzeugen in 24 Stunden auf, die B 23 im Bereich der Ortsdurchfahrt von Garmisch bis zu 16.000 Fahrzeuge in 24 Stunden. Für beide Ortsdurchfahrten sind daher dringend Ortsumfahrungen erforderlich. Garmisch-Partenkirchen liegt jedoch in einem Talkessel, in dem die Bebauung im Westen bis an die Hänge des Kramers und im Osten bis an die Hänge des Wanks heranreicht (siehe Bild 1). Die notwendigen Ortsumgehungen lassen sich daher nur durch den Bau von Tunneln verwirklichen.
Die geplante 5,6 km lange Umgehungsstraße im Zuge der Verlegung der B 23 westlich von Garmisch-Partenkirchen mit dem Kramertunnel schwenkt nördlich des Ortsteils Garmisch von der bestehenden B 23 kurz nach der Loisachüberquerung ab. Bereits nach ca. 150 m taucht die Trasse im Bereich eines stillgelegten Steinbruchs in das Kramermassiv ein, das in einem 3.604 m langen Tunnel durchfahren wird. Vom südlichen Tunnelende aus verläuft die Straße östlich des Tierheims von Garmisch-Partenkirchen und in weiterer Folge nördlich entlang des von den US-Streitkräften genutzten Gebietes in der Breitenau, überquert die Loisach und schließt an die vorhandene B 23 bei Grainau an.
Die ersten Planungen für eine Westumfahrung von Garmisch-Partenkirchen erfolgten in den 1970er Jahren. 1981 wurde für die Verlegung der B 23 ein Raumordnungsverfahren eingeleitet, in dem verschiedene mögliche Trassen landesplanerisch beurteilt wurden. 1982 wurde das Raumordnungsverfahren abgeschlossen. Damit war die grundsätzliche Führung der Westumfahrung vorgegeben. Da durch das vorgesehene Straßenbauvorhaben Gelände in Anspruch genommen werden sollte, das den US-Streitkräften zur Nutzung überlassen wurde, begann eine Abstimmung mit den zuständigen US-Behörden. Anfang der 1990er Jahre wurde eine Einigung über eine Querung des US-Geländes mit einer Einhausung erzielt. Diese abgestimmte Linienführung wurde der Vorentwurfsplanung zugrunde gelegt, die 1998 vom Bundesverkehrsministerium genehmigt wurde. Durch die Terroranschläge am 11.9.2001 erhöhten sich jedoch die Sicherheitsanforderungen der US-Streitkräfte, die zu einer deutlichen Kostenerhöhung für die Umgehungsstraße im Bereich des US-Geländes geführt hätten. Gemeinsam wurden nun Trassenvarianten gesucht, die das US-Gebiet umfahren. 2006 konnte sich die Straßenbauverwaltung mit den US-Behörden und dem Markt Garmisch-Partenkirchen auf eine Trasse einigen, die das US-Gelände weitgehend umfährt. Im Jahr 2007 wurde daraufhin das Planfeststellungsverfahren durchgeführt. Eine Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 30.11.2007 wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 23.6.2009 abgewiesen. Bild 1: Übersicht über die Lage des Kramertunnels westlich des Ortsteils Garmisch
Da größere Abschnitte der Tunnelstrecke aufgrund der topografischen Gegebenheiten nicht durch Baugrundaufschlussbohrungen im Voraus erkundet werden konnten, wurde entschieden, zunächst einen Erkundungsstollen zu bauen, der später zum Flucht- und Rettungsstollen ausgebaut werden soll. Erst nach dem Vortrieb des Erkundungsstollens soll die Ausschreibung für den Haupttunnel fertig gestellt werden, so dass mit dieser Vorgehensweise die Erkenntnisse aus dem Vortrieb des Erkundungsstollens bei der Ausschreibung und beim Bau des Haupttunnels genutzt werden können.
2 Allgemeine Angaben zur Planung des Kramertunnels
Die Planung und der Entwurf des Kramertunnels wurden vom Staatlichen Bauamt Weilheim und der ILF Beratende Ingenieure ZT GmbH, Innsbruck, ausgeführt. Letztere hat auch die geotechnische und tunnelbautechnische Begutachtung im Zuge der Planung übernommen.
