FGSV-Nr. FGSV 002/116
Ort Stuttgart
Datum 22.03.2017
Titel Nicht-steuerliche Instrumente zur Finanzierung der spurgebundenen ÖPNV-Infrastruktur in Städten
Autoren Dipl. Pol. Oliver Mietzsch
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Ziel dieser Ausarbeitung ist die Beschäftigung mit dem Instrumentarium der Nutznießerfinanzierung als ergänzender Finanzierungsquelle für den ÖPNV. Dabei kommt der spurgebundenen ÖNPV-Infrastruktur in Städten (U-Bahnen, Stadt- und Straßenbahnen, Tram) eine besondere Bedeutung zu aufgrund des damit verbundenen hohen Finanzbedarfs für Neu- und Ausbau, Ersatz- und Erneuerungsinvestitionen. Die strategische Bedeutung des Instrumentariums der Nutznießerfinanzierung im ÖPNV besteht in dem damit verbundenen Paradigmenwechsel bei der Finanzierung des kommunalen ÖPNV in Deutschland.

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1 Das Konzept der Nutznießerfinanzierung

1.1 Unsichere staatliche Finanzierungsbasis

Ausgehend von der Feststellung, dass aus Gründen des Klimaschutzes insbesondere infolge zunehmender Stauprobleme des motorisierten Individualverkehrs in städtischen Ballungsräumen, aber auch als Folge sozio-ökonomischer Entwicklungen (tendenzieller Anstieg der Mobilitätskosten, eingeschränkte Möglichkeiten der individuellen Mobilität z.B. infolge der demographischen Entwicklung) öffentliche Verkehrsmittel immer mehr an Bedeutung gewinnen, stellt sich die Frage nach deren Finanzierbarkeit. Dies gilt insbesondere für den öffentlichen Personennahverkehr auf der Schiene, der aufgrund der hierdurch bereitgestellten Massentransportkapazität das Rückgrat eines nachhaltigen öffentlichen Verkehrsangebotes darstellt.

Der bestenfalls auf dem gegenwärtigen Niveau gesicherten Finanzierungsbasis für die Zukunft stehen schon heute steigende Finanzierungsbedarfe zur Sicherung der bestehenden Infrastruktur sowie zu dem auch weiterhin notwendigen Infrastrukturausbau gegenüber, insbesondere im städtischen ÖPNV. Das Deutsche Institut für Urbanistik bezifferte in einer Untersuchung zum kommunalen Investitionsbedarf für den Zeitraum 2006 bis 2020 den auf den ÖPNV entfallenden Bedarf mit 38,4 Mrd. €, dies entspricht 5,5% des insgesamt mit 704,1 Mio. € quantifizierten kommunalen Investitionsbedarfs [1]. Hinzu kommen Trends wie der vermehrte Zuzug in die Städte (Reurbanisierung) und erweiterte Aufgaben in der Umweltpolitik, insbesondere im Klimaschutz. In einer Studie von VDV, DST und 13 Ländern zum Finanzierungsbedarf im ÖPNV bis 2025 [2] wird ein Nachholbedarf für Reinvestitionen in Verkehrsanlagen des schienengebundenen Nahverkehrs in Milliardenhöhe konstatiert. Nach Erhebungen und Abschätzungen der Daehre-Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ wurde für den straßengebundenen öffentlichen Personennahverkehr (ÖSPV) ein jährlicher zusätzlicher Bedarf von 0,6 Mrd. € für den Erhalt und Betrieb des Bestandsnetzes ermittelt [3]. Für den mitteldeutschen Verbundraum hat die Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) GmbH den Mittelbedarf im ÖPNV Ende 2014 ermitteln lassen. Im Ergebnis wurde ein jährlicher Finanzbedarf von 525 Mio. € festgestellt [4].

Derzeit wird daher vielerorts diskutiert, wie die Finanzierung von ÖPNV-Maßnahmen auch nach 2019 langfristig gesichert werden kann. Naheliegende Lösungen wie eine GVFG-Anschlussregelung stehen unter dem Damoklesschwert der schwierigen finanzpolitischen Gesamtlage im Kontext der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Daher kommen in der jüngsten Diskussion wieder vermehrt Forderungen nach Einführung neuer Finanzierungsinstrumente auf [5]. Neben Straßenmaut, City-Maut, Nahverkehrsabgaben etc. gibt es Überlegungen, die Nutznießer von ÖPNV-Investitionen und der daraus resultierenden Nahverkehrserschließung an der Finanzierung der Maßnahmen zu beteiligen. Schließlich stiftet der ÖPNV einen Nutzen für die durch ihn erschlossenen Standorte (Grundstücke und Immobilien) und erhöht damit deren Wert. Es besteht somit sowohl ein einzelwirtschaftliches als auch ein gesamtgesellschaftliches Interesse am Erhalt und erforderlichenfalls auch Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur als Voraussetzung für die Nutzung der umweltfreundlichen Verkehrsmittel Bus und Bahn.

Im Mittelpunkt der vorliegenden Ausarbeitung steht allerdings nicht die Vorstellung eines konkreten Instruments zur Beteiligung der Nutznießer an der Finanzierung der spurgebundenen ÖPNV-Infrastruktur in Städten, sondern vielmehr das Aufzeigen von Möglichkeiten hierzu. Die Konzentration auf die ÖSPV-Schieneninfrastruktur ist schlicht und ergreifend dem Umstand geschuldet, dass dort das größte Finanzierungsdelta, d.h. Lücke zwischen den schon bekannten sowie prognostizierten Kosten und den zur Verfügung stehenden öffentlichen, aus allgemeinen Steuermitteln sich speisenden (fiskalischen) Finanzmitteln, gesehen wird und zugleich de lege lata der Grundstücksbezug als Anknüpfungspunkt für die Nutznießerbeteiligung am wahrscheinlichsten ist.

1.2 Tendenzielle Erosion der Finanzierungsgrundlage Mineralölsteuer

Aufgrund der bisherigen großen Abhängigkeit der ÖPNV-Finanzierung (Betrieb und Infrastruktur) von der Mineralölsteuer steht bei weiter steigendem Finanzbedarf für den ÖPNV ein immer größer werdendes Akzeptanzproblem (Autofahrer fühlen sich – ob berechtigt oder unberechtigt, sei dahingestellt – schon jetzt als Melkkühe) zu befürchten. Im Übrigen ist zu er warten, dass es durch den Ausbau des ÖPNV (insbesondere des Schienenpersonennahverkehrs) sowie des Radverkehrs bei einem insgesamt nicht mehr wesentlich steigenden Verkehrsaufkommen im motorisierten Individualverkehr zu einer verstärkten Substitution des motorisierten Individualverkehrs durch die Verkehrsträger des Umweltverbundes und damit letztlich zu einem Rückgang der mineralölsteuerbasierten Finanzierungsquellen für den ÖPNV kommen wird. So sind die Einnahmen aus der Energiesteuer auf Kraftstoffe (vormals Mineralölsteuer) seit 2003 erheblich gesunken. Die damit verbundenen Steuermindereinnahmen wurden zwar durch den Anstieg der Einnahmen aus der Umsatzsteuer überkompensiert. Bei der Umsatzsteuer gibt es allerdings nicht die zumindest partielle (verwendungsseitige) Zweckbindung für den ÖPNV wie bei der Mineralöl- bzw. Energiesteuer (Nonaffektationsprinzip). Darüber hinaus ist zu beobachten, dass die verfügbaren Einnahmen der Privathaushalte nicht im gleichen Maße zugenommen haben, so dass – bei einem unterstellten unveränderten Ausgabeverhalten – ein relativ größerer Teil des verfügbaren Einkommens für Kraftstoffe aufgewendet werden muss, wodurch es zu Einschränkungen bei den Ausgaben für andere Güter und damit korrespondierend zu einem Rückgang des entsprechenden Umsatzsteueraufkommens kommt. Hierdurch würden letztlich die Steuermehreinnahmen aus dem Anstieg der Kraftstoffpreise kompensiert mit der Folge, dass letztlich weniger Steuermittel für den ÖPNV zur Verfügung stehen [6]. Auch deshalb gilt es zusätzliche, nicht auf Steuern basierende Finanzierungsquellen für die insbesondere ÖSPV-Schieneninfrastruktur in Städten zu erschließen.

Die als mögliche Finanzierungsalternative zur Beteiligung der Nutznießer von ÖSPV-Infrastruktur in Städten geforderte Privatisierung von Verkehrsinfrastruktur kann allerdings auf netzökonomische Probleme stoßen: Die wichtigste Quelle von Marktmacht in Netzen sind die so genannten monopolistischen Bottlenecks [7]. Gerade erdgebundene Infrastruktureinrichtungen können (müssen aber nicht zwangsläufig) diese Bottleneck-Eigenschaft aufweisen. Aufgrund der Kapitalintensität von Verkehrsanlagen besteht ein hohes Markteintrittsrisiko, da jeder neue Anbieter davon ausgehen muss, dass der vorhandene Anbieter bereits große Investitionen getätigt hat, die er bei Marktaustritt im Falle ortsfester Anlagen entweder überhaupt nicht oder nur unter Inkaufnahme hoher Verluste anderweitig verwerten kann. Entsprechend aggressiv wäre der Preiskampf, um wenigstens die kurzfristigen, variablen Kosten decken zu können. Das natürliche Monopol ortsfester Verkehrsanlagen verhindert somit  nicht nur aktiven, sondern überdies auch potenziellen Wettbewerb. Dies wiederum könnte zu überhöhten Kosten der Verkehrsinfrastrukturbereitstellung führen.

