FGSV-Nr. FGSV 002/139
Ort Karlsruhe
Datum 19.09.2023
Titel Rettet die Bienen! Neues Grünpflegekonzept in Bayern
Autoren Heinz Dirnhofer
Kategorien Straßenbetrieb, Winterdienst
Einleitung

Die Bayerische Staatsbauverwaltung betreut rund 20.000 km Bundes- und Staatsstraßen. Die begleitenden Grün- und Böschungsflächen sind zwar in erster Linie unverzichtbare Bestandteile der Straße selbst, weil sie deren Standsicherheit und die Verkehrssicherheit gewährleisten. Aber sie haben darüber hinaus gleich mehrerer Vorteile: Sie unterliegen im Gegensatz zu vielen anderen Flächen in unserer Kulturlandschaft keinem Nutzungs- oder Erholungsdruck. Sie müssen weder gedüngt noch mit Pflanzenschutzmitteln behandelt werden. Und darauf wachsen neben Bäumen und Sträuchern auch immer seltener werdende Pflanzen. Darüber hinaus sind die Straßenböschung Lebensraum für zahlreiche Tierarten, vor allem Insekten. Daher bietet das Straßenbegleitgrün beste Voraussetzungen, um dort die Artenvielfalt besonders zu fördern. Darüber hinaus können die Straßenböschungen verschiedene Lebensräume von Pflanzen und Tieren miteinander vernetzen. Entlang des Straßennetzes für die Mobilität des Menschen entsteht parallel zum Straßenrand ein weiteres Verbundsystem für Tiere und Pflanzen.

Im Zuge des Volksbegehrens „Rettet die Bienen!“ und das von der Staatsregierung auf den Weg gebrachte Gesamtgesellschaftliche Artenschutzgesetz, das sogenannte Versöhnungsgesetz hat sich auch die bayerische Straßenbauverwaltung verpflichtet, bei der Pflege des Straßenbegleitgrüns die Förderung der Biodiversität in den Vordergrund zu rücken. Mit dem neuen Konzept für die „Ökologische Aufwertung von Straßenbegleitflächen entlang von Bundes- und Staatsstraßen in Bayern“ setzt die Staatsbauverwaltung die ökologische Pflege der Straßenbegleitflächen konkret um.

Das neue Konzept unterteilt die Straßenbegleitflächen aufgrund ihrer technischen und sicherheitsrelevanten Funktion in Intensivflächen – hier steht die Verkehrssicherheit im Vordergrund – und in Extensivflächen, wo ökologische Belange bei der Flächenpflege stärker berücksichtigt werden können. Aufgrund des begrenzt vorhandenen Personals in den Straßenmeistereien sowie aus wirtschaftlichen Gründen können jedoch nicht alle Extensivflächen optimal gepflegt werden. Daher werden die Extensivflächen in Normal- und Auswahlflächen weiter untergliedert. Die Pflege der Normalflächen erfolgt durch abschnittsweise Mulchmahd durch den Straßenbetriebsdienst. Für die Auswahlflächen werden spezifische Pflegepläne mit dem Ziel erarbeitet, Offenlandbiotope zu erhalten bzw. zu entwickeln. Auf diesen Flächen erfolgt standardmäßig ein Abräumen des Mähgutes. Die Pflegearbeiten werden hier meist durch externe Fachfirmen, Landschaftspflegeverbände, Landwirte oder Maschinenringe durchgeführt. Durch die genannten Maßnahmen bei der Grünpflege leistet die bayerische Staatsbauverwaltung ihren Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt.

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Volltext

Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

1 Ausgangssituation

1.1 Anlass

Die aktuellen Berichte über einen Rückgang der Insekten um 70 % in anderen Teilen Deutschlands sind auch in Bayern mit großer Sorge aufgenommen worden. Denn davon sind nicht nur einzelne Arten, sondern die Masse der Insekten insgesamt betroffen. Außerdem geht in der Folge die Vielfalt der insektenfressenden Tierarten, insbesondere die Vögel, ebenfalls merklich zurück. Auch im Freistaat sind Bestandsabnahmen und die Gefährdung der Artenvielfalt dokumentiert.

