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1 Einleitung
Normung ist definitionsgemäß das planmäßige Vorgehen und Handeln zum Schaffen und Inkraftsetzen von Regelungen, mit denen materielle und immaterielle Gegenstände oder Vorgänge vereinheitlicht werden. Sie kann dann zur Anwendung kommen, wenn Gleichartiges in vielen unterschiedlichen Zusammenhängen an verschiedenen Orten von verschiedenen Personenkreisen gebraucht wird.
Die aus dem Normungsprozess hervorgehenden Normen gelten als anerkannte Regeln der Technik des jeweiligen Gegenstandes oder Fachgebietes und haben aufgrund ihrer Entstehung und Trägerschaft sowie ihres Inhalts und Anwendungsbereichs den Charakter von Empfehlungen.
Erst durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften eines Gesetz- oder Verordnungsgebers oder durch Verträge, in denen die Einhaltung der Normen vereinbart wurde, werden Normen verbindlich. Daneben dienen sie z. B. auch der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs Stand der Technik und erlangen dadurch rechtliche Bedeutung.
Des Weiteren haben Normen eine große gesellschaftliche Bedeutung. Sie
- vermeiden technische Anwendungshemmnisse,
- fördern den Austausch von Waren und Dienstleistungen,
- unterstützen die Freizügigkeit der Märkte und die Innovationsfähigkeit von Unternehmen,
- gewährleisten Kompatibilität, Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit bei der Verwendung von Produkten und Dienstleistungen
und bewirken dadurch eine Rationalisierung in Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und Verwaltung. Dies drückt sich z. B. durch den jährlichen volkswirtschaftlichen Nutzen in Deutschland in Höhe von 16 Milliarden Euro aus.
Bedeutend ist darüber hinaus der Beitrag der Normungsorganisationen für die Staatsentlastung und Deregulierung. Das Setzen technischer Standards erfolgt in Fachkreisen schneller, flexibler und sachkundiger als durch staatliche Einrichtungen und der Staat kann dann auf sie Bezug nehmen. [1]
2 Europäische Normung
Im Jahr 1988 wurde die Bauproduktenrichtlinie [2] vom Rat der europäischen Gemeinschaften erlassen, die eine Angleichung (Harmonisierung) der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten fordert.
Im folgenden Jahr erging der Auftrag an die Technischen Komitees des CEN, die Harmonisierung zu betreuen. Für den Bereich Straßenbaustoffe wurde das Technische Komitee CEN TC227 ins Leben gerufen, dessen Arbeitsgruppe WG1 sich mit der Normung zum Asphaltmischgut befasst. Die deutsche Mitarbeit wird vom Deutschen Institut für Normung koordiniert, wobei die fachliche Arbeit im sogenannten Spiegelgremium geleistet wird, dessen Mitglieder sich aus interessierten Kreisen, das heißt Fachleuten aus Wirtschaft, Forschung und Verwaltung zusammensetzen.
Alle Normen werden in einem mehrstufigen Verfahren in demokratischer Weise unter Einbeziehung aller betroffenen Kreise im Konsensprinzip erarbeitet (Bild 1).
Wichtig ist: Nicht die Normungsorganisation normt, sondern die Fachleute bedienen sich ihrer, um Normen zu entwickeln und zu veröffentlichen.
Bild 1: Entstehung einer Europäischen Norm
2.1 Normen der ersten Generation
In den letzten Jahren wurden auf europäischer Ebene sowohl Produktnormen als auch Prüfnormen erarbeitet und verabschiedet. Zu den Produktnormen gehören z. B. die
- EN 12591 für Straßenbaubitumen,
- EN 14023 für modifizierte Bindemittel,
- EN 14043 für Gestein,
- EN 13108 für Asphaltmischgut.
Diese Normen enthalten Anforderungen an die Eigenschaften und die Zusammensetzung der Produkte und berücksichtigen die bisherigen nationalen Anforderungen.
