FGSV-Nr. FGSV 002/106
Ort Stuttgart
Datum 02.04.2014
Titel Einsatz von Verkehrsmanagement zur Verbesserung der Umweltsituation
Autoren Dipl.-Phys. Volker Diegmann
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Der Beitrag beschreibt Projekte zum umweltorientierten Verkehrsmanagement (UVM), die bereits umgesetzt sind oder sich in der Planung befinden und beleuchtet dabei die Potenziale unter besonderer Berücksichtigung von Methoden zur Evaluierung. Die Anforderung zum Einsatz von UVM-Maßnahmen ergeben sich aus den andauernd hohen Überschreitungszahlen vor allem des NO2-Jahresgrenzwertes in vielen Kommunen. Diese Überschreitungen finden fast ausschließlich an verkehrlichen Hotspots statt, was auch im Einklang mit dem dominierenden Verursacheranteil des lokalen Verkehrs steht. Der Einsatz von UVM ist eine Maßnahme im Rahmen bereits bestehender Verkehrsmanagementsysteme, die zur Lösung von vor allem an Hotspots auftretenden Umweltproblemen beitragen kann.

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1 Einleitung

Der Verkehr – und dabei insbesondere der innerstädtische Kfz-Verkehr – spielt eine dominierende Rolle beim Auftreten von umweltrelevanten Problemen, wie z. B. der Belastung durch Lärm und Luftschadstoffe. Auswertungen von deutschen Luftreinhalteplänen zeigen, dass in Überschreitungsfällen von Luftschadstoffgrenzwerten der Kfz-Anteil an der NO2-Belastung im Mittel bei 64 % und der lokale Kfz-Beitrag bei 50 % liegt. Beim PM10-Jahresmittelwert liegt der Kfz-Beitrag bei 30 % und der lokale Kfz-Beitrag bei 26 % (DIEGMANN, V.; PFÄFFLIN, F.; WURSTHORN, H. 2013 [1]).

Durch das Überschreiten der geltenden Grenzwerte für die Luftschadstoffbelastung (EU 2008 [2]) für NO2 und PM10 besteht für eine Vielzahl von Kommunen konkreter Handlungsbedarf, Maßnahmen zu ergreifen, die die Luftschadstoffbelastung senken. So werden in Deutschland bei NO2 in den letzten Jahren auf gleichbleibendem Niveau und bei PM10 immer wieder an einer Vielzahl städtischer verkehrsnaher Messstationen Überschreitungsfälle gemeldet (siehe Bild 1). Bei Überschreitungsfällen von NO2 mussten deshalb entsprechende Fristverlängerungsanträge bei der EU eingereicht werden, von denen nur ca. 1/3 genehmigt wurden und den betroffenen Kommunen auch nur eine Fristverlängerung zur Einhaltung der Grenzwerte bis 2015 einräumt (EU 2013 [3]).

Bild 1: Prozentuale Anteile der Stationen in den jeweiligen Stationsklassen „ländlicher Hintergrund“, „städtischer Hintergrund“ und „städtisch verkehrsnah“ mit Grenzwertverletzungen bei PM10 (oben) und NO2 (unten) im Zeitraum 2000 bis 2012 (aus UBA, 2013 [4])

Der zeitliche Verlauf von NO2und PM10-Konzentrationen an Hotspots ist von einer hohen Variabilität geprägt. Als Beispiele sind in Bild 2 eine Messzeitreihe der stündlichen NO2Konzentrationen und der Tagesmittelwerte von PM10 für die Verkehrsstation Frankfurt (Oder) im Jahr 2010 dargestellt. So treten bei PM10 vor allem in den Wintermonaten Episoden mit hohen Konzentrationen über mehrere Tage auf, während an anderen Tagen mit vergleichbarem PM10-Emissionsniveau die Konzentrationen deutlich niedriger sind. Bei den NO2-Zeitreihen ist ein deutlicher Tagesgang festzustellen, der stark mit der Verkehrsstärke korreliert. Trotz dieser hohen Korrelation gibt es aber Tage mit vergleichbarem Verkehrsgeschehen, die sich in den resultierenden NO2-Immissionen deutlich unterscheiden. Ursache für die vom Verkehr unabhängige hohe Variabilität sind die jeweiligen meteorologischen Bedingungen. Auf Grund dieser hohen zeitlichen Variabilität werden in aktuellen Luftreinhalteplänen temporär wirkende Maßnahmen aufgeführt, die sich unter dem Begriff Umweltorientiertes Verkehrsmanagement (UVM) sammeln lassen.

