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Zusammenfassung:
Welchen Anteil am Feinstaub hat die Aufwirbelung von Streumitteln durch den Straßenverkehr? Um diese Frage zu klären, analysierte das LfU von 2009 bis 2016 mehr als zehntausend Feinstaubproben, die überwiegend an Messstationen in der Nähe vielbefahrener Straßen genommen wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass der Anteil von Streusalz im Feinstaub an einzelnen Tagen beträchtlich sein kann. So wurden beispielsweise im Jahr 2013 an der Messstation München / Landshuter Allee neun der 39 Überschreitungen des PM10-Tagesgrenzwertes durch Aufwirbelung von Streusalz verursacht.
Ausgangssituation:
Ziel dieser Untersuchung war die Charakterisierung und Quantifizierung des Anteils von aufgewirbeltem Streusalz und Streusplitt am Feinstaub (PM). Die EU-Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG vom 21.05.2008, die mit der 39. BImSchV vom 02.08.2010 in deutsches Recht umgesetzt wurde, erlaubt es, Überschreitungen des Tagesmittelwerts für PM10, die auf die Ausbringung von Streusand (Splitt) und -salz auf Straßen im Winterdienst zurückzuführen sind, nicht als Tagesgrenzwertüberschreitung zu werten. Dabei ist zu belegen, dass ein für die Grenzwertüberschreitung ursächlicher Anteil des Feinstaubs auf oben genannte Quellen zurückzuführen ist. Dies kann z.B. durch die spurenanalytische Bestimmung spezifischer Staubinhaltsstoffe im PM erfolgen.
Probenahmen und Analytik:
Bei der Aufwirbelung von Streusalz und Splitt ist von stark variierenden Beiträgen mit lokaler Prägung auszugehen, die mit zunehmender Entfernung zum Fahrbahnrand rasch abnehmen. PM-Probenahmen erfolgten daher insbesondere an Messstationen, die sich in unmittelbarer Nähe (Fahrbahnrand) vielbefahrener Straßen befinden und die aufgrund ihrer Lage relativ hohe Fahrzeuggeschwindigkeiten und damit verstärkte Aufwirbelung erwarten lassen. Eine Messstation (Tiefenbach/Altenschneeberg) diente als Hintergrundstandort, an dem ein durch Winterdienst verursachter Feinstaubanteil nicht relevant ist. Die Beprobung erfolgte überwiegend im Winter (November bis März); einzelne Standorte wurden ganzjährig beprobt.
Zur Bestimmung löslicher Staubinhaltsstoffe wurden auf Quarzfaserfiltern gesammelte Feinstaubproben mit einer definierten Menge Reinstwasser versetzt und durch Schütteln und anschließende Behandlung im Ultraschallbad eluiert. Das Eluat wurde nach Zentrifugation und ggf. Filtration ionenchromatographisch auf Natrium, Chlorid, Calcium und Magnesium untersucht. Diese Methode ist im Dokumentenentwurf „Außenluft - Messverfahren zur Bestimmung von NO₃⁻, SO₄²⁻, Cl⁻, NH₄⁺, Na⁺, K⁺, Mg²⁺, Ca²⁺ in PM2,5 nach Abscheidung auf Filtern (Norm-Entwurf DIN EN 16913)“ beschrieben.
Für zuverlässige Analytik sind möglichst niedrige und gleichmäßige Verfahrensblindwerte erforderlich. Daher wurden Quarzfaserfilter einer ausgewählten Produktionscharge verwendet. Aus den mit diesen Filtern erhaltenen Verfahrensblindwerten resultieren Bestimmungsgrenzen von 0.2 µg/m³ für Na, Ca, Cl und 0.1 µg/m³ für Mg in Feinstaubproben.
Auswertung und Plausibilisierung:
Nach Angabe der Straßenmeistereien erfolgt auf den Fahrbahnen flächendeckend Feuchtsalzausbringung. Dabei wird festes NaCl direkt bei Ausbringung mit einer 10 - 25%igen Sole aus in Wasser gelöstem NaCl, MgCl2 oder CaCl2 vermischt (Verhältnis Feststoff / Sole = 70/30). Splitt wird lediglich auf Fuß- und Radwegen eingesetzt, nicht auf Fahrbahnen. Winterdienstaktivitäten werden mit einem Fahrtenbuch bzw. Betriebstagebuch dokumentiert. Somit ist es möglich, den Zeitpunkt der Streusalzausbringung sowie bei Bedarf die ausgebrachte Menge in die Auswertung einzubeziehen.
Für die Entscheidung, ob das Auftreten eines Feinstaubinhaltsstoffs auf die Ausbringung von Streusalz und -splitt im Winterdienst zurückzuführen ist, wurden folgende Kriterien gewählt:
- Durch Winterdienst verursachte Feinstaubkomponenten weisen einen Jahresgang, d.h. im Winter höhere Absolutgehalte als im Sommer, auf.
- An verkehrsreichen Straßen mit starker Fahrbahnstreuung werden höhere Werte als an verkehrsarmen Straßen gemessen.
- Da Aufwirbelung überwiegend große Partikel erzeugt, sind durch Winterdienst erzeugte Komponenten überproportional in der „gröberen“ Partikelfraktion zwischen PM2.5 und PM10 vertreten, d.h. die Mengenunterschiede dieser Komponenten im PM10 und im PM2.5 sind groß.
- Nach Prüfung der Informationen über Art und Zeitpunkt des Streumitteleinsatzes durch Winterdienst ist das Auftreten der Komponenten im Feinstaub plausibel.
Ergebnisse:
- In vielen Proben wurden zum Teil sehr hohe Gehalte von Natrium und Chlorid im PM10 gemessen.
- Die Konzentrationen von Natrium und Chlorid im Feinstaub an verkehrsbelasteten Messstationen weisen einen ausgeprägten Jahresgang auf. Bleiben alle Tage, an denen die Summe aus Natrium und Chlorid weniger als 1 µg/m³ beträgt und/oder an denen das molare Verhältnis deutlich von 1 abweicht, unberücksichtigt, so werden relevante Natriumchloridkonzentrationen nur in der kalten Jahreszeit gemessen.
- An verkehrsreichen Straßen mit hohen Fahrgeschwindigkeiten (wie z.B. München/Landshuter Allee, Würzburg/Stadtring Süd, Oberaudorf/Inntalautobahn) werden gegenüber weniger verkehrsreichen Standorten bzw. Standorten mit niedrigeren Fahrgeschwindigkeiten (Augsburg/Königsplatz, Würzburg/Kardinal Faulhaber-Platz) höhere Gehalte von Natrium und Chlorid im PM10 gemessen.
- Am Hintergrundstandort Tiefenbach/Altenschneeberg wurden im Winter 2009/2010 an keinem einzigen Tag nennenswerte (> 1 µg/m³) Natrium- und Chloridkonzentrationen festgestellt. Dies spricht gegen einen mengenmäßig relevanten überregionalen Eintrag natrium- und chloridhaltiger Partikel, die z.B. aus Seesalz stammen könnten, an bayerischen Messstationen.
- Deutliche Unterschiede der Absolutgehalte von Natrium und Chlorid im PM10 und im PM2.5 sprechen für eine lokale Quelle, die überwiegend größere Partikel generiert, z.B. Aufwirbelung.
- Nach Prüfung von Informationen über den Streumitteleinsatz sind die Natrium- und Chloridgehalte plausibel als Aufwirbelung von Streusalz erklärbar.
Diese Ergebnisse belegen eindeutig, dass es sich bei den z.T. sehr hohen Gehalten von Natrium und Chlorid im PM10 um aufgewirbeltes Streusalz aus dem Winterdienst handelt: Entscheidende Parameter für das Auftreten erhöhter Anteile sind der Abstand des Probenahmeortes vom Fahrbahnrand, die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke (DTV) und die Fahrzeuggeschwindigkeit.
Die Ergebnisse für die Parameter Calcium und Magnesium erlauben folgende Aussagen:
- An den Stationen München/Landshuter Allee und Augsburg/Königsplatz weisen die Feinstaubinhaltsstoffe Calcium und Magnesium im PM10 keinen klaren Jahresgang auf. Calcium und Magnesium sind ganzjährig in ähnlichen Konzentrationen nachweisbar.