Der Tunnel wird als einröhriger Tunnel mit Gegenverkehr geplant. In einem Achsabstand von 45 m parallel zur Tunnelröhre wird im Voraus ein Erkundungsstollen vorgesehen, der zum befahrbaren Rettungsstollen ausgebaut werden soll. Das Bild 2 zeigt einen Querschnitt durch die Fahrröhre (Haupttunnel) und den Rettungsstollen (Erkundungsstollen) in Blickrichtung nach Süden. Bild 2: Schnitt durch den Kramertunnel mit zum Rettungsstollen ausgebauten Erkundungsstollen Der Erkundungsstollen wie auch der Haupttunnel sind im Festgestein als drainierter Tunnel mit Bergwasserdränage und einer sogenannten Regenschirmabdichtung geplant. Lediglich im Bergsturzbereich sollen der Haupttunnel sowie der Rettungsstollen mit einer druckwasserdichten Rundumabdichtung ausgebildet werden, um ein Absenken des Grundwasserspiegels im Bergsturzbereich aus Gründen des Naturschutzes zu vermeiden.
Mit der Erstellung des Erkundungsstollens wurde im Februar 2011 die Arbeitsgemeinschaft Marti GmbH Österreich, Marti GmbH Deutschland und Marti Tunnelbau AG Schweiz beauftragt. Die Länge des im Spreng- und Baggervortrieb aufzufahrenden Erkundungsstollens beträgt 3.688 m. Der Stollen wird mit einer Spritzbetonaußenschale und, je nach Geologie, zusätzlich mit Ankern, Spießen und stellenweise Injektionen und/oder Rohrschirmen gesichert. Mit dem Vortrieb des Tunnels, der im Hufeisenprofil eine Ausbruchsfläche von ca. 29 m² und im Vollprofil von ca. 35 m² besitzt, wurde gleichzeitig von Norden und von Süden begonnen.
Die geotechnische Beratung im Zuge der Bauausführung erfolgte durch das Zentrum Geotechnik der Technischen Universität München.
3 Ergebnisse der geologischen Vorerkundung
Zur Vorerkundung wurden unter anderem zwischen 2005 und 2007 von zugänglichen Stellen aus 17 Baugrundaufschlussbohrungen mit Laboruntersuchungen an daraus entnommenen Boden- und Felsproben sowie hydrogeologische und seismische Untersuchungen durchgeführt. Das Bild 3 zeigt einen stark vereinfachten geologischen Längsschnitt mit den maßgeblichen geologischen Formationen.
Von Norden kommend stehen zunächst Plattenkalke, gefolgt von den Kössener Schichten an. Es handelt sich um dünn- bis mittelständig gebankte, eng- bis mittelständig geklüftete Kalke und Dolomite, denen geringmächtige Mergelsteinlagen zwischengeschaltet sein können. Die Gesteinsfestigkeit ist allgemein vergleichsweise hoch, es ist jedoch lokal mit Störungen mit entsprechend geringerer Festigkeit zu rechnen. Bezogen auf den Tunnelbau werden die Gebirgseigenschaften als standfest bis gebräch/nachbrüchig beschrieben.
