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1 Motivation
Floating-Car-Daten (FCD) haben sich in den letzten Jahren als Quelle für Informationen über die aktuelle Verkehrslage sehr etabliert. Sie haben in kommerziellen Diensten andere Quellen weitgehend verdrängt und haben dazu geführt, dass wir heute so genau wie noch nie Bescheid wissen, wie der Verkehr auf den Straßen fließt.
Es ist deshalb naheliegend, Floating-Car-Daten auch in der Planung und Bemessung von Verkehrsanlagen einzusetzen. Im Forschungsprojekt FE 77.0516/2019 „Verfahren für die Engpass- und Mängelanalyse im städtischen Hauptverkehrsstraßennetz“ wird deshalb untersucht, wie FC-Daten genutzt werden können, um Kenngrößen zu ermitteln, die für Planung und Bemessung im Kontext der Regelwerks RIN und HBS erforderlich sind.
2 Quellen und Arten von FCD
Floating-Car-Daten entstehen, wenn Fahrzeuge während der Fahrt ihre Position an eine Zentrale senden. Aus einer Abfolge solcher Meldungen eines Fahrzeugs kann der Fahrtverlauf des Fahrzeugs rekonstruiert werden, insbesondere kann festgestellt werden, wie viel Zeit das Fahrzeug zwischen den gemeldeten Positionen verbracht hat. Typischerweise werden neben der Position und einer Identifikation des Fahrzeugs noch weitere Daten übertragen wie die aktuelle Geschwindigkeit am Meldungsort oder die Fahrtrichtung. Technische Voraussetzungen für FCD sind also Ortung und Kommunikation, wie sie vor allem bei Smartphones, aber auch bei eingebauten Navigationsgeräten gegeben sind. Streng genommen sendet in vielen Fällen nicht das Fahrzeug, sondern ein mitgeführtes Smartphone die Information an die Zentrale.
Bild 1: Meldepunkte von Floating Cars mit farbcodierter Geschwindigkeit
Die Positionsbestimmung beruht auf GPS oder vergleichbaren Systemen und ist ausreichend, um in Verbindung mit algorithmischer Nachbearbeitung eine zuverlässige Aussage zum Ort des Fahrzeugs zu machen. Für die Qualität bzw. das Nutzungspotential der Floating-Car-Daten sind zwei andere Aspekte entscheidend: Die Durchdringungsrate, das heißt welcher Anteil aller Fahrzeuge Informationen sendet, und die Sendefrequenz, das heißt wie oft die Fahrzeuge senden. Typische Sendefrequenzen in kommerziellen FCD-Systemen liegen bei 5 – 20 Sekunden. Für eine zuverlässige Aussage, ob auf einer Strecke eine ernsthafte Störung vorliegt, reicht es schon aus, die Fahrtzeiten von ca. 2 % der Fahrzeuge auf der Strecke zu kennen. Bei höheren Durchdringungsraten kann die Verkehrslageinformation dann auch räumlich sehr fein aufgelöst oder nach Verkehrsqualität weiter differenziert werden.
Für eine Anwendung in Planung und Bemessung müssen FC-Daten öffentlich oder kommerziell zugänglich sein. Während früher die Betreiber der Navigations- und Verkehrslagedienste die von ihnen erhobenen FC-Daten weitgehend ausschließlich nur für den Betrieb ihrer Systeme verwendet hatten, hat sich heute eine Reihe von kommerziellen Angeboten entwickelt, die FC-Daten für vergangene Zeiträume für Endkunden wie Kommunen oder Ingenieurbüros bereitstellen.
FC-Daten werden von den Anbietern entweder als Rohdaten oder als aggregierte Daten geliefert. Rohdaten bestehen im Wesentlichen aus den einzelnen Positionsmeldungen der Fahrzeuge und enthalten meistens eine Fahrzeugidentifikation, einen Zeitstempel, die Position in geografischen Koordinaten und die an der gemeldeten Position gefahrene Geschwindigkeit. Bei einigen Anbietern kann optional gewählt werden, ob auch ein Bezug zum Straßennetz hergestellt werden soll. Dieser Schritt wird „Map-Matching“ genannt und ergänzt die reine geografische Position um eine Information, auf welchem Streckenstück eines Straßennetzes diese Position liegt. Dazu ist ein Bezug auf eine digitale Straßenkarte notwendig, für den entweder eine anbieterspezifische Karte oder häufig auch die frei verfügbare Karte von OpenStreetMap verwendet wird. Die Aufgabe des Mapmatching ist nicht trivial, weil die gemeldeten Positionen je nach Empfangssituation der Ortung mit Ungenauigkeiten behaftet sind und im Bereich einiger Meter neben der Fahrbahn liegen können. Für eine zuverlässige Zuordnung der Position zu einer Strecke genügt in der Regel nicht, einfach die nächstliegende Strecke zu suchen, sondern die Mapmatching-Verfahren betrachten eine ganze Abfolge von Positionsmeldungen und berechnen dann die wahrscheinlichste gefahrene Route durch das Streckennetz.
