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1 Einleitung
Eine stetig steigende Zahl von Beiträgen in wissenschaftlichen oder praxisbezogenen Veröffentlichungen beschäftigt sich mit dem Themenfeld Autonomes Fahren. Auch in der öffentlichen und medialen Wahrnehmung nimmt dieses Thema einen wachsenden Raum ein.
Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass sich an der Debatte vor allem Fahrzeughersteller, IT-Unternehmen und Experten aus den Bereichen Künstliche Intelligenz oder Psychologie beteiligen. Die Politik wiederum reagiert in der Regel wohlwollend und unterstützt die Erforschung technologischer Aspekte mit der Einrichtung von Testfeldern und Freigabe von Forschungsgeldern, da sie unter anderem die Hoffnung damit verbindet, ohne größeres Zutun die ungelösten Fragen in der Mobilitätsentwicklung beantworten zu können.
Blickt man aus der Verkehrsplanung auf das autonome Fahren, so scheint es zunächst erhebliche Chancen zu beinhalten, etwa bei der Frage der Kapazitätssteigerung der Infrastruktur. Auf den zweiten Blick fallen jedoch auch Nachteile auf, etwa die Störanfälligkeit durch andere Verkehrsteilnehmer oder die mögliche Attraktivitätssteigerung für den motorisierten Individualverkehr. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, sich der Thematik detaillierter und systematischer zu widmen. Mittlerweile sind dazu bereits einige Beiträge erschienen und das Thema wird von der Verkehrsplanung und -forschung zunehmend bearbeitet, sie bleiben jedoch häufig vage und eine systematische und übergreifende Betrachtung ist bislang kaum erfolgt. Mit dem vorliegenden Beitrag ist der Versuch verbunden, zum Schließen dieser Lücke beizutragen und Punkte aufzuzeigen, an denen diesbezüglich weiterer Forschungsbedarf besteht und die (stärker als bisher) in den Fokus der Stadt- und Verkehrsplanung genommen werden müssen.
Dazu werden nach einer kurzen Einschätzung zum Stand der Einführung autonomer Fahrsysteme die möglichen Auswirkungen auf den Straßenraum sowohl auf Quartiersebene als auch im großräumigen Verkehrsnetz fokussiert, um anschließend die denkbaren Auswirkungen auf das Verkehrsverhalten und damit -aufkommen in den Blick zu nehmen.
2 Entwicklungsstand autonomer Fahrsysteme
Unter autonomen Fahrsystemen wird die vollständige Übernahme der Fahrfunktion durch ein computergesteuertes System verstanden, das ohne den Rückgriff auf einen menschlichen Fahrer im Notfall auskommt. Entsprechend ist die Anwesenheit eines Menschen im Fahrzeug nicht erforderlich und das autonome Fahrzeug kann sich auch leer durch den Straßenverkehr bewegen – die entsprechende rechtliche Zulassung vorausgesetzt. Anderen Automatisierungsstufen wird keine vergleichbar große Veränderung der verkehrlichen Rahmenbedingungen zugeschrieben, weshalb sie im Folgenden nicht im Fokus der Betrachtung stehen.
Fahrerloses Fahren ist bisher nicht in Serienreife entwickelt worden und – von Teststrecken und Sondergenehmigungen abgesehen – regelhaft auf keiner Straße zugelassen, wobei in einigen Staaten (z. B. Großbritannien) bereits entsprechende Gesetzesänderungen vorbereitet werden. Aussagen zur technischen Machbarkeit aus der Automobil- und der IT-Industrie, die maßgeblich mit dem Themenfeld Autonomes Fahren beschäftigt sind, sind uneinheitlich und schwer zu verifizieren. Die Vielzahl öffentlicher Ankündigungen mit stetig kürzeren Zeiträumen bis zur Markteinführung dürften zu einem hohen Maße auch dem Wettbewerb zwischen den Unternehmen geschuldet sein. Allerdings verdeutlichen sie ebenso wie die investierten oder in Aussicht gestellten finanziellen Mittel den hohen Stellenwert des Themas in der Branche ebenso wie in Politik und Gesellschaft.
Studien oder Berichte mit Einschätzungen zur Zeitschiene zeigen eine breite Streuung. Die Boston Consulting Group geht davon aus, dass im Jahr 2030 jedes vierte Fahrzeug in den USA autonom unterwegs sein werde. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) geht unter Anwendung eines Diffusionsmodells davon aus, dass bis 2035 eine Durchdringung von 15 bis zu 40 % mit autonomen oder teilautonomen Fahrzeugen möglich ist (Trommer; Kröger et al., 2017: 253 f.). Demgegenüber kommt eine jüngst veröffentlichte Studie des Beratungsunternehmens Prognos im Auftrag des ADAC zu dem Ergebnis, dass autonome Fahrzeuge nur „langsam in den Bestand‚ einsickern‘ werden. […] Eine signifikante Durchdringung mit Fahrzeugen, die im gesamten Netz automatisiert fahren können, ist erst nach 2050 zu erwarten“ (Prognos AG, 2018: 47). Bezieht man auch Ankündigungen und Ziele der Hersteller mit ein, ergibt sich ein noch diffuseres Bild, wie Bild 1 beispielhaft veranschaulicht.
