FGSV-Nr. FGSV 001/20
Ort Berlin
Datum 13.10.2004
Titel Die neuen Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt) – Zwei Wege zum ganzheitlichen Entwurf
Autoren Dr.-Ing. Reinhold Baier
Kategorien Kongress
Einleitung

Der Unterschied zu den bisherigen Empfehlungen ist, dass die neuen Richtlinien zwei Wege des Straßenentwurfs anbieten. Einmal einen relativ straff geführten Entwurfsprozess und auf der anderen Seite einen individuellen Straßenraumentwurf. Der erste Weg bedient sich insgesamt 12 verschiedener Typischer Entwurfssituationen, die als typisch für ca. 70–80 % der Entwurfsaufgaben innerorts betrachtet werden können. Für jede dieser typischen Entwurfssituationen geben die Richtlinien eine bebilderte Beschreibung und die ausgeprägten Nutzungsansprüche wieder, um die jeweils eigene Entwurfssituation einzuordnen. Die Identifizierung der jeweils empfohlenen Querschnitte für eine Typische Entwurfssituation erfolgt dann in Abhängigkeit von der Form des öffentlichen Personennahverkehrs, der Kraftfahrzeugverkehrsstärke und der verfügbaren oder geplanten Straßenraumbreite. Die empfohlenen Querschnitte gewährleisten unter Beachtung der differenziert angegebenen Randbedingungen die Auswahl eines funktional zutreffenden wie auch sicheren und umfeldverträglichen Entwurfs. Im Weiteren werden geeignete Knotenpunktgrundformen mit Anwendungsbereichen empfohlen. Für den individuellen Straßenraumentwurf behalten die neuen Richtlinien im Wesentlichen den Ansatz von EAE und EAHV bei. Dem Entwerfer wird ein umfassender Katalog der Entwurfselemente zur Verfügung gestellt.

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1 Einleitung

Die neuen Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt) – Entwurf Oktober 2004 [1] behandeln den Entwurf und die Gestaltung von Erschließungsstraßen sowie angebauter Hauptverkehrsstraßen und anbaufreier Hauptverkehrsstraßen mit plangleichen Knotenpunkten. Sie sollen für diese Straßenkategorien die Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsstraßen (EAE 85/95) [2] und Empfehlungen für die Anlage von Hauptverkehrsstraßen (EAHV 93) [3] ersetzen.

Der Aufbau der RASt folgt der Logik der EAE 85/95 und EAHV 93, bietet allerdings zwei Wege des Entwurfsvorgangs an (Bild 1). Nach den Zielen und Grundsätzen des innerörtlichen Straßenraumentwurfs werden die Stadtstraßen nach städtebaulichen und verkehrlichen Merkmalen differenziert und Typische Entwurfssituationen definiert. Die Entwurfsmethodik wird ausführlich erläutert.

Bild 1: Aufbau der RASt

Danach kann der Anwender Empfohlene Lösungen für Typische Entwurfssituationen heranziehen, sofern sich seine Aufgabenstellung darin einordnen lässt. Für dort nicht erfasste Aufgabenstellungen können anhand der Darstellungen der „Nutzungsansprüche an Straßenräume“ entsprechende Einordnungen vorgenommen und mit Hilfe der „Entwurfselemente“ ein individueller Entwurf erarbeitet werden.

Das Hauptziel bei Planung und Entwurf von Stadtstraßen ist die Verträglichkeit der Nutzungsansprüche untereinander und mit den Umfeldnutzungen, die auch die Verbesserung der Verkehrssicherheit einschließt.

Die straßenraumspezifischen Ziele lassen sich aus dem Hauptziel ableiten und folgenden Zielfeldern zuordnen (in alphabetischer Reihenfolge, die keine Gewichtung darstellt):

  • Soziale Brauchbarkeit einschließlich Barrierefreiheit
  • Straßenraumgestalt
  • Umfeldverträglichkeit
  • Verkehrsablauf
  • Verkehrssicherheit
  • Wirtschaftlichkeit.

Die Gewichtung der Zielfelder und der Ziele untereinander ist eine politische Entscheidung, die in der Regel nur problemorientiert für eine konkrete Entwurfsaufgabe erfolgen kann.

