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1 Einleitung
Dieser Titel mutet vielleicht etwas ungewöhnlich an für einen Vortrag auf dem Deutschen Straßen- und Verkehrskongress. Was hat es damit auf sich?
Der Straßenentwurf soll in seinem technik-geschichtlichen Kontext behandelt werden: in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Bei der Vorbereitung meines Vortrags bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die chronologische Aufzählung straßengeschichtlicher Fakten, die „brave“ Ochsentour auf der Zeitachse also, das nicht zu leisten vermag, ja, Sie womöglich langweilen könnte. Die reine Chronologie können Sie in jedem besseren Straßengeschichtsbuch nachlesen. Viel interessanter ist die Beleuchtung einzelner Sachverhalte des Straßenwesens und ihrer historischen Entwicklungsstränge. So werde ich im Folgenden wichtig erscheinende Entwurfsthemen – wegen der begrenzten Redezeit: nur einige wenige – herausgreifen und jeweils in der Zeitschiene betrachten. Wir werden also, um ein Bild des Autofahrers aufzugreifen, unseren Blick mehrmals in den Rückspiegel und dann wieder direkt auf den Straßenraum vor uns wenden.
2 Das deutsche Regelwerk zum Straßenentwurf
Ich komme zum ersten Thema, zum deutschen Regelwerk des Straßenentwurfs, das angeblich vor dem größten Umbruch seit seiner Entstehung steht. Begriffe wie „Entwurfsklasse“ und „selbsterklärende Straße“, beim letzten Straßenkongress in Berlin in den Ring geworfen, legen diese Vermutung nahe. Doch so viel Neues gibt es gar nicht.
Am augenfälligsten ist die Veränderung der äußerlichen Struktur der Entwurfsrichtlinien: Die Gliederung erfolgt nicht mehr – wie beim gültigen Regelwerk – nach Querschnitt, Linienführung und Knotenpunkten, sondern nach den Straßentypen Autobahn, Landstraße und Stadtstraße. Eine keineswegs dramatische Änderung: lediglich eine „identische Umformung“, wie der Mathematiker sagen würde. Aus den Matrixzeilen-Richtlinien sind einfach Matrixspalten-Richtlinien geworden (Bild 1).
Genau genommen ist die Gliederung nach Straßentypen so alt wie das Entwurfsregelwerk. Dazu gehen wir ins Jahr 1937 zurück, als die „Vorläufigen Richtlinien für den Ausbau von Landstraßen“ (RAL 1937) erschienen sind, die „Urmutter“ unseres Trassierungsregelwerks. Sie waren ein „Abfallprodukt“ der Planungserfahrungen und -grundsätze für Autobahnen, die in der später sogenannten BAURAB TG (Bauanweisung der Reichsautobahnen Trassierungsgrundsätze) festgelegt wurden. Also: eine Vorschrift für die Autobahnen: BAURAB TG – eine Vorschrift für die Landstraßen: RAL 1937. Die Stadtstraßen haben wegen ihrer Besonderheiten schon immer ein eigenes Entwurfsregelwerk gehabt.
Neu ist allenfalls die gemeinsame Behandlung von Autobahnen und Stadtautobahnen in einem Regelwerk, den RAA. Sogar die alten Bezeichnungen RAL und RASt leben wieder auf, worüber ich mich freue.
Bild 1: Neustrukturierung des deutschen Entwurfregelwerkes
3 Entwurfsklassen
Als nächstes zur „Entwurfsklasse“. Der Begriff als solcher ist nicht neu, schon die BAURAB TG (Bild 2) und auch die TGL 11 684 der DDR („Planung und Gestaltung von Landstraßen“; Bild 3) enthalten ihn. In beiden Fällen dient die „Entwurfsklasse“ als Klassifizierungsmerkmal der Topographie, aus dem eine angemessene Trassierungsgeschwindigkeit und letztlich konkrete Grenzwerte für die wichtigsten Trassierungselemente abgeleitet werden – die Ausprägung „Hochgebirge“ – fehlt natürlich in der DDR. Den TGL liegt ein weiter gefasster Topographiebegriff zugrunde: Zu der reinen Geomorphologie ist noch das Merkmal „Baubeschränkungen“ hinzugekommen. Gemeint ist, das was in den RAL-L 1959, an die die TGL offensichtlich anknüpfen, umständlich als „Beengung durch Bebauung, Verkehrsanlagen, Wasserläufe und dgl.“ beschrieben ist (Bild 4): nichts anderes als unsere „Umfeldrestriktionen“. Die Idee der Entwurfsklasse hat also auch in Westdeutschland den Zweiten Weltkrieg überstanden und ist in die RAL-L 1959 eingegangen, auch wenn dort in der Tabelle 2 der Begriff explizit nicht mehr auftaucht. Festzuhalten ist aber, dass in der Tabelle die „Verkehrsstärke“ als zusätzliches Kriterium auftritt.
