FGSV-Nr. FGSV 001/26
Ort Bremen
Datum 28.09.2016
Titel Integration der Substanzbewertung in die Erhaltungsplanung
Autoren Univ.-Prof. Dr. Ing. Ulf Zander
Kategorien Kongress
Einleitung

Die Ermittlung einer voraussichtlichen Restnutzungsdauer von Verkehrsbefestigungen und somit der Abschätzung des Eingreifzeitpunktes für eine grundhafte Erneuerung ist ohne die Kenntnis der strukturellen Substanz nur sehr unzureichend zu bewerkstelligen. Mit Vorliegen des Entwurfes zu den ,,Richtlinien zur Bewertung der strukturellen Substanz des Oberbaus von Verkehrsflächen in Asphaltbauweise" (RSO Asphalt) ist zwar ein hierfür nutzbares Verfahren verfügbar, allerdings basiert dieses auf der Analyse von Laborversuchen an den aus Streckenabschnitten zu entnehmenden Bohrkernen, wodurch eine netzweite Anwendung nicht praktikabel ist. Um trotzdem einen umfassenden Einsatz zu ermöglichen und eine deutliche Verbesserung gegenüber bisherigen Verfahren herbeizuführen, können aber begründete Annahmen zu den Materialkennwerten getroffen werden. Alle weiteren Eingangsdaten des Verfahrens decken sich mit denen des bisherigen. Deren Vollständigkeit und Plausibilität muss zukünftig mehr Bedeutung zugemessen werden.

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1 Wie lang hält eine Straße?

Die vom Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, eingesetzte Expertenkommission unter der Leitung des Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Prof. Fratzscher, hat im Frühjahr 2015 ihren ,,Bericht mit konkreten Handlungsempfehlungen zur Stärkung privater und öffentlicher Investitionen in Deutschland" vorgelegt. Die Verkehrsinfrastruktur nimmt darin den zentralen Schwerpunkt ein, und die Kommission geht mit diesem Bereich offen und nicht sehr gnädig um. So bescheinigt sie ,,große Probleme bei der Erhaltung der öffentlichen Infrastruktur" und konkretisiert, dass ,,insbesondere im Verkehrssektor aufgrund des anhaltenden Investitionsstaus dringender Handlungsbedarf besteht". Sie kritisiert darüber hinaus jedoch auch, dass die Straßenbauverwaltung den Bau- und Erhaltungsprozess nicht als Einheit sieht und somit die Verkehrsinfrastruktur nicht hinreichend wirtschaftlich betreibt. Hierzu verweist die Kommission auf eine umfassende Befragung des BMWi von Finanzverantwortlichen in ganz Deutschland hin, aus der hervorging, dass nur in 6 % der Kommunen ,,immer" und in 33 % der Kommunen ,,im Regelfall" detaillierte Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchgeführt werden. Hierbei ist von besonderer Bedeutung, dass die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, die stattfanden, nur in jeder dritten Kommune den Lebenszyklus der Straße berücksichtigten.

Bei einer genaueren Betrachtung des aktuellen Wissensstands zu einer wirtschaftlichen Bewertung von Straßenbefestigungen über den Lebenszyklus hinweg kommt man jedoch recht schnell zu dem ernüchternden Ergebnis, dass zu den maßgeblichen Eingangsgrößen für ein solches Verfahren die Kosten und die (Rest-)Nutzungsdauern gehören und dass hierzu nur sehr unzureichende Daten vorhanden sind. Allein zur voraussichtlichen Nutzungsdauer einer Straße findet man in den ,,Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen" (RStO) (FGSV, 2012) eine Größenordnung von 30 Jahren, während die ,,Richtlinien für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Straßenbefestigungen" (RPE-Stra) (FGSV, 2001) von einer Spanne zwischen 55 bis 80 Jahren (Asphalt) bzw . 26 bis 30 Jahren (Beton) ausgeht. Eine Befragung von Ansprechpartnern aus den obersten Straßenbaubehörden der Länder aus dem Jahr 2006 wiederum hat ergeben, dass dort die Nutzungsdauer in einer Größenordnung von 14 bis 30 Jahren (Asphalt) bzw . 24 bis 42 Jahren (Beton) eingeschätzt wird. Die große Spannweite der geschätzten Nutzungsdauern und die sich teilweise widersprechenden Relationen sprechen klar gegen einen Einsatz dieser Daten in einem Verfahren für die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von Straßenbefestigungen über den Lebenszyklus hinweg. Sie offenbaren aber gleichzeitig, dass ein empirischer Ansatz, wie er in fast allen Bereichen des Straßenbaus noch täglich angewendet wird, zumindest in dieser Weise nicht zeitgemäß ist.