2 Der 2-Wege-Ansatz

Insbesondere beim Entwurf von Hauptverkehrsstraßen ist man in dem bisherigen Regelwerk davon ausgegangen, dass nur ein individueller Entwurf durch Spezialisten geeignet sei. Die praktische Erfahrung mit der über 10-jährigen Anwendung der EAHV 93 zeigt jedoch, dass sich ein Großteil der Entwurfsaufgaben gleicht und dass viele Entwürfe von Planern bearbeitet werden, deren Entwurfspraxis eher durch andere Aufgabenstellungen, z. B. außerorts, geprägt ist. Daher bieten die RASt nunmehr zwei Entwurfswege an: für eher standardmäßige Projekte die geführte Vorgehensweise mit empfohlenen Lösungen für typische Entwurfssituationen und für besondere Entwurfsaufgaben – wie bisher – Entwurfshilfen für den individuellen Straßenraumentwurf.

2.1 Straßenraumentwurf für Typische Entwurfssituationen

Die systematische Verknüpfung aller verkehrlichen mit allen städtebaulichen Merkmalen führt zu einer nicht mehr überschaubaren und für die Entwurfspraxis ungeeigneten kombinatorischen Vielfalt.

Aus der und für die Entwurfspraxis lassen sich jedoch Typische Entwurfssituationen definieren, wie sie auf Grund der straßenräumlichen und verkehrlichen Gegebenheiten im großstädtischen, mittel- und kleinstädtischen und dörflichen Kontext typischerweise angetroffen werden können (Bild 2):

  • Wohnweg
  • Wohnstraße
  • Sammelstraße
  • Quartiersstraße
  • Dörfliche Ortsdurchfahrt
  • Städtische Ortsdurchfahrt
  • Örtliche Geschäftsstraße
  • Hauptgeschäftsstraße
  • Gewerbestraße
  • Industriestraße
  • Verbindungsstraße
  • Anbaufreie Straße.

Bild 2: Typische Entwurfssituationen

Diese Typischen Entwurfssituationen decken einen Großteil der in der Praxis vorkommenden Entwurfsaufgaben ab.

Insbesondere längere Straßenzüge können eine Abfolge von Typischen Entwurfssituationen umfassen; dies ist meist bei Hauptverkehrsstraßen der Fall, bei denen in der Regel eine Differenzierung nach Abschnitten (Bild 3) erforderlich wird.

Anhaltspunkte für eine straßenräumliche Abschnittsbildung können sich aus Änderungen der städtebaulich-historischen Bedeutung, der Art der Begrenzung, der Breite und des Verlaufes des Straßenraumes bzw. der Umfeldnutzungen ergeben.

 

Erschließungsstraßen aber auch dörfliche Ortsdurchfahrten können demgegenüber oftmals einer durchgängigen Entwurfssituation zugeordnet werden (Bild 4).

Bild 3: Beispiel für wechselnde Entwurfssituationen im Zuge einer Hauptverkehrsstraße

Bild 4: Beispiel einer durchgängigen Entwurfssituation im Zuge einer dörflichen Ortsdurchfahrt

2.1.1 Empfohlene Querschnitte

Der Ableitung der empfohlenen Querschnitte geht eine kurze Darstellung und Beschreibung der jeweiligen Typischen Entwurfssituationen voraus, die in

  • Charakterisierung
  • Typische Randbedingungen und Anforderungen
  • Besondere Hinweise

gegliedert ist und durch einen beispielhaften Lageplan und Beispielfotos ergänzt wird.

Die Identifizierung des jeweils empfohlenen Querschnitts für eine Typische Entwurfssituation erfolgt in folgenden Schritten (Bild 5):

Bild 5: Schrittweise Ermittlung eines empfohlenen Querschnittes

  1. Der Typischen Entwurfssituation sind bereits die in der Regel besonders ausgeprägten Nutzungsansprüche aus den Bereichen

    - Fußgängerverkehr und Aufenthalt
    - Radverkehr
    - Ruhender Verkehr

zugeordnet und in den jeweiligen Darstellungen („Querschnittsübersichten“) gekennzeichnet. Sollten sich aus Sicht des Anwenders hier Abweichungen zu seiner Entwurfsaufgabe ergeben, sollte deren Einordnung in die betrachtete Entwurfssituation überprüft werden.

