FGSV-Nr. FGSV 002/96
Ort Stuttgart
Datum 16.03.2011
Titel Verfahrenstechnische Bedingungen für die Reisezeitbestimmung mittels Bluetooth-Technologie
Autoren Prof. Dr.-Ing. Robert Hoyer, Dipl.-Ing. Christian Leitzke
Kategorien HEUREKA
Einleitung

Die Reisezeit ist eine wichtige Kenngröße für zweckmäßige Routenwahlentscheidungen und für die Netzbeeinflussung. Diverse Verfahren zur infrastrukturseitigen Reisezeitmessung erfordern einen vergleichsweise hohen technologischen Aufwand und sind daher nicht sehr weit verbreitet. Die Reisezeitermittlung über die Wiedererkennung von Bluetooth-Signalen mitgeführter mobiler Endgeräte bietet hierzu eine kostengünstige Alternative. Da es sich um ein grundlegend neues Messverfahren im Straßenverkehr handelt, sind dessen Potenziale und Einsatzgrenzen von großem Interesse. Der Beitrag stellt die Ergebnisse eines Langzeitversuchs im Sekundärnetz und einer Untersuchung im Innerortsbereich vor.

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1 Ausgangslage und Motivation

Autofahrer haben an der zuverlässigen Bereitstellung tatsächlich zutreffender Reisezeiten ein besonders großes Interesse, da diese üblicherweise die maßgebliche Kenngröße für das Treffen einer fundierten Entscheidung bspw. zur Routenwahl ist. Insbesondere beim Vorliegen von unvorhersehbaren Störungen wird eine zuverlässige Datengrundlage zur Wahl einer zweckmäßigen Wegealternative benötigt. Auch neu errichtete Baustellen, zu deren Auswirkungen auf die persönliche Reisezeit noch keine Erfahrungen vorliegen, führen zu großen Unsicherheiten beim Treffen geeigneter Entscheidungen.

Die heute übliche Informationslage ist für eine belastbare Alternativroutenwahl eher wenig geeignet. Bisher müssen Autofahrer, von Ausnahmen abgesehen, mit Verkehrsinformationen wie „zähfließender Verkehr“ oder „Stau von xxx km“ oder ganz ohne rechtzeitige Hinweise auskommen. Insofern ist die Angabe von Reisezeiten bzw. Reisezeitverlusten auf einem Streckenabschnitt an sich bereits ein Qualitätssprung. Allerdings können Autofahrer im Störungsfall nur dann richtig entscheiden, wenn auch für die Wegealternativen die Reisezeiten bekannt sind.

Wegealternativen im Autobahnnetz ergeben sich oft nur unter Nutzung des nachgeordneten Straßennetzes. Im Gegensatz zur Autobahn sind hier kaum Einrichtungen für die Verkehrsdatenerfassung vorhanden. Das Aufrüsten mit konventionellen Erfassungssystemen wie Induktivschleifen oder Passiv-Infrarotdetektoren ermöglicht allein noch keine Bestimmung der Reisezeit. Die Nutzung von Floating Car Data scheitert derzeit noch an der geringen Ausstattungsrate, und sogenannte Floating Phone Data liegen in der Hand einzelner Mobilfunkbetreiber.

Ein probates Mittel zur direkten infrastrukturseitigen Messung der Reisezeit ist die konsekutive Erfassung von Kfz-Kennzeichen an aufeinanderfolgenden Querschnitten. Die erforderliche Technik scheint für eine flächendeckende Ausrüstung allerdings zu kostenintensiv. Auch die Positionierung und Ausrichtung der benötigten Videokameras ist nicht unkritisch und erfordert eine stabile Fixierung, bei mehrstreifigen Fahrbahnen möglichst über den Fahrstreifen. Außerdem gibt es hinsichtlich des Datenschutzes zumindest in Deutschland immer wieder Bedenken, weil Behörden über das Kennzeichen auf den Fahrzeughalter und den mutmaßlichen Fahrer schließen können.

Das Prinzip der Wiedererkennung von Fahrzeugen an aufeinanderfolgenden Querschnitten lässt sich nur anhand solcher Merkmale praktizieren, die im Beobachtungszeitraum nicht an mehreren Fahrzeugen gleichzeitig anzutreffen sind. Seit etwa einem Jahrzehnt finden sich derartige Merkmale auch in Form von Signaturen, die durch den drahtlosen Datenaustausch zwischen elektronischen Geräten entstehen. Bereits seit 2003 ist u. a. die Nutzung der Bluetooth-Technologie für die Ermittlung des Aufenthaltsortes und für die Nachverfolgung von Personen, auf deren Grundlage die im Beitrag behandelten Reisezeitmessungen beruhen, bekannt. In [1] wird bspw. eine Bluetooth-Anwendung zum Wiederfinden verlorengegangener Kinder im Zoo von Aalborg erwähnt. Eine ebenfalls bluetoothbasierte Lösung für das Problem der Ortung von Touristen zum Zweck der multimedialen Führung in einem Freilandmuseum beschreibt [4].

