FGSV-Nr. FGSV A 41
Ort Düsseldorf
Datum 14.05.2013
Titel Carbon Footprint – Ein Vergabekriterium von morgen?
Autoren Dr.-Ing. Heinrich Els
Kategorien Asphaltstraßen
Einleitung

Der Begriff „Carbon Footprint“ hat sich auch im deutschen Sprachgebrauch durchgesetzt als Maß für den Gesamtbetrag von Treibhausgas-Emissionen (ausgedrückt in CO2), der durch eine Aktivität verursacht oder über die Lebensstadien eines Produktes entsteht. Er ist damit Mittel und Maßstab zur Bewertung und Minimierung der CO2-Emissionen im Sinne des Klimaschutzes. Im deutschen (öffentlichen) Bauwesen werden nicht nur die CO2-Emissionen betrachtet und bewertet, sondern die Nachhaltigkeit, bei der neben CO2 und anderen Umwelteinflüssen auch wirtschaftliche, gesellschaftliche und städtebauliche Faktoren einfließen. Dies ist für Projekte der Straßeninfrastruktur noch nicht der Fall, die Nachhaltigkeitsbewertung steckt hier noch in den Kinderschuhen in Form von Forschungen und Pilotprojekten. Mehrere Länder haben sogenannte CO2-Rechner entwickelt, mit deren Hilfe aufgrund neutraler und von allen Seiten akzeptierter Daten der Carbon Footprint von Straßenbaumaßnahmen ermittelt werden kann (z. B. UK: asPECT, Frankreich: SEVE). Damit können Alternativen verglichen und eine Optimierung bzw. Minimierung des CO2-Ausstoßes bezogen auf die Baumaßnahme erreicht werden. Vergabekriterium ist der Carbon Footprint dort aber nicht. Anders z. B. in den Niederlanden. Hier ist „nachhaltige („grüne“) Beschaffung“ auch für Straßenbaumaßnahmen erklärtes Ziel der Regierung. Die Umsetzung hat vor allem Rijkswaterstaat übernommen. Mit dem Werkzeug des „Economical Most Valuable Offer“ können Unternehmen derzeit bis zu 5 % virtuellen Abzug von der Angebotssumme aufgrund ihrer Einstufung in die sogenannte „CO2-Performance-Leiter“ erzielen. Darüber hinaus betrachtet der Umweltrechner „DuBoCalc“ 11 Umwelteinflüsse des von den jeweiligen Firmen eingereichten Ausführungsvorschlages und rechnet diese negativen Umwelteinflüsse in den sogenannten Umweltkostenindikator in Euro um. Dieser Umweltkostenindikator wird dann zu einem gewissen Prozentsatz der virtuellen Angebotssumme aufgeschlagen. Die Frage, welchen Stellenwert solche Nachhaltigkeitsbetrachtungen bei der Vergabe erhalten sollen, ist politisch/gesellschaftlich zu beantworten. Instrumente dafür gibt es, in Deutschland ist es aber – was Straßeninfrastrukturprojekte angeht – noch nicht soweit. Aber wann?

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Carbon Footprint als Maß für Klimaschutz

Der CO2-Fußabdruck, auch CO2-Bilanz genannt, ist – laut Wikipedia – ein Maß für den Gesamtbetrag von Treibhausgasemissionen (gemessen in CO2), der, direkt und indirekt, durch eine Aktivität verursacht wird oder über die Lebensstadien eines Produktes entsteht. Der Begriff ist in den letzten Jahren relativ bekannt geworden, heute aber – so Wikipedia – durch den englischen Begriff Carbon Footprint auch in deutschen Behörden und Institutionen ersetzt worden. Mit Hilfe des Carbon Footprints können die Klimaauswirkungen von Produkten, Dienstleistungen und anderen Aktivitäten ermittelt werden und diese damit minimiert werden, was wiederum nötig ist, um angestrebte Klimaziele – z. B. das Begrenzen der globalen Erwärmung auf 2 Grad – zu erreichen (Wikipedia). Sowohl das nationale Klimaschutzprogramm der Bundesregierung vom Oktober 2000 als auch die Fortschreibung 2005 nennen die Reduzierung der Treibhausgasemissionen – allen voran CO2 – als vorrangiges Ziel. 

