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1 Vorbemerkungen
Wo stehen wir heute in Bezug auf Partizipation und Beteiligung? Partizipation definiert als Teilhaben, Beteiligtsein, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (also auch an Planung und Realisierung von kommunalen Verkehrsprojekten). Beteiligung definiert nicht nur als Beteiligung der Bürgerschaft und von Planungsbetroffenen, sondern Beteiligung verstanden auch nach innen in die Verwaltung in die verschiedenen Fach- und Entscheidungsebenen.
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich geändert. Es gibt in den letzten Jahren gesellschaftliche Umbrüche, in denen sich traditionelle soziale Strukturen und Solidaritätsbeziehungen auflösen und die Lebenswelt vieler Menschen deutliche Veränderungen erfährt. Die Komplexität der Situation besteht neben der Beschleunigung sozialen Wandels auch in der Gleichzeitigkeit höchst unterschiedlicher gesellschaftlicher Entwicklungen. Dazu gehören Veränderungen durch den demografischen Wandel mit seinen Anforderungen z. B. an Verkehrs- und Gesundheitssysteme, die Finanzknappheit der Kommunen mit der Folge, staatliche und kommunale Aufgaben bzw. Verpflichtungen nicht mehr wahrnehmen zu können (z. B. Schließen von Schulen, Museen und Hallenbädern) und eine sich damit weiter polarisierende soziale Situation.
Politik und Verwaltung erkennen verstärkt die Notwendigkeit von Beteiligung, die Beteiligung der Öffentlichkeit bei kommunalen Verkehrsprojekten wird eigentlich nicht mehr in Frage gestellt. „Stuttgart 21“ hat dabei sicherlich als Katalysator gewirkt. Es geht eher um das „Wie“, welche Verfahren sind geeignet, wie lassen sie sich effektiv und ressourcenschonend einsetzten. Über Methoden und Verfahren und ihre Einsatzmöglichkeiten in der Verkehrsplanung gibt es noch große Unsicherheiten. Aktuelle Handbücher mit Empfehlungen für Planung und Durchführung von Beteiligungsverfahren wollen diese Lücke schließen (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, 2011; BMVBS, 2012, FGSV, 20121)).
Die Einschätzung, dass ein Mehr an Öffentlichkeitsbeteiligung zur Qualitätssicherung der Planung betragen kann, ist jedoch noch nicht Konsens.
2 Wo sind die Probleme?
Kommunale Planung ist ein gesellschaftlicher Teilprozess, der durch die Gesetzmäßigkeiten der Konfliktaustragung im politischen Entscheidungsprozess bestimmt wird. Kommunale Verkehrsplanung berührt Städte und Stadtteile in ihrer verkehrlichen, baulichen, wirtschaftlichen und sozialen Struktur. Je nach Art und Umfang der Konzepte und Maßnahmen entstehen unterschiedliche und auch widersprüchliche Einschätzungen bei den Betroffenen: die einen meinen beispielsweise bei Verkehrsberuhigung mehr Bäume und Platz zum Spielen, die anderen Staus oder Schikanen, die Dritten befürchten Umsatzrückgang. Kommunale Verkehrsplanung ist deshalb als politischer Prozess zu verstehen, der durch Gesetzmäßigkeiten der Konfliktaustragung im politischen Entscheidungsprozess bestimmt wird. Bei Planungen handelt es sich demnach um einen sozialen Prozess, in dem sich die Ziele verschiedener Gruppen verschränken, die immer in Zusammenhang mit dem politischen Hintergrund und den jeweiligen Machtverhältnissen gesehen werden müssen. Planung und Realisierung kommunaler Verkehrskonzepte und der Grad möglicher Konflikte sind wesentlich bestimmt durch die Rahmenbedingungen und die damit verbundenen unterschiedlichen Interessen. Zentrale Elemente hierbei sind Ursachen, Art und Ausmaß der Verkehrsbelastungen, die unterschiedlichen Nutzungsinteressen an Funktion und Gestalt des öffentlichen Raumes und die zugleich höchst ungleichen Einfluss- und Machtpotentiale der einzelnen Planungsbeteiligten.