2 Nutznießerfinanzierung: state of the art

2.1 Internationale Erfahrungen

Aus den USA, Teilen von Südamerika, Afrika und Asien sowie dem europäischen Ausland sind Modelle einer Beteiligung der Nutznießer von ÖPNV an den Erschließungs- bzw. Bereitstellungskosten bereits in mehr oder weniger großem Umfang bekannt [8]. Die Begründung liegt in der Tatsache, dass eine qualitativ hochwertige ÖPNV-Erschließung nachweisbar einen positiven Effekt auf Bodenwerte und Mietpreise etc. bewirkt. Jüngere Untersuchungen aus Deutschland und England belegen mit sehr einfachen methodischen Ansätzen die Relevanz des Faktors ÖPNV-Erschließung für die Bodenwertentwicklung [9]. Gleichzeitig sind Ansätze aus dem Ausland wie z.B. den USA bekannt, bei denen es in Einzelfällen bereits gelungen ist, den Mehrwert durch ÖPNV-Erschließung im Rahmen von Stadtentwicklungsprojekten ökonometrisch abzubilden oder auch in neuen Abgabenmodellen zu erfassen [10]. Auch andere Studien z.B. aus Österreich oder speziell im Gewerbeimmobiliensektor [11] belegen zwar die Relevanz des Faktors ÖPNV-Erschließung, ohne diesen jedoch im Kontext anderer Standort- und preisbildender Faktoren zu quantifizieren.

2.2 Nationale Forschungsergebnisse

Ziel des im Rahmen der Ressortforschung des Bundesverkehrsministeriums durchgeführten (FoPS)-Forschungsprojekts „Ökonomischer Mehrwert von Immobilien durch ÖPNV-Erschließung“ war es deshalb, den ÖPNV-Effekt auf Bodenwerte in Deutschland empirisch zu quantifizieren. Konkret sollte der Zusammenhang zwischen Bodenwerten, Mietpreisen und ÖPNV-Erschließungsqualität für unterschiedliche Stadtgrößen und ÖPNV-Systeme (Bus, Tram, U-, S-Bahn etc.) transparent gemacht werden. Im Ergebnis dieses von 2012 bis 2015 laufenden Forschungsprojektes wurde der Anteil der ÖPNV-Angebotsqualität an der Miet- und Kaufpreisbildung einer Immobilie (Ökonomischer Mehrwert von Immobilien durch ÖPNV-Erschließung) anhand von sechs in dieser Studie untersuchten Großstädten mit rd. 4% beziffert [12]. In einer anderen Studie wurde für die Freie und Hansestadt Hamburg der Wertbeitrag einer schienengebundenen Erschließung mit 4,6% angegeben; bezogen auf den Hamburger Wohnungsbestand wird der gesamte Wertbestand des schienengebundenen ÖPNV auf 2,33 Mrd. € geschätzt, wovon über die Grundsteuer jährlich 4,2 Mio. € bzw. 0,18% abgeschöpft würden [13].

In letzter Zeit sind erste Arbeiten entstanden, die sich mit verschiedenen nicht-steuerlichen Finanzierungsinstrumenten zur Einbeziehung der Drittnutzer in die ÖPNV-Finanzierung beschäftigen. Diese befassen sich aber entweder nur überblicksartig mit verschiedenen, teils bereits praktizierten, teils nur in der Theorie vorhandenen Finanzierungsinstrumenten [14] bzw. diskutieren den Nahverkehrsbeitrag als Pflichtabgabe auf kommunaler Ebene ausschließlich als Finanzierungsinstrument für den ÖPNV-Betrieb [15]. Was bislang fehlt, ist eine konkrete Analyse der rechtlichen und zugleich verkehrlichen Voraussetzungen, die die Anwendung nicht-steuerlicher Instrumente zur Finanzierung der spurgebundenen ÖPNV-Infrastruktur in Städten ermöglichen könnten. Diese bildet wiederum die Voraussetzung zur Entwicklung eines konkreten Finanzierungsinstruments, mit dessen Hilfe die städtische ÖSPV-Schieneninfrastruktur von deren potenziellen Nutznießern (Drittnutzer) mitfinanziert werden könnte.

3 Nutznießerfinanzierung – Konzepte und rechtlicher Hintergrund

3.1 Konzepte der Nutznießerfinanzierung

Im Unterschied zu den unmittelbaren Nutzern (Fahrgäste) der öffentlichen Verkehrsmittel sollen bei der Nutznießerfinanzierung diejenigen Bevölkerungsgruppen einen Finanzierungsbeitrag leisten, die einen indirekten Nutzen aus der Erschließung mit ÖPNV ziehen, sei es als Nutznießer einer infolge der ÖPNV-Erschließung verbesserten Lagegunst (Anwohner und Gewerbetreibende) oder etwa als Arbeitgeber durch die Einsparung eigener Mobilitätsaufwendungen (z.B. Vorhaltung von Parkplätzen für Mitarbeiter und Kunden). In der vorliegenden Ausarbeitung werden vor diesem Hintergrund die finanzverfassungs-, landes- und kommunalrechtlichen Instrumente für eine mögliche Heranziehung der Nutznießer von spurgebundener ÖPNV-Infrastruktur bzw. ÖPNV-Schieneninfrastruktur in Städten einschließlich der hierzu als erforderlich erachteten verkehrsplanerischen und verkehrswirtschaftlichen Voraussetzungen untersucht.

Im Gegensatz zur Beteiligung der Nutznießer von kommunaler Straßeninfrastruktur (in Form der finanziellen Beteiligung der Grundstückseigentümer zur erstmaligen Herstellung einer Straße – Erschließungsbeitrag - sowie zur Finanzierung der Erneuerung einer bestehenden, aber stark sanierungsbedürftigen Straße bzw. zur Erweiterung oder Verbesserung von Straßen – Ausbaubeitrag -), bei der aufgrund des straßenrechtlichen Gemeingebrauchs eine tatsächliche Nutzungsmöglichkeit für die Anlieger besteht, was für sich alleine betrachtet aber noch keinen Sondervorteil begründet, muss eine solche im Bereich der spurgebundenen ÖPNV-Infrastruktur erst geschaffen werden, um die Nutznießer von städtischer ÖSNV-Schieneninfrastruktur an den Kosten der Herstellung bzw. des Ausbaus, der Erneuerung oder der Unterhaltung zu beteiligen. Nur kursorisch betrachtet werden können allerdings die mit einer solchen Maßnahme verbundenen denkbaren Auswirkungen auf die Sozialstruktur im Umfeld der schienengebundenen ÖPNV-Infrastruktur sowie weitere ggfs. nicht ausschließbare Rückwirkungen auf Ansiedlungs- und Nutzungsverhalten in Bezug auf die ÖPNV-Infrastruktur bzw. den Betrieb des ÖPNV; vergleichbares gilt für mögliche umweltbezogene Folgen (erhöhte Lärmimmissionen). Dies findet seinen Grund darin, dass diese Wirkungen gleichermaßen bei allen Maßnahmen zur Verbesserung der verkehrlichen Infrastruktur (Straßen, Schienen, Wasserwege) eintreten können und insofern kein Alleinstellungsmerkmal der hier im Fokus stehenden ÖSPV-Schieneninfrastruktur in Städten darstellen. Gleichwohl dürften diese „Begleiterscheinungen“ mit Art und Umfang des Nutzens aus der öffentlichen Bereitstellung spurgebundener ÖPNV-Infrastruktur in Städten zusammenhängen. Eine Quantifizierung dieser Auswirkungen ist jedoch im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht möglich.

3.2 Vorschläge des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes (MDV) und deren Bewertung

Als eines der zentralen Arbeitspakete im Rahmen der Strategie „MDV 2025“ wurde der Auftrag zur Untersuchung einer zukunftssicheren Finanzierung des Nahverkehrssystems im Verbundraum definiert. In diesem Zusammenhang legte der MDV Ende 2016 sechs Gutachten vor, die im Auftrag der MDV-Gesellschafter erarbeitet wurden, um verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten der Nutznießerfinanzierung im Rahmen der ÖPNV-Finanzierung im Verbundraum zu prüfen (vgl. [14]). Die fertiggestellten Gutachten wurden an die Kommunalpolitik sowie die drei mitteldeutschen Länder übergeben und werden hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit gegenwärtig geprüft. Erst danach kann über ggfs. erforderliche gesetzgeberische Konsequenzen (Änderung der Kommunalabgabengesetze) entschieden werden, als Voraussetzung für die anschließend auf kommunaler Ebene zu treffenden Entscheidungen in Bezug auf die Einführung konkreter Finanzierungsinstrumente.