2 Carbon Footprint als Teil des nachhaltigen Bauens

Im deutschen (öffentlichen) Bauwesen werden nicht nur die CO2- bzw. Treibhausgasemissionen betrachtet und bewertet, sondern die Nachhaltigkeit. In der Neufassung 2011 des „Leitfadens Nachhaltiges Bauen“ des BMVBS erläutert Bundesminister Dr. Peter Ramsauer im Vorwort, dass es beim nachhaltigen Bauen vereinfacht darum geht, Gebäude zu errichten, umzubauen und zu betreiben, so dass sie wirtschaftlich, ökologisch, gesellschaftlich und städtebaulich gleichermaßen zukunftsfähig sind. Der „Leitfaden nachhaltiges Bauen“ ist durch Erlass vom 14. Mai 2012 heute bei allen großen Neubaumaßnahmen von Büro- und Verwaltungsgebäuden des Bundes einzuhalten. Er enthält Mindestanforderungen, Zielvorgaben und Regeln zur Bewertung.

Betrachtet und bewertet werden (Bild 2)

  • die ökologische Qualität – darin neben Carbon Footprint (Klimaschutz) auch Dinge wie Ressourcenschutz oder Artenschutz,
  • die ökonomische Qualität – darunter Lebenszyklusbetrachtung, Wirtschaftlichkeit usw.,
  • die soziokulturelle und funktionale Qualität – darin Gesundheit (z. B. Lärmschutz), Sicherheit, Behaglichkeit (Komfort), gestalterische Qualität usw.,

Bild 1: Der Leitfaden Nachhaltiges Bauen des BMVBS
Bild 2: Nachhaltigkeitsbetrachtung und -bewertung nach dem „Leitfaden Nachhaltiges Bauen“ des BMVBS (Bild 1)

  • die technische Qualität – darunter Schwachstellenanalyse, Sensitivität usw., sowie
  • Prozessqualität – Beurteilung der Planung/Ausschreibung/Bauausführung und
  • Standortmerkmale.

Im Bereich der Straßeninfrastruktur steckt die Nachhaltigkeitsbetrachtung allerdings noch in den Kinderschuhen in Form von Forschungen und Pilotprojekten (voran Brückenbauwerke).

Zusammengefasst lässt sich also festhalten, dass der Carbon Footprint den Ausstoß von Treibhausgasemissionen (ausgedrückt als CO2-Emissionen) beschreibt und damit ein wichtiger Aspekt für nachhaltiges Bauen sowie ein wichtiges Werkzeug zur Erreichung der Klimaziele ist. 

3 Carbon Footprint im Straßenbau

Bereits im Jahre 2003 legte der DAV ein vergleichendes „Ökoprofil“ (vereinfachte Ökobilanz) zum Vergleich von Bauweisen für ein Stück Bundesstraßen vor. Dieses Ökoprofil wurde 2009 noch einmal auf den neuesten Stand gebracht, Berechnungen von anderen Bauweisen folgten. Das Ergebnis dieser Berechnungen steht und fällt aber mit den hinterlegten Daten. Entscheidenden Einfluss haben Transportentfernungen, Energieannahmen und last but not least der gewählte Fahrbahnaufbau. Mehrere Länder haben hierzu sogenannte CO2-Rechner entwickelt, mit deren Hilfe aufgrund neutraler und von allen Seiten akzeptierter Daten – die in einer sogenannten Öko-Datenbank hinterlegt sind – von allen Seiten akzeptierte Ergebnisse ermittelt werden können. Für das United Kingdom ist dies: „asPECT“ „Asphalt Pavement Embodied Carbon Tool“ (www.sustainabilityofhighways.org.uk), für Frankreich „SEVE“ (www.seve-tp.com), „Systeme d’évaluation des variantes environnementales.“