Eine weitere Problemursache ist die Dauer und Komplexität von Planungsverfahren und Prozessen (teilweise 15 bis 20 und mehr Jahre). Damit einher geht oftmals eine mangelnde Nachvollziehbarkeit durch die Akteure, ebenfalls auch eine sinkende Gültigkeit von vormals gefällten Entscheidungen. Hinzu kommen häufig finanzielle, rechtliche und/oder politische Hindernisse bei der Umsetzung verkehrsplanerischer Maßnahmen, die in der Folge dazu führen, dass Planungsprozesse scheitern oder doch zumindest erheblich verzögert werden. Das Scheitern von Konzepten/Maßnahmen führt zu Frust und Resignation bei den Beteiligten, sowohl in der Bürgerschaft als auch innerhalb der Verwaltung. In größeren Teilen der Bevölkerung nimmt die Bereitschaft ab, kommunalpolitische Entscheidungen frag- und kritiklos hinzunehmen. Zur Einflussnahme wird weniger das Engagement in Parteien und anderen eher traditionsreichen Organisationen genutzt, sondern es werden andere, effizienter erscheinende und schnelleren Erfolg versprechende Strategien (z. B. Kontakte zu Medien oder direkte Ansprache der Verwaltungen) bevorzugt. Das Engagement hat sich zudem spezialisiert und diversifiziert: Akteure und Betroffene werden quasi zu Fachleuten.
Es gibt verschiedene Öffentlichkeiten, Öffentlichkeitsbeteiligung ist mehr als die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Es können folgende Ebenen der Öffentlichkeit unterschieden werden: die institutionelle Ebene, die organisierte Ebene und die Allgemeinheit (Bild 1). Zur institutionellen Ebene gehören die Planungsbehörden, die Fachverwaltungen, die (Kommunal-)Politik und die Träger öffentlicher Belange. Bei der organisierten Öffentlichkeit kann im Wesentlichen zwischen folgenden Gruppen und Interessenlagen unterschieden werden:
– Gruppen mit ökonomischen Interessen, z. B., Einzelhandelsverband, Gewerbetreibende und Industriebetriebe,
Bild 1: Öffentlichkeit in der Verkehrsplanung (Quelle: FGSV 2012) – Gruppen mit beruflichen/ökonomischen Interessen, z. B. Taxiunternehmen, Parkhausbetreiber,
– Gruppen mit verkehrsbezogenen/bürgerschaftlichen Interessen, z. B. Verkehrsverbände (ADAC, ADFC, VCD), Umweltverbände, Bürgerinitiativen,
– Gruppen mit gesellschaftlichen Interessen, z. B. Schulen, Kindergärten, Kultur- und Bildungseinrichtungen.
Zur Allgemeinheit zählen alle Bürgerinnen und Bürger (eines Planungsraums) in unterschiedlichen Zielgruppenzusammenhängen und Rollen (vgl. Schäfer, 2009 und FGSV, 2012).
Problematisch ist bei den üblichen Beteiligungsverfahren wie Bürgerversammlungen oder Anhörungen die Struktur der Teilnehmenden. Es beteiligen sich in erster Linie die „sozialaktiven“ Bevölkerungsteile bzw. nur die, die negativ von einer Planung betroffen sind. Personen mit Verantwortung für Haus- und Familienarbeit (mehrheitlich Frauen) und Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch Kinder und Jugendliche nehmen an diesen Veranstaltungen selten teil. Diese Personen haben in der Regel auch weniger Chancen ihre Interessen zu artikulieren bzw. durchzusetzen. Die Beteiligungsverfahren sind meist mittelschichtorientierte Veranstaltungen, eine nicht zu vernachlässigbare Anzahl beteiligter Akteure vertreten Organisationen.