3.2.1 Flächenbezogener ÖPNV-Beitrag

Zahlungspflichtig sind alle Grundstückseigentümer und (mittelbare) Grundstücksnutzer, mit einem Zugang zum ÖPNV-Angebot. Die Kosten für die Anschaffung und Unterhaltung der ÖPNV-Infrastruktur (bauliche Anlagen, Fahrzeuge, etc.) werde anteilig umgelegt. Von den Gesamtkosten werden Zuschüsse von Bund und Land sowie der Anteil, welcher der Allgemeinheit zuzurechnen ist, abgezogen. Als Bemessungsgrundlage werden gestaffelte Kriterien definiert: Erreichbarkeit der Haltestelle (Entfernung) und Anbindungsqualität (Anzahl der Verbindungen) an der Haltestelle. Außerdem werden die Grundstücksfläche sowie die Gebäudenutzfläche berücksichtigt.

Als Größenordnung für den Kreis der an der Finanzierung zu Beteiligenden werden bezogen auf die Stadt Halle als Oberzentrum Grundstücke mit Wohn- und Gewerbenutzung mit hoher Anbindungsqualität und Nähe zur Haltestelle = ca. 16 Cent mtl. je m2 Nutzfläche sowie, am Beispiel der Stadt Naumburg als Vertreter eines Mittelzentrums, Grundstücke mit Wohn- und Gewerbenutzung mit mäßiger Anbindungsqualität und Nähe zur Haltestelle = ca. 4,6 Cent mtl. je m2 Nutzfläche zu Grunde gelegt. Hinsichtlich der Wirkungen sind ca. 33 bis 66 Mio. € p.a. MDV-weit zu erwarten, was den Landkreisen und kreisfreien Städte den Spielraum verschaffen könnte, um damit z. B. steigende ÖPNV-Kosten zu finanzieren (alternativ zu Tarifanpassungen) oder/und eine Erweiterung des Verkehrsangebotes finanziell zu unterstützen. Der flächenbezogene ÖPNV-Beitrag entspricht am ehesten der praktischen Umsetzung des im Kapitel 4.2 erläuterten Modell eines ÖPNV-Nutzerklubs, ohne jedoch im Rahmen des erteilten Gutachtenauftrags dieses umfassend juristisch und verkehrsplanerisch begründen zu können. Der Fokus des Gutachtenauftrags lag vielmehr in der Ermittlung des finanziellen Beitrags der untersuchten ergänzenden Finanzierungswege für den MDV-Raum.

Bild 1: Schematische Darstellung des flächenbezogenen ÖPNV-Beitrags

3.2.2 Arbeitgeberbeitrag

Zahlungspflichtig sind alle Arbeitgeber mit ÖPNV-Anbindung, weil sie für ihre Beschäftigten und Kunden durch den ÖPNV besser erreichbar sind. Den Beitragspflichtigen werden die ihnen zurechenbaren Betriebskosten des ÖPNV in Rechnung gestellt. Die Kostenverteilung zwischen den Unternehmen erfolgt über die Mitarbeiteranzahl.

Im Gutachten wurden 2 Beispielrechnungen durchgeführt (Anbindung Gewerbegebiete):

- Bus in Leipzig: Beitragshöhe in Abhängigkeit von Erschließungswirkung zwischen 1,60 – 2,83 € je Arbeitnehmer/mtl. (2 Gewerbegebiete)

- Tram in Halle: Beitragshöhe in Abhängigkeit von Erschließungswirkung bei 6,53 € je Arbeitnehmer/mtl. (ein Gewerbegebiet)

Tendenziell ist MDV-weit mit einer höheren Ertragswirkung größer 25 + ? Mio. € zu rechnen, wobei eine konkrete verbundweite Abschätzung im Rahmen des Gutachtenauftrags nicht leistbar war. In Europa ist dieses Finanzierungsinstrument insbesondere aus Frankreich (versement de transport) (vgl. [15]) sowie aus Wien (sog. Dienstgeberabgabe) bekannt. In Deutschland müsste ein solches Finanzierungsinstrument, sofern es nicht im Sinne eines beitragsmäßigen Vorteilsausgleich ausgestaltet wäre, den strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgericht für Sonderabgaben Rechnung tragen, d.h. die mit der Abgabe belastete Gruppe muss dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck evident näher stehen als jede andere Gruppe oder die Allgemeinheit der Steuerzahler, und aus dieser Sachnähe heraus muss eine besondere Gruppenverantwortung für die Erfüllung der mit der außerteuerlichen Abgaben zu finanzierenden Aufgaben entspringen.

Bild 2: Schematische Darstellung des Arbeitgeberbeitrages

3.2.3 ÖPNV-Beitrag in Verbindung mit neuem ÖPNV-Angebot

Dieses Gutachten wurde explizit im Hinblick auf die Finanzierung des MDV-Modellvorhabens „Muldental in Fahrt“ vergeben. Bei diesem Modellvorhaben handelt es sich um eine massive Angebotsausweitung im Bereich des ÖPNV im ländlich strukturierten Muldentalraum durch die gleichzeitige Verdichtung bestehender sowie Schaffung neuer Busangebote und eine Vervielfachung der Anzahl der Zugangsstellen (Haltestellen). Während in der ersten Stufe des Modellvorhabens ein Integraler Taktfahrplan für die regional bedeutsamen Buslinien insbesondere im Vor- und Zulaufverkehr zum SPNV konzipiert wurde, sollen in der zweiten Stufe die Stadtbusverkehre in den vom Modellvorhaben erschlossenen Mittelzentren ausgebaut werden. Zur Deckung des mit beiden Stufen verbundenen Finanzbedarfs sollen alle Einwohner, die in den Genuss des neu konzipiertes ÖPNV-Angebots – welches über dem Grundstandard liegt – kommen, an dessen Finanzierung beteiligt werden. Bezugsgröße der Finanzierungsbeteiligung ist ein Zugang zum ÖPNV (Entfernung zur nächsten Haltestelle) im Radius von 600 m und einem 1h/2h-Takt im Regionalverkehrsnetz sowie einem Radius von 150 m und einem Halbstunden-Takt im Stadtverkehrsnetz. Ausgenommen werden sollen Kinder, Schüler, Studenten, Azubis, Bezieher von ALG II sowie Empfänger von Leistungen nach SGB IX (Schwerbehinderte).

Von den insgesamt entstehenden Kosten für den ÖPNV in dem Modellraum sollen die Mehrkosten der Angebotserweiterung von den Einwohnern finanziert werden. Der Fahrscheinkauf wäre weiterhin notwendig. Im Pilotraum leben ca. 80.000 Menschen (Kerngebiet), abzüglich der Ausnahmen/Kriterien verblieben rund 47.600 Beitragszahler. Die durchschnittliche Beitragshöhe über 6 Jahre würde in Abhängigkeit von einer Differenzierung nach Angebotsqualität und weiterer Ko-Finanzierungsformen sowie mit Berücksichtigung von Erlösen bei mtl. 1,71 € bis 7,28 € je Beitragszahler liegen. Die Beitragshöhe würde außerdem eine Kostensteigerung für den Betrieb des ÖPNV sowie den zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die Beitragserhebung beinhalten.

Über den ÖPNV-Beitrag könnte eine spürbar bessere Erschließung/Mobilität der Bürger des ländlichen Raums finanziell ermöglicht werden. Individuelle Erwartungen einzelner Kommunen könnten damit besser bedient werden und eine Mehrnutzung des ÖPNV wäre zu erwarten – zusätzlich möglicherweise unterstützt durch tarifliche Sondervorteile (z. B. Freifahrten).

Bild 3: Schematische Darstellung des ÖPNV-Beitrags in Verbindung mit einem ÖPNV-Angebot

3.2.4 Grundsteuer und Kreisumlage

Die Grundsteuer dient der Finanzierung öffentlicher Aufgaben. Sie ist vom Grundstückseigentümer an die Stadt/Gemeinde, in der er Grund und Boden besitzt, zu zahlen. Ein Teil der Erträge aus der Grundsteuer wird in den Landkreisen über die Kreisumlage an den Landkreis weitergereicht.

Bei Landkreisen als ÖPNV-Aufgabenträger wäre eine Anhebung der Kreisumlage für Zwecke der ÖPNV-Finanzierung denkbar, die von den kreisangehörigen Gemeinden durch eine erhöhte Grundsteuer gedeckt werden könnte. Bei kreisfreien Städten sollte die Anhebung der Grundsteuer mit einer politischen Zweckbindung (Willensbekundung) zur Verwendung zumindest von Teilen für den ÖPNV einhergehen. Um 5,2 Mio. € p.a. für den ÖSPV (entspricht 50% der prognostizierten Kostensteigerung des straßengebundenen ÖPNV, d.h. ohne den Schienenpersonennahverkehr) über die Grundsteuer zu finanzieren, müsste die Grundsteuer

- in Leipzig um 1,5% und in Halle um 2,4% jährlich und

- in den kreisangehörigen Gemeinden zwischen 0,8% und 1,3% angehoben werden.

