FGSV-Nr. FGSV 002/109
Ort Bergisch Gladbach
Datum 04.03.2015
Titel Luftreinhaltemanagement in Städten Kampf ohne Ende? Beispiel Stuttgart
Autoren Dipl.-Ing. (FH) Rainer Kapp, Dr.-Ing. Ulrich Reuter
Kategorien Luftqualität
Einleitung

Das europäische Luftqualitätsrecht ist derzeit u. a. geregelt in der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Luftqualität und saubere Luft für Europa vom 21.05.2008 (RL 2008/50/EG, 2008). Durch die 39. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen) (39. BImSchV, 2010) erfolgte die Umsetzung in nationales Recht. Die in dieser gesetzlichen Regelung festgelegten Luftschadstoffgrenzwerte sind für die Luftschadstoffe Feinstaub (PM10) und Stickstoffdioxid (NO2) in zahlreichen deutschen Städten an Hauptverkehrsstraßen überschritten, so auch in Stuttgart. Tabelle 1 listet die Grenzwerte auf. Für beide Komponenten gilt ein Jahresgrenzwert von 40 µg/m3. Bei Feinstaub darf ein Tageswert von 50 µg/m3 maximal an 35 Tagen im Jahr überschritten werden. Bei NO2 sind maximal 18 Überschreitungen eines Stundenwertes von 200 µg/m3 im Jahr zulässig.

Tab. 1: Luftschadstoffgrenzwerte nach der 39. BImSchV

Als Konsequenz dieser Überschreitungen wurden entsprechend der Rechtslage für die betroffenen Städte Luftreinhalte- und Aktionspläne aufgestellt mit dem Ziel, die Gefahr der Grenzwertüberschreitung zu verringern. In Stuttgart wurde der Luftreinhalteplan aus dem Jahr 2005 inzwischen zweimal (2010 und 2014) fortgeschrieben.

Der Beitrag befasst sich zunächst mit der Entwicklung der Luftbelastung und der heutigen Situation. Ein Schwerpunkt in der Darstellung liegt dabei auf den besonderen Randbedingungen in Stuttgart. Stuttgart ist aufgrund seiner Lage in einem orografisch stark gegliederten Gebiet besonders anfällig gegen hohe Luftschadstoffbelastung und zählt bundesweit vielfach als die Stadt mit den höchsten Luftschadstoffkonzentrationen. Im Weiteren wird dargestellt, welche Maßnahmen welchen Effekt bewirken. In einem Fazit wird den Fragen nachgegangen, ob die bisherigen Maßnahmen ausreichen, die Grenzwerte einzuhalten, bzw. ob mehr zu tun ist. Vor dem Hintergrund einer Rüge der EU-Kommission für den Ballungsraum Stuttgart kommt dieser Frage besondere Bedeutung zu.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

Einleitung

Das europäische Luftqualitätsrecht ist derzeit u. a. geregelt in der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Luftqualität und saubere Luft für Europa vom 21.05.2008 (RL 2008/50/EG, 2008). Durch die 39. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen) (39. BImSchV, 2010) erfolgte die Umsetzung in nationales Recht. Die in dieser gesetzlichen Regelung festgelegten Luftschadstoffgrenzwerte sind für die Luftschadstoffe Feinstaub (PM10) und Stickstoffdioxid (NO2) in zahlreichen deutschen Städten an Hauptverkehrsstraßen überschritten, so auch in Stuttgart. Tabelle 1 listet die Grenzwerte auf. Für beide Komponenten gilt ein Jahresgrenzwert von 40 µg/m3. Bei Feinstaub darf ein Tageswert von 50 µg/m3 maximal an 35 Tagen im Jahr überschritten werden. Bei NO2 sind maximal 18 Überschreitungen eines Stundenwertes von 200 µg/m3 im Jahr zulässig.

Tab. 1: Luftschadstoffgrenzwerte nach der 39. BImSchV

Als Konsequenz dieser Überschreitungen wurden entsprechend der Rechtslage für die betroffenen Städte Luftreinhalte- und Aktionspläne aufgestellt mit dem Ziel, die Gefahr der Grenzwertüberschreitung zu verringern. In Stuttgart wurde der Luftreinhalteplan aus dem Jahr 2005 inzwischen zweimal (2010 und 2014) fortgeschrieben.

