Einleitung |
Automatisierte Objekterkennung und -lokalisierung in Bildern gehört aufgrund der rasanten Entwicklung der Computertechnik und des Maschinellen Sehens in vielen Wirtschaftsbereichen heute zum Standard. Auch zur Verkehrsdatenerfassung werden Technologien aus dem Bereich Computer Vision eingesetzt. Während die Videoerfassung mit anschließender manueller Auswertung schon viele Jahr(-zehnte) für verschiedene Fragestellungen eingesetzt wird, kommen mittlerweile häufig (teil-)automatisierte Methoden zur Anwendung. Zudem bieten einige Unternehmen seit wenigen Jahren auch KI-basierte, vollautomatische Auswertungen von Videomaterial an. Die Dienstleistungen reichen dabei von der Auswertung von Videos von Querschnittszählungen über Knotenstrom- und Fußverkehrszählungen sowie Zeitstempelanalysen bis hin zur Analyse vollständiger Trajektorien der Verkehrsteilnehmenden (z. B. Zur Verkehrssicherheitsanalyse). Die dadurch entstehende breitere Datengrundlage für die Planung von bestehenden und zukünftigen Verkehrssystemen ist grundsätzlich zu begrüßen.
Wir haben diverse Anbieter und Services ausprobiert, die für bestimmte Aufgaben (zum Beispiel für die Zählung von Fahrzeugen) gute Ergebnisse liefern, jedoch nicht für alle aktuellen Anwendungsfälle infrage kommen. Aus Gesprächen mit Universitäten, Ingenieurbüros und Verwaltungen wissen wir, dass diese ähnliche Erfahrungen machen. Planende benötigen für die Überarbeitung eines Mobilitätskonzepts immer häufiger nicht nur genaue Zähldaten zu Fahrzeugen, sondern auch zu nichtmotorisiertem Verkehr und neuen Mobilitätsformen wie Lastenrädern oder E-Scootern. Forschende möchten zeitlich und räumlich feingranular aufgelöste Trajektorien der Verkehrsteilnehmenden analysieren, zum Beispiel zur Entwicklung proaktiver Sicherheitstools. Und Kommunen haben die Vision, die automatisierte Verkehrserfassung nicht nur zur Analyse, sondern auch zum Management ihrer Verkehrsströme einzusetzen.
Einzelne dieser Funktionalitäten werden von bestimmten Anbietern bedient. In vielen Fällen ist es für die Anbieter jedoch nicht wirtschaftlich, ihre Produkte für alle der verschiedenen spezifischen Anwendungszwecke anzupassen. Die verwendeten Algorithmen und die Qualität des angebotenen Dienstes bleiben dabei oft unbekannt. Auch wenn eine Software, ein Dienstleister oder ein Dienst eine Aufgabe (z. B. Knotenstromzählungen für Kfz) in guter Qualität erledigen kann und diese von Nutzenden evaluiert wurde, kann bei demselben Dienst nicht automatisch für andere Aufgabenstellungen eine gute Qualität unterstellt werden. Auch ist nicht sichergestellt, wie lange die Services in dieser Form angeboten werden. Viele der Produkte funktionieren aufgrund fehlender offener Programmierschnittstellen ausschließlich in einem bestimmten Ökosystem, was die Kunden stark bindet (Vendor Lock) und damit eventuell zu erhöhten Belastungen von Steuergeldern führt.
Sowohl für unsere Kunden als auch für uns selbst sind die oben genannten Use Cases interessant, weshalb wir derzeit daran arbeiten, einige davon in das Tool OpenTrafficCam zu implementieren. Damit für Kundinnen und Kunden ein Vendor Lock Effekt verhindert wird und andere Entwickelnde den Funktionsumfang erweitern können, stellen wir große Teile von OpenTrafficCam als Open Source zur Verfügung, schaffen offene Programmierschnittstellen und nutzen offene, etablierte Datenformate. Allem voran ist die funktionale Basis also quelloffen. Das heißt der entwickelte Softwarecode kann frei eingesehen und heruntergeladen werden (github.com/OpenTrafficCam). OpenTrafficCam besteht aus mehreren Teilmodulen. Am Anfang der Verarbeitungskette steht ein Hardwaresystem rund um eine Kamera (OTCamera), welches mehrere Tage autark oder permanent mit externer Stromversorgung im Straßenraum Videos erfassen bzw. streamen kann. Der Schutz von personenbeziehbaren Daten steht dabei von Anfang an im Vordergrund und wird durch die Zusammenarbeit mit entsprechenden Fachleuten sichergestellt. Mit OTVision stellen wir einen Baustein bereit, mit dem moderne Objekterkennungs- und -lokalisierungsalgorithmen ohne Programmierkenntnisse auf das aufgezeichnete Videomaterial angewendet werden können. Damit werden in jedem einzelnen Bild der Videos vollständig automatisiert Verkehrsteilnehmende und deren Position erkannt und daraus Trajektorien über mehrere Videobilder hinweg erkannt. Aus diesen Trajektorien in Bildkoordinaten können dann Trajektorien in Weltkoordinaten berechnet werden. Mit OTAnalytics werden die Bild- oder Weltkoordinaten dann zu den Daten zusammengefasst, welche uns als Verkehrsingenieurinnen und Verkehrsingenieure interessieren (z. B. Knotenströme in beliebigen Zeitintervallen, Geschwindigkeiten und Konfliktmaße). Neben diesen drei Kernelementen entwickeln wir auch Werkzeuge, um die automatisch erzeugten Daten manuell validieren zu können und die im Hintergrund arbeitenden KI-Algorithmen weiter zu verbessern, um Radverkehr oder zu Fuß Gehende in Zukunft noch verlässlicher zu erfassen und um die Erkennung von Lastenrädern, E-Scootern und weiteren Fahrzeugklassen zu ermöglichen. Zur Evaluierung schaffen wir Referenzdatensätze, damit Nutzende bereits vorab ein Bild von der zu erwartenden Datenqualität erhalten.
OpenTrafficCam ist dabei beides: eine freie, quelloffene Software für die Basisfunktionalität und darüber hinaus ein kommerzielles Produkt der weiterführenden Features. Die Entwicklungskosten werden derzeit zum Teil aus Fördermitteln des mFUND des BMDV finanziert, bedürfen jedoch eines nachhaltigen Geschäftsmodells. Die Implementierung, Adaption und spezifische Use Cases können als Auftrag entwickelt oder als Produkt erworben werden. Durch den offenen Ansatz können aber auch andere Kommunen, Büros oder Verwaltungen von den Entwicklungen profitieren.
Als Fazit dieses Beitrages möchten wir festhalten: Ja, automatisierte videobasierte Verkehrserhebung ist nutzbar! Und zwar für viele verschiedene Aufgabenstellungen unter Nutzung verschiedenster Dienste und Produkte. Allerdings empfehlen wir eine Evaluierung der Dienste und Produkte vor deren umfänglicher Beschaffung. Machen Sie sich Gedanken, was passiert, wenn die Qualität der Daten schlechter ausfällt als erwartet oder der Hersteller entscheidet, das Produkt einzustellen. Stellen Sie sich die Frage, ob weitere Anwendungsfälle mit der gleichen Technologie hinzukommen, dadurch Synergieeffekte entstehen können und ob der gewählte Dienst den zukünftigen Anforderungen gerecht werden kann. Möchten Sie sich am Aufbau eines gemeinsamen, öffentlichen Referenzdatensatzes zur Evaluierung der Dienste und Produkte beteiligen? Und wäre es nicht eine gute Sache, wenn die investierten Mittel auch anderen öffentlichen Einrichtungen zugutekommen? |