- Am stark verkehrsbelasteten Standort München/Landshuter Allee werden gegenüber anderen Standorten deutlich erhöhte Gehalte von Calcium und Magnesium im PM10 gemessen. Im Hintergrund (Tiefenbach/Altenschneeberg) werden vergleichsweise niedrige Werte gemessen. Dies spricht für eine lokale Quelle, z.B. Fahrbahnabrieb und Aufwirbelung calcium- und magnesiumhaltiger Partikel durch Kraftfahrzeuge. Auch am Standort Würzburg/Kardinal-Faulhaber-Platz ergaben sich relativ niedrige Werte; die Messstation war hier ca. 10 m vom Fahrbahnrand entfernt.
- Die deutlichen Unterschiede der Gehalte von Calcium und Magnesium im PM10 und im PM2.5 sprechen für Aufwirbelung vergleichsweise grober calcium- und magnesiumhaltiger Partikel.
- Da im Winterdienst auf Fahrbahnen ausschließlich Feuchtsalzstreuung durchgeführt, aber kein Splitt verwendet wird, gelangen wohl nur relativ geringe Mengen von Splitt auf die Fahrbahnen, wo sie zerkleinert und aufgewirbelt werden.
Calcium und Magnesium sind als Carbonate sowohl Hauptbestandteile des Streusplitts als auch des Füllmaterials der Fahrbahnoberfläche. Für die Feinstaubinhaltsstoffe Calcium und Magnesium ist u.a. wegen des fehlenden Jahresgangs zu vermuten, dass ein wesentlicher Teil der calcium- und magnesiumhaltigen Partikel nicht aus dem Winterdienst, sondern aus Fahrbahnabrieb stammt. Fahrbahnabrieb ist nach der 39. BImSchV nicht abzugsfähig. Eine Quantifizierung der aus Splitt stammenden Feinstaubanteile scheint zudem nicht notwendig, da Splitt allenfalls auf Fuß- und Radwegen zum Einsatz kommt und daher die Feinstaubkonzentration nur in sehr geringem Ausmaß beeinflussen kann.
Überschreitungshäufigkeiten nach Abzug der Winterdienstanteile:
In Tab. 1 ist die Anzahl der Überschreitungen des Tagesmittelwerts für PM10, die auf Aufwirbelung von Streusalz zurückzuführenden PM10–Überschreitungen (siehe auch Abb. 1) sowie die Anzahl der Überschreitungen nach Korrektur gemäß § 25 der 39. BImSchV für verschiedene Messstationen angegeben. Der Einfluss von Streusalz auf die PM10-Überschreitungstage ist an den untersuchten Stationen sehr unterschiedlich. An einzelnen Messstationen verringert die Korrektur bezüglich des Streusalzanteils die Anzahl der PM10-Tagesgrenzwertüberschreitungen ganz erheblich, insbesondere an der Landshuter Allee in München, die als Teil des Mittleren Rings eine sehr hohe Verkehrsstärke und höhere Fahrzeuggeschwindigkeiten aufweist. Die ausgebrachte Streusalzmenge ist wegen der Bedeutung der Straße und wegen der Steigung (4 Tunnelfahrbahnen kommen an die Oberfläche) besonders hoch. Die Straße ist Nord-Süd-ausgerichtet, was im Winter die Abtrocknung der Fahrbahnoberfläche in der Mittagszeit und dadurch eine Aufwirbelung von Streusalz begünstigt. In einem Fall (Landshuter Allee 2013) konnte der zunächst überschrittene PM10-Tagesmittelgrenzwert nach Abzug der durch den Winterdienst verursachten Überschreitungstage eingehalten werden.
Literatur:
[1] 39. BImSchV vom 02. August 2010, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2010 Teil 1 Nr. 40, S. 1065
[2] Schlachta, R.; Diemer, J.; Schmid, M.; Ott, H.: Überschreitungen des Feinstaub-PM10-Grenzwertes aufgrund der Ausbringung von Streusalz auf Straßen, Immissionsschutz, 3/2013, S. 96-102
[3] Bayerisches Landesamt für Umwelt (LfU): Feinstaubinhaltsstoffe: Quantifizierung der Anteile von Streusalz und Straßensplitt im PM10/PM2.5, Abschlussbericht
Tabelle 1: Überschreitungshäufigkeiten (ÜS) des PM10-Tagesgrenzwertes vor und nach Korrektur bezüglich des Anteils an aufgewirbeltem Streusalz.
Abbildung 1: Anzahl der durch Streusalz verursachten Überschreitungen des PM10-Tagesgrenzwertes. |