Bei aggregierten Daten hat der Anbieter aus den Rohdaten bereits die Fahrzeiten der Fahrzeuge auf den Streckenabschnitten eines zu Grunde gelegten Netzmodells errechnet. Als Ergebnis geliefert wird mindestens der Mittelwert der Fahrzeiten pro Streckenabschnitt, eventuell auch die Verteilung der Fahrzeiten, zum Beispiel in Schritten von 5 %-Perzentilen. Da die Aggregation räumlich auf Streckenabschnitten geschieht, setzen aggregierte Daten den Bezug zu einem Netzmodell voraus, auf das die Rohdaten bei der Verarbeitung gematcht werden. Die Aggregation hat auch immer eine zeitliche Dimension; die Anwender können in der Regel angeben, für welchen Zeitraum die FC-Daten aggregiert werden sollen. Je nach Anwendung können Zeitintervalle von wenigen Minuten bis zu mehreren Monaten sinnvoll sein. In der Regel geben die Anbieter auch an, wie viele Fahrzeuge in den Mittelwert oder die Verteilung der Fahrzeiten im Bezugszeitraum eingegangen sind. Aus dieser Angabe kann der Durchdringungsgrad abgeschätzt werden, wenn die Gesamtverkehrsmenge zumindest stellenweise bekannt ist.
Wie repräsentativ die aus den FC-Daten abgeleiteten Informationen sind, hängt neben der Durchdringungsrate wesentlich davon ab, ob aus welcher Fahrzeugflotte der Anbieter seine Rohdaten erhält. Für eine einfache Störungserkennung ist es relativ unbedeutend, welche Fahrzeuge ihre Positionen senden, da bei einem Stau alle Fahrzeuge gleichermaßen betroffen sind. Deshalb reicht es dafür auch aus, die Trajektorien weniger Fahrzeuge zu kennen. Für eine zuverlässige Ermittlung der Fahrzeitverteilung z. B. für Bemessungszwecke ist dagegen relevant, ob die meldenden Fahrzeuge eine repräsentative Teilmenge der Gesamtflotte darstellen. Bezieht ein Anbieter seine Rohdaten zum Beispiel aus einer Flotte kommerzieller Lieferfahrzeuge oder aus den Neuwagen eines Fahrzeugherstellers, ist mit Verzerrungen zu rechnen. Die Anbieter sind bei Auskünften über ihre Datenlieferanten meistens sehr zurückhaltend. In der Analyse von Rohdaten ist auch erkennbar, dass in den Daten verschiedener Anbieter zum Teil die gleichen Fahrzeuge identifizierbar sind, was darauf hindeutet, dass es im Hintergrund einen regen Handel mit den FC-Rohdaten einzelner Flotten gibt. Anwender sollten sich zumindest bei Anbietern mit niedrigen Durchdringungsraten darüber informieren, welche Art von Fahrzeugen in den Daten enthalten ist. Bei Anbietern mit hohen Durchdringungsraten (> 10 %) kann man davon ausgehen, dass das Problem der Repräsentativität gering ist.
