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1 Einleitung
Als in den 1970er-Jahren Haushaltsbefragungen in die Verkehrsforschung und Verkehrsplanung Einzug hielten, lenkten sie das Augenmerk auch auf den bis dahin kaum beachteten Fuß- und Radverkehr (z. B. Brög, 1985). Als einfach nachzuvollziehende Kenngröße etablierte sich der vollständige Modal Split, der neben dem motorisierten Individualverkehr (MIV), damals noch als Individualverkehr (IV) bezeichnet, und dem öffentlichen Verkehr (ÖV) nun auch den Fuß- und Radverkehr berücksichtigte. Der Modal Split ergibt sich aus den in Haushaltsbefragungen erhobenen Wegen der Wohnbevölkerung. Der relative Modal Split, der in den meisten Fällen verwendet wird, gibt den prozentualen Anteil der Wege mit dem MIV, ÖV, Rad und zu Fuß an allen Wegen der Wohnbevölkerung an, bisweilen auch die jeweiligen Anteile an den zurückgelegten Distanzen (distanzbezogener Modal Split). Selten werden statt der prozentualen Anteile des relativen Modal Splits auch die absoluten Wegehäufigkeiten oder Distanzen nach Verkehrsmitteln angegeben.
Bei den Verkehrsmittelanalysen ist die zusätzliche Differenzierung nach MIV-Fahrer und MIV-Mitfahrer weit verbreitet. Weitere Unterscheidungen, z. B. zwischen eigenem Pkw und CarSharing-Fahrzeugen, zwischen Fahrrädern und Pedelecs oder Bus und U-Bahn erfolgen nur in Sonderauswertungen und spielen, auch aufgrund sehr geringer Fallzahlen und Anteile, in der Diskussion kaum eine Rolle.
Die Beschreibung von Verkehrsstrukturen durch den relativen Modal Split dient in vielen Städten als Zielgröße und damit als Erfolgsindikator kommunaler Verkehrspolitiken (als Beispiele die Verkehrsentwicklungspläne aus Bremen (SUBV 2014: 27ff.), der Region Hannover (2011: 1ff.), Dortmund (2004 und 2017)). Dieser Beitrag untersucht die Frage, ob sich der Modal Split als Kenngröße zur Beschreibung kommunaler Verkehrsstrukturen, zum Vergleich von Städten, zur Beurteilung der Verkehrsentwicklung sowie als Zielgröße der Verkehrspolitik eignet? Der Beitrag betrachtet die kommunale und regionale Ebene und stellt drei Untersuchungsfragen:
1. Welche Rolle spielt der relative Modal Split in der verkehrspolitischen Diskussion?
2. Wird der relative Modal Split dabei in geeigneter Weise herangezogen?
3. Welche Alternativen bestehen gegebenenfalls zur Verwendung des relativen Modal Splits?
Zudem wird thematisiert, inwiefern der relative Modal Split als stark vereinfachender Indikator für die Evaluation und Bewertung von Politik geeignet ist. Die Ausführungen schließen sich damit Kitchin/Lauriault/McArdle (2015) an, die den hohen Stellenwert einer sachgerechten Verwendung von Indikatoren der Leistungsmessung (Benchmarking, Monitoring, Evaluation) betonen, aber auch deren Problematik in der Praxis darlegen. Wir untersuchen hier, ob der relative Modal Split ein geeigneter Indikator für ein Benchmarking, zum Monitoring und zur Evaluation ist, oder ob der der so leicht erfassbar erscheinende relative Modal Split in der Mobilitätsforschung und/oder der politischen Diskussion falsch verwendet und interpretiert wird.
Der Beitrag nutzt ausgewählte vorliegende kommunale Berichte und führt mit diesen teils weiterführende Berechnungen durch. Für die Darstellung der Region Hannover wurden die Originaldaten ausgewertet.
Abschnitt 2 verweist beispielhaft auf aktuelle Städtevergleiche und Untersuchungen zur Verkehrsentwicklung in Großstädten. Abschnitt 3 vergleicht anhand der Beispiele Münster und Hannover den Modal Split mit weiteren verfügbaren und abgeleiteten Kenngrößen. Abschnitt 4 gibt einige methodische Hinweise auf dem Weg zu zuverlässigen Befragungsergebnissen. Abschnitt 5 schließt als Zusammenfassung und Fazit.
Der Aufsatz führt also keine eigenen inhaltlichen Analysen des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsstruktur und der Verkehrsentwicklung in den Städten und Regionen durch, sondern untersucht ausschließlich die Eignung des relativen Modal Splits und weiterer Kenngrößen zu Beschreibung des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsstruktur und der Verkehrsentwicklung. Für die hier näher betrachteten Beispiele liegen an anderer Stelle in der Regel weitere Detailanalysen vor.
2 Die Verwendung des Modal Splits in der kommunalen Verkehrsplanung
Auf der administrativen Ebene der Gemeinden in Deutschland wird die strategische Verkehrsplanung in Verkehrsentwicklungsplänen, Stadtteil-Verkehrsplänen, sektoralen Verkehrskonzepten und Nahverkehrsplänen konkretisiert (Beckmann 2001, S.10f.). Spätestens seit den 1980er-Jahren verbindet sich mit dem Begriff einer integrierten Verkehrsplanung die Hoffnung, durch eine abgestimmte Planung räumlicher Strukturen und der Verkehrsangebote Einfluss auf die Verkehrsmittelnutzung und die zurückgelegten Distanzen nehmen zu können. So formuliert Menke: Die „Chancen des nichtmotorisierten Verkehrs sollten in zukünftigen Leitmodellen zur Siedlungsentwicklung in Verdichtungsräumen berücksichtigt werden“ (1984: 132). Im Runderlass des Ministers für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr Nordrhein-Westfalens heißt es: „Durch eine verbesserte städtebauliche Konzeption der kurzen Wege, des flächensparenden Bauens und der günstigen Zuordnung und Sicherung verträglicher Nutzungen müssen der vermeidbare Kraftfahrzeugverkehr verringert und eine weitere Zersiedlung verhindert werden.“ (MSV 1988: §1). Hier sind bereits die Strategien der Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung verankert, die heute in der Diskussion um eine „Verkehrswende“ eine große Rolle spielen. In der kommunalen Verkehrsplanung formulieren vor allem Großstädte diese Strategien (als aktuelle Beispiele Bremen (SUBV 2014: 24), Hannover (Region Hannover 2011: 8), Dortmund (Stadt Dortmund 2004: 26f. und Stadt Dortmund 2017: 6, 9), München (2006: 55), Stadt Frankfurt am Main (2015: 19).
