FGSV-Nr. FGSV 002/96
Ort Stuttgart
Datum 16.03.2011
Titel Mobility Pricing: Zahlungsbereitschaft und Verhaltensreaktionen
Autoren Dr.-Ing. Milenko Vrtic, N. Schüssler, A. Erath, KW Axhausen
Kategorien HEUREKA
Einleitung

In der verkehrspolitischen Diskussion nimmt Mobility Pricing einen prominenten Platz ein. Dabei geht es einerseits um die Umstrukturierung der Preise im motorisierten Individualverkehr (MIV) und öffentlichen Verkehr (ÖV) zu verstärkt benutzungsbezogenen Abgaben und andererseits um die Beeinflussung der Nachfrage. Auf den MIV beschränktes Mobility Pricing ist auch unter dem Begriff Road Pricing bekannt. Die technische Realisierbarkeit von Road Pricing wurde im Ausland in einigen Städten und Regionen gezeigt. Es bestehen aber Wissenslücken bezüglich der Auswirkungen preislicher Massnahmen auf die Wahl des Ziels, des Verkehrsmittels, der Fahrtroute und der Abfahrtszeit, sowie auf Siedlungsstrukturen, Verkehrssicherheit und Umwelt.

Der voliegende Aufsatz legt den Schwerpunkt auf die Verhaltensänderungen in der Verkehrsmittel- und Routenwahl und der Wahl der Abfahrtszeit. Es werden folgende Fragen beantwortet:

- Wie hoch ist die Zahlungsbereitschaft für Mobility Pricing? Wie unterscheidet sich diese von schon bekannten Zahlungsbereitschaften für Treibstoffpreise und/oder ÖV-Tickets?

- Wie verändert sich das Verkehrsverhalten durch die Einführung von Mobility Pricing? Wie sind die Abhängigkeiten zwischen Verkehrsverhalten und Mobility Pricing beschaffen und wie gross sind die kurzfristigen Veränderungen der Routenwahl, der Verkehrsmittelwahl und der Wahl der Abfahrtszeit?

Schlagworte:
Mobility Pricing, Road Pricing, Verhaltensänderungen, Verkehrsmodell, Schweiz


Zitierungsvorschlag
Vrtic, M., N. Schüssler, A. Erath und K.W: Axhausen (2011) Mobility Pricing: Zahlungsbereitschaft und Verhaltensreaktionen, Heureka 2011, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), Köln.

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1 Hintergrund

Das Wachstum der Verkehrsnachfrage im motorisierten Personenverkehr und immer kleinere Infrastrukturreserven haben dazu geführt, dass neue Beeinflussungsinstrumente und Massnahmen für eine gezielte Nachfragesteuerung gefunden werden müssen. Beispiele im Ausland haben gezeigt, dass Mobility Pricing ein mögliches Instrument für die Beeinflussung des Verkehrsverhaltens ist. Diese Erfahrungen sowie das Ziel, eine effizientere Nutzung der Verkehrsinfrastruktur zu erreichen und entsprechende Möglichkeiten der Beeinflussung des Verkehrsverhaltens zu schaffen, haben das Interesse an Mobility Pricing in der Schweiz verstärkt. Das Forschungspaket Mobility Pricing (http://www.astra.admin.ch/themen/ 00901/index.html?lang=de) soll die für die Schweiz relevanten Wissenslücken bezüglich Auswirkungen und Anwendbarkeit von Preisinstrumenten zur Verfügung stellen und damit sachliche Grundlagen für die politische Diskussion liefern.

Die bisherigen Erfahrungen mit Strassennutzungsgebühren – insbesondere bei privat finanzierten Infrastrukturprojekten – haben gezeigt, dass Routenwahl-, Verkehrsmittelwahl- und Abfahrszeitveränderungen die dominierenden Effekte sind. Die langfristigen, strategischen Effekte, wie veränderte Zielwahl (z.B. veränderte Einkaufs- oder Freizeit- Zielorte), veränderte Ausstattung mit PW und ÖV-Abonnementen (Mobilitätswerkzeugen) oder der Wechsel von Wohn- und Arbeitsplatz, sind kaum untersucht und somit weitgehend unbekannt. Da die Verhaltensreaktionen auf Angebotsveränderungen sehr stark von politischen-, räumlichen-, soziodemographischen und Verkehrsangebotscharakteristiken abhängig sind, ist eine direkte Übertragung ausländischer Erfahrungen schwierig.