Nachdem sich die Existenz von mobilen Endgeräten mit „sichtbarer“ Bluetooth-Schnittstelle auch im fließenden Verkehr offenbarte, wurden Anwendungen zur Fahrzeugverfolgung im Straßenverkehr entwickelt. So erwähnt [2] die Detektion von Bluetooth-Geräten für Querschnittserhebungen zur Schätzung von Verkehrsstärken und zur Ermittlung von Verkehrsstromanteilen zwischen verschiedenen Messquerschnitten. Es wird eine Stichprobengröße von etwa 5% der Grundgesamtheit aller passierenden Fahrzeuge genannt.

Da es sich bei der Reisezeitmessung über die Verfolgung sichtbarer Bluetooth-Schnittstellen um ein vielversprechendes, aber auch grundlegend neues Messverfahren im Straßenverkehr handelt, sind dessen Potenziale und Einsatzgrenzen von großem Interesse. Hierzu wurden unter verschiedenen Bedingungen Feldversuche durchgeführt, deren Ergebnisse im Beitrag vorgestellt werden.

2 Technologie und Besonderheiten des Messverfahrens

Die Untersuchungen wurden mit verschiedenen experimentellen Geräteaufbauten durchgeführt, welche nach sichtbaren Bluetooth-Schnittstellen in der unmittelbaren Umgebung suchten und die Reisezeit anhand der Wiedererkennung der identifizierten MAC-Adressen an aufeinanderfolgenden Messpositionen ermittelten. Um insbesondere die Einsatzgrenzen des Messverfahrens nachvollziehen zu können, sollen zunächst einige wichtige Aspekte des Bluetooth-Kommunikationsprotokolls erörtert werden. Hierzu zeigt Abbildung 1 den Ablauf eines Verbindungsaufbaus zwischen zwei Bluetooth-Geräten, welche sich in folgenden Zuständen befinden können [3]:

- Standby: Das Gerät ist eingeschaltet, aber nicht mit einem Netzwerk verbunden.

- Inquiry: Das Gerät sucht nach anderen Bluetooth-Geräten, mit denen eine Verbindung aufgebaut werden kann. Der Wechsel vom Standby- in den Inquiry- Zustand nimmt ungefähr 2 Sekunden in Anspruch.

- Inquiry Scan: In diesem Zustand wartet der Empfänger eine bestimmte Zeit auf ID-Pakete mit passendem Zugriffscode.

- Inquiry Response: In diesen Zustand wird nach dem Entdecken eines Inquiry gewechselt. Um zu vermeiden, dass es bei gleichzeitiger Antwort mehrerer Geräte zu einer Kollision auf dem Kommunikationskanal kommt, geschieht der Zustandswechsel nach Ablauf einer für jedes Gerät zufälligen Zeit.

Nach dem Einschalten befindet sich ein Bluetooth-Gerät in Bereitschaft, also im Standby- Zustand. Es besteht noch keine Verbindung zu anderen Geräten, es muss also nach weiteren Geräten innerhalb der Funkreichweite gesucht werden. Dies geschieht durch Abhören des Datenverkehrs auf verschiedenen Frequenzen des 2,4-GHz-Bandes (Inquiry Scan). Jedes Gerät sendet in einem bestimmten Intervall Identifikationspakete mit einem sogenannten Inquiry Access Code, einem einheitlichen Zugriffscode für alle Bluetooth- Geräte. Informationen über den Sender werden mit diesen Paketen nicht übertragen. Der Empfänger verharrt im Inquiry-Scan-Zustand, in dem er eine bestimmte Zeit auf das ID- Paket wartet. Wird ein solches Paket empfangen, wird in den Unterzustand Inquiry- Response gewechselt. Nach Empfang eines weiteren ID-Paketes wird ein Frequency- Hopping-Sequence-Paket (FHS) mit den eigenen Informationen zurückgeschickt. Durch den Inquiry- und Inquiry-Response-Vorgang erhält das suchende Bluetooth-Gerät eine Liste von Geräteadressen, den sogenannten MAC-Adressen. Erst danach kann der eigentliche Verbindungsaufbau erfolgen, der für das Verfahren zur Ermittlung der Reisezeit keine Bedeutung hat und auf den daher verzichtet werden kann.