Als empirische Grundlage dienen Haushaltsbefragungen zum Verkehrsverhalten wie die bundesweite Erhebung Mobilität in Deutschland (MiD) mit regionalen Aufstockungen, das System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV) und weitere Haushaltsbefragungen im kommunalen oder regionalen Auftrag. Diese bieten, wie das SrV, Städten und Regionen „die Möglichkeit, ihre verkehrliche Entwicklung sowohl in Bezug auf eigene Zielsetzungen als auch im Städtevergleich einzuschätzen“. (Gerike o. J.: 2)
2.1 Wie wird der Modal Split bestimmt und dargestellt?
Die Grundlage des Modal Splits bilden Befragungen zum Verkehrsverhalten, meist als Erhebung aller Wege oder deren Distanzen einschließlich der genutzten Verkehrsmittel an einem Stichtag (z. B. MiD und SrV). Bezogen auf die Anzahl der Wege spricht man von einem aufkommensbezogenen Modal Split, bezogen auf die dabei zurückgelegten Distanzen von einem aufwands- oder distanzbezogenen Modal Split (vertieft im Abschnitt 3.2).
Bei städtischen Verkehrsplanungen erfolgt die Erhebung in vielen Fällen nur in der Kernstadt. Daraus leitet sich ein bewohnerbezogener Modal Split ab. In der Minderheit sind bisher regionale Erhebungen, in denen zusätzlich zur Kernstadt auch die umliegenden Gemeinden sowie die Einpendlerströme in die Kernstadt einbezogen werden. Mit der MiD 2008 stehen für zehn bzw. mit der MiD 2017 zukünftig für 30 Regionen regionale Aufstockungen zur Verfügung (zu MiD 2008 infas, DLR (2010: 16), zu MiD 2017 Veröffentlichungen in Vorbereitung). Die Bedeutung dieser regionalen Betrachtung wird am Beispiel der Regionen Münster und Hannover behandelt, die beide über eine breitere Datengrundlage als üblich verfügen (ebenfalls Abschnitt 3.2).
Weitere Unterschiede gibt es zudem in der Anzahl der differenzierten Verkehrsmittel. Der Modal Split mit drei Kategorien differenziert den nicht-motorisierten Individualverkehr (nmIV), den MIV und den ÖV (im Weiteren Modal Split (3)). Bei vier Kategorien, der wohl häufigsten Variante, wird der nmIV nach Fußgängern und Radfahrern unterschieden (im Weiteren Modal Split (4)), bei fünf Kategorien zusätzlich nach MIV-Fahrer und Mitfahrer (im Weiteren Modal Split (5)). Dabei ist die Differenzierung zwischen Fahrern und Mitfahrern von großer Bedeutung bei der Beurteilung von Veränderungen der Verkehrsmittelnutzung (s. Abschnitte 2.2, 3.1 und 3.2).
2.2 Der Modal Split als Beschreibung der Verkehrsstruktur und Verkehrsentwicklung
Der strategische Zugang einer integrierten Verkehrsplanung ist äußerst komplex und muss in der verkehrspolitischen Diskussion notwendigerweise eine deutliche Verdichtung erfahren. Diese Verdichtung fokussiert, ausgehend von den meist komplexen Analysen in den Berichten zu den Verkehrserhebungen, häufig auf (nur) eine, vermeintlich leicht verständliche, Beschreibungsgröße der Verkehrsstruktur – den Modal Split.
So vergleicht die Stadt Frankfurt am Main in ihrer Mobilitätsstrategie (2015: 8) anhand des aufkommenbezogenen Modal Splits (4) (zu Fuß, Rad, MIV, ÖV) den Bewohnerverkehr mit neun weiteren Städten des Systems repräsentativer Verkehrsbefragungen. Die Stadt Dortmund stützt die Strategieformulierung des Masterplans Mobilität 2030 auf einen internationalen Städtevergleich des Modal Splits (3) (MIV, ÖV, nicht motorisiert).
Anhand von Beispielen sollen hier Probleme diskutiert werden, die aus der Fokussierung der verkehrspolitischen Diskussion auf den Modal Split resultieren. Die Tabelle 1 zeigt zunächst die deutlichen Unterschiede im Modal Split (5) des Bewohnerverkehrs anhand von vier im Weiteren näher betrachteten Städten:
- Dortmund als Stadt des motorisierten Verkehrs mit hohen MIV- und ÖPNV-Anteilen bei einem niedrigen Radverkehrsanteil,
- Hannover mit einem deutlich geringeren MIV-Anteil bei gleichzeitig hohen Anteilen des Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehrs,
- Potsdam bei gleichem MIV-Anteil wie Hannover mit besonders hohen Anteilen des Fuß- und öffentlichen Verkehrs sowie
- Münster mit den insgesamt geringsten Anteilen im Fußverkehr, ÖV und MIV bei mit Abstand höchstem Radverkehrsanteil.
Auch wenn die durchgeführten Erhebungen methodische Unterschiede aufweisen und nicht unter identischen Rahmenbedingungen durchgeführt wurden (z. B. schriftliche und telefonische Befragungen, unterschiedliche Zeiträume der Befragungen, damit verbunden unterschiedliche Witterung…), erscheinen diese Profile der Verkehrsmittelnutzung plausibel.
Tabelle 1: Relativer Modal Split des Bewohnerverkehrs ausgewählter Städte im Zeitvergleich
Im Zeitvergleich zeigen alle Städte im Bewohnerverkehr zumindest in den letzten Befragungswellen einen (leicht) abnehmenden Anteil des MIV gesamt, dem jeweils unterschiedliche Anteilszunahmen gegenüberstehen: eine leichte Zunahme des ÖV-Anteils in allen Städten, eine Zunahme des Radverkehrsanteils in Münster und Hannover (beide Städte weisen einen Rückgang im Fußverkehrsanteil auf). Dabei resultiert der sinkende MIV-Anteil in Hannover (von 41 auf 38 %) aus dem Rückgang des Mitfahreranteils (von 14 auf 10 %) bei sogar geringfügig gestiegenem Anteil des MIV-F. Dies unterstreicht, wie wichtig die Unterscheidung der MIV-Nutzung in die Kategorien Fahrer und Mitfahrer ist und dass der Modal Split (4) gegenüber dem Modal Split (5) wesentliche Entwicklungen verdecken kann. Einen Rückgang verzeichnen die Radverkehrsanteile in Dortmund und Potsdam
Auch hier ist die Modal-Split-Betrachtung von hohem verkehrspolitischen Stellenwert. Die Ratsvorlage der Stadt Dortmund (2014: 6) bezieht sich auf den Modal Split (4), wenn sie schlussfolgert: „Die Haushaltsbefragung hat gezeigt, dass die Anstrengungen der Stadt Dortmund zur Förderung einer umweltfreundlichen Mobilität weiter Wirkung zeigen. Die Auto-Orientierung geht zurück und die klimafreundlichen Verkehrsmittel legen weiter zu.“ Die Stadt Potsdam formuliert zu einem von 38 % (2008) auf 35 % (2013) gesunkenen MIV-Anteil im Modal Split (4) „Trotz steigender Motorisierung geringere Nutzung des Pkw“. (Stadt Potsdam 2013: Folie 3). Deutlich wird die Orientierung am Modal Split auch im Bericht der Stadt Münster zur Haushaltsbefragung 2013. Die insgesamt sehr detaillierten Analysen der 2013er-Befragung werden durch eine einzige Zeitreihe ergänzt, durch die zeitliche Entwicklung des Modal Splits (4) (Stadt Münster 2014: 14).