Der Beitrag befasst sich zunächst mit der Entwicklung der Luftbelastung und der heutigen Situation. Ein Schwerpunkt in der Darstellung liegt dabei auf den besonderen Randbedingungen in Stuttgart. Stuttgart ist aufgrund seiner Lage in einem orografisch stark gegliederten Gebiet besonders anfällig gegen hohe Luftschadstoffbelastung und zählt bundesweit vielfach als die Stadt mit den höchsten Luftschadstoffkonzentrationen. Im Weiteren wird dargestellt, welche Maßnahmen welchen Effekt bewirken. In einem Fazit wird den Fragen nachgegangen, ob die bisherigen Maßnahmen ausreichen, die Grenzwerte einzuhalten, bzw. ob mehr zu tun ist. Vor dem Hintergrund einer Rüge der EU-Kommission für den Ballungsraum Stuttgart kommt dieser Frage besondere Bedeutung zu.

Entwicklung der Luftbelastung und heutige Situation

Durch technische Maßnahmen auf nationaler Ebene und durch kommunale Maßnahmen wie die Optimierung des öffentlichen Personennahverkehrs, den Ausbaus des Radverkehrs und durch Verkehrsmanagement hat sich die Luftsituation in der Vergangenheit kontinuierlich verbessert. Dies gilt insbesondere für Schadstoffkomponenten, die primär nicht vom Verkehr emittiert werden, z. B. Schwefeldioxid (SO2). Aber auch bei den vom Verkehr verursachten Luftbelastungen zeigt sich ein Rückgang. In Bild 1 ist die Entwicklung der Luftbelastung in Stuttgart dargestellt.

Trotz der insgesamt rückläufigen Entwicklung werden in zahlreichen Städten straßennah Schadstoffkonzentrationen über den Grenzwerten gemessen. Das gilt sowohl für die Jahreswerte für NO2 als auch für den Stundenwert bei NO2 und den Tageswert bei PM10. Bild 2 fasst die Situation Stuttgarts im Vergleich zu anderen Städten zusammen.  

Bild 1: Entwicklung der Luftbelastung in Stuttgart

So wird inzwischen der Jahresgrenzwert für PM10 eingehalten. Der Tageswert von 50 µg/m3 Feinstaub wird an einigen Stationen, darunter auch Stuttgart, mit mehr als 35 Überschreitungstagen weiterhin überschritten.

Viele Messstationen überschreiten den Jahresgrenzwert bei NO2 von 40 µg/m3. Nur wenige Stationen überschreiten mehr als 18 Mal im Jahr den Stundenwert von 200 µg/m3 NO2. Hier zeichnet sich aber zurzeit – zumindest in Stuttgart – derzeit ein deutlicher Rückgang ab.

Wichtig ist, dass die Luftqualität in den Städten nicht nur an den wenigen existierenden Messpunkten schlecht ist, sondern an vielen anderen stark befahrenen Straßenabschnitten auch. Dies wird oft verdrängt, weil dort nicht gemessen wird. Handlungskonzepte müssen sich daher immer auch auf solche vergleichbaren Straßenabschnitte beziehen. Durchgeführte Maßnahmen senken insgesamt auch die Hintergrundbelastung an anderen Hotspots.

Es darf nicht unbeachtet bleiben, dass jedoch abseits der Hauptverkehrsstraßen in vielen Wohngebieten heute in der Regel gute Luftverhältnisse herrschen und die Luftmesswerte dort weit unterhalb der Grenzwerte liegen. So haben in den Bürgerumfragen 2011 und 2013 in Stuttgart 54 % der Befragten die Luftqualität in ihrem Wohnumfeld als gut bis sehr gut und nur 12 % als schlecht bis sehr schlecht bewertet. Diese Einschätzung hat sich 2013 gegenüber 2011 tendenziell noch verbessert.

Maßnahmen zur Reduzierung der Luftbelastung

Als Konsequenz der in Abschnitt 2 beschriebenen Überschreitungen wurde entsprechend der Rechtslage für Stuttgart ein Luftreinhalte- und Aktionsplan aufgestellt mit dem Ziel, die Gefahr der Grenzwertüberschreitung zu vermeiden bzw. zu verringern. Schwerpunktmäßig am Beispiel Stuttgart werden einige wesentliche Maßnahmen und die damit verbundenen Erfolge und Erfahrungen vorgestellt (Regierungspräsidium Stuttgart, 2005, 2010, 2014).