Auch wenn die Anzahl von Anbietern für FC-Daten in den letzten Jahren eher zunimmt, ist gleichzeitig eine Tendenz zu erkennen, dass die Geschäftsmodelle der Anbieter sich vom Verkauf von rohen oder aggregierten Daten wegbewegen, hin zu standardisierten Auswertungen dieser Daten als Dienstleistung. Im Moment gibt es noch einige Anbieter von Roh-FC-Daten. Dort kann man für einen räumlichen Ausschnitt (je nach Anbieter frei definierbares Polygon oder vorgegebene Regionen, z.B. administrative Gebietsgrenzen) für einen bestimmten Zeitraum alle enthaltenen Meldungen kaufen; der Preis orientiert sich in der Regel an der Menge der enthaltenen Daten. Bei Anbietern aggregierter Daten kann der räumliche und zeitliche Umgriff im Prinzip genauso definiert werden, nur werden hier die Informationen auf Abschnitte eines zu Grunde gelegten digitalen Straßennetzes bezogen. Als weitere Möglichkeit der räumlichen Abgrenzung kann statt eines Gebiets auch ein Streckenzug angegeben werden. Einige Anbieter wickeln den Verkauf der Daten noch traditionell ab, d.h. Anfrage – Angebot – Bestellung – Rechnung, während andere Anbieter auf Self-Service-Portale im Web setzen. Diese Entwicklung kann so weit gehen, dass im Self-Service-Portal komplette Analysen des Verkehrszustands in einer Stadt oder einem Stadtteil gekauft werden können. Solche Komplett-Analysen haben sicher ihren Wert, allerdings scheinen Sie bisher keinen Bezug zu den im Regelwerk genannten Kenngrößen zu haben; die Welten sind hier noch getrennt.
3 FCD zur Bewertung der Verkehrsqualität
3.1 Verkehrsqualität auf Netzabschnitten
Ein Netzabschnitt ist im HBS definiert als ein Abschnitt einer Straße zwischen Knotenpunkten mit Straßen gleicher oder höherer Kategorie. Für die Bewertung der Verkehrsqualität bietet das HBS im Kapitel S5 ein Verfahren an, das als verkehrstechnischen Indikator der Verkehrsqualität die mittlere Fahrzeit über den Netzabschnitt verwendet. In der Praxis muss diese mittlere Fahrzeit entweder gemessen werden, z. B. durch Kennzeichenerfassung, oder angenähert werden, z. B. durch Messfahrten oder Simulationsrechnungen.
FC-Daten bieten eine sehr einfache Möglichkeit, die mittlere Fahrzeit entlang eines Netzabschnitts zu bestimmen. Arbeitet man mit Rohdaten mit Mapmatching, können ein Eingangsquerschnitt und ein Ausgangsquerschnitt festgelegt und alle Fahrzeuge festgestellt werden, die diese beiden Querschnitte überfahren. Der genaue Überfahrzeitpunt wird aus der letzten Meldung des Fahrzeugs vor und hinter dem Querschnitt interpoliert. Damit hat man ziemlich genau eine Kennzeichenerfassung durch die FC-Daten ersetzt. Hat man nur Rohdaten ohne Mapmatching, ist ein ähnliches Vorgehen mit leichten Ungenauigkeiten möglich: Man legt um die Bezugsquerschnitte Fangradien und erfasst alle Fahrzeuge, die innerhalb der Fangradien gemeldet haben. Für die Fahrzeuge, die sich in beiden Fangradien aufgehalten haben, ermittelt man die Zeitdifferenz, die nach einer Plausibilitätsfilterung als Fahrzeit interpretiert werden kann. Nachteil der Methode ohne Mapmatching ist, dass weniger Fahrzeuge erfasst werden, dass die Erfassung nicht genau auf einen Querschnitt verortet ist und dass bei der Erfassung die Fahrtrichtung nicht beachtet wird. Trotzdem können so schon mit sehr wenig Aufbereitungsaufwand verlässliche Fahrzeiten ermittelt werden. In der obenstehenden Abbildung ist eine solche Messung mit Fangradien dargestellt; markiert sind die Fahrzeugmeldungen innerhalb des Start- und des Ziel-Fangradius.
Arbeitet man mit aggregierten FC-Daten, liefert der Anbieter bereits mittlere Fahrzeiten auf Streckenabschnitten des Netzmodells oder sogar die mittlere Fahrzeit für den zu betrachtenden Netzabschnitt. Je nachdem, wie das Netzmodell des Anbieters aufgebaut ist, kann es bei der Zusammensetzung von mittleren Fahrzeiten einzelner Streckenabschnitte zur mittleren Fahrzeit des Netzabschnitts zu Problemen kommen, wenn innerhalb eines Streckenabschnitts Fahrzeiten von Fahrzeugen in den Mittelwert eingehen, die nicht den ganzen Netzabschnitt durchfahren, sondern vorher abbiegen und beim Abbiegen hohe Wartezeiten erfahren. Das kann dann vermieden werden, wenn der Anbieter eine Option bietet, nur Fahrzeuge einzubeziehen, die den ganzen Netzabschnitt durchfahren haben.