Auch international wird häufig der Modal Split zur Beschreibung (städtischer) Verkehrsentwicklungen herangezogen, so zum Beispiel zu Wien Roider, Klementschitz (2017), zu Kopenhagen Kayser (2017), zu London Transport for London (2016), im Zeitvergleich der Verkehrsmittelnutzung Grimsrud, El-Geneidy (2013), im internationalen Vergleich Buehler (2011) oder in globaler Perspektive Aguiléra, Grébert (2014). Dagegen verwenden der Mobilitätsreport der Stadt New York City (NYC Department of Transportation 2016) und Mitchel für Großbritannien (2018) überwiegend Absolutwerte statt des Modal Splits.
2.3 Der Modal Split als Zielgröße der Verkehrspolitik
Ausgehend von entsprechenden Analysen dient der aufkommenbezogene Modal Split gleichzeitig als Zielwert der Verlagerungsstrategie. So formulierte die Stadt Dortmund im Masterplan Mobilität 2004 das Handlungsziel „Veränderung des Modal Split zugunsten des Umweltverbundes“ (Stadt Dortmund 2004: 26). Besonders betont die Stadt das Ziel, den Radverkehrsanteil von 6 auf 12 % zu verdoppeln, und erwartet damit verbunden eine Reduzierung des Fußverkehrs- und des MIV-Anteils von jeweils etwa 3 % bei weitgehender Konstanz des ÖPNV-Anteils (Dortmund 2004: 55). In den (noch nicht politisch beschlossenen) Zielformulierungen des neuen Masterplans wird eine Reduzierung des MIV-Anteils von 47 % auf ein Drittel angestrebt (Dortmund 2017: 13). Im VEP pro Klima der Region Hannover wird ebenfalls ein enger Zusammenhang zwischen Veränderungen des Modal Splits und dem Aufkommen des MIV hergestellt: „Bei einer konsequenten Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen findet eine Veränderung des Modal Splits in der Region zugunsten des Umweltverbundes statt.“ Und fährt fort: „Das bedeutet: deutlich weniger Autoverkehr und mehr Radverkehr und ÖPNV.“ (Region Hannover 2011: 7).
Für das Umweltmonitoring des RVR wird der Modal Split (4), also ohne Differenzierung von MIV-Fahrern und Mitfahrern, sogar als einziger Indikator für den Verkehrsbereich vorgeschlagen (RVR 2017: 64f.). Die Städte München und Dortmund vergleichen anhand des Modal Splits die unterschiedlichen Szenarien ihrer Verkehrsentwicklungspläne (Landeshauptstadt München 2006: 25 neben dem aufkommensbezogenen modal Split (4) auch der aufwandsbezogenen Modal Split (4) für Stadt und Umland sowie die Absolutwerte, Stadt Dortmund 2004: 50ff. anhand des aufkommensbezogenen Modal Split (4)).
Als Antwort auf die erste Untersuchungsfrage zeigen die Beispiele, dass der Modal Split in den Kommunen eine zentrale Rolle bei der Beschreibung städtischer Verkehrsstrukturen spielt: zum Städtevergleich der Verkehrsstrukturen, zur Analyse von Veränderungen im Zeitverlauf sowie zur Zielformulierung und Erfolgskontrolle strategischer Planungen. Ergänzend werden in den Berichten zu den Befragungen teilweise deutlich differenziertere Analysen vorgenommen und auf Problemfelder der Erhebungen hingewiesen. In der verkehrspolitischen Debatte finden diese Aspekte aber kaum einen Niederschlag. Daher ist die Frage nach der Eignung des Modal Splits bzw. nach möglichen Fehlinterpretationen des Modal Splits von hoher Relevanz für die verkehrsplanerische und vor allem für die verkehrspolitische Debatte. Insbesondere prüfen die folgenden Abschnitte, ob steigende oder sinkende Anteilswerten tatsächlich stringent mit steigenden oder sinkenden Belastungen durch die jeweiligen Verkehrsmittel verbunden sind.
3 Modal Split: Missverständnisse und Fehlinterpretationen
3.1 Verkehrsmittelanteile und absolute Wegehäufigkeiten
Im Folgenden werden die in Berichten und Tabellenbänden angegebenen Modal-Split-Werte und Wegehäufigkeiten gesamt für die Städte Dortmund, Potsdam, Münster zu einer Rückrechnung auf absolute Wegehäufigkeiten nach Verkehrsmitteln genutzt. Für Hannover werden sie direkt aus den Primäranalysen ergänzt. Denn die tatsächlichen Verkehrsbelastungen resultieren aus der absoluten Fahrtenhäufigkeit je Person als Kenngröße des Verkehrsverhaltens, bzw. der Fahrtenhäufigkeit insgesamt, die sich zusätzlich aus der Verknüpfung mit der Bevölkerungsentwicklung ergibt. Die Kernfrage dabei ist: Führen die Unterschiede der absoluten Wegehäufigkeiten zwischen den Städten und zwischen den Erhebungszeiträumen zu den gleichen Interpretationen wie der Modal Split, insbesondere zur gleichen Einschätzung hinsichtlich der MIV-Nutzung?
Tabelle 2: Wegehäufigkeiten nach Verkehrsmitteln aus kommunalen Verkehrserhebungen
In den Ausgangsdaten zur Berechnung des Modal Splits hat die Anzahl der berichteten Wege in den meisten Städten zugenommen (Ausreißer Münster 2013 sowie der Zeitvergleich Hannover). Für die Städte, in denen die späteren Erhebungen höhere Wegehäufigkeiten ausweisen, dürfte dies vor allem auf einen Methodenwechsel von den (überwiegend) schriftlichpostalischen zu (überwiegend) telefonischen Befragungen zurückzuführen sein. In den Telefoninterviews werden gekoppelte und kurze Wege besser erhoben, somit die Wegehäufigkeit insbesondere bei Fußwegen, aber infolgedessen auch insgesamt erhöht. Entsprechend sinkt der MIV-Anteil am relativen Modal Split in der Befragung, ohne dass dies mit einem Rückgang der Pkw-Fahrten verbunden sein muss. Man kann es auch so formulieren: Eine bessere Verkehrserhebung ist zwar eine zuverlässigere Basis für Verkehrsanalysen, aber bessere Verkehrserhebungen können zu Veränderungen des Modal Splits führen, ohne dass sich die tatsächliche Verkehrsmittelnutzung verändert haben muss. Veränderungen der Verkehrsmittelnutzung können auch aus Methodeneffekten resultieren.
