FGSV-Nr. FGSV A 43
Ort Bamberg
Datum 16.05.2017
Titel Klassifikation von viskositätsveränderten Bindemitteln
Autoren Dr.-Ing. Tobias Hagner
Kategorien Asphaltstraßen
Einleitung

In den Gremien der FGSV wurde erstmals ein Regelwerk erarbeitet, welches die Eigenschaften gebrauchsfertiger viskositätsveränderter Bindemittel beschreibt. Die „Empfehlungen zur Klassifikation von viskositätsveränderten Bindemitteln“ (E KvB) wurden unter Berücksichtigung der Interessen der Bauverwaltungen, der Bauindustrie und der Baustoffproduzenten erarbeitet.

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1 Einleitung

1997 wurden in Deutschland vom Ausschuss für Gefahrstoffe bzw. vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales Grenzwerte für Dämpfe und Aerosole aus Bitumen festgesetzt. In den folgenden Jahren durchgeführte Arbeitsplatzmessungen belegten, dass sich maßgebliche Expositionssituationen auf Gussasphaltarbeiten beschränkten. Vor dem Hintergrund der Entwicklung viskositätsveränderter Bindemittel zur Absenkung der Misch- und Verarbeitungstemperaturen wurden die Grenzwerte für Gussasphaltarbeiten zeitweilig ausgesetzt. Im Jahre 2007 wurden temperaturabgesenkte Asphalte zum Stand der Technik erklärt und somit die Einhaltung der Grenzwerte ab 2008 verbindlich.

Zeitgleich wurden Baumaßnahmen mit temperaturabgesenkten Asphalten von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wissenschaftlich begleitet. Ziel der Forschungsarbeit war, Erfahrungen über die Verwendung von Fertigprodukten und Zusätzen zur Temperaturabsenkung von Asphalt zu sammeln.

Die Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV) reagierte auf die Entwicklungen mit der Erarbeitung und Veröffentlichung des „Merkblattes für Temperaturabsenkung von Asphalt“ (M TA) für den Einbau von temperaturabgesenktem Walz- und Gussasphalt im Jahre 2006. Im M TA wird auf die von der BASt veröffentlichte Erfahrungssammlung in ihrer jeweils aktuellen Version Bezug genommen. Als Voraussetzung für die Aufnahme eines Produktes in diese Erfahrungssammlung und Berücksichtigung bei den Empfehlungen wurden positive Erfahrungen über einen längeren Beobachtungszeitraum festgelegt. In keinem der Dokumente werden jedoch Anforderungen an die Eigenschaften der Bindemittel gestellt.

Mit der Erarbeitung der „Empfehlungen zur Klassifikation von viskositätsveränderten Bindemitteln“ (E KvB) wurde in den Gremien der FGSV erstmalig ein Regelwerk erstellt, in dem Anforderungen an diese Bindemittel formuliert sind.

2 Veranlassung für die Erstellung eines Regelwerkes

Mit der Anwendung von viskositätsveränderten Bindemitteln im Asphaltstraßenbau besteht bei allen an dem Bau beteiligten Parteien unter verschiedensten Aspekten der Bedarf an einer Regulierung derartiger Bindemittel.

2.1 Auftraggeber

Generell ermöglichen die „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt“ (ZTV Asphalt-StB 07/13) das für das Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer maßgebliche Regelwerk den Einsatz viskositätsveränderter Bindemittel oder viskositätsverändernder Zusätze zur Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen nur in Gussasphalten. Die Verwendung in Walzasphalten bedarf der Zustimmung des Auftraggebers für die jeweilige Baumaßnahme. In jedem Fall sind der Lieferant des viskositätsveränderten Bindemittels oder des viskositätsverändernden Zusatzes, die Art des Zusatzes und die Menge im Eignungsnachweis zu deklarieren. Dieser Forderung kann oftmals nicht nachgekommen werden, da die Produzenten gebrauchsfertiger viskositätsveränderter Bindemittel ihre Rezepturen vertraulich behandeln.

Auch in den „Technischen Lieferbedingungen für Asphaltmischgut für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen“ (TL Asphalt-StB 07/13) wird der Einsatz derartiger Bindemittel explizit nur für Gussasphalte zur Reduzierung der Temperatur beim Herstellen und Verarbeiten erwähnt. Die Eignung der viskositätsveränderten Bindemittel oder viskositätsverändernden Zusätze gilt als gegeben, wenn diese in der „Erfahrungssammlung über die Verwendung von Fertigprodukten und Zusätzen zur Temperaturabsenkung von Asphalt“ veröffentlicht durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) aufgeführt sind.