Das Projekt Einbezug von Reisekosten bei der Modellierung des Mobilitätsverhaltens (Vrtic et al., 2006) des Forschungspaketes Mobility Pricing hatte das Ziel, die möglichen Auswirkungen von Mobility Pricing auf das Verkehrsverhalten zu klären. Es stellt damit die Grundlage für die Abschätzung möglicher Verkehrsnachfrageveränderungen dar. Dabei stehen die Zahlungsbereitschaften und wesentlichen Veränderungen des Verkehrsverhaltens bezüglich Mobility Pricing im Vordergrund.

Der vorliegende Aufsatz beschreibt die Ergebnisse von Stated Preference Experimenten und die daraus abgeleiteten Modellparameter bzw. Gesetzmässigkeiten im Bezug auf die taktischen Verhaltensänderungen: Routenwahl, Verkehrsmittelwahl und Abfahrtszeit. Nach einer kurzen Literaturanalyse im nächsten Abschnitt, wird die Befragung kurz vorgestellt bevor die Modellergebnisse bezüglich der Modellparameter, Zahlungsbereitschaften und Elastizitäten diskutiert werden. Der Aufsatz schliesst mit Empfehlungen für die Anwendung.

2 Literaturanalyse

Eine Durchsicht der bestehenden Literatur zeigte, dass die beobachteten Nachfrageauswirkungen insbesondere von der Art des Road Pricing Systems (Gebietslizenz mit oder ohne zeitabhängiger Gebühren, Bemautung einzelner Strassen oder einzelner Spuren, fahrleistungsabhängige Gebühren usw.) und der Mauthöhe abhängen. Zudem variiert die Nachfrageelastizität sehr stark in Abhängigkeit von Angebots- und soziodemographischen Bedingungen, Fahrzweck, Tageszeit sowie dem Anteil verkehrlicher Ausgaben am monatlichen Einkommen. Es zeigte sich weiter, dass die Nachfrageelastizitäten bezüglich Strassengebühren nicht einheitlich berechnet werden. Dabei ist es äusserst wichtig, zwischen Elastizitäten der generalisierten Kosten und Elastizitäten der einzelnen Kostenkomponenten zu unterscheiden.

Die Gebietslizenz in Singapur zeigt, wie vielfältig die Nachfragereaktionen auf Strassengebühren sein können (siehe auch Olszewski und Xie, 2005). Direkt nach der Einführung der Gebietsgebühren wurde eine Kostenelastizität von -0.578 gemessen. Eine spätere Gebührenerhöhung wies nur noch eine Kostenelastizität von -0.237 auf und eine Gebührensenkung, eine Kostenelastizität von -0.194. In diesem Beispiel ist die Abhängigkeit der Nachfragereaktion von der Gebührenhöhe und der Art der Kostenveränderung klar zu erkennen. Darüber hinaus variieren die Nachfrageelastizitäten über den Tag und in Abhängigkeit vom Fahrzweck. Bei der Einführung der Abendgebühr von 3$ (vorher gebührenfrei) wurde eine Kostenelastizität von -0.387 und bei der Einführung der Mittagsgebühr von 2$, eine Kostenelastizität von -0.131 festgestellt. Am wenigsten elastisch zeigte sich, mit einer Elastizität von -0.106, die Verkehrsnachfrage in der Morgenspitze, die hauptsächlich von Pendlern geprägt ist.

Die in London im Jahr 2003 eingeführte Gebietslizenz von 5£ verringerte die MIV-Nachfrage im betrachteten innerstädtischen Raum um 15%. Unter Berücksichtigung der generalisierten Kosten, welche sowohl die variablen Kosten als auch die Zeitkosten umfassen, wurden mit bzw. ohne Berücksichtigung der fixen Kosten eines Personenwagens kurzfristige Elastizitäten von -2.1 bzw. -1.3 ermittelt (siehe auch Santos und Shaffer, 2004). Geht man für London von einem Anteil der Treibstoffkosten von 8-16 % an den generalisierten Kosten aus, ergibt sich ein Werteband der Elastizität von -0.17 bis -0.34.

Zwischen dem 1. Januar und 31. Juli 2006 wurde in einem Pilotversuch für die Ein- und Ausfahrt in die und aus der Kernstadt Stockholms, eine von der Tageszeit abhängige Gebühr von 10 bis 20 SEK erhoben. Maximal bezahlte ein Fahrzeugbesitzer pro Tag 60 SEK (100 SEK=10 EUR). Der Vergleich der Verkehrsmengen zwischen Januar und Mai mit den Vorjahresmonaten zeigt eine Abnahme zwischen 28 und 22% wobei sich die Werte bei 22% einpendelten (Swedish Road Administration Vägverket, 2005). Die Frage wohin sich die Verkehrsnachfrage verlagert hat, lässt sich noch nicht genau beantworten. Es ist aber klar, dass verschiedene Mechanismen zusammenspielen: Der ÖV verzeichnete, je nach Linie, einen Fahrgastzuwachs von 6 bis 14%. Dies erklärt etwa die Hälfte der Veränderungen. Veränderungen bezüglich Routen- und Zielwahl sowie verbesserter Wegeketten trugen ebenfalls zum Rückgang der Verkehrsnachfrage bei, der höher als erwartet ausfiel.