Bild 1: Erwartungen zur Realisierung autonomer Fahrsysteme aus der Literatur (Quelle: Klein; Altenburg, 2019)
Auch wenn der genaue Zeitpunkt noch nicht absehbar ist, überwiegt in der Industrie die Überzeugung, dass sich die bestehenden technischen Probleme mittel- bis spätestens langfristig beseitigen lassen und ein serienreifes Produkt auf den Markt gebracht werden kann. Die Politik scheint diese Überzeugung zu teilen und setzt schrittweise über neue Regelungen und Testfelder Anreize zur Nutzung autonomer Fahrsysteme. Dagegen wird dem autonomen Fahren von einigen Akteuren aus Wissenschaft und Planung keine Zukunft jenseits leichter handhabbaren Anwendungsfällen wie Autobahnen oder Parkhäusern vorausgesagt. Begründet wird dies meist mit der Schwierigkeit, die die Fahrzeuge beim Umgang mit komplexen Situationen und mit weniger berechenbaren Verkehrsteilnehmern wie Radfahrern und Fußgängern zeigen. Auch die Gefahr von Cyberattacken und eine mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung könnten dazu führen, dass das autonome Fahren nicht vollständig manuell gesteuerte Fahrzeuge ersetzt.
Ob sich die Nutzung autonomer Fahrzeuge tatsächlich in allen Bereichen durchsetzt oder nicht, ist aufgrund der vielen verschiedenen beeinflussenden Faktoren derzeit nicht absehbar, vielleicht auch grundsätzlich fraglich. Klar ist aber, dass bis zu einer nennenswerten Durchdringung des Kfz-Bestands durch autonome Fahrzeuge noch ein längerer Zeitraum vergehen wird. Entsprechend ist von einem jahrelangen Übergangsszenario auszugehen, bei dem eine zunehmende Zahl autonomer Fahrzeuge den Straßenraum mit manuell gesteuerten Fahrzeugen teilt und daraus spezifische Probleme entstehen, etwa erhöhte Unfallgefahren aufgrund des ungewohnten Fahrverhaltens der autonomen Fahrzeuge. Dieses Szenario ist jedoch nicht Teil der hier vorgestellten Betrachtungen, da es noch keine weitgehenden Auswirkungen auf die Verkehrsentwicklung mit sich bringt: „Solange dies [die vollständige Durchdringung] nicht der Fall ist, dürften Verkehrsdichten nicht signifikant steigen, die Planbarkeit von Trips sich nicht verbessern, der Parkbedarf sich nicht wesentlich reduzieren und können Straßenquerschnitte nicht verringert werden“ (Heinrichs, 2015: 235).
3 Anwendungsfelder des autonomen Fahrens
Grundsätzlich lassen sich mit öffentlichen Shuttle-Diensten, Güter- sowie Individualverkehr drei Bereiche voneinander unterscheiden, in denen autonome Fahrsysteme zum Einsatz kommen können. Diese werden im Folgenden genauer beschrieben.
3.1 Öffentliche Shuttle-Dienste
Derzeit steigt die Zahl an Projekten mit öffentlichen autonomen Shuttle-Angeboten in Deutschland sprunghaft an. Einige sind bereits in Betrieb, etwa im bayerischen Bad Birnbach oder auf den Campus der Charité und des EUREF in Berlin. Andere sind in der Planung und kurz vor Inbetriebnahme, so in der Hamburger HafenCity und in Keitum auf Sylt. Sie alle haben gemeinsam, dass sie nur in Betrieb sein dürfen, solange sich ein Begleiter an Bord befindet (sog. „Steward“), und dass sie die Strecken überwiegend langsam und stockend zurücklegen, weshalb die Akzeptanz überschaubar ist und sie kaum im Alltag genutzt werden (Hunsicker; Knie et al., 2017). Generell scheint derzeit noch schwer vorstellbar, dass diese Systeme hochleistungsfähige ÖPNV-Angebote ersetzen. Vielmehr dürften sie nur zur (u.a. touristischen) Ergänzung bestehender Angebote oder dort zum Einsatz kommen, wo kein regulärer Betrieb finanzierbar ist (z. B. in ländlichen Räumen).
3.2 Güterverkehr
Der Güterverkehr scheint für den Einsatz autonomer Fahrzeuge prädestiniert zu sein. Erstens spielen die laufenden Kosten eine so wichtige Rolle, dass die Einsparung des Fahrers äußerst attraktiv erscheint und auch höhere Investitionskosten rechtfertigt. Zweitens wird der größte Anteil des Güterverkehrs auf der Autobahn abgewickelt, wo der Einsatz autonomer Systeme früher und zuverlässiger Anwendung finden dürfte. Zudem bietet sich hier an, Fahrzeuge in Kolonne fahren zu lassen (sog. „Platooning“), was kurze Abstände ermöglicht und damit durch die bessere Aerodynamik die Kosten für die Fortbewegung reduziert (siehe ausführlich dazu auch Flämig, 2015).