In den Hinweisen des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Abteilung Straßenbau zu den „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten“ (ZTV-ING) vom 30. 12. 2014 wird bekannt gegeben, dass bei der Ausschreibung von Walzasphalt in Tunnelbauwerken aus Gründen des Arbeitsschutzes temperaturabgesenkter Walzasphalt vorzusehen ist. Hierbei ist das FGSV „Merkblatt für Temperaturabsenkung von Asphalt“ (M TA) zu beachten.

Somit besteht zwar kein Widerspruch in den Regelwerken, jedoch ist im Sinne der Vertragssicherheit eine generelle Vorgehensweise bei der Ausschreibung viskositätsveränderter Bindemittel in Walzasphalten erstrebenswert.

2.2 Bauindustrie

Für die Errichtung eines Bauwerks optimaler Qualität ist die Kenntnis der Eigenschaften des zu verarbeitenden Baustoffgemisches erforderlich. Über den Lieferschein erhält der Asphalteinbauende auf der Baustelle Informationen über Mischgutart und -temperatur sowie über die im Asphalt enthaltene Bindemittelsorte. Die Verwendung viskositätsveränderter Bindemittel oder viskositätsverändernder Zusätze im Asphaltmischgut waren bislang nicht dokumentiert. Insbesondere unter dem Aspekt, dass die unterschiedlichen Arten der Additive das Verdichtungsverhalten des Walzasphaltmischguts maßgeblich beeinflussen können, waren einheitliche Sortenbezeichnungen der Bindemittel zur Erzielung eines optimalen Einbau- und Verdichtungsergebnisses erforderlich.

2.3 Asphaltproduzenten

Das Marktsegment gebrauchsfertiger viskositätsveränderter Bindemittel ist bislang geprägt von Produkten mit Fantasienamen ihrer Anbieter. Den Einkäufern der Asphalthersteller erschweren die Produktbezeichnungen Bindemittel mit vergleichbaren Eigenschaften zu identifizieren und sicher das richtige Bindemittel für ihre Baumaßnahmen auszuwählen. Auch die Sortenbezeichnungen der Bindemittellieferanten sind uneinheitlich – sie beziehen sich auf die Eigenschaften des verwendeten Bitumens oder auf die des modifizierten Bindemittels. Eine Regelung zur eindeutigen Klassifizierung mit einheitlichen Sortenbezeichnungen ermöglicht die Vergleichbarkeit der angebotenen Bindemittelprodukte.

2.4 Bitumenhersteller

In der europäischen Normungsarbeit gab es Bestrebungen, viskositätsveränderte Bindemittel in die Spezifikationen für bitumenhaltige Bindemittel zu integrieren. Präferiert wurde die Aufnahme in den DIN EN 13924-2 „Bitumen und bitumenhaltige Bindemittel – Anforderungsrahmenwerk für spezielle Straßenbaubitumen – Teil 2: Multigrade Straßenbaubitumen“.

Seitens der für den deutschen Markt produzierenden Bitumenlieferanten bestanden Befürchtungen, dass eine mögliche europäische Regelung die nationalen Erfahrungen nur unzureichend widerspiegeln würden. Mit der Erstellung der E KvB wurden Maßstäbe gesetzt, die in zukünftigen europäischen Festlegungen zu berücksichtigen sind.

3 Inhalte des Regelwerkes

Die E KvB beschränken sich auf gebrauchsfertige viskositätsveränderte Bindemittel im Anlieferungszustand. Für die Herstellung der gebrauchsfertigen viskositätsveränderten Bindemittel können Straßenbaubitumen nach DIN EN 12591 oder polymermodifizierte Bitumen nach DIN EN 14023 Verwendung finden.

Beachtenswert ist, dass die E KvB in der Systematik der FGSV als „R 2“-Regelwerk eingestuft wurde. Damit empfiehlt die FGSV ihre Anwendung als Stand der Technik.

3.1 Systematik und Sortenbezeichnungen

Das Regelwerk unterscheidet zwischen den Eigenschaften viskositätsveränderter Straßenbaubitumen und denen viskositätsveränderter polymermodifizierter Bitumen. In der Bezeichnung wird zur Unterscheidung bei viskositätsveränderten polymermodifizierten Bitumen die Kennung „PmB“ vorangestellt. Die Sortenbezeichnungen beruhen jeweils auf den Werten der Nadelpenetration des modifizierten Bindemittels. Der Buchstabe „V“ für „viskositätsveränderte Bindemittel“ kennzeichnet die Bindemittelart. Außerdem wird zur Klassifizierung der sich in ihren Eigenschaften unterscheidenden Zusätzen zwischen Wachsen mit geringerer Erstarrungstemperatur „L“ (für „low“) und Wachsen mit höherer Erstarrungstemperatur „H“ (für „high“) differenziert.