  1. Die erste Fallunterscheidung betrifft den Öffentlichen Personennahverkehr: Hier wird zwischen

    - Kein Linienbusverkehr, d. h. kein oder kein regelmäßig verkehrender ÖPNV
    - Linienbusverkehr
    - Straßenbahn

    Für Linienbusverkehr empfohlene Querschnitte können auch gewählt werden, wenn kein Linienbusverkehr stattfindet.

Bild 6: Hauptgeschäftsstraßen

  1. Die zweite Fallunterscheidung betrifft die Kraftfahrzeugverkehrsstärke. Hier werden fünf sich teilweise überlappende Klassen

    – < 400 Kfz/h
    – 400 – 1 000 Kfz/h
    – 800 – 1 800 Kfz/h
    – 1 600 – 2 600 Kfz/h
    – > 2 600 Kfz/h

    unterschieden.

    Dabei ist zu beachten, dass ein empfohlener Querschnitt für eine bestimmte Belastungs klasse aus verkehrstechnischer Sicht in der Regel auch für geringere Verkehrsstärken geeignet ist.
  1. Die dritte Fallunterscheidung betrifft die verfügbare oder geplante Straßenraumbreite, d. h. in der Regel die Breite zwischen den Gebäuden. Die angegebenen Straßenraumbreiten geben die jeweils geringst mögliche an, um den dargestellten Querschnitt anzuwenden.

    Sollte mehr Raum zur Verfügung stehen, so sollten bis zum Erreichen von „Sprunggrößen“ für z. B. Radverkehrsanlagen, Parkstände, ÖV-Sonderfahrstreifen, die zu einer anderen Querschnittsaufteilung führen, die Flächenreserven zunächst immer dem Flächenangebot für Fußgängerverkehr und -aufenthalt und ggf. auch dem Radverkehr zu Gute kommen.

Bild 7: Empfohlene Querschnitte für Hauptgeschäftsstraßen (Fall Linienbusverkehr)

Allgemein werden in den dargestellten Querschnitten keine Minimalmaße miteinander kombiniert und der Auswahl und Anordnung von Radverkehrsanlagen besondere Beachtung geschenkt. So wird bei der Kombination von Parkstreifen und Radverkehrsanlagen von folgenden Grundmaßen ausgegangen:

  • Schutzstreifen neben Parkstreifen mit 2,00 m Breite sind 1,50 m breit
  • Radfahrstreifen mit einer Breite von 1,50 m erhalten neben Parkstreifen (2,00 m) einen zusätzlichen Sicherheitsstreifen von 0,50 m, der aber nicht gesondert markiert werden muss
  • Radwege mit einer Breite von 1,50 m erhalten neben Parkstreifen (2,00 m) einen zusätzlichen Sicherheitsstreifen von 0,75 m.

Bezüglich der Mitbenutzung von Gehwegen durch Radfahrer werden folgende Fallunterscheidungen getroffen und in den Querschnitten dargestellt:

  • Sind bei Verkehrsstärken von 400 – 1 000 Kfz/h keine Radverkehrsanlagen vorgesehen, wird der Gehweg für Radfahrer frei gegeben
  • Sind bei Verkehrsstärken von 400 – 1 000 Kfz/h Schutzstreifen vorgesehen, wird der Gehweg nicht für Radfahrer frei gegeben
  • Sind bei Verkehrsstärken von 800 – 1 800 Kfz/h Schutzstreifen vorgesehen, wird der Gehweg für Radfahrer frei gegeben.

Die Gehwegbreiten werden in örtlichen Geschäftsstraßen mit 4,00 m, bei anliegendem Radweg mit 3,00 m und bei „Radfahrer frei“ mit 5,00 m, in Hauptgeschäftsstraßen mit 5,00 m, bei anliegendem Radweg mit 4,00 m und bei „Radfahrer frei“ mit 6,00 m bemessen.

Darüber hinaus werden Parkstreifen immer mit Bäumen kombiniert und die Anwendung „weicher Ränder“ von Fahrbahnen nur im Zusammenhang mit reduzierten Geschwindigkeiten und Verkehrsstärken unter 400 Kfz/h empfohlen.

Schließlich ist zu beachten, dass punktuell oder abschnittsweise

  • ein Wechsel zwischen zwei empfohlenen Querschnitten, z. B. Querschnitt mit Längsparkstreifen mit Querschnitt mit Mittelinsel
  • ein gezieltes Eingehen auf eine räumliche Veränderung mit Hilfe der Nutzungsansprüche der Einzelelemente

notwendig werden kann.