Für die zu erwartenden Einsatzgrenzen eines Verfahrens zur Messung der Reisezeit ist nun der Umstand essenziell, dass für das Finden anderer Bluetooth-Geräte in der Praxis mindestens 10 bis 15 Sekunden eingeplant werden müssen. Dies liegt im Wesentlichen darin begründet, dass die Bluetooth-Geräte in schneller Folge zwischen 79 Frequenzen wechseln (Frequency Hopping), und für das vollständige Abhören dieser Frequenzen, vereinfacht ausgedrückt, eben diese Zeit benötigt wird. Ein vorzeitiger Abbruch ist zwar möglich, kann aber zum Übersehen von Geräten auch in unmittelbarer Nähe führen. Aus diesem Zeitbedarf zum Beobachten der Umgebung resultiert in Verbindung mit der begrenzten Funkreichweite eine maßgebliche Einschränkung beim Erkennen von Bluetooth- Geräten in Bewegung.

Die erzielbare Funkreichweite ist von mehreren Faktoren abhängig. Zunächst bestimmt die Sendeleistung und die Empfängerempfindlichkeit die überbrückbare Entfernung. Die Bluetooth-Spezifikation unterscheidet drei Klassen zulässiger Sendeleistungen. Für die Reisezeitmessung relevant sind die Klasse 1 mit einer zulässigen abgestrahlten Sendeleistung von 100 mW EIRP (20 dBm) und die Klasse 2 mit 2,5 mW EIRP (4 dBm). Als maximal zu erwartende Reichweite werden 100 m bzw. 20 m angegeben, wobei um die Sichtachse die sogenannte Fresnel-Zone frei sein muss. In Fahrzeugen mitgeführte Geräte wie bspw. Mobiltelefone sind üblicherweise mit einer Bluetooth-Schnittstelle der Klasse 2 ausgestattet.

Bild 1: Ablauf des Verbindungsaufbaus bei der Bluetooth-Kommunikation [3]

Mit einer Verschlechterung der Reichweite bzw. der Erkennbarkeit der im Fahrzeug mitgeführten Geräte muss wegen der abschirmenden Wirkung von Wärmeschutzverglasungen gerechnet werden. Auch steht zu befürchten, dass die saisonale Änderung der Vegetation, hier dämpft deren Wassergehalt die Funkausbreitung im 2,4 GHz-Bereich, einen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Verfahrens hat. Mit höherer Verkehrsdichte steigt die Anzahl der vorbeifahrenden Geräte, aber insbesondere bei hohem Schwerverkehrsanteil sinkt bei ungünstiger Platzierung auch die Chance einer direkten Sichtverbindung von hinreichender Dauer zwischen der straßenseitig aufgestellten Messstation und den fahrzeugseitigen Geräten. Auch Störeinflüsse durch andere Funknetze im 2,4-GHz-Frequenzband wie etwa WLAN oder drahtlose, nicht digitale (analoge) Videoübertragungsstrecken können die Bluetooth-Kommunikation in Abhängigkeit von ihrer Entfernung, Sendeleistung und Kanalbelegung unterschiedlich stark beeinträchtigen. Störeinflüsse dieser Technologien sind insbesondere im bebauten Umfeld zu erwarten. All diese Unwägbarkeiten lassen eingehende empirische Untersuchungen ratsam erscheinen.

Ein augenscheinlicher Vorteil ist die gegenüber einer videobasierten Kennzeichenerfassung vergleichsweise freie Platzierbarkeit der Messeinrichtung. Hierbei ist jedoch der Zusammenhang zwischen dem seitlichen Abstand zur Fahrbahn und der verfügbaren Zeit zur Geräteerkennung, welche wie oben ausgeführt 10 bis 15 s nicht unterschreiten sollte, zu beachten (Abbildung 2). Hier wird deutlich, dass dies auch einen unmittelbaren Einfluss auf die maximale Geschwindigkeit hat, bis zu welcher vorbeifahrende Geräte vollständig erfasst werden können.

