FGSV-Nr. FGSV 002/137
Ort Bergisch-Gladbach
Datum 19.04.2023
Titel Dreidimensionale Betrachtung des Stadtklimas von Stuttgart – Ergebnisse von sechs Jahren Stadtklimaforschung
Autoren Dr.-Ing. Ulrich Vogt, M. Sc. Abdul Samad
Kategorien Luftqualität
Einleitung

Einleitung

Im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) getragenen Fördermaßnahme „Stadtklima im Wandel UC²“ wurden über einen Zeitraum von sechs Jahren von 2016 bis 2022 umfangreiche Forschungen im Bereich der Stadtklimatologie betrieben. Es wurde das gebäudeauflösende dreidimensionale LES-Stadtklimamodell Palm4U aus einem Vorgängermodell heraus entwickelt, um künftig Stadtklimamodellierungen mit einer räumlichen Auflösung herunter bis zu 1 m, für Straßenschluchten, Stadtquartiere oder ganze Großstädte samt Umland durchführen zu können. Des Weiteren wurden von einer Vielzahl von Forschergruppen umfangreiche Validierungsmessungen in unterschiedlichen deutschen Städten durchgeführt, u. a. in Stuttgart [1].

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

Stationäre Messungen

Die Topographie Stuttgarts ist sehr komplex, da die Stadt an drei Seiten von Hügeln umgeben ist. In Abbildung 1 (links) ist die komplexe Stuttgarter Topographie sowie der Messstandort am zentral gelegenen Marienplatz (Luftbild, roter Kreis) zu sehen. Die Lage des Messwagens am Marienplatz ist ideal, um die thermischen Windsysteme zu analysieren, da die Kaltluftflüsse an dieser Stelle in das Stadtzentrum hineinströmen, bzw. umgekehrt gerichtete Strömungen die vom Stadtzentrum in das Nesenbachtal/Kaltental strömen, analysiert werden können. Dieser Standort wurde daher für die stationären Messungen gewählt. Die Messungen wurden kontinuierlich vom Februar 2017 bis November 2022 durchgeführt. Die gemessenen Luftschadstoffe sind Stickstoffoxide, Stickstoffmonooxid, Stickstoffdioxid, Ozon, schwarzer Kohlenstoff (BC Black Carbon), Kohlenmonoxid und Feinstaub. Es wurden auch meteorologische Größen wie Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck, Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Niederschlag und Globalstrahlung gemessen.

Der Einfluss der Windrichtung auf die Schadstoffkonzentrationen wurde anhand von Windrosen und Schadstoffrosen untersucht. Eine Temperaturrose ist sehr hilfreich, um den Tag-Nacht-Effekt der Stadt zu verstehen. Ein wochenweiser Vergleich von Stickstoffmonooxid, Stickstoffdioxid und Ozon wurde durchgeführt und ihre tageszeitlichen Trends für Wochentage und das Wochenende getrennt betrachtet. Es wurde schwarzer Kohlenstoff (BC Black Carbon) einerseits aus dem Verkehr und andererseits aus Biomassenverbrennung unterschieden und eine Korrelation mit Kohlenmonooxid hergestellt. Einer der wichtigsten Schadstoffe in Stuttgart ist Feinstaub (PM) zusammen mit Stickstoffdioxid, da bis vor wenigen Jahren hier regelmäßig, teils starke Grenzwertüberschreitungen zu verzeichnen waren. Werden aufgrund einer längeren austauscharmen Wetterlage hohe Feinstaubkonzentrationen erwartet, dann wurde von Mitte Oktober bis Mitte April Feinstaubalarm ausgelöst. Bei Feinstaubalarm durften holzbefeuerte Einzelöfen, sogenannte Komfortöfen, nicht betrieben werden. Zudem wurde an die Bevölkerung appelliert, Fahrgemeinschaften zu bilden, das Auto stehen zu lassen und den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Die verschiedenen Feinstaubpartikelgrößen PM2,5 und PM1 wurden zusammen mit PM10 gemessen. Verschiedene Messgrößen, die am Marienplatz gemessen wurden, sind in den Abbildungen 2 bis 6 zu sehen.

Abbildung 1: Stuttgart und umliegende Gemeinden (links). Luftbild des zentral gelegenen Marienplatzes, inklusive Standort des Messwagens des IFK (rechts).

Die Messstation am Marienplatz war mit verschiedenen meteorologischen Messgeräten ausgerüstet. In Abbildung 2 sind die gemessenen Winddaten in Form einer Windrose für den Zeitraum von März 2017 bis Dezember 2019, unterteilt in verschiedene Windgeschwindigkeitsklassen von 0 – 4 m/s dargestellt. Es zeigt sich, dass die Hauptwindrichtung am Marienplatz durch Winde aus drei Sektoren zwischen Südsüdwest bis West an ca. 75 % des Messzeitraums bestimmt ist. Die restlichen Winde wehten aus allen weiteren Sektoren mit relativ geringen Anteilen.

Abbildung 2: Mittlere Windrose von März 2017 bis Dezember 2019 für den Standort Marienplatz.

Eine Temperaturrose gibt die Temperatur von Luftmassen aus unterschiedlichen Anströmrichtungen an. Auf diese Weise kann festgestellt werden, dass Luftströmungen aus einer bestimmten Richtung kühler oder wärmer sind als Luftströmungen aus anderen Richtungen. In Abbildung 3 (a) ist die Temperaturrose für den Messzeitraum von März 2017 bis Dezember 2019, in dem z.B. eine durchschnittliche Lufttemperatur von 18 °C aus Nord-Nordwesten und von 11 °C aus Südwesten gemessen wurde, gezeigt. Die Kaltluft wird auf den höher gelegenen Ebenen um den Stuttgarter Talkessel bei entsprechenden Wetterlagen gebildet. Sie besitzt eine höhere Dichte und strebt daher dem topografisch niedrigsten Punkt entgegen. Sie strömt über die Hänge und Täler in den Stuttgarter Talkessel. An der Messstation am Marienplatz konnten die Kaltluftflüsse anhand der Temperaturmessungen nachgewiesen werden. Die Ergebnisse der Temperaturrosen zeigen, dass Luftmassen, wenn sie von außerhalb der bebauten Gebiete über die Hänge kommen, im Vergleich zu Luftmassen, die aus der Stadt kommen, um etwa 25 % kühler sind.

