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1 Einführung
Die Freie Hansestadt Bremen ist ein Bundesland, bestehend aus den Städten Bremen und Bremerhaven. Die Stadt Bremen mit 550.000 Einwohnern als Zentrum der Metropolregion Nordwest ist gekennzeichnet durch eine heterogene Stadtentwicklung einer Hafen- und Bürgerstadt entlang der Weser.
Im Stadtverkehr wird der Anteil des Radverkehrs mit 25 % am bremischen modal-split mehr als Teil der Alltagskultur und weniger als eine zu fördernde Verkehrsart verstanden; bis 15 km Wegelänge ist das Rad hier i. d. R. schneller als der ÖPNV. Der Fußverkehr muss häufig sehr enge Gehwege nutzen, die nur selten ein Nebeneinandergehen uneingeschränkt neben den Radfahrern ermöglichen. Mitte der 1970er-Jahre wurden drei große Stadtbahnstrecken zur Anbindung von vorhandenen Großwohnsiedlungen in Betrieb genommen. Erst Mitte der 1990er-Jahre wurde dann das Straßenbahnnetz weiter strukturiert ausgebaut. Der Güterverkehr hat vor allem in Verbindung mit den bremischen Häfen eine hohe Bedeutung. Bürgerbeteiligung hat seit den 1970er-Jahren eine hohe Tradition in der Verkehrsplanung; seinerzeit wurde eine Stadtautobahn (,,Mozarttrasse") mit Weserquerung durch urbane Stadtquartiere aufgrund von erfolgreichen Bürgerprotesten verhindert. Das Straßennetz ist gekennzeichnet durch diese Brüche Mitte der 1970er-Jahre; mehrere vierspurige planfrei geführte Zubringer enden zweispurig im Stadtgebiet; ein weiterer Ausbau fand nicht statt und wurde auch nicht forciert. Ein Autobahnringschluss mit Wesertunnel wird, auch unter intensiver Bürgerbeteiligung, seit drei Jahrzehnten geplant und gebaut, eine vierspurige Hochstraße als fragwürdiges Denkmal der autogerechten Stadt zerschneidet die Bahnhofsvorstadt.
Bild 1: Innenstadt von Bremen mit Wallanlagen und Weser, Blickrichtung flußabwärts
Die ,,Hinweise zur Verkehrsentwicklungsplanung" der FGSV waren bereits redaktionell in den letzten Zügen, da wurde in Bremen, wo zuletzt Mitte der 1990er-Jahre ein Verkehrsentwicklungsplan erarbeitet wurde, der Praxistest begonnen. Der gestalterische Wille einerseits und der Wunsch nach Verlässlichkeit der Verkehrspolitik andererseits führten in der Koalitionsvereinbarung Mitte 2011 zur Verankerung der Bearbeitung des VEP.
Zur Besonderheit der Verkehrsentwicklungsplanung ist grundsätzlich anzumerken, dass sie als einzige Planung alle Verkehrsträger, Verkehrsmittel und Verkehrszwecke betrachtet. Die Wechselwirkungen von Maßnahmen bei unterschiedlichen Verkehrsmitteln werden ermittelt und anhand eines Zielsystems bewertet. Der Prognosehorizont liefert eine qualitativ anspruchsvolle Zukunftsbetrachtung. Mängel im Verkehrssystem können somit vor dem Hintergrund zukünftiger Entwicklungsmöglichkeiten identifiziert und Maßnahmen zu deren Beseitigung abgeleitet werden. Dies ist gegenüber anderen sektoralen Fachplanungsverfahren im Verkehrsbereich hervorzuheben, welche die Wechselwirkungen zwischen den Verkehrsmitteln entweder nicht beachten oder ohne Prognosen auskommen wie die Lärmminderungsplanung, die Luftreinhalteplanung oder die ÖPNV- und SPNV-Nahverkehrsplanung.
