Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.
1 Bewertung des Status Quo
Die Ausgangslage für die Winterdiensteinsatzplanung ist geprägt von Einzelinformationen, die der Einsatzleiter bewertet und gewichtet zusammenfügt. Die Entscheidung für einen Einsatz bzw. eine Einsatzplanung wird überwiegend aus persönlichen Erfahrungswerten und teils subjektiven Einzelentscheidungen bestimmt. Diese Entscheidungen setzen sich aus Informationen aus den unterschiedlichen Straßenzustands- und Wetterinformationssystemen, wie z. B. SWIS, WIIS oder anderen Internet-Wetteroberflächen zusammen sowie aus den punktuellen Daten von Glättemeldeanlagen und den visuellen Eindrücken von Winterdienstmeldern.
Die Problematik ist, dass diese Einzelinformationen nicht automatisiert zusammenwirken, sondern immer wieder vom Einsatzleiter zusammengestellt und interpretiert werden müssen. Damit hat der Einsatzleiter keine umfassende integrierte Entscheidungsgrundlage, sondern muss immer individuell die Informationen zu einer Einsatzentscheidung ja/nein zusammenfügen.
Im Falle eines Einsatzes kann derzeit der Einsatzleiter die aktuelle Position und die betreuten Streckenabschnitte nicht auf einen Blick erkennen. Erst durch Abfrage aller sich im Einsatz befindlichen Fahrzeuge (via Betriebsfunk bzw. Mobiltelefon) ist eine umständliche Informationseinholung möglich. Dies erschwert eine Einflussnahme bei erforderlichem Umleiten von Fahrzeugen bzw. bei einer Übergabe der Einsatzleitung an einen Kollegen (z. B. bei Schichtwechsel).
2 Zielformulierung
Für eine Verbesserung der Gesamtsituation bei Einsatzplanung, -entscheidung und -durchführung sollen mittels einer automatisierten Integration der vorhandenen Einzelinformationen mit Bewertung und streckenbezogener Prognoseerstellung in einem Software system den Einsatzleitern belastbare Grundlagen für eine Planung und Einsatzumsetzung an die Hand gegeben werden.
Die Voraussetzungen für dieses System sind die Verarbeitung der Wetterinformationen, der Glättemeldeinformationen, der laufenden Einsatzdaten und die individuelle Streckentopografie in einem Bewertungsschema zur streckenbezogenen Prognoseplanung.
Ein wesentlicher Aspekt ist auch, dass das Winterdienst-Management-System webbasiert abläuft, um den Einsatzleitern die Möglichkeit zu offerieren, von jedem Internet-Arbeitsplatz die kompletten Informationen einsehen zu können. Damit ist die zwingende Präsenz in der Meisterei bei Einsatzentscheidung und Einsatzdurchführung nicht mehr notwendig – ein wesentlicher Zeit- und Ablaufvorteil für die Beteiligten.
Die Visualisierung der Fahrzeuge während des Einsatzes mit der Darstellung der bereits betreuten Streckenabschnitte und den sich im Fahrzeug noch befindlichen Streumittelmengen lässt ein kurzfristiges Eingreifen und Umleiten der Fahrzeuge zu evtl. Brennpunkten im Netz kurzfristig zu. Fahrzeugausfälle lassen sich dadurch ebenfalls sehr schnell kompensieren. Die Kommunikation läuft zielgerichtet zu den Fahrzeugen ab, die Ausfälle auffangen können bzw. in der Nähe von akut auftretenden Brennpunkten sind.
3 Informationen zur Entscheidungshilfe
Bild 1: WDMS, Funktionalität der Integration
Das Schaubild verdeutlicht die Funktionalität der Integration der verschiedenen Informationsquellen über definierte Schnittstellen in ein System. Das Projekt in Bayern sieht vor, dass die unterschiedliche Firmware der Wetterdaten, der Glättemeldeanlagen, der Einsatzfahrzeuge mit Bordcomputern über Schnittstellen die Daten in die WDMS-Software liefert. Die WDMS-Software erstellt die Prognosen und visualisiert auf einer Oberfläche die Daten der verschiedenen Datenlieferanten. Die Info-Dichte kann nutzerabhängig visualisiert werden. Damit haben wir es ermöglicht, dass 4 beteiligte Firmen unter dem Dach des WDMS zusammenarbeiten und zu plausiblen Ergebnissen beitragen.