Die beiden Befragungen aus Hannover sind dagegen methodengleich durchgeführt und ergeben 2002 und 2011 fast die gleichen Wegehäufigkeiten pro Person und Tag.
Die Rückrechnung des Modal Splits auf die Wegehäufigkeiten nach Verkehrsmitteln, also auf die eigentlichen Ausgangswerte der Erhebung (Tabelle 2), führt zu folgenden veränderten Einschätzungen der Entwicklungen des Bewohnerverkehrs.
– In Dortmund liegt die Wegehäufigkeit in der Befragung 2013 geringfügig höher als 2005. Entsprechend nimmt die Wegehäufigkeit mit dem MIV als Fahrer etwas schwächer ab als der MIV-Fahrer-Anteil. In Münster bleibt, abgesehen von dem Ausreißer 2001, im Zeitraum 1982 bis 2007 die MIV-Fahrtenhäufigkeit weitgehend konstant, obwohl der MIV-Anteil von Befragung zu Befragung leicht gesunken ist. Der Wert für 2013 weist auf eine erhebliche Abnahme des MIV-F, aber auch eine überraschend starke Abnahme der Wegehäufigkeit insgesamt hin (möglicherweise ein hier nicht einzugrenzender Methodeneffekt).
– In Potsdam hat der MIV-Anteil zwar abgenommen (Tabelle 1), die Fahrtenhäufigkeit im MIV aber zugenommen (Tabelle 2). Die Stadt Hannover weist in der Wegehäufigkeit eine leichte Abnahme des MIV auf, die aus der Abnahme der absoluten Fahrtenhäufigkeit als Mitfahrer bei sogar geringfügiger Zunahme der Fahrten als Fahrer resultiert (Tabellen 1 und 2). Es kommt also zu einem leicht zunehmenden Fahrzeugeinsatz bei sinkender Fahrzeugauslastung und nicht zu einer Abnahme der Pkw-Fahrten, wie der sinkenden MIV-Anteil im Modal Split (4) vermuten lässt.
Die Erfolgsbilanzen sinkender MIV-Anteile im Bewohnerverkehr lösen sich also bei der Betrachtung der absoluten Wegehäufigkeiten weitgehend auf.
Ergänzend sei auf Veränderungen hingewiesen, die im meist verwendeten aufkommensbezogenen Modal Split der Kernstadtbevölkerung nicht abgebildet werden können oder sogar zu einem sinkenden MIV-F-Anteil führen, obwohl sie insgesamt maßgeblich zu einer Zunahme der Belastungen durch den MIV beitragen:
– Trotz der Reurbanisierungstrends seit der Jahrtausendwende haben sich auf lange Frist die Bevölkerungsverteilungen in den Agglomerationen deutlich zugunsten des Umlandes verschoben (Guth/Siedentop/Holz-Rau 2012:492). Das kann sich durchaus wieder verschärfen, wenn die Baulandreserven der Kernstädte erschöpft sind. Dabei lebt insbesondere die ins Umland gewanderte ehemalige Kernstadtbevölkerung sehr kernstadt- und MIV-orientiert (Geier/Holz-Rau/Kraft-Neuhäusser 2001).
– Die Randwanderung der Wohnbevölkerung lässt vor allem diejenigen in den Kernstädten zurück, die weniger MIV-affin sind, seltener Auto fahren wollen oder gar nicht Auto fahren können. Im aufkommensbezogenen Modal Split der Wohnbevölkerung der Kernstädte nimmt, bei zunehmender MIV-Nutzung in der gesamten Region, der MIV-Anteil ab (zu Prozessen der Selbstselektion siehe Mokhtarian/van Herick 2016; Lin/Wang/Guan 2017; Humphreys/Ahern 2017). Dies trägt zu einer abnehmenden MIV-Nutzung der Kernstadtbevölkerung bei, ist aber mit einer zunehmenden MIV-Belastung auch in der Kernstadt verbunden.
Derartige Effekte lassen sich nur erkennen, wenn neben dem Bewohnerverkehr der Kernstädte auch die regionalen Verflechtungen betrachtet werden. Dies wird im Abschnitt 3.2 ausführlicher dargestellt.
Ergänzend sei betont, dass sich in den hier betrachteten aggregierten Ergebnissen Veränderungen der Verkehrsnachfrage als Folge von Verhaltensänderungen im engeren Sinn nicht von Effekten weiterer Strukturveränderungen trennen lassen. So führt z. B. eine absolute Zunahme der Erwerbstätigkeit, wie sie kennzeichnend gerade für die letzten Jahre ist, zu einer Zunahme des Berufsverkehrs, der höhere Entfernungen je Weg aufweist und selten zu Fuß unternommen wird. Eine zunehmende Anzahl Erwerbstätiger führt in den hochgerechneten Daten unter anderem zu einer Zunahme der ÖPNV-Nutzung, die nicht im Sinne einer Verkehrsverlagerung zu interpretieren ist. Eine Untersuchung dieser Effekte erfordert eine sozial differenzierte Analyse, die außerhalb der Fragestellung dieses Beitrags liegt.
3.2 Verkehrsaufkommen in Kernstadt und Umland
Die meisten Haushaltsbefragungen zum Verkehrsverhalten beschränken sich auf Großstädte und damit auf die Kernstädte größerer Verflechtungsräume, obwohl Umland-Stadt-Verflechtungen auch für die Verkehrssituation in den Kernstädten eine wesentliche Rolle spielen. Im Gegensatz dazu gibt es für die Regionen Münster und Hannover eine umfassendere Datengrundlage.
– Die Stadt Münster hat die Haushaltsbefragung im Stadtgebiet in den Jahren 1982, 1990 und 2007 durch eine Pendlererhebung ergänzt, sodass sich die Verkehrsentwicklung in der Stadt einschließlich der Pendlerverkehre beschreiben lässt. Zusätzlich stehen Ergebnisse von Kordonzählungen für die Jahre 2001, 2007 und 2015 zur Verfügung (Abschnitt 3.2.1).
– Die Haushaltsbefragungen der Region Hannover umfassen für die Jahre 2002 und 2011 neben der Stadt (bisher betrachtet) auch das Umland (Analysen im Abschnitt 3.2.2).