Die Prüfnormen, z. B. EN 12697 (Asphaltmischgut) oder EN 1427 (EP Ring und Kugel) enthalten ausgewählte nationale harmonisierte Verfahren, die sowohl empirischer als auch fundamentaler Natur sein können. Die Produktnormen greifen jedoch nur auf wenige fundamentale Verfahren zurück, für die Anforderungen gestellt werden.
Die Mitgliedsstaaten konnten aus den in den jeweiligen EN zur Verfügung gestellten Verfahren bzw. Anforderungen die für sie relevanten Bereiche auswählen und mussten diese in nationales Recht umsetzen.
Die EN 13108-1 für die Mischgutanforderungen an Asphaltbeton sieht zwei Möglichkeiten zur Spezifikation vor. Für beide Möglichkeiten müssen eine Reihe von (gleichen) Grundforderungen erfüllt werden, deren Auswahl wieder den Mitgliedsstaaten oblag, z. B.
- an den Hohlraumgehalt,
- an den Verformungswiderstand (Druck-Schwell-Versuch oder Spurbildungsversuch),
- an die Wasserempfindlichkeit (Spaltzugversuch),
- an den Widerstand gegen Kraftstoffe/Enteisungsmittel,
- an die Temperatur des Mischguts.
Die empirische Spezifikation stellt Anforderungen an die Baustoffe und deren Zusammensetzung. Die Anforderungen basieren auf leistungsbezogenen Merkmalen, die durch indirekte prüftechnische Ansprache ermittelt werden und für die eine Korrelation mit bautechnischen Eigenschaften nachgewiesen wurde. Beispielhaft seien die Zusammensetzung des Gesteinskörnungsgemischs und der Bindemittelgehalt genannt.
Die fundamentale Spezifikation stellt nur begrenzte Anforderungen an die Baustoffe und deren Zusammensetzung. Sie fordert vielmehr die Einhaltung von leistungsbasierenden Anforderungen, deren Merkmale durch direkte prüftechnische Ansprache ermittelt werden und welche die primären Gebrauchseigenschaften des Asphalts beschreiben. In EN 13108-1 sind dafür die Steifigkeit, der Widerstand gegen Ermüdung sowie der Widerstand gegen dauerhafte Verformung vorgesehen [3].
Deutschland hat sich mit Berufung auf die langjährigen Erfahrungen für den empirischen Spezifikationsansatz entschieden. Dies hat zur Folge, dass prinzipiell „alles läuft wie bisher“ und die Arbeit an und mit den moderneren, leistungsbasierenden Prüfverfahren auf Forschung, PPP-Projekte, mutige Einzelinitiative oder ländereigene Regelungen mit zusätzlichen Anforderungen zurückfällt. Insbesondere Letzteres kann jedoch auch zur Folge haben, dass Handelshemmnisse auf nationaler und internationaler Ebene eher auf- als abgebaut werden.
Im Nachbarland Österreich hingegen wurde neben der empirischen auch die fundamentale Spezifikation zugelassen, das heißt Ausschreibungen können unkompliziert neue Wege beschreiten. Dies ermöglicht eine tatsächliche, projektbezogene Optimierung des Mischguts hinsichtlich der Gebrauchseigenschaften und somit eine längere Gebrauchsdauer bei geringeren Kosten. Dies wiegt bei weitem die zunächst höheren Prüfkosten auf.
2.2 Normen der zweiten Generation
Europäische Normen sind nach ihrem Erscheinen im 5-Jahres-Rhythmus einer Revision zu unterziehen, um neue Produkte, Verfahren und Erfahrungen zu berücksichtigen. Erklärtes Ziel der Asphaltnormung in Deutschland ist es, langfristig die empirische Spezifikation weitgehend durch die fundamentale Spezifikation ersetzen.
Dies kann in diesem Zyklus der Revision nicht erfolgen, denn vorab sind grundsätzliche Fragen zu klären:
- Welche Eigenschaften sind relevant?
- Mit welchen Prüfverfahren können diese Eigenschaften festgestellt werden?
- Welche Anforderungen werden an diese Eigenschaften gestellt?