Die Oberfläche der Kössener Schichten ist im Schnitt entlang des Tunnels wannenartig ausgebildet. Darin ist Moränen- und Bergsturzmaterial abgelagert (siehe Bilder 3 und 9), welches der Erkundungsstollen über eine Länge von ca. 240 m und der Haupttunnel (Fahrröhre) über eine Länge von ca. 320 m durchörtern muss. Während die Moräne anhand der Bohrungen als ganz überwiegend bindig mit fester Konsistenz bzw. sehr dichter Lagerung charakterisiert wurde, lagen zu den Bergsturzmassen vergleichsweise wenige Informationen vor. Neben großen Felsblöcken, wurde stark zerrüttetes, teils zu Lockermaterial zerlegtes Gebirge und an der Basis zur Moräne auch eine mächtigere Schicht aus relativ gleichkörnigem Grobsand bis Feinkies erkundet. Zum damaligen Zeitpunkt wurde davon ausgegangen, dass diese Böden durch Kalk zumindest leicht verkittet sind. Das äußerst heterogene Material wurde vermutlich im Zuge eines Bergsturzes, welcher sich vom Kramermassiv löste, auf der Moräne abgelagert. Aus der Literatur ist bekannt, dass sich bei derartigen Ereignissen im Bereich der Basis eine Entmischung hinsichtlich der Korngrößen ergeben kann. Im Bezug auf den Tunnelvortrieb wurde der vergleichsweise geringmächtigen Moräne eine standfeste bis gebräche und dem Bergsturzmaterial eine rollige Gebirgseigenschaft zugewiesen. Bild 3: Lageplan mit geologischem Längsschnitt
Im Anschluss daran folgen wieder Kössener Schichten und anschließend die aus der Literatur bekannte Kramerüberschiebung. Sie ist durch eine starke tektonische Beanspruchung gekennzeichnet. Es stehen Kalk- und Mergelsteine im Wechsel mit Schiefertonen an, wobei die Schiefertone gemäß Bohrgut teilweise zu Feinkorn zerlegt vorliegen. Da gleichzeitig mit der Kramerüberschiebung die Überdeckung ansteigt, wurde davon ausgegangen, dass bezogen auf den Tunnelvortrieb druckhafte Gebirgseigenschaften vorliegen. Daher wurde unter anderem im Zuge der Planung kein Vortrieb mit einer Tunnelvortriebsmaschine berücksichtigt.
Der Kramerüberschiebung folgt der Hauptdolomit. Dabei handelt es sich überwiegend um mittel- bis dickbankige, mittelständig geklüftete Dolomitsteine, die in Störungszonen mit Lokkergesteinseinschlüssen durchzogen sein können. Im Allgemeinen wird dem Gebirge eine standfeste bis gebräche Eigenschaft zugewiesen.
Südlich des Hauptdolomits werden bis zum südlichen Tunnelportal Hangschuttmassen angetroffen. Es handelt sich überwiegend um Kiese (kantige bis angerundete Kornform), die sich auf dem Hauptdolomit abgelagert haben. Wie auch aus der unmittelbaren Umgebung bekannt, wurde davon ausgegangen, dass die Kiese überwiegend sehr dicht gelagert bzw. durch Kalk zumindest leicht verkittet sind.
Gemäß den hydrogeologischen Erkundungen ist im Plattenkalk und Hauptdolomit überwiegend mit Kluftwasser zu rechnen, wobei Wasserspiegelhöhen gemessen wurden, die im Bereich des Hauptdolomits bis zu 194 m über die Gradiente reichten. Die Grundmoräne und die Kramerüberschiebung wurden als weitgehend dicht und der Bergsturzbereich als vergleichsweise durchlässig erkundet, wobei der Wasserdruck im Bergsturzbereich bezogen auf die Gradiente ca. 45 m Wassersäule betrug. Im südlichen Hangschutt wurde kein geschlossener Grundwasserleiter erkundet. Allerdings ist bekannt, dass die Durerlaine (siehe Bild 3) zeitweise Wasser führt, welches auch im Untergrund in Richtung Talaquifer fließt und damit im Bereich des Tunnels über dichteren Horizonten als Schichtwasser vorliegt.
Da größere Abschnitte der Tunnelstrecke aufgrund der topografischen Gegebenheiten nicht durch Bohrungen im Voraus erkundet werden konnten und um bezüglich des Haupttunnels genauere Aufschlüsse gewinnen zu können, wurde vorab der Erkundungsstollen aufgefahren. Folgende Punkte waren dabei von besonderem Interesse:
- Erkundung der geologischen und hydrologischen Verhältnisse in denjenigen Bereichen, die nicht durch Bohrungen im Voraus erkundet werden konnten.
- Wie wirken sich die prognostizierten druckhaften Verhältnisse im Bereich der Kramerüberschiebung auf den Vortrieb aus?
- Weitere Erkundung der geologischen und hydrologischen Verhältnisse im Bergsturz- und Hangschuttbereich. Nachfolgend werden die Erkenntnisse aus dem Vortrieb des Erkundungsstollens wiedergegeben, wobei entsprechend den vorgenannten Punkten zwischen Vortrieben im Hangschuttbereich Süd, im Hauptdolomitbereich, in der Kramerüberschiebung und im Bergsturzbereich unterschieden wird.
4 Erkenntnisse aus dem Vortrieb des Erkundungsstollens
4.1 Vortrieb im Hangschuttbereich Süd
Mit dem Vortriebsbeginn im Süden wurden zunächst weitgehend kohäsionslose Kiese (Murschutt) in etwa mitteldichter Lagerung angetroffen. Eine Verkittung der Kiese zu Nagelfluh, der beispielsweise in einem 200 m vom Portal entfernten Einschnitt auftritt, lag nicht vor. Zusammen mit erheblichem Schichtwasserandrang unter der Durerlaine, der auf einer Länge von ca. 90 Tunnelmetern insgesamt je nach Niederschlag und Jahreszeit zwischen 30 und 80 l/s beträgt, führte dies dazu, dass die Ortsbrust nur über geringe Höhen senkrecht standfest war.
Bild 4: Öffnen der Ortsbrust in Teilflächen (TF)
Um in dieser Situation einen sicheren Vortrieb gewährleisten zu können, kamen neben Wasserhaltungsmaßnahmen folgende zusätzliche Sicherungsmaßnahmen zur Ausführung:
- Ausbildung eines Stützkerns,
- Öffnen der Ortsbrust in kleinen Teilflächen, die nach der Bodenentnahme sofort wieder mit Spritzbeton gesichert werden,
- Eng gesetzter Spießschirm im First- und Ulmenbereich,
- Ortsbrustanker, gegebenenfalls mit zusätzlicher Injektion. Ergänzend wurde in einem Teilbereich beim Unterqueren einer Straße und nahe der Gründung einer Brücke eine vollflächige Injektion ausgeführt.
Mit den hier beschriebenen Maßnahmen konnte der Lockergesteinsbereich erfolgreich aufgefahren werden.
4.2 Vortrieb im Hauptdolomit und in der Kramerüberschiebung
Mit dem Übergang zum Hauptdolomit verbesserten sich die Gebirgsverhältnisse wesentlich, so dass ein Vortrieb entsprechend der Vortriebsklasse 3 (Sprengvortrieb mit Spritzbetonsicherung und Systemankerung, Abschlagslängen meist 2,20 m, teilweise 3,00 m) möglich war. Lediglich in einzelnen Störungszonen war das Gebirge in engen Bereichen teils kleinstückig zu Kieskorn zerschert, wobei im Unterschied zum Lockergesteinsbereich das Gebirge hier im Verband vorlag, sich daher gut verspannte und nicht durch aufwändige Zusatzmaßnahmen gesichert werden musste. Die Abschlagslänge wurde in diesen nur sehr kurzen Bereichen teilweise auf 1,70 m reduziert.
Allerdings traten im Hauptdolomit insbesondere zwischen Station 2.475 und 1.900 erhöhte Wasserzutritte auf (siehe Bild 5), die anfangs bis zu 100 l/s betrugen und sich mittlerweile auf etwa 50 l/s eingestellt haben. Da in diesem Bereich die Gradiente bereits nach Norden zur Ortsbrust hin fällt, war eine intensive Wasserhaltung mit Leitungen und Pumpen zur Förderung des Wassers Richtung Südportal erforderlich. Teilweise können diese Wasserzutritte Störungszonen zugeordnet werden, teilweise sind sie über die gesamte Tunnellaibung diffus verteilt.
Bild 5: Wasserzutritte aus dem mit Spritzbeton gesicherten Bereich einer Störungszone
Bild 6: Schlitze in der Spritzbetonschale beim Vortrieb in der Kramerüberschiebung
Bild 7: Beispiel von Vertikalverformungen in der Kramerüberschiebung bei Station 1585
Die Wasserzutritte in den Stollen hatten zur Folge, dass sich der Bergwasserspiegel absenkte und zwei obertägige Quellen versiegten. Aufgrund der Auswirkungen Obertage wurde im Nachgang zum Vortrieb eine Injektion der Wasserwegigkeiten durchgeführt. Um weitere Erkenntnisse zu gewinnen, wurden zunächst nur eine schleifend zum Stollen verlaufende konkrete Störungszone zwischen Station 2.180 und 2.205 sowie zwei einzelne lokale Wasserzutritte bei Station 2.155 injiziert. Die Störungszone wurde systematisch mit zwei Bohr- und Injektionsphasen mit Zementsuspension und unterstützend mit Harzinjektionen verpresst. Die lokalen Wasserzutritte wurden mit Harzinjektionen verschlossen. Augenscheinlich konnten die lokalen Wasserzutritte sowie die Kernzone der Störung erfolgreich injiziert und verschlossen werden. Jedoch wird aufgrund der Klüftigkeit des angrenzenden Gebirges der abgedichtete Injektionskörper unter Nutzung neuer Wasserwegigkeiten im unmittelbaren Nahbereich zu den hergestellten Injektionskörpern weitgehend umströmt. Die Messungen an den einzelnen Messstellen zeigen einen Rückgang der Wasserzutritte an der Störungszone um ca. 1,5 l/s und an den lokalen Verpressstellen um ca. 1,8 l/s. Insgesamt konnte die Gesamtwassermenge des Beobachtungsbereiches in Summe von ca. 27 l/s auf ca. 24 l/s reduziert werden.
Ab ca. Station 1605 wurde die Kramerüberschiebung erreicht. Sie war gegenüber dem Hauptdolomit durch ein vermehrtes schichtweises Auftreten von Mergelsteinen und Schiefertonen im Dolomitstein sowie durch eine intensive Verfaltung und Scherung der anstehenden Schichten erkennbar. Insbesondere die Schiefertone waren kleinblättrig zerschert und lagen nach dem Ausbruch mehrheitlich in Sand- und Feinkorngröße vor.
Mit dem Einfahren in die Kramerüberschiebung wurde gemäß den Ergebnissen der Vorerkundung angenommen, dass das Gebirge druckhafte Eigenschaften besitzt. In diesem Fall ist zu befürchten, dass die Spritzbetonschale überlastet wird, wenn direkt nach deren Einbau der Ringschluss erfolgt. Daher wurden rechts und links der Firste Aussparungen in der durch Anker gehaltenen Spritzbetonschale vorgesehen, die in Tunnellängsrichtung einen Verformungsschlitz bilden (siehe Bild 6). Die Aussparungen ermöglichen tangentiale und radiale Verformungen der Spritzbetonschale, ohne dass sich hohe Normalkräfte in ihr aufbauen können. Sie wurden frühestens 25 m hinter dem Vortrieb geschlossen, nachdem die gemessenen Konvergenzen augenscheinlich abgeklungen waren.
Das Bild 7 zeigt beispielhaft Vertikalverformungen, welche sich in der Kramerüberschiebung nach dem Vortrieb einstellten.
Die Verformungen lagen alle nahe des unteren prognostizierten Verformungsgrenzwerts. Ferner ist ganz wesentlich, dass die Verformungen bereits nach wenigen Tagen abgeklungen waren. Dies zeigt, dass sich die Gebirgsspannungen relativ schnell und unter moderaten Verformungen abbauten, maßgebend druckhafte Verhältnisse lagen also nicht vor. Da sich zudem die Gebirgsverhältnisse mit dem weiteren Vortrieb wieder verbesserten und da der Schiefertonanteil abnahm, konnte ab Station 1553 (das heißt nach 52 m Vortrieb in der Kramerüberschiebung) auf die Anordnung der oben beschriebenen Verformungsschlitze verzichtet werden, ohne dass dadurch die Spritzbetonschale Schaden nahm.
4.3 Erkenntnisse für den Vortrieb im Bergsturzbereich
Im Juli 2011 erreichte der Nordvortrieb des Erkundungsstollens nach 576 m Vortrieb im Fels die Grundmoräne unmittelbar vor dem Bergsturzbereich. Zur näheren Erkundung der Gebirgsund Grundwasserverhältnisse des Bergsturzbereichs wurden drei Erkundungsbohrungen und zusätzlich 6 Dränlanzen zur versuchsweisen, temporären Grundwasserentnahme erstellt.
Die Durchführung dieser mit Preventer und Casing-Rohr ausgestatteten Bohrungen gestaltete sich aufgrund der hohen Durchlässigkeit des Bergsturzmaterials und des hohen anstehenden Wasserdrucks als sehr schwierig und aufwändig (siehe Bild 8). Beim Bohren war sicher zu stellen, dass jederzeit das Bohrloch verschlossen werden konnte und sich hinter der Spritzbetonschale kein Wasserdruck aufbauen konnte, der die Standsicherheit der Spritzbetonschale gefährdet hätte.