3.3 Individualverkehr
Das dritte Anwendungsfeld betrifft die individuelle Mobilität. Hier sind im Falle des Einsatzes vollständig autonomer Fahrzeuge die größten Auswirkungen auf die Stadt- und Verkehrsentwicklung zu erwarten. Dabei können drei Szenarien unterschieden werden:
Szenario 1: Die autonomen Fahrzeuge werden, analog zur heutigen Situation mit manuell gesteuerten Fahrzeugen, (überwiegend) privat besessen und genutzt.
Szenario 2: Der größte Teil der Nachfrage wird über Car- und Ridesharing abgedeckt.
Szenario 3: Auf Basis von Szenario 2 werden die autonomen Fahrzeuge auch in hohem Maße als Zubringer und Verstärker des ÖPNV genutzt.
Die weiteren Ausführungen zu den Auswirkungen des autonomen Fahrens werden vor dem Hintergrund dieser Szenarien entwickelt.
4 Auswirkungen des autonomen Fahrens auf den Straßenraum
Im Folgenden werden die Auswirkungen des autonomen Fahrens auf den Straßenraum anhand von einigen Thesen ausgeführt, die teilweise bereits an anderer Stelle ausführlich beschrieben wurden (Rothfuchs; Engler, 2018). Dabei können die beiden Ebenen Quartier und großräumiges Verkehrsnetz unterschieden werden.
4.1 Auswirkungen des autonomen Fahrens auf Quartiersebene
Auf Quartiersebene lassen sich Thesen zu den Auswirkungen des autonomen Fahrens auf den Straßenraum, auf den ruhenden Verkehr und auf den Fuß- und Radverkehr entwickeln.
4.1.1 Keine wesentlichen Änderungen beim Straßenquerschnitt
Verspricht die Abwicklung des Verkehrs durch autonome Fahrzeuge auf Quartiersebene zunächst weitreichende Anpassungsmöglichkeiten für den Straßenraum, so wird auf den zweiten Blick erkennbar, dass sich diese Hoffnung nur begrenzt bewahrheiten dürfte.
Die maßgeblichen Richtlinien orientieren sich bezüglich der vorgegebenen Breiten von Erschließungs- oder Sammelstraßen wesentlich an den Fahrzeugbreiten. Diese werden sich beim Einsatz autonomer Fahrzeuge mutmaßlich nicht verändern. Auch die seitlichen Sicherheitsabstände können nicht wesentlich modifiziert werden. Einzig die eingeplanten Bewegungsspielräume sind beeinflussbar, wenn Fahrzeuge computergesteuert ihre Spur halten können. Dies zieht aber keine bedeutenden Änderungen der Straßenquerschnitte nach sich, zumal sich diese ohnehin an größeren Fahrzeugen (Linienbusse, Müllfahrzeuge) orientieren.
Die einzige Möglichkeit, den Straßenquerschnitt wesentlich anzupassen, besteht in schwach befahrenen (Wohn-)Straßen darin, ihn auf eine einzige Fahrspur zu reduzieren, die regelhaft keine Begegnung zulässt. Hintergrund ist die Annahme, dass autonome Fahrzeuge durch ihre Kommunikation mit der Umgebung/mit anderen Fahrzeugen bereits vor der Einfahrt in die betreffende Straße über die Information verfügen, ob und wo sich andere Fahrzeuge in dieser Straße befinden. Ergänzt man diese einspurige Fahrbahn in regelmäßigen Abständen mit Ausweichbuchten, könnten die autonomen Fahrzeuge die Lücken nutzen und sich ohne Kollisionen bzw. gegenseitige Blockaden begegnen. Bei höheren Verkehrsstärken ist als Variante statt der Buchten ein Multifunktionsstreifen denkbar, der neben dem Ausweichen und Halten auch als erweiterte Nebenfläche dient (Bild 2). Diese Reduktion funktioniert auch dann, wenn autonome Fahrzeuge nicht leer auf den Straßen unterwegs sein dürfen, setzt aber die vollständige Durchdringung des Fahrzeugbestands voraus.
Bild 2: Mögliche Gestaltung von Quartiersstraßen mit autonomen Fahrzeugen (Quelle: eigene Darstellung)
4.1.2 Ruhender Verkehr wird sich verändern
Die Ausweichbuchten oder Multifunktionsstreifen lassen sich darüber hinaus auch als Haltebereiche denken. Sie verweisen dabei auf die zweite These zur Quartiersebene, nämlich dass der Bedarf an Parkständen im öffentlichen Raum durch den Einsatz autonomer Fahrzeuge deutlich reduziert wird bzw. vollständig entfällt. Sie werden überflüssig, da autonome Fahrzeuge ohne zusätzlichen Aufwand für den Nutzer selbständig in Parkierungsanlagen fahren können. Ein Parken „vor der Tür“ ist nicht erforderlich, da der Nutzer das Fahrzeug anschließend wieder zu sich beordern kann. Dies ist auch davon unabhängig, ob sich die Fahrzeuge in Privatbesitz befinden oder geteilt genutzt werden.