In verschiedenen Studien wurden darüber hinaus die Auswirkungen von Mautgebühren auf einzelnen Streckenabschnitten untersucht. Aus diesen Studien ergibt sich jedoch kein einheitliches Bild, da die Angebotsbedingungen (alternative Routen) und die Zahlungsbereitschaften sehr unterschiedlich sind. Die Nachfrageelastizitäten bewegen sich auf den betrachteten Streckenabschnitten zwischen -0.03 und -0.5.

Die Bemautung einzelner Spuren, auch Value Pricing genannt, wurde bisher nur in den USA umgesetzt. Gegen eine Gebühr kann dabei eine separate Spur benutzt werden. Die übrigen Spuren sind nicht gebührenpflichtig. Daher steht in diesen Systemen immer eine Alternative zu der bemauteten Strecke zur Verfügung. Die Verkehrsnachfrage auf den bemauteten Spuren ist deutlich kleiner als auf den nicht bemauteten Alternativen und damit sind die (direkte) Nachfrageelastizitäten in der Regel höher als bei anderen Mautsystemen.

3 Stated Preference Befragung: Taktische Verhaltensänderungen

Die Einführung von Mobility Pricing zwingt die Verkehrsteilnehmer sich bei ihren Entscheidungen mit einer weiteren Angebotskomponente zu beschäftigen. Welche Verhaltensänderungen stattfinden, sind vor allem von den Strukturen und Modellen des Mobility Pricings und der Höhe der Entgelte abhängig. Weitere Einflussgrössen sind die politischen, räumlichen, soziodemographischen und Verkehrsangebotscharakteristiken. Damit ist für die Schätzung von Nachfrageveränderungen durch die Einführung des Mobility Pricings eine direkte Übertragung der Auslandserfahrungen ebenfalls nicht zu empfehlen.

Um eine verlässliche Grundlage für Verkehrsprognosen und die Abschätzung der Nachfrageveränderungen bei Einführung eines Mobility Pricings zu schaffen, wurden mit Hilfe von Stated Preference (SP) Befragungen die Modellparameter für die Verhaltensänderungen geschätzt. Mit diesen Parametern wird die Bedeutung des Mobility Pricings und anderer Einflussfaktoren wie Reisezeit, Treibstoffkosten, Umsteigehäufigkeit usw. für Verkehrsentscheidungen (Routenwahl, Verkehrsmittelwahl und Wahl der Abfahrtszeit) quantifiziert. Aus den Modellschätzungen werden neben den Parametern auch die Nachfrageelastizitäten, respektive Zahlungsbereitschaften abgeleitet.

Um den Realismus der hypothetischen Wahlalternativen der SPs zu erhöhen, wurden diese auf der Grundlage eines von den Befragten berichteten Weges generiert. Die berichteten Wege stammten aus der kontinuierlichen Erhebung des Personenverkehrs (KEP) der SBB.

An der schriftlich durchgeführten Befragung nahmen insgesamt 1005 Personen der gesamten Schweiz teil. Die Repräsentativität der Stichprobe ist in Vrtic et al. (2006) ausführlich diskutiert und wurde als hinreichend eingestuft.

Es wurden drei Stated Preference Experimente zur Schätzung der Zahlungsbereitschaft und taktischen Verhaltensveränderungen bei Einführung eines Mobility Pricings durchgeführt:

- Wahl der Abfahrtszeit und Routenwahl im Strassenverkehr für MIV- Nutzer

- Wahl der Abfahrtszeit und des Verkehrsmittels

- Verkehrsmittel- und Routenwahl

Zusätzlich dazu wurden in einem „politischen SP“ die politischen Preferenzen der Befragten bezüglich der Gestaltung eines Mobility Pricing erfragt. Dadurch wurde versucht, die politische Einstellung der Befragten explizit abzufragen, so dass diese sich nicht mehr in den anschliessenden Experimenten zum Ausdruck bringen mussten.