Bild 2: Feinstaub- (oben) und NO2-Belastung (unten) in deutschen Städten; Quelle: Daten des Umweltbundesamts (UBA) und der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW)

Hauptquelle der Schadstoffbelastung ist sowohl bei Feinstaub als auch bei NO2 vielfach der Verkehr. In Stuttgart beträgt beispielsweise an der Messstelle „Am Neckartor“ der verkehrsbedingte Immissionseinfluss bei Feinstaub ca. 66 Prozent, bei NO2 sogar 75 Prozent (s. Bild 3). Entsprechend müssen Maßnahmen insbesondere diese Quellengruppe betreffen.

Ergänzend zum Luftreinhalteplan des Landes hat Stuttgart unter Federführung des Oberbürgermeisters einen eigenen Plan „Nachhaltig mobil in Stuttgart“ erarbeitet, der zahlreiche Maßnahmen in 9 Handlungsfeldern enthält (Landeshauptstadt Stuttgart, 2013).

Bild 3: Immissionseinfluss nach Emittentengruppen in Stuttgart, Station Am Neckartor, Quelle: LUBW

Zu den wesentlichen Maßnahmen zur Reduzierung der Luftbelastung gehören Lkw-Durchfahrtsverbote (Anlieferung frei) sowie die Ausweisung Stuttgarts als Umweltzone mit Fahrverboten für Fahrzeuge mit hohen Schadstoffemissionen. Dazu gehören ferner Verbesserungen im ÖPNV, die Förderung des Fußgänger- und Radverkehrs, Parkraummanagement, Staubminderungsmaßnahmen auf Baustellen, die Einführung eines vergünstigten Jobtickets und zur Förderung intermodaler Mobilität die „Stuttgart Service Card“, verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und weitere Maßnahmen. Dazu gehören aber auch die allerdings vergeblichen Bemühungen, Feinstaub mit Calcium-Magnesium-Acetat auf der Straße „festzukleben“, und Geschwindigkeitsreduktionen an Steigungsstrecken sowie die bisher theoretischen Überlegungen mit fotokatalytisch wirksamen Oberflächen Erfolge zu erzielen (Flassak et al, 2013).

Nachfolgend werden einige wichtige Maßnahmen näher beleuchtet.

Lkw-Durchfahrtsverbot durch Stuttgart und angrenzende Gebiete

Als eine wirksame Maßnahme wurde in Stuttgart zum 1. März 2010 ein Lkw-Durchfahrtsverbot (ab 3.5 t; Lieferverkehr frei) eingeführt. Die Abgrenzung des Gebietes schließt dabei insbesondere östlich von Stuttgart weitere Gebiete und Orte mit ein, um Verdrängungsverkehre durch benachbarte Stadtgebiete weitgehend auszuschließen. Die lufthygienische Wirkung der Maßnahme wurde zuvor ermittelt. Nach Verkehrszählungen in Stuttgart im Jahr 2011 hat das Lkw-Aufkommen am Stuttgarter Kesselrand um etwa 9 Prozent deutlich abgenommen. Auf der mitten durch die Stadt führenden Bundesstraße nahm der Lkw-Verkehr gar um 17 % ab, während der Lkw-Verkehr auf den Autobahnen um Stuttgart stark zugenommen hat.

Nachteil der großzügig ausgelegten Verbotszone mit Einbeziehung von Nachbargemeinden Stuttgarts ist die komplizierte Beschilderung. So gleichen die weit außerhalb der Verbotszone angebrachten Vorwegweiser eher Kunstwerken, die von fremden Fahrern sicher nur schwer zu verstehen sind (Bild 4).

Bild 4: Vorwegweiser zum LKW-Durchfahrtsverbot durch Stuttgart und angrenzende Gebiete

Umweltzone Stuttgart

Eine Kernmaßnahme in Stuttgart ist die Einrichtung einer Umweltzone, die im Gegensatz zu vielen anderen Städten das gesamte Stadtgebiet umfasst. Grund dafür ist das Fehlen von Umfahrungsstraßen im Sinne eines inneren Ringes innerhalb des Stadtgebietes. Bereits seit März 2008 sind Fahrzeuge der Schadstoffgruppe 1 nach der 35. BImSchV mit einem Fahrverbot belegt. Zum 1. Juli 2010 wurde die rote Plakette verboten und seit 1.1.2012 dürfen in Stuttgart nur noch Fahrzeuge mit der grünen Plakette fahren.

Geschwindigkeitsreduktionen (insbesondere Tempo 40)

Zur Wirksamkeit von Geschwindigkeitsbeschränkungen gibt es unterschiedliche Erkenntnisse. In Stuttgart gibt es einige Erfolgsbeispiele.