2 Beginn des Planungsprozesses
Auf Basis der Koalitionsvereinbarung erfolgte der Einstieg ein halbes Jahr nach Beginn der Legislaturperiode. Zu dieser Zeit erforderten einige Großprojekte im Bereich Straßenbahnnetzausbau und Bundesfernstraßen größeren Korrekturbedarf, der die Vorbereitung auf einen VEP aufgrund begrenzter Ressourcen erschwerte. Gerne wären wir als Verkehrsplanung besser auf den VEP-Start vorbereitet gewesen; der Zeitpunkt wurde uns von außen auferlegt. Innerhalb der Koalition wurde im Herbst 2011 seitens der Sozialdemokratie politischer Druck aufgebaut, mit dem Ziel, ein Verkehrskonzept unter Federführung sowohl des von Bündnis 90/Die Grünen benannten Senators für Umwelt, Bau und Verkehr (SUBV) als auch vom SPD geführten Wirtschafts- und Hafensenator (SWAH) zu entwickeln. Hierzu bestand beim SUBV weder ein Interesse, noch wurde diesbezüglich eine Sinnhaftigkeit erkannt; also mussten wir zumindest zeitgleich nach außen agieren: Wir formulierten umgehend eine Presseerklärung und parallel eines Aufstellungsbeschlusses für das zuständige parlamentarische Gremium, die Deputation für Umwelt, Bau, Verkehr, Stadtentwicklung und Energie. Aufgrund dieses Einstiegs, bei dem es um die Federführung und Meinungshoheit nach außen ging, war es nicht überraschend, dass man sich zwischen den Koalitionspartnern in der Ausrichtung anfangs nicht ganz einig war. Der Aufstellungsbeschluss wurde dann auch im Dezember 2011 kurzfristig auf Wunsch einer der beiden Koalitionsfraktionen wieder von der Tagesordnung genommen, dann aber nach ruhigen bilateralen Absprachen wenige Tage vor Weihnachten mit nur geringfügigen redaktionellen Anpassungen auf den Weg gebracht und in der folgenden Sitzung Anfang Januar 2012 einstimmig beschlossen.
3 Wie aktuell ist das Verkehrsmodell?
Zur Berücksichtigung der zentralen Rolle Bremens im Nordwesten deckte der Untersuchungsraum des Verkehrsmodells neben der Stadt Bremen auch die Region Bremen ab. Der Untersuchungsraum umfasst das gesamte Verbundgebiet des Verkehrsverbunds Bremen-Niedersachsen sowie die daran angrenzenden Gebiete.
Wie oben erwähnt, war der Einstiegszeitpunkt unsererseits nicht freiwillig gewählt worden. Im Gegensatz zur optimalen Vorgehensweise nach Lehrbuch fehlte uns Ende 2011 ein aktueller Analyse-Null-Fall (A-0-Fall) für unser Verkehrsmodell. Dieser war noch zu beauftragen. Und ehe der A-0-Fall vorlag, waren wir mitten drin im VEP.
Bild 2: Einzugsbereich des Verkehrsmodells Bremen, Darstellung der Einbindung der Region Bremen Oldenburg Bremerhaven in das Bundesfernstraßennetz und das Schienennetz
Sie wissen: Das Ergebnis des Modellgutachters muss intern auf Plausibilität geprüft werden und das Modell mit den Zähldaten geeicht werden. Die Berechnung des auf dem A-0-Fall aufbauenden Prognose-Null-Fall für den Zeithorizont 2025 mit einem als Basisszenario zu definierenden Maßnahmenset konnte zudem erst erfolgen, als der A-0-Fall abgeschlossen war. Das hat uns Zeit gekostet. Bekanntlich ist es optimal, wenn der A-0-Fall bereits vorliegt und auch die Strukturdatenprognose für den Prognosezeitraum bereits im Modell eingearbeitet ist. Dass der Aufbau eines Verkehrsmodells bzw. die Modellaktualisierung aufgrund des damit verbundenen Personal- und Sachkostenaufwands nur in Verbindung mit der Aussicht auf ein zu beschließendes Planwerk bzw. der Begründung einer großen Verkehrsinfrastrukturmaßnahme aktualisiert bzw. erstmals beauftragt werden kann, da für bloße Datenfortschreibungen selten sechsstellige Beträge aufgewendet werden, ist leider immer noch Teil unserer Planungskultur.
4 Beteiligungskonzept
Die Zeiten, wo Planende Erfolg haben konnten, wenn sie nach drei bis vier Jahren stiller Planungstätigkeit stolz ihre Ergebnisse präsentierten, sind passé. Das Beteiligungskonzept war daher integriert und abgestimmt auf die fachlich erforderlichen Schritte. Wir wollten in jeder Phase den Dialog suchen und uns jeden wesentlichen Schritt des VEP auch politisch legitimieren lassen. Doch zunächst mussten wir das Beteiligungskonzept legitimieren.
Das Beteiligungskonzept (Bild 3) wurde frühzeitig entwickelt und vor Beschlussfassung durch die Deputation am 12. 4. 2012 auf vier Terminen, davon zwei auf Beirätekonferenzen mit je zwei Vertretern aller 22 Stadtteilbeiräte erörtert. Parallel fanden informelle Gespräche mit Fachpolitikern statt.
Bild 3: Beteiligungs- und Prozessablauf in den Bearbeitungsphasen des VEP Bremen
Auf der ersten Beirätekonferenz wurde deutlich, dass wir unser Konzept anpassen mussten, um Konflikte zu minimieren. Hatten wir, um das Verfahren besser steuern zu können, zunächst nur eigene Angebote zu Regionalen Bürgerforen geplant, forderten die Beiräte auch Sitzungen unter eigener Regie in jeder Planungsphase ein. So wurde dann auch verfahren.