Insofern bietet die Einführung autonomer Fahrzeuge die Chance, das Parken vollständig in dezentralen Parkierungsanlagen abzuwickeln und auf straßenbegleitende Parkstände zu verzichten. Dadurch würde ein maßgeblicher Teil der heutigen Schwierigkeiten bei der Anlage von Querschnitten beseitigt, die die verschiedenen Nutzungsansprüche in Einklang bringen. Die Planung neuer Stadtquartiere sollte bereits heute insofern auf dieses Zukunftsbild eingehen, als dass die Anordnung von Parkständen im öffentlichen Raum zurückhaltender umgesetzt oder bereits vollständig zugunsten von Quartiersgaragen aufgehoben wird.
Und auch für die Quartiersgaragen lässt die Einführung autonomer Fahrzeuge Veränderungen erwarten, nämlich eine deutliche Erhöhung der Kapazitäten. Die beispielhafte Umplanung einer bestehenden Garage in der HafenCity zeigte Kapazitätsgewinne von bis zu 20 %, begründet vor allem damit, dass autonom gesteuerte Fahrzeuge auch in mehreren Reihen hintereinander geparkt werden können, da sie durch die Kommunikation untereinander bzw. mit dem Parkhaus für ausfahrende Fahrzeuge Platz machen können (Rothfuchs; Engler, 2018: 566). Dieser Effekt lässt sich zumindest teilweise auch schon zur Optimierung von Parkierungsanlagen nutzen, wenn nur ein Teil der Fahrzeugflotte autonom gesteuert ist.
4.1.3 Fuß- und Radverkehr dominiert das Quartier
Die dritte These zu den Auswirkungen des autonomen Fahrens auf Quartiersebene fokussiert den Fuß- und Radverkehr: es kann davon ausgegangen werden, dass dieser den kleinräumigen Verkehr im Quartier in erheblich stärkerem Maße dominieren wird als heute, da die derzeit herausgehobene Stellung des Kfz durch den Einsatz autonomer Fahrsysteme ins Gegenteil verkehrt wird. Diese werden sich systemimmanent – nicht zuletzt aus Gründen der Haftung – immer den anderen, menschlichen Verkehrsteilnehmern unterordnen. In Straßen, die als Shared Space ausgestaltet sind, wird das autonome Fahrzeug entsprechend nur sehr langsam unterwegs sein. Diese Unterordnung in Wohn- und Quartiersstraßen entspricht den Zielen der heutigen Stadt- und Verkehrsplanung und ist daher als positiv zu bewerten.
Jedoch stellt sich die grundlegende Frage, inwieweit autonome Fahrzeuge überhaupt in Wohnstraßen einfahren sollen. Zwar dürften die beschriebene Unterordnung und das langsame Vorankommen einen geringen Reiz erzeugen, in solche Straßen einzufahren (bzw. sich einfahren zu lassen), und man könnte daraus schlussfolgern, dass diese Fahrten nur Notfällen oder zwingenden Erfordernissen (Mobilitätseingeschränkte, Lastentransport) vorbehalten bleiben werden. Dennoch ist über eine generelle Einschränkung der Zufahrt mit den entsprechenden Ausnahmen nachzudenken, um diese Räume noch deutlicher für den Nicht-Motorisierten Verkehr freizuhalten. Ein solches Verbot würde aber die Anlage einer ausreichenden Zahl von Drop-Off-Punkten bei der Gestaltung des umliegenden Straßenraums erfordern.
Generell liegt ein wesentlicher Vorteil des autonomen Fahrens im bedingungslosen Befolgen von Verkehrsregeln, wie sie autonomen Fahrsystemen einprogrammiert werden. In Bereichen, in denen ausschließlich autonome Fahrzeuge verkehren, sind daher erhebliche Erleichterungen bei der Verkehrsplanung zu erwarten, da kein unangepasstes Verhalten der Fahrzeugnutzer mehr befürchtet werden muss. Es entfällt somit die Notwendigkeit umfangreicher Verkehrsberuhigungsmaßnahmen oder Verbotszonen sowie von Kontrollen dieser Vorgaben. Verkehrsschilder können in erheblichem Maße abgebaut werden, da die autonomen Fahrzeuge zumindest in späteren Automatisierungsstufen die entsprechenden Informationen direkt erhalten werden. Auch Regelungen wie die Begrenzung verkehrsberuhigter Bereiche (laut „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen“ (RASt) auf ca. 100 m) dürften überflüssig werden, da sie mit dem Argument einer Missachtung durch den Führer eines manuell gesteuerten Fahrzeuges definiert worden waren.
Somit ergibt sich für die Straßen- und Verkehrsplanung die Chance, verkehrsberuhigte Quartiere mit hoher Aufenthaltsqualität über das bisher mögliche Maß hinaus zu denken und zu planen. Dieser Paradigmenwechsel kann bereits in der gegenwärtigen Planung eingeleitet werden, zumal mit dem Verweis auf die künftige Dominanz autonomer Fahrsysteme auch die notwendige Akzeptanz in der Gesellschaft erreichbar erscheint.
4.2 Auswirkungen des autonomen Fahrens auf das großräumige Verkehrsnetz
Betrachtet man das großräumige Straßennetz, so lassen sich Thesen zu möglichen Kapazitätsgewinnen und zur Wechselwirkung zwischen autonomen Fahrzeugen und anderen Verkehrsteilnehmern entwickeln.