Bedingt durch die verfahrenstechnisch vorgegebene Zeit tD wird die Messeinrichtung bei höheren Geschwindigkeiten einen Teil der vorbeifahrenden Geräte übersehen. Es sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Gerät erfasst und dessen MAC-Adresse ermittelt werden kann. Rein rechnerisch würde bei einem Reichweitendurchmesser von 40 m (Klasse 2) und einer Erfassungszeit von 10 s eine Geschwindigkeit von 4 m/s (etwa 15 km/h) eine nahezu sichere Erkennung bedeuten. Da üblicherweise höhere Geschwindigkeiten gefahren werden, kann eine hundertprozentige Erfassung nicht vorausgesetzt werden. Welche Erkennungsraten unter Realbedingungen erzielbar sind, sollen empirische Untersuchungen zeigen.

Bild 2: Abhängigkeit der verfügbaren Zeit zur Geräteerkennung vom Standort der Erfassungseinrichtung

3 Feldversuche

3.1 Systemarchitektur und Gerätetechnik

Das Ziel der Feldversuche bestand darin, die theoretischen Überlegungen empirisch zu stützen und deren Relevanz im praktischen Betrieb zu untersuchen. Die hard- und softwaretechnischen Komponenten des Messsystems sind prinzipbedingt auf mehrere straßenseitige Standorte und eine Zentrale verteilt. Abbildung 3 zeigt hierzu die Systemarchitektur.

Die straßenseitigen Messeinrichtungen bestehen aus einem Bluetooth-Transceiver der Klasse 1 mit bis zu 100 m Funkreichweite und einem programmierbaren GSM/GPRS- Modem. Der Transceiver sucht die unmittelbare Umgebung in einem Messzyklus von etwa 15 Sekunden nach aktivierten und sichtbaren Bluetooth-Geräten ab. Die gefundenen MAC- Adressen werden irreversibel verschlüsselt und über eine GPRS-Mobilfunkverbindung an einen Datenbankserver übermittelt. Dort wird die Online-Reisezeitberechung anhand der Zeitstempel der eingegangenen Daten vorgenommen.

Bild 3: Systemarchitektur des verteilten Messsystems

Für die Erprobung verschiedener Standorte wurde die Messtechnik zunächst in einen Koffer mit einer Akkustromversorgung untergebracht. Für die sich anschließenden Langfristversuche wurde die Gerätetechnik in straßenseitige Schaltschränke eingestellt, wobei auf deren Netzstromversorgung zurückgegriffen werden konnte (vgl. Abbildung 4).

Über ein Online-Portal konnten sowohl die Rohdaten als auch aggregierte Kenngrößen wie die Erkennungs- und Wiedererkennungsraten der verschiedenen Standorte sowie die Reisezeiten auf den verschiedenen Streckenabschnitten unmittelbar nach ihrer Berechnung eingesehen werden. Automatisch generierte Diagramme wie in Abbildung 5 bis Abbildung 7 lieferten einen schnellen Überblick.

Bild 4: Unterbringung der Messeinrichtung in einem Schaltschrank

3.2 Bundesstraße B 3

Als Teststrecke für einen durch das Hessische Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen beauftragten Langzeitversuch wurde ein 9 km langer Abschnitt der Bundesstraße B 3 gewählt. Für die messtechnische Ausrüstung wurden drei Standorte ausgesucht. Ein erster Standort befand sich in einem LSA-Steuerschrank innerhalb einer geschlossenen Ortschaft, ein Zweiter auf der freien Strecke in einer Streckenstation der Verkehrszentrale Hessen und ein Dritter auf der freien Strecke vor einer Lichtsignalanlage. Die Standortauswahl richtete sich unter anderem nach der Verfügbarkeit einer geschützten Unterbringungsmöglichkeit mit Dauerstromversorgung und deren Entfernung von der Fahrbahn. Um auf externe und entsprechend aufwendig zu installierende Bluetooth-Antennen verzichten zu können, sollte die am Standort üblicherweise gefahrene Geschwindigkeit 80 km/h nicht überschreiten. Dieser Geschwindigkeitswert wurde durch eingehende Voruntersuchungen ermittelt.