Anhand von Schadstoffrosen ist es möglich, die Richtung zu identifizieren, aus der verschmutzte Luft kommt. Sie eignen sich also für die Lokalisation von Schadstoffquellen und z.B. dafür, die Auswirkungen des Verkehrs auf die Schadstoffkonzentrationen sichtbar zu machen. In der Schadstoffrose werden Schadstoffe als Funktion der Windrichtung für Windgeschwindigkeiten von mehr als 0,5 m/s dargestellt. Der direkt aus den Fahrzeugen austretende Schadstoff, der auch einen eindeutigen Hinweis auf die Fahrzeugemissionen gibt, ist Stickstoffmonooxid. Die Zunahme der Verschmutzung mit Stickstoffmonooxid ist beispielhaft in Abbildung 3 (b) dargestellt. Es ist zu beobachten, dass die an der Messstation am Marienplatz gemessene Stickstoffmonooxid-Konzentration bei Wind aus Nordosten, Osten und Südosten immer um einen Faktor von 1,5 bis 2 höher war im Vergleich zu Situationen mit Wind aus Südwest, West und Nordwest. Bei Nordostwind wurde eine Stickstoffmonooxid-Konzentration von ca. 15 µg/m³ und bei Südwestwind eine Stickstoffmonooxid-Konzentration von ca. 10 µg/m³ gemessen. Stickstoffmonooxid-Konzentrationen von etwa 20 µg/m³ traten bei Wind aus östlicher Richtung auf, während nur ungefähr die Hälfte dieser Konzentration bei Wind aus westlicher Richtung gemessen wurde. Die erhöhten Konzentrationen aus den entsprechenden Windsektoren können als direkter Beitrag des lokalen Straßenverkehrs angesehen werden. Die anderen Schadstoffe verhalten sich ähnlich, jedoch sind die Konzentrationsunterschiede bei entgegengesetzten Windrichtungen (Wind aus der Stadt versus Wind aus Kaltental) nicht so hoch wie bei Stickstoffmonooxid.

Abbildung 3: Temperaturrose (a) und Stickstoffmonooxid-Schadstoffrose (b) von März 2017 bis Dezember 2019 für den Standort Marienplatz.

Schadstoffkonzentrationen und Verkehrsintensität sind eng miteinander verbunden, daher wurde eine vergleichende Auswertung in Bezug auf die Verkehrsintensität und die Schadstoffkonzentrationen durchgeführt. Die Verkehrsdaten wurden von den zuständigen Behörden eingeholt und mit den gemessenen Schadstoffkonzentrationen in Beziehung gesetzt, um eventuell vorhandene Korrelationen zu untersuchen. Die durchschnittliche Anzahl der Fahrzeuge, die zwischen März 2017 und Dezember 2019 den Marienplatz passierten, ist in Abbildung 4 dargestellt. Bei dieser Bewertung wurden sowohl die am nordöstlichen bis südöstlichen Rand des Marienplatzes vorbeiführende Bundesstraße B14 als auch die den Marienplatz tangierende Hauptverkehrsstraße Filderstraße berücksichtigt. Die durchgezogene Linie repräsentiert den Median (Zentralwert), der dunklere Farbton repräsentiert das 25. und 75. Quantil (Schwellenwert) und der hellere Farbton repräsentiert das 5. und 95. Perzentil.

Wie erwartet passierten an den Wochentagen mehr Fahrzeuge die Messstation als an den Wochenenden (Samstag und Sonntag). An den Wochentagen machte sich morgens zwischen 7:00 und 9:00 Uhr der Verkehr zur Hauptverkehrszeit bemerkbar und abends zwischen 16:00 und 19:00 Uhr. Die durchschnittliche Anzahl der Fahrzeuge pro Stunde während der Hauptverkehrszeiten lag an den Wochentagen bei 3.500 bis 4.000. Aus der täglichen Verteilung geht hervor, dass die durchschnittliche Anzahl der Fahrzeuge an den Wochentagen bei 3.000 und an den Wochenenden bei 2.000 lag. Dies zeigt einen um fast 33 % geringeren Verkehr am Wochenende im Vergleich zu den Wochentagen.

Die Geschwindigkeit von Fahrzeugen ist ebenfalls ein sehr wichtiges Kriterium, da sie in direktem Zusammenhang mit den Emissionen der Fahrzeuge steht. In den Hauptverkehrszeiten war es meistens Stop-and-Go-Verkehr und die Fahrzeuggeschwindigkeit war im Vergleich zu den anderen Verkehrszeiten niedriger. Dies ist in Abbildung 5 zu sehen, in der die Fahrzeuggeschwindigkeit in km/h für denselben Zeitraum aufgetragen ist.

Abbildung 4: Tagesgang für die einzelnen Wochentage (oben), Tagesgang für alles Wochentage zusammen (unten links), Wochengang (unten mittig) und Jahresgang (unten rechts) der Anzahl der Fahrzeuge, die von März 2017 bis Dezember 2019 an der Messstation Marienplatz vorbeifuhren.

Abbildung 5: Tagesgang für die einzelnen Wochentage (oben), Tagesgang für alles Wochentage zusammen (unten links), Wochengang (unten mittig) und Jahresgang (unten rechts) der Geschwindigkeit der Fahrzeuge, die von März 2017 bis Dezember 2019 an der Messstation am Marienplatz vorbeifuhren.