4.2.1 Autonome Fahrzeuge erhöhen die Kapazität der Straßen
Dass autonome Fahrsysteme bei gleichmäßigen Fahrgeschwindigkeiten und geradlinigen Streckenverläufen zu besonderen Effizienzsteigerungen führen können, ist neben Autobahnen insbesondere auch für innerstädtische Hauptverkehrsstraßen relevant. Entsprechend wird hier von einer erheblichen Zunahme der Kapazitäten ausgegangen. Beispielsweise kommt Friedrich (2015) zu dem Schluss, dass der Einsatz autonomer Fahrzeuge zu einer Steigerung der Kapazität auf der Strecke (Bild 3) sowie an Knotenpunkten von bis zu 40 % (Stadtstraßen) und 80 % (Autobahnen) führen würde (Friedrich, 2015:346). Ähnliche Ergebnisse weist die Untersuchung von Krause, Motamedidehkordi et al. (2017) auf. Hintergrund ist die Fähigkeit autonomer Fahrzeuge, mit geringeren Abständen zwischen den Fahrzeugen (aufgrund kürzerer Reaktionszeiten), annähernd gleichen Geschwindigkeiten sowie kleineren Folge- und Grenzzeitlücken den Verkehrsfluss deutlich zu erhöhen. Zudem wird davon ausgegangen, dass „hohe Nutzungsgrade der automatisierten Systeme […] zu weniger Verkehrszusammenbrüchen führen“ (Krause; Motamedidehkordi et al., 2017:838) und damit ebenfalls die Kapazität erhöhen. Des Weiteren wird auch die potenzielle Verringerung der Fahrbahnbreiten aufgrund passgenauerer Fahrweise der autonomen Fahrzeuge diskutiert (Heinrichs, 2015: 232).
Bild 3: Kapazität von Stadtstraßen bei zunehmendem Anteil autonomer Fahrzeuge (Quelle: Friedrich, 2015: 344)
Deutlich wird jedoch, dass die maximalen Kapazitätsgewinne nur unter Voraussetzung einer vollständigen Durchdringung des Verkehrs durch autonome Fahrsysteme möglich sind. Wenn autonome und manuell gelenkte Fahrzeuge zusammen im Straßenverkehr unterwegs sind, steigt die mögliche Kapazitätszunahme mit dem Anteil autonomer Fahrzeuge nichtlinear an. Daher könnte „es für die Effizienz des Verkehrs sehr vorteilhaft sein, autonomes Fahren auf reservierten Fahrstreifen zu konzentrieren“ (Friedrich, 2015: 348), also durch die Einrichtung von Sonderspuren. Klar muss aber auch sein, dass mit der Erhöhung der Kapazität nicht zwingend eine Verbesserung des Verkehrsflusses oder die Möglichkeit für den Rückbau der Verkehrsfläche einhergeht, da nicht zuletzt auch die höhere Kapazität der Straßen dazu beitragen kann, dass sich wieder mehr Menschen für die Nutzung eines Kfz (manuell oder autonom) entscheiden und das Verkehrsaufkommen steigt.
4.2.2 Autonome Fahrzeuge erfordern Schutz vor unkoordinierten Störungen
Eine wesentliche Erkenntnis aus dem bisherigen Einsatz autonomer Fahrsysteme im Straßenverkehr ist die Störanfälligkeit durch andere Verkehrsteilnehmer. Nicht zuletzt hat dies auch der vielfach diskutierte Unfall eines Uber-Fahrzeugs in den USA im März 2018 vor Augen geführt, bei dem das autonome Fahrsystem offenbar Schwierigkeiten bei der Identifizierung der querenden Fußgängerin hatte und zu spät die Notwendigkeit einer Vollbremsung erkannte (NTSB, 2018). Andernfalls würden bei höherer Sensibilität der autonomen Systeme nahende Fußgänger, Radfahrer oder Gegenstände zu fortwährenden Bremsmanövern und einer entsprechenden Gefährdung der nachfolgenden Fahrzeuge führen. In der Summe wäre eine deutliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit von Hauptverkehrsstraßen zu befürchten.
Es scheint somit unvermeidbar zu sein, dass der Fuß- und Radverkehr von einer jederzeit möglichen Querung einer Hauptverkehrsstraße abgehalten wird, um unkoordinierte Störungen zu verhindern. Dies konterkariert die Bemühungen der letzten Jahre, die Trennwirkung von Hauptverkehrsstraßen zumindest in Teilbereichen aufzuheben, und trägt letztlich zu einer Stärkung des motorisierten Individualverkehrs bei. Allerdings besteht hier noch erheblicher Forschungsbedarf über die tatsächlichen Wechselwirkungen, und es bleibt zu konstatieren, dass zufriedenstellende Lösungsideen für diese Situation bislang nicht in Sicht sind.
4.2.3 Flächendeckendes Tempo 30 als notwendiges Mittel zur Risikobegrenzung#
Als wesentliche Voraussetzung für eine funktionierende Verkehrsabwicklung mit autonomen Fahrzeugen ist die flächendeckende Einführung von Tempo 30 einzuschätzen, da gegenüber Tempo 50 ein erheblicher Unterschied beim Bremsweg besteht. Somit ist von einem mindestens halb so langen Anhalteweg bei Tempo 30 gegenüber Tempo 50 auszugehen.