Ein Maß für die Eignung der Bluetooth-Technologie ist die Zahl der in einem Zeitintervall gelieferten validen Reisezeitwerte. Da diese nur bei einer Wiedererkennung eines Fahrzeugs bzw. Bluetooth-Gerätes berechnet werden können, muss die Anzahl der Wiedererkennungen hinreichend groß sein. Voraussetzung für eine Wiedererkennung ist die erfolgreiche Geräteidentifikation an einem Messquerschnitt. Somit befasste sich der erste Schritt eines Eignungstests mit der Prüfung der Erkennbarkeit von Bluetooth-Signaturen im fließenden Verkehr. Die Anzahl der Geräteerkennungen in einem Messintervall bzw. die Erkennungsrate sollte hier bereits um einiges größer sein als die Zahl der später benötigten Reisezeitwerte. Dies ergibt sich einerseits aus dem Verfahrensprinzip und wird durch empirische Beobachtungen gestützt, dass an einem benachbarten Messquerschnitt selbst bei einem durchgehenden Streckenabschnitt ohne Abbiege- und Einbiegemöglichkeit nicht zwangsläufig alle Geräte wiedergefunden werden müssen. Andererseits muss wegen der fehlenden Information, ob ein Fahrzeug durchgehend ein Bestandteil des repräsentativen Verkehrsflusses war oder aus nicht verkehrsbedingten Gründen zwischendurch gehalten hat, auch mit unplausiblen Reisezeitwerten gerechnet werden. Zu deren zeitnaher Erkennung wird ein gewisser Überschuss an Reisezeitwerten benötigt. Welche Rate sich letztlich realisieren lässt, wird maßgeblich von der Verkehrsstärke und dem Ausstattungsgrad der Fahrzeuge bzw. der Verkehrsstruktur und somit indirekt von der verkehrlichen Bedeutung eines Streckenabschnitts bestimmt.

Abbildung 5 zeigt den Tagesgang der Erkennungsraten an den drei Standorten entlang der Versuchsstrecke. Doppelte Erfassungen, die sich bei geringen Geschwindigkeiten ergeben können, sind hier bereits nicht mehr enthalten. Deutlich ist eine Ähnlichkeit mit einer Verkehrsstärkeganglinie zu erkennen. In Spitzenstunden wurden bis zu 65 verschiedene Bluetooth-Geräte identifiziert. Die Erkennungsraten unterscheiden sich an den verschiedenen Standorten zum Teil deutlich. Um eine zunächst vermutete Fehlfunktion der Messeinrichtungen auszuschließen, wurden nochmals Testfahrten mit diversen Mobiltelefonen durchgeführt, deren aktivierte Bluetooth-Schnittstellen bei den Durchfahrten allerdings ohne Einbußen detektiert werden konnten. Somit ließen sich die unterschiedlichen Erkennungsraten entweder (1) mit der Existenz von Mobiltelefonen außerhalb des fließenden Verkehrs oder (2) mit dem Ausscheren von Fahrzeugen aus dem Verkehrsstrom erklären. Zumindest für den Standort 1 gab es für den ersten Punkt ein starkes Indiz: Die Messeinrichtung war hier in einem Steuerschrank einer Fußgängerlichtsignalanlage untergebracht, welche zu einer örtlichen Konzentration des Fußgängeraufkommens führte.

Entscheidend für die Zweckmäßigkeit der Standorte ist jedoch die Wiedererkennungsrate, deren Ganglinie beispielhaft für einen Tag in Abbildung 6 gezeigt wird. Hier wird deutlich, dass es durchaus Tageszeiten gibt, zu denen nur ein schwaches Angebot an Reisezeitmesswerten zu verzeichnen ist. Die auffällige Diskrepanz zwischen der Erkennungs- und Wiedererkennungsrate veranlasste eine nähere Ursachenanalyse, bei der sich herausstellte, dass in etwa die Hälfte der Fahrzeuge die Versuchsstrecke zwischen den Messstandorten verließ bzw. in diese einbog. Dies betraf je eine Abzweigmöglichkeit zwischen den Standorten 1 und 2 und den Standorten 2 und 3. Um die Größenordnung des Verlustes an Reisezeitmesswerten durch diese bisher nicht ausgerüsteten Knotenpunkte zu bestimmen, wurden dort nachträglich temporäre Messeinrichtungen platziert. Diese erfassten nur die ein- und ausbiegenden Ströme, nicht jedoch den durchgehenden Strom auf der B 3.

Bild 5: Erkennungsraten an drei Standorten

Bild 6: Wiedererkennungsraten zwischen drei Standorten

Bild 7: Reisezeiten auf allen Abschnitten der Versuchsstrecke mit 3 Messstationen

Es ergab sich folgendes Bild: Zwischen den Standorten 2 und 3 wurden in einem definierten Messzeitraum 32 Wiedererkennungen registriert. Die zusätzliche Messeinrichtung zwischen diesen beiden Standorten führte zu 74 weiteren Wiedererkennungen. Somit erhöhte sich die Anzahl der Wiedererkennungen bzw. Reisezeitwerte auf 106 und somit um mehr als das Doppelte. Dies ist in Abbildung 5 und Abbildung 6 noch nicht berücksichtigt.