4 Pilotprojekte in Bayern
Bei der Umsetzung haben wir uns auf zwei Qualitätsstandards geeinigt. Zum einen haben wir innerhalb der Bayerischen Straßenbauverwaltung bereits eine Eigenentwicklung für die Einsatzdurchführung, den so genannten Winterdienst-Koffer (WDK).
Bild 2: Winterdienst-Koffer, im praktischen Einsatz
Winterdienst-Koffer mit:
– Wetterinfo und -prognosedarstellung,
– Einsatzplanung (Rufnummernwahl, hinterlegte Einsatzpläne),
– Überwachung des Einsatzbeginns und -endes,
– Echtzeitdarstellung der Fahrzeuge im Einsatz (Pilotprojekt).
Diese bereits vorhandene Einsatzunterstützung soll mit der Echtzeitdarstellung der Einsatzfahrzeuge ergänzt werden, um die Einsatzüberwachung und -lenkung komfortabler zu gestalten. Die Darstellung der Wetter-und Prognoseinformationen bleiben in den bekannten Umfängen vorhanden (Einzelinformationen Wetter, GMA, Melder). Damit ist dieses Produkt eine kostengünstige Einstiegs-Variante für den Winterdienst-Einsatzleiter.
Bild 3: Vollsystem-Variante (in Erprobung
Vollsystem-Variante (in Erprobung) Zusätzliche Funktionen:
– Prognose der Straßenzustände im Klimagebiet,
– Einsatzplanung, Einsatzüberwachung,
– Echtzeitdarstellung der Fahrzeuge im Einsatz mit dynamischer Routenführung.
Das Vollsystem befindet sich derzeit in der Erprobungsphase und hat die bisher beschriebenen Funktionalitäten. Beteiligt an diesem Test sind zwei Firmensysteme, nämlich einerseits das System Borrma-Web der Fa. Boschung und andererseits eine Neuentwicklung der TU Graz. Diese Vollsysteme haben als Anforderungsprofil die streckenbezogene Prognose mit Warn- und Alarmfunktionalitäten und eine Dokumentationsebene zur Qualitätskontrolle des Systems.
5 WDMS-Bedienoberflächen
Wichtig zu erwähnen ist, dass das System der Fa. Boschung bereits eine Winterperiode länger im Einsatz ist.
Die Herangehensweise ist auch unterschiedlich zu betrachten. Die Fa. Boschung ist ein originärer Anlagen- und Gerätelieferant, der aus der Darstellung der Glättemeldeanlagen und der Datenübertragung aus den Fahrzeugen die Aufgabe des integrativen Systems angegangen ist.
Das System der TU Graz stammt aus der originären Wetterbeobachtung und Wetterprognosedarstellung, das die Aufgabe der Integration der Einsatzdaten und der GMA mit der Prognoseerstellung für Straßenzüge lösen musste.
Die Screenshots zeigen einige Momentaufnahmen.
Bilder 5 und 6: Darstellung der streckenbezogenen Prognosen:
Boschung zeigt die Festlegung von Streckenzuordnungen zu topografisch gleichgelagerten Straßenzügen. Diese Straßenzüge sind wiederum einer GMA zugeordnet. Daraus wird bei Boschung in der unteren Bildschirmoberfläche die Prognose der Wetterentwicklung und der Fahrbahnzustände für die nächsten 36 Stunden dargestellt.
Die TU Graz hat ebenfalls Strecken in verschiedene Klimazonen eingeordnet und die Prognose wird angezeigt, sobald die Strecke gewählt wird. Insgesamt soll diese Prognoseentwicklung noch in ein Warn-und Alarmierungsmodell münden, damit der Einsatzleiter nicht manuell die Informationen abrufen muss.