Grundsätzlich stellt sich bereits hier die Frage, warum wir keine genaueren Kenntnisse über die tatsächlichen Nutzungsdauern von Straßenbefestigungen oder deren Schichten besitzen. Es ist beklagenswert, dass in einem hochtechnisierten Industriestaat wie Deutschland auch heute noch keine Datenbanken existieren, die hierüber Auskunft geben können. Vielerorts sind selbst Aufbaudaten nicht oder nur in unplausibilisierter Form vorhanden. Wenn also Straßenerhaltung ab sofort eine deutlich wichtigere Rolle einnehmen soll – ­ und hierfür sind alle Weichen gestellt – ­ dann ist es höchste Zeit, Systeme zu entwickeln und zu etablieren, die diesen Prozess wirtschaftlich zu gestalten in der Lage sind.

So einfach sich diese Forderung anhört, so komplex und anspruchsvoll sind die damit verbundenen Aufgaben. In den zurückliegenden mehr als zwanzig Jahren haben sich nur vergleichsweise wenige Fachleute mit der Straßenerhaltung beschäftigt, und ihnen ist es zu verdanken, dass heute umfangreiche, flächendeckende Daten zum Zustand der Bundesfernstraßen über einen langen Zeitraum hinweg existieren. Sie stellen das Kernelement der heutigen Erhaltungsplanung dar, wie sie in den RPE-Stra beschrieben wird.

2 Bisherige Berücksichtigung der Substanzbewertung in der Erhaltungsplanung

Die Daten der Zustandserfassung und -bewertung liefern jedoch praktisch keine Aussage dazu, wie lange eine gesamte Straßenbefestigung zu einem bestimmten Zeitpunkt noch nutzbar sein kann. Alle aufgenommenen Daten ­ – die horizontale und vertikale Ebenheit, die Griffigkeit und die Substanz (Oberfläche) – ­ beschreiben lediglich die aktuelle Ausprägung des Zustandsmerkmals im Hinblick auf die Fahrbahnoberfläche. Die Prognose des Zustands der Fahrbahnoberfläche erfolgt über Verhaltensfunktionen für unterschiedliche bisherige Entwicklungen des jeweiligen Kennwerts. Dass hier im weiteren Verfahren des Pavement Management Systems (PMS) die Substanz (Oberfläche) häufiger genutzt wird, um den Ausfall der Befestigung und damit die Erfordernis einer grundhaften Erneuerung abzuschätzen, entspringt keiner fachlich haltbaren These und führt zudem zu wenig nutzbringenden Ergebnissen (Bild 1).

Bild 1: Standardverhaltensfunktionen für den Zustandswert Substanz (Oberfläche) in Bezug auf das Merkmal Risse (FGSV, ,,Richtlinien für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Straßenbefestigungen" (RPE-Stra), 2001)