Dieses Ergebnis unterstreicht die Wichtigkeit einer möglichst eingehenden Analyse der Verkehrsströme vor der Installation stationärer Bluetooth-Messeinrichtungen. Wenn das Durchgangsverkehrsaufkommen auf der beobachteten Strecke zu klein ist, müssen die Messstationen ggf. auch an jedem einzelnen Knotenpunkt installiert werden.

3.3 Dresdner Straße in Kassel

Nachdem erste Erfahrungen mit der bluetoothbasierten Reisezeitmessung an einer Bundesstraße mit mehreren Ortsdurchfahrten gesammelt werden konnten, wurden die Versuche auf ausgewählte Hauptverkehrsstraßen im Stadtgebiet Kassel ausgedehnt. Nachfolgend sollen die Ergebnisse auf der Dresdner Straße vorgestellt werden [5]. Diese hat eine innerstädtische Verbindungsfunktion und wird zu den täglichen Spitzenverkehrszeiten durch Pendlerverkehr stark in Anspruch genommen. Bei Erreichen der Kapazitätsgrenzen kann es auf den ausgewählten Abschnitten zu Reisezeiterhöhungen kommen.

Abbildung 8 zeigt das für die Untersuchung ausgewählte Teilstück der Dresdner Straße. Es hat eine Gesamtlänge von etwa drei Kilometern. Beidseitig der aus zwei Richtungsfahrbahnen mit jeweils zwei Fahrstreifen bestehenden Strecke befinden sich große Gewerbe- und Industrieflächen. Die beiden Fahrbahnen sind überwiegend durch einen bepflanzten und mit Schutzplanken versehenen Mittelstreifen baulich voneinander getrennt. Der Querschnitt der Straße hat eine Gesamtbreite von etwa 20 m, wobei auf die Richtungsfahrbahnen 8,50 m und auf den Mittelstreifen 3 m entfallen. Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit liegt in anbaufreien Teilbereichen bei 80 km/h und in bebauten Gebieten bei 60 km/h. Fuß- und Radverkehr ist längs der Streckenabschnitte kaum anzutreffen, er konzentriert sich auf die Querung der Knotenpunkte. Es gibt eine Bushaltestelle „Dahlheimer Weg“ in der Nähe der Anschlussstelle Kassel-Nord.

Den Erfahrungen aus dem Feldversuch an der Bundesstraße B 3 folgend wurden im Vorfeld der Standortwahl für die Messeinrichtungen die lokalen Gegebenheiten untersucht. Hierbei wurde insbesondere geprüft, ob es auf der Messstrecke Knotenpunkte mit maßgeblichen Zu- und Abflüssen gibt, welche die Anzahl der Wiedererkennungen entscheidend verkleinern würden. Zwar gibt es im Streckenverlauf drei Knotenpunkte, jedoch wurden nur wenige Ab- und Einbiegevorgänge beobachtet. So konnte auf eine Zwischenerfassung von Bluetooth- Geräten an diesen Knotenpunkten verzichtet werden.

Im Unterschied zu den Versuchen auf der Bundesstraße B 3 kamen in Kassel Messeinrichtungen der Bluetooth-Klasse 2 zum Einsatz, für die gemeinhin eine Funkreichweite von lediglich 20 m angegeben wird. Aufgrund der Fahrbahnbreite von ebenfalls 20 m an den vorgesehenen Standorten wurde zunächst auf jeder Fahrbahnseite ein Erfassungsgerät geplant. Nach einem ersten Test mit zwei Einrichtungen pro Querschnitt an jedem Fahrbahnrand stellte sich allerdings heraus, dass durchaus beide Fahrtrichtungen von einem Gerät erfasst werden konnten und sich das zweite Gerät je Querschnitt erübrigte. Gründe für die unerwartet gute Detektionsleistung können nur vermutet werden, etwa Reflexionen an den metallischen Leitplanken und wenig Bewuchs an den Standorten. Während der Voruntersuchung konnten innerhalb einer Stunde etwa 150 Bluetooth-Adressen in beiden Fahrtrichtungen identifiziert werden. Dies bedeutete eine Stichprobengröße von ungefähr 7% der Grundgesamtheit aller gezählten Fahrzeuge. Aufgrund dieser vergleichsweise guten Erkennungsrate erschien eine Reisezeitmessung an den beiden ausgewählten Standorten erfolgversprechend.