4 Modellergebnisse Taktische Entscheidungen

Die auf Basis der erhobenen Daten geschätzten Modelle bilden die Grundlage für die ermittlung taktischer Verhaltensänderungen in der Routenwahl, Verkehrsmittelwahl und Wahl der Abfahrtszeit. Zunächst wurden einzelne Modelle mit linearen Nutzenfunktionen bestimmt. Diese Modelle wurden zu einem kombinierten Routen- und Verkehrsmittelwahlmodell zusammengefasst, um robustere Ergebnisse zu erhalten. Anschliessend wurde eine Vielzahl von nichtlinearen Modellen sowohl für das Routenwahlmodell und das Verkehrsmittelwahlmodell, als auch für das kombinierte Routen- und Verkehrmittelwahlmodell getestet.

Die nichtlinearen Formulierungen (Tabelle 1) wurden aufgrund der Erfahrungen von Axhausen, König, Abay, Bates und Bierlaire (2004) getestet. Sie konnten nachweisen, dass die Kostenparameter nichtlinear auf das Einkommen und die Reisedistanz reagieren. Für die vorliegende Studie wurde die Formulierung der Kostenparameter leicht angepasst und anstelle der Reisedistanz die Reisezeit berücksichtigt. Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass auch die Reisezeitparameter nichtlinear bezüglich der Gesamtkosten einer Alternative reagieren. Die Gesamtkosten umfassen für die MIV-Fahrten sowohl die Treibstoffkosten als auch die Maut und die Parkkosten.

Tabelle 1: Nutzenfunktionen für das Routenwahlmodell

Tabelle 1 zeigt die Nutzenfunktionen der am besten geeigneten Modell- und Funktionsformen für die Routenwahl, die Verkehrsmittelwahl und die Wahl der Abfahrtszeit. Die entsprechenden Parameter sind in Tabelle 2 dargestellt. Die geschätzten Modellparameter zeigen den Beitrag der einzelnen Variablen zum Gesamtnutzen einer Alternative. Für die korrekte Interpretation müssen die Einheiten der Variablen beachtet werden. Alle geschätzten Modellparameter zeigen plausible Vorzeichen und sind in ihren Verhältnissen mit vorherigen Studien in der Schweiz vergleichbar.

Wie zu erwarten, ist für alle betrachteten Entscheidungen die Reisezeit die wichtigste Einflussvariable. Weiter zeigte sich, dass eine verspätete Abfahrtszeit sowohl bei der Routenwahl als auch bei der Verkehrsmittelwahl negativ bewertet wird, ebenso eine verfrühte Abfahrtszeit bei der Verkehrsmittelwahl. Anders ist es hingegen bei der Routenwahl. Auch hier möchte die Schweizer Bevölkerung so genau wie möglich zu ihrer Wunschzeit abfahren. Wenn es jedoch darum geht, im Routenwahlmodell eine unbepreiste Route zu wählen, und damit eine Route mit Stau, dann ist ihnen eine pünktliche Ankunft wesentlich wichtiger und sie fahren früher los. Dies deutet auf eine generell starke Abneigung gegenüber Staus hin. Diese Interpretation wird durch die Tatsache bestärkt, dass die Bestrafung für eine verspätete Abfahrtszeit doppelt so hoch ist, wie für eine zu frühe Abfahrtszeit. Dazu passt auch die Bewertung der Verlässlichkeit im MIV und im ÖV. Je unzuverlässiger die Route ohne Mobility Pricing in der Routewahl ist, umso häufiger wird die Route mit Mobility Pricing gewählt. Ebenso wird bei zunehmender Unzuverlässigkeit des ÖVs die MIV-Route stärker bevorzugt.

Die geschätzten Kostenparameter zeigen, dass jede zusätzliche Kostenkomponente und jede Erhöhung der Reisekosten negativer bewertet wird als die vorhergehende. Die Treibstoffkosten werden ähnlich bewertet wie in früheren Studien. Maut und Parkgebühren hingegen werden als weitere Kostenkomponente, mehr als doppelt so schlecht bewertet, wie Treibstoffkosten. Damit ist für die Verkehrsverhaltensentscheidungen jede zusätzliche Mautausgabe ca. 2-mal relevanter als schon „verkraftete“ und „bekannte“ Treibstoffkosten. Diese Bewertung basiert auf der Voraussetzung, dass die Treibstoffkosten als erste Kostenkomponente betrachtet werden. Dabei muss beachtet werden, dass diese Verhältnisse auch von der absoluten Höhe der Treibstoff- und Mautkosten abhängig sind.