Bild 2: Zahlentafel 1, BAURAB TG 1937/1943 [16]
Bild 3: Tabelle 1, TGL 11 684/01 [2]
Bild 4: Tabelle 2, RAL-L 1959 [5]
Das alles zeigt, dass sämtliche Klassizierungskriterien der „neuen“ Entwurfsklasse schon da waren, also ansatzweise auch das Prinzip der Auf- bzw. Abstufung um eine Entwurfsklasse in Abhängigkeit vom Grad der Umfeldrestriktionen oder der Prognoseverkehrsstärke (Bild 5).
Neu ist allerdings, dass die Entwurfsklasse nicht nur – wie früher – der Findung der Entwurfsgeschwindigkeit dient, sondern diese vollständig ersetzen soll. Zu dem inzwischen relativierten Ansinnen, jegliche Ve-ähnliche Eingangsgröße aus dem neuen Entwurfsregelwerk zu verbannen, zwei Anmerkungen:
Erstens: Wir planen eine neue Straße in einem statischen Entwurf mit Wegekoordinaten – der Verkehr, der diese Straße später benutzen soll, ist aber ein dynamisches Phänomen, das sich in der Zeit Die verbindende physikalische Größe zwischen der Wegekoordinate und der Zeitkoordinate ist die Geschwindigkeit. Insofern wage ich die Prophezeiung, dass die Geschwindigkeit in irgendeiner Form auch in Zukunft die Leitgröße für alle Trassierungsparameter der Linienführung bleiben wird.
Zweitens: Das Problem des bestehenden Entwurfsregelwerks, dass mit einer geschwindigkeitsabhängigen Festlegung von Trassierungsgrenzwerten immer nur ein „nach oben offener“ Mindeststandard festgelegt wird, löst auch die neue Entwurfsklasse nicht. Stichwort: Ve-Kontrolle durch die V85. Das Kalkül, dass man mit einer entsprechend kleinteilig trassierten Linienführung dem Kraftfahrer die jeweils angemessene Fahrgeschwindigkeit signalisieren könnte, geht allenfalls im Hügel- oder Bergland auf. Im Flachland wäre es einfach grotesk, etwa eine Lageplangerade durch eine Slalomstrecke zu ersetzen, nur um die entsprechende Kurvigkeit zu erreichen. Der ersatzlose Entfall der glücklosen V85 im neuen Entwurfsregelwerk ist also berechtigt.
Bild 5: Entwurfsklassen = Bild 5 aus [19]
Woran soll der Kraftfahrer aber dann die der Entwurfsklasse zugrunde liegende Höchstgeschwindigkeit erkennen? Der bessere Weg ist sicher, dem Kraftfahrer die angemessene Geschwindigkeit allein durch Querschnittsmerkmale zu verdeutlichen.
4 Selbsterklärende Straße
Und damit sind wir bei der „selbsterklärenden Straße“. Dass man die Bedeutung einer Straße an ihrer Querschnittsgestaltung erkennen kann, ist nichts Neues: Eine Allee war schon immer „mehr“ als eine kleine baumlose Nebenstraße und auch der Grundsatz von der „Einheit der baulichen Ausgestaltung und der verkehrsrechtlichen Betriebsform“ geht in diese Richtung. Nur den Begriff „selbsterklärende Straße“ gab es noch nicht.
Gert Hartkopf würde am liebsten die Fahrbahnbeläge verschieden einfärben, um so die planerisch zugrunde gelegte Höchstgeschwindigkeit eindeutig zu signalisieren (Bild 6).
Er käme womöglich mit dem Antidiskriminierungsgesetz in Konflikt – wegen der Farbenblinden! Aber Spaß beiseite – ich würde noch einen Schritt weitergehen: Warum legen wir diese planerisch unterstellte Höchstgeschwindigkeit – sie ist ja nichts anderes als die „Betriebsgeschwindigkeit“ der Eisenbahn – nicht in einem digitalen Straßenkartenwerk fest, das jeder Kraftfahrer in seinen Bordcomputer laden muss und das einen obligatorischen Tempomaten dann entsprechend steuert? Sagen Sie nicht: Das würde unserer Auffassung von individueller Freizügigkeit widersprechen. Warum soll sich ein Leib und Leben schützender Automatismus nicht mit einer freiheitlich demokratischen Ordnung vertragen?