In den Planungsphasen 2 bis 5 wurde auf je fünf regionalen Terminen immer am selben Ort und immer mit denselben Zusammenschlüssen von mehreren Beiratsgebieten gemeinsam zunächst ein Regionales Bürgerforum durch uns und einige Wochen später ein Regionalausschuss der Beiräte unter deren Leitung durchgeführt. Wir wollten bürgernah sein, aber auch die gesamtstädtischen, in der Regel weit über einen Stadtteil hinausgehenden Fragestellungen und Maßnahmen in einem entsprechenden Rahmen erörtern. Daher haben wir die Zusammenschlüsse mehrerer räumlich miteinander verknüpfter Beiratsgebiete vorgeschlagen. Bürgerforen allein auf Ebene der Gesamtstadt wären zum einen mit zu weiten Anfahrtswegen verbunden, zum anderen würden auch die Fragen der Stadtteile und somit auch die Fragen der Nahmobilität in einem solchen Format eher untergehen. Bürgerforen auf Beiratsebene hingegen wären weder leistbar gewesen, noch wäre dies der geeignete Ort gewesen, um strategische Fragen des Verkehrs für die Gesamtstadt zu erörtern.
Bild 4: Konzeption des Ablaufschemas für ein Regionales Bürgerforum in der Phase 4
In den Regionalen Bürgerforen (Bild 4) wurde mit einem einführenden Vortrag des Gutachters zur aktuellen Planungsphase mit Fokus auf die jeweiligen Stadtteile begonnen. Dem schlossen sich einzelne, thematisch gegliederte Themenbereiche mit Stellwänden und deren individuelle Erläuterung an. Nach einem Rundgang und Rückmeldemöglichkeiten wurden die Ergebnisse der Diskussion und der Rückmeldungen aus den einzelnen Themenbereichen durch den Moderator als Basis für die anschließende strukturierte Diskussion zusammengefasst.
Einige Wochen später fand dann jeweils der Regionalausschuss unter der Leitung der jeweiligen Beiräte statt, der aber inhaltlich wieder durch die Gutachter und uns bespielt wurde, jedoch mit nur mit einem Vortrag. Anschließend wurde dann durch die anwesenden Stadtteilpolitiker, ggf. auch durch die anwesenden Bürgerinnen und Bürger debattiert. Beschlüsse wurden auf diesen Sitzungen jedoch nie gefasst. Die einzelnen Beiräte haben einige Tage nach ihrem Regionalausschuss in eigenen Sitzungen ihre Stellungnahmen im Rahmen der TöB-Frist beschlossen und uns zugeleitet. Trotzt mehrfacher und wiederholter Einladung fand keine Sitzung eines einzelnen Stadtteilbeirats zum VEP mit unserer Beteiligung statt.
In allen fünf Phasen (Bild 5) wurden die Träger öffentlicher Belange parallel zu den Bürgerforen und Regionalausschüssen beteiligt.
Vor der grundlegenden Abstimmung mit den Beiratsvertretern erfolgte die Konzeption zu den Fragen, wie und in welcher Reihenfolge die Fachleute, die Stadt- und die Stadtteilpolitik, wichtige Verbände, die Träger öffentlicher Belange und die Bürgerinnen und Bürger beteiligt werden sollten. Hierzu erfolgte frühzeitig die Einbindung der verantwortlichen Fachpolitiker auf Ebene der Gesamtstadt, da deren Einverständnis zum Verfahren notwendig ist, um die Öffentlichkeit vor den politischen Gremien zu beteiligen.
Bild 5: Bearbeitungsphasen des VEP Bremen
Das wichtigste Begleitgremium des VEP war der durch den Beschluss vom 12. 4. 2012 legitimierte Projektbeirat (Bild 3). In diesem durch den Verkehrsstaatsrat geleiteten Begleitgremium waren die vier Fraktionen der Bremischen Bürgerschaft, die im Verkehr in Bremen aktiven Verbände, zwei weitere Senatsressorts, wir als Auftraggeber inklusive der Bremer Straßenbahn AG und das Gutachterkonsortium, vertreten durch Planersocietät Dortmund und IVV Aachen zugegen.
Durch die Einbindung in den Projektbeirat war die Politik immer frühzeitig informiert und konnte nachfragen, eingreifen und steuern. Diese frühzeitige Information und Abstimmung erfolgte vertrauensvoll und unter Einhaltung der gemeinsam festgelegten Grundsätze; nie gelangten Unterlagen oder Informationen aus dem Projektbeirat an die Presse. Der Projektbeirat hat in insgesamt 27 Sitzungen inkl. einer Klausurtagung (Bild 6) allen Unterlagen und Inhalten vor der jeweiligen Beteiligungsphase und danach auch jedem Zwischenbericht vor der Deputationsbefassung vorab seine Zustimmung erteilt. Dies führte dazu, dass es in der Deputation und in den Medien keine nennenswerten Auseinandersetzungen zum VEP-Prozess gab.
