Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.
1. Allgemeines / Organisation
Der Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM) plant, baut und unterhält die Autobahnen, Bundes-, Landes- und Kreisstraßen in Rheinland-Pfalz. Darüber hinaus ist er für Fragen des Verkehrs zu Lande, zu Wasser und in der Luft zuständig.
Er betreut ein Straßennetz von ca. 18.000 km Länge, welches sich im Detail folgendermaßen darstellt:
Bild 1 siehe PDF
Der Straßenbetriebsdienst wird von 57 Straßenmeistereien und 13 Autobahnmeistereien wahrgenommen, die 8 regionalen Dienststellen (RLBM) und 1 Autobahnamt (LBM ABA) unterstellt sind.
2. Winterdienstorganisation
Der Landesbetrieb Mobilität sorgt nach besten Kräften dafür, dass in Rheinland-Pfalz die 877 Kilometer Bundesautobahnen rund um die Uhr und rund 17.000 Kilometer Bundes-, Landes- und Kreisstraßen zwischen 6 Uhr und 22 Uhr befahrbar bleiben.
Hierfür werden in den 57 Straßenmeistereien und 13 Autobahnmeistereien rund 1.400 Betriebsdienstmitarbeiter und 574 Winterdienstfahrzeuge eingesetzt. Dies sind 353 eigene Fahrzeuge des LBM und 221 Unternehmerfahrzeuge, die speziell für den Winterdienst angemietet sind. In den landesweit rund 170 Salzhallen und Silos des LBM lagern bis zu 137.500 Tonnen Streusalz. Modernste Streutechnik garantiert einen wirtschaftlichen Einsatz von Streumitteln und gleichzeitig eine höchstmögliche Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer.
Die Verteilung der hierfür erforderlichen Winterdienstrouten kann der folgenden Tabelle entnommen werden:
Tabelle 1 siehe PDF
3. Erkenntnisse aus dem Pilotversuch in der AM Mendig
Rheinland-Pfalz ist im Jahr 2010 im Rahmen eines durch die BASt begleiten Pilotversuch in die Flüssigstreuung eingestiegen. Hier wurde zunächst in der Autobahnmeisterei Mendig ein Kombistreuer (ermöglicht die Streutechniken FS 30 und FS 100) zusammen mit einem Gerätehersteller konzeptioniert und zur „Serienreife“ weiterentwickelt.
In diesem Zusammenhang wurden im Rahmen des Pilotversuchs folgende Erkenntnisse gewonnen:
· Die Flüssigstreuung hat sich auf dem Testfeld und in der Praxis bewehrt
· Der verkehrssichere Einsatz der Flüssigstreuung konnte uneingeschränkt belegt werden
· Für einen effizienten Praxiseinsatz muss die Beladezeit der Flüssigstreuer deutlich reduziert werden
· Die Flüssigstreuung soll flächendeckend, zumindest im Bereich der BAB, umgesetzt werden
4. Entwicklung einer Umsetzungs-Strategie
Nachdem im Pilotversuch der verkehrssichere Einsatz der Flüssigstreuung nachgewiesen werden konnte, musste eine Strategie entwickelt werden, mit der die flächendeckende Umsetzung der Flüssigstreuung wirtschaftlich und verkehrssicher zu realisieren war.
Hierbei galt es folgende Punkte zu beachten:
· Systemfrage (Kombi-Streuautomat / Solesprüher)
· Infrastrukturelle Auswirkungen
· Nachweis der Wirtschaftlichkeit
· Einsatzgrenzen der Flüssigstreuung
· Motivation der Mitarbeiter
a. Systemfrage
In Rheinland-Pfalz wurde im Pilotversuch ein Kombistreuer getestet, der sich im praktischen Einsatz bewährt hatte. Durch eine in Rheinland-Pfalz praktizierte Ausnahmegenehmigung zur Auflastung, kann ein 3-achsiger Kombistreuer mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 32 to betrieben werden. Hiermit ist es möglich, gleichzeitig 5 m³ Streusalz im Streubunker und 10.500 l Sole mitzuführen. Ein Fassungsvermögen von 10.500 l wird zur Bedienung einer Präventivroute als ausreichend angesehen. Das rheinland-pfälzische Straßennetz befindet sich in einer bewegten Topografie, so dass ein Wechsel des Streuverfahrens während des Einsatzes durchaus vorkommen kann. Zudem ist bei dem Kombistreuer zwischen einem präventivem Streueinsatz und einem ggfs. notwendigen Räumeisatz kein Umbau des Systems erforderlich. Aus v. g. Gründen wird in Rheinland-Pfalz im Bereich der Autobahnmeistereien die Systematik des Kombistreuers primär verfolgt. Aber auch andere Systeme (Reiner Flüssigstreuer mit Wechselsystem) haben Vorteile und können wirtschaftlich sinnvoll eingesetzt werden.