Hauptsächlich wird jedoch der Substanzwert (Bestand) für den Ausfall der Gesamtbefestigung genutzt . Für seine Bestimmung wurde bereits im Jahr 2003 das im Arbeitspapier Nr. 9/S zur Erhaltungsplanung (FGSV, Arbeitspapier Nr. 9/S zur Erhaltungsplanung – ­ Reihe S: Substanzwert (Bestand), 2003) dokumentierte Verfahren entwickelt. Bei diesem Verfahren handelt es sich jedoch lediglich um eine Abschreibung der Befestigung, die in Form einer fiktiven Dickenminderung für die einzelnen Schichten umgesetzt wird. Eingangs wird ein erforderlicher Dickenindex ermittelt, dessen Wert vom Verformungsmodul Ev2 auf dem Planum und einer belastungsklassenabhängigen Ausgangsdicke abhängig ist. Mit fortschreitender Nutzungsdauer der Verkehrsbefestigung wird dieser Dickenindex Schicht für Schicht allmählich abgemindert. Aus dem Verhältnis des vorhandenen zum erforderlichen Dickenindex ergibt sich der so genannte Bemessungsindex BI, der wiederum über eine Normierungsfunktion (Bild 2) in den Substanzwert (Bestand) umgerechnet werden kann.

Die Herangehensweise des Arbeitspapiers muss in Bezug auf die Bewertung der strukturellen Substanz als zumindest unzulänglich angesehen werden. Für eine schlichte Abschreibung über eine pauschal festgelegte Nutzungsdauer der Befestigung bedarf es wohl kaum eines eigenen Regelwerks, das zudem auch die Schichten, die hinsichtlich der Substanz nicht unter Verkehrsnutzung leiden, trotzdem mit einer diesbezüglichen Schädigung versieht. Allerdings gilt auch hier, dass ein über die schlichte Abschreibung hinausgehendes Verfahren für die Substanzbewertung von Verkehrsnetzen derzeit nicht verfügbar ist, und dass damit ein solchartiges Vorgehen bislang häufig zumindest besser ist, als die Substanzschädigung komplett zu ignorieren.

Bild 2: Standardverhaltensfunktion zur Bestimmung des Substanzwerts (Bestand) aus dem Bemessungsindex (FGSV, Arbeitspapier Nr. 9/S zur Erhaltungsplanung ­ Reihe S: Substanzwert (Bestand), 2003)

Während die Bewertung der strukturellen Substanz im Rahmen des Pavement Management Systems zumindest Berücksichtigung findet, klammern offenbar viele Straßenbauverwaltungen der Bundesländer diese aus. Ob dann, wenn ein konkreter Streckenabschnitt für eine Erhaltungsmaßnahme vorgesehen ist, die strukturelle Substanz relevant sein kann, entscheiden die Länderverwaltungen ­ wenn überhaupt ­ aufgrund der bisherigen Nutzungsdauer oder auf der Basis einer persönlichen Einschätzung des Straßenzustands. Oft festigt sich dieser Eindruck jedoch erst im Verlauf der eigentlichen Maßnahme, wenn nämlich beispielsweise Deck- und Binderschicht abgefräst wurden und die Beschaffenheit der substanziell relevanten Asphalttragschicht offenkundig wird. Dann sind kurzfristige Entscheidungen und eventuelle Auftragserweiterungen gefragt. Ein solches Verhalten entspricht aber sicher keinem strukturierten Vorgehen im Rahmen einer Erhaltungsplanung sondern offenbart nur das Kernproblem, dass nämlich kein Substanzbewertungsverfahren vorhanden ist und somit keine wirtschaftliche und bautechnische Planung über den Lebenszyklus aufgestellt werden kann.

Für konkrekte Streckenabschnitte mit Bauweisen aus Asphalt liegt zwischenzeitlich jedoch der Entwurf zu den ,,Richtlinien zur Bewertung der strukturellen Substanz des Oberbaus von Verkehrsflächen in Asphaltbauweise" (RSO Asphalt) (FGSV, Entwurf 2014) vor. Entscheidende Vorteile gegenüber dem Verfahren des Arbeitspapiers 9/S sind, dass hiermit eine Bewertung auf der Grundlage des tatsächlichen Lastfalls und der daraus abzuleitenden Schädigung vollzogen wird und dass darin das tatsächlich vorliegende Material, der Schichtenverbund, die Verkehrsbelastung und die regionalen Klimaverhältnisse Berücksichtigung finden. Mit dem sich an den ,,Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschicht" (RDO Asphalt) (FGSV, 2010) orientierenden Verfahren liegt zwar eine nach heutigem Wissensstand schlüssige Herleitung der Substanzschädigung vor, allerdings ist die hierfür erforderliche Entnahme von Bohrkernen und die Prüfung der daraus zu gewinnenden Probekörper im Labor so aufwändig, dass eine Anwendung auf Objektebene beschränkt sein muss.