Der Projektbeirat hat stets um Einstimmigkeit gerungen und diese auch immer erreicht. Er war eine fachlich-poltisch-gesellschaftliche Qualitätssicherung.
Bild 6: Klausur des VEP-Projektbeirats im Fährhaus Fahrge am 7./8. April 2014
Internetbeteiligung wurde bewusst als neuer Weg offensiv durchgeführt. Diese Leistung wurde separat neben der Gutachterleistung vergeben, da zu Beginn des Planungsprozesses noch unklar war, in welcher Form eine zeitgemäße Internetbeteiligung durchzuführen wäre. Die Internetbeteiligung auf www.bremen-bewegen.de hatte ihre Höhepunkte vor allem in der Phase der Chancen- und Mängelanalyse (Bilder 7 und 8), aber auch in der Maßnahmenzusammensetzung des Zielszenarios (Bild 17) führte die interaktive und vereinfachte Aufbereitung zu einer Beteiligung im Netz, die deutlich höher war als in den Bürgerforen. War diese ein wichtiges und hoch beachtetes Signal in der Fachwelt und in der Öffentlichkeit, so muss auch festgestellt werden, dass die Einarbeitung der Ergebnisse der online-Beteiligung nicht einfach war. Es entstand zusätzlich ein hoher Aufwand, um die sinnvollen, aber nicht VEP-relevanten, Hinweise zu filtern und fachlich zu prüfen. Dies ist auf realen Bürgerforen einfacher. Vorab war zudem nicht erkennbar, welche Welle an Beiträgen und Hinweisen uns im Internet in der Phase der Chancen- und Mängelanalyse erreichen sollte.
Bild 7: Kartenansicht der Beiträge
Bild 8: Anzahl und Zuordnung der Beiträge
In den Ergebnissen war die Internetbeteiligung überwiegend deckungsgleich mit denen der Regionalen Bürgerforen. Zudem mussten wir Ängste bei Politikern und Bürgern entkräften, dass die ,,likes" bei vorgeschlagenen Maßnahmen oder genannten Problemen aus dem Internet seitens der planenden Verwaltung 1:1 übernommen würden und somit eine Fokussierung auf besonders internetaktive Stadtteile erfolgen könnte. Dies zeigt aber, dass es wichtig ist, zu Beginn eines Beteiligungsformats auch zu verdeutlichen, wie mit den Ergebnissen umgegangen wird und wie diese in den weiteren Planungsprozess Eingang finden.
In Fortsetzung der Weiterentwicklung der Beteiligungsformen wurde in der Phase der Maßnahmenzusammensetzung des Zielszenarios in sechs Einkaufzentren eine aufsuchende Beteiligung durchgeführt, vor allem in Stadtteilen, deren Bewohnerinnen und Bewohner bis dahin die Beteiligungsoptionen im Internet nur in geringem Umfang genutzt hatten.
Insgesamt fanden in zweieinhalb Jahren 48 öffentliche Veranstaltungen mit Bürgerbeteilgung statt, dazu kamen rund 30 weitere Termine mit Metropolregion, Kommunalverbund, Fraktionen, Verbänden und Vorträgen auf Tagungen.
Entscheidend für den Erfolg der Beteiligung war, dass der VEP-Prozess zügig und für die zu Beteiligenden nachvollziehbar verlief.
5 Ziele finden
Nach der Auftaktveranstaltung zum VEP im Mai 2012 wurden auf zwei stadtweiten Bürgerforen im Juni und Juli 2012 mit Hilfe externer Moderation Ziele (Bild 9) diskutiert und formuliert.
Bild 9: Ablauf der Phase Zielfindung des Verkehrsentwicklungsplans Mai bis Oktober 2012
Nach redaktioneller Aufbereitung und Debatte im Projektbeirat wurden die folgenden sechs Zielfelder mit weiteren Unterzielen von der Deputation am 11.10.2012 beschlossen.