Bezüglich der nicht-linearen Formulierung der Kosten- und Zeitparameter bestätigen die Modellergebnisse wiederum die Abhängigkeit der Bewertung dieser Grössen vom Einkommen und der Reisezeit respektive den Kosten. Mit steigendem Einkommen sowie steigender Reisezeit werden zusätzliche Kosten weniger negativ beurteilt. Das gleiche gilt für die zusätzliche Reisezeit bei steigenden Kosten. Der Effekt, dass Maut und Parkkosten wesentlich negativer bewertet werden, da sie im Vergleich zu Treibstoffkosten eher vermeidbare Kosten sind, bestätigt sich auch hier. Die nicht-linearen Kosten- und Zeitparameter haben darüber hinaus entscheidenden Einfluss auf die Zeitwerte und Elastizitäten.

Einen bedeutenden Einfluss auf die Wahl der Route mit oder ohne Mobility Pricing hat darüber hinaus die politische Einstellung der Befragten, die in dieser Modellschätzung annäherungsweise durch die Einführung des Terms für die Präferenz für Mobility Pricing im politischen SP abgebildet wurde. Durch diese Variable wurde die politische Einstellung der Befragten gegenüber Mobility Pricing quantifiziert bzw. die politische Einstellung vom privaten Verhalten isoliert. Befragte, die im politischen SP eher ein Mobility Pricing System bevorzugt haben, wählen mit einer grösseren Wahrscheinlichkeit auch die Route mit Mobility Pricing in der Routenwahl. Darüber hinaus verbessert dieser Term die Modellgüte erheblich und hat Einfluss auf die übrigen Parameter. Es stellt sich also die Frage, wie in früheren Studien mit diesem Effekt umgegangen wurde.

In Bezug auf die soziodemographische Charakteristika der Befragten werden der ÖV und die Route mit Mobility Pricing von älteren Befragten und Besitzern von ÖV-Abonnementen bevorzugt, der MIV und die Route ohne Mobility Pricing hingegen von PW-Besitzern und Befragten mit einer hohen Jahresfahrleistung. Zudem bevorzugen die Befragten aus dem Tessin den MIV stärker, als diejenigen aus dem deutsch- oder französischsprachigen Teil der Schweiz. Das Geschlecht hatte ebenfalls keinen Einfluss auf die Auswahl in den Entscheidungssituationen.

Tabelle 2: Kombiniertes Modell der Routen-, Abfahrtszeit- und Verkehrsmittelwahl

4.1 Zahlungsbereitschaft

Die unterschiedliche Bewertung der einzelnen Kostenkomponenten sowie die Abhängigkeit von der Kostenhöhe führen dazu, dass sich durch die Einführung von Mobility Pricing auch die Zahlungsbereitschaft verändert. Für die hier betrachteten Kostenkomponenten wurde folgende Zahlungsbereitschaft ermittelt:

- Treibstoffkosten:    27.8 CHF/h

- Maut:                     13.6 CHF/h

- Parkgebühr:          10.8 CHF/h

- ÖV - Kosten:         19.5 CHF/h

Das bedeutet, dass die Zahlungsbereitschaft der MIV-Verkehrsteilnehmer für eine Stunde eingesparte Reisezeit in Bezug auf die Treibstoffkosten 27.8 CHF beträgt. Dabei muss beachtet werden, dass hier die Treibstoffkosten ohne Mineralölsteuer betrachtet wurden. Die heutige Mineralölsteuer wurde in die Mautkosten miteinbezogen. Die Zahlungsbereitschaft für ÖV-Kosten ist ist mit 19.5 CHF/h deutlich tiefer. Ein Grund dafür ist die Nutzbarkeit der Zeit im ÖV. Andere Gründe sind die unterschiedlichen soziodemographischen Charakteristiken, Fahrzweckanteile und Situationen der Verkehrsteilnehmer, sowie die Tatsache, dass die hier betrachteten ÖV Kosten höher sind als die Treibstoffkosten, was zusätzlich die Zahlungsbereitschaft im ÖV reduziert. Wenn eine Maut eingeführt würde (die mittlere Mauthöhe der betrachteten Stichprobe liegt bei 5.3 CHF pro Fahrt), reduziert sich die zusätzliche Zahlungsbereitschaft auf 13.6 CHF/h. Die zusätzliche Einführung von Parkgebühren neben Treibstoff- und Mautkosten (im Mittel 2 CHF/Fahrt) ergibt nur eine zusätzliche Zahlungsbereitschaft von 10.8 CHF/h.