Bild 2 siehe PDF
b. Infrastruktur
Das primäre Ziel der Flüssigstreuung ist es zunächst, Streustoffe und somit Streustoffkosten einzusparen. Zunächst wurde eine Prognoserechnung durchgeführt, mit welchen Einsparungen an Streustoffkosten zu rechnen ist, sofern die kompletten Hauptfahrbahnen einer durchschnittlichen Autobahnmeisterei zumindest im Präventiveinsatz mit der Flüssigstreuung bedient würden. Hierbei wurden folgende Festlegungen und Annahmen getroffen:
Durchschnittsfläche Hauptfahrbahn je AM: 1.08 Mio. m²
Anzahl Präventiveinsätze pro Jahr: 50 Stück
Streudichte FS 30: 10 g / m²
Sprühdichte FS 100 15 g / m²
Kostensatz Streusalz: 80 Euro / to
Kostensatz NaCl-Sole (Gebrauchslösung): 30 Euro / to
Kostensatz MgCl2-Sole (Gebrauchslösung): 42 Euro / to
Kostensatz CaCl2-Sole (Gebrauchslösung): 75 Euro / to
Die sich hieraus ergebenden Streustoffkosten können der folgenden Tabelle entnommen werden:
Tabelle 2 siehe PDF
Aus der zuvor dargestellten Berechnung der Streustoffkosten bei Verwendung unterschiedlicher Streuverfahren und Solearten lassen sich 2 Hauptthesen ableiten:
· Der Einfluss der Art der Sole auf die Wirtschaftlichkeit bei FS 30 ist sehr gering
· Die Flüssigstreuung lässt sich ausschließlich mit NaCl-Sole wirtschaftlich realisieren
Hieraus wurde geschlussfolgert, dass zunächst alle Autobahnmeistereien mit Salzlöseanlagen auszustatten sind, bevor dort eine Flüssigstreueinheit stationiert werden kann.
Neben den zuvor dargestellten infrastrukturellen Erfordernissen für einen wirtschaftlichen Betrieb der Flüssigstreuung mussten ebenfalls infrastrukturelle Änderungen vorgenommen werden, um die Geschwindigkeit des Befüllens der Feuchtsalzstreuer zu optimieren.
Hier wurden folgende Änderungen am bestehenden System vorgenommen:
· Verbauung stärkerer Pumpen mit einer Leistung von 60 – 70 m³ / h
· Querschnittsvergrößerung von Zu- und Abgangsleitungen auf NW 110 mm; Schlauchgröße A = 95 cm²
Somit konnte eine Verringerung der Beladezeit des Kombistreuers um 30 min auf 10 min realisiert werden. Somit ist es zeitlich unkritisch im Präventiveinsatz eine planmäßige Nachbeladung des Winterdienstfahrzeugs einzuplanen.
Bild 3 siehe PDF
c. Nachweis der Wirtschaftlichkeit
In der Regel werden Hauptfahrbahnen und Nebenfahrbahnen im Winterdienst von verschiedenen Einheiten (WD-Fahrzeugen) bedient. Benötigt man auf der Hauptfahrbahn eher große Fahrzeuge mit einer hohen Zuladung, so werden auf den Nebenfahrbahnen im Bereich von Anschlussstellen eher kleinere und wendige Einheiten benötigt.
Bild 4 siehe PDF
Die durchschnittlichen Flächen der Hauptfahrbahnen pro AM in Rheinland-Pfalz betragen rund 1,1 Mio. m², die Flächen der Nebenfahrbahnen rund 0,2 Mio. m².