3 Weitergehende Überlegungen

Im Umkehrschluss bedeutet diese Aussage jedoch auch, dass eine Anwendung der Schädigungstheorie, die bei der rechnerischen Dimensionierung (RDO Asphalt) bzw. Substanzbewertung (RSO Asphalt) verwendet wird, auch auf Netzebene möglich wäre, wenn zumindest die Bohrkernentnahme umgangen werden könnte. In diesem Fall müssten die Aufbau- und Schichtdicken und vor allem die Materialkennwerte auf anderem Weg ermittelt werden. Während die Dicken relativ einfach durch Georadarmessungen detektiert werden könnten, stellt das zerstörungsfreie Bestimmen der das Substanzverhalten beschreibenden Kenndaten ein gravierendes Problem dar. Mehrere von der Bundesanstalt für Straßenwesen im Rahmen eines Innovationsprogramms jüngst beauftragte Forschungsprojekte erbrachten hierfür zwar erste Ansatzpunkte, zeigten jedoch auch auf, dass ein zielführender Entwicklungsprozess allenfalls am Anfang steht.

Als die substanzbeschreibenden Materialkennwerte gelten heute bekanntermaßen die Steifigkeit der im Aufbau befindlichen Asphaltschichten sowie die Ermüdungsfunktion der am meisten beanspruchten Asphaltschicht, was zumeist die unterste Asphalttragschichtlage ist. Im Bewertungsverfahren werden alle auf der betrachteten Straßenbefestigung verkehrenden Achslasten bei den aus dem für die betreffende Region charakteristischen Klima resultierenden Temperaturen angesetzt und die Beanspruchungen an den relevanten Punkten ­ maßgeblich an der Unterseite des Asphaltaufbaus ­ aus den Steifigkeiten und Schichtdicken mit Hilfe der Mehrschichtentheorie errechnet. Jede hier auftretende Spannung bzw. Dehnung verursacht ein Schädigungsinkrement, das sich aus der schichtspezifischen Ermüdungsfunktion ableiten lässt. Nach der Miner-Hypothese ist mit dem Ausfall der Befestigung zu rechnen, sobald sich alle Schädigungsanteile auf ,,1" summieren.

Für Straßenaufbauten mit einer Betondecke existiert derzeit leider kein anwendungsreifes Verfahren für die Substanzbewertung. Aktuell laufen verschiedene Forschungsprojekte, die einen geeigneten Ansatz auf der Grundlage von Materialkennwerten erarbeiten sollen, um damit eine RSO Beton erstellen zu können.

Tragfähigkeitsmessungen werden im Rahmen der RSO Asphalt lediglich für die Ermittlung von Grenzen zwischen strukturell homogenen Abschnitten herangezogen, sie dienen hier also allein der Einteilung einer Strecke hinsichtlich der Substanz als gleichwertig anzusehende Bereiche. Die zugehörigen, im Labor ermittelten Materialkennwerte sind somit nur für den betreffenden homogenen Abschnitt und nicht für die angrenzenden verwendbar. Für diese Abgrenzung werden weitere Faktoren wie ein Aufbau- oder Materialwechsel oder eine deutliche Veränderung der Verkehrsbelastung herangezogen.