Als Beispiel für die Beschreibung und Darstellung einer Typischen Entwurfssituation und der dafür empfohlenen Querschnitte ist der Anwendungsfall „Hauptgeschäftsstraße“ wiedergegeben (Bilder 6 bis 8).

Bild 8: Empfohlene Querschnitte für Hauptgeschäftsstraßen (Fall Straßenbahn)

2.1.2 Empfohlene Knotenpunktgrundformen

Die Auswahl einer geeigneten Knotenpunktgrundform richtet sich nach der Netzfunktion der zu verknüpfenden Straßen, nach ihren Verkehrsstärken und besonderen Sicherheitsanforderungen sowie der städtebaulichen und straßenräumlichen Situation, in der der Knoten angelegt werden soll. Nach Festlegung der Knotenpunktgrundform erfolgt der konkrete Entwurf des Knotenpunktes einschließlich seiner verkehrstechnischen Bemessung und straßenräumlichen Gestaltung (Bild 9).

Als Knotenpunktgrundformen werden in den RASt unterschieden:

  • Einmündungen/Kreuzungen mit Rechts vor Links-Regelung
  • Einmündungen/Kreuzungen mit vorfahrtregelnden Verkehrszeichen
  • Einmündungen/Kreuzungen mit Lichtsignalanlagen
  • Mini-Kreisverkehre
  • Kleine Kreisverkehre
  • Große Kreisverkehre mit Lichtsignalanlage
  • Teilplanfreie Lösungen.

Bild 9: Ablaufschema zum Knotenpunktentwurf

Die Auswahl einer geeigneten Knotenpunktgrundform erfolgt nach der Tabelle 1. Die Netzfunktion einer Straße wird durch die Einteilung in Erschließungsstraßen und Hauptverkehrsstraßen sowie durch „gleichrangig“ und „unterschiedlicher Rang“ ausgedrückt. Zur besseren

Tabelle 1: Eignung von Knotenpunktgrundformen

Orientierung werden Knotenpunkte von Erschließungsstraßen, von Hauptverkehrsstraßen und Anschlussknotenpunkte unterschieden. Die Größenordnung der Verkehrsstärke wird durch die Unterscheidung in „2 durchgehende Fahrstreifen“ und „4 und mehr Fahrstreifen“ berücksichtigt.

2.1.3 Übergänge Strecke – Knoten

Insbesondere an Hauptverkehrsstraßen muss der Entwicklung der Knotenpunktgestaltung aus den zulaufenden Strecken besondere Beachtung geschenkt werden.

In der Regel ist es hier erforderlich für bestimmte Fahrbeziehungen gesonderte Aufstellstreifen zur Verfügung zu stellen, Haltestellen für den ÖPNV anzuordnen, den Radverkehr besonders sicher zu führen und bei all diesen Nutzungsüberlagerungen die städtebauliche Einordnung zu beachten und die Seitenraumflächen nicht zu minimieren.

Deshalb werden in den RASt für einige ausgewählte Querschnitte Entwicklungsmöglichkeiten im Knotenzulauf der jeweils übergeordneten Straße schematisch dargestellt.

In den Bildern 10 und 11 sind z. B. für einen zweistreifigen Querschnitt mit 6,50 m Fahrbahnbreite und begleitenden Parkstreifen, Radwegen und Gehwegen, die Ausbildung der Abbiegestreifen, die Führung des Radverkehrs sowie die Anordnung von Bushaltestellen variiert.

Für die Anlage eines gesonderten Linksabbiegestreifens entfallen im Knotenbereich die beidseitigen Parkstreifen. Der Radverkehr wird im Knotenzulauf auf die Fahrbahn geführt und erhält einen Radfahrstreifen mit vorgezogener Haltelinie zum direkten Linksabbiegen. Auf dem kombinierten Geradeaus-/Rechtsabbiegestreifen kann eine Bushaltestelle am Fahrbahnrand angelegt werden (Bild 10).

Bild 10: Beispiel für Fahrbahnaufweitung mit Linksabbiegestreifen und Bushaltestelle

Für die Anlage eines gesonderten Rechtsabbiegestreifens entfallen im Knotenbereich ebenfalls die beidseitigen Parkstreifen. Der Radverkehr wird im Knotenzulauf auf die Fahrbahn geführt und benutzt die Aufstellstreifen für den Kfz-Verkehr mit. Auf dem Rechtsabbiegestreifen kann eine Bushaltestelle am Fahrbahnrand angelegt werden, die der Bus mit Hilfe der Signalisierung auch in Geradeausrichtung verlassen kann (Bild 11).