In der Modellrechnung der Gutachter sind die Wirkungen des kommunalen Finanzausgleichs (KFA) nicht einbezogen. Diese können ggf. die Wirksamkeit dieses Instruments kritisch beeinflussen. Aufgrund des stetigen ÖPNV-Defizitaufwuchses wäre eine kontinuierliche Erhöhung der Grundsteuer erforderlich. Darüber hinaus ist aufgrund des Nonaffektationsprinzips (vgl. 1.3) eine Zweckbindung bei Steuern i.d.R. nur durch politischen Beschluss möglich, der auch jederzeit wieder rückgängig gemacht werden kann.

Bild 4: Schematische Darstellung der Grundsteuer mit Kreisumlage

Mit diesem Finanzierungsinstrument könnten zusätzlicher Finanzmittel für den ÖPNV generiert werden, um die im Rahmen eines stetigen ÖPNV-Angebots anfallenden Kostensteigerungen anteilig zu finanzieren und sonst notwendige Fahrpreiserhöhungen einzudämmen.

3.2.5 Bürgerticket

Die Grundidee eines fahrscheinlosen ÖPNV für jeden Bürger, bedeutet, dass jeder Bürger z.B. im Alter von 20 bis 75 Jahren – ggf. differenziert nach sozialen Kriterien – einen verpflichtenden regelmäßigen Beitrag zur Finanzierung des ÖPNV zahlt. Dies setzt voraus, dass eine vorab zu definierende Mindestqualität der ÖPNV-Anbindung besteht. Im Gegenzug könnte jeder den ÖPNV in einem definierten Gebiet ohne weitere Kosten nutzen. Bekanntestes Beispiel für die Einführung eines Bürgertickets ist gegenwärtig die estnische Hauptstadt Tallin.

Der Beitragseinzug erfolgt monatlich oder quartalsweise. In dem Modell dient das Bürgerticket als Ersatz für bisherige Ticketerlöse. Berechnungsannahme ist die Beibehaltung sonstiger Erträge wie z. B. Betriebskostenzuschüsse, Tarifsurrogate; eine unterstellte Teuerungsrate i. H. v. 3% /a wurde berücksichtigt und die Kosten notwendiger Angebotserweiterungen sind bereits integriert.

Vor diesem Hintergrund haben die Gutachter für die Mitgliedskommunen des MDV folgende Beträge ermittelt.

Darstellung Sezenario

Hinsichtlich der Wirkungen bzw. des Nutzen des Bürgertickets wird von einer Senkung der tariflichen Zugangsbarrieren ausgegangen, was zu einer stärkeren Nutzung des ÖPNV führen könnte. Durch die deutliche Ausweitung des ÖPNV-Angebotes in der jeweiligen Region (kreisfreie Stadt/Landkreis) verspricht man sich ein hohes klimapolitisches Lenkungspotenzial.

Beim Bürgerticket ist allerdings zu beachten, dass durch den Wegfall der direkten Geschäftsbeziehung zwischen Verkehrsunternehmen und Fahrgast ökonomische Steuerungsmöglichkeiten entfallen. Der Preismechanismus als in der Marktwirtschaft elementares Instrument zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage würde außer Kraft gesetzt. Da die Verkehrsinfrastruktur im Bereich des ÖPNV ohnehin speziellen Kostenfunktionen (sunk costs infolge irreversibler Infrastrukturinvestitionen, sprungfixe Kosten aufgrund einer Nutzungsrivalität erst ab einer bestimmten Kapazitätsgrenze) unterliegt, erscheint ein Verzicht auf das Steuerungsinstrument des Preises unter produktionstechnischen und damit letztlich auch wohlfahrtsökonomischen Gesichtspunkten (als Aufgabe der Daseinsvorsorge kommt der effizienten Produktion des ÖPNV-Angebots eine besondere Bedeutung zu) als problematisch.

Bild 5: Schematische Darstellung des Bürgertickets

3.2.6 ÖPNV-Taxe

Neben den Einwohnern profitieren auch Gäste davon, mit dem ÖPNV-Angebot kulturelle, touristische u.a. Einrichtungen zu erreichen und diese zu erleben. Der gesamtwirtschaftliche Nutzen des Tourismus würde über eine ÖPNV-Taxe breiter gestreut, um auch die Aufwendungen des ÖPNV anteilig mitzufinanzieren. Zahlungspflichtig wären demnach alle ortsfremden Übernachtungsgäste in Beherbergungsbetrieben, unabhängig vom Anlass der Übernachtung (geschäftlich oder privat). Kinder unter 6 Jahren würden nicht einbezogen. Die ÖPNV-Taxe, rechtich ausgestaltet als Fremdenverkehrsbeitrag findet diese bereits in einigen Bundesländern Anwendung, sollte über die Beherbergungsbetriebe erhoben und monatlich/quartalsweise an die Gebietskörperschaft abgeführt werden.

Grundsätzlich sind zwei Varianten der ÖPNV-Taxe denkbar: mit und ohne integrierter ÖPNV-Nutzung. Die Gutachter empfehlen eine niedrige ÖPNV-Taxe, deshalb sollte diese ohne integrierte ÖPNV-Nutzung eingeführt werden. D.h. Ortsfremde ÖPNV-Nutzer müssten zusätzlich zur ÖPNV-Taxe einen ganz normalen Fahrschein erwerben, ohne Reduzierung oder Kostenerstattungsanspruch. Untersucht wurde ein Beitrag von 1,- bis max. 2,- € je Nacht/-Gast; die Empfehlung der Gutachter sieht eine ÖPNV-Taxe von max. 1,50 €/ÜN vor. Infolge der Einführung einer ÖPNV-Taxe wird keine signifikante Verteuerung der Übernachtungen befürchtet, da bei einem Betrag von 1,50 € je Nacht/Gast die damit verbundenen Mehrkosten von ca. 2% in Leipzig bzw. Halle und ca. 2,5% in den Landkreisen nach Meinung der Gutachter kaum ins Gewicht fallen.

Durch die Einführung einer ÖPNV-Taxe von 1,50 € je Übernachtung könnten bei linearer Trendfortschreibung der Übernachtungszahlen bis 2025 verbundweit insgesamt etwas über 9% der voraussichtlichen gesamten Mehrkosten für den ÖPNV (Annahme Kosten + 3% p.a.) erwirtschaftet werden. Das entspräche durchschnittlich etwa 6-14 Mio. € p.a. MDV-weit, wodurch zusätzliche Finanzmittel für den ÖPNV generiert werden, um die im Rahmen eines stetigen ÖPNV-Angebots anfallenden Kostensteigerungen anteilig zu finanzieren und sonst notwendige Fahrpreiserhöhungen einzudämmen.

Bild 6: Schematische Darstellung der ÖPNV-Taxe

3.3 Rechtlicher Hintergrund

Bei der Wahl des Finanzierungsinstruments stehen abgabenrechtlich grundsätzlich Steuern, Gebühren und Beiträge sowie ausnahmsweise Sonderabgaben zur Auswahl. Allerdings liegt die Gesetzgebungshoheit für das Finanzierungsinstrument der Steuer nach den finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes im Wesentlichen beim Bund, und diese Abgabe dient hinsichtlich der Mittelverwendung bis auf wenige, einzelgesetzlich definierte Ausgabezwecke der Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben. Das Grundgesetz spricht dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über Zölle und Finanzmonopole (Art. 105 Abs. 1 GG) sowie im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Art. 72 Abs. 2 GG auch die Gesetzgebungskompetenz über die „übrigen Steuern“ zu, soweit ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder teilweise zusteht oder soweit ein sonstiges Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung besteht (Art. 105 Abs. 2 GG). Die Angelegenheiten der konkurrierenden Gesetzgebung finden sich im Art. 74 GG, hier unter anderem in Abs. 1 Nr. 22 der Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen, der Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen. In Finanzangelegenheiten sind zudem Art. 104a bis 107 GG einschlägig. So sieht Art. 106 Abs. 2 Nr. 3 GG vor, dass den Ländern das Aufkommen aus den Verkehrssteuern zustehen, sowie diese nicht nach Abs. 1 dem Bund oder nach Abs. 2 Bund und Ländern gemeinsam zustehen.

