FGSV-Nr. FGSV 002/143
Ort Potsdam
Datum 08.05.2025
Titel Pflanzung gebietseigener Gehölze im Spannungsfeld naturschutzrechtlicher Vorgaben 2. Teil Herausforderungen bei der Verwendung gebietsheimischer Gehölze im Kontext der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Marktsituation
Autoren Carsten Ludowig
Kategorien Landschaftstagung
Einleitung

Seit März 2020 ist § 40 BNatSchG zur Verwendung gebietseigener Saaten und Gehölze verpflichtend umzusetzen. Die Umsetzung verläuft jedoch nicht flächendeckend reibungslos. Verschiedene Akteure müssen – wie Zahnräder eines Getriebes – zusammenarbeiten. Prognosen zur Marktlage sind sehr differenziert und liegen teilweise sehr weit auseinander. Während einerseits ein drohendes Marktversagen prognostiziert wird und knappe Ressourcen beklagt werden, sehen Produzenten hinreichende Kapazitäten gebietseigener Ware. Zur Überprüfung der tatsächlichen Verfügbarkeit gebietseigener Gehölze führte die Autobahn GmbH Umfragen bei den Länderverwaltungen und Gehölzproduzenten, und über das Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Referat StB 13 bei den Verkehrsträgern durch. Die Auswertungen sind noch nicht abgeschlossen. Erste Ergebnisse zeigen, dass Länderverwaltungen – besonders im Vorkommensgebiet 1 – ihrer Pflicht zur Ausweisung von Erntebeständen noch nicht oder gerade erst nachgekommen sind. Weitere Probleme ergeben sich für die Produzenten zum Teil aus der weiträumigen Verteilung der häufig sehr kleinen Erntebestände, fehlende Genehmigungen für die Beerntung sowie die rückläufige Zahl der jungpflanzenproduzierenden Unternehmen. Eine zusätzliche Belastung des Marktes ist die Folge. Öffentlichen Ausschreibungen können im Hinblick auf die Vergabereife Probleme verursachen, weil der Auftraggeber nicht sicherstellen kann, dass die Gehölzverfügbarkeit zum Zeitpunkt des Bedarfs gewährleistet ist. Damit kann er keine rechtssichere Vergabe durchführen. Angesichts des Klimawandels – mit prognostizierten tiefgreifenden Änderungen der Vegetation – könnte eine Weiterentwicklung oder Ergänzung des § 40 BNatSchG notwendig und sinnvoll sein. Zwar ermöglicht das Gesetz bei der Verwendung gebietseigener Gehölze auch Ausnahmen, solange die Gefahr einer Florenverfälschung nicht gegeben ist. Diese Risikobewertung obliegt jedoch den jeweiligen Länderverwaltungen, die dieses Potenzial der Ausnahme in vielen Fällen nicht ausschöpfen.

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Seit 1993 in Vorbereitung, erfolgte im März 2020 nach Ablauf der Übergangsfrist von rund 10 Jahren der Startschuss für die verpflichtende Umsetzung des § 40 BNatSchG in Bezug auf die Verwendung gebietseigener Saaten und Gehölze.

Die erfolgreiche Umsetzung des Gesetzes verlief seitdem nicht in allen Bereichen erfolgreich bzw. reibungslos. Um das Gesetz erfolgreich umsetzen zu können, ist es notwendig, dass die unterschiedlichen Akteure und Institutionen, vergleichbar mit den Zahnrädern eines Getriebes, aufeinander abgestimmt zusammenwirken. Unterschiedliche Prognosen und Sichtweisen, die das Meinungsbild bestimmen, zeichneten bislang ein anderes Bild. Beiträge, wie z. B. in der 6. Ausgabe der Taspo (2024), sagten ein Marktversagen im Hinblick auf die perspektivische Verfügbarkeit gebietseigener Gehölze voraus, während z. B. Erzeugergemeinschaften gebietseigener Gehölze hinreichende Kapazitäten und die Lieferfähigkeit prognostizierten.