Bild 2: Zeitreihe der stündlichen NO2-Konzentration (oben) im Februar 2010 und der täglichen PM10-Konzentration an der Messstation in Frankfurt (Oder) für 2010

Der Begriff Verkehrsmanagement wird gemäß FGSV 2011 [5] definiert als „Beeinflussung des Verkehrsgeschehens durch ein Bündel von Maßnahmen mit dem Ziel, die Verkehrsnachfrage und das Angebot an Verkehrssystemen optimal aufeinander abzustimmen“. Ein dynamisches Verkehrsmanagement als Teil dieses umfassenden Begriffs „ist begrenzt auf kurzfristige und spezifische Maßnahmen bei bestimmten Verkehrssituationen“ und „beinhaltet das Beeinflussen der aktuellen Verkehrsnachfrage und des vorhandenen Verkehrsangebotes durch Abstimmung situationsgerechter Maßnahmen mit dem Ziel, die für diesen Zeitbereich bestmögliche Mobilität zu sichern".

Die Erreichung des Ziels einer „bestmöglichen Mobilität" stellt eine Optimierungsaufgabe dar, für die Zielgrößen definiert sein müssen, die es zu optimieren gilt. Im klassischen Anwendungsfall des Verkehrsmanagements soll dazu aus Gründen der Verkehrseffizienz und des Erhalts bzw. der Erreichung einer Standortqualität ein möglichst behinderungsfreier Verkehrsablauf gewährleistet werden.

Die Idee des Umweltorientierten Verkehrsmanagements (UVM) besteht darin, den Zielbegriff der „bestmöglichen Mobilität" und das Ziel einer möglichst geringen Umweltbelastung zu erweitern und die Optimierungsstrategien um Größen der Umweltbelastung zu ergänzen. Das dynamische Verkehrsmanagement wird als UVM so zu einem multikriteriellen dynamischen Managementsystem erweitert.

2 Ausgangssituation

Für den Einsatz eines Verkehrsmanagements zur umweltorientierten  Verkehrssteuerung sind entsprechende verkehrstechnische Systeme erforderlich, die es erlauben, den aktuellen Verkehrszustand zu erfassen und zu steuern sowie die notwendigen Informationen für die Umsetzung von Maßnahmen bereitzustellen. Solche Verkehrsmanagementsysteme sind sowohl im überregionalen Bereich für Bundesfernstraßen als auch in einer Vielzahl von Städten oder auch Ballungsräumen bereits im Betrieb.

Die Aufgabenstellung eines UVM besteht darin, bei verkehrlichen und meteorologischen Bedingungen, welche zu hohen verkehrsbedingten Luftschadstoffbelastungen führen, situationsabhängige Beeinflussungsmaßnahmen des Verkehrs zu aktivieren, die die lokalen Kfz-Emissionen und in der Folge die Immissionsbelastung vermindern. Ein UVM muss in Ergänzung zum in FGSV 2011 [5] beschriebenen dynamischen Verkehrsmanagement daher noch folgende zusätzliche Aufgaben erfüllen:

•    Darstellung der aktuellen Umweltsituation

•    Prognose der zu erwartenden Umweltsituation

•    Wirkungskontrolle und Überwachung der Auswirkungen, z. B. auf Umleitungsstrecken

•    Datenarchivierung zur Evaluierung und als Datengrundlagen für die Planung

Für die meisten verkehrssteuernden Maßnahmen, die aus Umweltgesichtspunkten umgesetzt werden, gilt, dass eine dauerhafte Umsetzung für das spezifische Zielgebiet naturgemäß eine höhere Wirkung hat, als eine temporäre bzw. dynamische. Im Hinblick auf die weiteren Zielgrößen der Optimierungsaufgabe „Verkehrsmanagement“ ist es aber geboten, solche beschränkenden oder steuernden Maßnahmen nur dann zu  aktivieren, wenn sie auch erforderlich sind bzw. die aktuelle Minderungswirkung besonders hoch ist. Gleichzeitig können solche umweltorientierten Maßnahmen zu Verkehrsverlagerungen führen, die an anderer Stelle im Netz zu erhöhten Belastungen führen können. Auch aus diesem Grund sollten solche Maßnahmen nur bei Bedarf, also dynamisch umgesetzt werden. In jedem Fall sind die Auswirkungen auf die Immissionsbelastungen entlang des von der Maßnahme betroffenen Verkehrsnetzes in der Planung zu berücksichtigen und in der Anwendung zu überwachen.