Bild 8: Teststrecke Dresdner Straße [OpenStreetMap]

Die Versuche in Kassel fanden vom 10. bis 13. August 2010 statt, wobei für den 11. und 12. August vollständige Tagesgänge aufgezeichnet werden konnten. Abbildung 9 zeigt den Verlauf der stündlichen Wiedererkennungszahlen in beiden Fahrtrichtungen. Es wurden nur solche Wiedererkennungen gewertet, die zu einer weitgehend plausiblen Reisezeit führten. Im Verkehrsstrom mit stadtauswärtiger Fahrtrichtung wurden weniger Bluetooth-Geräte als in stadteinwärtige Richtung detektiert. Dies kann mit der Positionierung der Messeinrichtungen am nördlichen Fahrbahnrand zusammenhängen, aber auch andere Ursachen wie etwa Fahrtunterbrechungen sind denkbar.

Bild 9: Anzahl der Wiedererkennungen an der Dresdner Straße am 12.08.2010

Abbildung 10 und Abbildung 11 verdeutlichen die zahlenmäßige Bandbreite der gemessenen Reisezeiten. Die allgemein zu beobachtende Streuung von kurz aufeinander folgenden Werten wird durch die unterschiedlichen Wartezeiten an den drei Lichtsignalanlagen im Streckenverlauf hervorgerufen. In stadtauswärtiger Richtung kam es lediglich zwischen 16 und 17 Uhr zu einem signifikanten Reisezeitanstieg. Der Tagesgang kann jedoch nicht als repräsentativ angesehen werden, da im Versuchszeitraum noch Schulferien waren. In stadteinwärtiger Richtung ist die allgemeine Streuung vergleichbar und augenscheinlich in der gleichen Größenordnung wie die kürzesten Reisezeiten. Dies verdeutlicht die Herausforderung beim Entwurf eines geeigneten Filters für die Ableitung eines repräsentativen Verkehrszustands auf Streckenabschnitten mit Lichtsignalanlagen.

Bild 10: Tagesgang der Reisezeiten Dresdner Straße stadtauswärts

Bild 11: Tagesgang der Reisezeiten Dresdner Straße stadteinwärts

Der in Kassel ausgewählte Straßenabschnitt kam der Reisezeitbestimmung entgegen, da auf dieser Radiale nicht mit einem maßgeblichen Fußgänger- und Radverkehrsaufkommen gerechnet werden muss. Auch der ÖPNV ist nur sehr schwach vertreten und hat keinen eigenen Fahrweg. Somit scheint die Verfälschung des Reisezeitergebnisses für den MIV, verursacht durch die fehlende Zuordnung der detektierten Bluetooth-Geräte zu den einzelnen Verkehrsarten, zunächst akzeptabel. Diese Einschätzung kann in anderen innerstädtischen Straßenzügen, bei anderer Verkehrszusammensetzung und insbesondere in ausgeprägten Stausituationen abweichend ausfallen.

4 Zusammenfassung der Ergebnisse

Nach Abschluss der Feldversuche kann konstatiert werden, dass mit einem Aufbau bestehend aus einem Bluetooth-Transceiver und einem GPRS-Modem, beides handelsübliche Komponenten, in Verbindung mit einer passenden Software (Eigenentwicklung) aussagefähige Reisezeiten auf Bundesstraßen und innerstädtischen Radialen zu moderaten Kosten gewonnen werden können. Die Versuchsreihen gaben Aufschluss zur Größenordnung der zurzeit realisierbaren Stichproben. Die Erkennungsrate streute zwischen den verschiedenen Standortregionen zwischen 3% und 12% der Verkehrsstärke und somit relativ stark. Bei geringen Verkehrsstärken fällt die Anzahl der ermittelten Reisezeiten sehr klein aus. Vor der dauerhaften Installation eines bluetoothbasierten Reisezeitmesssystems empfiehlt sich daher eine eingehende Voruntersuchung. Im Umfeld von Güterumschlagsanlagen, wo fast ausschließlich Lkw-Verkehr anzutreffen ist, konnte selbst mit einfacher Gerätetechnik sogar eine Erkennungsrate von bis zu 50% beobachtet werden (im Beitrag nicht behandelt).

Die Feldversuche zeigten aber auch, dass die erzielten Ergebnisse mitunter besser waren, als es die theoretischen Betrachtungen im Vorfeld vermuten ließen. Dies betraf insbesondere Geräte der Klasse 2, deren Ausgangsleistung auf 2,5 mW begrenzt sein soll.

