FGSV-Nr. FGSV M 12
Ort Aschaffenburg
Datum 22.11.2017
Titel Einsatz von industriellen Nebenprodukten und Recycling-Baustoffen – Anspruch und Wirklichkeit
Autoren Dr.-Ing. Thomas Merkel
Kategorien Gesteine, Mineralstoffe
Einleitung

Der Wohlstand des Wirtschaftsstandorts Deutschland resultiert nicht zuletzt aus seiner starken industriellen Basis. Dabei ist es in Deutschland immer wieder gelungen, ökologische, ökonomische und soziale Aspekte ins Gleichgewicht zu bringen. In diesem Zusammenhang steht auch das Bauwesen und ­ angesichts der im Straßenbau bewegten Stoffströme ­ insbesondere der Straßenbau vor großen und komplexen Herausforderungen. Allerdings erfordert die Beantwortung der drängenden Fragen im Themenkomplex von Umweltschutz und Nachhaltigkeit einen integrierten Ansatz, welcher die Überbetonung einzelner Aspekte ausschließen muss: Durch überzogene Anforderungen im Boden- und Gewässerschutz ohne eine ganzheitliche Bilanzierung der Auswirkungen auf alle Ressourcen würde die Kreislaufwirtschaft massiv beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, die in Deutschland verfügbaren industriellen Nebenprodukte und RC-Baustoffe möglichst vollständig und dabei so hochwertig wie möglich zu verwenden. Die dadurch mögliche Substitution natürlicher Gesteinskörnungen und Baustoffgemische dient als Instrument zur Förderung des Umweltschutzes und der Ressourcenschonung. Trotzdem sind in der alltäglichen Vergabepraxis noch immer Ressentiments zu finden, die unterschiedliche Gründe haben. Umweltschutzbezogene vergaberechtliche Vorschriften ändern daran nichts: Das Vergaberecht begründet für die öffentlichen Auftraggeber keine verbindlichen Pflichten. Insbesondere werden keine Rechte oder Ansprüche von Bietern begründet. Dadurch weist die abfall- und vergaberechtliche Rechtslage eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf. Damit stellt sich letztlich die Frage, wie diese Situation verbessert werden kann, um die politischen Aussagen auch in die Vergabepraxis umzusetzen. Da die Forderung nach vermehrtem Einsatz alternativer Baustoffe im Abfallrecht bereits verankert ist, bleibt wahrscheinlich nur eine Modifizierung des Vergaberechts, um den Ressourcenschutz zu optimieren.

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1 Einleitung

In der politischen und gesellschaftlichen Diskussion stehen derzeit insbesondere Fragen rund um das Thema Migration im Vordergrund. Dadurch sind in der öffentlichen Wahrnehmung andere wichtige Themen wie Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz ein wenig zurückgedrängt worden. Gleichwohl wurden sie im Laufe der vergangenen Jahre stetig weiterentwickelt (Bund 2002, 2012, BMUB 2012, 2016). In diesem Zusammenhang steht auch das Bauwesen und ­ angesichts der im Straßenbau bewegten Stoffströme ­ insbesondere der Straßenbau vor großen und komplexen Herausforderungen.

Bei jeder Baumaßnahme muss das unausweichliche Eingreifen in die Umwelt beurteilt und bewertet werden. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die Auswahl und Verwendung der Baustoffe. Gewinnungsstätten mineralischer Baustoffe werden aufgrund der offensichtlichen Eingriffe in die Landschaft in der Bevölkerung oft kritisch gesehen. Gleichzeitig kommt es u. a. durch umweltpolitische Vorgaben zu einer Verknappung von Deponieraum.

Insofern ist es naheliegend, alternative Baustoffe einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. Hier bieten sich u. a. Baustoffe aus industrieller Produktion an, die in Deutschland mit seiner starken wirtschaftlichen Basis in erheblicher Menge zur Verfügung stehen. Außerdem ist Bautätigkeit heute in aller Regel mit Abbruch, Rückbau oder Umbau bestehender Bauwerke verbunden. Der dabei entstehende Bauschutt kann zu rezyklierten Baustoffen aufbereitet werden. Die dadurch mögliche Substitution natürlicher Gesteinskörnungen und Baustoffgemische dient also als Instrument zur Förderung des Umweltschutzes und der Ressourcenschonung.