Bild 11: Beispiel für Fahrbahnaufweitung mit Rechtsabbiegestreifen und Bushaltestelle

2.2 Individueller Straßenraum

Bei der Erarbeitung der „Empfohlenen Lösungen für Typische Entwurfssituationen“ sind bereits allgemeine städtebauliche Belange, z. B. bezüglich der Seitenraumdimensionierung eingeflossen, für den individuellen Straßenraumentwurf wird das Verfahren der „Städtebaulichen Bemessung“ empfohlen.

2.2.1 Städtebauliche Bemessung

Die „Städtebauliche Bemessung“ verfolgt das Ziel einer „Straßenraumgestaltung vom Rand aus“. „Städtebaulich bemessene“ Querschnitte berücksichtigen vorrangig die Nutzungen der Straßenränder, der Bewohner und Besucher von Straßen, des Längsverkehrs von Fußgängern und Radfahrern sowie das Wohlbefinden der Benutzer des Straßenraums durch angenehme Proportionen zwischen befahrenen und unbefahrenen Flächen sowie innerhalb dieser Flächen.

Die Städtebauliche Bemessung basiert auf drei Faktoren (Bild 12):

  • Zwischen Gehbereich und äußerem Rand des Straßenraums ist ein Bereich anzuordnen, in dem die Ansprüche der Ränder an die Straße erfüllt werden können (Verweilflächen, Wirtschaftsflächen, Distanzbereich, Vorgärten)
  • Sowohl für den Fußgängerlängsverkehr als auch für den Radverkehr müssen die je nach Bedeutung des Straßenraums erforderlichen Flächen bereit gestellt werden
  • Damit Fußgänger und Radfahrer sich wohl fühlen, müssen die Seitenräume in einem angenehmen Verhältnis zur Fahrbahn stehen, wobei hierfür Kfz-Verkehr und ÖPNV gleich zu beurteilen sind; als angenehm wird eine Aufteilung von Seitenräumen zu Fahrbahn von 30:40:30 empfunden.

Aus diesen drei Faktoren lässt sich die erforderliche Seitenraumbreite ermitteln, aus dieser im Vergleich zur Gesamtraumbreite die städtebaulich mögliche Breite der Fahrbahn. Diese ist mit der verkehrlich notwendigen Fahrbahnbreite abzugleichen.

Bei Straßenräumen ab 25 m Breite kann man davon ausgehen, dass bei Einhaltung der proportionalen Gesetzmäßigkeiten die Ansprüche aus Randnutzungen und Längsverkehren erfüllt sind. Bei schmaleren Straßenräumen sind die maßgebenden Aspekte für die Städtebauliche Bemessung die Anforderungen aus den Straßenrandnutzungen und dem Längsverkehr von Fußgängern und Radfahrern

Bild 12: Städtebauliche Bemessung

2.2.2 Nutzungsansprüche an Straßenräume

Entsprechend den unterschiedlichen städtebaulichen und verkehrlichen Merkmalen von Stadtstraßen variieren auch die Ausprägungen der Nutzungsansprüche hinsichtlich qualitativer Aspekte, Menge, Geschwindigkeit und spezifischem Raumbedarf.

In den RASt wird insbesondere der spezifische Raumbedarf der verschiedenen Verkehrsarten dargestellt.

Grundmaße für Verkehrsräume von Fußgängern und Radfahrern ergeben sich zu 0,90 m bzw. 1,00 m und werden um situationsspezifische Sicherheitsabstände (Breitenzuschläge) erweitert.

Grundmaße für die Verkehrsräume für Kraftfahrzeuge beim Begegnen, Nebeneinanderfahren und Vorbeifahren an stehenden Fahrzeugen ergeben sich, wenn man zu den Fahrzeugbreiten situationsabhängige Breitenzuschläge addiert. Diese betragen in der Regel für das Begegnen, Nebeneinanderfahren und Vorbeifahren von Personen- und Lastkraftwagen 0,25 m. Die Breitenzuschläge können in Ausnahmefällen (Fahren mit eingeschränkten Bewegungsspielräumen) beim Begegnen von Personen- und Lastkraftwagen bzw. Linienbussen fahrzeugspezifisch auf 0,20 m bei Bussen und Lkw sowie auf 0,15 m bei Pkw reduziert werden.