Auf der sechsspurigen Bundesstraße B 14 in Stuttgart im Bereich des Neckartors wurde die Geschwindigkeit von nicht kontrollierten 60 km/h auf 50 km/h reduziert und diese Reduktion mit 2 modernen Blitzanlagen kontrolliert. Im Ergebnis führte diese Maßnahme zu einer deutlichen Reduktion der Stunden mit Überschreitung des NO2-Stundenwertes von 200 µg/m³.

Das Regierungspräsidium Stuttgart und die Landeshauptstadt Stuttgart hatten gemeinsam ein Gutachten zu Tempo 40 in Stuttgart beauftragt (Universität Stuttgart, 2011) und verschiedene Szenarien untersuchen lassen. Unter anderem zeigte sich, dass Tempo 40 auf ebenen Straßen auch zu höheren Emissionen führen kann, auf Steigungsstrecken jedoch die Emissionen reduziert werden.

Auf einem Streckenabschnitt mit Steigung in Stuttgart wurde daher seit Dezember 2012 ein Testbetrieb mit Tempo 40 durchgeführt, auch um unerwünschte Verlagerungseffekte ausschließen zu können. Durch diese Maßnahme konnten deutliche Reduzierungen der Stickoxidbelastung erzielt werden. Dazu tragen neben der reduzierten Geschwindigkeit wohl maßgeblich die durch geänderte Ampelschaltungen erzielte Verkehrsverstetigung bei (Bild 5), sowie auch die Tatsache, dass das Parken auf der rechten Fahrspur abends erst später als bisher zulässig ist. In der oberen Bildhälfte ist der deutliche Rückgang der NO2-Werte erkennbar. Am zweiten Stuttgart Hotspot fehlt dieser Rückgang. In der unteren Bildhälfte erkennt man den deutlich gleichmäßigeren Geschwindigkeitsverlauf nach Einführung von Tempo 40. Aufgrund des Erfolgs werden nun sukzessive auf zunächst zwölf weiteren Steigungsstrecken im Stadtgebiet Geschwindigkeitsreduktionen umgesetzt.

Bild 5: Ergebnisse Tempo 40 Versuch Hohenheimer Straße; oben: NO2 (HHS=Hohenheimer Straße, NTR=Neckartor); unten: Fahrgeschwindigkeiten Hohenheimer Straße; Auswertung LUBW

Parkraummanagement

Sukzessive wird in der Stuttgarter Innenstadt das Parkraummanagement eingeführt.

Ein Parkraummanagement soll dort eingeführt werden, wo die vorhandene Parkplatznachfrage die Nutzung des Straßenraums für alle Beteiligten (Anwohner, Radfahrer, Fußgänger, Handwerker, Lieferverkehr) einschränkt. Dies ist vor allem in Gebieten mit hohem MIV-Pendleranteil der Fall. Die Defizite können durch eine Bewirtschaftung des Parkraums deutlich verbessert werden.

Das wesentliche Ziel dabei ist, durch die Anwendung des in der Straßenverkehrsordnung vorgegebenen Instrumentariums die Parkraumnutzung so zu verbessern, dass sie den unterschiedlichen Nutzergruppen in den Stadtbezirken gerecht wird und letztlich zu einer für das Gebiet verträglichen Parkraumnachfrage führt. Aus rechtlicher Sicht ist der Nachweis eines „erheblichen Parkdrucks“ erforderlich, um eine belastbare Ermächtigungsgrundlage im Sinne der StVO zur Einführung einer Bewohnerparkregelung darzustellen.

Parkraummanagement erweitert die reine Bewirtschaftung von Parkraum zu einem umfassenden Konzept für den ruhenden Verkehr. Dabei werden u.a. alternative Mobilitätsformen aufgezeigt und im Rahmen des Mobilitätsmanagement beworben. Des Weiteren werden städtebauliche, planungs- und ordnungsrechtliche Möglichkeiten integriert.

In der Folge sollen dann auch eine Verbesserung der Wohn- und Aufenthaltsqualität, eine bessere Nutzung privater Stellplätze, die Reduzierung des Falschparkeranteils und die damit verbundene Verbesserung der Verkehrssicherheit, sowie ein Rückgang des Parksuchverkehrs (und damit Reduzierung von Lärm und Emissionen) erreicht werden. Auch eine Verlagerung von Pendlerfahrten auf den ÖPNV ist zu erwarten.

Mit Ausnahme der Anwohner muss jeder, der im öffentlichen Straßenraum parkt, eine Gebühr entrichten. Dies wirkt dämpfend auf die Verkehrsmenge im mit Parkraummanagement bewirtschafteten Gebiet. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass der Parkdruck um ca. 10% gesenkt wird.