Auf dieser Basis lassen sich weitere Fehleinschätzungen identifizieren, die sich aus der Fixierung auf den Modal Split ergeben.
3.2.1 Verkehrsaufkommen in Münster – Bewohner und Einpendler
Die Zusammenführung der Haushaltsbefragung und der Pendlerdaten erfolgt in den Dokumentationen der Stadt Münster auf Basis des Verkehrs der Stadtbevölkerung und der Einpendler, also nicht wie im letzten Schritt als Wege pro Person und Tag. In der Angabe des Verkehrsaufkommens der Wohnbevölkerung schlagen sich daher gleichzeitig Unterschiede im Verkehrsverhalten zwischen den Jahren sowie die Bevölkerungsentwicklung der Stadt und des Umlandes nieder (Tabelle 3). Allerdings beschränkt sich diese komplexere Zeitreihe auf nur drei Erhebungen (Stadt Münster 2009).
Danach zeigt sich von 1982 bis 2007 eine moderate Zunahme des Verkehrsaufkommens der Münsteraner (+14 % bzw. 109.300 Wege pro Tag), die sich auf die Verkehrsmittel des Umweltverbundes konzentriert. Gleichwohl ist auch das Verkehrsaufkommen im MIV gestiegen (+6 % bzw. um 21.500 Wege pro Tag). Deutlich stärker ist die Anzahl der Wege der Einpendler gestiegen (+84 % bzw. +169.800 Wege pro Tag, davon 147.700 Fahrten pro Tag mit dem MIV). Damit haben in der Stadt Münster von 1982 bis 2007 die Fahrten mit dem MIV um ein Drittel bzw. um 169.200 Wege pro Tag zugenommen und damit stärker als die Wege im Umweltverbund.
Auch die (zeitlich aber nicht übereinstimmenden) Kordonerhebungen am Stadtrand von Münster (2001, 2007 und 2015) zeigen steigende Kfz-Verkehrsmengen (Tabelle 4). Dabei entspricht die durchschnittliche jährliche Zunahme in den Kordonzählungen 2001 und 2007 mit 1,8 %/a (Tabelle 4) weitgehend dem längeren Zeitintervall von 1990 bis 2007 aus der Pendlerbefragung (1,9 %/a).
Für den Zeitraum 2007 bis 2015 aus den Kordonzählungen ergibt sich eine etwas geringere Zunahme von ca. 0,6 %/a (Tabelle 4). Besonders starke Steigerungen von 2001 bis 2015 zeigen sich auf den Bundesstraßen B 51 (3,2 %/a) und B 54 (2,5 %/a), die als Zubringer zur Autobahn A 1 Richtung Bremen bzw. Köln dienen. Dies kann auf eine überdurchschnittliche Zunahme der Pendelströme über längere Distanzen hinweisen.
Anhand der Absolutzahlen aus Tabelle 3 hat der MIV in Münster von 1982 bis 2007 zugenommen, obwohl für diesen Zeitraum bei einem Ausblenden der Umland-Stadt-Verflechtungen der Eindruck sinkender MIV-Nutzung entsteht. In den Berichten wird auf diese Diskrepanz zwischen der Veränderung des Modal Splits und der Realität auf der Straße explizit hingewiesen. So formuliert die Stadt Münster bezogen auf das Jahr 2007: Es ist „gelungen, trotz hoher Mobilität und wachsender Strukturen im Stadtgebiet, bei der Münsteraner Bevölkerung eine kontinuierliche Verbesserung des Verkehrsverhaltens zu erreichen“, konstatiert aber als Folge
Tabelle 3: Wegehäufigkeiten in Münster – Stadtbevölkerung und Einpendler
der Stadtrandwanderung, dass auf dem „Straßennetz deutlich mehr Kfz-Verkehre abgewickelt werden als noch vor 25 Jahren.“ (2009: 26). Anhand der Kordonzählungen zeigt sich in der Gegenüberstellung der Jahre in der letzten Periode eine abgeschwächte Zunahme des Kfz-Verkehrs an der Stadtgrenzen (Tabelle 4). Ergänzend führt die Stadt Münster kontinuierliche Verkehrszählungen im städtischen Netz durch, nach denen insbesondere in der inneren Stadt die Kfz-Mengen abnehmen (telefonische Auskunft Renkhoff, Stadt Münster).
Tabelle 4: Verkehrsbelastung am Stadtrand von Münster (DTVw) – Ergebnisse von Kordonzählungen
3.2.2 Verkehrsentwicklung in der Region Hannover – Stadt und Umland
In der Region Hannover liegen im Gegensatz zu den anderen hier betrachteten Städten Haushaltsbefragungen für die Kernstadt und den übrigen Landkreis (das Umland) vor, die eine erweiterte Verkehrsbilanz ermöglichen. Um die hier gestellten Fragen zu beantworten, wurden die erforderlichen Eckwerte des Verkehrsverhaltens aus den Originaldaten abgeleitet und abschließend die Bevölkerungszahlen der Region zu einer Hochrechnung genutzt. Diese absoluten Weghäufigkeiten werden mit dem üblicherweise verwendeten Modal Split (5), in der Praxis häufig sogar nur Modal Split (4) des Bewohnerverkehrs der Stadt Hannover verglichen. Für die methodische Fragestellung zur Eignung bzw. zu den Defiziten des Modal Splits werden hier die Veränderungen im Zeitverlauf in den Mittelpunkt gestellt.
Im Modal Split (Tabelle 5 oben) zeigen sich erwartungsgemäß höhere MIV-Anteile im Umland gegenüber der Kernstadt. Im Zeitvergleich nimmt in der Kernstadt der Anteil der Verkehrsmittel des Umweltverbundes leicht zu, bei gleichzeitig deutlicher Verschiebung zugunsten des Rad- und öffentlichen Verkehrs zu Lasten des Fußverkehrs. Im Umland zeigt sich bei nahezu konstantem, aber geringerem Anteil des Umweltverbundes eine Verschiebung vom Fußverkehr auf den ÖPNV. In Stadt und Umland verliert also vor allem der Fußverkehr an Bedeutung. Aber auch die MIV-Nutzung verändert sich: Der Anteil der MIV-Mitfahrten sinkt in beiden Teilräumen, in der Stadt bei konstanter Anzahl der Fahrten MIV-F vor allem zugunsten des Umweltverbundes, im Umland zugunsten des MIV-F. In Stadt und Umland blieben diese Veränderungen innerhalb der MIV-Nutzung in einem Modal Split (4) verborgen.
Aufgrund der zeitlich konstanten Wegehäufigkeiten im Zeitverlauf in der Region Hannover entsprechen die Entwicklungen der Wegehäufigkeiten nach Verkehrsmitteln den Veränderungen des Modal Splits. Dass dies nicht in allen Zeitvergleichen zu erwarten ist, zeigten die Daten aus den eingangs betrachteten weiteren Untersuchungsstädten (s. Tabelle 2).