Ein weiteres Problem ist, dass Interesse und Engagement in der Bevölkerung vielfach erst bei persönlicher Betroffenheit entstehen, oft aufgrund vorliegender, konkreter Maßnahmenvorschläge. Oder die Politik entscheidet als Reaktion auf einen Konflikt in einen Dialog zu treten, wenn „das Kind meist schon in den Brunnen gefallen ist“. Dies ist aber häufig erst in einem sehr späten Stadium von Planungsverfahren erkennbar. In diesem Kontext wird von dem Dilemma der Partizipation gesprochen, da das Interesse der Akteure und Betroffenen gerade dann steigt, wenn die Freiheitsgrade der Planungen abnehmen (Bild 2). Bild 2: Das Dilemma der Partizipation (Quelle: FGSV, 2012)
3 Ziele und Nutzen von Partizipation und Beteiligung
Grundlegende Aspekte von Partizipation und Beteiligung sind deren Ziele und Nutzen. Beteiligungsverfahren können dazu beitragen, das gegenseitige Verständnis zwischen Bürgerschaft und Verwaltung zu fördern: Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Politik, bekommen einen tieferen Einblick in Planungsprozesse, die Verwaltung kann das Alltagswissen vor Ort nutzen. Damit kann ein positiver Einfluss auf den Planungsprozess erreicht werden, ebenfalls eine höhere Akzeptanz von Planung.
Hinzu kommt, dass Planung und Durchführung von bürgerschaftlichen Beteiligungsverfahren ein wichtiger Teil der Strategie von Gender Mainstreaming sind. Beteiligungsverfahren ermöglichen das Einbringen von Ideen und Anregungen der Nutzerinnen und Nutzer aufgrund ihrer alltäglichen Erfahrungen in den Planungsprozess. Das bedeutet Stärkung von Teilhabe und Transparenz. Bild 3: Defizite und Anforderungen an Beteiligungsverfahren Die Beteiligung und Kooperation an der Planung vergrößert darüber hinaus die Informations- und Datenbasis von Entscheidungen und „…. kann nicht selten fachspezifisch verengte Sichtweisen professioneller Planerinnen und Planer um wichtige Perspektiven aus Nutzersicht ergänzen. Damit unterstützt und verbessert sie die Umsetzung des gesetzlichen Abwägungsgebotes“ (FGSV, 2012, S. 8).
Partizipation und Beteiligung weisen im Rahmen der Planung und Durchführung von kommunalen Verkehrsplanungen immer noch deutliche Defizite auf. Die Defizite ergeben sich insbesondere aus einer fehlenden Beteiligung an konzeptionellen Planungen und gesamtverkehrsplanerischen Überlegungen (z. B. Verkehrsentwicklungspläne) und aus der verspäteten Beteiligung bzw. Information bei Einzelplanungen. Die Defizite bestehen vor allem darin, dass die Betroffenen unzureichend über Ziele, Zusammenhänge und Auswirkungen von Planungsmaßnahmen informiert werden (Bild 3). Weitere Defizite ergeben sich daraus, dass Planerinnen und Planer noch wenig für den unmittelbaren Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern ausgebildet sind, neuere Verfahren der Beteiligung nicht kennen und Beteiligungsverfahren in der Regel nichts kosten dürfen.
Die Beteiligung muss frühzeitig und kontinuierlich über den gesamten Planungszeitraum erfolgen und sie muss betroffenenspezifisch bzw. lebenslagenspezifisch sein, sozialbenachteiligte Gruppen (Menschen mit Migrationshintergrund, Mobilitätseingeschränkte) und Personen mit geringerem Artikulationsvermögen (Ältere Menschen, Kinder) erfordern andere Beteiligungsformen als beispielsweise Gewerbetreibende. Von Bedeutung sind die Darstellung von Alternativen und Entscheidungskriterien sowie die Darstellung der Auswirkungen von Handlungskonzepten oder Einzelmaßnahmen (Bild 3).
Eine richtig verstandene Öffentlichkeitsbeteiligung ermöglicht es allen gesellschaftlichen Gruppen, tatsächlich am Zustandekommen der Entscheidungen in Politik und Verwaltung mitzuwirken. Wichtig sind die Organisation des Prozesses und der Einsatz geeigneter Methoden, die es möglich machen, sich auf allen Ebenen der Planung und innerhalb eines Planungsprozesses zu informieren und zu beteiligen.
4 Prozessorganisation und Beteiligung
Ein systematisch organisierter Planungsprozess umfasst neben der Projektorganisation die Bestandsanalyse, die Zielfestlegung, die Maßnahmenplanung mit Organisation des Beteiligungsprozesses, die Umsetzung und die Erfolgskontrolle.
Zur Prozessorganisation gehören die Einrichtung von geeigneten Organisationsstrukturen, die Entwicklung eines angepassten Beteiligungskonzeptes sowie eine Strategie zur Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Dazu zählen beispielsweise eine „Kernarbeitsgruppe“ in der Verwaltung sowie die Sicherung einer ämterübergreifenden Zusammenarbeit, eine direkte Mitwirkung lokaler Akteure, z. B. in Beiräten oder Foren, eine begleitende Öffentlichkeitsarbeit und möglichst der Aufbau eines Qualitätsmanagements. Notwendig ist darüber hinaus die Sicherung von personellen und finanziellen Ressourcen.
Vor Beginn des Planungsprozesses ist für jedes Projekt (z. B. Verkehrsentwicklungsplan, Nahmobilitätskonzept, Parkraumplanung, Platzgestaltung) auch ein Beteiligungskonzept aufzustellen. Ein Beteiligungskonzept, das die spezifischen Anforderungen der unterschiedlichen Nutzungsinteressenten in den einzelnen Planungsphasen von der Problemanalyse über die Konzeption bis zur Detailplanung berücksichtigt. und berücksichtigt (Bild 4).
Im Verlauf des Planungsprozesses kann es notwendig werden, das Beteiligungskonzept im Sinne einer Qualitätssicherung der Planung zu ändern bzw. anzupassen.
Das heißt: ein generell anwendbares Konzept für die Organisation der Öffentlichkeitsbeteiligung gibt es nicht, das projektbezogene Beteiligungskonzept hängt stark von der ortsspezifischen Ausgangssituation und Problematik ab: Art des Projektes, Planungsraum, Planungsphase, vorherrschende Beteiligungskultur.
Bei der Konzeption des Beteiligungskonzeptes sollten folgende Leitfragen beantwortet werden:
– Können alle von der Planung betroffenen Bevölkerungsgruppen (differenziert nach Alter, sozialer Stellung, Nationalität u. a. und jeweils nach Geschlecht) erreicht werden, um Bedürfnisse, Bedarfe und Interessenlagen vor Ort abrufen zu können?
– Können sich diese Gruppen artikulieren bzw. welche Unterstützung benötigen sie (z. B. Interessenvertretung und Multiplikatoren)?
– Welche Beteiligungsverfahren sind geeignet?
– Sind die Verfahren mit Entscheidungskompetenz und Finanzmitteln ausgestattet, und wenn ja: wie?
Wichtig ist darüber hinaus die begleitende Information und Öffentlichkeitsarbeit, die kontinuierlich über den gesamten Planungsprozess verlaufen sollte (Bild 4). Informations- und Öffentlichkeitsarbeit beinhalten Verfahren der Betroffenenbeteiligung und dienen neben der Information über anstehende Planungen und Maßnahmen auch dazu, zunächst einmal das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken bzw. bestimmte Voraussetzungen für eine längerfristige Beteiligung zu schaffen.
Öffentlichkeitsarbeit verstanden als Querschnittsaufgabe, die über die technische Verwaltung hinausgeht, erfordert eine Kommunikationsstrategie, die ziel- bzw. zielgruppenorientiert ist und sowohl nach außen (allgemeine Öffentlichkeit, Wirtschaft, Bürgerschaft) als auch nach innen (Verwaltung, Politik) gerichtet ist. Bild 4: Die Phasen des Planungsprozesses und Prozessbeteiligung (Quelle: FGSV, 2012) Öffentlichkeitsarbeit umfasst alle Informations- und Kommunikationsmaßnahmen. Merkmale einer „guten“ Öffentlichkeitsarbeit sind: kontinuierliche und zielgruppenspezifische Informationen mit geeigneten Medien (Flyer, Internetpräsenz, Presseartikel), Aktionen mit EventCharakter (z. B. Straßenfest), abgestimmtes Vorgehen zwischen den Akteuren (vgl. Schäfer, 2009).
Als Beispiel ist die Prozessorganisation im Rahmen der „Stadtbahnverlängerung Zähringen“ (Freiburg i. Br.) skizziert (Bild 5). Die Organisationsstruktur zur Abwicklung des Projektes berücksichtigt die kooperative Beteiligung der verschiedenen Ebenen in der Stadtverwaltung, die Beteiligung der politischen Gremien und die der allgemeinen Öffentlichkeit, insbesondere die der Bevölkerung von Zähringen (Stadtspaziergänge mit unterschiedlichen Nutzungsgruppen). Zur Unterstützung bei der Umsetzung wurde eine Moderatorin (externes Fachbüro) hinzugezogen (vgl. Krause, 2006). Bild 5: Prozessorganisation und Beteiligung (Beispiel: Stadtbahnverlängerung Zähringen)
5 Instrumente und Einsatzmöglichkeiten
Bei der Konzeption des Beteiligungsprozesses ist es wichtig, für die unterschiedlichen Problemstellungen und in Abhängigkeit vom Planungsprozess geeignete Instrumente einzusetzen.
Nachstehend wird ein Überblick über die einzelnen Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung gegeben, wobei nach der Intensität der Beteiligung, das heißt informieren, beteiligen, kooperieren unterschieden wird (vgl. Bischoff, Selle, Sinning, 2007). Die Klassifikation ist als Orientierungshilfe zu verstehen, sie ist nicht eindeutig oder trennscharf. In der praktischen Anwendung hängen die einzelnen Formen und Methoden eng zusammen. Viele werden parallel oder aufeinander aufbauend eingesetzt (z. B. Bürgerversammlung oder Auftaktveranstaltung, Bildung von Arbeitsgruppe(n), Ortsbegehungen). Auch können einzelne Beteiligungsaktivitäten der Beginn für weiteres Engagement sein. Im Bild 6 sind die möglichen Beteiligungsintensitäten und deren Kommunikationsrichtungen dargestellt. Bild 6: Beteiligungs- und Kooperationsformen nach Beteiligungsintensität (Quelle: FGSV, 2012)
5.1 Erkunden von Interessen
Bei Formen und Verfahren zum Erkunden von Interessen, Meinungen und Sachverhalten geht es darum, die Einstellungen, das Wissen und das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger zu ergründen. Sie liefern zu Beginn einer Planung wichtige Beiträge zur Bestandsanalyse, zur Problemfindung und -bewertung und können zudem erste Hinweise auf Lösungs- und Kooperationsmöglichkeiten geben. Häufig genannte Formen und Verfahren sind Haushaltsbefragungen, Interviews und weitere qualitative Erhebungsverfahren wie Gruppendiskussionen, aber auch Formen des Beschwerdemanagements. Im Bild 7 wird als Beispiel die Methode Beschwerdemanagement vorgestellt. Bild 7: Methode Beschwerdemanagement
5.2 Informieren, Meinungsbeziehung fördern