Die dargelegten Erkennungsraten konnten mit der beschriebenen Konfiguration ohne eine externe Antenne und ohne besonders exponierte Platzierung des Bluetooth-Transceivers bis zu einer Geschwindigkeit von etwa 80 km/h realisiert werden. In einer aktuellen Feldstudie zur Reisezeitmessung auf Autobahnen nach dem Prinzip der Wiedererkennung von Bluetooth-Geräten [6] wird eine Geschwindigkeitsgrenze von über 200 km/h angegeben, bis zu der das untersuchte kommerzielle System arbeitete. Dieser hohe Wert wird durch ein spezielles Verfahren zur Identifikation von Bluetooth-Signalen erreicht. Für die hier beschriebenen Einsatzfelder wird dieser Geschwindigkeitsbereich nicht benötigt.

Der Einfluss von Vegetation auf die Erkennungsrate konnte bestätigt werden. Eine Beeinträchtigung durch WLAN-Netze konnte hingegen nicht beobachtet werden.

Bei hohem Schwerverkehrsanteil sinkt zwar die Wahrscheinlichkeit einer vorteilhaften direkten Sichtverbindung zwischen der straßenseitig aufgestellten Messstation und den fahrzeugseitigen Geräten. Allerdings wird dieser Effekt durch die offensichtlich vergleichsweise hohe Ausstattungsrate von Lkw insbesondere im Fernverkehr überkompensiert.

5 Schlussfolgerungen und Ausblick

Die Reisezeitmessung anhand vorbeifahrender Endgeräte mit Bluetooth-Schnittstelle liefert unter bestimmten Voraussetzungen vielversprechende Ergebnisse. Bei Verwendung marktüblicher Komponenten darf mit Kosten gerechnet werden, die nur einen Bruchteil derer einer videobasierten Kennzeichenerfassung ausmachen. Allerdings dürfte die Rate der wiedererkannten Fahrzeuge auch nur einen Bruchteil des Ergebnisses einer videobasierten Kennzeichenerfassung betragen. Ob die Bedingungen für eine Reisezeitmessung mittels Bluetooth- Beobachtung hinreichend sind, sollte von Fall zu Fall empirisch geprüft werden.

In Straßenzügen mit mehreren Verkehrsarten (Fußgänger, Radfahrer, ÖPNV, MIV) kann die Reisezeitermittlung bei fehlender Zuordnung der Bluetooth-Geräte zu den Verkehrsarten unbrauchbar sein. Dies trifft insbesondere auf Stausituationen zu, in denen die erwarteten Geschwindigkeitsniveaus der einzelnen Verkehrsarten nicht mehr zutreffen müssen. Hier bedarf es weiterer Forschungsarbeit.

Danksagung

Wir danken dem Hessischen Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen für die Finanzierung des Langzeitversuchs im Rhein-Main-Gebiet. Ebenso danken wir dem Straßenverkehrsamt und den Städtischen Werken der Stadt Kassel für das Entgegenkommen bei der Nutzung ihrer infrastrukturellen Einrichtungen. Unser besonderer Dank gilt Herrn Michael Schäfer, der mit den empirischen Untersuchungen seiner Diplomarbeit einen wichtigen Teil zum Erkenntnisgewinn beigetragen hat.

6 Literatur

[1]    http://www.geekzone.co.nz/content.asp?contentid=1070

[2]    Höpfl, W.; Schreiner, W.; Meisel, G.; Weinzerl, J. (2007): Anwendung des Verkehrsdatenerfassungssystems MTOS im integrierten Verkehrsmanagement Graz. Straßenverkehrstechnik Nr. 9 (2007), S.462-467, Kirschbaum Verlag, Bonn.

[3]    Merkle, A.; Terzis, A. (2002): Digitale Funkkommunikation mit Bluetooth. Franzis Verlag, Poing.

[4]    Santner, M., Tusch, R., Kropfberger, M., Böszörmenyi, L., Hellwagner, H. (2006): Ein Ortserkennungssystem für mobile Touristenführer. In: Horster, P. (Hrsg.): D-A-CH Mobility 2006. Ottobrunn, München, Deutschland : IT Security & IT Management, Oktober 2006, pp. 84-98.

[5]    Schäfer, M. (2010): Standortanalyse für ein innerstädtisches System zur Reisezeitermittlung. Diplomarbeit am Fachgebiet Verkehrstechnik und Transportlogistik der Universität Kassel.

[6]    Spangler, M.; Leonhard, A.; Busch, F.; Carstensen, Ch.; Zeh, Th. (2010): Deriving travel times in road networks using Bluetoot-based vehicle re-identifiction: Experiences from Northern Bavaria. 5th International Symposium “Networks for Mobility”. Stuttgart, Sept. 30 – Oct. 01, 2010, Proceedings on CD.