Einführung Jobticket

Die Stadt Stuttgart hat ab dem 01.04.2014 für Ihre Mitarbeiter ein „Jobticket“ eingeführt. Ziel ist, noch mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu zu bewegen, den Weg zur Arbeit mit dem ÖPNV zurückzulegen.

Inhaltlich bedeutet dies, dass die Stadt Stuttgart für ihre Mitarbeiter einen deutlichen Anteil der Kosten für die Nutzung des ÖPNV übernimmt. Für ein Monatsticket im Stadtgebiet Stuttgart verbleibt den städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beispielsweise ein Eigenanteil von lediglich 30 €, etwa die Hälfte des regulären Preises. Innerhalb weniger Monate hat sich der mit ÖPNV anreisende Anteil der Beschäftigten etwa verdoppelt.

Auch im Bereich der privaten Arbeitgeber gibt es ein Jobticket-Modell. Bereits jetzt haben ca. 110 Firmen Interesse an dem Modell gezeigt bzw. sind bereits verbindlich eingestiegen.

Stuttgart Service Card (Intermodale Mobilität)

Die Stadt Stuttgart führt eine „Stuttgart Service Card“ ein. Hieran arbeitet seit Anfang 2013 ein Konsortium im Rahmen des Bundesprogramms „Schaufenster Elektromobilität“. Das dazu notwendige Stuttgart Service-Online-Portal wurde planmäßig fertiggestellt. Es wird im Laufe des Jahres 2015 öffentlich zugänglich sein.

Mit der Karte und einer Internet-Plattform wird ein einfacher Zugang zum ÖPNV und vielen Mobilitätsdienstleistungen wie z. B. (e-)Car- und Bike-Sharing geschaffen. Die Karte ermöglicht auch die Nutzung von kommunalen Dienstleistungen (z. B. Bäder- und Bibliotheken) und bietet eine Bezahl- und Bonusfunktion. Eines der Ziele ist, dass auch heutige Nichtnutzer den Zugang zum Umweltverbund (Fahrrad, ÖPNV, Carsharing etc.) in der Tasche haben. Die intermodale Auskunfts- und Buchungsplattform unterstützt den Kunden bei der Wahl eines möglichst nachhaltigen Verkehrsmittels. Im Ergebnis soll so eine Verlagerung von Fahrten vom Individualverkehr auf den ÖPNV und ergänzende elektromobile Sharingangebote in erheblichem Umfang erreicht werden.

Bild 6: Entwicklung der NO2- und PM10-Belastung an 2 Messstationen in Stuttgart 

Wirkung der umgesetzten Maßnahmen

Die genannten und weitere Maßnahmen zeigen lufthygienische Wirkung. Das wird aus Bild 6 deutlich. Die Teilbilder zeigen die Entwicklung der Luftbelastung an den beiden Stuttgarter Hotspots Am Neckartor und Hohenheimer Straße im Verlauf der vergangenen Jahre. Es sind zum Teil deutliche Minderungen erkennbar, wenn auch die Grenzwerte vielfach noch deutlich überschritten sind. Während vor Jahren Am Neckartor noch über 800 Überschreitungsstunden bei NO2 jährlich festgestellt wurden, liegt dieser Wert 2014 bei ca. 40 Überschreitungen. Auch am 2. Hotspot zeichnet sich ein deutlicher Rückgang ab. Auch die Überschreitungstage des Wertes von 50 µg/m3 bei Feinstaub sind dank der Maßnahmen deutlich rückläufig. Das gilt auch für die Jahreswerte von PM10. Seit 2012 werden die Jahreswerte für Feinstaub nicht mehr überschritten.

Ausblick und Fazit

Die geschilderten Maßnahmen und die heutige Luftschadstoffsituation zeigen, dass das Ziel der Grenzwerteinhaltung bei NO2 und PM10 in Stuttgart noch nicht erreicht ist. Weitere Maßnahmen sind gefragt, wobei es schwer sein dürfte, überhaupt noch „herkömmliche“ Maßnahmen zu finden, mit denen die Zielerreichung möglich ist.