Leider lassen bisherige Forschungsergebnisse zur Entwicklung der Tragfähigkeit über die Nutzungsdauer hinweg nur den Schluss zu, dass dieser Wert für eine Bestimmung der strukturellen Substanz und damit zur Restnutzungsdauer nicht geeignet ist. Dies liegt zum einen daran, dass sich die Tragfähigkeit der Befestigungen unter der fortwährenden Verkehrsbelastung offenbar nicht verändert, zum anderen ist aus den Werten der Einfluss der Alterung zum Prüfzeitpunkt gegenüber anderen Einflüssen quantitativ nicht abzugrenzen. Eine hohe oder niedrige Tragfähigkeit einer Straßenbefestigung ist somit kein Indikator für eine noch lange oder kurze Restnutzungsdauer.

Gleichwohl erscheint es nicht abwegig, aus der Tragfähigkeit einen Steifigkeitswert für die gebundenen oder auch ungebundenen Schichten abzuleiten – ­ schließlich sind beide Größen Verhältniswerte einer Belastung zu einer resultierenden Dehnung. Auf diese Weise wäre beispielsweise mit einem Falling Weight Deflectometer zumindest ein für die Substanzbewertung wichtiger Materialkennwert zerstörungsfrei bestimmbar, und bei einem Einsatz eines Traffic Speed Deflectometers (TSD) würde dies sogar schnellfahrend ermöglicht werden. Hierzu sind aber genaue Kenntnisse über Arbeitsweise der Messverfahren und eine auf die Ergebnisgröße abgestimmte Auswertung unabdingbar.

Die Bundesanstalt für Straßenwesen beschafft u. a. aufgrund dieser Überlegungen derzeit das multifunktionale und schnellfahrende Messfahrzeug MESAS. Das Multifunktionale Erfassungssystem zur Substanzbewertung und zum Aufbau von Straßen basiert auf dem Traffic Speed Deflectometer, wird darüber hinaus aber auch mit einem Kamerasystem, einem Messsystem für die Quer- und Längsebenheit und einem Georadar ausgestattet sein. Es handelt sich hierbei nicht um ein Fahrzeug, das für die Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) eingesetzt werden soll, sondern um ein Forschungsfahrzeug, das Fortentwicklungen auf dem Gebiet der Substanzermittlung unterstützen wird. Die Erfassung der Ebenheiten und des Oberflächenbildes dient also lediglich der Interpretation der Messwerte durch Integration der Randbedingungen am Messpunkt.

Bild 3: Traffic Speed Deflectometer (TSD) des Road and Bridge Research Institute in Warschau

Mit Hilfe des MESAS wird in einem ersten Schritt die Bildung der strukturell homogenen Abschnitte angegangen. Durch die gleichzeitige Aufnahme der Schichtdicken mit dem Georadar und der Tragfähigkeit sollte dieser notwendige Bearbeitungsschritt bei der Bewertung der strukturellen Substanz deutlich vereinfacht und beschleunigt werden. Zudem könnte auf diese Weise das bestehende Vorgehen im Rahmen des Pavement Managements, das lediglich Aufbaudicken und Schichtarten im Hinblick auf eine Gleichwertigkeit aufzuarbeiten versucht, abgelöst werden . Der Vorteil eines neuen, auf einer Steifigkeit basierenden Herangehensweise besteht vor allem darin, dass auf diese Weise für die gebildeten strukturell homogenen Abschnitte Material- bzw. Aufbaukennwerte vorliegen, die eine Ermittlung der Spannungen und Dehnungen an den maßgeblichen Versagenspunkten ermöglichen.

Sollte sich eine Bestimmung der Steifigkeiten aus Tragfähigkeitsmessungen als zu schwierig erweisen, könnte auch eine Berechnung dieses Kennwerts aus der Materialzusammensetzung angedacht werden. Francken und Verstraeten haben bereits vor mehr als 40 Jahren den Versuch unternommen (Francken & Verstraeten, 1974), aus den Bindemitteldaten, der Korngrößenverteilung und dem Verdichtungszustand die Steifigkeit von Asphalt abzuschätzen. Hierzu hatten sie umfassende zyklische Versuche durchgeführt und konnten schließlich Formeln vorstellen, die ebendies mit einer Streuung von etwa 20 % liefern konnten. Zwar haben wiederholte Vergleiche aktueller Versuchsergebnisse mit nach dem Verfahren von Francken und Verstraeten berechneten Werten ergeben, dass nicht immer sinnvolle Zusammenhänge gefunden werden konnten, und darüber hinaus ist bekannt, dass die Formeln nur für unmodifizierte Straßenbaubitumen angewendet werden dürfen, trotzdem sollte hier Potenzial vorhanden sein, durch weitergehende Forschung die rechnerische Ermittlung der Steifigkeit fortzuentwickeln.