1.2 Volksbegehren „Rettet die Bienen!“ und Versöhnungsgesetz

Mit dem Volksbegehren „Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern – Rettet die Bienen!“ und dem Gesamtgesellschaftlichen Artenschutzgesetz (Versöhnungsgesetz) verfolgt der bayerische Gesetzgeber das Ziel, die Artenvielfalt und den Biotopverbund zu fördern. Im Artikel 19 des Bayerischen Naturschutzgesetzes wurde herausgestellt, dass zur Umsetzung des funktionalen Zusammenhangs innerhalb des Biotopverbunds insbesondere entlang von

  • Gewässern,
  • Waldrändern und
  • Verkehrswegen

Vernetzungskorridore geschaffen werden sollen.

Mit dieser Gesetzesänderung wurde der Wichtigkeit linearer Landschaftselemente Rechnung getragen, die mit fortschreitender Abnahme der Strukturvielfalt der Landschaft, zunehmender Zerschneidung zusammenhängender Landschaftsräume und zunehmender monostruktureller landwirtschaftlicher Flächennutzung eine immer höhere Bedeutung gewinnen.

Art. 19 BayNatSchG

Biotopverbund, Biotopvernetzung, Arten- und Biotopschutzprogramm

  1. Der Freistaat Bayern schafft ein Netz räumlich oder funktional verbundener Biotope (Biotopverbund), das bis zum Jahr 2023 mindestens 10 % Offenland und bis zum Jahr 2027 mindestens 13 % Offenland der Landesfläche Ziel ist, dass der Biotopverbund bis zum Jahr 2030 mindestens 15 % Offenland der Landesfläche umfasst.
  2. […] Für die Auswahl von Flächen hat der funktionale Zusammenhang innerhalb des Biotopverbunds besonderes Gewicht. Zur Umsetzung sollen unter anderem entlang von Gewässern, Waldrändern und Verkehrswegen Vernetzungskorridore geschaffen Die Umsetzung erfolgt im Wege kooperativer Maßnahmen […]

Der Berücksichtigung naturschutzfachlicher Ziele bei der Anlage und der Unterhaltung des Straßenbegleitgrüns wurde durch die Ergänzung des Artikels 30 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes um den Absatz 2 ein wesentlich stärkeres Gewicht als bisher eingeräumt.

Art. 30 BayStrWG – Bepflanzungen, Straßenbegleitflächen

  1. Zur Bepflanzung des Straßenkörpers ist nur der Träger der Straßenbaulast befugt. Dem Natur- und Landschaftsschutz ist Rechnung zu tragen.
  2. Begrünte Teile der Trenn-, Seiten-, Rand- und Sicherheitsstreifen, Böschungen und sonstige straßenbegleitende Grundstücksteile (Straßenbegleitflächen) sind bei Staatsstraßen mit dem Ziel zu bewirtschaften, die Luftreinhaltung, die Arten vielfalt und den Biotopverbund zu fördern.
    Im Rahmen der Wirtschaftlichkeit und vorbehaltlich der Verkehrssicherheit sollen bei Staatsstraßen die Straßenbegleitflächen als Magergrünland bewirtschaftet und Lärmschutzanlagen begrünt werden.
    Den Landkreisen und Gemeinden wird empfohlen, bei Kreis- und Gemeindestraßen entsprechend zu verfahren.

Die explizite Nennung der Zielvegetation „Magergrünland“, hier zu verstehen als arten-, insbesondere kräuterreiche, extensiv und ohne Einsatz von Dünge- oder Pflanzenschutzmittel bewirtschaftete Grün- und Offenlandflächen spiegelt deren Bedeutung zum Erhalt der Biodiversität und zum anderen deren Gefährdung durch Nutzungsintensivierung oder Nutzungsaufgabe wider.

Aber auch im Bund werden die Sorgen um das Artensterben ernst genommen: Die Bundesregierung hat am 4. September 2019 ein „Aktionsprogramm Insektenschutz“ beschlossen. Das Programm sieht u. a. vor, die Insekten und ihre Vielfalt bei Betrieb und Unterhalt von Bundesliegenschaften, darunter auch auf den Nebenflächen von Bundesverkehrswegen, zu fördern.

2 Geltungsbereich

Das Konzept umfasst die ökologische Aufwertung des Straßenbegleitgrüns durch eine angepasste Grünpflege ausschließlich im Bestand. In begründeten Einzelfällen können für die ökologische Aufwertung auch flankierende bauliche Maßnahmen notwendig sein. Es gilt für die begrünten Teile der Straßenbegleitflächen an allen Straßen im Zuständigkeitsbereich der Bayerischen Staatsbauverwaltung. Das Konzept umfasst die ökologische Aufwertung des Straßenbegleitgrüns durch eine angepasste Grünpflege im Bestand.

Folgende Teile des Straßenbegleitgrüns gehören nicht zum Geltungsbereich:

  • Naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen zum Ausgleich/Ersatz von Eingriffen in Natur und Landschaft, von artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten zur Erhaltung des kohärenten Netzes Natura 2000, auch wenn sie ausnahmsweise im Bereich des Straßenkörpers zum Liegen kommen. Diese Maßnahmen tragen per se zum Erhalt der biologischen Vielfalt bei.
  • Bepflanzte Sonderstandorte wie Lärmschutzwände, Steilwände, Raumgitterwände, Straßenüberdeckungen, Stützmauern, Tierdurchlässe, Grünbrücken oder Entwässerungseinrichtungen in Erdbauweise (Regenrückhalte-, Absetz- und Versickerungsbecken).
  • Flächen, bei denen die Bekämpfung von Problempflanzen und nicht die ökologische Aufwertung im Vordergrund steht. Nach erfolgter nachhaltiger Bekämpfung können die Flächen nach den Pflegegrundsätzen des Konzeptes gepflegt werden.
    Problempflanzen sind insbesondere Staudenknöterich (Fallopia japonica), Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum), Kreuzkräuter (Senecio spec.) und Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia).

3 Straßenbegleitgrün

3.1 Vegetationskategorien

Das Straßenbegleitgrün lässt sich im Wesentlichen in folgende Kategorien untergliedern:

  • Wiesenflächen (Bestände aus Gräsern, Kräuter und/oder Stauden),
  • Gehölze (Gemischte Pflanzungen aus Sträuchern mit und ohne Bäume),
  • Straßenbäume (Einzelbäume, Baumreihen und Alleen).

Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich im Wesentlichen auf die ökologische Pflege von Wiesenflächen.

3.2 Lebensraumqualität und Fallenwirkung des Straßenbegleitgrüns

Das Straßenbegleitgrün ist als nicht landwirtschaftlich genutzte Fläche, das heißt als Fläche, die im Allgemeinen nicht gedüngt und auf die keine Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden, Lebensraum für eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren und kann als lineares Vernetzungselement Lebensräume verbinden.

Der Einwand, durch struktur- und insbesondere blütenreiche Straßenbegleitflächen würden Tiere wie Insekten, Reptilien oder Wild in den Gefahrenbereich der Straße gelockt und dort zu Verkehrsopfern, kann nach derzeitigem Wissensstand aus ökologischer Sicht entkräftet werden. Die straßenbedingten Verluste an Individuen sind in aller Regel von untergeordneter Bedeutung und nehmen kein populationsgefährdendes Ausmaß an.

3.3 Ökologische Ziele bei der Grünpflege

Häufigkeit, Zeitpunkt und Arbeitsverfahren, also die Art der Pflege, beeinflussen die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren des Straßenbegleitgrüns. Ausgehend von den einschlägigen neuen Regelungen im Bayerischen Naturschutzgesetz und im Straßen- und Wegegesetz stellt die Förderung des Biotopverbundes und der Biodiversität durch arten-, insbesondere kräuterreiche, extensiv und ohne Einsatz von Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln bewirtschaftete Grün- und Offenlandflächen („Magergrünland“) das übergeordnete ökologische Ziel bei der Pflege des Straßenbegleitgrüns dar. Es trägt zur Vernetzung zwischen strukturell ähnlichen naturschutzfachlich wertvollen Biotopen (z. B. Magerrasen, Extensivgrünland, blütenreiche Hochstaudenfluren, naturnahe Gebüsch- und Gehölzsäume etc.) bei. Voraussetzung ist die Anbindung der straßenbegleitenden Grünflächen an bestehende Lebensräume oder deren Trittsteinwirkung (Biotopvernetzung).

Magergrünland und Insekten sind als Zielvegetationsbestand bzw. als Zielarten in den Gesetzen und Konzepten explizit genannt. Daher ist ihnen im Rahmen der ökologischen Aufwertung der Straßenbegleitflächen eine Priorität einzuräumen. Daneben sind aber auch entsprechend den standörtlichen Gegebenheiten weitere naturschutzfachlich relevante Tier- und Pflanzenarten und artenreiche Vegetationsbestände zu stärken. Im Einzelnen können folgende Teilziele formuliert werden.

  • Erhaltung und Erhöhung des Lebensraum- und Nahrungsangebots, insbesondere von:
    • Magergrünland,
    • blütenreichen Pflanzenbeständen (Erhöhung des Blütenangebots und Verlängerung der Blühzeiten),
    • Saumbiotopen.
  • Erhaltung und Erhöhung des Strukturreichtums
    • Habitatstrukturen als wichtige Teillebensräume (insbesondere Rohbodenstandorte, Stein-, Holz- und Reisighaufen, Totholzstämme),
    • Habitatstrukturen an Bäumen (insbesondere Höhlen und Totholz) als Lebensstätten für viele andere Arten.
  • Erhaltung und Entwicklung von vertikal und horizontal strukturierten, vitalen Gehölzen.
  • Erhaltung von Bäumen, insbesondere Baumreihen und
  • Erhaltung und Förderung von geschützten/gefährdeten Tier- und Pflanzenarten
    • Berücksichtigung der Lebensraumansprüche (vorkommender) geschützter/gefährdeter Arten bei der Pflege der Wiesenflächen, Gehölze (einschließlich ihrer Säume) und Bäume.
  • Minimierung der Tier- und Pflanzensamenverluste bei den Pflegegängen
    • Abschnittsweise Pflege: Bei einer abschnittsweisen Pflege erfolgt die Pflege räumlich und zeitlich versetzt. So wird den Tieren eine Fluchtmöglichkeit gegeben, und die Brachestreifen sind Ausgangspunkt der Wiederbesiedlung der gepflegten Bestände. Die Brachestreifen bieten darüber hinaus ein entsprechendes Lebensraumangebot im
    • Mindestmahdhöhe: Durch eine Mahdhöhe von 10 cm werden die Verluste der bodennahen Fauna reduziert. Außerdem werden dadurch Bodenverletzungen vermieden, die das Einwandern von „Problempflanzen“ wie z. B. Kreuzkräutern begünstigen.
    • Verzicht auf Absaugen: Beim Absaugen können aufgrund der Sogwirkung zusätzlich auch Kleintiere von der Fläche entfernt werden, die beim Schnitt weder verletzt noch getötet worden sind. Zudem werden auch Pflanzensamen von der Fläche entfernt.

4 Konzept

4.1 Rahmenbedingungen

Die Art der Pflege wird jedoch nicht nur durch die vorgenannten ökologischen Ziele bestimmt, sondern muss auch die Aspekte

  • Sicherstellung der Funktion des Straßenbegleitgrüns für die Straße,
  • Verkehrssicherheit,
  • Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit des Straßenbetriebsdienstes,
  • Arbeitssicherheit und
  • Nachbarschaftsschutz

berücksichtigen.

Alle Aspekte sind sowohl bei der Erstellung des Konzeptes als auch bei der Festlegung der Grundsätze zur Pflege des Straßenbegleitgrüns in Einklang zu bringen. Nur indem die Belange gegeneinander abgewogen werden, können die Pflege des Straßenbegleitgrüns an den rund 20.000 km zu pflegenden Bundes- und Staatsstraßen in Bayern im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Straßenbaulastträgers sowie die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer und die Arbeitssicherheit des Betriebsdienstpersonals gewährleistet werden. Die Eingriffe in den Verkehr sind in diesem Sinne grundsätzlich auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken.