Bild 3: Erstes Ökoprofil des DAV 2003/2009 (www.asphalt.de – Literatur)

Bild 4: Flussdiagramm zur Ökobilanz (aus dem DAV Ökoprofil, Bild 3)

Bei beiden haben sich Auftragnehmer, Auftraggeber und Baustoffhersteller zusammengetan, Software sowie zugehörige Datenbanken entwickelt und als Web-Tool zur Verfügung gestellt (Bilder 5 und 6). In beiden Ländern dienen diese CO2-Rechner zum Vergleich von Ausführungsalternativen und damit zur Optimierung bzw. Minimierung des CO2-Ausstosses einer Baumaßnahme. Vergaberelevant ist diese Rechnung aber nicht.

In Deutschland hat das DAI in 2011 bei der AiF einen Antrag gestellt, im Rahmen der industriellen Gemeinschaftsforschung eine solche Software und eine Datenbank zu entwickeln, was Ende 2012 aber leider abgelehnt wurde. Eine einfache Übernahme von asPECT oder SEVE ist nicht zielführend, da die hinterlegten Daten nicht unbedingt gleich sind (andere Mischgutarten und -sorten, andere Bearbeitungstemperaturen, andere Energieeinsätze bei der Asphaltherstellung, andere Lkw-Kapazitäten usw.).

Bild 5: Screenshot asPECT (Frühjahr 2013)

Bild 6: Screenshot SEVE (Frühjahr 2013) 

4 „Grüne“ Vergabe in den Niederlanden

Anders z. B. in den Niederlanden. Hier ist „nachhaltige („grüne“) Beschaffung“ auch für Straßenbaumaßnahmen erklärtes Ziel der Regierung. Ausgangspunkt ist die Aussage des niederländischen Ministeriums für Infrastruktur und Umwelt: „…. Die Regierung (und nachgeordnete Behörden) haben das Ziel einer 100-prozentig nachhaltigen Beschaffung ab 2010“ (Quelle: Sustainable public procurement manual, www.agentschapnl.nl). Im „Sustainable public procurement manual“ – welches in niederländischer und in englischer Sprache erhältlich ist (Bild 7) – werden nun neben Preis und Qualität auch die Nachhaltigkeit (das heißt soziale und Umweltkomponenten) bei der Beschaffung beachtet. Es ist vorgeschrieben, unter anderem Nachhaltigkeitskriterien bei der Ausschreibung und/oder im Vertrag aufzunehmen, dass Firmen bestimmte Nachhaltigkeitskriterien erfüllen müssen und es muss sichergestellt werden, dass diese auch eingehalten werden. Für verschiedene Produkte – darunter auch Straßen (Bild 7 rechts) – gibt es wiederum Handbücher, in denen diese Vorgaben näher beschrieben sind.

Bild 7: Handbücher (manuals) zur nachhaltigen Beschaffung des niederländischen Ministeriums für Infrastruktur und Umwelt, links: Allgemeines, rechts: für Straßen (Quelle: www.agentschapnl.nl)

Die Umsetzung hat vor allem Rijkswaterstaat (RWS) übernommen (www.rws.nl). Rijkswaterstaat hat sich selbst vorgegeben, Vorbild und Vorreiter für andere niederländische Auftraggeber zu sein und hat zum Thema „nachhaltige (grüne) Beschaffung“ Werkzeuge erarbeitet und schrittweise eingeführt. Es handelt sich dabei unter anderem um die unternehmensbezogene „CO2-Performance-Leiter“ und das objekt-/projektbezogene Rechenprogramm „DuBoCalc“ (Duurzaam Bouwen Calculator). Beide werden für eine ökonomische Wertung im Rahmen des sogenannten „EMVI: Economical Most Valuable Offer“ verwendet.