In Abbildung 6 ist der mittlere Tagesgang, Wochengang und Jahresgang von Stickstoffmonooxid, Stickstoffdioxid und Ozon für die Periode zwischen März 2017 und Dezember 2019 dargestellt. Es ist deutlich erkennbar, dass die Stickstoffmonooxid- und Stickstoffdioxid-Konzentrationen an Wochentagen höher und am Wochenende niedriger sind, während es sich bei den Ozon-Konzentrationen umgekehrt verhält. Die höchsten Stickstoffmonooxid- und Stickstoffdioxid-Konzentrationen wurden Mitte der Woche und die niedrigsten sonntags gemessen. Die Ozon-Konzentration zeigt jedoch einen entgegengesetzten Verlauf. Die Gegenläufigkeit der Stickstoffdioxid- und Ozon-Konzentrationen lässt sich mit Hilfe des photostationären Gleichgewichts erklären, wobei Stickstoffmonooxid bei Vorhandensein von Ozon zu Stickstoffdioxid reagiert. Die höchsten Ozon-Konzentrationen traten daher sonntags auf, wenn aufgrund des geringeren Verkehrs die geringsten Stickstoffmonooxid-Konzentrationen der gesamten Woche vorhanden waren. Die gegenseitige Abhängigkeit der Stickstoffmonooxid- und Ozon-Konzentrationen einerseits und der Stickstoffdioxid-Konzentrationen andererseits ist auch im Tagesgang deutlich zu erkennen. In den Nachtstunden, wenn keine Sonneneinstrahlung vorhanden ist, dominiert der Ozon-Abbau durch ständigen Nachschub von Stickstoffmonooxid aus Verbrennungsprozessen. Das Ozon-Minimum wurde in den frühen Morgenstunden während des morgendlichen Berufsverkehrs zwischen 6:00 und 9:00 Uhr erreicht. Die Neubildung von Ozon kann nur tagsüber bei Vorhandensein von Sonneneinstrahlung erfolgen. Somit wird das Maximum der Ozon-Neubildung im Sommer an sonnigen Tagen in den Nachmittagsstunden erreicht.

Sowohl bei Stickstoffdioxid als auch beim Stickstoffmonooxid sind erhöhte Konzentrationen während der morgendlichen und abendlichen Spitzen im Berufsverkehr deutlich erkennbar, wobei der Abendpeak für Stickstoffdioxid deutlicher ausgeprägt ist als für Stickstoffmonooxid. Ein Grund hierfür könnten abendliche bzw. nächtliche, wenig vorbelastete Kaltluftflüsse aus Richtung Kaltental zum Marienplatz sein, die geringere abendliche bzw. nächtliche Stickstoffmonooxid-Konzentrationen am Messstandort bedingen.

Abbildung 6 Tagesgang für die einzelnen Wochentage (oben), Tagesgang für alles Wochentage zusammen (unten links), Wochengang (unten mittig) und Jahresgang (unten rechts) als Stundenmittelwert für die Stickstoffmonooxid-(NO), Stickstoffdioxid-(NO2) und Ozon (O3)-Konzentrationen für die Periode zwischen März 2017 und Dezember 2019.

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass am Marienplatz mit Hauptwindrichtung Südwest erhöhte Schadstoffkonzentrationen auftreten, besonders bei Winden aus Nordost, über Ost bis Südsüdost, verursacht durch lokalen Verkehr auf der Bundesstraße 14 und anderen Hauptverkehrsstraßen. Die Lufttemperatur war am höchsten bei Wind aus Nordwesten. Ein wochenweiser Vergleich zeigte, dass die höchsten Stickstoffmonooxid- und Stickstoffdioxid-Konzentrationen wochentags im Vergleich zu den Wochenenden beobachtet werden konnten.

Mobile Messungen mit dem Fahrrad

Die Fahrradmessungen wurden durchgeführt, um die zeitliche und räumliche Verteilung der gemessenen Parameter detailliert zu erfassen. Die meteorologischen Größen, die während der Messungen ermittelt wurden, waren Lufttemperatur, relative Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Luftdruck und Globalstrahlung. Zudem wurden die Luftverunreinigungen Ultrafeine Partikel, Feinstaub, schwarzer Kohlenstoff (BC Black Carbon), Stickoxiden, Stickstoffmonooxid, Stickstoffdioxid und Ozon gemessen. Um die Daten mit Ereignissen während der Messfahrt in Verbindung zu bringen, war auch eine Videokamera im Einsatz. Die gemessenen Parameter wurden mittels GPS (Global Positioning System) dem Standort zugeordnet.

Die bei diesen Messungen verwendeten Geräte wurden speziell für den mobilen Einsatz konzipiert, weshalb sie im Vergleich zu stationären Messgeräten ein relativ geringes Gewicht aufweisen und mit Akkus betrieben werden können. Darüber hinaus sind sie sehr unempfindlich gegenüber äußeren Einflüssen wie Vibration und größeren Temperaturschwankungen. Das Gesamtgewicht des Messsystems ohne Fahrrad betrug ca. 25 kg. Unter Berücksichtigung der Route und des Gewichts des gesamten Systems, wurde für diese Messungen ein Elektrofahrrad beschafft. Die für diese mobilen Messungen verwendeten Geräte und deren Messprinzipien sind in Tabelle 1 aufgeführt.

Tabelle 1: Liste der für die mobilen Messungen verwendeten Geräte

Die Messgeräte für die Fahrradmessungen werden genauso wie die Geräte für den Messwagen getestet, regelmäßigen Kalibrierungen unterzogen und im Anschluss auf das Fahrrad montiert. Abbildung 7 zeigt die mobile Messplattform mit den Geräten, mit denen mobile Messungen durchgeführt wurden.

Abbildung 7: Mobile Messplattform bestehend aus Messfahrrad und Messgeräten für meteorologische Parameter und Luftverunreinigungskomponenten

Die mit dem Messfahrrad abgefahrenen Strecken unterschieden sich von Messkampagne zu Messkampagne. Während Messkampagne 1 und 2 lag der Fokus mehr im Bereich des Kaltentals und Marienplatzes. In Messkampagne 3 und 4 wurde der Schwerpunkt der Messaktivitäten in Richtung Stadtzentrum bzw. in Richtung der Öffnung des Nesenbachtals zum östlich des Stadtzentrums gelegenen Neckartals verlegt. In diesem Bereich befindet sich der Hauptbahnhof, die bekannte Luftmessstation Stuttgart ‚Am Neckartor‘ und der Schlosspark, der sich bis zum östlich davon gelegenen Rosensteinpark erstreckt. Dieser Bereich ist geprägt durch stark befahrene Bundesstraßen (B14 und B27), ausgedehnte Parkanlagen, aber auch durch großflächige Wohnquartiere.