Beispielsweise trägt ein Straßenbaubitumen der Sorte 50/70, welches mit einem Fischer-Tropsch-Paraffin modifiziert wurde, die Sortenbezeichnung „35/50 VL“. Ein polymermodifiziertes Bitumen 25/55-55 A mit einem Fettsäureamid wird als „PmB 25/45 VH“ bezeichnet. Hinweise zu den Sortenbezeichnungen möglicher Kombinationen aus Bindemittel und viskositätsveränderndem Zusatz werden auch im Anhang des Regelwerkes gegeben.

3.2 Bindemitteleigenschaften

Die Bindemitteleigenschaften werden in den E KvB in zwei Tabellen beschrieben – eine für viskositätsveränderte Straßenbaubitumen, eine für viskositätsveränderte polymermodifizierte Bitumen.

3.2.1 Konventionelle Bindemitteleigenschaften

Neben der Nadelpenetration, die maßgeblich für die Sortenbezeichnung ist, werden im Vergleich zu den Spezifikationen in den „Technischen Lieferbedingungen für Straßenbaubitumen und gebrauchsfertige polymermodifizierte Bitumen“ (TL Bitumen-StB 07/13) in den E KvB von den konventionellen Bindemitteleigenschaften lediglich der Flammpunkt und die Löslichkeit sowie bei den viskositätsveränderten polymermodifizierten Bitumen die Elastische Rückstellung aufgeführt.

Der Anforderungswert der Elastischen Rückstellung ist geringer als in den TL Bitumen-StB 07/13 gewählt, da die viskositätsverändernden Zusätze in der Prüfung die Rückformung des Probekörpers mindern.

Am Bindemittel nach simulierter Kurzzeitalterung im Rolling Thin Film Oven Test (RTFOT) gemäß DIN EN 12607-1 werden die Massenänderung und die verbleibende Nadelpenetration bestimmt.

3.2.2 Phasenübergangstemperatur

Maßgeblich für die Einteilung in die Klassen „L“ und „H“ ist die Phasenübergangstemperatur TPT. Sie beschreibt die Temperatur, bei der in der Abkühlphase das Bindemittel durch die viskositätsverändernden Zusätze ein deutlich erkennbares abweichendes Materialverhalten infolge Scherbeanspruchung aufweist. Die Bestimmung der Phasenübergangstemperatur erfolgt im Dynamischen Scherrheometer (DSR). Der Prüfung liegt die „Arbeitsanleitung zur Bestimmung der Phasenübergangstemperatur viskositätsveränderter Bindemittel mittels Dynamischem Scherrheometer (DSR) – Teil 3: Durchführung mit konstanter Scherrate“ (AL DSR-Prüfung (konstante Scherrate)) zu Grunde.

Die Auswertung der Messdaten aus dem DSR erfolgt durch eine doppelt-logarithmische Darstellung der Scherspannung über der Temperatur (1), in der eine Tangente an die Funktion der Scherspannung angelegt wird (2) und das Lot bei der Temperatur gefällt wird, bei der die erste Abweichung der Scherspannung von der angelegten Tangente zu registrieren ist (3). Die ermittelte Temperatur ist die Phasenübergangstemperatur (4). Das Bild 1 zeigt die schematische Vorgehensweise zur Ermittlung der Phasenübergangstemperatur.

Bild 1: Ermittlung der Phasenübergangstemperatur TPT

Eine Vorlage zur rechnerischen Bestimmung der Phasenübergangstemperatur kann beim FGSV Verlag (FGSV 721) heruntergeladen werden.

Die E KvB unterscheiden bei den Klassen „L“ und „H“ in Bindemittel mit einer Phasenübergangstemperatur von TPT < 100 °C und TPT ≥ 100 °C. Bei der Auswertung ist zu beachten, dass einige gebrauchsfertige viskositätsveränderte Bindemittel eine mehrstufige Veränderung ihrer Eigenschaft zeigen. Auch bei diesen Bindemitteln ist die erste markante Scherspannungszunahme maßgeblich.

3.2.3 Äquisteifigkeitstemperatur

Die E KvB beinhalten keine Angaben zum Erweichungspunkt Ring und Kugel. Da der Erweichungspunkt Ring und Kugel bei viskositätsveränderten Bindemitteln Schwächen hinsichtlich der Durchführung der Prüfung und der Differenzierbarkeit der Ergebnisse aufweist, erfolgt die Beschreibung der Bindemitteleigenschaften im oberen Gebrauchstemperaturbereich durch die im DSR bestimmte Äquisteifigkeitstemperatur. Diese entspricht der Temperatur, bei der das Bindemittel einen komplexen Schermodul von G* = 15 kPa aufweist.

Da die Werte des Erweichungspunktes Ring und Kugel von viskositätsveränderten Bindemitteln oftmals in einem Temperaturbereich zwischen 70 °C und 90 °C liegt, ist gegebenenfalls ein Wechsel des Temperiermediums erforderlich, der die Beurteilung der Eigenschaft erschwert. Mit der Bestimmung der Äquisteifigkeitstemperatur hingegen wird eine eindeutige physikalisch definierte Eigenschaft bestimmt. Da nach den TL Bitumen-StB 07/13 das Verformungsverhalten im DSR ohnehin routinemäßig gemessen wird, kann die Äquisteifigkeitstemperatur aus den Ergebnissen des Temperatursweeps ohne zusätzlichen messtechnischen Aufwand abgeleitet werden. Bei der Interpolation von Prüfergebnissen ist die exponentielle Abnahme des komplexen Schermoduls mit der Temperatur zu berücksichtigen. Außerdem ist bei der Prüfung im DSR mit Temperatursweep zu beachten, dass die einzustellende Verformung zur Prüfung im linear-viskoelastischen Bereich (LVE-Bereich) bei viskositätsveränderten Bindemitteln deutlich geringer zu wählen ist. Gegebenenfalls ist eine zusätzliche Prüfung zur Bestimmung des LVE-Bereiches erforderlich.

Der sich aus der Bestimmung der Äquisteifigkeitstemperatur ergebende Vorteil gegenüber dem Erweichungspunkt Ring und Kugel besteht außerdem in der besseren Differenzierbarkeit der Bindemittel. Während sich die Temperatur des Erweichungspunktes Ring und Kugel auf nahezu gleichem Niveau befindet, ist eine klare Spreizung der Ergebnisse der Äquisteifigkeitstemperatur erkennbar (Bild 2).

Bild 2: Erweichungspunkte Ring und Kugel sowie Aquisteifigkeitstemperaturen unterschiedlicher Bitumenarten und -sorten

3.2.4 Verhalten bei tiefen Temperaturen

Das Verhalten bei tiefen Temperaturen wird im Biegebalkenrheometer (BBR) geprüft. Dabei wird den europäischen Entwicklungen in der Normung sowie den nationalen Erkenntnissen Rechnung getragen. Entsprechend der „Arbeitsanleitung zur Bestimmung des Verhaltens von Bitumen und bitumenhaltigen Bindemitteln bei tiefen Temperaturen im Biegebalkenrheometer“ (BBR) (AL BBR-Prüfung) der FGSV werden die Temperaturen ermittelt, bei denen das Bindemittel eine Biegekriechsteifigkeit von S = 300 MPa bzw. einen m Wert von m = 0,300 aufweist.

4 Ausblick

Mit den E KvB existiert erstmals ein Regelwerk, welches die Eigenschaften gebrauchsfertiger viskositätsveränderter Bindemittel beschreibt. Die Arbeiten in den Gremien der FGSV konzentrieren sich nunmehr darauf, die E KvB in das bestehende Regelwerk einzubinden. Auch ist zu klären, welche Anforderungen an Bindemittel zu stellen sind, die erst an der Mischanlage durch viskositätsverändernde Zusätze modifiziert werden. Der Überarbeitung des M TA ist diesbezüglich besondere Bedeutung beizumessen. Welche Bedeutung die Erfahrungssammlung der BASt in Zukunft haben wird ist ebenfalls zu diskutieren.

Weiterer Abstimmungsbedarf ist im Umgang mit der Prüfung des Erweichungspunktes Ring und Kugel an gebrauchsfertigen viskositätsveränderten Bindemitteln vorhanden. Da künftig nicht mehr Bestandteil der Spezifikation gebrauchsfertiger viskositätsveränderter Bindemittel, ist die Bestimmung des Erweichungspunktes Ring und Kugel in der Erst- und Kontrollprüfung am Asphalt obsolet. Auch die auf dem Erweichungspunkt Ring und Kugel basierenden Deklarationsspannen für gebrauchsfertige viskositätsveränderte Bindemittel in einigen länderspezifischen Regelungen bedürfen der Überarbeitung.