FGSV-Nr. FGSV 002/93
Ort Bamberg
Datum 12.02.2009
Titel Erfassung des Oberflächenzustandes – Entwicklungsstand zu berührungslosen Griffigkeitsmessungen
Autoren Dipl.-Ing. Christian Schulze
Kategorien Infrastrukturmanagement
Einleitung

Das Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen wurde im Rahmen eines vom BMWi geförderten Forschungsprojektes mit der Entwicklung eines mathematischen Algorithmus zur Ableitung der Griffigkeit aus der Fahrbahntextur beauftragt. Dazu werden zwei Ansätze, ein numerisch-physikalisches und ein empirisches Modell, verfolgt. In diesem Beitrag wird das empirische Modell behandelt, das auf einer detaillierten Beschreibung der Oberflächenbeschaffenheit (Textur) und der Ableitung charakteristischer, griffigkeitsrelevanter Texturparameter basiert. Neben der Berechnung der Eindringtiefe des Reifengummis in die Fahrbahnoberfläche werden mittels der abgeleiteten Texturparameter die Rauheitskenngrößen Drainagevermögen (Makrotextur) sowie Kanten- und Flächenschärfe (Mikrotextur) beschrieben und quantifiziert. Die verschiedenen Parameter werden innerhalb einer multiplen Regressionsanalyse miteinander verknüpft und in ein Modell überführt.

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1 Einleitung

Die Griffigkeit der Straßenoberfläche – der Kraftschluss zwischen Reifen und Fahrbahn bei definierter Nässe – ist für die Verkehrssicherheit von entscheidender Bedeutung. Nicht nur im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht, sondern auch für ein effektives Management der Straßenerhaltung sind regelmäßige Messungen der Griffigkeit unerlässlich. Derzeit wird die Griffigkeit der Straßenoberfläche mittels berührender Messsysteme ermittelt, das heißt die Griffigkeit wird auf Basis der direkten Messung einer Reibkraft zwischen einem Messgummi und der Straßenoberfläche bestimmt. Die systemimmanenten Eigenschaften berührender Messverfahren wurden bereits weitreichend untersucht. Die sich hieraus ergebenden Vor- und Nachteile sind weitestgehend bekannt [1, 2].

Ein alternativer Ansatz zur Bestimmung des Kraftschlusspotenzials rauer Oberflächen und damit auch der Griffigkeit von Straßenoberflächen kommt aus der Polymerforschung. Die durch Grosch und Kummer [3, 4] geprägte Theorie der Gummireibung wurde durch die Forschungsarbeiten von Heinrich, Klüppel und Persson [5, 6, 7, 8], die unter anderem erste Modelle der Hysterese- und Adhäsionsreibung beschreiben, maßgeblich erweitert. In den Arbeiten wird primär auf der Basis der Hysteresereibung ein Zusammenhang zwischen der geometrischen Feingestalt der Oberfläche und dem Reibwert aufgezeigt. In weiterführenden Arbeiten [9, 10] wurden diese Ansätze aufgegriffen und auf Straßenoberflächen übertragen, wobei erste positive Ergebnisse aufgezeigt werden konnten.

Auf diese Forschungsarbeiten ist der Grundgedanke eines vom BWMi geförderten Forschungsprojektes mit dem Ziel der Entwicklung eines dynamischen Verfahrens zur berührungslosen Griffigkeitsmessung zurückzuführen. Dabei soll mit einem schnellen Mikrotextursensor die Rauheit der Fahrbahnoberfläche aus dem fahrenden Fahrzeug mit einer Auflösung unterhalb eines hundertstel Millimeters erfasst und mit Hilfe eines geeigneten mathematischen Algorithmus in einen Reibwert überführt werden. Hierzu sind im Wesentlichen zwei Komponenten zu entwickeln: Eine Hardwarekomponente, die die Entwicklung des schnellen Mikrotextursensors beinhaltet und eine Softwarekomponente, die die Ableitung des Reibwertes aus der Textur erlaubt. Die Entwicklung der Softwarekomponente ist Aufgabe des Instituts für Straßenwesen der RWTH Aachen.

