FGSV-Nr. FGSV 002/116
Ort Stuttgart
Datum 22.03.2017
Titel Wirkungen autonomer Fahrzeuge auf den städtischen Verkehr
Autoren Univ.-Prof. Dr.-Ing. Markus Friedrich, M. Sc. Maximilian Hartl
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Autonom fahrende Fahrzeuge (autonomous vehicle = AV), die fahrerlos Ortsveränderungen durchführen, können Mobilität und Verkehr grundlegend verändern. Um mögliche Wirkungen autonomer Fahrzeuge auf den Verkehr in Stadtregionen abzuschätzen, werden 9 Szenarien untersucht, in denen die Fahrten im motorisierten Verkehr in unterschiedlichem Umfang entweder mit autonomen Carsharing- oder Ridesharing-Systemen abgewickelt werden. Gleichzeitig wird angenommen, dass der heutige Busverkehr entfällt. Für jedes Szenario werden u.a. die Zahl der erforderlichen Pkw und die Pkw-Fahrzeugkilometer ermittelt und mit dem heutigen Zustand verglichen. Die Berechnungen werden beispielhaft mit dem Verkehrsnachfragemodell der Region Stuttgart durchgeführt, das um einen Algorithmus zur Bündelung von Fahrtwünschen in Ridesharings und um einen Algorithmus zur Bildung von Fahrzeugumläufen erweitert wird. Die Ergebnisse zeigen, dass sich bei Nutzung geteilter Fahrzeugflotten die Zahl der erforderlichen Fahrzeuge deutlich reduzieren lässt. Die Verkehrsleistung geht allerdings nur dann zurück, wenn rund 50% der Ortsveränderungen Ridesharing-Systeme nutzen. Wahrscheinlicher ist ein Zuwachs der Pkw-Verkehrsleistung, die in städtischen Bereichen zu Verschlechterungen beim Verkehrsfluss führen können.

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1 Einleitung

Autonom fahrende Fahrzeuge (autonomous vehicle = AV), die fahrerlos Ortsveränderungen durchführen, können Mobilität und Verkehr grundlegend verändern. Zu welchem Zeitpunkt es fahrerlose Pkw und Busse geben wird und die Fahrzeuge im gesamten Straßennetz einsetzbar sind, ist im Moment nicht abschätzbar. Die Wahrscheinlichkeit, dass es autonom fahrende Fahrzeuge im Straßenverkehr geben wird, ist aber so hoch, dass sich die Verkehrsplanung mit dem Thema beschäftigen sollte. Fahrerlose Fahrzeuge ermöglichen ein anderes Verkehrsangebot. Es wird erwartet, dass dieses Angebot u.a. die folgenden Eigenschaften aufweist:

  • Der Autoverkehr wird sicherer.
  • Das Autofahren wird komfortabler, da die Fahrzeit im Fahrzeug für fahrfremde Tätigkeiten genutzt werden kann.
  • Die Leistungsfähigkeit des Straßennetzes wird steigen.
  • Ein fahrerloses Umsetzen der Fahrzeuge ermöglicht neue Mobilitätsangebote beim Carsharing und Ridesharing bzw. Rideselling. Es ermöglicht außerdem attraktive intermodale Ortsveränderungen, bei denen ein Sharing-Fahrzeug den Fahrgast in Gebieten mit schlechtem ÖPNV-Angebot zur Bahn bringt.

Diese Änderungen auf der Angebotsseite werden die Verkehrsnachfrage beeinflussen. Ein besseres Angebot kann die Reiseweite der Verkehrsteilnehmer erhöhen und die Verkehrsmittelwahl zugunsten des Pkw beeinflussen. Die resultierende Nachfrage und der Verkehrsfluss im Pkw-Verkehr kann im Hinblick auf verkehrsplanerische Ziele – gute Angebotsqualität, Schonung der Ressourcen, angemessene Stadtverträglichkeit, hohe Verkehrssicherheit – mehr oder weniger wünschenswert sein. Verschiedene Studien und Positionspapiere (Vgl. Isaac 2015, OECD 2015, Hazan. et al. 2016 und VDV 2015) beschreiben die Bandbreite möglicher Szenarien von „Driverless Nightmare" bis „Driverless Utopia“ (Issac, Seite 9ff) sowie von „Tod des ÖPNV“ bis „Teil des ÖPNV“ (VDV).