Die dritte Möglicheit der zerstörungsfreien Steifigkeitsbestimmung besteht in der Einleitung von physikalischen Wellen in den Straßenaufbau und der Interpretation der Impedanz oder der Wellengeschwindigkeit. Die grundsätzliche Machbarkeit konnte in einem Forschungsprojekt (Hübelt, et al., 2016) dargestellt werden, hier wären jedoch noch weitergehende Untersuchungen im größeren Umfang erforderlich, um das Verfahren zu einer eventuellen Praxisanwendung zu ertüchtigen.

4 Erfordernisse eines zeitgemäßen Erhaltungsmanagements

Wie ausgeführt konzentriert sich die aktuelle Herangehensweise bei der Erhaltungsplanung von Straßen in Ermangelung weiterer Kenntnisse auf die Interpretation des Zustands der Fahrbahnoberfläche. Dabei wird eine Bewertung der strukturellen Substanz derzeit nicht vollzogen. Wenn überhaupt eine Abschätzung der Restnutzungsdauer der Gesamtbefestigung Beachtung geschenkt wird, findet dies entweder durch eine unsichere Interpretation des Fahrbahnoberflächenzustands oder durch eine schlichte Abschreibung über eine pauschal angesetzte Nutzungsdauer statt. Um Letzteres vollziehen zu können, sind neben den Verkehrsdaten auch Aufbaudaten unbedingt notwendig, in vielen Fällen aber nicht verfügbar. Da dies die Anwendbarkeit nicht nur der bestehenden, sondern auch aller zukünftigen Verfahren zur Substanzbewertung verhindert, sollte hier der Aufwand zur Verbesserung der Datenverfügbarkeit nicht gescheut werden. Durch die Beschaffung des Forschungsfahrzeugs MESAS und durch unterstützende Forschung zur Automatisierung der Auswertung von Georadarmessungen (BASt, 2016) kann hierzu ein wesentlicher Beitrag geliefert werden.

Es bleibt jedoch beklagenswert, dass solche wie auch viele weitere Daten in Programmsystemen abgelegt werden, die noch immer nicht länderübergreifend kompatibel arbeiten und somit eine bundesweite Sicht nur mit sehr hohem Aufwand ermöglicht werden kann. Rechenläufe im Rahmen des Pavement Managements bedingen nach wie vor umfangreiche Vorarbeiten zur Herstellung einer einheitlichen und qualitatitv ausreichenden Datenlage.

Um aber eine effektive und zeitgemäße Erhaltungsplanung tatsächlich umsetzen zu können, ist eine Datenverfügbarkeit selbstverständliche Voraussetzung. Diese ist für die Daten der Zustandserfassung und -bewertung vorhanden, ein Erhaltungsmanagement benötigt aber eben auch den Zugriff auf besagte Aufbau- und Verkehrsdaten und zukünftig – ­ wie dargelegt – auf weitere Materialdaten (Zusammensetzung, Qualität, Substanz) . Die fortschreitende Digitalisierung ist in vielen Wirtschaftsbereichen längst angekommen, während im Straßenbau zumindest auf der Verwaltungsseite offensichtliche Defizite bestehen. Vielleicht liegt ein Grund für diesen Zustand darin, dass das Potenzial solcher Datenbanken noch gar nicht vollumfänglich erkannt wird. Bislang dienen diese Systeme offenbar vor allem der Informationsablage und -abfrage, und sie werden noch nicht dazu genutzt, die wirklich wichtigen Fragen für einen wirtschaftlichen und qualitativen Fortschritt zu lösen: ­