Am Institut für Straßenwesen werden zur Entwicklung des Reibungsmodells zwei Ansätze verfolgt: Ein numerisch-physikalisches und ein empirisches Modell. Das numerischphysikalische Modell beinhaltet im Wesentlichen die exakte Beschreibung der viskoelastischen Eigenschaften des Gummis und setzt sich aus einem Kontaktmodell, das die Berechnung der Eindringtiefe erlaubt, und einem Hysteresemodell, das die Energiedissipation infolge von Hystereseeffekten beschreibt, zusammen. Der empirische Ansatz basiert auf einer detaillierten Beschreibung der Textur der Straßenoberfläche. Dabei wird neben der Makrotextur insbesondere die Rauheit im Bereich der Mikrotextur, das heißt in der Größenordnung von wenigen Mikrometern, charakterisiert. Im Folgenden wird das empirische Modell vorgestellt.

2 Reibwert und Rauheit nach Schulze

Die Rauheit von Straßenoberflächen lässt sich nach Schulze [11] in die Feinrauheit (Mikrotextur) und die Grobrauheit (Makrotextur) teilen. Die Mikrotextur ist wiederum in die Flächenschärfe, das heißt die feinsten Rauheitselemente auf der Oberfläche eines Gesteinskorns, und die Kantenschärfe, der Schärfe einzelner hervorstehender Kanten und Asperitäten, zu untergliedern. Bezüglich der Makrotextur ist zwischen einem Drainagesystem zwischen den Körnern und einem aufgeprägten Drainagesystem in Form von Mulden und Rillen zu unterscheiden, wobei letzteres in der heutigen Straßenbautechnik nahezu keine Anwendung mehr findet. Entscheidend für die Wirksamkeit des Drainagevermögens sind das Volumen der Drainageräume und deren räumliche Verteilung.

Den einzelnen Rauheitskenngrößen wird in der Arbeit von Schulze eine griffigkeitsrelevante Funktion zugeordnet. Das Drainagevermögen ist primär für die Drainage des Wassers aus dem Reifenlatsch verantwortlich. Erst durch ein ausreichendes Drainagevermögen und der damit verbundenen Verdrängung des Wassers aus dem Reifenlatsch kommt der Reifengummi mit der Oberfläche in Kontakt und Kanten- sowie Flächenschärfe werden wirksam. Kanten- und Flächenschärfe werden als ausschlaggebende Rauheitsgrößen beschrieben, die die Anregung des Gummis und damit die Aktivierung von Reibungskräften bestimmen. Während das Drainagevermögen nur bei Nassreibung, das heißt Reibung auf feuchter bzw. nasser Oberfläche, von Bedeutung ist, sind Kanten- sowie Flächenschärfe sowohl bei Reibung unter trockenen Randbedingungen als auch bei Nassreibung für die Aktivierung von Reibungskräften maßgebend. Für die Verkehrssicherheit ist jedoch die Reibung bei Nässe von zentraler Bedeutung, da es hier zu einem unerwarteten Abfall des Reibwertes kommen kann, der für den Kraftfahrer aus dem fahrenden Fahrzeug nicht zu erkennen ist.

Weiterhin wurde in der Arbeit von Schulze die Wirkung der Rauheitskenngrößen Drainagevermögen und Grad der Schärfe (Kanten- und Flächenschärfe) auf den Reibwert bei Nässe anhand von Modelloberflächen untersucht. Die Untersuchungen beschreiben qualitativ den Zusammenhang zwischen Drainage und Grad der Schärfe, wobei zwischen Kanten- und Flächenschärfe nicht weiter differenziert wird. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Grad der Schärfe primär die Höhe des Reibwertes bestimmt, während das Drainagevermögen den Einfluss der Geschwindigkeit auf den Reibwert bei Nässe widerspiegelt. In verschiedenen Versuchen wurde beobachtet, dass der Reibwert von Probekörpern mit einem hohen Schärfegrad und einem hochwirksamen Drainagevermögen ein nahezu gleichbleibendes Griffigkeitsniveau über der Geschwindigkeit aufweist, während für Probekörper mit einem hohen Schärfegrad aber einem unwirksamen Drainagevermögen ein starker Abfall des Reibwertes mit zunehmender Geschwindigkeit verzeichnet wurde.