In diesem Beitrag werden mögliche Wirkungen autonomer Fahrzeuge auf den Verkehr in Stadtregionen mit Hilfe von Szenarien beispielhaft untersucht. Der Beitrag basiert auf dem Forschungsprojekt MEGAFON Modellergebnisse geteilter autonomer Fahrzeugflotten des oeffentlichen Nahverkehrs (Friedrich und Hartl, 2016). Die Vorgehensweise orientiert sich dabei an der Studie „Urban Mobility System Upgrade – How shared self-driving cars could change city traffic” des Internationalen Transport Forums der OECD (OECD, 2015). In dieser Untersuchung werden am Beispiel der Stadt Lissabon die Wirkungen von autonom fahrenden Fahrzeugen auf den städtischen Verkehr dargestellt. Die Studie definiert 8 Szenarien, in denen die Fahrten im motorisierten Verkehr in unterschiedlichem Umfang entweder mit autonomen Carsharing- oder Ridesharing-Systemen abgewickelt werden. Für jedes Szenario werden u.a. die Zahl der erforderlichen Pkw, die Pkw-Fahrzeugkilometer und die Zahl der erforderlichen Stellplätze ermittelt und mit dem heutigen Zustand verglichen.

2 Annahmen, Modellierung und Szenarien

2.1 Datengrundlagen

Die Untersuchung basiert auf Netz- und Nachfragedaten aus dem makroskopischen und dem mikroskopischen Verkehrsnachfragemodell der Region Stuttgart (Stadt Stuttgart und die Kreise Böblingen, Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg, Rems-Murr), das vom Verband Region Stuttgart (VRS) zur Verfügung gestellt wurde. Für die Berechnungen werden die Daten des mikroskopischen Verkehrsnachfragemodells genutzt. Dieses Modell bildet die Nachfrage der 2,7 Millionen Einwohner nach und differenziert dabei die fünf Verkehrsmodi Fuß, Rad, ÖV, Pkw-Selbstfahrer, Pkw-Mitfahrer. Für jeden Weg sind die Quellzelle, die Zielzelle, der Modus, der Wochentag, die Abgangszeitminute und die Ankunftszeitminute bekannt. Quellen und Ziele sind die 1.013 Verkehrszellen des Verkehrsnachfragemodells.

2.2 Betrachtete Modi

Die Einführung von autonomen Fahrzeugen wird die Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln verändern. Die Untersuchung geht von der Annahme aus, dass das Verkehrssystem Bus komplett durch AV ersetzt wird. Buslinien mit festem Linienweg und Fahrplänen wird es in der heutigen Form nicht mehr geben. Die Fahrtwünsche von Passagieren im heutigen Busverkehr werden vollständig durch AV bedient. Der Schienenpersonennahverkehr bleibt dagegen in den meisten Szenarien erhalten. Er kann mit AV im Vor- oder Nachlauf verknüpft werden. Es werden die folgenden Modi unterschieden:

  • Private AV (AV-NS): Fahrzeuge, die wie heute im Privatbesitz sind und nur von den Personen einer Familie genutzt werden (NS = NoSharing). Es wird davon ausgegangen, dass diese Fahrzeuge keine Leerfahrten durchführen.
  • Öffentliche AV im Modus private Nutzung (AV-CS): Fahrzeuge, die als Teil eines Carsharing-Systems von mehreren Personen nacheinander genutzt werden. Die Fahrzeuge werden bei Bedarf als Leerfahrt umgesetzt, um den nächsten Fahrgast zu bedienen. Die Fahrzeuggröße entspricht einem Standard-Pkw.
  • Öffentliche AV im Modus öffentliche Nutzung (AV-RS): Fahrzeuge, die als Teil eines Ridesharing-Systems von mehreren Personen gleichzeitig genutzt werden. Die Fahrzeuge sammeln mehrere Fahrgäste und bringen sie zu ihren individuellen Zielen. Sie werden bei Bedarf als Leerfahrt umgesetzt. Es können Fahrzeuge unterschiedlicher Größe eingesetzt werden. Im Folgenden wird eine einheitliche Fahrzeuggröße angenommen, die 6 Personen transportieren kann.
  • ÖV-Schiene (Bahn): Fahrgäste werden mit öffentlichen Schienenfahrzeugen befördert. Die Fahrzeiten und das Fahrtenangebot entsprechen dem für das Jahr 2025 geplanten Fahrplanangebot.
  • Bahn + CS: Kombination von Bahn und Carsharing im Vor- und/oder Nachlauf.
  • Bahn + RS: Kombination von Bahn und Ridesharing im Vor- und/oder Nachlauf.