Die CO2-Performance-Leiter (oder „Stiege“) ist eine Unternehmensbewertung in fünf Stufen betreffend Selbstverständnis, Verpflichtung und Aktivitäten des Unternehmens zur CO2-Reduzierung (www.skao.nl). Die Unternehmensbewertung wird durch Mitarbeiter einer unabhängigen Stiftung durchgeführt. Je nach Einstufung des Unternehmens auf eine dieser fünf Stufen wird ein virtueller Abzug von der Angebotssumme vorgenommen, heute maximal 5 x 1 %. Das Economical Most Valuable Offer EMVI setzt sich in diesem Fall also zusammen aus Angebotssumme minus Bonus aus der CO2-Performance-Leiter. Ziel ist es, alle Anbieter möglichst bald auf der höchsten Stufe zu finden, was bedeutet, dass Bewusstsein geweckt, Aktivitäten initiiert und ein Stückchen Klimaziel erreicht wurde.

Bild 8: CO2-Performance-Leiter, Handbuch und erläuternde Grafik daraus
Bild 9: Abzüge für das Most Economical Valuable Offer EMVI aus der CO2-Performance-Leiter (Stand: Frühjahr 2013)

DuBoCalc dagegen betrachtet das einzelne Objekt bzw. den jeweiligen Ausführungsvorschlag. Es handelt sich um eine Software zur Lebenszyklusbetrachtung in Verbindung mit einer Umweltdatenbank, die von neutralen Dritten unterhalten und gepflegt wird. DuBoCalc betrachtet aber nicht wie asPECT oder SEVE ausschließlich CO2, sondern insgesamt 11 Umwelteinflüsse: neben CO2 z. B. den Effekt für die Ozonschicht, Versäuerungen, Überdüngungen oder Verbrauch nicht erneuerbarer Materialien.

Neben der reinen Ermittlung der 11 Umwelteinflüsse beinhaltet DuBoCalc aber auch einen Umweltkostenrechner, der diese (negativen) Umwelteinflüsse monetär bewertet in Form des sogenannten „Umweltkostenindikators MKI“. Der MKI arbeitet mit sogenannten „Schattenpreisen“: Was würde es kosten, diese negativen Umwelteinflüsse rückgängig zu machen?

Bild 10: Prinzip DuBoCalc (Quelle: RWS)

Das Ergebnis von DuBoCalc ist also nicht nur der Umwelteinfluss einer Maßnahme oder eines Ausführungsvorschlages z. B. in Form der CO2-Emissionen, sondern auch der Umweltkostenindikator in Euro – welcher seit Mitte letzten Jahres auch als Vergabekriterium bei bestimmten (größeren und funktionalen) Verträgen Eingang findet. Hierzu wird dem EMVI ein Anteil des jeweiligen MKI aus DuBoCalc hinzugerechnet (also: EMVI = Angebotssumme abzüglich Bonus aus der CO2-Performance-Leiter plus anteilig MKI).

Bild 11: Anteilige Einrechnung des MKI in das Most Economical Valuable Offer EMVI (Stand: Frühjahr 2013)

Insofern ist der Carbon Footprint in den Niederlanden bereits – wenigstens in einigen Verträgen – ein Vergabekriterium, nämlich einerseits indirekt über die CO2-Performance-Leiter mit bis zu 5 % virtueller Minderung der Angebotssumme und andererseits als (nicht unbedeutender) Teil des DuBoCalc-Rechensystems mit ebenfalls Einfluss auf die virtuelle Angebotssumme. 

5 Ausblick

In Deutschland sind Systeme zur Ermittlung des Carbon Footprints und zur Nachhaltigkeitsbewertung von Straßeninfrastruktur (-projekten) noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase. Die Frage, welchen Stellenwert solche Nachhaltigkeitsbetrachtungen bei der Vergabe erhalten sollen, ist politisch/gesellschaftlich zu beantworten. Es ist vorhersehbar, dass der Druck wachsen wird. Letztlich ist es eine Frage der Zeit.