3 Empirisches Reibungsmodell

Das empirische Reibungsmodell fußt auf den Erkenntnissen von Schulze. Der Grundgedanke der Rauheitszerlegung wird aufgegriffen und die Erkenntnisse über den Beitrag der einzelnen Rauheitselemente zum Reibwert bei der Ableitung der Modellfunktion berücksichtigt. Innerhalb des empirischen Modells umfasst die Charakterisierung der Rauheit von Straßenoberflächen insgesamt vier Texturparameter, von denen einer die Makrotextur und drei die Mikrotextur quantifiziert. Dazu werden die Texturparameter Drainagewirkung DW, zur Kennzeichnung des Drainagevermögens, Kantenschärfe KS, zur Bestimmung der Schärfe hervorstehender Kanten und Asperitäten, sowie Flächenschärfe FS 1 und FS 2, zur Beschreibung der Gestalt der flächenhaft angeordneten Rauheitselemente, formuliert.

Die Berechnung der einzelnen Texturparameter setzt eine funktionale Teilung des Texturprofils voraus. Aufgrund des nicht vollflächigen Kontaktes von Reifen und Fahrbahn ist zwischen einen Drainage- und einem Kontaktbereich zu unterscheiden. Die effektive Kontaktfläche zwischen Reifen und Fahrbahn sowie die Eindringtiefe des Reifen in die Textur beträgt nur einen geringen Bruchteil der nominalen Latschfläche bzw. der maximalen Texturprofiltiefe. Die Eindringtiefe des Reifens trennt Drainage- und Kontaktbereich: Der Kontaktbereich erstreckt sich von der höchsten Erhebung des Texturprofils bis zur Unterkante des in die Textur eingedrungenen Reifens, während der Bereich unterhalb der Eindringtiefe dem Drainagebereich zuzuordnen ist (vgl. Bild 1).

Bild 1: Funktionale Teilung eines Texturprofils

Die verschiedenen Texturparameter werden in Abhängigkeit ihrer griffigkeitsrelevanten Funktion dem Drainage- bzw. dem Kontaktbereich zugeordnet. Das Drainagevermögen, das die Kapazität der Wasserabführung aus der Latschfläche bestimmt, ist folglich für den unteren Profilbereich, den Drainagebereich, zu berechnen. Kanten- und Flächenschärfe hingegen beziehen sich auf den Kontaktbereich, da ausschließlich im Kontaktbereich Reibungskräfte aktiviert werden (s. Bild 2). Eine Beschreibung der Kanten- und Flächenschärfe für den Drainagebereich ist nicht zweckmäßig, da hier keine Reibungskräfte hervorgerufen werden.

Bild 2: Charakterisierung der Rauheit mittels griffigkeitsrelevanter Texturparameter

3.1 Modellfunktion

Die einzelnen Texturparameter, die für die jeweils relevanten Bereiche zu ermitteln sind, gilt es durch eine geeignete Modellfunktion mathematisch miteinander zu verknüpfen. Die Aufstellung der Modellfunktion sollte innerhalb einer multiplen Regressionsanalyse stets vor einem sachlogischen Hintergrund erfolgen. Es gilt den Einfluss und die Wirkungsbeziehung der einzelnen Texturparameter und die damit charakterisierten Rauheitselemente untereinander und auf den Reibwert abzuschätzen und die Modellfunktion entsprechend aufzustellen. Hier fließen die von Schulze qualitativ beschriebenen Zusammenhänge zwischen den Rauheitskenngrößen Drainagevermögen, Kantenschärfe und Flächenschärfe und dem Reibwert ein.

Das Drainagevermögen, das den Abfall des Reibwertes mit zunehmender Geschwindigkeit bestimmt, ist zur Formulierung der Modellfunktion in eine Drainagewirkung zu überführen. Die Drainagewirkung, die zwischen Werte zwischen Null und Eins annimmt, beschreibt den Einfluss des Drainagevermögens auf den Reibwert und wird auf Basis einer Übertragungsfunktion, auf die später eingegangen wird, aus dem Drainagevermögen berechnet. Entsprechend wird in der Modellfunktion die Drainagewirkung mit dem Grad der Schärfe multipliziert. Der Grad der Schärfe setzt sich aus der Kanten- und Flächenschärfe zusammen. Unter der Annahme, dass sich eine hohe Kanten- sowie eine hohe Flächenschärfe positiv auf den Reibwert, das heißt reibwerterhöhend, auswirken, werden diese additiv miteinander verbunden. Die Modellfunktion wird damit zu

µTextur = Drainagewirkung · (Kantenschärfe + Flächenschärfe)

formuliert. Zur Anwendung der multiplen Regressionsanalyse sind die abgeleiteten Texturparameter in die Modellfunktion einzusetzen. Die Gleichung nimmt die Form

µTextur = DW · (c1 · KS + c2 · FS 1 + c3 · FS 2 + c4)

c1, c2, c3, c4 - Regressionskoeffizienten

an.