Unter der Annahme, dass alle drei Kostenkomponenten im MIV gleich bewertet und als eine gesamte Kostenausgabe summiert werden, ergibt sich für die MIV-Verkehrsteilnehmer eine Zahlungsbereitschaft von 14 CHF/h.

Die Zahlungsbereitschaften für eingesparte Reisezeit verändern sich jedoch nicht nur in Abhängigkeit vom Kostenniveau. Wie aus der Definition der nichtlinearen Terme der Nutzenfunktion zu sehen ist, haben auch das Einkommen der Befragten und die Reisezeit der beurteilten Fahrt sowie die betrachtete Kostenart einen entscheidenden Einfluss. Aus diesem Grund sind in Abbildung 1 die Zahlungsbereitschaften für Treibstoff, Maut und ÖV- Kosten einmal in Abhängigkeit von den entstehenden Kosten und der Reisezeit sowie einmal in Relation zu Einkommen und Reisezeit dargestellt. Natürlich sind die Zeitwerte immer abhängig von allen drei Grössen, eine vierdimensionale Darstellung ist aber nicht möglich.

Es ist deutlich zu sehen, dass die Zeitwerte mit steigenden Kosten fallen. Dieser Effekt lässt sich vor allem mit der übergeordneten Budgetbeschränkung (der Ausgaben für Verkehr) erklären, die ein Reisender hat. Je näher der Betroffene an seine Budgetbeschränkung herankommt, umso mehr Reisezeitersparnisse erwartet er für das gleiche Geld. Damit sinkt seine Zahlungsbereitschaft. Steigt jedoch die Reisezeit, so steigt mit ihr auch der Zeitwert. Längere Reisen sind in der Regel auch mit höheren Budgets verbunden und zusätzliche Ausgaben werden nicht mehr so hart bestraft wie bei kürzeren Reisen, insbesondere da sie prozentual einen kleineren Teil am Gesamtpreis der Reise ausmachen. Diese Effekte sind darüber hinaus auch mit Fahrthäufigkeiten verbunden. Ähnliches kann beobachtet werden, wenn die Zeitwerte in Abhängigkeit vom Einkommen und der Reisezeit aufgetragen werden. Wie schon in vorherigen Studien gezeigt wurde, führt ein höheres Einkommen nämlich zu einer höheren Zahlungsbereitschaft.

Werden die Zeitwerte der verschiedenen Kostenarten miteinander verglichen, so zeigt sich, dass das Verhalten bezüglich Kosten, Reisedistanz und Einkommen ähnlich ist. Unterschiedlich ist aber, wie schon durch den Vergleich der Zeitwerte am Stichprobenmittel aufgezeigt wurde, das Niveau auf dem die Zeitwerte angesiedelt sind. Die Zeitwerte für die Maut sind erheblich niedriger als diejenigen für die Treibstoffkosten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Verkehrsteilnehmer bei kurzfristigen, taktischen Entscheidungen weniger stark auf Kosten reagieren, die ihnen unausweichlich erscheinen, als auf vermeidbare Kosten wie Maut oder Parkkosten, welche durch Umwege oder andere Parkplatzwahlen verhindert werden können. Weiterhin werden die Mautkosten und Parkplatzgebühren als zusätzliche Kostenkomponente betrachtet und führen damit zu einer Erhöhung der gesamten Reisekosten. In diese Erklärung passt auch das Phänomen, dass der Anstieg der Zeitwerte in Bezug zum Einkommen für die Treibstoffkosten weniger steil verläuft, als für die Kosten, die durch Maut verursacht werden.

Bild 1: Zeitwerte in Abhängigkeit von Kosten und Zeit bzw. Einkommen und Zeit

4.2 Elastizitäten

Eine weitere wichtige Auswertung der Modellergebnisse stellt die Berechnung der Reisezeit- und Kostenelastizitäten dar. Eine Elastizität gibt ganz allgemein an, wie sich die Veränderung einer unabhängigen Variable, z.B. Reisekosten oder Reisezeit, auf eine abhängige Variable, z.B. die Verkehrsnachfrage, auswirkt. Eine direkte Mautelastizität von - 0.29 würde beispielsweise bedeuten, dass eine Erhöhung der Maut um 10% zu einer Reduzierung der MIV-Fahrten um 2.9% führt. Eine Elastizität wird wie folgt bereichnet:

Formel siehe PDF.

Aufgrund der nichtlinearen Funktionsformen der Kosten- und Reisezeitparameter, müssen diese Nichtlinearitäten auch bei der Berechnung der Elastizitäten berücksichtigt werden. Für die Reisezeit mit der Nutzenfunktion ergibt sich darum folgende allgemeine Formel für die direkte Reisezeitelastizität. Sie wird jeweils für die einzelnen Alternativen getrennt berechnet.