Tabelle 5: Relativer Modal Split (5) und absolute Wegehäufigkeiten – Bevölkerung der Stadt Hannover und des Umlandes
Bezogen auf die Verkehrsbelastungen und ihre Folgen (NO2, CO2 …) sind die bisher nicht betrachteten zurückgelegten Distanzen nochmals relevanter als die absoluten Wegehäufigkeiten. Dies betrifft insbesondere die Fahrzeugkilometer, die im Personenverkehr den mit dem MIV als Fahrer zurückgelegten Distanzen entsprechen. Auch diese lassen sich aus den Erhebungen im Landkreis Hannover für die Stadt und das Umland ableiten (Tabelle 6). Danach hat der Verkehrsaufwand von 2002 bis 2011 in der Stadt um 1,5 km/Person und Tag zugenommen, im übrigen Landkreis um 3,9 km/Person und Tag und im Gesamtraum um 2,6 km/Person und Tag. Der Verkehrsaufwand im MIV als Fahrer steigt im gleichen Zeitraum von 12,9 auf 14,0 MIV-F-km/Person und Tag. Dabei steht eine Abnahme seitens der Kernstadtbevölkerung um 1,3 MIV-F-km/Person und Tag einer Zunahme um 3,3 MIV-F-km/Person und Tag seitens der Umlandbevölkerung gegenüber.
Tabelle 6: Wegelänge und Verkehrsaufwand – Bevölkerung der Stadt Hannover und des Umlandes
4 Schlussfolgerungen
Eine vor dem Hintergrund hoher innerstädtischer Schadstoffimmissionen und hoher klimawirksamer Emissionen erfolgreiche Verkehrsplanung und -politik, so die verbreitete Einschätzung in verkehrspolitischen Diskussionen, drückt sich in sinkenden MIV-Anteilen im relativen Modal Split aus. Diese Diskussion besitzt aus städtischer Perspektive wegen hoher Immissionswerte (NO2 und Feinstaub) sowie aus globaler Perspektive wegen der klimawirksamen Emissionen hohe Aktualität.
Der relative Modal Split wird dabei in der Regel aus dem Verkehrsaufkommen, den nach Verkehrsmitteln differenzierten Wegen der Wohnbevölkerung einer Stadt abgeleitet. Am Beispiel ausgewählter deutscher Großstädte, vertieft anhand der Regionen Münster und Hannover, wurde gezeigt, dass sich insbesondere der relative Modal Split (4) der Kernstadtbevölkerung weder als Kenngröße der Verkehrsmittelnutzung für Städtevergleiche noch für die Beschreibung zeitlicher Entwicklungen eignet.
– Die Verwendung des relativen Modal Splits (4), also ohne Unterscheidung zwischen MIV-Fahrten und Mitfahrten, verdeckt wesentliche Veränderungen der Verkehrsmittelnutzung zwischen der MIV-Nutzung als Fahrer und Mitfahrer und sollte generell unterbleiben.
– Die Verwendung des relativen Modal Splits kann insbesondere im Zeitvergleich in die Irre leiten, wenn es zu deutlichen Veränderungen der Erhebungsmethode (oder auch des Antwortverhaltens) kommt. Etwas mehr Sicherheit bringt hier die Verwendung absoluter Wegehäufigkeiten anstelle der Anteilswerte.
– Hinsichtlich des Fußverkehrs ist bei Vergleichen auf Grundlage unterschiedlicher Befragungen die Operationalisierung der Fußwege zu beachten, z. B. Fußwege ab einer bestimmten Länge, alle Fußwege oder Etappen. Außerdem spielt gerade hier die Qualität der Erhebung eine wesentliche Rolle.
– In der Kernstadt- und Umlandbevölkerung kann es zu deutlich gegenläufigen Veränderungen der Verkehrsmittelnutzung kommen, die in Befragungen allein der Kernstadtbevölkerung verborgen bleiben. Daher sollten Verkehrsanalysen für Kernstädte die Umlandbevölkerung einbeziehen.
– Gegenüber den Wegehäufigkeiten nach Verkehrsmitteln spielen aus verkehrsplanerischer Sicht die dabei zurückgelegten Distanzen eine größere Rolle, da sich aus diesen die Verkehrsbelastungen vor Ort und die Folgebelastungen ergeben. Daher sollten Analysen der zurückgelegten Distanzen im Vordergrund stehen.
Daraus ergeben sich einige Empfehlungen, die hier in drei Teilbschnitten dargestellt werden. Abschnitt 4.1 befasst sich mit Empfehlungen zu den Erhebungen selbst, Abschnitt 4.2 behandelt nochmals die Kenngrößen zur Beschreibung der Verkehrsstrukturen und Verkehrsentwicklung. Abschnitt 4.3 formuliert weitergehende Fragen.
4.1 Die Verkehrsmittelnutzung zuverlässiger messen
Die bisherigen Überlegungen zeigen, dass die Verkehrsmittelnutzung differenzierter als bisher mit dem Modal Split üblich abgebildet werden sollte. Dies stellt erweiterte Anforderungen an Konzeption und Inhalte der Messungen bzw. Erhebungen der Verkehrsmittelnutzung, um zu belastbareren und aussagefähigeren Indikatoren zu kommen. Auf die wichtigsten Aspekte soll hier kurz eingegangen werden.
Die beiden zentralen bereits herausgearbeiteten inhaltlichen Aspekte sind die erweiterte Perspektive über die jeweilige Kernstadt hinaus sowie der Übergang von Anteilswerten zu Absolutwerten. Hinsichtlich der Belastungen durch den Verkehr spielt der absolute Verkehrsaufwand bzw. die Verkehrsleistung, also die zurückgelegten Kilometer, eine größere Rolle als die Anzahl der zurückgelegten Wege.
– Um den einpendelnden Verkehr in die Kernstadt, aber auch die dispersen Verflechtungen im Umland, abzubilden, müssen die Befragungen die Bevölkerung einer kompletten Verkehrsregion einschließen. Regionale Erhebungen können sich dabei, wie kommunale Erhebungen, in der Regel auf Stichproben aus den Einwohnermelderegistern stützen. Diese führen zu einer höheren Beteiligung und besseren Abdeckung als einfache Telefonstichproben.
– Die zurückgelegten Wege sollten mit einer geografisch verortbaren Angabe zum Start- und Zielpunkt erhoben werden. Mit diesen Informationen kann ein zurückgelegter Weg in seiner Gesamtdistanz bestimmt, gegebenenfalls aber auch in Abschnitte innerhalb und außerhalb der Kernstadt unterteilt und den Gebieten zugewiesen werden. Für die Kernstadt führt dies als eine weitere Analysemöglichkeit zu einer „Tagesverkehrsbevölkerung“ anstatt des bisher fast ausschließlich angewandten Bewohnerprinzips.