Die Prüfung der Modellfunktion erfolgt anschließend innerhalb der Regressionsanalyse, wobei die Regressionskoeffizienten bestimmt und die Signifikanz jedes Texturparameters verprüft werden.

3.2 Bestimmung der Eindringtiefe

Die Eindringtiefe des Reifens in die Textur ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Als primäre Größen sind die vertikale Auflast, die visko-elastischen Materialeigenschaften des Gummis, die Gleitgeschwindigkeit, die Temperatur der am Reibprozess beteiligten Körper sowie die Oberflächengestalt der Straße zu nennen. Die Messung der Eindringtiefe unter Laborbedingungen kann für den „statischen“ Fall (stehendes Rad) relativ einfach und mit hoher Präzision durchgeführt werden, wodurch sich theoretische Berechnungen der Eindringtiefe anhand der empirisch ermittelten Werte validieren lassen. Die empirische Bestimmung der Eindringtiefe eines rollenden Reifens („dynamischer“ Fall) ist aufgrund der hohen Komplexität bis heute nicht zufriedenstellend möglich.

Innerhalb des hier vorgestellten Modells wurde ein einfacher Algorithmus zur Abschätzung der Eindringtiefe entwickelt. Zur Ableitung des Algorithmus wurde zunächst die Eindringtiefe auf verschiedenen Oberflächen experimentell bestimmt, indem ein Messgummi unter kontinuierlicher Messung des Weges mit einer definierten Kraft auf die Oberfläche gepresst wurde. Kraft und Weg des in die Oberfläche des Probekörpers eindringenden Messgummis wurden aufgezeichnet. Des Weiteren wurde die Oberfläche der Probekörper durch hochauflösende dreidimensionale Texturmessungen exakt erfasst, so dass Datensätze bestehend aus aufgebrachter Kraft, resultierender Eindringtiefe und zugehöriger Textur erzeugt wurden.

Aus den Texturdaten wurden die jeweiligen Materialanteilkurven ermittelt. Die Materialanteilkurven beschreiben den auf die Profillänge bezogenen prozentualen Profilanteil, der sich oberhalb respektive unterhalb eines schrittweise über die Höhe des Profils geführten Schnittes befindet. Die grafische Darstellung der Materialanteilkurve beinhaltet die Abtragung der Schnitthöhe über den ermittelten Profilanteil. Anhand der Materialanteilkurve kann zwischen Oberflächen unterschiedlicher topografischer Charakteristika unterschieden werden. Die Materialanteilkurve einer geschlossenen Oberfläche weist einen konvexen Verlauf auf, während die Materialanteilkurve einer offenen, ausgemergelten Oberfläche einen konkaven Verlauf aufzeigt (vgl. Bild 3).

Zwischen der Oberflächengestalt (geschlossen bis offen oder ausgemergelt) und der Eindringtiefe des Gummis besteht eine direkte Abhängigkeit. In offene, ausgemergelte Oberflächenstrukturen dringt das Gummi vergleichsweise tief ein, während für geschlossene Oberflächen eine deutlich geringere Eindringtiefe zu beobachtet ist. Zur Ableitung der Eindringtiefe aus der Textur werden die zu den empirisch bestimmten Eindringtiefen zugehörigen Profilanteile (Materialanteile) bestimmt. Für die unterschiedlichen Eindringtiefen auf den verschiedenen Oberflächen wurde stets ein Profilanteil vergleichbarer Größenordnung ermittelt. Im Umkehrschluss wird dieser Profilanteil zur Abschätzung der Eindringtiefe aus dem Texturprofil verwendet.

Bild 3: Materialanteilkurven für eine geschlossene (oben) und eine offene Oberflächentextur (unten) sowie der zur Eindringtiefe zugehörige Materialanteil

3.3 Charakterisierung der Makrotextur

Die Makrotextur mit Unebenheiten größer als 0,5 mm bestimmt primär das Drainagevermögen einer Straßenoberfläche. Das Drainagevermögen wird von der Oberflächenbeschaffenheit und der damit verbundenen Eindringtiefe des Gummis bestimmt, wobei der freie Bereich zwischen dem in die Oberfläche eingedrungenen Gummi und der Straßenoberfläche, der zur Drainage des Wassers aus dem Latschbereich zur Verfügung steht, relevant ist. Dieser freie Bereich wird in einem zweidimensionalen Texturprofil als Querschnitt der wasserabführenden Kanäle sichtbar. Zur Quantifizierung des Drainagevermögens einer Oberfläche werden die Querschnittflächen der wasserabführenden Kanäle integriert und in dem Parameter Drainagevermögen wiedergegeben. Dieser ist anschließend in die Drainagewirkung DW zu überführen.