Bilder 8 a und 8 b: Bohren der Dränlanzen von der Ortsbrust des Nordvortriebs
Bild 9: Schemadarstellung zur der geologischen und hydrogeologischen Situation im Bergsturzbereich (nicht maßstäblich)
Gemäß den Aufschlüssen ergab sich für den Bergsturzbereich folgende im Bild 9 im Querschnitt dargestellte Situation:
Die Bergsturzmassen befinden sich in einer Wanne, die durch die Kössener Schichten bzw. die Grundmoräne nach unten abgedichtet ist. Die Wanne ist mit Wasser gefüllt. Das über den Wannenrand ausfließende Grundwasser tritt in Form von Hangquellen und Quellaustritten zutage, die die daran anschließenden Hangquellmoore und den Schmölzer See speisen. Die Hangquellmoore sind aus Gründen des Naturschutzes sehr wertvoll. Der Bereich ist größtenteils als FFH-Gebiet und Naturschutzgebiet ausgewiesen.
Um die hydrologischen Verhältnisse im Bergsturzbereich genauer zu erkunden, wurde im Anschluss an die Bohrungen vom Tunnel aus versuchsweise ein 10-tägiger Absenkversuch unternommen. Das Bild 10 zeigt den Wasserspiegel in der Nähe der Absenkung befindlichen Grundwassermessstelle GAP 13. Die abgeführte Wassermenge aus den 6 Dränagelanzen betrug zwischen 85 und 105 l/s, wobei der Grundwasserspiegel in der Grundwassermessstelle GAP 13 um ca. 7 m sank. Dabei fielen, wie erwartet, die für die Speisung der Hangquellmoore notwendigen Quellen und Quellaustritte trocken (siehe Bild 9). Nach Beendigung der Grundwasserentnahme stieg der Grundwasserspiegel wieder an und hatte 14 Tage später bereits einen höheren Stand erreicht, als im Frühjahr 2011 vor den niederschlagsreichen Sommermonaten. Die Quellschüttungen waren bereits nach wenigen Tagen wieder auf das ursprüngliche Niveau angestiegen.
Bild 10: Grundwasserstand in der Messstelle GAP 13 zwischen März und Dezember 2011
Da auch die weiter entfernt liegenden Grundwassermessstellen direkt auf die Grundwasserabsenkung und den -anstieg ansprachen, kann man davon ausgehen, dass die flächenhafte Ausdehnung der Wanne vergleichsweise gering ist. Außerdem gibt es nach den vorliegenden Erkenntnissen keine durchgängige Schichtung in den Bergsturzmassen, die den Wasserzustrom zum Tunnel verringern könnte.
Insgesamt führten die geologischen und hydrogeologischen Untersuchungen zu folgenden wesentlichen Erkenntnissen:
- Die Bergsturzmassen sind entsprechend Ihrer Entstehung äußerst heterogen. Nach der Korngrößenverteilung werden überwiegend unterschiedlich steinige, sandige und schluffige Kiese erwartet, allerdings wurden auch hausgroße Blöcke neben bindigen Abschnitten und an der Basis gleichkörnige Sande bis Feinkiese erkundet.
- Der Bergsturzbereich ist nach DIN 18130 im Mittel als stark durchlässig zu bezeichnen. Da keine sperrenden Schichten vorliegen, entspricht der auf den Tunnel wirkende Wasserdruck dem hydrostatischen Wasserdruck im Bergsturzbereich.
- Der Wasserdruck bezogen auf die Gradiente beträgt ca. 4,5 bar.
- Ein Spritzbetonvortrieb im Bergsturzbereich im Schutze einer vom Tunnel aus ausgeführten Injektion ohne zusätzliche Grundwasserabsenkung birgt ein sehr hohes Risiko schon bei der Herstellung der Injektionsbohrungen, insbesondere aber dann auch beim Vortrieb, da nicht sicher gestellt werden kann, dass in allen auftretenden Schichten die Injektion mit ausreichender Dichtwirkung und Mächtigkeit hergestellt werden kann.
- Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, das Grundwasser im Bergsturzbereich vom Tunnel aus abzusenken. Allerdings ist es bei einer Grundwasserabsenkung notwendig, die ausfallenden Quellaustritte (von Quellen bis zu kleineren Nassstellen), die die hochwertigen Hangquellmoore bewässern, durch ein künstliches Bewässerungssystem zu stützen.
Ursprünglich war vorgesehen, den Erkundungsstollen im Bergsturzbereich im Schutze einer Injektion ohne Grundwasserabsenkung aufzufahren. Da sich aufgrund der neu gewonnenen Erkenntnisse herausstellte, dass bei dieser Vorgehensweise das Risiko beim Vortrieb mit den ausgeschriebenen Mitteln zu groß und ergänzende Sicherungsmaßnahmen zu unwirtschaftlich gewesen wären, andererseits eine Grundwasserabsenkung im Planfeststellungsbeschluss nicht enthalten war, wurde entschieden, den Erkundungsstollen im Bergsturzbereich über eine Länge von 348 m vorerst nicht aufzufahren.
5 HDD-Bohrung zum Ableiten des Bergwassers vom Südstollen zum Nordstollen
Der nach Norden fallende Südvortrieb hatte Ende August nach 2763 m Vortrieb den Südrand des Bergsturzbereichs erreicht. Bis dahin erfolgte die Wasserhaltung durch Pumpen des anfallenden Bergwassers zum Südportal. Bis zum Abschluss der Arbeiten am Erkundungsstollen war diese Wasserhaltung im Auftrag der Tunnelbaufirma enthalten. Da allerdings kein Durchstich erfolgte, war für die Zeit bis zum Bau des Haupttunnels eine Lösung für die weitere Wasserhaltung zu finden. Folgende Möglichkeiten wurden in Betracht gezogen:
- Weitere Wasserhaltung mit dem bereits installierten Pumpensystem und der zugehörigen Stromversorgungsanlage. Neben dem Kauf der Wasserhaltungsanlage und den Wartungsarbeiten fallen hohe Stromkosten an. Alleine diese jährlichen Kosten liegen bei ca. 200.000 pro Jahr.
- Verzicht auf ein Abpumpen des anfallenden Bergwassers, woraufhin sich der Südstollen mit Wasser füllen würde. Dabei ist nicht auszuschließen, dass durch das Aufweichen standfester Schichten gerade im Bereich der Kramerüberschiebung langfristig Standsicherheitsprobleme auftreten, die Nacharbeiten erforderlich machen.
- Erstellen einer Entwässerungsleitung im festen Fels unter den Bergsturzmassen hindurch. Entwässerung des Südstollens unter Ausnutzung des natürlichen Gefälles in den Nordstollen und von dort in den Vorfluter (Abfluss ohne Pumpen möglich). Die Entwässerungsleitung kann später auch zur Wasserhaltung beim Bau der Hauptröhre mit eingesetzt werden.
Derzeit lässt sich noch kein verbindlicher Zeitpunkt für den Weiterbau des Kramertunnels nennen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass eine Wasserhaltung im Erkundungsstollen noch in den nächsten Jahren notwendig bleibt. Deshalb erschien die dritte Lösung als einzige vertretbar. Auch deshalb, da beim Vortrieb des südlichen, fallenden Haupttunnels der Erkundungsstollen zur Entwässerung im freien Gefälle mit herangezogen werden kann.
Das Bild 11 stellt die Entwässerungsleitung zur Verbindung des Süd- und Nordstollens im Schnitt dar. Die Lage wurde so gewählt, dass die Leitung einen möglichst großen Abstand von der prognostizierten Sohle der Bergsturzmassen besitzt.
Die Bohrung wurde von der Fa. Max Wild GmbH als HDD-Bohrung (Horizontal Directional Drilling) im Festgestein ausgeführt. Zunächst wurde ein 12 m langes Stahlrohr das sogenannte ,,Casingrohr" mit Durchmesser 600 mm eingebracht. Es dient dazu, dass für den Fall, dass doch Bergsturzmaterial angetroffen werden sollte das Bohrloch jederzeit gefahrlos verschlossen und das Bohrwerkzeug geborgen werden kann. Anschließend wurde die Pilotbohrung mit Durchmesser 260 mm mit einem Rollenmeißel erstellt und diese dann in zwei Schritten auf D = 560 mm aufgeweitet. Nach zwei Reinigungsvorgängen wurde schließlich das Produktrohr, ein PE-Rohr mit Außendurchmesser 400 mm (SDR 11) eingezogen.