Selbstverständlich müssen die einzusetzenden Baustoffe für den jeweiligen Anwendungszweck geeignet sein. Dies umfasst neben der bautechnischen Eignung auch umwelttechnische Aspekte in Bezug auf den Schutz von Boden und Grundwasser. Beide ­ bautechnische und umwelttechnische Eignung ­ stehen gleichberechtigt nebeneinander; beide sind zwingend erforderlich.

In der Praxis der Ausschreibung von Straßenbauleistungen ist jedoch immer wieder festzustellen, dass ausschließlich natürliche Gesteine nachgefragt werden, industrielle Nebenprodukte und RC-Baustoffe hingegen ausgeschlossen werden (Bild 1) ­ auch dort, wo diese Baustoffe grundsätzlich geeignet sind.

Bild 1: Beispiel für die Ausschreibung einer Frostschutzschicht unter Ausschluss von industriellen Nebenprodukten und RC-Baustoffen

Dabei tragen gerade auch die öffentlichen Auftraggeber durch ihre Vorbildfunktion eine erhebliche Verantwortung im Hinblick auf die Umsetzung der Ziele der Ressourcenschonung und der Förderung der Kreislaufwirtschaft. Insofern ist es von großer Bedeutung, alle Optionen für eine vermehrte Berücksichtigung alternativer Baustoffe zu prüfen.

2 Herkunft von industriellen Nebenprodukten und RC-Baustoffen, Mengen und Verfügbarkeit

Die Nutzung von Nebenprodukten aus industriellen Prozessen sowie von (aufbereitetem) Bauschutt für die Herstellung neuer Bauwerke ist wohl fast so alt wie die Bautechnik selbst. An vielen historischen Gebäuden kann man heute noch unschwer erkennen, wo Bauteile aus Vorgängerbauten oder auch beispielsweise Schlackensteine o. Ä. verwendet wurden.

Im Wesentlichen werden folgende Baustoffe unterschieden:

–­ Aus der Erzeugung von Metallen

· Eisenhüttenschlacken (Hochofen- und Stahlwerksschlacken)

· Metallhüttenschlacken · Gießereireststoffe ­

– Aus der Energieerzeugung

· Schmelzkammergranulat

· Kesselasche

· Steinkohlenflugasche

· Braunkohlenflugasche

· REA-Gips ­ Aus der Verbrennung von Siedlungsabfällen

· Hausmüllverbrennungsasche

–­ Aus der Aufbereitung von Bauschutt

· RC-Baustoffe.

Praktisch keine Bedeutung mehr hat das Nebengestein der Steinkohle. Zum einen ist die Steinkohleförderung stark zurückgegangen, und das Ende des Abbaus in Deutschland steht unmittelbar bevor. Zudem werden die derzeit noch anfallenden Mengen für bergbaueigene Zwecke eingesetzt und daher nicht mehr vermarktet.

Heute ist die Menge aufbereiteten Bauschutts größer als die Gesamtmenge der industriellen Nebenprodukte. Dies ist neben der Zunahme des Recyclings zurückgewonnener Baustoffe auch auf Veränderungen bei den industriellen Prozessen zurückzuführen: Maßnahmen zur Verbesserung der Energie- und Ressourceneffizienz haben, bezogen auf das jeweilige Hauptprodukt, zu einem deutlichen Rückgang der Nebenprodukterzeugung geführt.

Insgesamt werden in Deutschland jährlich etwa 200 Mio. t an mineralischen Bauabfällen erzeugt (BBS 2017) (Bild 2), gleichzeitig werden fast 50 Mio. t an industriellen Nebenprodukten gewonnen (Merkel 2017, BBS 2016, Briese 2014). Für die Darstellung im Bild 3 wurde versucht, einen Ausgleich zwischen Daten unterschiedlicher Jahrgänge zu finden, da der Erhebungsstand unterschiedlich ist.

Diese Gesamtmenge an mineralischen Bauabfällen, Reststoffen und Nebenprodukten bildet auf den ersten Blick ein riesiges Reservoir, das zur Substitution natürlicher Gesteinsrohstoffe herangezogen werden kann. Dennoch wurde im Rahmen einer aktuellen Studie (BBS 2016) bis zum Jahr 2035 lediglich eine relativ konstante Substitutionsquote von ca. 15 % (über sämtliche Einsatzbereiche von mineralischen Rohstoffen) prognostiziert.

Für zwei gesamtwirtschaftliche Szenarien (durchschnittlicher Anstieg des Bruttoinlandsprodukts 0,8 % bzw. 1,7 %) wurde die Entwicklung der Rohstoffnachfrage getrennt nach Primär- und Sekundärrohstoffen abgeleitet und zueinander ins Verhältnis gesetzt (Bild 4). Die gesamtwirtschaftlichen Szenarien berücksichtigen Aspekte wie den demographischen Wandel, der sich u. a. im Wohnungsbau niederschlägt, voraussichtliche Entwicklungen bei der Infrastruktur sowie die absehbaren Veränderungen bei der Energieerzeugung.

Bild 2: Statistisch erfasste Mengen mineralischer Bauabfälle 2014 (BBS 2017)

Bild 3: Herkunft und statistisch erfasste Mengen industrieller Nebenprodukte und Reststoffe

Bild 4: Prognose der Rohstoffgewinnung und der Substitutionsquote bis 2035 (BBS 2016)

Weiter wurde berücksichtigt, dass die Eigenschaften der betrachteten mineralischen Stoffe oft zu einer Fokussierung auf bestimmte Nutzungswege führen ­ entweder, weil hier die Wertschöpfung am höchsten ist, oder aber auch, weil wirtschaftliche, bau- oder umwelttechnische Gründe andere Optionen verschließen.

Insofern wird insbesondere ein Anteil von etwa 75 % der Fraktion Boden und Steine in übertägigen Abgrabungen verwertet (BBS 2017). Damit nimmt die Verfüllung von Abgrabungen absolut den größten Teil der anfallenden Stoffe auf. Der danach zweitgrößte Absatzbereich ist sicher der Straßenbau (inkl. Wege- und Erdbau), wo jährlich etwa 65 Mio. t vermarktet werden. Gemessen am Gesamtbedarf des Straßenbaus an Gesteinsbaustoffen entspricht dies insgesamt etwa 22 %, wie eine Übersicht zur aktuellen Bedarfsdeckung zeigt (Bild 5, Basis: (BBS 2016)).

Bild 5: Deckung des jährlichen Bedarfs an Gesteinskörnungen für den Straßenbau

3 Ausschreibung und Vergabe von Bauleistungen

Der Einsatz von industriellen Nebenprodukten und RC-Baustoffen bei der Erbringung von Bauleistungen entspricht den Zielen der Kreislaufwirtschaft und Abfallbewirtschaftung, da er die Gesamtauswirkungen der Ressourcennutzung reduziert und die Effizienz der Ressourcennutzung verbessert. Dies wird schon in der Abfall-Rahmenrichtlinie (EP 2008) vorgegeben und ist zugleich als Maßnahme der Kreislaufwirtschaft zur Schonung der natürlichen Ressourcen anzusehen, wie dies auf Basis der europäischen Regelung auch das deutsche Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG 2012) fordert.

Auch in den Abfallgesetzen der Bundesländer wird entsprechend die Schonung natürlicher Ressourcen gefordert und dies teilweise auch noch durch Erlasse unterfüttert. Beispielsweise heißt es in einem Erlass des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums (MUNLV 2005):

,,Vor diesem Hintergrund weise ich im Einvernehmen mit dem Ministerium für Bauen und Verkehr, dem Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie sowie dem Finanzministerium darauf hin, dass Ausschreibungen der öffentlichen Hand, in denen nur Primärrohstoffe ausgeschrieben werden, obwohl aus mineralischen Abfällen hergestellte Baustoffe verwendbar wären, gegen diese gesetzlichen Vorgaben verstoßen."

Ähnliche Formulierungen finden sich in praktisch allen Bundesländern. Offensichtlich ist also der politische Wille, den Einsatz von industriellen Nebenprodukten und RC-Baustoffen zu fördern, durchaus vorhanden. Trotzdem sind in der alltäglichen Vergabepraxis noch immer Ressentiments zu finden. Teils beruhen sie auf schlechte Erfahrungen oder Berichten/Gerüchten über solche schlechten Erfahrungen, teils beruhen sie auf mangelnder Kenntnis und sicher auch auf formalen Überlegungen: Durch die Ausschreibung ,,klassischer" natürlicher Baustoffe würden weniger Fehler begangen, und damit könnte die Anzahl von Nachprüfungsverfahren minimiert werden.

Umweltschutzbezogene vergaberechtliche Vorschriften ändern daran nichts: Ausschreibung und Vergabe von Bauleistungen sind in Teil A der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (DVA 2016) geregelt, die für öffentliche Auftraggeber verbindlich sind. Diese VOB/A ermöglicht es den öffentlichen Auftraggebern zwar, den Einsatz mineralischer Ersatzbaustoffe bei der Vergabe von Bauleistungen zuzulassen und auch gezielt zu fördern. In einem Leitfaden des Brandenburgischen Umweltministeriums (MLUL 2017) wird sogar in einem Beispiel dargestellt, wie eine Bewertungsmatrix unter Einbeziehung von Kriterien zur Ressourceneffizienz gestaltet werden kann. Das Vergaberecht begründet für die öffentlichen Auftraggeber jedoch keine verbindlichen Pflichten. Insbesondere Rechte oder Ansprüche von Bietern werden nicht begründet.

Damit weist die abfall- und vergaberechtliche Rechtslage eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf: Einerseits ist der gesamte einschlägige abfall- und vergaberechtliche Rechtsrahmen sowie die politische Programmatik auf die Förderung des Einsatzes von mineralischen Ersatzbaustoffen bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge ausgerichtet. Andererseits sind die einschlägigen abfall- und vergaberechtlichen Vorschriften in der Praxis kaum durchsetzbar.

Damit stellt sich letztlich die Frage, wie diese unbefriedigende Situation verbessert werden kann, um die politischen Aussagen auch in die Vergabepraxis umzusetzen. Es gibt hierzu inzwischen verschiedene Ansätze: ­

– Als eine Möglichkeit wird die Schaffung weiterer Anreize gesehen. So wird beispielsweise immer wieder eine Primärbaustoffsteuer ins Gespräch gebracht (z. B. Ökoinstitut 2016). Betrachtet man jedoch die aktuelle Nutzungssituation alternativer Baustoffe, erkennt man, dass beispielsweise ca. 90 % des anfallenden Bauschutts (BBS 2017) oder der Eisenhüttenschlacken (Merkel 2017) aufbereitet und einer Nutzung zugeführt werden. Eine gewisse Steigerung der im Bild 5 dargestellten Verteilung wäre sicher möglich, erhebliche Änderungen sind realistisch nicht zu erwarten. Insofern könnte eine Primärbaustoffsteuer keine Lenkungswirkung entfalten, sondern würde in erster Linie das Bauen verteuern. ­

– Erfolgversprechender wäre wahrscheinlich eine Modifikation des Rechtsrahmens, um die o. g. politischen Forderungen nach weiter vermehrtem und insbesondere möglichst hochwertigem Einsatz stringenter durchsetzen zu können. Da die Forderung danach im Abfallrecht bereits verankert ist, bleibt wahrscheinlich nur eine Optimierung des Vergaberechts, um den Ressourcenschutz zu verbessern.

Wenn man nun eine Modifikation des Rechtsrahmens plant, ist zunächst wichtig, dass die neuen Regelungen sowohl für Abfälle als auch für Nicht-Abfälle gelten, und zwar hinsichtlich der Nicht-Abfälle sowohl für Nebenprodukte (die per Definition niemals Abfall waren) als auch für Stoffe, die nach Durchlaufen eines Aufbereitungsprozesses die Abfalleigenschaft wieder verloren haben. Nur eine Einbeziehung aller fraglichen Stoffe kann hier zu einer sinnvollen Lösung führen.

Als weitere wichtige Frage ist als nächstes zu klären, ob die optimierten Regelungen zu einer verbesserten Zulassung der fraglichen Baustoffe führen sollen, oder zu einer Bevorzugung ­ und, im Falle einer Bevorzugung, wie weit diese ausgestaltet werden soll.

Hierzu kann sicher festgehalten werden, dass eine Bevorzugung grundsätzlich gar keine neue Rechtslage schafft ­ die Bevorzugung ist (immer unter Berücksichtigung entsprechender Randbedingungen) bereits jetzt Bestandteil von EU-, Bundes- und Länderrecht. Es würde also nicht eine neue Pflicht o. ä. geschaffen, lediglich die Verbindlichkeit müsste gesteigert werden. Letztlich müssten einklagbare Rechtsansprüche Dritter (insbesondere von Bietern) geschaffen werden, die in einer Vergabesituation dann auch durchgesetzt werden könnten.