2.3 Annahmen

Die Modellrechnungen basieren auf mehreren Annahmen:

  • Die gesamte Verkehrsnachfrage wird durch AV nicht verändert, d.h. es gibt keine Änderungen bei der Zahl der Personenwege (Verkehrserzeugung) und bei der Reiseweite bzw. Zielwahl. Die Verkehrsmittelwahl wird im Modell nicht durch Preise beeinflusst.
  • Der Anteil der Wege, der zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt wird, bleibt gleich und wird in der Untersuchung nicht weiter betrachtet. Betrachtet wird die Nachfrage, die heute mit motorisierten Verkehrsmitteln zurückgelegt wird.
  • Es gibt im Schienenpersonenverkehr keine Kapazitätsengpässe. Jede Person, die die Bahn benutzen möchte, kann dem Verkehrsmittel zusteigen ohne dass dessen Attraktivität durch mögliche Überfüllungseffekte reduziert wird.
  • In allen Szenarien wird angenommen, dass der Busverkehr komplett ersetzt wird. (Teil-)Wege, die heute den Bus nutzen, werden mit AV abgewickelt. AV-Fahrzeuge können Personen entweder auf direktem Weg befördern oder sie zu einem Bahnhof bringen oder von einem Bahnhof abholen. Die Bus-Teilwege werden dann mit AV zurückgelegt. Der Teilweg Bahn wird weiterhin durch Schienenfahrzeuge bedient. Bei der Kombination von AV und Bahn erfolgt der Umstieg an dem Bahnhof, der die kürzeste Reisezeit ermöglicht. Dieser Bahnhof kann sich vom heutigen Umsteigebahnhof unterscheiden.
  • Die Zugangs- und Abgangsgehzeit zur Bahn ergibt sich aus der Entfernung des Zellenschwerpunkts zu dem jeweiligen Bahnhof. Es wird eine Gehgeschwindigkeit von v=5 km/h angenommen. Eine Zelle kann an einen oder mehrere Bahnhöfe angebunden sein. Die Beförderungszeit mit der Bahn enthält bei Umstiegen die Umsteigewartezeiten laut Fahrplan. Es werden folgende Wartezeiten unterschieden, woraus sich für die Verkehrsmittelkombinationen die in Tabelle 1 dargestellten Wartezeiten ergeben:
    • Startwartezeit zur Bahn beim Zugang per Fuß: 4 min
    • Übergangszeiten beim Umstieg AV zur Bahn oder Bahn zum AV: 4 min
    • Anmeldezeit für einen Sharing AV: 4 min
    • Einsammelzeit für das Sammeln und Verteilen weiterer Fahrgäste: 4 min