Übrigens hat der Science-Fiction-Autor Rick Raphael in seinem 1966 erschienenen Roman Code Three schon farbige Fahrbahnen für unterschiedliche Geschwindigkeiten beschrieben, allerdings mit etwas anderen Höchstgeschwindigkeiten: weiß bis 160 km/h, grün bis 240 km/h, blau bis 320 km/h, gelb bis 800 km/h und rot – exklusiv für Polizei- und Rettungsfahrzeuge bis 900 km/h. Das würde den deutschen Autofahrern natürlich gefallen, wohl auch der deutschen Autoindustrie – und es gäbe Arbeit für die Bauwirtschaft.
Bild 6: Zulässige Höchstgeschwindigkeiten – Bild 22 aus [19]
Ein Dilemma mit der neuen Entwurfsklasse sehe ich allerdings: Als regelmäßige Bestimmungsgrößen für die Wahl der Entwurfsklasse sind die Fahrtweite und die Umfeldrestriktionen, indiziert durch die „Verbindungsfunktionsstufe“ und die „Kategoriengruppe“, vorgesehen. Beide Größen sind aber für die Bemessung eines einzelnen Netzelements nicht maßgebend, entscheidend sind ausschließlich die Verkehrsstärke und der Schwerverkehrsanteil – und diese Größen müssen primär zur Bestimmung des Straßenquerschnitts herangezogen werden. Sonst ist die Zerreißprobe programmiert, wenn etwa auf einer „großen“ kontinentalen Verbindung nur alle heilige Zeit ein Auto fährt oder – umgekehrt – eine „kleine“ lokale Verbindung als Lückenbüßer für eine nicht fertig gestellte Autobahn vor Verkehr überquillt.
Prüfstein des neuen Entwurfsregelwerks wird sein, dass ein diesbezüglich konsistentes Netzgestaltungs- und Planungssystem im Zusammenspiel mit dem HBS entsteht.
5 Verkehrssicherheit
Ich komme auf die Verkehrssicherheit, genauer jenen Beitrag, den wir Straßenbauer – unter anderen: Kfz-Techniker, Reifentechnologiker, Verkehrsrechtler usw. – mit einer vernünftig trassierten Straße zur allgemeinen Verkehrssicherheit leisten können. Um es vorwegzunehmen: Ich glaube, wir überschätzen die Wirksamkeit dieses Beitrags.
Wir haben unser Entwurfsregelwerk nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder geändert, oft grundlegend – immer wieder neue entwurfstechnische Sicherheitsstandards kamen zum Tragen. All diese Straßenabschnitte, die nach den verschiedenen Regelwerkausgaben gebaut sind, stehen draußen unter Verkehr; denn für eine netzweite Anpassung an den jeweils neuesten Standard hatten wir nie die finanziellen Mittel. Wenn denn der Einfluss des Trassierungsstandards auf die Verkehrssicherheit wirklich so groß wäre wie angenommen, dann müsste der Kraftfahrer, der die nach verschiedenen Richtlinienausgaben gebauten Straßenabschnitte durchfährt, eher verunsichert werden. Der Kraftfahrer hat ein Anrecht auf einen Vertrauensschutz dergestalt, dass er unter gleichen Randbedingungen immer wieder die gleichen straßenbaulichen Lösungen erwarten kann.
Deswegen mein Plädoyer: Wir sollten von Richtliniengeneration zu Richtliniengeneration unsere Regeln, vor allem die nachweislich sicherheitstechnisch bewährten, nicht ohne Not ändern, insbesondere aber sicherstellen, dass sie landauf, landab einheitlich angewandt werden – keine leichte Aufgabe in unserem kleinräumigen, vom Föderalismus geprägten Deutschland.