Drainagewirkung

In einer speziellen Versuchsreihe wurde die Wirkung des Drainagevermögens auf den Reibwert untersucht. Dazu wurden Probekörper hergestellt, die eine Veränderung des Drainagevermögens unter nahezu vollständiger Beibehaltung der Kanten- und Flächenschärfe zulassen. Ausgehend von einem sehr geringen Drainagevermögen, das eine Aktivierung von Reibungskräften bei hohen Geschwindigkeiten, aufgrund des Aufschwimmens des Messgummis (vergleichbar mit Aquaplaning), nahezu ausschließt, wurde das Drainagevermögen sukzessiv bis zu einem sehr ausgeprägten, höchst wirksamen Drainagesystem erhöht. Gleichzeitig wurde mit der Veränderung des Drainagevermögens der Reibwert in einem Geschwindigkeitsbereich von 100 bis 0 km/h aufgenommen. Im Bild 4 ist der Reibwert bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h über dem Drainagevermögen aufgetragen, sodass der Einfluss des Drainagevermögens auf den Reibwert deutlich wird.

Innerhalb der im Wehner-Schulze-Prüfstand durchgeführten Versuchsreihe, ist deutlich zu erkennen, dass mit zunehmendem Drainagevermögen ein höherer Reibwert aktiviert wird, wobei ab einem gewissen Drainagevermögen ein Sättigungseffekt in Form eines nicht mehr steigenden Reibwertes zu beobachten ist. Mit zunehmendem Drainagevermögen wird das Wasser zwischen Reifen und Fahrbahnoberfläche schneller verdrängt, was mit einer Zunahme der Kontaktfläche von Reifen und Fahrbahn einhergeht. Die höheren Reibwerte können durch eine weitere Anregung des Gummis infolge der zunehmenden Kontaktfläche erklärt werden. Sobald das Wasser im ausreichenden Maße aus der Kontaktfläche infolge eines ausreichenden Drainagevermögens verdrängt wird, stellt sich ein Sättigungseffekt gegenüber dem Reibwert ein, der durch keine weitere Erhöhung des Reibwertes bei weiterer Steigerung des Drainagevermögens gekennzeichnet ist (vgl. Bild 4).

Die Normierung der auf unterschiedlichen Oberflächen gewonnenen Drainagevermögen-Reibwert-Kurven auf den jeweiligen maximalen Reibwert ermöglicht eine Überführung des Drainagevermögens in eine Drainagewirkung. Die normierten Kurven liegen innerhalb eines engen Korridors, der wiederum durch eine gemittelte Kurve abgebildet und anhand einer Ausgleichsfunktion beschrieben werden kann. Diese Funktion beschreibt unter Berücksichtigung der Versuchsrandbedingungen die Wirkung der Drainage und nimmt Werte zwischen Eins und Null an.

Bild 4: Reibwert µ in Abhängigkeit vom Drainagevermögen

3.4 Charakterisierung der Mikrotextur

Die Feinrauheit (Mikrotextur) der Straße kann nach Schulze durch den Grad der Schärfe beschrieben werden. Zur Beschreibung des Schärfegrades, der Kanten- und Flächenschärfe, sind hochauflösende Texturmessungen erforderlich, die bis in den Bereich von wenigen Mikrometern reichen. Die Beschreibung der Mikrotextur und damit der Schärfe der Oberfläche ist auf den Kontaktbereich beschränkt.

3.4.1 Kantenschärfe

Die Ausprägung der Kanten bzw. der Kuppen der einzelnen Asperitäten beeinflusst den Kontaktdruck an den lokalen Kontaktstellen. Die Kontaktdruckverteilung steht mit der Deformationsamplitude in Verbindung, die wiederum die Anregung des Gummis beeinflusst. Spitze Asperitäten sowie scharfe Kanten führen zu hohen lokalen Kontaktspannungen, die ein vergleichsweise tiefes Eindringen einer Asperität in den Gummi ermöglichen. Die sich einstellende Deformationsamplitude bestimmt die Anregung des Gummis und damit die Energiedissipation infolge Deformation.