Formeln siehe PDF.

Mit diesen Formeln können nun die Elastizitäten der einzelnen Variablen der Nutzenfunktion berechnet werden. Abbildung 2 und Abbildung 3 zeigen den Verlauf der direkten Reisezeitrespektive Kostenelastizitäten. Die Abhängigkeit der Kostenelastizitäten vom Einkommen wurde dabei nicht dargestellt. Die Elastizitäten wurden für das mittlere Einkommen der Stichprobe berechnet und haben alle ein negatives Vorzeichen. Das heisst, eine Erhöhung der Reisezeiten oder der Kosten für eine Alternative führt immer zu einer Verringerung der Wahrscheinlichkeit, dass diese ausgewählt wird. Darüber hinaus ist deutlich zu sehen, dass sowohl die Reisezeit- als auch die Kostenelastizitäten mit steigenden Kosten betragsmässig steigen, mit steigender Reisezeit hingegen betragsmässig abnehmen. Wie bei den Zeitwerten liegt dies an den Budgetbeschränkungen. Je näher eine Person an ihre Budgetgrenze herankommt, desto stärker reagiert sie auf weitere Kostenerhöhungen, während eine grössere Reisezeit auch das Budget bzw. die Zahlungsbereitschaft erhöht. Bezüglich der unterschiedlichen Kostenkomponenten ist wiederum deutlich zu sehen, dass die Befragten auf Kosten, die durch Maut verursacht werden, viel stärker reagieren als auf Kosten für Treibstoff.

Bild 2: Direkte Reisezeitelastizität in Abhängigkeit von Kosten und Zeit

Bild 3: Direkte Kostenelastizität in Abhängigkeit von Kosten und Zeit

Tabelle 3 zeigt ein Beispiel für die Berechnung der Elastizitäten in der Verkehrsmittelwahl.  Es wurde angenommen, dass die mittlere Fahrtzeit im MIV 33 min und im ÖV 43 min (KEP Stichprobe) beträgt und die Modal-Split-Anteile zwischen MIV und ÖV gleich (je 50%) sind.

Die mittleren Treibstoffkosten liegen bei 4.40 CHF, die mittleren Mautkosten bei 3.08 CHF, die Parkkosten bei 1.79 CHF und die ÖV-Kosten bei 7.04 CHF. Für das Einkommen wurde angenommen, dass es dem durchschnittlichen Einkommen der KEP Befragten entspricht. Alle anderen Mittelwerte wurden ebenfalls aus den Befragungsdaten übernommen. So konnten die Nutzen der Alternativen, die Auswahlwahrscheinlichkeiten und die daraus resultierenden Elastizitäten für dieses Beispiel berechnet werden.

Es ist zu beachten, dass die so ermittelten Werte keine allgemeingültigen Werte der Elastizitäten sind. Sie gelten für das hier beschriebene Beispiel. Für eine Übertragung auf andere Untersuchungsgebiete und/oder Szenarien müssen die Werte für alle sich verändernden Variablen angepasst werden.

Tabelle 3: Beispielszenario: Direkte Elastizitäten für den mittleren KEP Weg

Es ist wiederum zu sehen, dass die Befragten unterschiedlich stark auf die einzelnen Kostenkomponenten reagieren. So sind die Elastizitäten für Maut und Parkgebühren betragsmässig höher als die Elastizitäten für Treibstoffkosten. Sie sind jedoch ebenfalls abhängig vom absoluten Betrag der Werte im Beispielszenario. Wäre zum Beispiel der Mittelwert der Parkkosten so hoch wie der der Maut, so würde sich für die Parkkostenelastizität ein betragsmässig deutlich höherer Wert ergeben als für die Mautelastizität.

Auf ähnliche Weise könnten auch die Elastizitäten für die erhobene Routenwahl-Stichprobe berechnet werden. Für die dort angebotenen Alternativen (Routen) mit und ohne Road Pricing wurde eine mittlere Elastizität für die variablen Kosten von -0.5 berechnet. Diese Elastizität zeigt nur die Nachfragereaktion auf die in der Befragung vorgelegten Angebotsverhältnisse und kann nicht auf die realen (und nicht mit dem Stichprobenmittelwert identischen) Anwendungen übertragen werden. Zudem müssen neben den Kostenveränderungen bzw. den Kostendifferenzen vor allem die Zeitdifferenzen zwischen den Routen berücksichtigt werden. Daher können die durch die Angebots- bzw. Kostenveränderungen verursachten Routenwahlveränderungen nur durch die Anwendung von Umlegungsmodellen berechnet werden. Die hier geschätzten Modellparameter können jedoch in diese Umlegungsmodelle und die dort vorhandenen Routenwahlansätze implementiert werden.