Die durch FC-Daten ermittelten Fahrzeiten haben sich als in der Regel sehr zuverlässig herausgestellt. Kontrollmessungen durch Kennzeichenerfassung an mehreren Netzanschnitten in verschiedenen deutschen Städten haben ergeben, dass die Fahrzeiten aus FCD gut mit den gemessenen übereinstimmten, wo die Durchdringungsrate hoch war, und zumindest den gemessenen nicht widersprachen, wo die Durchdringungsrate am Messtag zu gering war, um belastbare Aussagen zu machen. In der untenstehenden Abbildung sind die Ergebnisse der beiden Methoden (FCD und Kennzeichenerfassung) an einem Messort gegenübergestellt; man erkennt eine gute Übereinstimmung.
Bild 2: Erfasste Fahrzeuge am Start (grün) und am Ende (rot) eines Netzabschnitts
Die eigentliche Stärke der FC-Daten liegt aber nicht im Ersatz einer kurzzeitigen Messung mit z. B. Kennzeichenerfassungsgeräten. Aufgrund der viel höheren Erfassungsrate der Kennzeichenerfassung wird der Verkehrszustand an einem Messtag viel genauer abgebildet, als das FC-Daten mit niedriger Durchdringungsrate können. Für die Bemessung ist aber die Fahrzeit an einem bestimmten Messtag gar nicht die ideale Information, weil dieser Tag mit Zufall behaftet ist. Eigentlich müsste eine Kennzeichenerfassung viele Tage lang laufen, um einen zuverlässigen Wert für die Bemessung zu generieren. Hier haben die FC-Daten einen großen Vorteil: mit sehr wenig Aufwand können längere Zeiträume bis zu mehreren Monaten betrachtet werden. Auch bei geringen Durchdringungsgraden ergeben sich dann zuverlässige mittlere Fahrzeiten, die repräsentativer sind als die an einem oder wenigen Tagen stationär gemessenen.
Bild 3: Vergleich von mit Kennzeichenerfassung (links) und mit FCD (rechts) gemessenen Fahrzeiten
3.2 Verkehrsqualität an Knotenpunkten mit Lichtsignalanlage
Auch bei der Bemessung von Knotenpunkten mit Lichtsignalanlage ist die Ermittlung der Verkehrsqualität eine wichtige und häufig auftretende Aufgabe für den Entwurf. In allen geläufigen Bemessungsverfahren wie dem Handbuch für die „Bemessung von Straßenverkehrsanlagen“ (HBS) oder dem US-amerikanischen Highway Capacity Manual (HCM 2022) wird die Verkehrsqualität mit Hilfe von Modellen der Warteschlangentheorie bestimmt und hängt im Wesentlichen von der Verkehrsnachfrage und der Kapazität der betrachteten Fahrtbeziehungen ab. Unabhängig vom gewählten Wartemodell ist also die Kenntnis dieser beiden Größen entscheidend für die richtige Bewertung der Verkehrsqualität.
Die maßgebende Verkehrsnachfrage wird als Bemessungsverkehrsstärke bezeichnet, die aus dem Spektrum der 50. bis 200. höchstbelasteten Stunde eines Jahres ausgewählt wird. Für die Bestimmung der Bemessungsverkehrsstärke ist folglich die Kenntnis oder zumindest die richtige Einschätzung der Dauerlinie mit ihren 8760 Stunden eine entscheidende Voraussetzung. Da für viele Bemessungsaufgaben häufig keine nahe gelegenen Dauermessstellen zur Hochrechnung von Kurzzeitzählungen zur Verfügung stehen, wird nach dem HBS die Spitzenstunde der Kurzeitzählung als 50. Stunde angesetzt. Dieses Vorgehen hat sich in der Praxis bewährt, liefert aber keine Sicherheit, dass tatsächlich eine der 50. Stunde entsprechende Verkehrsstärke gemessen wurde.
Alternativ zu den Kurzzeitzählungen kann aus FCD die Dauerlinie der Fahrtzeiten und damit die 50. Stunde der Warte- bzw. Verlustzeiten direkt ermittelt werden. Mit einem Verfahren zur Bestimmung der Verkehrsstärken an signalisierten Knotenpunkten aus FCD (Fourati et. al., 2021a) lässt sich dann für diese Stunde zuverlässig die Verkehrsstärke ermitteln. Da diese Art der Auswahl der Bemessungsverkehrsstärke auf der gemessenen Verkehrsqualität aufbaut, werden die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse zur gewählten Stunde in diesem alternativen Ansatz besser als durch die alleinige Betrachtung der Verkehrsstärken repräsentiert.