– Wie lange halten Straßen bzw. deren Schichten? ­

– Welche baulichen Maßnahmen sind die wirtschaftlichsten über den Lebenszyklus? ­

– Wo versagen Schichten und Befestigungen früher bzw. später als erwartet und welches sind die Ursachen für eine mangelhafte bzw. besonders gute Zustandsentwicklung? ­

– Mit welchen Veränderungen sind Straßen zukünftig dauerhafter und wirtschaftlicher zu bauen und zu erhalten?

Der Nutzen einer umfangreicheren und konsistenten Datenhaltung liegt also längerfristig weniger darin, diese Informationen überhaupt zu besitzen –­ ein Ansatz, den beispielsweise das Building Information Modelling (BIM) verfolgt –­ als darin, dass sie die Grundlage für zukunftsweisende Auswertungen liefert. Neben der Erhaltungsplanung durch die Straßenbauverwaltung sind hier vor allem Forschungseinrichtungen angesprochen, die aus Schadensbildern und Material- bzw . Aufbaudaten Ursachen ermitteln und Lösungsansätze für deren Behebung und für qualitative und wirtschaftliche Verbesserungen für die Zukunft entwickeln können.

Daten zur Beschreibung der strukturellen Substanz sind hier von großer Bedeutung, da die Abschätzung der Restnutzungsdauer der gesamten Straßenbefestigungen starken Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit der Infrastruktur hat (Wellner, Zander, Dragon, Birbaum & Buch, 2013). Zudem nehmen entsprechende Schäden auf dem Verkehrswegenetz seit geraumer Zeit zu, wie die Auswertungen der Zustandserfassung und -bewertung deutlich aufzeigen. Mit der Verfügbarkeit eines steifigkeitsbeschreibenden Kennwerts wäre ein erster Schritt in Richtung Berücksichtigung der strukturellen Substanz angegangen. Da dieser Wert netzweit bereitgestellt werden muss, bedingt dessen zerstörungsfreie Bestimmung, was nur mit schnellfahrenden Messfahrzeugen oder mit einer theoretischen Herleitung möglich sein wird. Es ist deshalb zu erwarten, dass diese Ergebnisse in ihrer Genauigkeit nicht mit der aus Laborversuchen zu vergleichen sein werden.

Mit der Bereitstellung einer Steifigkeit allein ist aber ­ – wie bereits erwähnt ­ – eine Restnutzungsdauerabschätzung nicht möglich, hierfür ist auch das Ermüdungsverhalten des Materials anzusetzen. Für die Bestimmung der Ermüdungsfunktion stehen heute und auch wahrscheinlich in näherer Zukunft keine Alternativen zur Ansprache durch Laborversuche zur Verfügung. Da aber aus den mittlerweile vielfachen Anwendungen der rechnerischen Dimensionierung umfangreiche Daten über reale Ermüdungsfunktionen vorliegen, könnten für die Substanzbewertung zunächst gute, mittelmäßige und schlechte Verhaltenskurven definiert werden. So wie die in den RDO Asphalt festgelegten Referenzasphalte für die Dimensionierung ein Qualitätsniveau in Bezug auf die in den RStO (FGSV, 2012) aufgeführten Bauweisen festlegen, würden hiermit Grenzen zwischen verschiedenen Qualitätsklassen gezogen werden. Aus Material- und Einbaudaten sowie vielleicht auch aus der Zustandserfassung und -bewertung könnte dann eine qualitative Einteilung der Streckenabschnitte eines Netzes in Kategorien und eine Zuweisung zu den entsprechenden Ermüdungsfunktionen erfolgen.