Dementsprechend betragen die zu erwartenden Streustoffeinsparungen im Bereich der Hauptfahrbahnen rund 11.000 Euro pro Jahr und auf den Nebenfahrbahnen rund 2.000 Euro pro Jahr.
Unter dem Gesichtspunkt, dass für eine wirtschaftliche Umsetzung der Flüssigstreuung die erforderlichen jährlichen Investitionen in die Gerätetechnik kleiner sein müssen als der hiermit zu erzielende Einspareffekt, wurde primär der Einsatz der Flüssigstreuung auf den Hauptfahrbahnen weiterverfolgt.
Der Einsatz bzw. die Investitionskosten von Salzlöseanlagen dürfen bei der anschließenden Wirtschaftlichkeitsberechnung nicht berücksichtigt werden, da der Einsatz von Salzlöseanlagen generell für eine wirtschaftliche Erbringung des Winterdienstes zu empfehlen ist und die Dimensionierung der Salzlöseanlage (erforderliche Löseleistung) nicht bzw. nicht nennenswert durch den Einsatz der Flüssigstreuung tangiert wird.
In der nun folgenden Wirtschaftlichkeitsberechnung werden 3 Fälle miteinander verglichen:
· Präventiveinsatz mit FS 30
· Präventiveinsatz mit FS 100 / Kombistreuer
· Präventiveinsatz mit FS 100 / Reiner Feuchtsalzstreuer
Tabelle 3 siehe PDF
Aus der zuvor durchgeführten Wirtschaftlichkeitsberechnung können wiederum diverse Erkenntnisse abgeleitet werden. Bei derzeitiger Nutzung der Flüssigstreuung ist die Wirtschaftlichkeit gegeben, sofern nur eine Einheit auf den Hauptfahrbahnen der BAB bei Präventivstreuungen einer durchschnittlichen Autobahnmeisterei (ca. 70 km Richtungsfahrbahn) eingesetzt wird. Bei der Variante FS 100 Solestreuer könnte auch noch eine zweite Einheit für einen wirtschaftlichen Betrieb eingesetzt werden. Ein 2. Kombistreuer zehrt hingegen die Einsparungen wieder komplett auf. Aus wirtschaftlicher Sicht sollte daher versucht werden, die komplette Hauptfahrbahn mit einer Einheit zu bedienen. Da im Präventiveinsatz der zeitliche Druck nicht in der Art gegeben ist, wie im kurativen Einsatz, stellt die Bedienung der Hauptfahrbahnen mit einer Einheit eine sinnvolle Variante dar. Im Vergleich zum Präventiveinsatz muss der Einsatz auch nicht zwingend zeitnah vor dem Glätteereignis erfolgen, da die haftenden Eigenschaften der Flüssigstreuung bekannt sind.
Hinsichtlich der Umlaufzeiten dürfte die Betreuung der Hauptfahrbahnen auch kein Problem darstellen, da bei einer durchschnittlichen Fahrgeschwindigkeit von 50 - 60 km/h die Hauptfahrbahnen (ca. 150 km) auch mit einer planmäßigen Nachfüllung des Winterdienstfahrzeugs in ca. 3 Stunden bedient werden können.
d. Einsatzgrenzen
In Rheinland-Pfalz wird die Flüssigstreuung bis zu einer Mindesttemperatur von – 6°C und bis zu einer Wasserfilmhöhe von 0,1 mm eingesetzt. Bei einer höheren Wasserfilmhöhe fängt Wasser an zu fließen und die Taustoffe werden von der Straße gespült. Im praktischen Einsatz ist eine problematische Wasserfilmhöhe daran zu erkennen, dass eine sichtbare Sprühfahne hinter den Fahrzeugen entsteht.
e. Motivation der Mitarbeiter
Eine neue Technik sorgt zunächst für Skepsis und im Regelfall für eine ablehnende Haltung des Personals. Um den Mitarbeiter zu überzeugen, muss dringend Aufklärung betrieben werden. In Rheinland-Pfalz wurden hierzu umfassende Schulungen für den Innendienst, die Meistereileitung, WD-Einsatzleitern und Bediener durchgeführt. Hierbei wurde auf theoretische Grundlagen, Einsatzkriterien und die Gerätetechnik eingegangen.