Demgegenüber bezieht sich die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder gemäß Art. 105 Abs. 2a GG auf die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit diese nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder den Gemeinden (Gemeindeverbänden) ganz oder zum Teil zufließen, bedürfen gemäß Art. 105 Abs. 3 GG der Zustimmung des Bundesrates. Gemäß Art. 28 Abs. 2 GG muss den Städten, Gemeinden und Kreisen das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die „Gemeindeverbände“ haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle. Allerdings besteht eine Rangfolge der Einnahmebeschaffung dahingehend, dass spezielle Entgelte Vorrang genießen vor (allgemeinen) Steuern und dass dabei auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Abgabepflichtigen Rücksicht zu nehmen ist. Hintergrund dieser Rangfolge sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Haushaltswirtschaft (Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG, § 6 HGrG, § 7 BHO), denen zu Folge derjenige, der eine kommunale Leistung bzw. Einrichtung in Anspruch nimmt, grundsätzlich auch die damit verbundenen Kosten tragen soll. Die Allgemeinheit soll demgegenüber nur mit den Kosten belastet werden, die keinem speziellen Verursacher zugerechnet werden können bzw. deren Erhebung im Einzelfall nicht vertretbar wäre.

Vor diesem Hintergrund bieten sich auf kommunaler Ebene an fiskalischen Instrumenten eher die anderen Abgaben und hier konkret der Beitrag als Finanzierungsinstrument für den ÖPNV an, da hier der Zusammenhang zwischen Leistung (optionale Nutzungsmöglichkeit der ÖPNV-Anlagen) und Gegenleistung (Angebot an ÖPNV) offensichtlich ist und insofern eine größere Bereitschaft zur Beteiligung der Nutznießer an den Kosten der Herstellung, des Ausbaus und des Betriebs von ÖPNV-Infrastruktur erwartet werden kann. Allerdings stellt  der bestehende Rechtsrahmen nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Erhebung eines ÖPNV-Beitrages durch die Kommunen bereit. Umso wichtiger ist es daher, den Blick zu werfen auf den Nutzen, den eine ÖPNV-Erschließung für den betroffenen Grundstücksanlieger bzw. Anwohner stiftet bzw. stiften kann, um die Spielräume für eine individuell als gerecht empfundene Bemessung der konkreten Abgabenschuld zu erkennen.

Die Quantifizierung des Nutzens des zu finanzierenden ÖSPV für den Einzelnen würde eine Differenzierung der Beitragserhebung nach den im Finanzverfassungsrecht zulässigen Grundsätzen erfordern. Allerdings bedarf es dabei einer Anpassung der Maßstäbe, wie sie aus dem nur noch vorübergehend als Bundesrecht fortgeltenden und bereits in einigen Ländern durch Landesrecht (KAG) ersetzten Erschließungsbeitragsrecht insbesondere für kommunale Straßen bekannt sind. Die Maßstäbe für die Verteilung des Beitrages müssten daher neben den individuellen Parametern der Grundstücksgröße und -nutzung um verkehrsbezogene Parameter wie die Zugänglichkeit zur ÖPNV-Infrastruktur und die Qualität des Betriebs auf derselben erweitert werden. Das Instrument des wiederkehrenden wie auch des einmaligen Beitrags beschränkt sich bislang in allen Kommunalabgabengesetzen ausschließlich auf den Straßen(aus)bau. Dies hängt mit der fehlenden Einbeziehung des ÖPNV in die Definition des Anlagenbegriffs zusammen.

Gleichwohl lohnt sich ein Blick auf andere, leitungsgebundene Einrichtungen, bei denen sich – im Unterschied zu Straßen(aus)baubeiträgen – die Einheitsbildung als Maßstab der Beitragsbemessung auf den ersten Blick erschließt, weil der Kreis der (berechtigten) Nutzer durch den Anschluss an eine Leitung eindeutig abgegrenzt ist. Demgegenüber scheint die straßenrechtliche Widmung des Gemeingebrauchs gegen einen solchen abgeschlossenen Nutzerkreis und damit die Einheitsbildung als Maßstab der Beitragsbemessung zu sprechen. Hiergegen ist jedoch schon die Tatsache anzuführen, dass Anschluss- und Benutzungszwang bei öffentlichen Einrichtungen nicht deckungsgleich sind, es vielmehr ausreichen kann, dass die Anschlussnahme an eine gemeindliche Einrichtung zur Erreichung des angestrebten Zwecks bereits genügt und dass es eines darüber hinausgehenden Benutzungszwangs deshalb nicht bedarf. Ebenso sind die verpflichteten Personen bei gleichzeitiger Einführung des Anschluss- und Benutzungszwangs nicht in jedem Fall gleich. So kann sich etwa die Gruppe der Benutzer von derjenigen der Anschlussnehmer unterscheiden, da ihnen nach Sachlage nur die Pflicht der Benutzung nach bereits vollzogenem Anschluss obliegt. Vor allem aber besteht keine Zwangsläufigkeit, dass das Einheitsmodell auf leitungsgebundene Einrichtungen beschränkt ist. Der (möglichen) Nutzung durch andere Personen als den Beitragspflichtigen wird nämlich bei Verkehrsanlagen dadurch Rechnung getragen, dass der auf das öffentliche oder Allgemeininteresse entfallende Kostenanteil die individuelle Beitragsbelastung von vornherein mindert. Für den verbleibenden mehr oder weniger großen Rest ergibt sich aus dieser Vorgehensweise dann die Möglichkeit der Zurechnung individualisierbarer Vorteile an einen durch die Merkmale (1) Grundstückseigentum im (2) Gemeindegebiet(steil) klar abgegrenzten Personenkreis.

Der wiederkehrende Straßen(aus)baubeitrag erscheint daher schon aus praktischen Erwägungen als geeignetere Grundlage für eine mögliche Ausweitung dieses Finanzierungsinstruments auf die Erschließung mit ÖPNV. Darüber hinaus bietet das kommunale Abgabenrecht aufgrund der ausschließlichen Länderkompetenz eher die Voraussetzungen für die notwendigen Anpassungen im Rechtsrahmen und erhöht somit deren Eintrittswahrscheinlichkeit.

4 Modell für eine Nutznießerfinanzierung

4.1 Beitragsmodelle

„Bis auf die Kurtaxe und vertragliche Vereinbarungen wurde noch keines der genannten Finanzierungsinstrumente in Hinsicht auf die ÖPNV-Finanzierung in Deutschland praktiziert.“[16]. Auch wenn diese Aussage nicht vollständig zutrifft – bis zur Änderung der Hessischen Bauordnung am 25. November 2010 konnten hessische Gemeinden Stellplatzablösesatzungen erlassen und die so erzielten Einnahmen explizit auch für die ÖSPV-Infrastruktur ausgeben; die Stadt Frankfurt am Main schränkte auf dieser Grundlage die Stellplatzerrichtungspflicht bei gewerblich genutzten Immobilien in Abhängigkeit von der Bedienungshäufigkeit an einer ÖPNV-Haltestelle sowie von der Art der öffentlichen Verkehrserschließung (Bus, Straßenbahn, Stadtbahn und S-Bahn) zwischen 10% und 80% ein und setzte im Gegenzug im Abhängigkeit von der Ablösezone einen Ablösebetrag je abgelösten Stellplatz von 10.000€ bis 7.500€ sowie für land- und forstwirtschaftliche Betriebe, Gartenbaubetriebe, Handwerksbetriebe und handwerksähnliche Gewerbe- und Industriebetriebe in beiden Ablösezonen auf 5.000€ fest, die zweckgebunden für Investitionen und Unterhaltungsmaßnahmen von öffentlichen Parkierungsanlagen und für Investitionen in den Radwegebau sowie in den öffentlichen Nahverkehr verwendet wurden [17] -, so sind die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten der Beteiligung der Nutznießer von ÖPNV-Infrastruktur in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern wenig ausgeprägt bis nicht vorhanden.

4.2 Modell eines ÖPNV-Nutzerklubs

Zur theoretischen Einordnung soll zunächst auf die Klubgütertheorie bei der Finanzierung der ÖPNV-Infrastruktur zurückgegriffen werden. Als Zwischenform der Gütereinteilung zwischen öffentlichen Gütern, die sich durch Nicht-Ausschliessbarkeit von der Nutzung und/oder fehlender Konsumrivalität sowie praktisch keine Grenzkosten auszeichnen, und privaten Gütern, die geprägt sind durch private Verfügungsrechte und damit rivalisierenden Konsum mit der Folge einer hohen Bedeutung von Grenzkosten für die Güterbereitstellung, wurde in der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie das Konzept der sog. Klubgüter entwickelt. Aus der Erkenntnis heraus, dass die gesamte Gesellschaft mit der Bereitstellung von öffentlichen Gütern überfordert ist, andererseits aber auch fehlende Grenzkosten und hohe Ausschlusskosten der einzelnen Nutzung gegen eine private Bereitstellung sprechen, soll das Gut einem Klub der Nutzer bereitgestellt werden [18]. Das Modell eines Nutzerklubs kann somit als eines der Elemente einer Gebührentheorie für Kollektivgüter verstanden werden [19]. Folglich muss sich das Modell des Nutzerklubs an den Anforderungen messen lassen, die das Abgabenrecht (als Sammelbegriff für Steuern und Sonderabgaben, Gebühren und Beiträge) an Gebühren und Beiträge als eine gegenleistungsbezogene Form der Finanzierung öffentlicher Leistungen stellt. Hierzu gehören der Grundsatz der Gleichbehandlung (d.h. gleiche Abgabe für gleiche Leistungen), das Äquivalenzprinzip als Garant dafür, dass Leistung und Gegenleistung in einem adäquaten Verhältnis zueinander stehen, sowie das Kostendeckungsprinzip, d.h. die Abgabenhöhe muss dem prognostizierten ansatzfähigen Werteverzehr bzw. Kapitalverbrauch entsprechen. Dies schließt eine Spreizung der Abgabenhöhe nach unterschiedlicher Nutzenintensität keinesfalls aus [20].