Die WG 1 hat bereits eine Liste mit den Vorschlägen an Leistungsanforderungen an Asphaltmischgut aufgestellt, die momentan von einer Ad-hoc-Gruppe der FGSV diskutiert wird:
- Haftverhalten,
- Steifigkeit,
- Beständigkeit gegen bleibenden Verformungen,
- Beständigkeit gegen Ermüdung,
- Beständigkeit gegen Rissbildung (Kälte),
- Griffigkeit,
- Beständigkeit gegen Abrieb,
- Dauerhaftigkeit (auch Alterungsverhalten).
Insbesondere müssen hierbei die baulichen Umsetzungsmöglichkeiten und die bauvertraglichen Anforderungen berücksichtigt werden.
Die Diskussion lässt erkennen, dass man auch in Deutschland die Einführung der fundamentalen Spezifikation begrüßt. Dabei liegt das Augenmerk auf der Optimierung des Asphalts hinsichtlich aller relevanten und nicht nur singulärer Eigenschaften. Das bedeutet, dass in Deutschland keine Ausschreibungen gewünscht sind, die sich z. B. allein an den Ermüdungseigenschaften orientieren. Die oben genannten Fragen bedürfen also in vielen Fällen eingehender Untersuchungen und Erfahrungssammlung.
Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es schon in der nächsten Fassung der EN 13108 fundamentale Anforderungen an SMA und PA geben, die bislang einer rein empirischen Spezifikation unterliegen.
Mut macht ein in den letzten Jahren mit großer Anstrengung von allen Beteiligten umgesetztes Ziel: Die Festlegung von Anforderungen für die Griffigkeit. Hier wurden innerhalb von etwa 10 Jahren die genannten Fragen beantwortet und die bauvertragliche Umsetzung bewerkstelligt. Folge ist schon jetzt ein deutlich höheres Niveau der Griffigkeit auf Bundesautobahnen und damit mehr Sicherheit.
2.3 Normen der dritten Generation
2.3.1 Technische Zielsetzung
Eine mögliche Strategie für die Entwicklung der Asphaltnormen ist die „Anforderungspyramide“ (Bild 2):
Bild 2: Anforderungspyramide, Quelle: Jürgen Sturm, European Asphalt Pavement Association (EAPA)
Die verschiedenen Stufen der Pyramide stellen die unterschiedlichen Anforderungen dar, die an eine Fahrbahn gestellt werden können.
Die erste Stufe ist gängige Praxis, denn sie entspricht genau der empirischen Spezifikation, wie sie in Deutschland gehandhabt wird. Es werden Anforderungen z. B. an die Zusammensetzung und Eigenschaften der Gesteinskörnung, an die Eigenschaften des Bindemittels, an die Zusammensetzung des Asphaltgemischs und an die Verdichtung gestellt.
Die zweite Stufe entspricht im Prinzip der gültigen fundamentalen Spezifikation der EN 13108, also den Anforderungen an den Asphalt hinsichtlich Steifigkeit und Widerstand gegen Ermüdung/Verformung. Weitere elementare Eigenschaften wie z. B. das Verhalten bei tiefen Temperaturen oder die Wasserempfindlichkeit sind dort noch nicht berücksichtigt.
Während sich die ersten beiden Stufen mit den Baustoffen und dem Asphaltmischgut an sich beschäftigen, stellt die dritte Stufe Anforderungen an die gesamte Konstruktion. Hierfür existieren bereits einige Prüfverfahren, aber eine konzeptionelle Umsetzung erfolgt bislang nur in Einzelfällen, z. B. bei der Ermittlung der Restnutzungsdauer. Aktuell wird in die Erforschung der Zusammenhänge investiert und an der Weiterentwicklung analytischer Verfahren gearbeitet.
Die vierte Stufe zeigt auf, dass zu den Anforderungen an die Konstruktion auch Anforderungen an die Funktionen maßgeblich werden. Interessant ist hier, dass die bereits beschriebene Entwicklung von Anforderungen zur Griffigkeit in genau diese Kategorie fällt. Aber auch Anforderungen an die Lärmemission, lichttechnische Eigenschaften oder die Ebenheit zählen hierzu.