Um eine neue Streutechnik erfolgreich zu implementieren müssen alle Beteiligten überzeugt sein und den Einsatz der Technik begleiten und einfordern. Der Leiter der Meisterei stellt hierbei die Schlüsselfigur dar. Die FS 100-Technik muss Bestandteil der WD-Schulungen und praktischen Unterweisungen sein. Das Gespräch mit den Bedienern muss gesucht werden, um Einsätze qualitativ zu bewerten. Etwaige Zweifel der Mitarbeiter sind hierbei zu besprechen und gezielt durch Aufklärung aufzulösen.
5. Aktuelle Entwicklung
Derzeit werden im Bereich der Autobahnmeistereien 2 Kombinationen aus Trägerfahrzeug mit Kombistreuer und einem Fullwet-Anhänger getestet. Hierbei wird der FullWet-Anhänger im Bedarfsfall aus dem Kombistreuer befüllt. Rheinland-Pfalz verspricht sich hiervon eine hohe Flexibilität. Der Kombistreuer kann zum einen separat, als auch in Kombination mit dem FullWet-Anhänger genutzt werden.
In Kombination steht eine Befüllmenge von rund 26.000 Litern zur Verfügung. Hiermit können rund 130 km Richtungsfahrbahn, also rund 260 km Strecke abgedeckt werden. Innerhalb von 5 Stunden können somit die Hauptfahrbahnen von 2 Autobahnmeistereien bedient werden. Der Test dieser Kombination läuft im Winter 2015/2016.
Die generelle Planung sieht vor, dass bis zum Winter 2016/2017 jede Autobahnmeisterei mit einer Salzlöseanlage und einer Flüssigstreueinheit ausgestattet ist und somit das komplette rheinland-pfälzische Autobahnnetz mit der Technik der Flüssigstreuung bedient werden kann.
Auch im Bereich der Straßenmeistereien läuft im Winter 2015/2016 ein Pilotversuch. Eine Straßenmeisterei wurde komplett mit 3 Flüssigstreueinheiten ausgestattet. Hier soll getestet werden, ob eine Verlagerung der Hauptzeiten von Streueinsätzen von der Nacht (3 Uhr – 6 Uhr) auf den Abend des Vortages (19 Uhr – 22 Uhr) in der Praxis realisiert werden kann. Hierbei soll bei entsprechender Wetterlage bereits ab 19 Uhr (nach dem abendlichen Berufsverkehr) das Streckennetz der Straßenmeisterei mit 3 Fahrzeugen präventiv mit Sole besprüht werden. Das Land Rheinland-Pfalz verspricht sich hiervon eindeutige Vorteile für die Winterdienstorganisation, für den Mitarbeiter (keine Fahrten bei Glätte, wird nicht aus dem Schlaf gerissen, etc.) und für die Qualität des Winterdienstes. Mit dieser Maßnahme könnte das Niveau des Winterdienstes für das nachgeordnete Netz enorm verbessert werden, da nun die Entwicklung von Reifglätte und überfrierender Feuchte nahezu 24h am Tag ausgeschlossen werden kann. Bisher sieht die WD-Organisation vor, diese Glättearten organisatorisch nur zwischen 6 Uhr und 22 Uhr auszuschließen.
6. Fazit
Das Land Rheinland-Pfalz ist von dem Potenzial der Flüssigstreuung überzeugt; die Technik wird sich weiterentwickeln und dabei an Effizienz und Stabilität gewinnen.
Es ist darauf zu achten, dass sich die notwendigen Investitionen in die Gerätetechnik in einem wirtschaftlichen Rahmen bewegen und die Streustoffeinsparungen nicht aufzehren.
Auch kann die Flüssigstreuung die Organisation des Winterdienstes vereinfachen und insbesondere im Bereich des nachgeordneten Netzes die Qualität verbessern. Die Implementierung der Flüssigstreuung in den regulären Winterdienst muss sukzessiv begleitet und gefördert werden. |