Die Kantenschärfe einer Oberfläche wird in dem hier vorgestellten Modell durch die Änderung der Steigung beschrieben. Dazu ist die zweite Ableitung des Höhenprofils zu berechnen. Die erste Ableitung beschreibt die Steigung eines Profils, während die zweite Ableitung die Änderung der Steigung wiedergibt. Scharfe Kanten sind durch eine abrupte Änderung der Steigung gekennzeichnet, die hohe Funktionswerte in der zweiten Ableitung bedingt (vgl. Bild 5).

In Abhängigkeit von den Kontaktbedingungen ist zwischen den Kuppen der Asperitäten und den dazwischenliegenden Tälern zu differenzieren. Der Kontaktdruck ist auf den Kuppen der Asperitäten deutlich höher als auf dem Grund der dazwischenliegenden Täler. In Abhängigkeit von der Normalkraft, der Gleitgeschwindigkeit, den Materialeigenschaften des Gummis und der Geometrie der Oberfläche ist außerdem eine Ablösung des Gummis von der Oberfläche zu beobachten, so dass die Täler zwischen den Asperitäten in der Regel nicht vollständig vom Gummi ausgefüllt werden. Die Schärfe einer hervorstehenden Kante ist somit von größerer Bedeutung als die Schärfe einer Kerbe zwischen zwei Asperitäten. Eine Unterscheidung zwischen Kuppen und Tälern ist anhand des Vorzeichens der Funktionswerte der zweiten Ableitung möglich. Kuppen sind mit negativen Werten der zweiten Ableitung verbunden, Kerben und Täler mit positiven. Der mathematische Algorithmus zur Berechnung der Kantenschärfe beinhaltet die Summierung der negativen Funktionswerte der zweiten Ableitung des Höhenprofils über die Profillänge. Die positiven Funktionswerte werden nicht berücksichtigt.

Bild 5: Beschreibung der Kantenschärfe anhand der zweiten Ableitung des Texturprofils (hier: Kornumriss); Gegenüberstellung von Brech- und Rundkorn

3.4.2 Flächenschärfe

Neben der Kantenschärfe ist die Flächenschärfe für die Aktivierung der Reibungskräfte von entscheidender Bedeutung. Die Flächenschärfe beschreibt die Gestalt der flächenhaft angeordneten Rauheitselemente der Straßenoberfläche. Im Vordergrund der Charakterisierung stehen die lokalen Weg- und Höhendifferenzen zwischen den einzelnen Rauheitselementen, welche die Anregung (Anregungsfrequenz und -amplitude) des Gummis maßgebend bestimmen.

Der mathematische Algorithmus zur Berechnung der Flächenschärfe basiert auf der relativen Lage der lokalen Extremstellen innerhalb des Höhenprofils. Die Weg- und Höhendifferenzen zwischen den lokalen Maxima und Minima werden berechnet und in eine Häufigkeitsverteilung überführt. Die Häufigkeitsverteilung zeigt, wie oft Höhendifferenzen bei bestimmten Wegdifferenzen innerhalb der betrachteten Länge auftreten. Glatte Oberflächen beispielsweise weisen eine große Anzahl kleiner Höhendifferenzen zwischen den lokalen Minima und Maxima auf, während raue Oberflächen sich durch ein hohe Anzahl großer Höhenunterschiede auszeichnen. Der Berechnung der Flächenschärfe wird eine zweidimensionale Häufigkeitsverteilung zugrunde gelegt, die eine Verteilung der Höhendifferenzen über den Wegdifferenzen beinhaltet; dies ermöglicht eine Bewertung der Anzahl der Höhendifferenzen in Abhängigkeit ihrer zugehörigen Wegdifferenzen (s. Bild 6).

In empirischen Untersuchungen wurden infolge einer Polierbeanspruchung ein Abbau der großen Höhendifferenzen und eine Zunahme der kleinen Höhendifferenzen beobachtet. Auf Grundlage dieser empirischen Untersuchungen konnten die Bereiche des Abbaus der großen Höhendifferenzen und die der Zunahme der kleinen Höhendifferenzen abgegrenzt werden und durch die Integration der Anzahl der jeweiligen Höhendifferenzen über die Flächen mit den Texturparametern Flächenschärfe FS 1 und Flächenschärfe FS 2 beschrieben werden. Der Texturparameter Flächenschärfe FS 1 beinhaltet die kleinen Weg- bzw. Höhendifferenzen, der Texturparameter FS 2 die großen Weg- bzw. Höhendifferenzen.