Um fundierte Erkenntnisse zu der gegenwärtigen und tatsächlichen Marktsituation zu gewinnen und die These eines möglichen Marktversagens zu verifizieren, wurden durch die Autobahn GmbH des Bundes repräsentative Umfragen durchgeführt. Bei den Länderverwaltungen wurde die Anzahl ausgewiesener Erntegebiete und Arten abgefragt. Die unter Mitwirkung des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, Referat StB 13 durchgeführte Umfrage bei den Verkehrsträgern Autobahn GmbH, Landesstraßenbauverwaltungen, Wasserschifffahrtsverwaltung und der Deutschen Bahn AG beinhaltete u. a. die Frage nach den Erfahrungen hinsichtlich der Verfügbarkeit gebietseigener Gehölze und der Verfügbarkeit von Gehölzarten zum Zeitpunkt des Bedarfs sowie zur Umsetzbarkeit von Pflanzungen im Kontext der mutmaßlich angespannten Marktsituation. Schließlich beinhaltete eine Umfrage bei den Gehölzproduzenten gebietseigener Gehölze u.a. die Fragen nach den verfügbaren Kapazitäten, der Lieferfähigkeit sowie dem verfügbaren Sortiment gebietseigener Gehölze in Bezug auf die Vorkommensgebiete. Die Antworten der verschiedenen Institutionen werden derzeit noch ausgewertet, deshalb ist eine Beurteilung der aktuellen Marktsituation noch nicht abschließend möglich.

Voraussetzung für die Produktion gebietseigener Gehölze ist die Ausweisung von akkreditierten Erntebeständen. Die Verantwortlichkeit zur Ausweisung von Erntebeständen ging mit Inkrafttreten des § 40 BNatSchG auf die Länderverwaltungen über. Ergebnisse einer durch die Autobahn GmbH des Bundes initiierten Umfrage im Frühjahr 2024 zeigen, dass dieser Verpflichtung bis heute nicht alle Länderverwaltungen, insbesondere Länderverwaltungen im Bereich des Vorkommensgebietes 1, nachgekommen sind. Während Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz bislang keine Erntebestände ausgewiesen haben, hat Niedersachsen erst 2024 mit der Ausweisung von Erntebeständen begonnen. Diese Länder stellen den größten Flächenanteil im Vorkommensgebiet 1. Vor diesem Hintergrund wäre ein Marktversagen bzw. eine drastische Unterversorgung hinsichtlich der Verfügbarkeit gebietseigener Gehölze für das Vorkommensgebiet 1 nicht unwahrscheinlich.

Neben der nicht hinreichenden Ausweisung von Erntebeständen, die von allen Pflanzenproduzenten beklagt wird, stellt die Ausweisung kleiner, zum Teil vereinzelter Erntebestände für die saatgutproduzierenden Unternehmen eine große Hürde dar. Aus der geringen Anzahl der zum Teil sehr kleinen Erntebestände lassen sich nur geringe Erntemengen gewinnen. Die räumliche Distanz zwischen den Erntebeständen und der damit verbundene Aufwand lassen eine wirtschaftliche Beerntung durch die Unternehmen oftmals nicht zu, infolge werden die Bestände nicht beerntet. Darüber hinaus ist das Beernten ausgewiesener Bestände teilweise nicht möglich, da Genehmigungen der Eigentümer zum Betreten der Standorte nicht erteilt werden. Negative Auswirkungen auf die Verfügbarkeit und die Artenzahl sind die Folge.

Ein erstes Ergebnis, das sich aus der Umfrage bei den Länderverwaltungen ablesen lässt, ist der Zusammenhang zwischen der Anzahl der Erntebestände und der Artenzahl. In Regionen oder Vorkommensgebieten, in denen wenig Erntebestände zur Verfügung stehen, ist auch das

Artenspektrum sehr begrenzt, woraus sich ein Gegensatz zum Biodiversitätsgedanken des Gesetzes ergibt.

Während im Süden Deutschlands gemäß Angabe der Produzenten bis zu 90 Arten produziert werden, tendiert die produzierte Artenzahl im Norden Deutschlands gegen 30 Arten. Hier werden Systemstörungen sichtbar, für die Lösungsmöglichkeiten geschaffen werden müssen, damit die Zahnräder des Getriebes störungsfrei zusammenarbeiten können. Diese Störungen werden produktionsseitig durch eine stetige Abnahme der jungpflanzenproduzierenden Unternehmen verstärkt, da viele der Anzuchtbetriebe auf den Zukauf von Jungpflanzen angewiesen sind und nicht selbst Jungpflanzen produzieren.