3 Entscheidungs- und Optimierungsmöglichkeiten

Das theoretische Potenzial dynamischer Verkehrslenkungsmaßnahmen als Instrument der Luftreinhaltung wurde bereits in DIEGMANN, V.; WIEGAND, G. 2007 [6] untersucht und dort an zwei Straßen in Hessen durch verschiedene „Gedankenexperimente“ Minderungspotenziale für den Jahresmittelwert von NO2 von 28 % bzw. 13 % bei einer Aktivierungsrate von gut 50 % abgeschätzt. Die Überschreitungshäufigkeit des PM10-Tagesgrenzwerts geht dabei von 44 auf 13 bzw. von 49 auf 19 Tage zurück. Die Grundidee dieser Potenzialabschätzung besteht darin, dass bei Erreichen eines definierten Schwellwertes der Schadstoffkonzentrationen eine lokal auf den Hotspot wirkende Maßnahme aktiviert wird, die die lokale Zusatzbelastung entsprechend mindert.

Bild 3: Abschätzung der theoretischen Wirkung von temporär aktivierten lokalen Maßnahmen bei Erreichen eine Schwellwerts am Beispiel einer stündlichen NO2-Zeitreihe in Frankfurt (Oder) aus DIEGMANN, V.; NEUNHÄUSERER, L., LINDNER, R. 2012 [7]

Ein entsprechendes Beispiel ist in Bild 3 dargestellt. Dabei wurde als Schwellwert ein NO2Stundenmittelwert von 60 µg/m³ angenommen. Auf Grundlage dieses Schwellwertes und der gemessenen Schadstoffbelastung ergibt sich eine Anwendungshäufigkeit, in dem vorliegenden Beispiel in Höhe von knapp 1200 Stunden des Jahres was einem Aktivierungsanteil von 15 % entspricht. Mit der Annahme einer Minderung der lokalen Kfz-Emissionen durch die Maßnahme in Höhe von knapp 30 % ergibt sich, dass unter den beschriebenen Randbedingungen und der real gemessenen NO2-Zeitreihe der Jahresmittelwert um über 6 % reduziert werden kann.

4 Beispielanwendungen

4.1 UVM Potsdam

Die im Projekt iQ mobility – Integriertes Qualitätsund Mobilitätsmanagement im Straßenverkehr der Region Berlin-Brandenburg (GIEHLER, R. 2008 [8]) gemachten Erfahrungen flossen in die Maßnahmenplanung des Luftreinhalte- und Aktionsplan für die Landeshauptstadt Potsdam aus dem Jahr 2007 (MLUV BRANDENBURG 2007 [9]) ein. Als eine verkehrliche Maßnahme wurde eine „Verbesserung der Verkehrssituation in kritischen Bereichen“ aufgenommen, die bei entsprechend hohen Schadstoffbelastungen aktiviert werden sollte. Inzwischen betreibt die Stadt Potsdam seit April 2012 ein System zur umweltorientierten Verkehrssteuerung, mit dem Grenzwertüberschreitungen bei Stickstoffdioxid und Feinstaub verhindert werden sollen.

In Bild 4 ist das Maßnahmenprogramm des UVM Potsdam dargestellt. Je nach Überschreiten von Schwellwerten der Verkehrsbelastung und/oder Luftschadstoffbelastung werden folgende Strategien und Maßnahmen aktiviert (POTSDAM 2012 [10]).