Die Städte können das Ziel der Grenzwerteinhaltung jedoch kaum alleine schaffen. Hier sind auch der Bund und die EU gefordert. So klaffen offenbar die Anforderungen an die EU-Normen und die immissionsseitigen Anforderungen auseinander. Die Einhaltung strenger Immissionsgrenzwerte erfordert auch strenge EU-Normen bezüglich der Emissionen. Die hohen NO2-Direktemissionen bei den modernen Fahrzeugen passen nicht zu den ehrgeizigen Immissionsgrenzwerten bei NO2. Eine Studie des IFEU-Institutes, Heidelberg hat ermittelt, dass z. B. an der Station Stuttgart-Neckartor auch mit einer Fahrzeugflotte mit ausschließlich EURO-6 Fahrzeugen bei gleich bleibendem Verkehr auch bis 2020 der NO2-Jahresgrenzwert nicht einzuhalten ist. Die Bundesrepublik Deutschland rechnet für Stuttgart bei NO2 gar erst bis 2030 mit einer Einhaltung der Grenzwerte und auch nur dann, wenn EURO-6 Fahrzeuge keine unerwartet hohen NO2-Direktemissionen aufweisen. Doch das deutet sich zwischenzeitlich an.

Hoffnungen ruhen auch auf der Elektromobilität, die sich jedoch sicher auch nur langsam durchsetzen wird. In Stuttgart gibt es zahlreiche Bemühungen zur Elektromobilität, dazu gehören eine flächendeckende Ladeinfrastruktur, das kostenlose Parken vollelektrischer Fahrzeuge auf allen öffentlich bewirtschafteten Parkplätzen, ein Rad-Mietsystem mit Rädern und Pedelecs sowie eine Fahrzeugflotte von 500 e-Smarts im Carsharing System E-Car2Go. Die Entwicklung der Luftqualität an den Hotspots in Stuttgart gibt einerseits Hoffnung auf ein zeitnahes Ende im Kampf um die Luftreinhaltung. Andererseits hat die EU-Kommission (Nov. 2014) insbesondere wegen der Feinstaubsituation in Stuttgart eine Rüge an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet – mit der Ankündigung eines möglichen Vertragsverletzungsverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof. Sind am Ende gar verschärfte Regelungen für die Umweltzone oder andere einschneidende Maßnahmen notwendig, wie sie an der TU Dresden u.a. auch untersucht und bewertet wurden? Beispielsweise nur EURO 5 und/oder EURO 6 Fahrzeuge oder eine Umweltzone ohne Dieselfahrzeuge? Luftreinhaltemanagement – ein Kampf ohne Ende? Es bleibt spannend.

Literatur

Becker, U., E. Clarus, W. Schmidt, M. Winter, TU Dresden, 2010, Stickoxide, Partikel und Kohlendioxid: Grenzwerte, Konflikte und Handlungsmöglichkeiten kommunaler Luftreinhaltung im Verkehrsbereich, Download unter
http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/vkw/ivs/oeko/dateien/Bericht_final_ Luftreinhaltung_UB_20091126.pdf

Flassak, Th., Riffel, S. und Reuter, U. (2013): Photokatalyse konkret – Modellierung und Messung im Modellprojekt „Hohenheimer Straße“ der Stadt Stuttgart. In: 57. Betontage, 5. – 7. Februar 2013, Neu-Ulm,
http://www.bft-international.com/bft-downloads/2013-02_57-betontage-ulm.pdf

Landeshauptstadt Stuttgart, 2013: Aktionsplan „Nachhaltig mobil in Stuttgart“, http://www.stuttgart.de/img/mdb/publ/23336/92498.pdf

Regierungspräsidium Stuttgart (Hrsg.) 2005, Luftreinhalte-/Aktionsplan für den Regierungsbezirk Stuttgart, Download unter www.rp-stuttgart.de

Regierungspräsidium Stuttgart (Hrsg.), 2010, Luftreinhalte-/Aktionsplan für den Regierungsbezirk Stuttgart – Teilplan Landeshauptstadt Stuttgart – Fortschreibung des Aktionsplanes zur Minderung der PM10- und NO2-Belastungen, Download unter www.rp-stuttgart.de

Regierungspräsidium Stuttgart (Hrsg.), 2014. Luftreinhalteplan Stuttgart, 2. Fortschreibung, Download unter www.rp-stuttgart.de

Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa, Abl L 152 vom 11.06.2008, 1 - 44

Universität Stuttgart, Institut für Straßen- und Verkehrswesen, 2011, Untersuchung der Wirksamkeit von Geschwindigkeitsbeschränkungen in Stuttgart auf die verkehrsbedingten Lärm- und Schadstoffbelastungen, Download unter www.rp-stuttgart.de

39. BImSchV, 39. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen, 5. August 2010, BGBl I, 1065 – 1104