Bild 11: Lage der HDD-Bohrung zur Verbindung des Nord- und Südstollens (nicht maßstäblich)
Die Ortung des Bohrkopfes erfolgte über einen Kreiselkompass. Die Zielgenauigkeit der 365 m langen Bohrung stellte kein Problem dar. Die Arbeiten konnten insgesamt in 53 Arbeitstagen ohne größere Unplanmäßigkeiten abgeschlossen werden. Für die ausführende Firma war insbesondere die Baustellenlogistik im Tunnel eine Herausforderung. Es mussten unter anderem bei beengten Platzverhältnissen das Bohrgerät, die Hochdruckpumpe, die Separieranlage und
Bilder 12 a und 12 b: HDD-Bohrung/Einziehen des PE-Rohres
der Container zur Auswertung und Steuerung des Bohrkopfes untergebracht und betrieben werden. Dies konnte jedoch zur Zufriedenheit aller Beteiligten bewältigt werden. Das Bild 12 zeigt das Bohrgerät sowie das Einziehen des Produktrohrs nach der zweiten Aufweitung und dem Reinigen des Bohrlochs.
6 Folgerungen für die Planung des Haupttunnels
Derzeit werden die Erkenntnisse aus dem Erkundungsstollen aufgearbeitet und ausgewertet sowie die umfangreichen Laboruntersuchungen an Proben aus den Zusatzbohrungen ausgeführt. Daran anschließend erfolgt eine Entscheidung über das zu wählende Bauverfahren für die Hauptröhre. Es werden folgende Bauverfahren derzeit eingehend untersucht:
- Temporäre Grundwasserabsenkung im Bergsturzbereich mit anschließendem Spritzbetonvortrieb bei abgesenktem Grundwasserspiegel. Parallel dazu ist ein künstliches Bewässerungssystem zur Bewässerung der Hangquellmoore als Ersatz für die während der temporären Grundwasserabsenkung ausfallenden Quellaustritte geplant.
- Vortrieb mit einer Tunnelvortriebsmaschine (Tunnelbohrmaschine im Festgestein mit einem Umbau zu einem Hydroschildvortrieb im Bergsturzbereich) ohne Grundwasserabsenkung im Bergsturzbereich.
- Spritzbetonvortrieb im Schutze eines Vereisungskörpers ohne Grundwasserabsenkung im Bergsturzbereich.
Dabei erfolgt eine Abwägung unter technischen, wirtschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten. Die letztendlich gewählte Bauweise muss wirtschaftlich sein, die ökologisch wertvollen Naturschutzbereiche schonen und insbesondere für die Tunnelbauarbeiter ein Höchstmaß an Sicherheit bieten. Eine Entscheidung soll noch im Laufe des Jahres 2013 getroffen werden.
7 Fazit
Der über 3,6 km lange Erkundungsstollen für den Kramertunnel der gleichzeitig als Rettungsstollen dient wurde vor dem Haupttunnel aufgefahren, um für dessen Bau weitere Erkenntnisse zu sammeln. Der Bergsturzbereich wurde mit dem Erkundungsstollen allerdings nicht durchfahren, da das Risiko beim Vortrieb mit den ausgeschriebenen Mitteln als zu groß und ergänzende Sicherungsmaßnahmen als zu unwirtschaftlich erachtet wurden. Somit ist der Erkundungsstollen derzeit auf 348 m (ca. 240 m Lockergesteinsbereich plus Sicherheitsabstand) unterbrochen. Der Erkundungsstollen hat seinen Zweck dennoch voll erfüllt, da nun deutlich detailliertere Erkenntnisse über die geologischen und hydrogeologischen Verhältnisse vorliegen. Somit kann die weitere Planung der Fahrröhre gezielt auf die vorhandenen geologischen Verhältnisse abgestimmt werden. Die Ausschreibung und der Bau werden so für alle Seiten besser kalkulierbar. |