Bild 4: Maßnahmenprogramm im UVM Potsdam (POTSDAM 2012[10])

Strategien

•    Verflüssigung des Verkehrs durch kapazitätsabhängige Schaltung von „Grünen Wellen"

•    zeitlich verkehrs- und umweltabhängige Pförtnerung des Kfz-Verkehrs an der Lichtsignalanlage (LSA) am Beginn der Hotspot-Bereiche

•    Verkürzung der Wartezeiten im querenden Verkehr (Radfahrer und Fußgänger)

Maßnahmen

•    Implementierung von umweltorientierten Steuerungsprogrammen an 21 LSA

•    Ergänzung des strategischen Messstellensystems mit 14 weiteren Messstellen

•    Einrichtung einer Bussonderspur im Zuge der Zeppelinstr. (Pirschheide – Forststr.)

Evaluierung
Derzeit wird die Wirkung des UVM in Potsdam im Rahmen einer Evaluierung untersucht. Dabei besteht die wesentliche Aufgabe, verkehrliche Referenzfälle zu finden bzw. zu definieren, gegenüber denen man die Wirksamkeit von geschalteten UVM-Maßnahmen quantifizieren kann.

Um eine isolierte Evaluierung der UVM-Maßnahme vornehmen zu können, wird folgender Umstand ausgenutzt. Seit dem Start des UVM in Potsdam wird ein System zum Monitoring der Luftschadstoffbelastung in den entsprechenden Hotspots betrieben, dass zum einen die nötige Information zur Auslösung der vorgeplanten Maßnahmen liefert und zum anderen die Modelleingangsund Ergebnisdaten archiviert. In diesen Archivdaten liegen neben den Modellergebnissen die real gemessenen Daten zur Meteorologie und zur Hintergrundbelastung sowie zu Verkehrsmengen und zur Verkehrsqualität vor.

Die geschaltete Maßnahme wirkt auf den lokalen Verkehr, so dass für eine isolierte Wirkungsuntersuchung dieser Maßnahme die restlichen Rahmenbedingungen unverändert sein sollten. In der Realität ist es nahezu unmöglich, Referenzfälle zu finden, bei denen eine vergleichbare verkehrliche Situation ohne UVM-Maßnahme passend zu einer Situation mit UVM-Maßnahmen unter sonst identischen Rahmenbedingungen vorliegt. Mit den Archivdaten des Monitoringsystems können aber isoliert die Verkehrsdaten von einer Situation gegen entsprechende Verkehrsdaten ohne UVM-Maßnahme ausgetauscht werden, wobei bei einer wiederholten Modellierung der Luftschadstoffbelastung die restlichen Rahmenbedingungen konstant bleiben. Ein Schema dieser Methode findet sich in Bild 5.

Es bleibt aber weiterhin die nicht triviale Aufgabe bestehen, „vergleichbare“ Verkehrsdaten zur Verfügung zu stellen. Im Rahmen erster Untersuchungen für das UVM Potsdam wurde festgestellt, dass sich in einem ausgewählten Hotspot durch das UVM die Verkehrsqualität deutlich verbessert hat. So lag der Stop&Go-Anteil ohne UVM bei 6,5 % während er bei geschalteten UVM-Maßnahmen auf 0,8 % zurückging. Allein diese temporäre Verbesserung der Verkehrsqualität führte zu einem Rückgang der NO2-Gesamtbelastung von 3 %, wobei die Maßnahme innerhalb des untersuchten Zeitraums von drei Monaten nur in 24 % der Tagstunden von 6 Uhr bis 20 Uhr aktiviert war. Die weitere Evaluierung befindet sich noch in der Bearbeitung.

Bild 5: Schema der Methode zur Evaluierung von UVM-Maßnahmen mit Hilfe eines Monitoringsystems und archivierten Daten

4.2 UVM Braunschweig

Ziel des Projekts UVM-BS ([11] und [12]) war es, ein situationsabhängiges und präventives Gegensteuern durch Verkehrsmanagementmaßnahmen zur Reduzierung von Umweltbelastungen bzw. Grenzwertüberschreitungen durch Luftschadstoffe zu entwickeln und deren Umsetzbarkeit in einem konkreten städtischen Straßennetz zu untersuchen.

In der Stufe 1 wurde in einem Testabschnitt auf dem Altewiekring unter Verwendung einer für das Projekt errichteten ortsfesten Luftschadstoffmessstation nachgewiesen, dass mit geeigneten Modellierungsverfahren Verkehrsemissionen zeitlich hoch aufgelöst aus Verkehrsmesswerten abgeleitet werden können und zuverlässig die aktuelle Schadstoffbelastung bestimmt sowie die zukünftige Schadstoffbelastung prognostiziert werden kann. In Bild 6 sind die Ergebnisse einer für das Testgebiet angestellten Berechnung verkehrlicher und lufthygienischer Wirkungen einer geplanten Maßnahme dargestellt (UVMBS 2010, [11]).