Hinzu kommt die Tatsache, dass autonome Fahrzeuge einen deutlich verringerten Reaktionsweg gegenüber manuell gesteuerten Fahrzeugen aufweisen (Schoettle, 2017 geht von einer „Reaktionszeit“ von 0,5 Sekunden aus, für menschliche Fahrer wird mindestens eine Sekunde angesetzt, vgl. UBA, 2016). Dies zusammen führt zu einem sehr kurzen Anhalteweg für autonome Fahrzeuge bei Tempo 30 von weniger als zehn Metern (Bild 4), wodurch die Gefahr von Zusammenstößen spürbar reduziert wird.
Bild 4: Unterschiedliche Brems- und Anhaltewege bei Tempo 30 und Tempo 50 mit autonomen und manuell gesteuerten Fahrzeugen (Quelle: eigene Darstellung auf Basis von UBA, 2016, S.15)
5 Auswirkungen des autonomen Fahrens auf Verkehrsverhalten und -aufkommen
Betrachtet man schließlich die verkehrlichen Auswirkungen des autonomen Fahrens hinsichtlich der Beeinflussung des Verkehrsverhaltens und der Zahl von Fahrzeugen auf der Straße, so lassen sich weitere Thesen formulieren. Neben dem Verkehrsaufkommen betreffen sie vor allem die Frage der Nutzung autonomer Fahrzeuge.
5.1 Durch autonomes Fahren steigt das Verkehrsaufkommen
Modellrechnungen bezüglich des Verkehrsaufkommens gehen von einer teilweise deutlichen Zunahme von Fahrten aus, wenn mehr autonome Fahrsysteme zum Einsatz kommen. Dies wird mit zusätzlichen Leer- und Umwegfahrten sowie einem veränderten Nutzerverhalten erklärt. Letzteres könnte dadurch begünstigt werden, dass das autonome Fahren die flexible Nutzung eines Pkw mit dem Komfortgewinn des ÖPNV kombiniert, unter anderem durch die Befreiung von Fahraufgaben oder die Möglichkeit einer Nutzung auch bei gegebenen Unzulänglichkeiten (Müdigkeit, Alkohol u. ä.).
Der Gewinn an Zeit, die der bisherige Fahrer für andere Aktivitäten nutzen kann, während das System das Fahrzeug steuert oder nach Fahrtende selbständig parkt, kann als wesentliches Merkmal des autonomen Fahrens und als erheblicher Attraktivitätsfaktor eingestuft werden.
Die bisherige Formel, dass das Zeitbudget für Mobilität annähernd konstant bleibt, während sich durch den Einsatz leistungsfähigerer Verkehrsmittel die Wege verlängern, wird dadurch insofern obsolet, dass die eingesetzte Zeit nun auch im Kfz nicht mehr mit Verlustzeit gleichzusetzen ist und damit ein Anreiz besteht, sie noch auszuweiten. Diese Neubewertung könnte eine Zunahme der Wege nach sich ziehen und auch die Wohnstandortwahl beeinflussen. „Eine Folge wäre die Entstehung von neuen Siedlungsgebieten vergleichsweise geringer Dichte und geringer Nutzungsmischung analog zur Suburbanisierung“ (Heinrichs, 2015: 231) – ein Szenario, das den Zielen nachhaltiger Stadt- und Verkehrsentwicklung entgegensteht.
5.2 Mit autonomen Fahrsystemen werden Sharing-Angebote deutlich attraktiver
Eine wesentliche Frage bei der Betrachtung individueller Mobilität in autonomen Fahrsystemen betrifft die künftige Nutzung der auf der Straße verkehrenden Fahrzeuge. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass das autonome Fahren zu einer deutlichen Erhöhung des Anteils von Carsharing führen würde, da ein bedeutender Nachteil heutiger Carsharing-Systeme, nämlich die Entfernung zwischen Nutzer und Fahrzeug, durch die autonome Bereitstellung entfällt (vgl. Lenz; Fraedrich, 2015). Auch für ein (technisch) funktionierendes Ridesharing-System ist von deutlichen Vorteilen des Einsatzes autonomer Fahrsysteme auszugehen: der größte Kostenfaktor, nämlich der Fahrer, wird hier eingespart und wirkt nicht länger beschränkend auf die Verfügbarkeit (Lenkpausen, Arbeitszeitbegrenzung) des Fahrzeugs, das ohne Fahrer (von Ladezeiten abgesehen) rund um die Uhr unterwegs sein und auf Anfragen reagieren könnte.
Generell scheint die Wirksamkeit bedarfsorientierter und flexibler Ridesharing-Systeme theoretisch sehr plausibel zu sein. Zudem zeigen zahlreiche bereits laufende oder angekündigte Angebote (z. B. Clever Shuttle, Berlkönig, Allygator oder MOIA) das große Interesse sowohl der Automobil- wie auch der IT-Industrie an dieser Dienstleistung. Diese Projekte werden jedoch erst zeigen müssen, wie groß die Möglichkeiten des Ridesharing in der Praxis tatsächlich sind. Dies betrifft einerseits die Bereitschaft der Nutzer, ihre Mobilität in einem kleinen Fahrzeug mit fremden Personen abzuwickeln, andererseits die systemische Herausforderung, die Nachfrage an unterschiedlichen Orten in einer Stadt so abzuwickeln, dass die Nutzer nicht mit zu großen Umwegen und die Straßen nicht mit zu vielen Leerfahrten belastet werden. Insbesondere wird hier die Unterscheidung zwischen innerstädtischen und ländlichen Räumen ausschlaggebend sein, da die Entfernungen zwischen den Nutzern in letzteren so groß sind, dass die Bereitstellungszeiten sehr lang und damit mutmaßlich jenseits der Toleranzgrenze der Nutzer liegen werden.
Grundlegende Voraussetzung für den Einsatz von Sharing-Diensten ist im Übrigen, dass Leerfahrten autonomer Fahrzeuge ermöglicht werden. Andernfalls würde Carsharing prinzipiell so funktionieren wie heute, indem Nutzer sich auf den Weg zum Fahrzeug machen müssen, und Ridesharing wäre weiterhin nur mit Fahrer denkbar, da das Fahrzeug andernfalls nach Abschluss der letzten Fahrt nicht zum nächsten Kunden weiterfahren könnte. Allerdings deuten erste Praxiserfahrungen aus den USA darauf hin, dass Ridesharing-Angebote gerade durch die Leerfahrten zu einer Zunahme des Verkehrsaufkommens führen können, sofern sie nicht reguliert werden (Deutsch, 2018).
5.3 Autonome Fahrsysteme verkürzen die letzte Meile und stärken den ÖPNV
Mit den Auswirkungen auf das Verkehrsverhalten hängt die Frage zusammen, wie sich das Verhältnis zwischen autonomen Fahrsystemen und dem ÖPNV ausgestalten wird. Die Vorteile, die dem autonomen Fahrzeug zugeschrieben werden, decken sich größtenteils mit jenen des ÖPNV: Mobilität ohne eigene Anstrengung, mit der Möglichkeit, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Gleichzeitig kommen autonome Fahrsysteme ohne einige Nachteile des ÖPNV aus, etwa die unflexible Bindung an Linien, Haltestellen und Fahrpläne, oder das Aufeinandertreffen auf engem Raum mit fremden Personen. Somit werden die spezifischen Vorteile des ÖPNV gegenüber dem Pkw weitgehend aufgehoben.
Auf der anderen Seite können autonome Fahrsysteme auch als Baustein einer MIV-unabhängigen Wegekette und damit als Beitrag zur Stärkung eines (hochleistungsfähigen) ÖPNV-Systems gesehen werden, insbesondere wenn sie im Sinne eines Ride-Sharing-Angebots genutzt werden: „Die Taxis übernehmen die Zubringer- bzw. Feinverteilungsfunktionen zu den Stationen des schienengebundenen ÖV und nehmen dort Fahrgäste auf, während der leistungsfähigere und möglicherweise schnellere ÖV die langen Streckenabschnitte übernimmt. […] Es könnte zu einem grundlegenden Wandel des öffentlichen Nahverkehrs führen und das Problem der letzten Meile von Hochgeschwindigkeitsbahnen lösen“ (Heinrichs, 2015: 233). Gerade für nachfrageschwache Gegenden wie ländliche Räume wird dem autonomen Fahren ein erhebliches Potenzial zur Stärkung des öffentlichen Verkehrsangebots durch zielgenaue On-De-mand-Dienste in Kombination mit leistungsfähigen Linienverkehren zugeschrieben (Lenz; Fraedrich, 2015).
5.4 Autonome Fahrsysteme erhöhen die Optionen für Mobilitätseingeschränkte
Durch das autonome Fahren wird der Kreis derer, die mit dem Pkw unterwegs sind, auch in Gesellschaftskreise hinein erweitert, die bisher auf den ÖPNV angewiesen waren. So ist der Besitz eines Führerscheins keine Voraussetzung mehr, um in einem Auto unterwegs sein zu können, wodurch zum Beispiel Jugendliche individuell mobil werden können. Auch körperliche oder geistige Einschränkungen fallen als Hindernis weg, zumindest solange sie keine spezifisch modifizierten Fahrzeuge voraussetzen (zum Beispiel mit Einstiegshilfen und Raum für Rollstühle). Weniger wohlhabende Personen könnten von einem günstigen Sharing-System profitieren, das Tür-zu-Tür-Fahrten für wenig Geld ermöglicht.
6 Steuerungsmöglichkeiten
Abschließend soll hier noch der Frage nachgegangen werden, welche Instrumente denkbar sind, um die Entwicklung des autonomen Fahrens im Sinne einer nachhaltigen Stadt- und Verkehrsentwicklung zu steuern. Die Beantwortung dieser Frage hat bei den entsprechenden Akteuren bisher eine geringe Priorität. Die Möglichkeit, Rahmenbedingungen für die neue Technologie zu setzen, wird „aus Ungläubigkeit gegenüber der Technologie bzw. deren Wirkungen oder dem Unwillen, sich mit den möglichen Folgen auseinanderzusetzen, nicht wahrgenommen“ (Randelhoff, 2016).