Bild 6: Zweidimensionale Häufigkeitsverteilung der Weg- und Höhendifferenzen (unbeanspruchter Ausgangszustand)

4 Erste Ergebnisse

In einem ersten Schritt wurden die zuvor beschriebenen Texturparameter innerhalb einer modifizierten Griffigkeits-Prognose-Prüfung auf Plausibilität geprüft. Dabei sollte untersucht werden, inwieweit die Texturparameter den Polierprozess und damit den Verlauf des Reibwertes sowie die Änderungen der Textur über dem Polierprozess abbilden. Dazu wurde eine Oberfläche aus natürlichen Gesteinskörnungen (8/11 mm) einer Polierbeanspruchung unterzogen. In festgelegten Intervallen wurden der Reibwert und die Textur der Oberfläche ermittelt und ausgewertet.

Der Reibwert der Probe fiel – in Anbetracht der eingesetzten Gesteinsarten (Basalt, Gabbro) erwartungsgemäß - kontinuierlich über die Polierbeanspruchung ab. Der Texturparameter Kantenschärfe KS zeigte einen vergleichbaren Verlauf: Mit zunehmender Polierbeanspruchung fiel der Wert des Parameters ab (s. Bild 7). Die Plausibilität ist somit für den Texturparameter Kantenschärfe KS innerhalb dieser Versuchsreihen gegeben.

Die Texturparameter Flächenschärfe FS 1 und FS 2 ermöglichen eine weitere, detailliertere Beschreibung der Veränderungen der Oberfläche infolge einer Polierbeanspruchung. Im unbeanspruchten Ausgangszustand wies die untersuchte Oberfläche eine deutlich größere Anzahl kleiner Höhendifferenzen gegenüber den großen Höhendifferenzen auf. Nach einer Polierbeanspruchung von beispielsweise 90 000 Überrollungen im Wehner-Schulze-Prüfstand war eine deutliche Abnahme der großen Höhendifferenzen bei einer gleichzeitigen Zunahme der kleinen Höhendifferenzen zu beobachten (vgl. Bild 8). Durch den Polierprozess werden die großen Höhendifferenzen demnach abgebaut, die Oberfläche wird im Mikrotexturbereich „eingeebnet“.

Bild 7: Entwicklung des Texturparameters Kantenschärfe KS unter Polierbeanspruchung

Bild 8: Eindimensionale Häufigkeitsverteilung der Höhendifferenzen für den unbeanspruchten Ausgangszustand sowie nach einer Polierbeanspruchung von 90 000 Überrollungen

Die Änderungen der Oberflächenbeschaffenheit lassen sich auch in der zweidimensionalen Häufigkeitsverteilung beobachten. In grün ist der unbeanspruchte Ausgangszustand dargestellt. Dieser wird, in rot dargestellt, durch den Oberflächenzustand nach 90 000 Überrollungen überlagert. Auch hier war die Abnahme der großen Weg- und Höhendifferenzen hin zu kleinen Höhen- und Wegdifferenzen deutlich zu erkennen (s. Bild 9). Damit ist auch im Bereich der Flächenschärfe eine plausible Entwicklung der Texturparameter gegeben.

Bild 9: Zweidimensionale Häufigkeitsverteilung der Weg- und Höhendifferenzen des unbeanspruchten Ausgangszustand sowie nach einer Polierbeanspruchung von 90 000 Überrollungen

Weiterhin sind deutliche Abhängigkeiten zwischen den Texturparametern und dem Reibwertverlauf zu beobachten. Die Parameter Kantenschärfe KS und Flächenschärfe FS 2 (große Weg- und Höhendifferenzen) sind proportional zum Reibwert und nehmen mit abnehmendem Reibwert ab. Der Texturparameter Flächenschärfe FS 1 ist umgekehrt proportional zum Reibwert und nimmt mit abnehmendem Reibwert zu. (vgl. Bild 10)