Bilder 4 und 7: Darstellung der Einsatzfahrzeuge:
In den Bildern sind die Einsatzfahrzeuge während eines Einsatzes mit der unterschiedlichen Farbgebung der Tätigkeiten der bereits abgefahrenen Strecke dargestellt.
Schwarz = Leerfahrt Violett = Streuen
Rot = Räumen und Streuen
Bild 4: System Boschung, BorrmaWeb, seit Winter 2009/10 im Test in der SM Weiden
Bild 5: System Boschung, BorrmaWeb
Bild 6: System TU Graz, seit Winter 2010/11 im Test in der SM Viechtach/Zwiesel
Bild 7: Sytem TU Graz
6 Praktische Erfahrungen
Bei dem bayerischen WDMS werden 4 verschiedene Firmenbeteiligte integriert.
– Die Fa. Mobiworx liefert die Fahrzeugeinsatzdaten,
– die Fa. Lufft die Daten der Glättemeldeanlagen,
– der Deutsche Wetterdienst die Wetterdaten und Wetterprognosedaten,
– die Fa. Boschung bzw. die TU Graz die Software des WDMS mit der Verarbeitung der vorgenannten Daten.
Anfänglich waren die Definition der Schnittstellen und die Geschwindigkeit der Datenübertragung zu regeln. Dies konnte für den Umfang der beteiligten Fahrzeuge und Nutzer ab dem Winter 2010/11 ausreichend gut dargestellt werden.
Die Prognosedaten wurden im Winter 2010/11 durch den Abgleich mit den tatsächlichen Winterdiensteinsätzen erstmals auf Plausibilität geprüft. Im kommenden Winter wird diese Plausibilitätsprüfung durch die Hinterlegung einer Prüfroutine im WDMS noch verbessert. Dabei werden die Prognosedaten in einem Soll-Ist-Vergleich den Daten der GMA und der Einsatzdaten strukturiert gegenübergestellt und bewertet. Die Ergebnisse der Plausibilitätsprüfung werden den Softwareherstellern zur Verfügung gestellt.
Die Oberflächen des WDMS wurden von den Nutzern vorrangig für die Darstellung der Fahrzeuge im Einsatz, für die Wetterradarbeobachtung und für die Vorausschau der Wetter- und Fahrbahnzustandsentwicklung genutzt. Die Einsatzleiter nutzen in erster Linie die Prognosezeithorizonte von 3, 6 und 12 Stunden für die Einsatzplanung. Die 3- und 6-Stunden-Prognose dient der Entscheidungsfindung, ob ein Einsatz am Nachmittag erforderlich ist. Die 12-Stunden-Prognose ist die Basis für die Einsatzplanung des nächsten Tages (Einsatz um 03.00 Uhr: ja/nein). Daraus folgt die Planung der Rufbereitschaft oder eines evtl. notwendigen Volleinsatzes.
Die Personalvertretungen wurden in dieses Projekt eng eingebunden und sind zeitnah über die Sachstände informiert.
7 Ausblick Bayern
Die weitere Vorgehensweise in Bayern wird dadurch bestimmt sein, in der nächsten Winterdienstperiode die Systeme in den Funktionalitäten gemäß unserem Lastenheft weiterzuentwickeln und vor allem die Prognosen bzgl. der Qualität weiter zu verbessern.
Eine Vergrößerung der Nutzeranzahl soll die Datenübertragungsgeschwindigkeiten und die notwendige Serverleistung zur Verarbeitung der Datenmengen testen.
Mittelfristig stehen noch weitere Anforderungen an die Funktionalitäten im Pflichtenheft:
– Die angesprochene automatisierte Warnfunktion für den Einsatzleiter. Ganz langfristig können wir uns vorstellen:
– Die streckenbezogene Zustandsprognose unter Einbeziehung der Thermalkartierung,
– eine dynamische Routenführung für die Einsatzfahrzeuge aus dem System heraus ähnlich einem Navigationssystem via Online-Navigation,
– ergänzt mit einem automatisierten Steuern der Streubreite (via GPS oder Galileo).
Das WDMS soll damit den Fahrer weiter entlasten und die Aufmerksamkeit für den Verkehr und die Fahrtätigkeit erhöhen. |