4.2 Bisheriges Pflegekonzept

Die ökologischen Ziele werden bereits jetzt bei der Pflege berücksichtigt, indem das Straßenbegleitgrün je nach Lage zur Straße und entsprechend seiner Funktion in unterschiedlicher Intensität gepflegt wird. Die Wiesenflächen werden daher in einen Intensiv- und einen Extensivbereich unterteilt. Dies ist auch im Leistungsheft für den Betriebsdienst des Bundes entsprechend geregelt.

Bild 1: Regelquerschnitt Grünpflege

Der Intensivbereich umfasst die Bankette sowie die Flächen, die aus Gründen der Verkehrssicherheit (insbesondere Freihalten der Sichtfelder, Leitpfosten und des Lichtraumprofils), des Wasserabflusses oder des Erholungsbedarfs regelmäßiger und häufiger zu pflegen sind. Der tatsächlich notwendige Pflegeumfang kann variieren und wird individuell entsprechend der jeweiligen Flächenfunktion, der Vegetationszusammensetzung, dem Nährstoffgehalt des Bodens, dem Klima und dem jährlichen Witterungsverlauf festgelegt. Hier stehen die Verkehrssicherheit sowie betriebliche Belange im Vordergrund.

Bild 2: Intensivbereich

Die restlichen Wiesenflächen werden dem Extensivbereich zugeordnet. Dessen Pflege hat im Allgemeinen keinen direkten Einfluss auf die Verkehrssicherheit. Die landschaftsökologischen Ziele können hier in den Vordergrund treten. Eine Pflege erfolgt nur dann, wenn es insbesondere aus Gründen der Landschaftspflege, der Ingenieurbiologie oder der Bestandssicherung erforderlich ist. Entwicklungsziel ist es, die Wiesenflächen dauerhaft offen zu halten.

Bild 3: Extensivbereich

Bisher erfolgte in der Regel keine differenzierte Pflege der Wiesenflächen mit dem Ziel, verschiedene Offenlandlebensräume zu schaffen und die Flächen gezielt ökologisch aufzuwerten. Nur wenn im Einzelfall das Vorkommen besonderer Tier- und Pflanzenarten bekannt ist oder in der Genehmigungsplanung spezifische Entwicklungsziele festgelegt worden sind, erfolgte in diesen Bereichen eine angepasste Pflege.

Im Straßenrandbereich, in Mittel-/Trennstreifen, am Grundstücksrand oder auf den Erholungs-/ Aufenthaltsbereichen der Rastanlagen und Parkplätze kann ein häufiger Schnitt zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit, der Aufenthalts- und Erholungsfunktion oder aus Gründen des Nachbarrechts erforderlich sein.

4.3 Künftiges Pflegekonzept

Das bisherige Konzept wurde mit dem Ziel überprüft, inwieweit die ökologischen Ziele stärker als bisher im Rahmen der derzeitigen Geräte-, Personal- und Mittelausstattung bei der Grünpflege berücksichtigt werden können.

Bild 4: Schematische Darstellung des neuen Pflegekonzepts

4.4 Intensivbereich

Die Pflege der Wiesenflächen des Intensivbereichs wird vorrangig durch die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit und durch betriebswirtschaftliche Rahmenbedingungen bestimmt. Eine ökologische Aufwertung durch Änderung der bisher geübten Pflegepraxis ist hier nur sehr eingeschränkt möglich, soll aber im möglichen Rahmen künftig berücksichtigt werden.

4.4.1 Pflegeziele/-grundsätze im Intensivbereich

Aus Gründen der Verkehrssicherheit werden im Intensivbereich drei Pflegeziele verfolgt:

  • Eine Vegetationshöhe von 0,5 Meter auf dem Bankett, Mittel- und Trennstreifen und den Sichtflächen soll aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht überschritten werden.
  • Ein ausreichender Wasserabfluss muss jederzeit gewährleistet sein.
  • Die Aufenthaltsflächen an Park- und Rastflächen sind ausreichend kurz zu halten, um eine Nutzung zu ermöglichen.