Bild 13: Zusammensetzung des Raumbedarfs für Kraftfahrzeuge (einschl. ÖV), Fußgänger und Radfahrer

Grundmaße für die lichten Räume ergeben sich, wenn man zu den Verkehrsräumen Sicherheitsabstände addiert. Der Sicherheitsabstand beträgt in der Regel 0,25 m, zwischen Linienbussen 0,40 m, die seitlichen Sicherheitsabstände betragen neben fahrenden und haltenden Kraftfahrzeugen in der Regel 0,50 m.

Die straßenräumliche Situation (insbesondere die Straßenraumbreite) und der Raumbedarf anderer Nutzungsansprüche können es notwendig machen bzw. das seltene Auftreten des Begegnens, Nebeneinander- und Vorbeifahrens großer Fahrzeuge kann es zweckmäßig erscheinen lassen, eingeschränkte Bewegungsspielräume anzusetzen oder einen anderen Bemessungsfall zu wählen.

Bei Anwendung eingeschränkter Bewegungsspielräume können die Sicherheitsabstände auf 0,25 m reduziert werden oder bei Begegnung von Kraftfahrzeugen untereinander, aber nicht mit Radfahrern entfallen. Der obere Sicherheitsabstand beträgt immer 0,30 m. Bei Nebeneinander- oder Vorbeifahrfällen bleibt auch bei eingeschränkten Bewegungsspielräumen ein Sicherheitsabstand von 0,25 m bestehen.

Die Bemessung mit eingeschränkten Bewegungsspielräumen setzt in der Regel reduzierte Geschwindigkeiten (≤ 40 km/h) und eine umsichtige Fahrweise voraus, die durch eine geeignete Gestaltung und verkehrsrechtliche Regelungen zu unterstützen sind.

2.2.3 Entwurfselemente

Der Katalog der Entwurfselemente, wie er für den individuellen Straßenraumentwurf benötigt wird, wurde in den RASt gegenüber den EAE 85/95 und EAHV 93 neu gegliedert. Räumlich wurden Streckenabschnitte und Knotenpunkte unterschieden. Thematisch wurden Bereiche wie Geschwindigkeitsdämpfung, Bauliche Elemente zur Verkehrsführung, Überquerungshilfen für Fußgänger und Radfahrer hervorgehoben.

Damit soll dem Anwender das gezielte Auffinden notwendiger projekt- und problembezogener Lösungen erleichtert werden.

Während bei den Empfohlenen Lösungen von Typischen Entwurfssituationen davon ausgegangen werden kann, dass die Einsatzmöglichkeiten und -bedingungen der verschiedenen Entwurfselemente besonders hinsichtlich ihrer Kombinationsmöglichkeiten und ihrer gestalterischen Einpassung gewährleistet sind, ist dies beim individuellen Entwurf durch den Entwerfenden sicher zu stellen. Unverzichtbar ist in beiden Fällen während der Entwurfsphase die direkte Auseinandersetzung mit der Örtlichkeit und dem Gesamtraum, die in der Regel nicht allein über die in der Zustandserfassung verwendeten Dokumentationsmedien erfolgen kann.

Bei der Beschreibung und Darstellung der einzelnen (mehr als 70) Entwurfselemente wurde eine neue knappe, meist auf Tabellen gestützte Form gewählt. Als Beispiele sind die Einsatzbereiche von zweistreifigen Fahrbahnen (Tabelle 2) und Gemeinsamer Geh-/Radweg (Tabelle 3) wiedergegeben.

Tabelle 2: Zweistreifige Fahrbahnen

3 Bewertung von Straßenraumentwürfen

Als Grundlage für die Bewertung sind die Auswirkungen der entwickelten Entwurfsmaßnahmen abzuschätzen. Dabei ist zu beachten, dass sich die Wirkung eines einzelnen Elementes (z. B. auf das Geschwindigkeitsverhalten) ohne Berücksichtigung der jeweils spezifischen Gesamtsituation kaum angeben lässt und deshalb die Gesamtwirkung auch nicht aus einzelnen Entwurfselementen abgeleitet werden kann.