Ein wesentlicher Faktor für die Nutzbarmachung des autonomen Fahrens für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung stellt eine Erhöhung des Car- und Ride-Sharing-Anteils dar, wodurch die Zahl der Pkw auf der Straße reduziert werden würde. Hier sind neben einem Verbot individueller Nutzung dieser Fahrzeuge verschiedene weichere Maßnahmen denkbar, insbesondere die Gewährung spezifischer Vorteile für Anbieter und Kunden solcher Sharing-Dienste. Dabei ist an Sonderspuren auf Hauptverkehrsstraßen ebenso zu denken wie die Einfahrtserlaubnis in Quartiersstraßen, die ansonsten für den Pkw-Verkehr gesperrt sind. Verwaltung und Politik sind aufgerufen, aus der passiven Rolle einer Zulassungsprüfung oder wohlwollenden Unterstützung wirtschaftlicher Aktivitäten hin zu einer aktiven, auf faire und gerechte Angebote von Mobilität ausgerichteten Politik zu wechseln. Dies beinhaltet klare Vorgaben beispielsweise an Art, Umfang und Geschäftsgebiet von Sharing-Angeboten. Außerdem gilt es, monopolistische Marktentwicklungen zu verhindern oder zu begrenzen. Diese dürften sich ansonsten aufgrund ihrer Flexibilität und Effizienz durchsetzen, drohen aber zu einem Mobilitätssystem zu führen, das für ausgewählte Gruppen einen Zugewinn und für andere eine Abhängigkeit mit sich bringt.
Unerlässlich ist darüber hinaus der flankierende Aus- oder Aufbau eines hochleistungsfähigen (schienengebundenen) ÖPNV-Netzes. Nur so lässt sich verhindern, dass die gesamte Wegekette im autonomen Fahrzeug zurückgelegt wird. Vielmehr können autonome Fahrzeuge durch ihre flexible und anwenderfreundliche Mobilität eine perfekte Ergänzung zu dem eher starren und gleichzeitig schnellen und massenkompatiblen Verkehrsmittel wie dem schienengebundenen Nahverkehr darstellen. Dabei gilt es, von den gerade auf den Markt kommenden Angeboten zu lernen, die explizit als Ergänzung zum ÖPNV in strukturschwächeren Räumen gedacht sind (z. B. ioki in Hamburg).
7 Fazit
Dem derzeit auf vielen Ebenen und von unterschiedlichen Akteuren diskutierten Thema Autonomes Fahren fehlt eine fokussierte Betrachtung der Wirkungen aus verkehrs- und stadtplanerischer Perspektive. Dabei geht es im Wesentlichen um drei Fragen:
– Welche Veränderungen sind für die Gestaltung des Straßenraums zu erwarten?
– Wie beeinflusst das autonome Fahren das künftige Verkehrsverhalten und -aufkommen?
– Welche Möglichkeiten gibt es, das autonome Fahren im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung zu steuern?
Mit dem vorliegenden Beitrag wurde versucht, Antworten auf diese Fragen zu geben. Dies sollte Grundlage sein für eine weitergehende Beschäftigung der Stadt- und Verkehrsplanung mit dem Thema autonomes Fahren, anstatt die Dominanz industriepolitischer Fragestellungen und Lösungsansätze zu akzeptieren.
Die Auswirkungen des autonomen Fahrens auf den Straßenquerschnitt können als eher überschaubar eingeordnet werden. Gleichwohl bietet sich für Quartiersstraßen die Chance auf eine Verkehrsberuhigung und -reduktion in einem Ausmaße, das in der heutigen Planungspraxis nicht erreicht wird. Hier sind die Planer von heute gefragt, mit dem Verweis auf das autonome Fahren Bausteine dieser künftigen Mobilität bereits frühzeitig einzuführen und zu verankern. Beispielsweise stellen in der Neu- oder Überplanung von Quartieren die Organisation des Parkens in Quartiersgaragen und die Anlage von Wohnstraßen als verkehrsberuhigter Bereich einen logischen Vorgriff auf die Dominanz autonomer Fahrsysteme dar und entsprechen zudem den heutigen Vorstellungen einer nachhaltigen, flexiblen Stadtentwicklung.
In welcher Weise das autonome Fahren auf die Verkehrsmittelwahl und das Verkehrsaufkommen einwirkt, ist derzeit noch nicht abschließend bewertbar, lässt aber vermuten, dass bei einer umfassenden Begleitung des Adaptionsprozesses überwiegend positive Effekte für die Stadt erzielt werden können. Es ist vor allen Dingen in hohem Maße davon abhängig, inwieweit es der Planung und Politik gelingt, hier steuernd im Sinne einer Mobilität für alle einzugreifen und problematische Entwicklungen notfalls ordnungspolitisch zu unterbinden. Es darf kein Denkverbot dahingehend geben, hier auch Maßnahmen zu ergreifen, die die Freiheit des Marktes und die Freiheit des Einzelnen einschränken.
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