Mit der Marktsituation verknüpft, sind die durch Inkraftsetzung des § 40 BNatSchG entstandenen rechtlichen Folgen, die sich unterschiedlich auswirken und Herausforderungen darstellen können.

Ist gebietseigene Ware nicht zuverlässig am Markt verfügbar, ist die Umsetzung des § 2 EU, Absatz 8, und der VOB Teil A § 7 EU zur Herstellung der Vergabereife im Rahmen von Ausschreibungsverfahren gerade bei großen Infrastrukturmaßnahmen erschwert, wenn nicht sogar unmöglich.

Der Grundsatz der Vergabe, dass eine Leistung erst dann ausgeschrieben werden darf, wenn Vergabe- bzw. Ausschreibungsreife besteht, ist in diesem Fall an die Verfügbarkeit der Gehölze in hinreichender Artenzahl und Menge zum Zeitpunkt des Bedarfs geknüpft, wobei dem Auftragnehmer im Rahmen der Beschaffung kein unwägbares Risiko entstehen darf (vgl. § 2 EU, Abs. 8, VOB Teil A § 7 EU). Das bedeutet, dass der Auftraggeber zur Herstellung der Vergabereife zum Zeitpunkt der Ausschreibung dafür garantieren muss, dass die Gehölze zum Zeitpunkt des Bedarfs in hinreichender Menge und Artenzahl zuverlässig vorhanden sein müssen. Diese Garantie kann der Auftraggeber in der Regel nicht geben, da er im Rahmen des Wettbewerbs keine direkte Einflussmöglichkeit auf die Pflanzenproduzenten, die Lieferanten oder Auftragnehmer ausüben darf.

Bei einer „vorgreifenden Beauftragung“ von Gehölzlieferungen müsste der Auftraggeber garantieren, dass es bei Baumaßnahmen nicht zu Verzögerungen oder zu Änderungen im Bauablauf kommt, die z. B. die Abnahme der Gehölze zum geplanten Zeitpunkt unmöglich machen. Ist dieses nicht auszuschließen, müssten bereits in der Ausschreibung entsprechende Regelungen vorgesehen werden.

Die Umsetzung des § 40 BNatSchG erfordert in Bezug auf die noch existierenden Herausforderungen pragmatische Lösungen und ein hohes Maß an Flexibilität aller Akteure. Die Vorschrift bietet hierzu Spielräume: Zum Beispiel ist der Einsatz gebietsfremder Gehölzarten des eigenen oder angrenzenden Vorkommensgebietes von den zuständigen Behörden zu genehmigen, wenn eine Gefährdung von Ökosystemen, Biotopen oder Arten auszuschließen ist. Insbesondere sollte die Genehmigung erteilt werden, wenn keine ernst zu nehmenden Hinweise vorliegen, dass gebietseigene Wildpflanzen verdrängt oder durch Auskreuzung genetisch verändert werden könnten.

Im Hinblick auf die zu erwartende Verschiebung der Klimazonen ist der Wandel des kühlgemäßigten Laubwaldklimas hin zu einem humiden, subtropischen Lorbeerwaldklima (Köppen/ Geiger, 2023) mit Auswirkungen auf die Standortbedingungen und Zusammensetzung der Vegetationsstruktur zu erwarten. Der prognostizierte Zeitraum, in dem sich unsere heimische und gebietseigene Vegetation an die sich ändernden Standortbedingungen anpassen muss, beträgt gemäß der Prognose des Weltklimarats ca. 75 Jahre. Das bedeutet, bezogen auf den Anpassungszeitraum seit der Entdeckung Amerikas vor rund 500 Jahren, dass die Gehölze perspektivisch 14 % des Zeitraums zur Anpassung haben, den sie zuvor für die Anpassung hatten.

Aus diesem Grund kann sich eine zukunftsorientierte Anpassung oder Ergänzung des § 40 BNatSchG als notwendig erweisen und dabei gleichzeitig eine sehr gute Gelegenheit sein, das Gesetz mit Blick auf die Herausforderungen und die sich ändernden Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln.