FGSV-Nr. FGSV 002/119
Ort Bergisch Gladbach
Datum 29.03.2017
Titel Richtlinien für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen (RWS) – das Projekt, das Regelwerk
Autoren Dr.-Ing. Michael M. Baier
Kategorien Luftqualität
Einleitung

Das maßgebende Bewertungskriterium für die Beurteilung von Straßenbauinvestitionen aus wirtschaftlicher Sicht ist das Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV). Bislang wird hierzu auf der Maßnahmenebene in der Regel das gesamtwirtschaftliche Bewertungsverfahren der „Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen“ (EWS) aus dem Jahre 1997 angewendet. Dieses Verfahren wird derzeit im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur fortgeschrieben und neue „Richtlinien für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen“ (RWS) erarbeitet. Inzwischen liegt ein Entwurf der RWS vor, der im Laufe des Jahres 2017 im Rahmen einer offiziellen Länderanhörung mit den Straßenbauverwaltungen der Länder abgestimmt werden soll.

PDF
Volltext

 Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1. Hintergrund

Das maßgebende Bewertungskriterium für die Beurteilung von Straßenbauinvestitionen aus wirtschaftlicher Sicht ist das Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV). Bislang wird hierzu auf der Maßnahmenebene in der Regel das gesamtwirtschaftliche Bewertungsverfahren der „Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen“ (EWS) aus dem Jahre 1997 angewendet. Dieses Verfahren wird derzeit im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur fortgeschrieben und neue „Richtlinien für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen“ (RWS) erarbeitet. Inzwischen liegt ein Entwurf der RWS vor, der im Laufe des Jahres 2017 im Rahmen einer offiziellen Länderanhörung mit den Straßenbauverwaltungen der Länder abgestimmt werden soll.

2. Aufgabenstellung und Zielsetzung des Projekts

Die neuen RWS wurden im Rahmen des FE 23.0009/2006 „Erarbeitung neuer Richtlinien für die Anlage von Straßen, Teil: Wirtschaftlichkeitsberechnungen (RAS-W) mit Aktualisierung der Nutzen- und Kostenkomponenten“ im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur erarbeitet. Die Bearbeitung erfolgt durch eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE RAS-W), bestehend aus BSV Büro für Stadt- und Verkehrsplanung Dr.-Ing. Reinhold Baier GmbH, Aachen (Projektleitung), DTV-Verkehrsconsult GmbH, Aachen, IVU Umwelt GmbH, Freiburg im Breisgau, Durth Roos Consulting GmbH, Darmstadt, und VWI Verkehrswissenschaftliches Institut Stuttgart GmbH, Stuttgart, in Zusammenarbeit mit Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen, Stapelfeldt Ingenieurgesellschaft mbH, Dortmund, Büro für Toxikologische Beratung, Müllheim/Baden sowie Dir. Prof. a. D. Dipl.-Ing. Gert Hartkopf, Rösrath.

Der grundsätzliche methodische Ansatz zur Berechnung des NKV sollte beibehalten werden, ebenso die bisherigen Nutzen- und Kostenkomponenten. Es erfolgte aber eine Aktualisierung der Verfahren zur Ermittlung der Mengengerüste der Nutzenkomponenten einschließlich deren Wertansätze sowie des Verfahrens für die Ermittlung der Kostenkomponente.

Neben der Aktualisierung und Verfahrensfortschreibung sollten vor allem festgestellte Mängel der EWS beseitigt werden. Dabei wurden neben den Aktivitäten des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zur Überarbeitung der Methodik für den neuen Bundesverkehrswegeplan (BVWP 2030) vor allem auch aktuelle technische Regelwerke der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesens berücksichtigt. Zu nennen sind hier u. a. die „Richtlinien für integrierte Netzgestaltung“ (RIN), Ausgabe 2008, die Entwurfsrichtlinien für Autobahnen, Landstraßen und innerörtliche Straßen – also die „Richtlinien für die Anlage von Autobahnen“ (RAA), Ausgabe 2008, die „Richtlinien für die Anlage von Landstraßen“ (RAL), Ausgabe 2012, und die „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen“ (RASt), Ausgabe 2006 – sowie das neue „Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen“ (HBS), Ausgabe 2015. Ebenso wurden auch die Aktivitäten zu derzeit noch in Erarbeitung befindlichen Regelwerken berücksichtigt, beispielsweise zum „Handbuch für die Bewertung der Verkehrssicherheit von Straßen“ (HVS) von Baier et al. (2017). Zudem wurden die Emissions- und Kraftstoffverbrauchsfaktoren aus der aktuellen Version des „Handbuchs für Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs“ (HBEFA), Version 3.2, einbezogen.

Zur Gewährleistung einer zielgerichteten Bearbeitung wurden acht inhaltliche Arbeitspakete gebildet, in denen die jeweiligen fachlichen Aspekte (z. B. Verkehrsmengengerüst, Geschwindigkeitsmodellierung, Unfallgeschehen, Lärm, Schadstoffemissionen/-immissionen, Klima) bearbeitet wurden. Im Rahmen der Projektkoordination erfolgte dann die Zusammenführung der Ergebnisse zu den neuen RWS.

Die Qualitätssicherung erfolgte durch einen externen forschungsbegleitenden Ausschuss (FBA). Diesem gehörten neben Vertretern der Fachreferate des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie der Bundesanstalt für Straßenwesen auch Vertreter von Straßenbauverwaltungen der Länder, Ingenieurbüros und Universitäten an.

3. Anwendungsbereich und Inhalt des Regelwerks

Die neuen RWS dienen der Durchführung von Nutzen-Kosten-Analysen zur volkswirtschaftlichen Bewertung vor allem beim Variantenvergleich im Rahmen der Vorplanung (Voruntersuchung) sowie zur Überprüfung des NKV für eine gewählte Vorzugsvariante in den weiteren Planungsstufen, insbesondere der Entwurfsplanung (Vorentwurf). Damit können die in den „Richtlinien zum Planungsprozess und für die einheitliche Gestaltung von Entwurfsunterlagen im Straßenbau“ (RE), Ausgabe 2012, geforderten Wirtschaftlichkeitsnachweise erbracht werden. Unabhängig davon können die Verfahren der RWS oder Teile davon auch im Rahmen der Bedarfsplanung, z. B. auf Länderebene, herangezogen werden.

Nutzenkomponenten sind die acht bisherigen Nutzenkomponenten der EWS (Veränderung der Fahrtzeiten im Kfz-Verkehr, Veränderung der Betriebskosten im Kfz-Verkehr, Veränderung des Unfallgeschehens, Veränderung der Lärmbelastung, Veränderung der Schadstoffbelastung, Veränderung der Klimabelastung, Veränderung der Trennwirkung von Fahrbahnen und Veränderung der Flächenverfügbarkeit für Fußgänger) sowie die Veränderung der laufenden Kosten (bisher als Kostenkomponente betrachtet). Grundsätzlich ist aber auch die Berücksichtigung weiterer Nutzenkomponenten möglich. Als Kostenkomponente werden die Investitionskosten zu Grunde gelegt.

Bezugsebene zur Ermittlung der Mengengerüste der Nutzenkomponenten sind in den EWS so genannte Straßentypen. Diese sind jedoch nicht ausreichend differenziert. So werden mit den Straßentypen für Landstraßen die Auswirkungen von Knotenpunkten auf Verkehrsablauf und Verkehrssicherheit nur ungenügend berücksichtigt. Dies gilt auch für die Straßentypen von innerörtlichen Straßen. Dort werden zudem die städtebaulichen Randbedingungen nicht ausreichend berücksichtigt. Deshalb erfolgt mit den RWS zukünftig eine differenzierte Betrachtung von Strecken und Knotenpunkten. Hierzu wurde für Autobahnen, Land- und Innerortsstraßen ein praxistaugliches Set von Strecken- und Knotenpunkttypen abgeleitet. Neben den Querschnitten und Knotenpunktarten der RAA, der RAL und der RASt sowie der davor geltenden Entwurfsregelwerke (relevant in Bezug auf bestehende Straßenverkehrsanlagen) wurden u. a. auch aktuelle Erkenntnisse zum Verkehrsablauf und die diesbezüglichen Zusammenhänge aus dem HBS sowie neueste Erkenntnisse zur Verkehrssicherheit auf unterschiedlichen Straßenverkehrsanlagen berücksichtigt.

Grundlage und Voraussetzung für die Durchführung einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ist eine Verkehrsprognose, mit der für den Bezugsfall ohne die zu bewertende Straßenbaumaßnahme und den Planfall bzw. dessen Varianten die werktäglichen Verkehrsstärken auf den einzelnen Strecken im Untersuchungsnetz zu bestimmen sind. Die Ableitung der maßgebenden Verkehrsstärken, die als Eingangsgrößen für die Ermittlung der Mengengerüste der meisten Nutzenkomponenten erforderlich sind, erfolgt zukünftig anhand von differenzierten Jahresganglinien und Tagesganglinien. Diese sind für Autobahnen und Landstraßen zusätzlich differenziert nach Ganglinien für den Leicht- und den Schwerverkehr, innerorts wird der Kfz-Verkehr insgesamt betrachtet. Mit diesen Jahres- und Tagesganglinien wird ausgehend von der durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke (DTV) auf den einzelnen Strecken im Untersuchungsnetz die richtungsbezogene stündliche Kfz-Verkehrsstärke für alle 8.760 Stunden eines Jahres ermittelt.

Die Ermittlung der Fahrtgeschwindigkeiten auf den Strecken – und in Folge dessen der Fahrtzeiten –, aber auch der geschwindigkeitsabhängigen Betriebskosten (Kraftstoffverbrauch) sowie der Schadstoffemissionen und der CO2-Emissionen (Klimabelastung) erfolgt damit auf Basis einer Betrachtung für jede Stunde eines Jahres. Durch die stundenfeine Betrachtung werden u. a. Überlastungssituationen berücksichtigt. Die Fahrtzeitverluste an plangleichen Knotenpunkten im Zuge von Land- und Stadtstraßen werden durch Zeitzuschläge, die vom Knotenpunkttyp und dem gesamten DTV am Knotenpunkt abhängen, ermittelt.

Für die Ermittlung der Mengengerüste der Nutzenkomponenten wie auch für die Ermittlung der Kostenkomponente werden neben den Berechnungsgleichungen alle notwendigen Werte – jeweils differenziert nach den definierten Strecken- und Knotenpunkttypen – tabellarisch angegeben. Die Berechnungsverfahren sind somit nachvollziehbar und zudem einfach anwendbar. Die Vorgehensweise zur Berücksichtigung der Umweltaspekte ist im Beitrag von Pfäfflin et al. (2017) zusammenfassend beschrieben.

4. Fazit

Mit den neuen RWS wird ein in sich geschlossenes, widerspruchsfreies Regelwerk zur Verfügung gestellt, das ein Bewertungsverfahren für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von Straßenbaumaßnahmen enthält. Der Anwendungsbereich liegt dabei insbesondere im Variantenvergleich im Rahmen der Vorplanung (Voruntersuchung) sowie in der Überprüfung des NKV für eine gewählte Vorzugsvariante in der Entwurfsplanung (Vorentwurf). Die RWS werden bei ihrer Veröffentlichung zwischen allen Beteiligten (Fachreferate des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie der Bundesanstalt für Straßenwesen, Straßenbauverwaltungen der Länder) abgestimmt sein.

Literatur

Baier, M. M., Klemps-Kohnen, A., Schuckließ, L., Hartkopf, G.: Aktualisierung des Verfahrens zur Bewertung der Verkehrssicherheit von Außerortsstraßen. FE 89.311/2015 „Handbuch für die Bewertung der Verkehrssicherheit von Straßen (HVS) – Aktualisierung“ im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen, Aachen/Rösrath 2017 (in Bearbeitung)

Bundesverkehrswegeplan 2030. Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, Berlin 2016

Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen (EWS), Entwurf 1997. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln 1997

Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS), Ausgabe 2015. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln 2015

Handbuch für Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs (HBEFA), Version 3.2. INFRAS AG, Bern 2014

Pfäfflin, F., Stapelfeldt, H., Voss, J.-U., Baier, M. M.: Umweltaspekte in den neuen „Richtlinien für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen“ (RWS). Kolloquium Luftqualität an Straßen 2017 am 29./30. März 2017 in Bergisch Gladbach

Richtlinien für die Anlage von Autobahnen (RAA), Ausgabe 2008. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln 2008

Richtlinien für die Anlage von Landstraßen (RAL), Ausgabe 2012. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln 2012

Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt), Ausgabe 2006. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln 2006

Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN), Ausgabe 2008. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln 2008

Richtlinien zum Planungsprozess und für die einheitliche Gestaltung von Entwurfsunterlagen im Straßenbau (RE), Ausgabe 2012. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln 2012