6 Autobahnen
Nun zu den Autobahnen, die den ganz überwiegenden Anteil unseres Straßenverkehrs – und nicht nur Fernverkehr – tragen. Die Autobahn ist keine deutsche Erfindung, aber ein landesweites Autobahnnetz wurde planmäßig und systematisch erstmals in Deutschland realisiert. Eine bauliche Richtungstrennung auf einer Hochleistungsstraße ist übrigens schon Ende des 15. Jahrhunderts in Italien belegt: auf der Verbindung von Rom zu seiner Hafenstadt Ostia [20]. Während man sich im letzten Jahrhundert über die Ausgestaltung der Strecke der „Nurautostraße“ sehr schnell einig war, bereiteten die Knotenpunkte den Autobahnpionieren einiges Kopfzerbrechen. Immerhin ist das Kleeblatt, die ökonomischste Form des Autobahnkreuzes, schon 1916 in einem US-Patent von Arthur Hale beschrieben (Bild 7). Das Kleeblatt kommt mit nur einem Kreuzungsbauwerk aus. Der Preis für seine Wirtschaftlichkeit sind seine vier Verflechtungsstrecken: Stößt das Kleeblatt an seine Kapazitätsgrenze, so blockiert es sich selbst – genauso wie der Kreisverkehr. Wie das wirkt, konnte ich vor einigen Wochen am Schiersteiner Kreuz erleben: Auf der Schiersteiner Brücke ist in Richtung Süden ein Engpass (violetter Kfz-Strom im Bild 8). Der Rückstau pflanzt sich über die Schleifenrampe bis in die Kleeblatt-Verflechtungsstrecke fort. Dadurch wird auch der Verflechtungsstrom aus der Nachbarschleifenrampe gebremst (violetter Pfeil im Bild 8), so dass der Stau auf der Brücke sogar auf die Gegenrichtung durchschlägt (roter Kfz-Strom im Bild 8).
Mein Resümee: Wenn ich für das „staufreie Hessen“ verantwortlich wäre, würde ich alle Autobahnknotenpunkte im Rhein-Main-Raum verflechtungsfrei umbauen – mit den Mitteln des „Aufbaus West“ selbstverständlich, der ja auch irgendwann einmal kommen muss. „Nachholbedarf“ nennen wir das im Erhaltungsmanagement.
Bild 7: Kleeblattpatent von Arthur Hale, aus [22
Bild 8: Übergreifen eines Staus auf die Gegenrichtung (schematisch)
Aber wie geht es weiter mit dem deutschen Autobahnnetz? Da muss ich auf die „Strecke“ zurückkommen. Wenn wir weiterhin unsere Autobahnstrecken mit immer neu dazwischen geschalteten Anschlussstellen zerstückeln, haben wir schließlich ein „bundesweites Stadtautobahnnetz“, das keine Fernverkehrsfunktion mehr übernehmen kann. Während wir einen planfreien Knotenpunkt durch entsprechenden baulichen Aufwand in seiner Kapazität um Größenordnungen aufrüsten können, haben wir für die Verechtungsstrecke zwischen zwei eng aufeinander folgenden Knotenpunkten nur eine bauliche Abhilfe: die „verschränkten Rampen“, und für eine Folge solcher kurzen Knotenpunktsabstände überhaupt kein bauliches Abhilfemittel. Das haben wir in den neuen RAA darzustellen versucht.
Die Devise für den Autobahnbau lautet deswegen: ausreichend lange Zwischenstrecken zwischen den Knotenpunkten, damit sich der Verkehr „in Ruhe“ sortieren kann, und Knotenpunktformen möglichst ohne knotenpunktsinterne Verechtungsstrecken!
7 Sicherung der Funktionsfähigkeit
Ich komme zu einem heiklen Thema, dass ich einmal „Sicherung der Funktionsfähigkeit unserer Straßenverkehrsanlagen“ nennen möchte. Deutschland in der Mitte Europas erstickt im Straßenverkehr. Aus verschiedenen Gründen kommt der Straßenbau nicht nach. Die Gesamtauslastung des Straßennetzes wächst stetig. Um mit den vorhandenen Straßenanlagen den gestiegenen Verkehr zu bewältigen, muss man das Straßennetz immer häufiger an der Kapazitätsgrenze betreiben. Überschätzt man aber die Kapazitätsgrenze, so kommt es zum Verkehrszusammenbruch – und nichts geht mehr. Ihn zu vermeiden, hilft uns die Telematik mit ihren Verkehrsbeeinflussungsanlagen. Bekanntlich lässt sich damit die Kapazität einer bestehenden Strecke jedoch nicht vergrößern.