Zielfeld 1: Gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen ermöglichen, Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer/innen stärken
Zielfeld 2: Verkehrssicherheit und soziale Sicherheit bei der Nutzung erhöhen
Zielfeld 3: Alternative Verkehrsmittelwahl gesamtstädtisch anbieten und optimieren
Zielfeld 4: Verknüpfung der Verkehrssysteme und Angebote im Umweltverbund zwischen Bremen und der Region verbessern
Zielfeld 5: Den Wirtschaftsstandort Bremen durch Optimieren der Wirtschaftsverkehre stärken
Zielfeld 6: Die Auswirkungen des Verkehrs auf Mensch, Gesundheit und Umwelt nachhaltig und spürbar reduzieren
Parallel lief das EU-weite zweistufige Bieterauswahlverfahren für den VEP. Hier spürten wir den Nachhall von im Vorfeld der Bürgerschaftswahl 2011 kontrovers diskutierten Verkehrsthemen um die Fragen, ob Bremen auch eine ,,Autostadt" sei und ob eine ,,City-Maut" für Bremen nützlich sein könnte: Den im Internet Anfang 2012 EU-weit ausgeschriebenen Teilnahmewettbewerb für den gesamten VEP hatte die Opposition gelesen und festgestellt, dass der Begriff ,,Wirtschaft" deutlich seltener als der Begriff ,,Fahrrad" vertreten war. Hinzu kam, dass es zu Radverkehrsthemen auch in der Koalition damals noch keine einheitliche Auffassung gab. Das ist heute, nach Abschluss des VEP, anders.
6 Chancen und Mängel
Die Chancen- und Mängelanalyse wurde bewusst breit angelegt. Wenn Nahmobilität ein Maßnahmenfeld sein soll, dann muss es auch entsprechend analysiert werden. Verständnisprobleme gab es mit den weniger am nichtmotorisierten Verkehr interessierten Projektbeiratsmitgliedern, da zunächst die Modellfortschreibung nicht vollständig vorlag und somit die nicht modellbasierten Themen zum Fuß- und Radverkehr im Vordergrund standen. Diese Debatte hätte, wie bereits erwähnt, durch frühzeitig aktualisierte Modelldaten vermieden werden können. Am 22.8.2013, also 1,5 Jahre nach Beginn der Verfahrens und ein Jahr nach Beginn der Beteiligung wurden die Ergebnisse der Chancen- und Mängelanalyse, ergänzt um Modellauswertungen, von der Politik in der Deputation beschlossen. Das im Unterschied zum optimalen Zeitplan verspätete Vorliegen der Modellauswertungen hat die weiteren Zeitpuffer zusammenschrumpfen lassen. War ursprünglich ein Abschluss Ende Januar 2014 vorgesehen, so wurde nunmehr das Ziel eines Abschlusses vor der Sommerpause 2014 angestrebt. Dieser schien unumgänglich, da nach der Sommerpause die Vorbereitungen zu den Wahlen der Bremischen Bürgerschaft im Mai 2015 beginnen würden; und im Zuge des Kampfes um Listenplätze und um Themenführerschaft eine sachliche politische Debatte zu schwierigen Verkehrsthemen nur erschwert möglich gewesen wäre.
7 Maßnahmen und Szenarien
Bild 10: Maßnahmenfelder der fünf Testszenarien
Aufbauend auf dem Modell des Status-quo mit Basisjahr 2010 wurde das Basisszenario 2025 modelliert, das alle beschlossenen und realistisch umsetzbaren Maßnahmen bis 2025 enthält. Um die vielfältigen und unwägbaren Aspekte der Verkehrsentwicklung zu berücksichtigen, wurden für den Prognosehorizont 2025 unterschiedliche Maßnahmenschwerpunkte unter Beachtung der beschlossenen Ziele des VEP in fünf unterschiedlichen Testszenarien (Bild 10) abgebildet.
Bild 11: Vergleich der Wegeanteile nach Verkehrsmittel der Bremerinnen und Bremer
Unter Einschluss des Basisszenarios sind drei Testszenarien jeweils nur auf die Optimierung des Kfz-Verkehrs, des ÖV bzw. des Radverkehrs ausgerichtet; je einmal wurden eine Kombination aus Radverkehr und ÖV und einmal der externe Effekt hoher Mobilitätskosten modelliert.
Bild 12: Wirkungsschema der fünf Testszenarien
Der Zusatz ,,Test" bei den Szenarien war nach Diskussion im Projektbeirat erforderlich, um zweifelsfrei zu erläutern, dass hier nur eine Überzeichnung möglicher Zukünfte betrachtet werde. Aufbauend auf die Bewertung der Wirkung der Maßnahmen und der gesamten verkehrlichen Effekte der Szenarien wurde eine Maßnahmenauswahl für das Zielszenario am 28.11.2013 in der Deputation beschlossen.
8 Maßnahmenauswahl für das Zielszenario
Der Schwerpunkt des Zielszenarios liegt auf dem Ausbau des Umweltverbundes (Fuß, Rad und ÖV) sowie der Bündelung der Kfz-Verkehre im Hauptstraßennetz mit Beseitigung von Defiziten in einzelnen Bereichen dieses Netzes bzw. bei der Anbindung relevanter Gewerbestandorte/Zentren. Schwerpunkte der dynamischen Wohnraum- und Siedlungsentwicklung und bislang nicht gut integrierte Einzelhandelsstandorte werden somit zukünftig gut in das ÖV- und in das Radroutennetz integriert.