Als zweite maßgebende Kenngröße ist die Kapazität der einzelnen Fahrbeziehungen im Knotenpunkt (Knotenströme) von wesentlicher Bedeutung. Nach dem HBS wird die Kapazität auf Basis der Sättigungsverkehrsstärken der einzelnen Fahrtbeziehungen bestimmt. Die Sättigungsverkehrsstärken der einzelnen Ströme wiederum werden im HBS ausgehend von einem Zeitbedarfswert von 1,8 s/Pkw und einer Reihe von Einflussfaktoren wie z. B. dem Schwerverkehrsanteil, der Fahrbahnlängsneigung, der Fahrstreifenbreite und dem Abbiegeradius mit Hilfe einer empirischen Formel ermittelt. Die empirische Formel wurde aus den Erfahrungen der Anwendungspraxis heraus entwickelt. Weiteren Einfluss auf die Kapazitätsbestimmung der Knotenströme haben Faktoren wie die Länge der Aufstellstreifen und insbesondere die möglichen Störungen im Abfluss durch bedingt verträgliche Verkehrsströme. Bei der Vielzahl der Einflussgrößen auf die tatsächliche Kapazität ist eine Validierung des HBS-Verfahrens leider kaum möglich, weshalb zu seiner Zuverlässigkeit keine wissenschaftlich belastbare Aussage getroffen werden kann.
Die Analyse von FCD-Trajektorien, die über längere Zeiträume gesammelt wurden, eröffnet eine alternative messtechnische Methode zur direkten Bestimmung der Kapazitäten der einzelnen Knotenströme (Fourati et al., 2021b). Durch eine Cluster-Analyse der beobachteten Trajektorien werden in dem Verfahren die Signalprogramme identifiziert, die während des Datenerfassungszeitraums auftreten. Für die danach bekannten Umlaufzeiten werden die Trajektorien in einem Raum-Zeit-Diagramm akkumuliert, wobei die jeweiligen Grün-Startzeiten am Ursprung liegen. Anschließend werden die verallgemeinerten Definitionen der Verkehrsvariablen von Edie (1963) genutzt, um ein vollständiges Fundamentaldiagramm zu erstellen. Mit einer empirischen Überprüfung gegen Messwerte aus Videoaufnahmen konnte dieses Verfahren validiert werden.
Bild 4: Verkehrszustände auf einem Fahrstreifen an einem überlasteten Lichtsignal während eines Umlaufs
3.3 Netzweite Mängelanalyse
FC-Daten können auch eingesetzt werden, um kritische Netzabschnitte innerhalb eines größeren Gebiets, z. B. einer ganzen Stadt, zu identifizieren, die anschließend detailliert untersucht werden können. Wenn eine solche Analyse nicht auf kurze Streckenabschnitte, wie sie in den digitalen Netzmodellen vorgegeben sind, aufbauen soll, sondern auf Netzabschnitte im Sinn des HBS, müssen diese zuerst definiert werden. Das ist manuell möglich, aber aufwändig. Ziemlich gute Ergebnisse erzielt man auch mit einer automatischen Zusammenfassung von Streckenabschnitten zu Netzabschnitten, die dazu aber eine Kategorisierung der Streckenelemente im Straßennetzmodell erfordert.
Für jeden so definierten Netzausschnitt wird dann aus FC-Daten die Verteilung der Fahrzeiten bestimmt. Aus dieser Fahrzeitverteilung werden dann Kenngrößen abgeleitet, die zur Bewertung des Netzabschnitts herangezogen werden können. Zum Beispiel kann die Breite der Verteilung ein Maß für die Zuverlässigkeit sein, oder der Abstand bestimmter Perzentile von der planerisch angestrebten Fahrzeit ein Maß für die Verkehrsqualität.