Diese Zusammenhänge sind natürlich nicht neu. Neu ist aber, dass irgendwelche Reserven – zeitlich oder räumlich –, die im Notfall genutzt werden könnten, immer mehr schrumpfen. Damit wächst die Wahrscheinlichkeit, dass ein Zusammenbruch – wenn er dann eben doch einmal eintritt – sich zum flächendeckenden GAU ausweiten kann. Wenn man die letzten Reserven in einem bestehenden Straßennetz aktiviert (Standstreifenfreigabe, gleichmäßig hohe Auslastung von Parallelrouten durch Leitsysteme usw.), dann wird der Notfall immer folgenschwerer, die Auflösung einer Stauung immer langwieriger – da muss noch nicht einmal ein schwerer Unfall passiert oder die „Winterkatastrophe“ eingetreten sein.
Was wir also dringend brauchen, um dieser gefährlichen, selbstverstärkenden Spirale zu entgehen, ist ein telematisches System, das für das Straßennetz den gleichen Überlastungsschutz gewährleistet wie die Sicherung für eine elektrische Leitung; denn das Straßennetz hat eine fatale Eigenschaft: Die Straße ist ihr eigener Stauraum, ihr eigener „Wartesaal“. Ein Stau wegen eines lokalen Engpasses kann einen ganzen, eigentlich intakten Netzbereich lahmlegen – eine maßlose Verschwendung des knappen, mit Steuermitteln gebauten Wirtschaftsgutes Straße.
8 Wegekosten
Zum Schluss komme ich auf einen verkehrshistorischen Dauerbrenner: die gerechte Beteiligung der Straßennutzer an den Wegekosten – „Wegekostenallokation“ nennen es die Volkswirte. Nach deutschem Straßenrecht soll der Straßenverkehr je nach Fahrtweite die jeweils angemessene Straßenklasse in der Netzhierarchie benutzen: Je weiträumiger eine Fahrt ist, eine desto ranghöhere Straßenklasse soll befahren werden. Soweit die Theorie. Hält sich der Kraftfahrer nicht an diese Konvention, fährt er z. B. „Schleichwege“, so ist das im Allgemeinen nicht strafbar – der in allen Straßengesetzen verankerte „Gemeinbrauch“ macht es möglich. Abgesehen von den Umweltfolgen, führt dieses Fehlverhalten auch noch zu einer Verzerrung der politisch austarierten Finanzströme, die von den Einnahmequellen Mineralölsteuer und Kfz-Steuer zu den einzelnen Straßenbaulastträgern fließen: Der Baulastträger einer rangniedrigen Straße, die häufig als Schleichweg genutzt wird, erhält zu wenig Erhaltungsmittel, der Straßenbaulastträger der ranghöheren Straße, die die Schleichwegfahrer eigentlich benutzen sollten, wird vom Unterhaltungsaufwand entlastet. Um solche Verzerrungen zu korrigieren, gab es immer wieder „wilde“ Umstufungsaktionen und Ansätze zu solchen – bis hin zu dem Gerücht, dass der Bund sich aus der Baulast der Bundesstraßen ganz zurückziehen will.
Wie könnte man hier zu einer wenigstens finanziell gerechteren Lösung kommen? Mit einer durchgängigen Erfassung der Fahrt vom Start- bis zum Zielpunkt mit allen unterwegs benutzten Netzabschnitten könnte man eine genaue Anlastung der Straßenbenutzungsentgelte und eine straßenklassenscharfe Zuteilung nach den Hierarchiegrundsätzen an die einzelnen Baulastträger erreichen: also Abrechnung der real gefahrenen Strecke und Route (so, wie das der ÖPNV-Fahrgast mancherorts schon mit der Chipkarte machen kann) sowie Zuordnung zu den Straßenbaulastträgern der jeweils betroffenen Straßenabschnitte. Die ausgeklügelte Technik des Toll Collect Systems würde das ohne weiteres ermöglichen. Wenn man noch einen Schritt weiter ginge, könnte man sogar eine belastungsabhängige Gebührenstaffelung für stark befahrene Streckenabschnitte einführen und hätte damit eine Möglichkeit der Nachfragesteuerung für Brennpunkte im Straßennetz.
Wir müssen ja folgendes bedenken – und da muss ich noch einmal einen Vergleich aus der Elektrizitätstechnik bemühen: Man kann das Leistungsangebot einer Straßenverkehrsanlage nicht speichern, die erforderliche Kapazität muss im Moment der Nachfrage bereitstehen, ungenutzte Kapazität ist unwiederbringlich verloren. Eine Art „Nachtstromtarif der Lkw-Maut“ bei drastischer Gebührenerhöhung für die Spitzenstunden würde sicher eine willkommene Entlastung untertags zugunsten des Pkw-Verkehrs bringen.
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