Der Blick auf die Nutzeranforderungen zeigt, dass es Ziel der Entwicklung von Normen sein muss, eine funktionale Spezifikation umzusetzen. Das bedeutet, dass die Infrastruktur den Nutzern Sicherheit und Komfort bei minimaler Reisezeit bietet und in diesem Zustand tatsächlich auch verfügbar ist. Dies kann langfristig nur gewährleistet werden, indem zum empirischen Spezifikationsverfahren das fundamentale hinzugezogen wird. Vertragsrelevant wäre dann z. B. nicht die Zusammensetzung des Mischguts, sondern allein die Sicherstellung der Nutzeranforderungen über eine festgelegte Nutzungsdauer. Die Bewertung der Bauleistung einschließlich Betrieb und Unterhaltung könnte durch die Prognostizierung der Nutzungsdauer und die regelmäßige Überprüfung der Erfüllung der Nutzeranforderungen erfolgen.
Politische Zielsetzung
Abgesehen vom technischen Interesse an einer funktionalen Spezifikation muss es auch politisches Ziel sein, den Bau von Verkehrsflächen volkswirtschaftlich zu optimieren. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis muss für die gesamte Lebensdauer (von Planung über Bauausführung bis Unterhaltung und Recycling) betrachtet werden, um die Volkswirtschaft dauerhaft zu entlasten.
Grundsätzlich muss dafür auch die Raumnetzgestaltung optimiert werden, um den Anforderungen aufgrund der Mobilitätsentwicklung (z. B. Urbanisierung, Güterverkehr) kostenoptimiert gerecht zu werden.
Die politische Forderung nach einem verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen wird sich in Zukunft verstärkt auf die Entwicklung von technischen Alternativen und den Einsatz von hochwertigen, langlebigen Baustoffen auswirken. Insbesondere die Verknappung von Erdöl wird zur Folge haben, dass Recycling auf hochwertigster Stufe gefordert wird. Priorität muss dann jedoch sein, Fahrbahnflächen in solch hoher Qualität und Dimensionierung zu erstellen, dass die Lebensdauer gegenüber der heutigen deutlich erhöht ist und die Wiederverwertung und Aufbereitung, die immer mit dem Einsatz neuer Energie und Rohstoffe verbunden ist, weit in die Zukunft verlagert wird.
Neben den volkswirtschaftlichen Vorteilen dieses Qualitätsansatzes ist der Vorteil für die Umwelt unbestreitbar. Verminderte Emissionen bei der Gewinnung von Rohstoffen sowie Herstellung und Einbau von Asphalt tragen zur Verlangsamung des Klimawandels bei. Dies sollte im politischen und privaten Interesse eines jeden einzelnen Menschen liegen, der sich seiner Verantwortung auch gegenüber zukünftigen Generationen bewusst ist.
3 Fazit
Die Europäischen Normen werden sich in den nächsten Jahren weiter von der empirischen Spezifikation hin zu einer fundamentalen Spezifikation entwickeln. Mittelfristig (5 bis 10 Jahre) bedeutet das die Entwicklung und Anwendung von Prüfverfahren, die fundamentale Eigenschaften der einzelnen Baustoffe, aber auch der fertigen Asphaltkonstruktion ermitteln, und für die Anforderungswerte formuliert sind.
Langfristig muss die Normung das Handwerkszeug zur Verfügung stellen, funktionale Anforderungen an die Verkehrsfläche zu stellen. Die Art und Zusammensetzung der Baustoffe und die Weise des Bauverfahrens liegen dann in der Entscheidung des Auftragnehmers – Ingenieurskunst ist dann mehr als bisher die Kombination aus der Kenntnis der „anerkannten Regeln der Technik“ und Erfahrung sowie der Kreativität und Innovationsfreudigkeit von Fachleuten.
Der politische Einfluss auf die Normung wird weniger auf technische als auf verkehrssicherheits- und umweltpolitische Vorgaben zielen.
Literaturverzeichnis
- DIN Deutsches Institut für Normung V., Deutsche Normungsstrategie
- Richtlinie des Rates vom Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte (89/106/EWG)
- EN 13108-1, Asphaltmischgut – Mischgutanforderungen Teil 1: Asphaltbeton, CEN
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