In einem Feldversuch über einen Zeitraum von 8 Wochen wurden durch Reduktionen der Grünzeiten Minderungen der Spitzenverkehrsstärke erreicht. Eine Evaluierung der Minderung der Luftschadstoffbelastung zeigt für den Untersuchungszeitraum eine Minderung der NOXbzw. PM10-Zusatzbelastung um 12 % bzw. 13 % und eine Minderung der Gesamtbelastung um 10 % bei NOX und 4 % bei PM10.

Bild 6: Modellierte verkehrliche (links) und lufthygienische (rechts) Wirkung eines Szenarios im Testgebiet Altewiekring in Braunschweig aus UVM BS 1

Die Stufe 2 des UVM-BS hatte zum Ziel, die in Stufe 1 zur Beeinflussung des lokalen Verkehrs entwickelten Strategien auf weitere (Umwelt-)Hotspots des Stadtgebietes anzuwenden, sowie die dabei auftretenden Wechselwirkungen der verkehrlichen Beeinflussung zu untersuchen, um für alle kritischen Bereiche eine Absenkung der durch den Straßenverkehr verursachten Schadstoffbelastung zu erreichen. (UVM-BS 2012, [12])

In der Stufe 2 wurde die Datengrundlage bezüglich der Verkehrsdaten durch Integration eines stündlichen Verkehrsmodells deutlich verbessert. Mit diesen Zeitreihen bzw. Ganglinien der stündlichen Verkehrsmodellierung können dann die Wirkungen von temporär aktivierten Maßnahmen in der Modellierung der Kfz-Emissionen und Immissionen netzweit berücksichtigt werden.

Szenarienberechnungen zur Wirkungsanalyse verkehrlicher Maßnahmen können in der Planungsphase modellbasiert durchgeführt werden, in dem in der Modellierung alle weiteren Parameter gegenüber dem Planungsnullfall unverändert gelassen werden (siehe dazu Schema in Bild 7).

Bild 7: Methodisches Vorgehen bei der planerischen Wirkungsanalyse verkehrlicher Maßnahmen (DIEGMANN, V.; MICHAEL, M.; GÄßLER, G.; LÖHNER, H. 2012, [13])

Durch das Vorliegen zeitaufgelöster Modellwerte der Verkehrsdaten und der Immissionsbelastung sowohl für den Planungsnullfall und die einzelnen Szenarien konnte die Wirkung der dynamischen Maßnahmen auf den gesamten Untersuchungszeitraum bei einer von einem Schwellwert abhängigen Aktivierung untersucht werden.

Für 4 ausgewählte Hotspots wurden mehrere Maßnahmen bzw. Maßnahmenbündel entsprechend ausgewertet. Je nach lokalem Verkehrsbeitrag an der Immission und der Minderungswirkung der dynamischen Maßnahmen wurden für den am höchsten belasteten Bereich mit einer temporären Reduktion der Kfz-Belastung um 27 % mittlere Minderungen der NOX-Gesamtbelastung von 7 % bis 15 % erreicht. Bei einer moderaten temporären Verkehrsreduktion von 14 % geht die NOX-Minderung auf 3 % bis 6 % zurück. An den anderen Hotspots beträgt die planerisch ermittelte NOX-Minderung für dort geplante Maßnahmen 3 % bis 5 %.

In einer vom Land Niedersachsen geförderten dritten Stufe des Projektes (UVM 3) soll die Entwicklung des Softwaresystems für den operativen Einsatz abgeschlossen werden. Neben der praktischen Erprobung und Evaluation eines Monitoringsystems für die aktuelle Situation ist die Entwicklung eines Prognosemoduls ein Schwerpunkt des Projekts. Auf Grundlage dieser Prognosen werden für den operationellen Betrieb frühzeitige Entscheidungen zur Aktivierung von Steuerungsmaßnahmen zur Reduzierung der durch den Verkehr hervorgerufenen Schadstoffbelastungen ermöglicht.

Im Luftreinhalteund Aktionsplan der Stadt (BRAUNSCHWEIG 2007a, [14]) und in dem Entwurf der Fortschreibung des Luftreinhalteund Aktionsplan (BRAUNSCHWEIG 2007b, [15]) wird UVM als Maßnahme zur Minderung der verkehrsbedingten Luftschadstoffbelastung in Braunschweig aufgeführt. Ein entsprechendes UVM wird zurzeit im Auftrag der Stadt Braunschweig aufgebaut. Erste Ergebnisse aus einer Evaluierung sollen Anfang 2015 vorliegen.

4.3 Dynamische Lkw-Umleitung in Wittenberg

Im Aktionsplan der Lutherstadt Wittenberg ist als eine Maßnahme zur Reduktion der Überschreitungshäufigkeit des PM10-Tagesgrenzwerts eine Ableitung des Lkw-Verkehrs aus Richtung Westen in Fahrtrichtung Ost enthalten. In der Umsetzung wird die Umleitung dynamisch aktiviert, wenn das Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (LAU) der Stadt und dem Landkreis Wittenberg eine bevorstehende Überschreitung des PM10-Tagesmittelwertes von 50 μg/m3 signalisiert.

Nach Auswertungen von ALBRECHT, W. ET AL. 2012, [16] gingen durch diese Maßnahme innerhalb einer PM10-Episode von 14 Tagen Anfang 2012 die Anzahl der Überschreitungstage des PM10-Tagesgrenzwertes um 3 Tage zurück.

4.4 Invalidenstraße Berlin

Im Planfeststellungsbeschluss für das Bauvorhaben Verkehrsverbindung Nordbahnhof Hauptbahnhof im Bezirk Mitte von Berlin (Senat Berlin 2010, [17]) „ist der Einsatz eines simulationsgestützten Systems zur laufenden Überwachung der Verkehrsund Umweltqualität mit der Zielstellung vorgesehen, um die … möglichen Überschreitungen der Luftschadstoffgrenzwerte in der Invalidenstraße einschließlich der betroffenen Nachbarstraßen durch eine geeignete Steuerung des Verkehrs möglichst zu vermeiden.“ Entsprechende Vorbereitungen und deren Umsetzung sind durch den Senat von Berlin bereits beauftragt.

5 Zusammenfassung und Ausblick

Der Verkehr – und dabei insbesondere der innerstädtische Kfz-Verkehr – spielt eine dominierende Rolle beim Auftreten von umweltrelevanten Problemen, wie z. B. der Belastung durch Lärm und Luftschadstoffe. Durch die Überschreitung geltender Grenzwerte für NO2 und PM10 besteht für eine Vielzahl von Kommunen konkreter Handlungsbedarf, Maßnahmen zu ergreifen, die die Luftschadstoffbelastung senken. Die Erweiterung und Anwendung bereits weit verbreiteter dynamischer Verkehrsmanagementsysteme zu einem Umweltorientierten Verkehrsmanagement (UVM) bietet die Möglichkeit für wirksame Maßnahmen zur Minderung der Luftschadstoffbelastung in Hotspots. Der Zielbegriff des Verkehrsmanagements einer "bestmöglichen Mobilität" wird dabei um das Ziel einer möglichst geringen Umweltbelastung erweitert.

Zielführende Maßnahmen in einem UVM bedürfen einer intensiven Verkehrsund Umweltplanung. Bei der Ausarbeitung der anschließenden Strategiebildung müssen neben den gewünschten Wirkungen im Hotspot unerwünschte Auswirkungen auf möglichen Ausweichstrecken berücksichtigt werden. Diese Wirkungen und Auswirkungen sind beim Einsatz von UVM zu überwachen und erfordern somit ein netzweites Monitoring. Die archivierten Daten des Monitorings können für zukünftige Planungsfragen und Evaluationen verwendet werden. Sowohl auf der Seite der Planung, als auch auf Systemseite sind entsprechende Methoden und über einen längeren Zeitraum validierte Verfahren bereits in operativen Systemen etabliert.

In der Anwendung von UVM besteht die Aufgabe, eine Abwägung zwischen einem möglichst hohen Reduktionspotenzial und einer möglichst seltenen bzw. politisch akzeptablen Aktivierungsrate vorzunehmen. Modellrechnungen und planerische Evaluierungen zeigen bereits jetzt das Minderungspotenzial von UVM auf (siehe dazu auch Tabelle 1).

Tabelle 1: Auflistung von Wirkungspotenzialen von UVM aus verschiedenen Projekten mit Angaben einer Aktivierungsrate (AR)

Für die Zukunft sind weitere Evaluierungen für die ersten Anwendungen zu erwarten, aus denen die tatsächlichen Minderungspotenziale von UVM im realen Betrieb überprüft werden können. Erste Auswertungen in Potsdam und durch das Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt belegen das Potenzial bei der Vermeidung von Überschreitung des PM10Tagesgrenzwerts.

Wie bei jedem Managementsystem muss ein System zum Qualitätsmanagement, mit den Elementen Monitoring, Evaluation und Archivierung als integraler Baustein enthalten sein. Archivund Planungsdaten aus UVM bilden zudem eine gute Datenbasis mit der Validierungen z. B. von Methoden zur Bestimmung von Kfz-Emissionen verbessert werden können. Neben Fragen der Lufthygiene können damit auch Daten zur Klimabilanz des KfzVerkehrs abgesichert werden.

Es ist zu erwarten, dass die Nutzer eines Verkehrssystems auch auf temporäre Restriktionen im Kfz-Verkehr (MIV) reagieren. Verstärkt durch ergänzende Angebote im Umweltverbund kann damit mittelfristig Einfluss auf die Nachfrage genommen werden und der, in erster Linie verkehrsorganisatorisch Eingriff eines UVM, auch Verhaltensänderungen bewirken. Entscheidend dafür ist, dass der Nutzer über die Angebote und Restriktion und deren Zusammenhänge informiert ist.

6 Literatur

[1]    DIEGMANN, V.; PFÄFFLIN, F.; WURSTHORN, H.: Bestandsaufnahme und Wirksamkeit von Maßnahmen der Luftreinhaltung. Forschungsund Entwicklungsvorhaben FKZ (UFOPLAN) 3712 43 255. Im Auftrag des Umweltbundesamtes. 2013.

[2]    EU 2008: Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa. Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 153, S. 1. 2008

[3]    EU 2013: Beschluss der Kommission vom 20.2.2013 betreffend die Mitteilung der Bundesrepublik Deutschland über die Verlängerung der Frist für das Erreichen der NO2-Grenzwerte in 57 Luftqualitätsgebieten. Europäische Kommission. 2013

[4]    UBA: Luftqualität 2012. Vorläufige Auswertung. Umweltbundesamt. 2013.

[5]    FGSV: Hinweise zur Strategieentwicklung im dynamischen Verkehrsmanagement. Forschungsgesellschaft für Straßenund Verkehrswesen (FGSV). 2011.

[6]    DIEGMANN, V.; WIEGAND, G.: Potenzial dynamischer Verkehrslenkungsmaßnahmen als Instrument der Luftreinhaltung. Gefahrstoffe Reinhaltung der Luft 67 Nr. 4, S. 155161. 2007.

[7]    DIEGMANN, V.; NEUNHÄUSERER, L., LINDNER, R.: Machbarkeits- und Wirkungsabschätzung einer Dynamischen Umweltgesteuerten Verkehrsumleitung (DUV) für Frankfurt (Oder). In Zusammenarbeit mit CS Planungsund Ingenieurgesellschaft mbH Berlin und Ansorge & Partner Frankfurter Ingenieurconsult Gesellschaft mbH Frankfurt (Oder). Auftraggeber: Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (MUGV) des Landes Brandenburg. 2012.

[8]    GIEHLER, R. 2008: Verkehrsmittelübergreifende Qualitätsüberwachung des straßengebundenen Verkehrs. In: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hrsg.): Verkehrsmanagement und Verkehrstechnologien. Mobile Zukunft mit intelligenten Verkehrssystemen. 2008.

[9]    MLUV BRANDENBURG 2007: Luftreinhalteund Aktionsplan für die Landeshauptstadt Potsdam nach § 47 BImSchG. Stadtund verkehrsplanerische Lösungen, immissionsschutzseitige Beurteilung und Vorbereitung von Maßnahmen. Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz (MLUV) des Landes Brandenburg. In Zusammenarbeit mit VMZ Berlin Betreibergesellschaft mbH und IVU Umwelt GmbH. 2007.