Bild 10: Korrelation der verschiedenen Texturparametern mit dem Reibwert

Die vier beschriebenen Texturparameter werden, wie oben beschrieben, mittels einer multiplen Regressionsanalyse miteinander verknüpft und in eine Modellfunktion überführt. Innerhalb der Regressionsfunktion werden die Koeffizienten der Modellfunktion bestimmt und die Signifikanz der einzelnen Parameter analysiert. Die identifizierten Texturparameter Kantenschärfe KS, Flächenschärfe FS 1 und FS 2 erweisen sich innerhalb der Regressionsanalyse als signifikant und tragen maßgebend zur Erklärung des Reibwertes, der unabhängigen Variablen, bei. Mit der Modellfunktion wird ein Bestimmtheitsmaß von R² > 0,8 erzielt (s. Bild 11). Der Standardfehler beträgt circa 0,026 [-]. Das erzielte Bestimmtheitsmaß sowie der Standardfehler belegen, dass ein erster Ansatz zur Beschreibung des Zusammenhanges zwischen Reibwert und Textur erfolgreich formuliert wurde.

Bild 11: Regression des aus der Textur berechneten Reibwertes über dem gemessenen Reibwert

5 Zusammenfassung und Ausblick

Am Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen werden derzeit verschiedene Modelle zur Ableitung des Reibwertes aus der Textur entwickelt. Neben einem numerisch-physikalischen Modell wird ein empirischer Ansatz verfolgt, der auf einer umfassenden Beschreibung der Oberflächenstruktur der Straßenoberfläche basiert. Mit dem empirischen Ansatz werden die griffigkeitsrelevanten Rauheitskenngrößen nach Schulze (Drainagevermögen, Kanten- und Flächenschärfe) durch geeignete Texturparameter abgebildet, die innerhalb einer Regressionsanalyse in eine Modellfunktion überführt werden. Zur Aufstellung der Modellfunktion wird das Drainagevermögen in eine Drainagewirkung DW überführt, die den Einfluss des Drainagevermögens auf den Reibwert über der Geschwindigkeit abbildet. Die Feinrauheit, der Grad der Schärfe einer Oberfläche, wird durch die Texturparameter Kantenschärfe KS und Flächenschärfe FS 1 und FS 2 abgebildet, was eine funktionale Trennung der Textur und damit die Bestimmung des Kontaktbereiches, der für die Kanten- und Flächenschärfe maßgebend ist, sowie dem Drainagebereich, in dem keine Reibungskräfte hervorgerufen werden, voraussetzt.

Die verschiedenen Texturparameter spiegeln die Änderung der Oberflächenbeschaffenheit von Probekörpern, zusammengesetzt aus groben Gesteinskörnungen unter Variation der Gesteinsart, infolge einer Polierbeanspruchung in nachvollziehbarer Weise wider. Die Abnahme der Kantenschärfe infolge der Polierbeanspruchung sowie der Abbau größerer Weg- und Höhendifferenzen zwischen den lokalen Extremstellen des Texturprofiles werden deutlich. Darüber hinaus ist eine proportionale bzw. umgekehrt proportionale Beziehung zwischen den einzelnen Texturparametern und der Reibwertentwicklung zu beobachten, die mit dem Polierprozess im Einklang steht. Die Texturparameter werden in der Modellfunktion mathematisch miteinander verbunden. Die Modellfunktion erzielt ein Bestimmtheitsmaß von R² > 0,8.

Vorgetragen wurde der aktuelle Stand der Entwicklung des Modells. Neuste Erkenntnisse aus anderen aktuellen Forschungsprojekten z. B. der Polymerforschung sowie die Untersuchung weiterer Oberflächen werden in die Weiterentwicklung des Modells eingehen. Die bisher gewonnenen Erfahrungen, die identifizierten Texturparameter sowie die aufgestellte Modellfunktion ermöglichen einen detaillierten Einblick in die Oberflächenbeschaffenheit unterschiedlich zusammengesetzter Probekörper sowie deren strukturelle Veränderungen infolge einer Polierbeanspruchung. Die Übertragung des Modells auf weitere Oberflächen (Asphaltoberflächen) wird zur Erklärung des Zusammenhanges zwischen Reibwert und Textur beitragen und das Verständnis der Wirkung einzelner Rauheitselemente erweitern.

Literaturverzeichnis

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  11. Schulze, K.-H.: Zur quantitativen Bewertung der Rauheit von Straßenoberflächen in Beziehung zum Reibwert bei Nässe, Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 103, Bonn 1970