5 Empfehlungen für die Anwendung

Die hier ermittelten Projektergebnisse erfassen mögliche Verhaltensreaktionen der Verkehrsteilnehmer bei der Einführung von Mobility Pricing. Mit diesen Grundlagen können die verkehrlichen Auswirkungen und die Verhaltensänderungen aufgrund solcher Angebotsveränderungen quantifiziert werden. Daraus kann abgeleitet werden, ob und welche verkehrspolitischen Ziele durch die Einführung von Mobility Pricing erreicht werden können.

Der Vergleich der ermittelten Ergebnisse mit Erfahrungen aus dem Ausland mit der Einführung von Road Pricing zeigt eine sehr gute Übereinstimmung. Die aus den Modellparametern abgeleiteten Nachfrageelastizitäten und die durch Anwendungsbeispiele berechneten Nachfrageveränderungen bewegen sich in einem ähnlichen Rahmen. Die geschätzte Zahlungsbereitschaft liegt zwar über der Zahlungsbereitschaft der anderen Länder, dies ist aber vor allem auf die Unterschiede in der Soziodemographie und der Einkommensstruktur sowie den heutigen Ausgaben im Verkehr zurückzuführen.

Wie hier gezeigt wurde, sind die Verhaltensreaktionen der Verkehrsteilnehmer stark von soziodemografischen-, Weg- und Angebotscharakteristiken abhängig. Damit können die Auswirkungen von Massnahmen nur durch eine plausible Beschreibung des Verkehrsangebots und der Verkehrsnachfrage des betrachteten Untersuchungsgebiets geschätzt werden. Das bedeutet, dass die Berechnung der Auswirkungen von Mobility Pricing neben den hier geschätzten Modellparametern auch eine verlässliche Beschreibung des Verkehrsgeschehens durch Verkehrsmodelle verlangt. Zusätzlich zu einer vollständigen Angebotsbeschreibung muss der Fokus vor allem auf realitätsentsprechende bzw. validierte Quell-Ziel-Matrizen gelegt werden. Nur durch eine verlässliche Quell-Ziel-Matrix können die Nutzen bzw. Kosten der Wege eines Untersuchungsgebiets und damit auch mögliche Nachfragereaktionen plausibel berechnet werden. Weiterhin müssen bei der Planung von Mobility Pricing Massnahmen alle Angebotskomponenten berücksichtigt und der gesamte Nutzen bzw. die gesamten generalisierten Kosten eines Weges berechnet werden. Beispielsweise hat die Einführung eines Mobility Pricings von 5 CHF/Fahrt auf einen Weg von 10 Minuten eine andere Wirkung als auf einen Weg von 60 Minuten. Daher ist ein verlässliches und validiertes Netzmodell unerlässlich.

Weiterhin ist für die Schätzung von Abfahrtszeitveränderungen die Berücksichtigung der Nachfragedynamik eine wichtige Komponente. Für die Schätzung der Zielwahl- veränderungen können die im Rahmen der Erstellung eines Personenverkehrsmodells geschätzten Zielwahlparameter benutzt werden. Es ist zu empfehlen, diese Parameter zusammen mit den hier geschätzten Verkehrsmittelwahlparametern als kombiniertes Ziel- und Verkehrsmittelwahlmodell zu verwenden.

Mit einem solchen Vorgehen wurden in einen weiterem Projekt des Forschungspakets „Mobility Pricing“, die quantitativen Auswirkungen von Mobility Pricing Szenarien auf das Mobilitätsverhalten analysiert  (siehe Fröhlich, Vrtic und Kern, 2005). Dafür wurde die Wirkung von sechs verschiedenen Mobility Pricing Szenarien auf die Verkehrsnachfrage berechnet sowie der Einfluss auf die Siedlungsstruktur, Verkehrssicherheit und Umwelt untersucht.

6 Danksagung

Das Projekt wurde im Rahmen des Forschungspakets „Mobility Pricing“ durch das Bundesamt für Strassen (ASTRA) geleitet und finanziert. Die Autoren möchten sich bei der Programmleitung, dem Bundesamt für Strassen und den Mitgliedern der Begleitkommision bedanken. Besonderer Dank geht dabei an Rudolf Dieterle (Bundesamt für Strassen), Matthias Rapp (RappTrans AG) und Paul Widmer (Büro Widmer).

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