[10]    POTSDAM 2012: http://www.potsdam.de/cms/bilder/40682/80/0/0/9217f0cf/Massnahmen_ Zeppelinstr_BreiteStr_LangeBruecke_HMA_web.jpg

[11]    UVM-BS 2010: Umweltorientiertes Verkehrsmanagement Braunschweig. Gemeinsamer Ergebnisbericht. Erarbeitete von Bellis GmbH, Braunschweig; BLIC GmbH, Berlin; IVU Umwelt GmbH, Freiburg und VMZ Betreibergesellschaft mbH, Berlin. Auftraggeber: Bundesministerium für Verkehr, Bauund Stadtentwicklung (BMVBS) im Rahmen der Förderinitiative „Mobilität 21 Beispiele für innovative Verkehrslösungen“. 2010.

[12]    UVM-BS 2012: Umweltorientiertes Verkehrsmanagement Braunschweig Stufe 2. Gemeinsamer Ergebnisbericht. Erarbeitete von Bellis GmbH, Braunschweig; BLIC GmbH, Berlin; IVU Umwelt GmbH, Freiburg und WVI GmbH, Braunschweig. Auftraggeber: Bundesministerium für Verkehr, Bauund Stadtentwicklung (BMVBS) im Rahmen der Förderinitiative „Mobilität 21 Beispiele für innovative Verkehrslösungen“. 2012.

[13]    DIEGMANN, V.; MICHAEL, M.; GÄßLER, G.; LÖHNER, H. 2012: Umweltorientiertes Verkehrsmanagement Braunschweig. In: Löwner, M.; Hillen, F.; Wohlfahrt, R. (Hrsg.): Geoinformatik 2012 ''Mobilität und Umwelt''. Konferenzband. 28.-30.3.2012 in Braunschweig. 2012.

[14]    BRAUNSCHWEIG 2007a: Luftreinhalteund Aktionsplan Braunschweig. Stadt Braunschweig. Erarbeitet durch das Niedersächsische Umweltministerium. 2007.

[15]    BRAUNSCHWEIG 2007b: Fortschreibung. Luftreinhalteplan Braunschweig. Entwurf. Stadt Braunschweig. 2007.

[16]    ALBRECHT, W.; ZIMMERMANN, U.; BAYER, T.; EIFERT, K. 2012: Maßnahmen zur Luftreinhalteplanung in Sachsen-Anhalt, Vortrag auf dem Statusseminar Luftqualität Sachsen, Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Dresden 2012

[17]    SENAT BERLIN 2010: Planfeststellungsbeschluss für das Bauvorhaben Verkehrsverbindung Nordbahnhof Hauptbahnhof im Bezirk Mitte von Berlin. Stand 15.01.2010. Senats-verwaltung für Stadtentwicklung Planen, Bauen, Wohnen, Natur, Verkehr, SenStadt VII E Planfeststellungsbehörde gemäß § 22 Abs. 1 Berliner Straßengesetz (BerlStrG). 2010.

[18]    LUDES, G.; SIEBERS, B.; KUHLBUSCH, T.; QUASS, U.; BEYER, M.; WEBER, F. 2008: Feinstaub und NO2– Entwicklung und Validierung einer Methode zur immissionsabhängigen dynamischen Verkehrssteuerung. Forschungsbericht 205 45 130. Abschlussbericht. Veröffentlichung 2010 in der Reihe UBA-Texte, Nr. 25/2010. Im Auftrag des Umweltbundesamtes. 2008.

[19]    LANUV 2012: Machbarkeitsstudie ''Essener Norden''. Möglichkeiten und Potenziale verkehrlicher Maßnahmen zur Verringerung von Partikel-, Stickstoffdioxid und LärmImmissionen im Essener Norden. Fachbericht 41. Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV). 2012.

[20]    NEUNHÄUSERER, L.; DIEGMANN, V. 2010: Analysis of the Impacts of an Environmental Traffic Management System on Vehicle Emissions and Air Quality. Proceedings ''Transport and Air Pollution TAP 2010''. Poster Session 2. 18th International Symposium. May 18-19, 2010 in Dübendorf, Switzerland. 2010.