Tabelle 1: Wartezeit in Kombination derVerkehrsmittelwahl

  • Die Geschwindigkeiten im Pkw-Verkehr entsprechen den typischen Geschwindigkeiten in der Hauptverkehrszeit im heutigen Zustand ohne AV. Verlängerungen oder Verkürzungen der Fahrzeit, die sich aus mehr oder weniger Pkw-Fahrten oder aus einer höheren Leistungsfähigkeit des AV ergeben, werden nicht berücksichtigt. In städtischen Netzen wird die zulässige Kfz-Geschwindigkeit jedoch wie folgt reduziert:
    • Bundesstraßen 50 km/h (in der Regel wie heute)
    • Verbindungstraße 30 km/h (heute in der Regel 50 km/h)
    • Erschließungsstraße 20 km/h (heute in der Regel 30 km/h)
  • Wege beginnen und enden in Verkehrszellen. Die Zeitverluste durch das Einsammeln und Verteilen von Fahrgästen in einer Zelle und das Umsetzen von AV in einer Zelle werden durch einen pauschalen Zeit- und Längenzuschlag abgeschätzt, der in Abhängigkeit der Zellengröße ermittelt wird.
  • Es wird keine nutzenbasierte Verkehrsmoduswahlberechnung durchgeführt, die basierend auf den Eigenschaften der konkurrierenden Modi (Beförderungszeit, Zu- und Abgangszeit, Umsteigehäufigkeit, Preis) und den Eigenschaften der Nutzer (z.B. Pkw-Verfügbarkeit) einen Anteil für jeden Modus abschätzt. Stattdessen erfolgt die Aufteilung auf die drei Modi Bahn, AV-CS und AV-RS entsprechend den definierten Szenarien nach vorgegebenen Anteilen. Bei der Wahl zwischen dem Modus Bahn und AV wird immer der Modus gewählt, mit dem der Verkehrsteilnehmer am schnellsten an das Ziel kommt.

Durch diese modellbedingten Annahmen werden die erwarteten Effekte privater, autonomer Fahrzeuge (AV-NS), wie z.B. Mehrverkehre durch Leerfahrten, komfortbedingt induzierter Verkehr und langfristig die weitere Zersiedelung, nicht betrachtet.

2.4 Szenarien

Die Szenarien definieren die Anteile der Nachfrage, die auf die Modi Bahn (Schienenpersonenverkehr, Stadtbahn), privates AV (NoSharing), AV-Carsharing und AVRidesharing entfallen. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die neun untersuchten Szenarien. Die Szenarien 1 bis 6 entsprechen der OECD-Studie. Die Szenarien 6 bis 9 weichen von der OECD Studie ab und variieren den Anteil der Sharing-Nachfrage. Der Bus wird in jedem Szenario komplett ersetzt, in den Szenarien 3 und 4 zusätzlich die Bahn. In Szenario 9 werden die beiden Sharing Modi kombiniert.

Tabelle 2: Szenarien

2.5 Modellierung der Verkehrsnachfrage

Die Nachfrageberechnung erfolgt in drei Schritten:

  • Die heutige Nachfrage der Personenfahrten im motorisierten Verkehr (Pkw-Selbstfahrer, Pkw-Mitfahrer, ÖV) wird auf die Modi Bahn, AV ohne Sharing (AV-NS) und AV mit Sharing (AV-CS, AV-RS) aufgeteilt. Die Aufteilung der Verkehrsnachfrage erfolgt entsprechend den Annahmen so, dass alle Verkehrsteilnehmer den jeweils schnellsten Modus wählen. Bei dieser Regel werden viele Wege, die heute Bus und Bahn kombinieren komplett auf AV verlagert, da dann Umwegfahrten und Wartezeiten entfallen. Um bei Anwendung dieser Regel im Schienenverkehr die Zahl der Wege etwa gleich zu halten, werden die zulässigen Kfz-Geschwindigkeiten im Stadtverkehr auf eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h im Verbindungstraßennetz und auf 20 km/h im Erschließungsstraßennetz reduziert. Trotz gleichbleibender Zahl der Wege reduziert sich allerdings die Beförderungsleistung im Schienenverkehr um etwa 30%. Der Rückgang betrifft insbesondere die S-Bahn. U-Bahn und Expresszüge können die Beförderungsleistung halten. Die Expresszüge bieten eine hohe Beförderungsgeschwindigkeit und die U-Bahn profitiert von den Geschwindigkeitsreduktionen in der Stadt.
  • Die Matrix der Personenfahrten mit AV-Sharing wird in eine Matrix der Fahrzeugfahrten umgewandelt. Beim Carsharing wird hierfür ein konstanter Besetzungsgrad von 1,3 angenommen. Beim Ridesharing werden die Personenfahrten gebündelt. Für die Bündelung der Personenfahrten im Ridesharing wird ein Algorithmus eingesetzt, der in Hartl et al (2017) beschrieben ist.
  • Die Fahrzeugfahrten mit Pkw-Sharing werden so zu Umläufen verknüpft, dass die Zahl der erforderlichen Fahrzeuge möglichst gering ist. Dadurch entstehen zusätzliche Leerfahrten. Da in den untersuchten Szenarien bis zu 3 Mio. Fahrzeugfahrten auftreten, erfolgt die Verknüpfung der Fahrzeugfahrten mit einem Nearest Neighbour Algorithmus. Der Algorithmus wählt immer die Folgefahrt aus, die die geringste Umsetzweite bzw. die geringste Standzeit aufweist. Die Verknüpfungsbedingungen werden in vier Schritten gelockert. Fahrzeugfahrten werden dann verknüpft, wenn Ende der Vorgängerfahrt und Start der Folgefahrt folgende Eigenschaften aufweisen:
    • Sie liegen in der gleichen Verkehrszelle und die Wartezeit ist kleiner als 60 Minuten.
    • Sie liegen im gleichen Gebiet (Stadtbezirk, Teilraum eines Landkreises) und die Wartezeit ist kleiner als 60 Minuten.
    • Sie liegen im gleichen Gebiet (Stadtbezirk, Teilraum eines Landkreises) ohne zeitliche Einschränkungen.
    • Sie liegen im gesamten Gebiet ohne zeitliche Einschränkungen.

3 Ergebnisse

Um die Ergebnisse der Szenarien zu quantifizieren, werden in Tabelle 3 folgende Kenngrößen ausgewiesen:

  • Anteil der Wege, die auf den ÖV entfallen
  • Anzahl Fahrzeuge (Basisjahr = 100)
  • Fahrzeugkilometer ganztags (Basisjahr = 100)
  • Anteil der Zeit, in der die Fahrzeuge nicht genutzt werden
  • mittlerer Besetzungsgrad

Tabelle 3:Ausgewählte Kenngrößen der Szenarien im Überblick

Anzahl der Fahrzeuge

Bei einem Motorisierungsgrad von rund 590 Pkw pro 1.000 Einwohnern besitzen die Haushalte in der Region Stuttgart rund 1,6 Mio. Pkw (Stand 2010). Von diesen Fahrzeugen werden an einem mittleren Werktag lediglich rund 1,0 Mio. Fahrzeuge bewegt. In der Hauptverkehrszeit sind maximal 12 % dieser 1,0 Mio. Fahrzeuge gleichzeitig im Einsatz. Diese Pkw werden 60 Minuten pro Tag genutzt. Bezieht man die Einsatzzeit auf alle Pkw reduziert sich die Zeit auf 40 Minuten pro Tag. In Tabelle 3 wird die Fahrzeugzahl auf die Zahl der tatsächlich bewegten Fahrzeuge bezogen. Die an einem Tag nicht bewegten Fahrzeuge im heutigen Zustand lassen sich als Reservefahrzeuge für besondere Nachfragesituationen interpretieren, die auch bei geteilten Fahrzeugen in gewissem Umfang auftreten können, z.B. bei Lastspitzen im Urlaubsverkehr. Die Zahl der erforderlichen Fahrzeuge sinkt im Szenario mit 100% Ridesharing und Bahn auf bis zu 7% der heutigen Fahrzeugzahl. Die Fahrzeuge sind dann im Mittel knapp 8,6 Stunden im Einsatz. Davon entfallen etwa 1,4 Stunden auf Leerfahrten und Pufferzeiten.

Fahrzeugkilometer gesamt

In Bild 1 sind die Fahrzeugkilometer für die Modi AV-NS und AV-Sharing dargestellt. Bei den Sharing-Fahrzeugen sind Lastfahrten und Leerfahrten differenziert. Bezogen auf den heutigen Zustand liegen die Fahrzeugkilometer in den Szenarien zwischen

  • 64% im Szenario 2 (100% Ridesharing und Bahn) und
  • 139% im Szenario 3 (100% Carsharing ohne Bahn).

Zur Einsparung von Fahrzeugkilometern kommt es nur in Szenarien, die Ridesharing-Anteile als Angebot unterstellen. Reines AV-Carsharing führt nicht zu einer Verkehrsentlastung. Der Anteil der Leerkilometer an der gesamten Fahrleistung (inkl. NoSharing) liegt zwischen 1% und 6%. Bezogen auf die Lastfahrten mit Sharingfahrzeugen entfallen 4% bis 9% der Fahrleistung auf Leerfahrten.

Bild 1:Fahrzeugkilometer differenziert nach Modus und Last- bzw. Leerfahrten

Verkehrsstärke im Netz

In den untersuchten Szenarien ändert sich die Verkehrsstärke im Netz gegenüber dem heutigen Zustand deutlich. Bild 2 zeigt für die Szenarien S1 bis S4 Karten mit den relativen Änderungen der Verkehrsstärke. Bei den Änderungen werden die Klassen ≤ 75, 75-95, 95105, 105-120, 120-140 und > 140 unterschieden.

  • Die Klassen < 95 sind grün dargestellt. Hier gibt es Entlastungen.
  • Die Klasse 95 bis 105 ist grau dargestellt. Hier werden die Änderungen klein sein.
  • Die Klassen > 105 sind gelb oder rot dargestellt. Hier gibt es Zunahmen. Ausgehend davon, dass autonome Fahrzeuge im Stadtverkehr die Straßenkapazität um bis zu 40% erhöhen (Friedrich, 2015), verschlechtert sich der Verkehrsfluss auf den Strecken, die in die Klassen > 140 fallen.

Aus den Darstellungen lassen sich folgende Erkenntnisse ableiten:

  •  Verlagerungen vom ÖV auf den Pkw durch den Wegfall des Busses und durch Verlagerung von der S-Bahn werden im Fall mit 100% Carsharing (Szenario 1) zu zusätzlichen Fahrzeugkilometern führen. Die Zuwächse können auf autobahnähnlichen Straßen vermutlich durch Kapazitätszuwächse kompensiert werden. In städtischen Bereichen kann der Zuwachs zu Verschlechterungen im Verkehrsfluss führen.
  • Die Szenarien 3 und 4, bei denen ein Wegfall des kompletten ÖV unterstellt wird, zeigen Zuwächse im Stadtbereich, die auch durch eine höhere Kapazität nicht kompensiert werden können.

Bild 2:Relative Änderung Pkw-Verkehrsstärke mit Leerfahrten (Ist-Zustand = 100)in den Szenarien 1 bis 4

Besetzungsgrad

Für Carsharing-Fahrzeuge wird ein Besetzungsgrad von 1,3 angenommen, der dem Besetzungsgrad heutiger privater Pkw entspricht. Bei Ridesharing-Fahrzeugen schwankt der Besetzungsgrad zwischen einer und sechs Personen.

In Bild 3 ist der tageszeitabhängige Besetzungsgrad für Szenario 2 mit 100% Ridesharing dargestellt. Das Bild zeigt die Anteile der Fahrzeugfahrten mit der Besetzung 1, 2, 3, 4, 5 und 6. Als Besetzungsgrad einer Fahrt wird bei dieser Darstellung immer der maximale Besetzungsgrad herangezogen. Bei Fahrten mit einem Ridesharing-Fahrzeug ändert sich, wie bei einem ÖV-Fahrzeug, die Besetzung im Laufe der Fahrt. Ausgangspunkt einer solchen Fahrt ist ein Fahrtwunsch mit einer langen Fahrtweite.

Die Auswertung des maximalen Besetzungsgrades zeigt, dass der Besetzungsgrad 1 und der Besetzungsgrad 6 besonders häufig ist. Niedrige Besetzungsgrade treten vor allem in den Tagesrandzeiten und in ländlich geprägten Gebieten auf. In der Hauptverkehrszeit können erwartungsgemäß mehr Fahrten gebündelt werden. Der Besetzungsgrad steigt mit dem Anteil der Ridesharing-Fahrten, da mit steigender Nachfrage Fahrgäste aus einem größeren Nachfragepool gebündelt werden können. Im Mittel wird trotzdem nur ein Besetzungsgrad von 2,4 erreicht. Das hohe Auftreten des Besetzungsgrades 6 gibt einen Hinweis auf die Gestaltung der Shuttle-Fahrzeuge, die auch bei vollausgelastetem Fahrzeug kurze Fahrgastwechselzeiten und genug Privatsphäre ermöglichen müssen. Es weist außerdem darauf hin, dass auf manchen Relationen größere Fahrzeuge sinnvoll sein könnten.