Das Zielszenario besteht aus den folgenden zehn Handlungsfeldern:
1. Kfz-Verkehr, Wirtschaftsverkehr,
2. Öffentlicher Verkehr,
3. Fußverkehr, Nahmobilität,
4. Radverkehr,
5. Verkehrssicherheit, soziale Sicherheit,
6. Straßenraumgestaltung,
7. Inter- und Multimodalität, Carsharing,
8. Parkplatzmanagement, Elektromobilität,
9. Verkehrs- und Mobilitätsmanagement,
10. Mobilitätskultur und Öffentlichkeitsarbeit.
Bild 13: Vergleich Zielszenario und Basisszenario Gesamtverkehr
Bild 14: Vergleich Zielszenario und Basisszenario Bremerinnen und Bremer
Bild 15: Vergleich von Kennwerten zwischen Zielszenario und Basisszenario
Die Bewertung der Testszenarien und die Zusammensetzung des Zielszenarios wurden am 5. 6. 2014 von der Deputation beschlossen.
9 Handlungskonzept
Das Handlungskonzept stellt einen Umsetzungsplan dar, in dem die Realisierung der 193 Maßnahmen des Basis- und des Zielszenarios in eine an Zielerreichung und Effektivität orientierte zeitliche Reihung gebracht wurden. Damit sind Prioritäten definiert, aber auch Planungsvorläufe und zeitliche Abhängigkeiten der Maßnahmen berücksichtigt. Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen und den, in Abhängigkeit vom Umfang der einzelnen Maßnahmen, gesondert erforderlichen Maßnahmenbeschlüssen, bildet die finanzielle und personelle Ausstattung eine wesentliche Rahmenbedingung für die Umsetzung des VEP. Vor diesem Hintergrund und aufgrund der Entwicklungsmöglichkeiten der für den Verkehrsbereich zweckgebundenen Zuweisungen des Bundes an die Länder sowie des bremischen Verkehrshaushalts werden drei Finanzierungspfade mit unterschiedlichen Annahmen, unterteilt in die Planungsund Realisierungszeiträume 2014 2019, 2020 2025, 2025 2029 sowie ab 2030, differenziert dargestellt.
Folgende Fragen standen bei der Festlegung der Maßnahmenreihung im Vordergrund:
- Mit welchen Maßnahmen werden die Ziele des VEP unter Beachtung der o. g. Faktoren erreicht?
- Welche Reihenfolge ist aufgrund der Wirkungen der Maßnahmen sinnvoll?
- Welche Maßnahmen sind bei Reduzierung der finanziellen Mittel nicht bzw. erst später umzusetzen?
Bild 16: Ablauf des Plauibilisierungs- und Abwägungsprozesses zur Aufnahme von Maßnahmen in das Zielszenario
10 Was war gut?
Der Zeitplan konnte gehalten werden. Der Beginn war nicht frei gewählt, sondern wurde durch politischen Druck erzeugt. Das Ende war vorgegeben durch die Wahltermine. Aufgrund der Wahlen in Bremen im Mai 2015 wollten wir unbedingt vor den Sommerferien 2014 den VEP abschließen. Dies ist uns gelungen.
Wir sind weg gekommen von einer politischen Polarisierung hin zu einer konsensualen Fachlichkeit. Zu vielen Fragen des Verkehrs sind die Meinungen nun geeint; das Konfliktpotenzial ist minimiert. Ein Beispiel hierfür ist die auch zukünftig bestehende verkehrliche Notwendigkeit der städtebaulich nicht mehr zeitgemäßen Hochstraße Breitenweg in der Bahnhofsvorstadt. Ein weiteres Beispiel ist die Erkenntnis in allen Fraktionen und Verbänden, dass Radschnellwege ein wichtiger Bestandteil des VEP sind und einen Maßnahmenschwerpunkt darstellen. Im VEP firmieren sie noch unter ,,Premiumrouten", da der Begriff und die Forderung nach ,,Radschnellwegen" zu Beginn des VEP-Prozesses noch nicht konsensfähig waren.
Erfolgsfaktor war auch ein fachlich gutes und engagiertes Team in meiner Abteilung und bei den Gutachtern. Keiner wurde länger krank, keiner hat das Team verlassen in 2 ½ Jahren.