Die Informationen zu den Messkampagnen sind ist in der Tabelle 2 zusammengefasst.

Tabelle 2: Information über die Messkampagnen

In Abbildung 8 ist die durchschnittliche Stickstoffmonooxid–Konzentration entlang der Messroute für 43 Runden im Zeitraum vom 18. bis 24.02.2018 während der Messkampagne 3 dargestellt. Die einzelnen Punkte repräsentieren Streckenabschnitte von 50 m entlang der Messroute. Für diese Streckenabschnitte wurde der Mittelwert aller vorhandenen Messwerte gebildet. Die Ergebnisse zeigen ein klares Bild der Verkehrsemissionen. Wie erwartet, wurden in den Straßenschluchten mit viel Verkehr hohe Konzentrationen für Stickstoffmonooxid gemessen. Die Stickstoffmonooxid-Konzentrationen sind auf den stark befahrenen Straßen B14 und B27 höher als die Stickstoffmonooxid-Konzentrationen auf den Nebenstraßen oder im Park. Dies zeigt deutlich die Auswirkungen des Verkehrs auf die aktuelle Luftqualitätssituation in Stuttgart. Die Konzentrationen lagen überwiegend zwischen 20 bis über 75 μg/m³.

Abbildung 8: Durchschnittliche räumliche Verteilung von Stickstoffmonoxid während der Messkampagne 3 (18. – 24.02.2018).

In Abbildung 9 sind die Ergebnisse der Stickstoffdioxid-Passivsammlermessungen für den Zeitraum vom 21.01.2018 bis 18.03.2018 dargestellt. Während dieser winterlichen Messkampagne wurden relativ hohe Konzentrationen für Stickstoffdioxid in den Straßenschluchten in der Nähe des Stadtzentrums gemessen im Vergleich zu den Messwerten im Park. Dasselbe wurde für die mobilen Messungen bei den Stickstoffdioxid-Konzentrationen festgestellt. Die maximale Konzentration wurde wieder auf der vielbefahrenen Bundesstraße B 14 gemessen.

In Abbildung 10 ist die räumliche Verteilung der Stickstoffdioxid-Konzentration für die 75 Fahrradfahrten während der Messkampagne 4 gezeigt. Es ist zu erkennen, dass die Stickstoffdioxid-Konzentration auf den Bundesstraßen B14 und B27 höher als jene im Park oder auf den Nebenstraßen war. Sobald die Route in die Nähe von vielbefahrenen Hauptstraßen führte, war eine Zunahme der Stickstoffdioxid-Konzentrationen zu sehen.

Die Ergebnisse der Passivsammler (Abb. 11), welche entlang der Fahrradroute für den gesamten Zeitraum der Messkampagne 4 ausgebracht wurden, zeigen ebenfalls, dass die Konzentrationen im Park niedriger waren als die Konzentrationen an der Straße. Die maximalen Konzentrationen konnten an der Messstation 'Am Neckartor' beobachtet werden. Insgesamt lagen aber die Konzentrationen bei dieser sommerlichen Messkampagne niedriger als bei der winterlichen, deren Ergebnisse in Abb. 9 dargestellt sind.

Abbildung 9: Ergebnisse der Stickstoffdioxid-Passivsammlermessungen für die Messkampagne 3 (21.01.2018 bis 18.03.2018).

Abbildung 10: Räumliche Verteilung von Stickstoffdioxid-Mittelwert während Messkampagne 4 (14.06.2018 bis 03.07.2018).

Abbildung 11: Ergebnisse der Stickstoffdioxid-Passivsammler für die Messkampagne 4 (03.06.2018 bis 30.07.2018).

Mobile Messungen mit der Zahnradbahn (Zacke)

Für die Messkampagne 4 wurde ein Partikelsensor auf einer Zahnradbahn installiert. Die Sensorbox wurde am Fahrradanhänger der Zahnradbahn befestigt und mit ihrer Hilfe konnten die PM-Konzentrationen mit einem kostengünstigen (Low-Cost) PM-Sensor gemessen werden. Außerdem wurde ein GPS installiert, um die Konzentration ihrem jeweiligen Messort zuzuordnen. Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit wurden ebenfalls gemessen. Der Messaufbau für die Zahnradbahn-Messungen mit den Low-Cost Partikelsensoren ist in der Abbildung 12 (links) gezeigt.

Das Messgebiet liegt im Süden der Stuttgarter Innenstadt. Die Zahnradbahn mit ihrer 2,2 km langen Route deckt Straßenkreuzungen, grüne Gebiete und Abschnitte einer Bundesstraße (B27) ab. Die Route der Zahnradbahn ist in Abbildung 12 (rechts) zu sehen. Die Lage an einem der umliegenden Berghänge in Stuttgart macht es interessant, die Einflüsse von Inversionswettersituationen auf die Feinstaubbelastung der Umgebungsluft zu untersuchen.

Abbildung 12: Messaufbau für die Zahnradbahn-Messungen mit den Low-Cost-Partikelsensoren (links) und Route der Zahnradbahn und Umgebung auf einem Satellitenbild (rechts)

Die Zahnradbahn-Messungen wurden von Mitte Januar bis Mitte März 2019 durchgeführt. Während dieser Messungen wurden rund 1.600 Fahrten durchgeführt. Diese Fahrten wurden einzeln aufgezeichnet, ausgewertet und entsprechend ihrem allgemeinen Verhalten und Zeitplan gruppiert. Wenn die Zahnradbahn vom Marienplatz nach Degerloch fuhr (bergauf), war der Einlass des Partikelsensors in Fahrtrichtung. Auf dem Rückweg (bergab) war der Einlass des Partikelsensors entgegen der Fahrtrichtung.

Die Fahrten wurden zeitlich in drei Abschnitte unterteilt. Der erste Abschnitt ist von 5:00 Uhr bis 9:00 Uhr Lokalzeit, der zweite Abschnitt ist von 9:00 Uhr bis 15:30 Uhr Lokalzeit und der dritte Abschnitt ist von 15:30 Uhr bis 20:00 Uhr Lokalzeit. Beispielhaft sind die Fahrten des 21. Januars 2019 dargestellt. In Abbildung 13 (a) und (b) sind Ergebnisse, die während der ersten beiden Zeitabschnitte ermittelt wurden, dargestellt. In Abbildung 14 (a) sind Ergebnisse des zweiten und in Abbildung 14 (b) des dritten Zeitabschnitts dargestellt.

In Abbildung 13 sind die PM10-Konzentrationen während einer Fahrt, die zwischen 8:30 Uhr und 8:55 Uhr Lokalzeit durchgeführt wurden, gezeigt. Abbildung 13(a) zeigt die PM10-Konzentration, als die Zahnradbahn vom Marienplatz nach Degerloch fuhr. In Abbildung 13(b) sind die PM10-Konzentrationen gezeigt, als die Zahnradbahn von Degerloch zum Marienplatz gefahren ist. Die Fahrtrichtung der Zahnradbahn beeinflusste die gemessenen Konzentrationen. Sehr niedrige PM-Konzentrationen wurden gemessen, als die Zahnradbahn von Degerloch zum Marienplatz fuhr (d.h. der Einlass zeigte nicht in die Fahrtrichtung) im Gegensatz zum Aufstieg vom Marienplatz nach Degerloch. Grundsätzlich wurden höhere PM-Konzentrationen gemessen, wenn der Einlass des Sensors in Fahrtrichtung war. Das Verhalten von PM2.5 und PM1 war ähnlich wie das von PM10. Auch bei den PM2.5- und PM1-Konzentrationen wurde ein deutlicher Unterschied der Partikelkonzentration zwischen den beiden Bewegungsrichtungen gemessen. Aus diesem Grund wurden nur die Ergebnisse berücksichtigt, bei denen der Einlass des Partikelsensors in Bewegungsrichtung gezeigt hatte.

In Abbildung 13(a) ist zu sehen, dass die PM10-Konzentration von 50 µg/m3 am Marienplatz auf etwa 140 µg/m3 in Degerloch stieg. Die relative Luftfeuchtigkeit in Degerloch war höher (95%) als am Marienplatz (85%). Der Unterschied in der relativen Luftfeuchtigkeit war zumindest teilweise für den Anstieg der Feinstaubkonzentration auf der Fahrt vom Stuttgarter Talkessel (Marienplatz) auf die Anhöhe (Degerloch) verantwortlich. Der Partikelsensor arbeitet nach dem Streulichtprinzip (Aerosolspektrometer) und zählt die Partikel. Aus der Partikelanzahl wird, unter Annahme von verschiedenen Parametern, die Partikelmassenkonzentration (Angabe in µg/m³) berechnet. Hohe Luftfeuchtigkeit kann einen Einfluss auf die Massenkonzentration haben. Deshalb werden gute optische Aerosolspektrometer mit einem Trockner ausgerüstet, um den Einfluss von hoher Luftfeuchtigkeit auf die Partikelkonzentration zu reduzieren. Der eingesetzte Partikelsensor hatte keinen Trockner, um die hohe relative Luftfeuchtigkeit zu reduzieren. Eine Überschätzung der PM-Konzentrationen aufgrund hoher Luftfeuchtigkeit wurde in unterschiedlichen Messphasen beobachtet. Das Verhalten von PM2,5 und PM1 ähnelte dem von PM10, da ein Anstieg der Konzentrationen beobachtet wurde. Der Anstieg könnte auf hygroskopisches Wachstum der gemessenen Partikel zurückzuführen sein.

Abbildungen 14(a) und 14(b) zeigen die PM10-Konzentrationsverteilung bei der Fahrt vom Marienplatz nach Degerloch. Die hohen Konzentrationen, die in den morgendlichen Fahrten, im Vergleich zu den anderen Fahrten während des Tages, wie in Abbildungen 13(a) und 13(b) dargestellt, sind vermutlich auf das hygroskopische Wachstum der Partikel aufgrund der hohen relativen Luftfeuchtigkeit am frühen Morgen zurückzuführen. Das hygroskopische Wachstum hat vermutlich zu einer Überbewertung der morgendlichen PM-Konzentrationen geführt. Die relative Luftfeuchtigkeit am frühen Morgen des 21. Januar 2018 lage zwischen 85 % und 95 %. Dann sank sie zwischen 9.00 Uhr und 15.30 Uhr Lokalzeit auf 75 % und stieg danach wieder an. Diese Messergebnisse zeigen die Notwendigkeit der Berücksichtigung der relativen Luftfeuchtigkeit bzw. der Eliminierung des Einflusses der relativen Luftfeuchtigkeit auf die Ergebnisse der Feinstaubmessungen, welche mit Hilfe von Streulichtfotometern bzw. -spektrometern ohne Trockner erfolgen. Nach diesen Messungen wurde vom IFK ein kostengünstiger Trockner für solche Messungen entwickelt.

Abbildung 13: PM10-Konzentration für die Fahrt 8:30 – 8:55 Uhr Lokalzeit (a) nach Degerloch (b) zum Marienplatz

Abbildung 14: PM10-Konzentration für die Fahrten (a) 12:30 – 12:40 Uhr Lokalzeit und (b) 18:00 – 18:10 Uhr Lokalzeit

Vertikalprofile mit dem Fesselballon

Zur Untersuchung der Vertikalverteilung von meteorologischen Parametern und Luftverunreinigungen wurde ein Fesselballonsystem zusammen mit verschiedenen kompakten Messgeräten verwendet, um die vertikalen Profilmessungen durchzuführen. Die gemessenen Luftverunreinigungen waren Feinstaub, Ultrafeinstaub, schwarzer Kohlenstoff (BC Black Carbon), Stickstoffmonooxid, Stickstoffdioxid, Stickstoffoxid und Ozon. Die gemessenen meteorologischen Größen waren Lufttemperatur, relative Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit und Windrichtung.

Die Liste der Komponenten zusammen mit dem Messprinzip ist in Tabelle 3 aufgeführt.

Tabelle 3: Liste der mit dem Vaisala DigiCORA Tethersonde System TT12 gemessenen meteorologischen Größen für die vertikalen Profilmessungen mit dem Fesselballon

Der bei diesen Messungen verwendete Ballon hatte ein Volumen von 85 m³ mit einer Nutzlast von ca. 20 kg und wird mit Heliumgas befüllt. Der Ballon wird mit einem Seil befestigt, das mit einer elektrischen Winde auf- und abgespult wird. Die Auf- und Abstiegsgeschwindigkeit wird auf ungefähr 0,5 m/s eingestellt, damit die Anzeigeverzögerung der Messgeräte vernachlässigbar wird, so dass eine exakte Höhenzuordnung der Messwerte erfolgen kann. Die Sondierungen (S) wurden vom Boden aus bis in eine Höhe von ca. 250 m über Grund, am Standort IFK-Uni Stuttgart, und 470 m über Grund, am Standort Stuttgarter Schlossgarten, durchgeführt. Eine Sondierung (Auf- und Abstieg) dauerte durchschnittlich etwa 30 - 45 Minuten. Die gemessenen Schadstoffe und meteorologischen Größen wurden während des Auf- und Abstiegs kontinuierlich aufgezeichnet und mit einer zeitlichen Auflösung von 1 Sekunde zur Bodenstation übertragen.

Die Information zu den Fesselballonflügen während den Messkampagnen sind in der Tabelle 4 zusammengefasst.

Tabelle 4: Information über die Intensivmesskampagnen

Der Messstandort Schlossgarten befindet sich zwischen der LUBW-Messstation

‚Am Neckartor‘ und dem Rosensteinpark. In unmittelbarer Nähe ist das Gelände des Stuttgarter Bahnhofs und die viel befahrene Bundesstraße B 14. In Abbildung 15 sind beispielhaft Vertikalprofile einer Fesselballonsondierung dargestellt. In Vertikalprofilen ist auf der x-Achse die jeweilige Messgröße und auf der y-Achse die Höhe aufgetragen. Die Sondierung fand am 8. Juli 2018 statt und startete um 20:52 MESZ und endete um 21:20 MESZ. Die blaue Linie zeigt die Ergebnisse während des Aufstiegs und die rote Linie während des Abstiegs. Das Vertikalprofil der Lufttemperatur zeigt, dass die Temperatur vom Boden bis in etwa 50 m über Grund zunimmt und dann abnimmt. Es handelt sich daher um eine Bodeninversion bis in etwa 50 m Höhe, da die Lufttemperatur normalerweise mit der Höhe abnimmt. Temperaturinversionen sind sehr stabile Luftschichtungen, die den vertikalen Luftaustausch behindern. Die Windgeschwindigkeit weist ebenfalls einen starken Gradienten, mit sehr niedrigen Geschwindigkeiten in Bodennähe, innerhalb der Bodeninversion, auf. Während der gesamten Sondierung war die Windrichtung mit nordöstlicher Richtung stabil. Es wurden erhöhte Konzentrationen an schwarzem Kohlenstoff (BC Black Carbon) und Feinstaub in Bodennähe bis zur Inversionsschicht im Vergleich zu den Konzentrationen über der Inversionsschicht beobachtet. Dies zeigt die Anreicherung von Schadstoffen innerhalb der Inversionsschicht. Oberhalb der Inversionsschicht waren die Werte sowohl für den Wind als auch für die Schadstoffe ohne weitere Gradienten.

Abbildung 15: Vertikalprofile der meteorologischen Parameter (Lufttemperatur, relative Luftfeuchte, Windgeschwindigkeit, Windrichtung) und Schadstoffe (schwarzer Kohlenstoff und Feinstaub) für eine Sondierung am 8. Juli 2018 um 20:52 MESZ.

Die Bildung und Auflösung der Inversionsschicht während Messkampagne 4 ist in Abbildung 16 gezeigt. Die Legende zeigt die Sondierungsnummer mit der Start- und Endzeit der Sondierung. Die Bildung einer Bodeninversion (Abb. 16 links) wurde erstmals in der Sondierung S11 am Abend des 8. Juli gegen 19:30 MESZ festgestellt, als die Lufttemperatur vom Boden bis zu einer Höhe von 20 m über Grund anstieg und dann wieder abnahm. Diese Temperaturinversion wurde in der Nacht verstärkt und erreichte am nächsten Tag, dem 9. Juli, bis 4:00 MESZ eine Höhe von etwa 400 m über Grund (S20 und S21).

Abbildung 16: Bildung (links) und Auflösung (rechts) der Inversionsschicht während der Messkampagne 4 (08. – 09.07.2018).

In Abbildung 16 rechts ist die Auflösung der Bodeninversion zu sehen. In der Sondierung S25 sieht man wie die Bodeninversion von unten her aufgelöst wurde. Es resultiert eine abgehobene Bodeninversion, die in einer Höhe von ca. 175 m beginnt. Die nächtliche Bodeninversion war um ca. 11:30 MESZ vollständig aufgelöst (S32). Der ganze Tag des 9. Juli zeigte ein labiles Verhalten (S30, S32 und S36). Abends wurde die Bildung einer Bodeninversion nach 19:30 MESZ erneut festgestellt (S43).