Aufgrund der genannten Annahmen für ein solches System der netzweiten Substanzbewertung kann die Restnutzungsdauerbestimmung nur eine Abschätzung des voraussichtlichen Eingreifzeitpunktes darstellen. Dies gilt jedoch für das in der Anwendung befindliche System im Pavement Management im noch erheblich größeren Maß. Hier werden praktisch alle Asphaltbefestigungen unabhängig von ihrer Materialzusammensetzung, von der Einbauqualität, der Verkehrsbelastung und den Klimaverhältnissen schlicht über einen fest definierten Nutzungszeitraum abgeschrieben. Wenn man weiß, dass aus rechnerischen Dimensionierungen für Bauweisen mit gleichen Befestigungsdicken und allein mit einer Variation der Asphaltzusammensetzung Nutzungsdauern von 15 und bis zu über 40 Jahren ermittelt werden, lässt sich das Potenzial eines fortentwickelten Verfahrens leicht erahnen.

Da es sich bei dem weit überwiegenden Anteil an Bundesautobahnen um Befestigungen der Belastungsklasse Bk100 handelt, steht zu erwarten, dass allmählich immer mehr konkrete Steifigkeiten und Ermüdungsfunktionen für die neu hergestellten oder erneuerten Oberbauten ermittelt werden. Schließlich empfehlen die RStO für diese hohen Verkehrsbelastungen eine Anwendung der rechnerischen Dimensionierung. Niedersachsen setzt als positives Beispiel diesen Vorschlag konsequent um. Für diese Abschnitte ist dann eine deutlich genauere Abschätzung des Substanzverhaltens zu erwarten. Grundsätzlich gilt aber für die Bewertung der strukturellen Substanz auf Netzebene, dass durch das vorgestellte Vorgehen vermeintlich kritische Zustandsfälle detektiert werden sollen, die im Weiteren näher untersucht werden müssen. Es erfolgt damit also eine Auswahl von Abschnitten, für die die aus der Zustandserfassung und -bewertung abgeleitete Erhaltungsplanung nicht ohne Betrachtung der strukturellen Substanz übernommen werden kann. Hier wären zur Klärung der tatsächlichen Verhältnisse zerstörende Versuche, wie sie die RSO Asphalt vorsehen, durchzuführen und zu analysieren.

5 Schlussfolgerungen

Die im Bericht der vom Bundesminister für Wirtschaft und Energie beauftragten Kommission formulierte Kritik an den bestehenden Verhältnissen im Straßenbau und die daraus abgeleiteten Forderungen sind weder unzutreffend, noch neu. Trotzdem haben sich über einen langen zurückliegenden Zeitraum hinweg keine entscheidenden Veränderungen der Zustände eingestellt. Hierfür gibt es durchaus triftige und nachvollziehbare Gründe. So sind der Aufbau und die Pflege von umfassenden Datenbanken sehr personalintensiv, was bei den gegebenen Randbedingungen in den Straßenbauverwaltungen praktisch nicht zu leisten ist. Darüber hinaus erfordert eine Wirtschaftlichkeitsbewertung von Bau- und Erhaltungsmaßnahmen des Straßenbaus Verfahren, mit denen eine Prognose des Zustands geleistet werden kann. Die hierfür zur Verfügung stehenden Werkzeuge sind für die Substanzbewertung aktuell praktisch nicht anwendbar und für die Zustandswerte der Fahrbahnoberfläche recht ungenau. Bestehende Verfahren (Ressel, Tejkl & Klöpfer, 2013) zur Wirtschaftlichkeitsbetrachtung über den Lebenszyklus hinweg können aufgrund dieser Unzulänglichkeiten nicht angewendet werden. Mit der Implementierung des Materialverhaltens und einer Berücksichtigung der zukünftigen Verkehrsbelastungen und Klimaverhältnisse besteht die Aussicht, die Prognose des Substanzverhaltens und damit die Abschätzung der Restnutzungsdauer der Straßenbefestigungen erheblich praxistauglicher vollziehen zu können. Ein ähnliches Vorgehen wäre auch für die Zustandskennwerte der Fahrbahnoberfläche denkbar und wünschenswert.

Literaturverzeichnis

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