– Die Einbeziehung der Umlandbevölkerung führt zu einer umfassenderen Abbildung der Verkehrsverflechtungen, der Verkehrsmittelnutzung und des verkehrsmitteldifferenzierten Verkehrsaufwands, aus der die Belastungen durch den MIV deutlicher hervorgehen, aber auch die Bedeutung des ÖV. In drei regionalen Vertiefungen der MiD 2017 sind derartige Auswertungen erstmalig beispielhaft vorgesehen (etwa für Stuttgart und München). Die regionale Ausdehnung der Erhebungen wirkt sich auch auf die Berechnungen der Schadstoff- und CO2-Emissionen aus, die so die längeren Wege vom Umland in die Kernstadt und innerhalb des Umlandes einbeziehen können.
– Damit noch nicht gelöst ist die Integration solcher Segmente des Güterverkehrs, die die innerstädtische Verkehrssituation wesentlich prägen. Auch hier bieten die regionalen Aufstockungen der MiD Ansatzpunkte und integrieren einen Teil solcher Wege in die Betrachtung des Aufkommens und des Verkehrsaufwands. Diese beschränkt sich aber auf die Bewohner einer Region als verursachende Verkehrsteilnehmer in diesem Sektor. Soll auch die innerstädtische Verkehrsleistung eines von weiter außerhalb einströmenden Güterverkehrs einbezogen werden, muss auf weitere Quellen wie etwa Zählungen zurückgegriffen werden. Dies gilt sinngemäß auch für den Personenverkehr mit Quellen außerhalb der Regionsabgrenzung.
– Wird die Verkehrsmittelnutzung auf der Ebene des Verkehrsaufwands zu einem zentralen Indikator, muss der Erhebung der Distanzen besonderes Augenmerk geschenkt werden. Dies kann verknüpft mit der Erfassung von Start- und Zielpunkten erfolgen, die bereits zur Ermittlung der genannten „Tagesverkehrsbevölkerung“ erforderlich sind, oder aber durch Schätzungen der Wegedistanzen durch die Befragten, die im Rahmen der Aufbereitung zu plausibilisieren sind. Da die vorgeschlagenen absoluten Angaben der Distanzen besonders sensibel für Ausreißer sind, erfordern Erhebung und Datenaufbereitung besondere Sorgfalt.
Zu diesen, im Zusammenhang mit der erweiterten Modal-Split-Betrachtung wichtigen inhaltlich-methodischen Gesichtspunkten, kommen rein methodische Hinweise. Auch die hier vorgeschlagene Abbildung der Verkehrsmittelnutzung durch Absolutwerte ist wertlos, wenn sie auf Befragungskonzepte zurückgeht, die falsche oder verzerrte Werte liefern. Bereits die im Abschnitt 3 in einer Auswahl gezeigten Zeitreihen belegen, wie wichtig Zuverlässigkeit und Vergleichbarkeit sind. Beim Verständnis unterstützen weitere bewährte, aber auch neuere Datenquellen (siehe dazu auch Abschnitt 5).
Insbesondere bei Zeitvergleichen und Entwicklungsbetrachtungen stellt sich das Problem zurückgehender Kooperationsraten bei der Durchführung von Bürgerbefragungen. Diesem kann nur durch eine sorgfältige Gestaltung der Erhebungsunterlagen und den kombinierten Einsatz verschiedener Methoden – etwa schriftlich, telefonisch und online in einem intergierten Ansatz – begegnet werden. Als Qualitätsmaßstab entscheidender als die oft allein herangezogene Beteiligungsrate sind eine möglichst geringe Selektivität der Befragung und zuverlässige Antworten. Beides wird in Mobilitätsbefragungen zunehmend durch eine Art der sozialen Erwünschtheit erschwert, die durch den wachsenden Fokus auf eine umweltgerechte Alltagsmobilität entsteht.
Zusätzlich besteht die Möglichkeit, sich an regionalen Vertiefungen umfassender bundesweiter Erhebungen zu beteiligen und so von deren elaborierten Verfahren zu profitieren, die in alleinstehenden regionalen Ad-hoc-Erhebungen ökonomisch oft nicht leistbar sind.
4.2 Kenngrößen zur Beschreibung der Verkehrsnachfrage und ihrer Veränderungen
Die hier erfolgte Rückrechnung des Modal Splits auf absolute Wegehäufigkeiten und die Betrachtung der zurückgelegten Distanzen nach Verkehrsmitteln führt zu differenzierteren und teilweise abweichenden Einschätzungen der Verkehrsmittelnutzung im Städtevergleich und in der zeitlichen Entwicklung als die Verkehrsmittelanteile im Modal Split. Dies gilt im Grundsatz für jede Differenzierung des Modal Splits, für den fünfwertigen Modal Split (zu Fuß, Radverkehr, öffentlicher Verkehr, MIV-Fahrer und Mitfahrer) ebenso wie für die noch schwächeren vier- und dreiwertigen Modal Splits (zu Fuß, Radverkehr, öffentlicher Verkehr, MIV gesamt oder nicht motorisierter Individualverkehr, öffentlicher Verkehr, MIV gesamt). Noch problematischer kann die Fokussierung auf ein einzelnes Verkehrsmittel sein, z. B. ein Ziel wie im alten Masterplan Mobilität der Stadt Dortmund (2004), den Radverkehrsanteil zu verdoppeln. Denn unter Umständen führt eine Radverkehrsförderung zu Verschiebungen zwischen dem Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr, sodass eine Verdopplung des Radverkehrs nicht zwingend zur eigentlich angestrebten Verringerung des MIV führt. Ergänzend sollten die Erhebungen zukünftig Fahrräder und Pedelecs, Carsharing und andere Mobilitätsdienste differenzieren, um in den Analysen für neue Entwicklungen offen zu sein.
Darüber hinaus zeigt die Datenzusammenstellung, wie wichtig es ist, die Erhebungen und Analysen regional auszudehnen. Denn die Verkehrsentwicklungen in Stadt und Umland können deutlich voneinander abweichen. Außerdem gewinnen die regionalen Verflechtungen für die Verkehrsbelastungen in den Kernstädten weiter an Bedeutung. Eine zutreffende Beschreibung der Verkehrsentwicklung (auch der Kernstädte allein) erfordert daher die Einbeziehung der regionalen Verflechtungen und setzt regionale Befragungen für komplette Verkehrsräume voraus, wie im Rahmen der MiD 2017 und der aktuellen SrV-Erhebungen realisiert. Zu einem besseren Verständnis der Verkehrsentwicklung könnte ein Frageblock zu Umzügen beitragen, wie dieser 1998 in einer Befragung in der Region Berlin durchgeführt wurde. Dieser zeigte, wie deutlich sich das Verkehrsverhalten, vor allem die Kernstadtorientierung, von Alteingesessenen und Zugezogenen unterscheidet (Geier/Holz-Rau/Krafft-Neuhäuser 2001).