Die oben erwähnte Temperaturinversion wirkt sich direkt auf die Schadstoffkonzentration im Untersuchungsgebiet aus. Die Schadstoffe werden unter- oder innerhalb der Temperaturinversion festgehalten, da es innerhalb der Inversionsschicht keine Vertikalbewegung gibt. Wie in Abbildung 17 zu sehen ist, ist der Abtransport und die Vermischung von Luftverunreinigungen und damit deren Verdünnung aufgrund der reduzierten horizontalen Windgeschwindigkeit innerhalb oder unterhalb einer Temperaturinversion herabgesetzt. Als Beispiel sind die PM2,5- und PM1-Konzentrationen in den Abbildungen 17 und 18 für die gleichen Messungen wie in Abbildung 16 dargestellt. Die PM2,5- und PM1-Konzentrationen verhalten sich während diesen Sondierungen gleich. Nach Bildung der Temperaturinversion reichern sich die Partikel bodennah an, wie dies aus den Sondierungen S11 bis S23 ersichtlich ist. Wird die Inversionsschicht stärker, nimmt der PM-Konzentrationsgradient zwischen bodennahen Konzentrationen und denen oberhalb der Inversionsschicht, wie dargestellt, zu. Es ist zu sehen, dass über der Inversionsschicht die PM-Konzentration bei allen Sondierungen am niedrigsten und fast gleich ist. Während des Auflösens der Inversion wurde beobachtet,  dass  die  PM-Konzentration  bis  zur  abgehobenen Bodeninversionsschicht zwischen 200 und 300 m über Grund gut durchmischt war und oberhalb der abgehobenen Inversionsschicht abnahm, wie in den Sondierungen S26 und S27 gezeigt. Sobald die Temperaturinversion vollständig aufgelöst war, war die PM-Konzentration gleichmäßig verteilt und es wurde kein Konzentrationsgradient gesehen. Das gleiche Phänomen konnte auch bei den anderen Schadstoffen beobachtet werden.

Abbildung 17: PM2,5-Vertikalprofilewährend der Bildung (links) und Auflösung (rechts) der Inversionsschicht während der Messkampagne 4 (08. – 09.07.2018).

Abbildung 18: PM1-Vertikalprofile während der Bildung (links) und Auflösung (rechts) der Inversionsschicht während der Messkampagne 4 (08. – 09.07.2018).

Hangwind bzw. Bergwinde sind im Raum Stuttgart ein häufiges Phänomen. Sie können eine wichtige Rolle für die Belüftung der Stadt unter stabilen Bedingungen spielen. Deshalb wurde während der Messkampagne 4 im Sommer 2018 die zeitliche Entwicklung der atmosphärischen Stabilität und der Windfelder um Stuttgart untersucht.

Vertikalprofile mit einer Drohne ermittelt

Für die Drohnenmessungen wurde ein auf einem unbemannten Luftfahrzeug (Unmanned Aerial Vehicle - UAV) basierendes UAV-System entwickelt, das hochauflösende dreidimensionale Profile von Schadstoffen wie Feinstaub (PM), ultrafeinen Partikeln (UFP), Ruß (BC) sowie meteorologischen Parametern wie Lufttemperatur, relative Luftfeuchtigkeit, Luftdruck, Windgeschwindigkeit und Windrichtung messen kann. UAVs bieten, aufgrund der hohen Manövrierfähigkeit von Mehrrotor-UAVs, ein großes Potenzial für die mobile Erforschung von Luftschadstoffen in der unteren Atmosphäre. Die UAV-Plattform bestand aus dem Hexakopter-UAV, einem PM-Sensor (Modell: OPC-N3, Fa. Alphasense), tragbaren Geräten für BC (Modell: AE51, Fa. AethLabs) und UFP (Modell: DISC- Mini, Fa. Testo), Einlassrohren und zwei Datenloggern, davon einer für die meteorologischen Sensoren und der andere für den PM-Sensor. Die UAV-Plattform ist mit voll ausgefahrenen Propellern 160 cm hoch, 170 cm breit und wiegt einschließlich des gesamten Messaufbaus 14 kg. Die Sensoren und die Geräte wiegen einschließlich der zugehörigen Lasten etwa 4 kg. In Abbildung 19 ist die Konfiguration der UAV-Plattform dargestellt.

Diese UAV-Plattform wurde zur Erstellung von Vertikalprofilen auf dem Universitätscampus in Stuttgart-Vaihingen und in einem Gebiet nahe dem Campus in unmittelbarer Nähe der Bundesstraße B14 eingesetzt. Die Messkampagne wurde an drei Tagen im Februar 2021 mit einer maximalen Flughöhe von 120 m über Grund durchgeführt. Anschließend wurde auch eine Messkampagne in Stuttgart am Südheimerplatz durchgeführt. Letztere haben im Juli 2021 für einen Zeitraum von drei Tagen stattgefunden. Insgesamt wurden 52 Flüge mit einer maximalen Höhe von 200 m über Grund durchgeführt.

Abbildung 19: Konfiguration der UAV-Plattform mit Messgeräten

Abbildung 20 zeigt eine dreidimensionale Visualisierung der PM1- und PM2,5- Konzentrationen während der drei Aufstiege, die während eines Feldtests am 23. Januar 2021 durchgeführt wurden. Dieses Ergebnis wurde mit der QGIS-Software geplottet. Die PM1-Konzentrationen erreichten in etwa 80 m Höhe über dem Boden Konzentrationen über 15 µg/m3 und stiegen bis zu einer Höhe von 100 m weiter an (Abbildung 10a). Während die PM2,5-Konzentrationen in Höhen zwischen 60 und 100 m Werte über 30 µg/m3 aufwiesen, wie in Abbildung 20b gezeigt. Beide Abbildungen stammen aus den Ergebnissen der drei Vertikalprofilsondierung, die um 12:08 Uhr Ortszeit am 23. Januar 2021 gestartet wurde.

Abbildung 20: Dreidimensionale Visualisierung der durchschnittlichen Konzentrationen von (a) PM1 und (b) PM2,5 während der drei im Feldversuch durchgeführten Aufstiege um 12:08 Uhr MEZ am 23. Januar 2021

Es wurden zwei Horizontalflüge durchgeführt, die parallel und senkrecht zur Bundesstraße B14 in einer Entfernung von etwa 100 bzw. 50 m von der Bundesstraße sowie in einer Höhe von 30 m über Grund verliefen. Während der Flüge wurde eine konstante Fluggeschwindigkeit von etwa 1 m/s beibehalten und eine Rotation der UAV-Plattform vermieden, um eine korrekte Windrichtung der Messdaten zu erhalten. Abbildung 21a und 21b zeigen die dreidimensionale Visualisierung der Konzentrationen von UFP und PM10, gemessen während des Horizontalfluges um 13:41 Uhr MEZ am 23. Januar 2021. Beide Grafiken verdeutlichen, dass in einer Höhe von 30 m die Konzentrationen am Straßenrand höher waren und mit zunehmendem Abstand von der Straße geringer wurden.