4.3 Die Kommunen als Bereitsteller des Klubgutes ÖPNV

Der Kernbereich der kommunalen Betätigung liegt für Sander heutzutage in der Bereitstellung von Klubkollektivgütern und Gütern natürlicher Monopole [21]. Dem entspricht der finanzverfassungs- sowie kommunalrechtlich verankerte Vorrang der Äquivalenzfinanzierung (Gebühren und Beiträge) vor einer Finanzierung der Kommunalaufgaben aus Steuern (vgl. 3.2) Diese Aussage korrespondiert mit der Feststellung von Grossekettler, dass, „wenn der Preismechanismus seine Funktionen auch bei Kollektivgütern richtig erfüllen soll,…bei der Umlage der Kosten auf die Mitglieder (des Klubs, O.M.) bestimmte Tarifierungsregeln eingehalten werden (müssen)“. Dies beinhaltet die zwei grundliegenden Leitlinien, dass Nutzungsentgelte möglichst die Grenzkosten abdecken und die Nutzer alle aus der Nutzung des Gutes resultierenden Kosten, aber auch nur diese, tragen sollen [22].

In diesem Sinne dienen Gebühren der Abgeltung der Zusatzkosten einer Nutzung, und decken daher in erster Linie die (betriebswirtschaftlichen) Grenzkosten der Bereitstellung ab. Gebühren, die über diese Grenzkosten hinausgehen, sind wohlfahrtsökonomisch Unsinn, weil dann Nutzer vom Gebrauch des Klub(kollektiv)gutes abgeschreckt würden, obwohl dieser grenzkostenfrei erzielbare Vorteile mit sich brächte. Grossekettler belegt dies anhand des Beispiels einer prohibitiven Stauvermeidungsgebühr, die Autofahrer von der nächtlichen Nutzung der dann weitgehend leeren Straßen abhielte [23]. Allerdings ist der volkswirtschaftliche Kostenbegriff breiter gefasst als der betriebswirtschaftliche, so dass bei der Bepreisung des Klub(kollektiv)gutes schienengebundene ÖPNV-Infrastruktur auch der Nutzenverzicht in Form z.B. von Überfüllung, Überlastung bzw. Verdrängung berücksichtigt werden muss (vgl. [22]). Daher sind bei der Bepreisung der Infrastruktur sowohl die Nutzungselastizität, d.h. die freien Bedienungskapazitäten, als auch die Mengenelastitzität, d.h. die sich aus der Unteilbarkeit der Infrastrukturanlagen ergebenden Kostendegressionen, zu berücksichtigen. Daraus kann in Anlehnung an Grossekettler die Schlussfolgerung gezogen werden, dass von den Klubmitgliedern immer dann ein ergänzender (nutzungsabhängiger) Kostenbeitrag erhoben werden soll, wenn der (betriebswirtschaftliche) Grenzkostenpreis nicht die vollen Kosten pro Mitglied deckt. “Dieser Beitrag kann als ein Optionspreis dafür angesehen werden, das jeweilige Gut zum Grenzkostenpreis nutzen zu dürfen.“ (vgl. [22]).

Diesem Grundgedanken entspricht finanzverfassungsrechtlich der Beitrag, der der Finanzierung der übrigen, d.h. der Fixkosten dient, da er auf den Optionsnutzen abstellt. Auf den ÖPNV bezogen bedeutet dies, dass die Fahrgeldeinnahmen in erster Linie die Kosten der Infrastrukturbewirtschaftung abdecken, während die Beiträge der Nutznießer von spurgebundenen ÖPNV-Infrastrukturanlagen vor allem der Deckung der Infrastrukturvorhaltekosten dienen. Knieps spricht sich dafür aus, die Erträge aus der Nutzung der Netzkapazitäten zur Finanzierung der Netzinfrastruktur zu verwenden. „Es ist daher durchaus ökonomisch sinnvoll, das Allokationsproblem knapper Kapazitäten und das Problem der Finanzierung der Netzinfrastruktur in einem Zusammenhang zu stellen. Dies darf allerdings nicht zu dem Umkehrschluss verleiten, auf Infrastrukturen mit geringer Nachfrage die Kosten der Infrastruktur nutzungsabhängig zu allozieren, weil hierdurch die verbleibende Nachfrage völlig abgeschreckt würde.“ [24]. Als i.d.R. Eigentümer der ÖPNV-Schieneninfrastruktur verfügen die kommunalen ÖPNV-Unternehmen bzw. deren kommunale Gesellschafter zumindest theoretisch über die rechtlichen Möglichkeiten des Ausschlusses von Nichtzahlern bzw. können umgekehrt den Kreis der Zwangsmitglieder des Versorgungsverbandes mit spurgebundener ÖPNV-Infrastruktur festlegen.

4.4 Parameter der Erreichbarkeit mit und Erschließungsqualität im ÖPNV

4.4.1 ÖPNV-Nutzerklub im Praxistest

Als Alternative zur steuerbasierten Finanzierung (aus dem Staatshaushalt) sollen die Nutznießer einer ÖSPV-Schieneninfrastruktur in Städten zur klubmäßigen Finanzierung (über zweckbezogene Gebühren oder Beiträge) herangezogen werden. Neben den Fahrgästen stiftet die ÖPNV-Infrastruktur vielfach weiteren Nutzen für die von ihr Erschlossenen, so dass neben einer politischen auch eine volkswirtschaftliche Rechtfertigung zur Beteiligung dieser Nutznießer an den Kosten der Infrastrukturbereitstellung besteht (Henry George-Theorem): Das Henry George-Theorem, angewendet auf die vorliegende Fragestellung, impliziert, dass die Fixkosten der verkehrsbezogenen Infrastruktur verursachungsgerecht durch die hierdurch erhöhten Bodenrenten finanziert werden könnten – und nicht allein durch die Nutzer der Verkehrsmittel. Die Verkehrsinfrastruktur hat nämlich einen i.d.R. positiven Einfluss auf den Wert der angeschlossenen Grundstücke [24]. Allerdings stößt ein solcher Klub der Nutznießer in der Praxis auf Zuordnungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten. Probleme bei der Zuordnung stellen sich insbesondere hinsichtlich des geographischen Einzugsbereichs zur Definition der Klubmitglieder. Abgrenzungsprobleme stehen damit im Zusammenhang und beziehen sich auf die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Nutznießern.

4.4.2 Erreichbarkeits- und Erschließungsparameter

Der Zusammenhang zwischen ÖPNV und Immobilienpreisentwicklung als Voraussetzung für die Definition von Anknüpfungspunkten für einen Finanzierungsbeitrag der von schienengebundener ÖPNV-Infrastruktur in Städten erschlossenen Anlieger erfolgt zum einen über eine Analyse der bisherigen Forschungsergebnisse zum Verhältnis zwischen ÖPNV-Erreichbarkeit und Bodenpreisen (vgl. [12]), zum anderen über die Auswertung von Richtlinien und Empfehlungen für die Planung und den Betrieb von ÖPNV-Anlagen im Hinblick auf deren raum- bezogene Qualitätsstandards [25]. Da diese Richtlinien und Empfehlungen einen normativen Anspruch (Qualität von ÖPNV-Angebotsstandards) erheben, sind deren Bewertungskriterien auf ihre Eignung als Anknüpfungspunkte für die Heranziehung zur Beitragserhebung zu untersuchen. Allerdings dürfte aus rechtlichen Gründen eine rein räumliche Betrachtung von ÖPNV-Angebotsstandards nicht ausreichen. „Der Anschluss an das öffentliche Nahverkehrs- netz ist für denjenigen nutzbringend, dem dadurch eine adäquate verkehrliche Alternative bei der Bewältigung seiner regelmäßig zurückzulegenden Wegstrecken geboten wird. Dieser Fall tritt jedoch nicht automatisch mit der Errichtung eines Haltepunktes (o.ä.) in Wohnortnähe ein. Ein solcher ‚Anschluss‘ an den öffentlichen Verkehr reicht für sich genommen als Beförderungsoption nicht aus, da es sich beim Verkehr nicht um eine standortbezogene, sondern eine vektorielle (gerichtete) (Hervorhebung im Text) Größe handelt“ [27]. Demnach zeichnen sich alle regelmäßig zu bewältigenden Wegstrecken sowohl durch einen Ausgangs- (Quelle) als auch einen Endpunkt (Ziel) aus. Nur wenn beide Punkte über eine adäquate direkte Verbindung vom öffentlichen Verkehr angefahren werden, könne von einer zusätzlichen, nutzbringenden Verkehrsalternative gesprochen werden. “Der Anschluss des Wohnortes an das öffentliche Verkehrsnetz deckt zunächst nur die Verkehrsquelle ab. Liegt jedoch der regelmäßige Zielort außerhalb des bedienten Bereichs, tendiert der Wert der Verkehrseinrichtung für den konkreten Fall gegen Null“ (vgl. [27]). Im Ergebnis verneint Maak die Möglichkeit, den individuellen Vorteil der Beitragspflichtigen zu verobjektivieren, wodurch eine nutzenbezogene Differenzierung der Beitragssätze ausgeschlossen und somit die Umlagefähigkeit nicht herstellbar sei.