Bild 3:Tageszeitabhängiger Besetzungsgrad für Szenario 2 mit 100% Ridesharing

4 Fazit

Die Einführung autonomer Fahrzeuge wird das Verkehrsangebot und damit die Mobilitätsoptionen für die Verkehrsteilnehmer in großem Umfang verändern. Diese veränderten Eigenschaften werden Auswirkungen auf die Verkehrsnachfrage haben, die aber in den untersuchten Szenarien nicht abgebildet sind.

Die im Projekt MEGAFON analysierten Szenarien stellen keine Szenarien dar, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eintreten werden. Sie dienen vielmehr dazu, die Wirkungen autonomer Fahrzeuge für verschiedene Anteile von geteilten Fahrzeugen abzuschätzen. Die Aufteilung der Nachfrage auf die verschiedenen Modi stellt Annahmen dar, die in einem zukünftigen Zustand mit AV von den Reisezeiten und Reisekosten beeinflusst werden.

AV können eine positive Wirkung haben werden, wenn die Verkehrsmittelwahl so beeinflusst wird, dass

  • ein Hochleistungs-ÖV-Angebot (Schiene, hochwertiges Bussystem) erhalten bleibt oder verbessert wird und
  • viele Ortsveränderungen mit Ridesharing abgewickelt werden.

Diese aus verkehrsplanerischer Sicht wünschenswerte Entwicklung wird aber nicht ohne flankierende Maßnahmen eintreten. Ohne flankierende Maßnahmen ist ein Rückgang der Nachfrage im ÖPNV aus den folgenden Gründen wahrscheinlich:

  • Der Pkw wird als autonomes Fahrzeug komfortabler werden und auch Menschen ohne Fahrerlaubnis die Nutzung eines Pkw ermöglichen.
  • Entfallende Parkvorgänge werden die Reisezeit im Pkw verkürzen.
  • Auf vielen Straßenstrecken werden AV die Leistungsfähigkeit erhöhen und so die Reisezeit auch bei einer Zunahme der Verkehrsstärke reduzieren. Friedrich (2015) schätzt, dass im Stadtverkehr bei rein autonomem Verkehr eine Kapazitätserhöhung von etwa 40 % und auf Autobahnen von etwa 80 % möglich ist. Attraktive Reisezeitverhältnisse kann der ÖV dann nur auf Relationen in die Innenstädte bieten.
  • Ein ausschließlich privat genutzter Pkw wird auch als AV nicht wesentlich teurer sein als ein heutiger Pkw und dem Nutzer zusätzliche Vorteile gegenüber einem Sharing-Fahrzeug bieten.
  • Preislich attraktive Angebote mit AV-CS oder AV-RS werden bei Ortsveränderungen, für die es mit dem ÖV keine schnellen Direktverbindungen gibt, den Nutzern von AVFahrzeugen Reisezeitvorteile bringen. Diese Reisezeitvorteile führen bei Ortsveränderungen, die heute mit Bus und Bahn durchgeführt werden, auch zu einer geringeren Beförderungsleistung bei der Bahn.
  • Die Preisgestaltung von Mobilitätsdienstleistungen mit AV-CS und AV-RS könnte von privaten Anbietern bestimmt werden und kann dann, anders als Fahrpreise im ÖPNV, nicht von der öffentlichen Hand beeinflusst werden.

Als flankierende Maßnahmen kommen folgende Maßnahmen in Frage:

  • Änderung der Regelgeschwindigkeit für Kfz in Städten:
    Die Regelgeschwindigkeit in Städten wird auf 30 km/h begrenzt. In Erschließungsstraßen, in denen es viel Mischverkehr von AV, Radfahren und Fußgängern gibt, wird die Geschwindigkeit auf 20 km/h reduziert. In diesen Straßen haben AV keinen Vorrang gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern. Diese Maßnahme wurde in der vorliegenden Untersuchung bereits unterstellt.
  • Entwicklung spezieller Ridesharing-Fahrzeuge:
    Damit Ridesharing für die Verkehrsteilnehmer attraktiv ist, sind Fahrzeuge erforderlich, die einen möglichst großen Schutz der Privatsphäre ermöglichen und die es erlauben, Gepäck (Einkäufe, Schulranzen, Koffer) einfach zu befördern.
  • Erhalt von Buslinien auf Verkehrsachsen und Ausbau mit Elementen eines Bus Rapid Transit Systems.
  • Straßenbenutzungsgebühren und Parkgebühren:
    Um als öffentliche Hand die Preise privater Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen beeinflussen zu können, erscheinen Straßenbenutzungsgebühren sinnvoll. Diese Straßenbenutzungsgebühren müssen räumlich und zeitlich differenziert werden, so dass in den Innenstädten und in der Hauptverkehrszeit höhere Preise verlangt werden können. Die Preise könnten auch vom Besetzungsgrad abhängen. Öffentliche Ridesharing-Systeme oder Ridesharing-Systeme, die gewisse Standards erfüllen, könnten von den Gebühren ausgenommen werden. Parkgebühren und Parkregelungen könnten so modifiziert werden, dass alle Stellplätze im Straßenraum bepreist und die heute üblichen Bewohnerregelungen aufgehoben werden.
  • Zufahrtsbeschränkungen:
    In Innenstadtbereichen, in denen eine sehr hohe Pkw-Nachfrage auftritt (Bahnhofsvorplätze, Stadien), könnten Zufahrtsbeschränkungen für private AV-Fahrzeuge (AV-NS und AV-CS) eingerichtet werden.
  • Entwicklung einer einheitlichen Plattform für den ÖV in Deutschland (Tickets, Abrechnung, Buchung).

Die Erfahrungen in der Verkehrsplanung der letzten Jahrzehnte zeigen jedoch, dass sich restriktive Maßnahmen schwer durchsetzen lassen. Die Maßnahmen Regelgeschwindigkeit 30, Straßenbenutzungsgebühren und Zufahrtsbeschränkungen könnten heute bereits umgesetzt werden und dem Stadtverkehr allgemein und dem ÖPNV im speziellen Vorteile bringen.

5 Danksagungen

Das Forschungsprojekt MEGAFON wurde mit Mitteln des Ministeriums für Verkehr BadenWürttemberg, des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. (VDV), der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) und des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart GmbH (VVS) gefördert. Das Projekt wurde von den Herren Dr. Ackermann (VDV), Weber (VDV), Noßwitz (SSB) und Knöller (VVS) fachlich begleitet. Der Verband Region Stuttgart stellte die Datenbasis für die Berechnungen zur Verfügung.

6 Literatur

[1] Friedrich, B. (2015):
Verkehrliche Wirkung autonomer Fahrzeuge. In Autonomes Fahren (pp. 331-350). Springer Berlin Heidelberg.

[2] Friedrich, M., Hartl, M. (2016):
MEGAFON – Modellergebnisse geteilter autonomer Fahrzeugflotten des öffentlichen Nahverkehrs, Schlussbericht, gefördert von: Ministerium für Verkehr BadenWürttemberg, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V., Stuttgarter Straßenbahnen AG, Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart GmbH.

[3] Hartl, M., Magg, C., Friedrich, M. (2017):
Ridesharing – Ein Modellierungsansatz für das Matching von Fahrtwünschen in makroskopischen Verkehrsnachfragemodellen. Tagungsbericht Heureka 17, FGSV Verlag, Köln.

[4] Hazan, J., Lang, Ulrich, P., Chua, J., Doubara, X., Steffens, T. (2016):
Will Autonomous Vehicles Derail Trains?, The Boston Consulting Group Online verfügbar unter https://www.bcgperspectives.com/content/articles/transportationtravel-tourism-automotive-will-autonomous-vehicles-derail-trains/, zuletzt geprüft am 06.01.2017.

[5] Isaac, L. (2015):
Driving Towards Driverless – A guide for government agencies. WSP Parsons Brinckerhoff

[6] OECD, International Transport Forum (2015):
Urban Mobility System Upgrade. How shared self-driving cars could change city traffic.

[7] VDV (2015):
Zukunftsszenarien autonomer Fahrzeuge - Chancen und Risiken für Verkehrsunternehmen, Positionspapier