Der knifflige Höhepunkt kurz vor der Sommerpause 2014 war noch das Abräumen eines mehrjährigen Politikums: Die noch unter rot-schwarz geplante und dann unter rot-grün fertiggestellte Eisenbahnunterführung ,,Concordiatunnel" auf der Schwachhauer Heerstraße sieht zwei Spuren in Richtung Innenstadt vor, aber auf der rechten Spur war ganztägig das Parken erlaubt. Die Presse und die Opposition zogen das Thema der ,,teuersten Parkplätze" von ganz Bremen immer wieder hoch. Das Thema wurde geeint: Es wurden zwei mehrwöchige Testphasen mit unterschiedlicher Verkehrsführung mit begleitender Untersuchung Ende 2014/Anfang 2015 durchgeführt. Wichtig war, um die Wogen im Stadtteil zu glätten, dass zuerst die Freigabe in der Morgenspitze für die zweispurige Führung untersucht wurde und dann anschließend die einspurige Lösung. Denn es gab vor Ort Ängste, dass die dort unerwünschte, jedoch verkehrstechnisch sinnvolle, Zweispurigkeit ansonsten nach Abschluss der Testphase dauerhaft verbleiben könnte. Diese Lösung überstand auch die Wahl. Die Untersuchungsergebnisse lagen erst vor, als der neue Senat gewählt und somit eine sachliche Entscheidungsfindung möglich war. Seitdem ist morgens die Zweispurigkeit die Regel.
11 Was war schwierig?
In einem Termin zum Umbau einer überbreiten Straßentangente hat ein Journalist zufällig mitbekommen, dass wir im Verlauf dieses Straßenzugs eine Straßenbahn und weiter quer durch den Bürgerpark im VEP in einem Szenario untersuchten. Ein verkehrlich sinnvolles und gut nachgefragtes Verkehrsangebot, das aber aufgrund des entfachten medialen Drucks mit entsprechender Fotomontage ,,Straßenbahn durch den Bürgerpark" nicht gehalten werden konnte. Der Verkehrssenator und alle Fachpolitiker mussten zügig dementieren. Das war neben der Begrifflichkeiten im Ausschreibungstext das zweite und letzte Mal, dass wir medial im Planungsprozess unter Druck gerieten.
Die Einbindung in Projektbeirat, TöB-Befassung, Beteiligungstermine und Deputation ließ kein iteratives Vorgehen zu. Das führte zu Vertrauen und Beschleunigung, schränkte aber auch planerisch ein.
Die Prozesse der Bürgerbeteiligung und der politischen Abstimmung im Projektbeirat waren sehr zeitintensiv. In den letzten Phasen wurde Kritik laut; wir würden die Beiräte überfordern mit zu vielen Unterlagen und die Fristen in der Regel 4 bis 6 Wochen wären zu knapp bemessen.
Hätten wir, wenn wir mehr Zeit für die Planung gehabt hätten, etwas anders und besser gemacht? Und wie hätte sich das auf das Beteiligungsverfahren ausgewirkt? Es ist festzuhalten, dass ein aktiv gesteuerter Beteiligungsprozess über mehrere Jahre sehr umfangreich zu planen ist. Der Aufwand für die Vor- und Nachbereitung stellte teilweise die fachlich planerische Arbeit in den Hintergrund; das sinnvolle Vermitteln der eigenen Fachplanung erforderte einen hohen Aufwand sowohl für die Fachverwaltung als auch für die Gutachter.
Im Handlungskonzept standen die Finanzierbarkeit und die in Verbindung mit den verkehrlichen Effekten daraus ableitbaren Prioritäten im Vordergrund. Eine Modellierung der drei finanziellen Pfade konnte aus Termingründen im Prozess nicht mehr erfolgen.
In der zweitägigen Klausur des Projektbeirats haben auch die drei Finanzierungspfade gelitten. Man schloss Kompromisse und packte immer mehr Maßnahmen in den ersten Zeitraum bis 2019, was finanziell und personell aufgrund der Kapazitäten und des Planungsvorlaufs eigentlich nicht leistbar ist.
12 Was ist zu erörtern?
Zur Modelltechnik ist anzumerken, dass in Verbindung mit der Stagnation des motorisierten Personenverkehrs und der Zunahme im modal-split bei den nicht motorisierten Wegen diese wachsende verkehrspolitische Bedeutung des Fuß- und Radverkehrs bislang nicht adäquat modelliert werden kann. Im Falle des Radverkehrs ist es zwar möglich, aber sehr aufwendig. In der Analyse der Daten und auch in der Prognose fällt der nichtmotorisierte Verkehr daher immer noch gegenüber dem motorisierten Verkehr zurück.
Das Verfahren und die Abläufe der Bürgerbeteiligung waren von uns vorgegeben. Somit war der Rahmen gesteckt. Die einzuarbeitenden Hinweise aus der Beteiligung waren übersichtlich und stellten uns fachlich nicht vor große Probleme. Wir können für uns in Anspruch nehmen, auch die Probleme vor Ort durch unsere Analysen bereits berücksichtigt zu haben. Das mag jetzt so klingen, als ob aus der Beteiligung wenig Input in die Planung kam. Das war auch so. Es ist festzustellen, dass die umfangreichen Beteiligungsformate vor allem der Legitimation, der Akzeptanz, dem Verständnis der Methodik und der Inhalte des VEP dienten und somit mehr Vertrauen in die Vorgehensweise der Verkehrsplanung entstanden ist.