Aus diesem Grund bedarf es eines weiteren Instruments zur Messung der ÖPNV-Angebotsstandards. Mit dem Regional Working Paper 01/2015 „Measuring access to public transport in European cities“ der Europäischen Kommission [28] liegt ein neuer Forschungsansatz vor, der ausgehend von den Schwierigkeiten mit vergleichenden Analysen der Erreichbarkeit mit öffentlichem Nahverkehr in ausgewählten europäischen Städten ein neues Messinstrument zu Grunde legt. Dieses könnte somit eine Möglichkeit zur Definition von verkehrlichen Erschließungsparametern darstellen, die den finanzverfassungsrechtlichen Anforderungen zur Beteiligung der Nutznießer an der ÖSPV-Schieneninfrastruktur in Städten genügen. Ausgehend von dem räumlichen Parameter der fußläufigen Entfernung zur nächsten ÖPNV-Zugangsstelle (417 Meter bzw. 5 Minuten zu einer Bus- bzw. Tram- und 833 Meter bzw. 10 Minuten zu einer U-Bahn- bzw. Zug-Haltestelle), gemessen jeweils unter Berücksichtigung der tatsächlichen Straßenverhältnisse, wurden in dem Papier der Europäischen Kommission die werktäglichen Abfahrten zwischen 6:00 und 20:00 Uhr erfasst und auf der Grundlage einer Durchschnittsbildung je Stunde unterschiedliche Klassen der Bedienungshäufigkeit gebildet. Es wurden alle Haltepunkte innerhalb eines Radius von 50 Metern erfasst, so dass davon auszugehen ist, dass in den meisten Fällen Abfahrten in beide Richtungen auf der gleichen Strecke erfasst werden. Zur Illustration führen die Autoren folgendes Beispiel an: Eine Bushaltestelle mit lediglich einer Linie, die sechs Abfahrten pro Stunde aufweist, offeriert somit je drei Fahrtenmöglichkeiten in beide Richtungen.

Im Ergebnis wurden fünf Erreichbarkeitsklassen gebildet:

1. Menschen ohne Zugang zum ÖPNV (d.h. mit einem längeren Fußweg zur nächsten Bus-/Tramhaltestelle als 5 min bzw. U-Bahn-/Zug-Haltepunkt 10 min);

2. Menschen mit eingeschränkten Zugang (d.h. an der als in akzeptabler Entfernung definierten nächsten ÖPNV-Haltestelle gibt es weniger als vier Abfahrten pro Stunde);

3. Menschen mit durchschnittlichem Zugang (hier liegt die Zahl der Abfahrten der als akzeptabel definierten entfernen Haltestelle zwischen 4 und 10 pro Stunde);

4. Menschen mit überdurchschnittlichen Zugang (hier gibt es pro Stunde entweder mehr als 10 Abfahrten an Bus-/Tram oder U-Bahn-/Zughaltepunkten, jeweils innerhalb der als akzeptabel definierten Entfernungen), sowie

5. Menschen mit stark überdurchschnittlichem Zugang (hier liegt die Zahl der Abfahrten in der als akzeptabel definierten fußläufigen Entfernung für beide Verkehrsarten Bus-/Tram und U-Bahn/Zug bei jeweils 10 pro Stunde).

Diese Erreichbarkeitsklassen werden dann mit der Wohnbevölkerung in den Stadtzentren verschnitten, um so Cluster der ÖPNV-Erschließungsqualität zu bilden. Allerdings ist bei einer so ermittelten Definition von Erreichbarkeit noch keine Aussage über den Kreis der Erschlossenen getroffen. Um einen ÖPNV-Infrastrukturerschließungsbeitrag erheben zu können, bedarf es in analoger Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber der Bindung an einen grundstücksbezogenen Vorteilsnehmer (Nutznießer) der ÖPNV-Infrastruktur,. Denkbar wäre daher, für die Erreichbarkeitsklassen 1-3 von einer aus allgemeinen Steuern zu finanzierenden Staatsaufgabe auszugehen (gilt insbesondere im Hinblick auf die Klasse 3), während die Erreichbarkeitsklassen 4 und 5 einen überdurchschnittlichen Ausstattungsstandard beschreiben, zu dessen Finanzierung die jeweils Erschlossenen in besonderer Weise herangezogen werden, zumal der (stark) überdurchschnittliche ÖPNV-Infrastrukturerschließungsstandard die Anschaffung bzw. Unterhaltung von verkehrlichen Alternativen und hier insbesondere den eigenen Pkw überflüssig erscheinen lässt [29].

Eine solche Herangehensweise deckt sich mit der von Gawel und Schmidt (vgl. [20]) erläuterten theoretischen Begründung für eine staatliche Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur: Demnach zeichnet sich Verkehrsinfrastruktur in technischer Hinsicht durch weitgehende Unteilbarkeit, Langlebigkeit, Interdependenzen zwischen den einzelnen Bestandteilen eines Infrastrukturbereichs (Netzwerkexternalitäten) sowie Input-Charakter für die private wirtschaftliche Aktivität aus. Damit korrespondieren die ökonomischen Merkmale Scale (Ausmaß der Kapitalbindung) und mögliche Risiken, Kostendegression (Economies of Scale), natürliches Monopol, hoher Fixkostenanteil, externe Effekte und Nutzendiffusion sowie unzureichende Exklusionsmöglichkeit und Nichtrivalität im Konsum (Öffentlichkeitsgrad).

5 Schlussfolgerungen

Angesichts der nach wie vor ungelösten Finanzierungsproblematik für große Teile des öffentlichen Nahverkehrs bei gleichzeitiger tendenzieller Erosion der bisherigen, ausschließlich auf Steuermitteln basierenden Finanzierungsgrundlagen für den ÖPNV bleibt die Suche nach ergänzenden Finanzierungsinstrumenten eine vorrangige Gestaltungsaufgabe für alle politischen Handlungsebenen. Dabei kommt der Beteiligung der Nutznießer von ÖPNV an den Kosten von dessen Infrastruktur bzw. dessen Betrieb eine besondere Bedeutung zu, da über den gesamtwirtschaftlichen Nutzen des ÖPNV hinaus einzelwirtschaftliche Vorteile durch eine bessere Anbindung bzw. Erreichbarkeit mit dem ÖPNV evident sind. Die finanzverfassungs- sowie landes- und kommunalrechtlichen Vorgaben sind allerdings eher restriktiv bzw. sehen die Möglichkeit der Nutznießerfinanzierung im ÖPNV erst gar nicht vor. Insofern bedarf es zweifelsohne einer neuen gesetzlichen Regelung als Voraussetzung für die Einführung bzw. Nutzbarmachung von Finanzierungsinstrumenten, die die Nutznießer von ÖPNV an dessen Kosten beteiligen.

Neben juristischen spielen aber auch wirtschaftliche und politische Aspekte eine wichtige Rolle, wenn es um die Frage geht, ob und ggfs. welche(s) ergänzende(n) Finanzierungsinstrument(e) in Erwägung gezogen werden sollte(n). Dabei handelt es sich (ohne damit eine Rangfolge zu implizieren) um folgende Aspekte:

- Ergiebigkeit des Finanzierungsinstruments (gibt das Verhältnis von Aufwand der Einführung eines Finanzierungsinstruments zu den damit potenziell zu erzielenden Einnahmen an);

- Berechenbarkeit der Einnahmen (ohne eine bestimmte Aufkommenswahrscheinlichkeit sowie deren Regelmäßigkeit ist der mit der Einführung neuer Finanzierungsinstrumente verbundene politische und wirtschaftliche Aufwand nicht zu rechtfertigen);

- Soziale Auswirkungen (diese spielen insbesondere bei der Frage nach der individuellen Belastungswirkung der einzelnen Instrumente sowie generell im Hinblick auf das Gerechtigkeitsempfinden der davon betroffenen Bevölkerungsgruppen eine Rolle);

- Verkehrliche Auswirkungen (je nach der Anreizwirkungen, die von einem Finanzierungsinstrument ausgehen, sind unterschiedliche Auswirkungen auf das Verkehrsverhalten zu gewärtigen);

- Wirtschaftliche Vertretbarkeit (letztlich muss sich ein Finanzierungsinstrument „rechnen“, d.h. Ergiebigkeit und Berechenbarkeit sowie Umsetzbarkeit müssen gegeben sein);-    Akzeptanz (sowohl in politischer als auch gesamtgesellschaftlicher Hinsicht);

- Umsetzbarkeit (das theoretisch beste Finanzierungsinstrument nützt wenig, wenn es praktisch nicht umsetzbar ist z.B. wegen des damit verbundenen Erhebungsaufwandes, nicht herstellbarer Akzeptanz etc.).