Abbildung 21: Dreidimensionale Visualisierung der (a) UFP und (b) PM10 Konzentrationen während des Horizontalfluges auf 30 m über Grund, durchgeführt um 13:41 Uhr MEZ am 23. Januar 2021.

In Abbildung 22 sind beispielhaft Vertikalprofile einer Drohnensondierung der Messkampagne Südheimer Platz dargestellt. In den Vertikalprofilen ist auf der y- Achse die Höhe und auf der x-Achse die jeweilige Messkomponente aufgetragen. Die Sondierung begann am 10. August 2021 um 20:00 Uhr MESZ und endete um 20:12 Uhr MESZ. Es wurden nur die Messwerte während des Aufstiegs betrachtet (orange Linien in Abbildung 22). Die Lufttemperatur war vom Boden bis in etwa 60 m über Grund konstant, danach nahm sie um ca. 1,5 Grad Celsius zu und war in noch größeren Höhen wieder annähernd konstant. Die Zunahme der Lufttemperatur in ca. 60 m Höhe stellt eine abgehobene Bodeninversion dar, da normalerweise die Lufttemperatur in der Troposphäre mit der Höhe abnimmt. Temperaturinversionen sind sehr stabile Luftschichtungen, die den vertikalen Luftaustausch behindern. Diese Inversion wirkt sich direkt auf das UFP-Profil aus. Es ist eine erhöhte UFP-Konzentration (8.000 bis 10.000 Partikel/cm³) in Bodennähe unterhalb der Inversionsschicht zu sehen. Das BC-Profil zeigte eine Konzentration von ca. 1.800 ng/m³ am Boden und eine von fast Null auf einer Höhe von 100 m. Die bodennahe Windgeschwindigkeit war mit 1 m/s sehr gering, stieg jedoch in einer Höhe von 100 m über Grund an und erreichte ca. 2 m/s. Die Windgeschwindigkeit nahm typischerweise mit der Höhe zu, da die Bodenrauigkeit mit der Höhe abnimmt (weniger Hindernisse wie Bäume, Gebäude usw.).

Abbildung 22: Vertikalprofile für Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, UFP, BC und Windgeschwindigkeit, durchgeführt von 20:00 bis 20:12 Uhr MESZ am 10. August 2021.

Fazit

Das Institut für Feuerungs- und Kraftwerkstechnik der Universität Stuttgart führte zusammen mit einer Vielzahl von deutschen Forschergruppen im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) getragenen Fördermaßnahme „Stadtklima im Wandel UC²“ über einen Zeitraum von sechs Jahren von 2016 bis 2022 umfangreiche Forschungen im Bereich der Stadtklimatologie durch. Hier vorgestellt werden Messergebnisse, die vom IFK mit Hilfe von verschiedenen Messplattformen durchgeführt wurden. Es handelt sich um Langzeitmessungen an einem belebten Platz in Stuttgart, dem Marienplatz, die dort von 2017 bis Ende 2022 durchgeführt wurden. Es wurden aber auch Intensivmesskampagnen durchgeführt, in denen über mehrere Tage oder auch Wochen Vertikalsondierungen mit einem Fesselballon oder einer Drohne stattfanden. Zur Erfassung der räumlichen Verteilung von meteorologischen Parametern und Luftverunreinigungen in hoher räumlicher Auflösung kam ein Messfahrrad zum Einsatz, bestückt mit einer großen Anzahl von Sensoren und Messgeräten, mit dem auf verschiedenen Routen im Stadtgebiet Messungen entlang von vielbefahrenen Straßen, Wohngebieten und Parkanlagen durchgeführt wurden. Auf dem Gebiet der Low-Cost-Sensoren wurde die Zahnradbahn in Stuttgart mit einem Low-Cost-Sensor ausgerüstet, mit dessen Hilfe über mehrere Woche Profile entlang des Fahrwegs von der Stadtmitte am Marienplatz bis zum auf der Anhöhe gelegenen Albplatz in Degerloch aufgenommen wurden.

Aufgrund der besonderen topografischen Lage von Stuttgart spielen bei der Ausbreitung von Luftverunreinigungen nicht nur die Stärke von Emissionsquellen, die Entfernung eines Standorts zu Emissionsquellen und die Stabilitätsbedingungen der Atmosphäre eine Rolle sondern, sondern auch lokale Wind- und Strömungssysteme. Hangwinde und Kaltluftflüsse sind hier von großer Bedeutung. Kaltluftflüsse spielen nicht nur bei der Zufuhr von sauberer Luft eine Rolle, sondern auch verstärkt, angefacht durch den Klimawandel, bei sommerlichen Hitzewellen, wenn Kaltluftzufuhr zur Herabsetzung der hohen Temperaturen während der Nacht führen. Der Einfluss von Kaltluftflüssen auf die Temperaturen und auch auf die gemessenen Luftverunreinigungskonzentrationen konnte einerseits über die Langzeitmessungen am Marienplatz ermittelt werden, aber auch über die Vertikalprofilmessungen. Auch deren vertikale Mächtigkeit konnte so festgestellt werden.

Der gesamte Datensatz wurde aber auch für umfangreiche Validierungsvergleiche mit dem neuen, gebäudeauflösenden dreidimensionalen LES-Stadtklimamodell Palm4U verwendet mit dem künftig Stadtklimamodellierungen mit einer räumlichen Auflösung herunter bis zu 1 m, für Straßenschluchten, Stadtquartiere oder ganze Großstädte samt Umland durchgeführt werden können. Des Weiteren wurde der Datensatz verwendet, für den Aufbau eines neuronalen Netzes, zur Vorhersage von Konzentrationen an unterschiedlichen Standorten mit hoher Genauigkeit. All diese Ergebnisse werden in Kürze veröffentlicht.

Über die BMBF-Maßnahme wurde ein wertvoller Datensatz kreiert, der künftig als Opensource-Datensatz der Wissenschaft, aber auch der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird.

Acknowledgement

Diese Arbeit wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Projekts „Urban Climate Under Change UC2“ gefördert.

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