Beteiligung ist für beide Seiten zeitintensiv. So mussten wir auch die Termine und Räume unter Beachtung der Termine aus Partei, Parlament, Gremien, Fußball, Ferien etc. abstimmen. Die fachliche Vorbereitung und Konzeption, aber auch die Dokumentation jedes Regionalen Bürgerforums war arbeitsintensiv. Die Aufbereitung von Themen für die Beteiligung war aber auch eine Form der Qualitätssicherung; Methodik und Ergebnisse mussten zunächst dem Projektbeirat und dem Bürger gleichermaßen verständlich vermittelt werden, um die ,,Blackbox VEP" aufzulösen.
Es ist schwer vorstellbar, dass Eltern (als fachlich interessierte/-r Leser/-in sehen Sie das ggf. anders) einen Babysitter engagieren, um abends an einem mehrstündigen Bürgerforum zum Verkehrsentwicklungsplan teilzunehmen. Hier bietet das Internet neue Möglichkeiten, um nicht auf einen Termin und einen Ort fixiert zu sein. Durch das Internet konnten wir daher auch diejenigen erreichen, die abends nicht an dreistündigen Terminen teilnahmen, auf denen Stadtteilpolitiker und männliche Senioren häufig unter sich waren.
Jedoch ersetzt das Internet nicht den Dialog vor Ort. In sozial schwächeren Stadtteilen war zudem die Internetbeteiligung in jeder Phase deutlich geringer, weshalb wir in diesen Stadtteilen eine, durchaus aufwändige gestaltete, aufsuchende Beteiligung in Shopping-Centern in der letzten Phase erstmals zusätzlich einsetzten.
Wie gut Beteiligungsformate auch sind; es bringen sich nur diejenigen ein, die Zeit und Interesse hierzu in ihrer Freizeit haben, ihre Zeit investieren wollen und es auch tun. Viele Bevölkerungsgruppen sind hier, weder im Internet noch auf den Terminen, erkennbar vertreten.
Bild 17: Die 3 besten Bürgerszenarien aus www.bremen-bewegen.de
Haben wir ,,effektiv" beteiligt? Nach einigen spärlich besuchten Bürgerforen stellten wir diese Frage. Klar ist, dass nicht jede Phase gleich attraktiv für die Interessierten ist; Beteiligungsformate stehen hier vor großen Herausforderungen. Wir stellten konkret fest: Die Phasen ,,Ergebnisse Modellierung status-quo, Chancen- und Mängelanalyse" und ,,Ergebnisse Modellierung Basiszenario, Festlegung der Maßnahmen in den fünf Testszenarien" hätten wir auch gemeinsam vorstellen können. Dann wäre aber unser Verfahren weniger transparent und somit auch leichter angreifbar gewesen.
Die Prüfung und die Bewertung der Wirkung aller Maßnahmen und die abgestimmte Prioritätenreihung im vorliegenden Verkehrsentwicklungsplan bietet für Bremen die Möglichkeit, einen wirtschaftlichen und verkehrspolitisch zielorientierten Mitteleinsatz mit Risikominimierung sicher zu stellen. Liegt hingegen kein Verkehrskonzept vor, so kann jede Partei in ihr Programm schreiben, was sie gerade gut findet. Fachlich aus Sicht der planenden Verwaltung muss das dann nicht sinnvoll sein. Das Vorhandensein eines im Konsens beschlossenen VEP erschwert solch unkoordinierte Verkehrspolitik, ganz verhindern kann ein VEP dies aber nicht. In Bremen haben, nicht zuletzt durch die intensive Begleitung des Verfahrens im Projektbeirat, mehrere im Parlament vertretende politische Parteien den VEP zum Bestandteil ihrer Verkehrspolitik gemacht. Die Ziele des VEP sind auch die Ziele der Regierungskoalition; in der 2015 geschlossenen Koalitionsvereinbarung werden im Verkehrsbereich fast ausschließlich VEP-Maßnahmen genannt.
Wie gut und erfolgreich der VEP wirklich ist, wird sich an seiner Umsetzung in den kommenden Jahren zeigen. Ein Evaluationskonzept wurde entwickelt und ebenfalls politisch verabschiedet.
Alle Abbildungen: Der Senator für Umwelt, Bau und Verkehr
Alle Berichte, Dokumentationen, Beteiligungsformate und Beschlüsse des VEP Bremen 2025 sind verfügbar unter:
www.bau.bremen.de/vep
www.bremen-bewegen.de |