Erst wenn neben den juristischen auch die wirtschaftlichen und politischen Aspekte, die mit der Einführung eines oder mehrerer ergänzender Finanzierungsinstrumente der Nutznießerfinanzierung im ÖPNV einhergehen, geprüft und bewertet wurden, kann vor Ort über deren konkrete Einführung entschieden werden. Wenngleich dieser Prozess anstrengend sein dürfte, lohnt es sich angesichts der finanziellen Herausforderungen, vor denen der ÖPNV steht, diesen Weg zu gehen.

6 Literatur

6.1 Bücher

[1]    REIDENBACH, M.; u.a. (2008). Investitionsrückstand und Investitionsbedarf der Kommunen. Ausmaß, Ursachen, Folgen und Strategien, Edition Difu, 2008.

[2]    VERBAND DEUTSCHER VERKEHRSUNTERNEHMEN (2009). Finanzierungsbedarf des ÖPNV bis 2025, Untersuchung im Auftrag des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), des Deutschen Städtetages, der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Köln 2009.

[3]    ZUKUNFT DER VERKEHRSINFRASTRUKTURFINANZIERUNG (2012). Bericht der Kommission unter dem Vorsitz von Karl-Heinz Daehre, Dezember 2012.

[4]    ETC GAUFF MOBILITY SOLUTIONS (2014). Ermittlung des Mittelbedarfs für die künftige ÖPNV-Finanzierung beim Mitteldeutschen Verkehrsverbund, 04.11.2014.

[6]    BUNDESMINISTERIUM DER FINANZEN (2015). Die Steuereinnahmen von Bundesländern und Gemeinden im Haushaltsjahr 2012, www.bundesfinanzministerium.de/content/DE/Monatsberichte2013/KapitelAnalysen/ 3-2.Steuereinnahmen, Zugriff 10.07.2015.

[7]    WEIß, H.-J. (2006). Die Probleme des ÖPNV aus netzökonomischer Sicht. In: Lasch, R/Lemke, A. (Hrsg.): Wege zu einem zukunftsträchtigen ÖPNV: Rahmenbedingungen und Strategien im Spannungsfeld von Markt und Politik, Berlin 2006, S. 119-147.

[8]    COTADU (2009). Qui paie quoi en matière de transports urbains? Guide de bonnes pratiques, November 2009, 220 Seiten.

[11] HASS-CLAU, C. et al. (2004). Economic Impact of Light Rail. The Results of 15 Urban Areas in France, Germany, UK and North America, Environmental and Transport Planning/ Bergische Universität Wuppertal Fachzentrum Verkehr, July 2004.

[13]    Brandt, S. (2011). Valuing and localizing externalities: Evidence from the housing market in Hamburg, 2011.

[14]        MITTELDEUTSCHER VERKEHRSVERBUND (2016), https://www.mdv.de/2016/12/15-jahre-mdv-strategie-2025 (Zugriff 21.12.2016).

[18]    MEYER, D. (2002). Regulierung versus Deregulierung im Öffentlichen Personennahverkehr – Das Modell eines Nutzerklubs. In: Verein für Socialpolitik (Hrsg.): Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2002 3(1), S. 69-84.

[19]    MÜNCH, K. N. (1976). Kollektive Güter und Gebühren-Elemente einer Gebührentheorie für Kollektivgüter. Eine theoretische und empirische Analyse, 1976.

[21]    SANDER, L. (1987). Aufgaben und Einnahmen der Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland, 1987, S. 151.

[22]    GROSSEKETTLER, H. (1991). Die Versorgung mit Kollektivgütern als ordnungspolitisches Problem. In: Bender, D. u.a.: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Band 1, 8. Auflage, S. 561-717. Vorliegend ist das Manuskript eines Beitrages zum Eucken-Gedenkband des Jahrbuchs ORDO (vorläufige Fassung) mit der Nr. 135, Institut für Verkehrswissenschaft Westfälische Wilhelms-Universität Münster 1991, S. 1-24.

[23]    GROSSEKETTLER, H. (2000). Steuerstaat versus Gebührenstaat. Vor – und Nachteile. In: Sacksofsky U., Wieland J. (Hrsg.): Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat 2000, S. 24-45.

[27]        MAAK, E. (1998). Verkehrslenkende Abgabenmodelle. Gebühren und Beiträge im Dienst der Verkehrssteuerung. Inaugural-Dissertation, Tübingen 1998.

[28]    POELMAN, H.; DIJKSTRA, L.(2015). Measuring access to public transport in European cities, Directorate-General for Regional and Urban Policy, WP 01/2015, Regional Working Paper 2015.

[29]    SUNG-HIL, K. (2003). Beeinflussung der Wohnstandortentscheidung für ÖPNV-Anlagen durch die Anreizstrategie Location Efficient Value, ECTL Working Paper, 2003, Kap. 3.2.1

6.2 Zeitschriftenartikel

[5] KIEPE, F. (2015). Kapitel 4.4.2.4 Finanzierungsgrundlagen der kommunalen Verkehrsinfrastruktur – aktueller Rechtsrahmen und Anforderungen nach der Föderalismusreform. Handbuch der kommunalen Verkehrsplanung, 71 (4), S. 1-20.

[9]    BAUM, H.; SCHNEIDER, J.; PETERS, H. (2007). Drittnutzerfinanzierung des ÖPNV – Konzept, Quantifizierung und Bewertung. Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, 78 (2), S. 87-108.

[10]    MIETZSCH, O. (2011). Nicht-fiskalische ÖPNV-Infrastrukturfinanzierung: Beteiligung der Nutznießer und von privaten Kapitel in Kommunen – Erfahrungen aus den USA (Non-fiscal Instruments of Public Transit Infrastructure Funding: Engaging Beneficaries and Private Capital at the Local Level – Experiences from the U.S. InfrastrukturRecht Sonderausgabe „Kommunales Infrastruktur-Management“ 11, S. 283-287.

[24] BRÜCKNER, J. et al.(2012). Lectures on urban economics. Journal of economic literature, Bd. L 3, S. 791-792.

6.3 Beiträge aus Tagungsbänden

[17] FLEISCHER A. Instrumente des Parkraummanagements der Stadt Frankfurt am Main. Vortrag beim FIV-Symposium am 6. November 2002, www.ziv.de/download/fiv5/fleischer.pdf (Zugriff 28.12.2016).

[24] KNIEPS, G. (2002). Knappheitsprobleme in Netzen: Was leistet die Ökonomie? Schriftenreihe der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft: Knappe Netzkapazität – Probleme und Lösungsstrategien in offenen Verkehrs- und Versorgungsnetzen, B 252, S. 7-22.

6.4 Schriftenreihen

[12] FORSCHUNGSPROGRAMM STADTVERKEHR (2014). Ökonomischer Mehrwert von Immobilien durch ÖPNV-Erschließung: Endbericht 73.339/2012. Methodenanhang 1: Theorie, Datengrundlage und Methode, Methodenanhang 2: Modellentwicklung und -berechnung, BBSR-Online-Publikation, Nr. 11/2015 (Zugriff: 27.12.2016).

[15]    BRACHER, T.; u.a. (2013). Finanzierung des ÖPNV-Betriebes durch Beiträge, DIFU- Beiträge 4 (13), 32 Seiten.

[16]        DIENER, L. (2016). Umlagefinanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs. Konzepte und aktuelle Fragestellungen. Rechtswissenschaftliche Arbeitspapiere der Technischen Universität Braunschweig.

[17]    Hessische Bauordnung (HBO)vom 18. Juni 2002 (GVBl. I S. 274), in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Januar 2011 (GVBl. I S. 46, 180), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 15. Dezember 2016 (GVBl. S. 294)

[20] GAWEL, E.; SCHMIDT, C. (2010). Finanzwissenschaftliche Probleme der Gebührenfinanzierung von Verkehrsinfrastrukur nach dem Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz (FStPrivFinG), Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten, Neue Folge Band 75 /2010.

[25]    FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRASSEN- UND VERKEHRSWESEN (2010). Empfehlungen für Planung und Betrieb des öffentlichen Personennahverkehrs, Forschungsprojekt des Forschungsprogramms Stadtverkehr (FoPS) FA-Nr. 70.837/2009 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Ausgabe 2010.

[26]    FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRASSEN- UND VERKEHRSWESEN (1999). ÖPNV und Siedlungsentwicklung. Planungshilfe für die kommunale Bauleitplanung, Ausgabe 1999.