Aus FC-Rohdaten kann die Fahrzeitverteilung wie oben beschrieben gut ermittelt werden, zum Beispiel mit Fangradien oder noch besser, wenn die Daten auf ein Netz gematcht sind. Problematisch ist dagegen die Nutzung von aggregierten Daten, wenn sie in Form von Fahrzeitverteilungen jeweils für einzelne Streckenabschnitte geliefert werden. Die Fahrzeitverteilung über den ganzen Netzabschnitt kann nämlich nicht aus den Verteilungen auf den Streckenstücken berechnet werden. Im Gegensatz zu mittleren Fahrzeiten, die man aufaddieren kann, müssten die Verteilungen mathematisch gefaltet werden, um zur Verteilung für den Netzabschnitt zu kommen. Voraussetzung dafür wäre aber die Unabhängigkeit der zufälligen Verteilung auf den Strecken, und diese ist natürlich nicht gegeben, da sich Störungen im Netz in der Regel auf benachbarte Strecken ausdehnen.
4 FCD zur Kalibrierung von Simulationsmodellen
Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass Floating-Car-Daten eine ergiebige Quelle sind, um die Verkehrsqualität für bestehende Anlagen zu bewerten. Nun ist der Anlass einer Bewertung aber fast immer ein geplanter Eingriff in das Verkehrssystem und das heißt, dass ein zukünftiger Zustand zu bewerten ist. Für solche Prognosen werden Simulationsmodelle eingesetzt, die den zukünftigen Verkehrsablauf simulieren und ihn damit einer Bewertung zugänglich machen. Dabei helfen FC-Daten nicht direkt, aber indirekt: Bevor solche Simulationsmodelle für die Prognose eingesetzt werden können, müssen Sie am bestehenden Zustand kalibriert werden. Und dieser bestehende Zustand kann anhand von FC-Daten mit geringem Aufwand erhoben werden.
Beim Aufbau eines Simulationsmodells müssen die Streckengeometrie und die Verkehrsnachfrage nachgebildet werden. Die Verkehrsnachfrage kann nicht aus FC-Daten abgeleitet werden, da dafür der Durchdringungsgrad zuverlässig bekannt sein müsste. Es muss dafür also auf konventionelle Verkehrsstärke-Erhebungen an ausgewählten stellen zurückgegriffen werden. Verhältnisse zwischen Verkehrsströmen lassen sich dagegen gut durch FCD bestimmen, so dass der Erhebungsaufwand an Knotenpunkten reduziert werden kann.
Die für eine Bewertung nach HBS entscheidende Größe ist die mittlere Fahrzeit durch den Netzabschnitt. Sie kann, wie oben beschrieben, einfach aus FCD bestimmt werden und eignet sich gut als Kalibrierungsgröße. Bestehen zwischen der gemessenen und der simulierten Fahrzeit Unterschiede, liegt das in der Regel daran, dass Kapazitäten an Knotenpunkten nicht richtig abgebildet sind und deshalb zu viel oder zu wenig Wartezeiten entstehen, oder es liegt daran, dass auf den Strecken zwischen den Knotenpunkten nicht die richtigen Geschwindigkeiten gefahren werden. Die Knotenpunktkapazitäten können aus FCD wie oben beschrieben abgeleitet werden. Um zu untersuchen, wo entlang des Netzabschnitts die Abweichungen entstehen, ist eine Visualisierung der Fahrgeschwindigkeiten in einem Weg-Zeit-Diagramm hilfreich, manchmal „Heatmap“ oder „Konturplot“ genannt, wie sie in dem Bild 5 dargestellt ist. In dieser Darstellung können die FC-Geschwindigkeiten oder die simulierten Geschwindigkeiten dargestellt und damit sehr einfach verglichen werden.
Bild 5: Farbcodierte Geschwindigkeit im Weg-Zeit-Diagramm
Literaturverzeichnis
Edie, L.C., 1963: Discussion of traffic stream measurements and definitions. In: Proceedings of the 2nd International Symposium on the Theory of Traffic Flow, pp. 139–154
Fourati, W., Dabbas, H., Friedrich, B., 2021a: Estimation of penetration rates of floating car data at signalized intersections, Transport. Res. Proc. 52, 228–235
Fourati, W.; Friedrich, B., 2021b: A Method for Using Crowd-Sourced Trajectories to Con-struct Control-Independent Fundamental Diagrams at Signalized Links, Transportation Research Part C: Emerging Technologies 130, DOI: 10.1016/j.trc.2021.103270
Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen; Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS), Ausgabe 2015, Köln (FGSV 299)
Highway Capacity Manual, 2022. Transportation Research Board, National Research Council, Washington, D.C.
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