Tabelle 3: Abmessungen gemeinsamer Geh- und Radwege

Notwendig sind vielmehr Wirkungsanalysen, die alle Zielfelder umfassen.

Für die meisten Zielfelder liegen geeignete Verfahren zur Auswirkungsabschätzung und Bewertung vor:

  • Soziale Brauchbarkeit und Barrierefreiheit:
    Audit zur sozialen Sicherheit 2004, Bürgerfreundliche und behindertengerechte Gestaltung des Straßenraums, direkt 47, 1992
  • Straßenraumgestalt:
    Städtebauliche Bemessung, ESG 97
  • Umfeldverträglichkeit:
    FGSV-Arbeitspapier Nr. 41: Verträglichkeitsanalysen in der kommunalen Verkehrsplanung, 1996
  • Verkehrsablauf:
    Handbuch zur Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS 2001)
  • Verkehrssicherheit:
    Empfehlungen für das Sicherheitsaudit von Straßen (ESAS 2002)
  • Wirtschaftlichkeit:
    Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen (EWS 1997).

Hilfreich können darüber hinaus die vergleichende Betrachtung dokumentierter Fallbeispiele sowie die Durchführung geeigneter Kosten-Nutzen-Betrachtungen sein.

Die Abwägung der einzelnen Bewertungsergebnisse untereinander erfolgt anhand der projektbezogenen Ziele und unter Beachtung der überörtlichen Entwurfsvorgaben.

Die praktische Erfahrung zeigt, dass vielfach eine Abwägung zwischen den Ansprüchen des fließenden und ruhenden Kraftfahrzeugverkehrs einerseits und den Ansprüchen des öffentlichen Personennahverkehrs, der nichtmotorisierten Verkehrsarten und der nichtverkehrlichen Straßenraumnutzungen andererseits notwendig ist. Bei der Gewichtung dieser konkurrierenden Ansprüche sind unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Gewichtungen aus der Verkehrsentwicklungsplanung insbesondere die Verlagerbarkeit von Nutzungsansprüchen (z. B. Parkmöglichkeiten außerhalb des Straßenraums) sowie vertretbare oder zumutbare Komforteinschränkungen zu prüfen. Dabei sind stets auch Rückkopplungen auf Ziele und Entwurfsvorgaben einzubeziehen.

In jedem Fall sollen als Ergebnis der Bewertung und der Abwägung Entwurfsmaßnahmen vorliegen, die eine bei den Beteiligten abgesichertE politische Entscheidung ermöglichen.

4 Zusammenfassung und Ausblick

Die nunmehr im Entwurf vorhandenen „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen“ (RASt) reihen sich ein in die neue Richtlinien-Generation der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) und bilden zusammen mit den in Bearbeitung befindlichen „Richtlinien für die Anlage von Autobahnen“ (RAA) und „Richtlinien für die Anlage von Landstraßen“ (RAL) das „horizontale“ Entwurfsregelwerk, das sich auf zahlreiche „sektorale“ Empfehlungen abstützt (Bild 14). Sie basieren inhaltlich auf den EAE 85/95 und EAHV 93, führen diese zusammen und nutzen die aktuellen Erkenntnisse aus den jüngsten bzw. noch laufenden Überarbeitungen von Empfehlungen wie EFA 2001, EAÖ 2003 usw.

Bild 14: Die neue Richtlinien-Generation

Bei der Bearbeitung stand die Anwender- und Praxistauglichkeit besonders im Vordergrund. Deshalb wurde dem in den bisherigen Stadtstraßen-Regelwerk angebotenen individuellen Straßenraumentwurf nun ein „richtliniengemäßes“ stark geführtes Entwurfsverfahren zur Seite gestellt.

Nach den bisher bereits vorgenommenen Vorabstimmungen und ersten Reaktionen aus der Fachöffentlichkeit kann davon ausgegangen werden, dass die neuen Richtlinien noch im Jahr 2005 verabschiedet werden können.

Literaturverzeichnis

  1. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2004): Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 05) Entwurf, Oktober 2004, 184 Seiten
  2. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (1995): Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsstraßen, Ausgabe 1985, Ergänzte Fassung 1995 (EAE 85/95), 112 Seiten
  3. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (1993): Empfehlungen für die Anlage von Hauptverkehrsstraßen, Ausgabe 1993 (EAHV 93), 202 Seiten