Bei der Kategorie Informieren geht die Initiative von den Planungsträgern aus. Ziel ist es, über die anstehenden Planungen zu informieren. Die Ergebnisse liefern zu Beginn eines Planungsverfahrens erste Beiträge zu Problembenennungen und können erste Hinweise zu Kooperationsmöglichkeiten ergeben. Eine Variante in dieser Kategorie ist es, Meinungsbildung zu fördern. Dies kann auf zwei unterschiedlichen Kommunikationswegen geschehen. Zum einen durch einseitige Information durch die Planenden wie im Falle von Postwurfsendungen oder Rundfunkbeiträgen. Hier sind die Betroffenen die Adressaten, ohne zunächst antworten zu können. Zum anderen gibt es Informationsweitergaben mit der Möglichkeit, dass die Empfänger direkt reagieren können. Beispiele hierfür sind Bürgerfragestunden oder Ortsbegehungen (z. B. Methode „Stadtspaziergang“). Bei Veranstaltungen werden Informationen ausgetauscht (dialogischer Kommunikationsweg). Die Bürgerinnen und Bürger können sich informieren, aber ebenso eigene Vorschläge und Stellungnahmen einbringen. Im Bild 8 wird als Beispiel die Methode Stadtspaziergang vorgestellt. Bild 8: Methode Stadtspaziergang
5.3 Mitwirken und Beteiligen
Die Kategorie Mitwirken oder Beteiligen ermöglicht eine aktive Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger an Planungs- und Entwicklungsprozessen. Der Dialogprozess erfolgt hier wechselseitig, das heißt die Initiative kann von beiden Seiten ausgehen (Bild 6). Ziel der Planenden ist es, zur Teilnahme zu aktivieren, bzw. Ziel der Planungsbetroffenen ist es, an dem Planungsprozess mitzuwirken.
Unterschieden werden formelle und informelle Verfahren. Formelle Verfahren sind in Durchführung und Anwendung gesetzlich definiert und damit administrativ verankert (z. B. Anhörung oder Öffentliche Auslegung). Die informellen Verfahren hingegen sind nicht gesetzlich reguliert und in ihrer Ausgestaltung offen und frei (z. B. Zukunftswerkstatt, Beiräte, Planungszelle).
Im Bild 9 wird das Verfahren des projektbegleitenden Beirates vorgestellt, dass bei der Erarbeitung von Verkehrsentwicklungsplänen oder Radverkehrskonzepten mittlerweile bereits zum Standard gezählt werden kann. Bild 9: Projektbegleitender Beirat
5.4 Kooperieren
Bei kooperativen Verfahren ist die klare Aufgabenteilung aufgehoben. Die Verfahren zeichnen sich durch ein gemeinsames Gestalten des Prozesses durch Planende und Planungsbetroffene aus. Kooperieren ist also ein Planungs- und Aushandlungsprozess zur Vorbereitung von Entscheidungen zwischen öffentlichen und privaten Akteuren. Der Personenkreis ist dabei klar abgegrenzt und weitestgehend überschaubar.
Die Verfahren und Methoden sind darauf ausgerichtet, die Entscheidungsfindung, den Interessenausgleich und die Konfliktregelung als kooperativen Prozess zu gestalten. „Sie sind kommunikativ (dialogisch) in dem Sinne, dass ein Diskurs unter den Betroffenen/Beteiligten herbeigeführt wird, der – neben kompetenter Problemerfassung und Problemlösung – jedem potenziell Betroffenen und jedem Bürger oder jeder Bürgerin zumindest theoretisch die gleiche Chance einräumt, eigene Erfahrungen, Einschätzungen, Werte und Interessen in den Entscheidungsprozess einzubringen. Sie sind kooperativ (konsensorientiert), da die Funktion dieser Vorgehensweise auf Problembewältigung durch Interessenberücksichtigung- bzw. -management und Sachverstandspartizipation gerichtet ist mit dem Ziel, mehrheitsfähige Entscheidungen zu ermöglichen, das heißt bei nicht erreichbarem Konsens auch Klarheit über den Dissens herzustellen“ (FGSV, 2012, S. 24).
Im Bild 10 wird der „Runde Tisch“ vorgestellt, ein kooperatives Verfahren mit dem Ziel, möglichst konsensorientiert eine Lösung in einem Konflikt zu finden. Bild 10: Runder Tisch
5.5 Neue Methoden
Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Methoden, die in Beteiligungsverfahren zwar angewandt werden, zu denen jedoch bisher lediglich geringe bis keine Erfahrungen in der Verkehrsplanung vorliegen. Beispiele sind Open-Space-Verfahren (Großgruppenverfahren; Diskussion von Themen in spontan gebildeten Untergruppen zu vorgegebenem Rahmenthema), Planning for Real (Bürgerinnen und Bürger erarbeiten Planungsvorschläge in Form von Modellen)I oder das World Cafe (vgl. ausführlicher FGSV, 2012, S. 58ff.). Nachstehend wird das Verfahren World Cafe vorgestellt. Bild 11: World Café
6 Beteiligungsverfahren erfolgreich gestalten: Empfehlungen in Kürze
Partizipation und Beteiligung sind grundlegende, unverzichtbare Bausteine von politischem Handeln und Verwaltungshandeln sowie demokratisch legitimierter Planungs- und Entscheidungsprozesse.
Bei der Organisation des Planungsprozesses kommt somit dem Beteiligungskonzept eine hohe Bedeutung zu. Ein generell anwendbares Konzept für die Organisation von Partizipation und Beteiligung gibt es jedoch nicht, das projektbezogene Beteiligungskonzept mit unterschiedlichen bürgerschaftlichen Beteiligungsverfahren hängt stark von der ortspezifischen Ausgangssituation und Problematik ab.
Festzuhalten bleibt, dass selbst „gut gemachte“ Beteiligung keine Gewähr für umfassende Akzeptanz- und Konsensbildung bietet und damit letztlich keine absolute Sicherheit im Hinblick auf die Entscheidbarkeit und Umsetzbarkeit von verkehrsplanerischen Vorhaben. Nachstehend werden stichpunktartig wichtige Punkte genannt, die es gilt, bei Partizipation und Beteiligung zu beachten, quasi als „Empfehlungen in Kürze“:
1. Professionell agieren
Wichtig sind die Organisation des Prozesses und der Einsatz geeigneter Methoden (sorgfältiges Prozessdesign). Dazu gehört auch das Einbinden möglichst aller Akteure. Wer nur auf die Kritiker schaut bzw. diese ausgrenzt, macht sie unnötig stark. Das heißt:
– Das Verfahren muss von allen Akteuren (Politik, Verwaltung, Interessenvertretungen/Bürgerinnen und Bürger) akzeptiert werden,
– Terminiertes Ende,
– Festlegen der Kompetenzen,
– Verständliche und offene Kommunikation,
– Methoden und Instrumente dem Verlauf des Prozesses anpassen,
– Das Ergebnis (Konsens) muss „transportiert“ werden,
– Einbinden der Medien,
– Eine externe Moderation ist hilfreich.
2. Offenlegen, was „verhandelbar“ ist
Für den Beteiligungsprozess ist es wichtig, die entsprechende Legitimität zu schaffen, die Ziele zu klären und darzulegen, was „verhandelbar“ ist. Hilfreich dafür ist ein entsprechender Beschluss der entscheidungslegitimierten Gremien. Das heißt:
– Wichtig ist, dass Klarheit herrscht, zu welchem Thema im Rahmen der Beteiligung Stellung genommen werden kann (wenn z. B. die politische Entscheidung vorliegt, eine Straßenbahn zu bauen und die Trasse festliegt, ist das ein klarer Rahmen).
– Es kann nicht jedes Thema von Grund auf und Beginn an partizipativ geklärt werden.
– Wesentlich ist die Feststellung, dass keine Planung positiv für alle Beteiligten und vor allem für die Betroffenen ist, dass ein umfassender Konsens meist nicht zu erreichen ist, das heißt es gibt immer „Gewinner“ und „Verlierer“ (man kann es unmöglich allen recht machen, aber man kann es allen erklären).