Gleichzeitig müsste allerdings darauf geachtet werden, dass die Bevorzugung mit Augenmaß gestaltet wird. Eine absolute Bevorzugung würde wie die o. g. Primärbaustoffsteuer zu einer Verteuerung des Bauens führen, da die zuletzt verfügbaren Mengen sicher zu überhöhten Preisen abgesetzt würden. Vielmehr müsste eine Bevorzugung in ,,sachlich gerechtfertigtem Umfang" festgeschrieben werden; jede nicht angemessene Bevorzugung muss vermieden werden.

Die Bevorzugung müsste sich auf die Zuschlagskriterien und die damit verknüpften Gewichtungen beziehen. Der öffentliche Auftraggeber müsste also ein Wertungssystem entwickeln, nach dem ein Angebot mit alternativen Baustoffen gegenüber einem Angebot ohne diese Baustoffe einen Vorteil hat. Das bedeutet jedoch nicht, dass allein aufgrund dieser Bevorteilung in jedem Fall ein Angebot mit industriellen Nebenprodukten oder RC-Baustoffen den Zuschlag erhält. Der Zuschlag hängt letztlich davon ab, welches Angebot bei Wertung aller gewichteten Zuschlagskriterien (also z. B. Preis, Umweltschutz (Baustoff), ggf. weitere Kriterien) insgesamt am besten zu bewerten ist. Das bedeutet, dass selbstverständlich ein Angebot ohne alternative Baustoffe den Zuschlag erhalten kann und auch muss, wenn es in der Gesamtschau das am besten bewertete Angebot ist.

Und letztlich müssen selbstverständlich sämtliche bautechnischen Anforderungen und umweltbezogenen Vorgaben erfüllt werden ­ weder einen technischen Bonus, der zu kürzerer Lebensdauer und damit zu vermehrtem Unterhaltungs- und Instandsetzungsaufwand führt, darf es geben, noch eine nicht vertretbare Belastung von Boden und Grundwasser.

4 Zusammenfassung und Ausblick

Bei jeder Baumaßnahme muss das unausweichliche Eingreifen in die Umwelt beurteilt und bewertet werden. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die Auswahl und Verwendung der Baustoffe. Insofern ist es naheliegend, alternative Baustoffe einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. Hier bieten sich u. a. Baustoffe aus industrieller Produktion an, die in Deutschland mit seiner starken wirtschaftlichen Basis in erheblicher Menge zur Verfügung stehen. Außerdem ist Bautätigkeit heute in aller Regel mit Abbruch, Rückbau oder Umbau bestehender Bauwerke verbunden. Der dabei entstehende Bauschutt kann zu rezyklierten Baustoffen aufbereitet werden. Die dadurch mögliche Substitution natürlicher Gesteinskörnungen und Baustoffgemische dient also als Instrument zur Förderung des Umweltschutzes und der Ressourcenschonung.

Trotzdem sind in der alltäglichen Vergabepraxis noch immer Ressentiments zu finden. Teils beruhen sie auf schlechten Erfahrungen oder Berichten/Gerüchten über solche schlechten Erfahrungen, teils beruhen sie auf mangelnder Kenntnis und sicher auch auf formalen Überlegungen: Durch die Ausschreibung ,,klassischer" natürlicher Baustoffe würden weniger Fehler begangen und damit könnte die Anzahl von Nachprüfungsverfahren minimiert werden.

Umweltschutzbezogene vergaberechtliche Vorschriften ändern daran nichts: Das Vergaberecht begründet für die öffentlichen Auftraggeber keine verbindlichen Pflichten. Insbesondere werden keine Rechte oder Ansprüche von Bietern begründet. Damit weist die abfall- und vergaberechtliche Rechtslage eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf.

Damit stellt sich letztlich die Frage, wie diese unbefriedigende Situation verbessert werden kann, um die politischen Aussagen auch in der Vergabepraxis umzusetzen. Da die Forderung nach vermehrtem Einsatz alternativer Baustoffe im Abfallrecht bereits verankert ist, bleibt wahrscheinlich nur eine Modifizierung des Vergaberechts, um den Ressourcenschutz zu optimieren.

Eine solche Ergänzung des Vergaberechts könnte wie folgt aussehen (Heinemann 2017):

(1) Die öffentlichen Auftraggeber sind verpflichtet, bei Bauaufträgen Baumaterialien zuzulassen,

1. die als Nebenprodukte im Sinne des § 4 KrWG erzeugt worden sind oder

2. die aus Abfällen hergestellt worden sind unabhängig davon, ob die Baumaterialien noch als Abfall im Sinne des § 3 Absatz 1 KrWG anzusehen sind oder gemäß § 5 KrWG keine Abfälle mehr sind.

Die Pflicht nach Satz 1 kann der öffentliche Auftraggeber erfüllen, entweder indem er derartige Baumaterialien in den Vergabeunterlagen als Baumaterialien zulässt oder indem er Nebenangebote zulässt, die den Einsatz derartiger Baumaterialien vorsehen, wobei er dann die entsprechenden sachlich gerechtfertigten und verhältnismäßigen Mindestanforderungen festzulegen hat. Die Pflicht nach Satz 1 entfällt, wenn und soweit

1. es keine derartigen Baumaterialien gibt, die für die vorgesehenen Bauzwecke geeignet sind,

2. durch den Einsatz derartiger Baumaterialien unzumutbare Mehrkosten für den öffentlichen Auftraggeber entstünden oder

3. andere Rechtsvorschriften der Verwendung derartiger Baumaterialien entgegenstehen.

(2) Die öffentlichen Auftraggeber sind verpflichtet, die Zuschlagskriterien so festzulegen und deren Gewichtung so zu gestalten, dass die in Absatz 1 Satz 1 genannten Materialien im sachlich gerechtfertigten Umfang bevorzugt eingesetzt werden. Die Anforderungen gemäß § 127 Abs. 4 GWB sind einzuhalten.

(3) Die Pflichten nach Absatz 1 und Absatz 2 sind Bestimmungen über das Vergabeverfahren im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und über das zivilrechtliche Schuldverhältnis, das mit dem Beginn eines Vergabeverfahrens entsteht. Der Anspruch von Unternehmen auf Einhaltung dieser Pflichten richtet sich nach § 97 Absatz 7 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, im Übrigen nach den allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über vorvertragliche Schuldverhältnisse.

Literaturverzeichnis

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Bundesregierung (2002): Perspektiven für Deutschland ­ Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung, Berlin

Bundesregierung (2012): Nationale Nachhaltigkeitsstrategie ­ Fortschrittsbericht 2012, Berlin

Bundesverband Baustoffe ­ Steine und Erden (2017): Mineralische Bauabfälle Monitoring 2014 ­ Bericht zum Aufkommen und zum Verbleib mineralischer Bauabfälle im Jahr 2014, BBS, Berlin

Bundesverband Baustoffe ­ Steine und Erden (2016): Die Nachfrage nach Primär- und Sekundärrohstoffen der Steine- und-Erden-Industrie bis 2035 in Deutschland, BBS, Berlin

Deutscher Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (2016): Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen (VOB/A), DVA, Berlin

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Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz – KrWG) vom 24. Februar 2012, BGBl. I Nr. 10, S. 212-264, zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 9 des Gesetzes vom 20. Juli 2017, BGBl. I Nr. 52, S. 2808­2838

Heinemann & Partner Rechtsanwälte (2017): Stellungnahme zum Verbesserungsbedarf des abfall- und vergaberechtlichen Rechtsrahmens für den Einsatz mineralischer Ersatzbaustoffe bei öffentlichen Ausschreibungen über Bauleistungen, Essen, unveröffentlicht

M e r k e l, Th. (2017): Erzeugung und Nutzung von Eisenhüttenschlacken 2016, Report des FEhS ­ Instituts für Baustoff-Forschung, 24, 1, FEhS-Institut, Duisburg, 15

Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft des Landes Brandenburg (2017): Brandenburger Leitfaden ,,Ausschreibungen" ­ Steigerung der Ressourceneffizienz des Recyclings von mineralischen Bau- und Abbruchabfällen, MLUL, Potsdam

Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes NordrheinWestfalen (2005): Ausschreibungen von mineralischen Stoffen bei öffentlichen Baumaßnahmen ­ Erlass vom 6. September 2005, MUNLV, Düsseldorf

Öko-Institut (2017): Deutschland 2049 ­ Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Rohstoffwirtschaft, Eigenverlag, Darmstadt