Entsprechend ist der Modal Split, wie leider häufig praktiziert, für die Formulierung strategischer Ziele der Verkehrsplanung sowie für die Erfolgskontrolle weitgehend ungeeignet. Diese sollten sich vorrangig auf absolute Aufkommens- und Aufwandsziele sowie deren Veränderungen stützen. Beispielsweise könnte die Zielformulierung für die Reduzierung des MIV wie folgt lauten: „Die durchschnittliche Fahrtenhäufigkeit mit dem MIV als Fahrer soll in der Region in den nächsten zehn Jahren von 1,5 auf 1,2 Fahrten pro Person und Tag sinken, in der Kernstadt von derzeit 1,0 auf 0,7 und im Umland von derzeit 2,0 auf 1,5 Fahrten pro Person und Tag. Die täglichen Distanzen mit dem MIV als Fahrer sollen gleichzeitig von 20 auf 16 km/Person und Tag abnehmen, in der Kernstadt von 13 auf 10, im Umland von 25 auf 20 km/Person und Tag. Es erfolgt eine Kontrolle durch regionale Verkehrsbefragungen (in fünf und) in zehn Jahren“. Derartige Ziele könnten für das städtische Netz anhand von Belastungszahlen nochmals konkretisiert werden: „Die durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärken des Kfz-Verkehrs auf den städtischen Hauptverkehrsstraßen sollen, ohne Verdrängung in das nachgeordnete Netz, innerhalb von zehn Jahren um 25 % gesenkt werden, um 15 % an den Stadtgrenzen, um 30 % am Rande der inneren Stadt.“ Mit Zählungen lassen sich, dann auch häufiger zwischen den Erhebungszeiträumen regionaler Befragungen, die Entwicklungsrichtung sowie der Grad der Zielerreichung kontrollieren.
Durch verkehrsabhängige Steuerungen der Netze, Big Data und Smart City werden entsprechende Daten immer leichter zugänglich. Die Zählungen sollten auch den Radverkehr einbeziehen, da hier das aktuelle Bemühen vieler Städte ansetzt und der Radverkehr in Verkehrsbefragungen mit kürzeren Erhebungszeiträumen, insbesondere durch Witterungseffekte, relativ unzuverlässig erfasst wird. Gleichzeitig erfassen Verkehrszählungen auch den Güterverkehr, dessen Zunahme in den Städten zu einem immer größeren Problem wird.
Trotz einer Kontrolle der Entwicklungen über Verkehrszählungen bleiben Haushaltsbefragungen in einem zeitlichen Abstand von fünf bis zehn Jahren zum Verständnis des Verkehrsverhaltens und der Verkehrsentwicklung, für sozial und räumlich differenzierte Analysen sowie als Basis von Verkehrsprognosen unverzichtbar. Dabei sollten die Verkehrsmittelnutzung und ihre Entwicklung aber nicht nur komplex erhoben und analysiert werden, sondern, trotz aller Schwierigkeiten, auch komplex kommuniziert und nicht auf den Modal Split reduziert werden.
In der fachlichen Perspektive sind diese Ergebnisse nicht vollständig neu. In manchen kommunalen Verkehrsanalysen finden sich, zumindest teilweise, auch die hier vorgeschlagenen absoluten Indikatoren des Aufkommens, der Wegehäufigkeiten und Distanzen nach Verkehrsmitteln (z. B. Münster 2009 und 2013, Landeshauptstadt München 2006, NYC Department of Transportation 2016). Sie werden aber in der weiteren Diskussion in der Regel durch den relativen Modal Split (meist des Bewohnerverkehrs) abgelöst. Hier sollten die Expertinnen und Experten in den Verwaltungen, beratenden Büros und Erhebungsinstituten die Bedeutung komplexerer Indikatoren betonen, auf komplexere Formulierungen von Zielen, Entwicklungen und Wirkungen drängen und sich der dominierenden Verwendung des vereinfachenden und teilweise irreleitenden relativen Modal Splits entgegenstellen.
4.3 Forschungsausblick
Zu den hier betrachteten Beispielen gehören mit Münster und Hannover zwei Städte, die sich schon länger um die Reduzierung des MIV bemühen. Trotzdem zeigt sich in beiden Fällen eine Zunahme des MIV-Aufkommens oder Aufwandes in der Gesamtregion. Daher sollten für beide Beispiele und für andere Städte und Regionen, deren Verkehrsmittelnutzung bisher vorrangig anhand des relativen Modal Splits der Stadtbevölkerung betrachtet wurden, die absoluten Kennwerte im regionalen Kontext analysiert werden. Derartige Analysen sind die unverzichtbare Basis für die Diskussion über die Ziele, Wirkungen und die Wirksamkeit städtischer und regionaler Verkehrskonzepte.
Neben den methodischen Schlussfolgerungen zu den Erhebungen und deren Analyse stellt sich am Ende die Frage zum politischen Gebrauchswert des Indikators. Eine evidenzbasierte Politik und Evaluation erfordert geeignete Indikatoren zur Leistungsmessung (Wollmann, 2003). Wie Kitchin/Lauriault/McArdle (2015) aber am Beispiel von Smart-City-Konzepten erläutern, geht mit vielen Indikatorensets eine zum Teil naive Instrumentalität einher, die man auch in der Klima- und Energiepolitik beobachten kann (Kitchin/Lauriault/McArdle 2015; Gramelsberger 2009; Heintz 2008). Damit stellen sich ergänzend aus politikwissenschaftlicher Perspektive vor allem zwei Fragen: Gilt diese naive Instrumentalität auch für den Modal Split? Ist der Modal Split gerade durch seine Unschärfe in der Prüfbarkeit von Entwicklungen und Zielerreichung eine beliebte Kenngröße für politische Prozesse, obwohl er sich als Grundlage einer evidenzbasierten Verkehrsplanung und -politik kaum eignet?
Danksagung
Für die Unterstützung bei der Datensammlung und weitere Anregungen danken wir Frau Tanja Göbler (Region Hannover), Patrick Hönninger (Stadt Duisburg), Andreas Meißner (Stadt Dortmund), Detlef Pfefferkorn (Stadt Potsdam) und Ralf Renkhoff (Stadt Münster). Außerdem danken wir Dr. Johannes Eggs (infas) für die Analysen des Datenbestandes der Region Hannover.
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