3. Aktives Partizipationsmanagement in der kommunalen Verwaltung
Die kommunale Verwaltung, verstanden als öffentliche Dienstleisterin, ist gefordert, ein aktives Partizipationsmanagement zu betreiben, um den Prozess zu beherrschen. Wesentlich sind dabei die positive innere Einstellung zur Partizipation und Beteiligung sowie die Einbindung möglichst aller Akteure. Das heißt:
– Notwendig ist eine verwaltungsinterne ämterübergreifende Koordination und Zusammenarbeit, wobei ähnliche Instrumente und Vorgehensweisen zur Anwendung kommen können (interdisziplinäre Zusammenarbeit heißt nicht nacheinander arbeiten, sondern miteinander).
– Die bloße Moderationsfunktion ohne Wahrnehmung der Sozialen Ausgleichsfunktion, ohne „Letztentscheidung“ mit Übernahme der Verantwortung gegenüber der Bürgerschaft ist nicht zielführend und schwächt das kommunalpolitische System.
– Die Ernsthaftigkeit der Öffentlichkeitsbeteiligung muss klar erkennbar sein und die Einsicht, dass ein Mehr an Beteiligung die Gestaltungsmöglichkeiten nicht verringert, sondern erhöht.
7 Literaturverzeichnis
B i s c h o f f, Ariane; S e l l e, Klaus; S i n n i n g, Heidi (2007): Informieren, Beteiligen, Kooperieren. Kommunikation in Planungsprozessen ; eine Übersicht zu Formen, Verfahren und Methoden. Vollständig überarbeitetes u. ergänztes Neuauflage, unveränderter Nachdruck Dortmund: Dortmunder Vertrieb für Bau- und Planungsliteratur (Kommunikation im Planungsprozess, 1)
BMVBS (Hg.) (2012): Planung von Großvorhaben im Verkehrssektor – Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung, Entwurfsfassung, Berlin. Online verfügbar unter http://www.bmvbs.de/cae/servlet/contentblob/81212/publicationFile/54326/handbuch-buergerbeteiligung.pdf, (zuletzt geprüft am 20. 1. 2013)
Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV): Hinweise zur Integration der Belange von Kindern in die Verkehrsplanung. Köln 2010, FGSV 152
Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV): Hinweise zur Beteiligung und Kooperation in der Verkehrsplanung. Köln 2012, FGSV 161
K e m m i n g, Herbert; S t i e w e, Mechtild; et al (2007): Nachhaltige Verkehrspolitik – Akteure und Prozesse. Ein Leitfaden. 1. Aufl. Dortmund: ILS NRW (ILS NRW, 206)
K r a u s e, Juliane: Gender Mainstreaming – Schlagwort oder Beitrag zur Qualitätssicherung in der Verkehrsplanung? In: Straßenverkehrstechnik 12/2006, S. 719–726
K r a u s e, Juliane: Empfehlungen für bürgerschaftliche Beteiligungsverfahren der Stadtverwaltung Freiburg, Freiburg 2008. Online verfügbar unter http://www.freiburg.de/gm, (zuletzt geprüft am 20. 1. 2013)
L e y, Astrid; W e i t z, Ludwig (2009): Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch. 3. Aufl. Bonn: Stiftung Mitarbeit [u.a.] (Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinitiativen, 30)
S c h ä f e r, Karl-Heinz (2009): Öffentlichkeitsarbeit in der Verkehrsplanung. Nr. 3.4.18. In: Bracher, Tilman; Holzapfel, Helmut; Kiepe, Folkert; Lehmbrock, Michael; Reutter, Ulrike; Haag, M. (Hg.): Handbuch der kommunalen Verkehrsplanung. Stand: Dezember 2011: Wichmann, H.
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin: Handbuch zur Partizipation (2011). Berlin: Kulturbuch. Online verfügbar unter http://www.stadtentwicklung.berlin.de/soziale_stadt/partizipation/download/Handbuch_Partizipation.pdf, (zuletzt geprüft am 20.01.2013) |