Dies erfolgt vorrangig durch Umsetzung einer standardisierten Pflege nach folgenden Grundsätzen:

  • Die Wiesenflächen der Sichtflächen, Bankett, Mulde und Aufenthaltsflächen werden in der Regel 2- bis 3-mal pro Jahr und der Mittelstreifen zweibahniger Straßen 1- bis 3-mal pro Jahr je nach Wüchsigkeit gemulcht.
  • Entwässerungsgräben sind in der Regel nicht ständig, sondern nur temporär wasserführend. Sie sind potenzielle Lebensräume für Insekten- und Amphibienarten, Leitlinie für mobile Tierartengruppen und können ein hohes Nahrungsangebot für Insekten, Vögel und Amphibien haben. Um ihrer erhöhten Habitatfunktion Rechnung zu tragen, erfolgt in der Regel nur eine einmalige Mahd möglichst spät im Jahr. Abweichungen in der Häufigkeit und zum Zeitpunkt erfolgen nur, wenn es zur Wahrung einer ordnungsgemäßen Entwässerung der Straße notwendig ist.
  • Röhrichte sind schützenswerte Habitatstrukturen, die in Entwässerungsmulden/-gräben vorkommen können. Sie sollen gemäß 39 Absatz 5 Nr. 4 BNatSchG grundsätzlich in der Zeit von Oktober bis Ende Februar zurückgeschnitten werden. Ist zur Wahrung einer ordnungsgemäßen Entwässerung der Straße ein Rückschnitt im Sommer notwendig, erfolgt er nur in Abschnitten.
  • Die Pflege erfolgt durch eine Mulchmahd. Eine Mindestmahdhöhe von 10 cm soll eingehalten werden.
  • Bei Bedarf ist das Mähgut abzusaugen, um das Verstopfen von Entwässerungseinrichtungen zu verhindern oder um den Wasserabfluss nicht zu behindern.

4.5 Extensivbereich

Auf den Wiesenflächen des Extensivbereichs hingegen können ökologische Aspekte in den Vordergrund treten. Abhängig von der Lage im Raum und dessen Biotopausstattung, der flächenmäßigen Ausdehnung, der vorhandenen Vegetation und den standörtlichen Verhältnissen weisen die Wiesenflächen hier ein unterschiedliches Potenzial zur Erhöhung der Biodiversität und zur Stärkung des Biotopverbunds auf. Als Novum soll der Extensivbereich daher differenziert betrachtet werden. Bereiche mit einem hohen Potenzial sollen als Auswahlflächen, die übrigen Bereiche als sogenannte Normalflächen gepflegt werden.

4.5.1 Normalflächen

Die Pflege der Normalflächen erfolgt weiterhin standardisiert durch den Straßenbetriebsdienst. Die Vorgaben zur Pflege werden, soweit es im Rahmen der vorhandenen Personal- und Geräteausstattung möglich ist, an den ökologischen Zielen ausgerichtet. So ist es möglich, die Bedeutung der Normalflächen als Extensivgrünland zu stärken. Da aus betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Gründen die Normalflächen weiterhin gemulcht werden, können magere Wiesenflächen mit hoher Biodiversität im Regelfall nicht erreicht werden. Die hier zu entwickelnden Tier- und Pflanzenarten sind in der Regel „Allerweltsarten“, die allerdings in unserer intensiv genutzten Kulturlandschaft vielfach bereits deutlich seltener geworden sind. Im Einzelfall können sich jedoch auch bei dieser standardisierten Pflege mittelfristig bereichsweise neue Auswahlflächen bilden.

4.5.1.1 Pflegeziele/-grundsätze auf Normalflächen im Extensivbereich

Um den naturschutzrechtlichen Anforderungen Rechnung zu tragen, werden auf den Normalflächen diese Pflegeziele verfolgt:

  • regelmäßige Pflege der Wiesenflächen zur Vermeidung einer Verbuschung,
  • Schaffung von Brachestrukturen zur Lebensraum- und Strukturanreicherung,
  • Die aktive Umwandlung von Wiesenflächen in geschlossene Gehölzflächen bleibt in der Betriebsphase begründeten Einzelfällen (Verkehrslenkung, Schneeschutz) In diesen Fällen werden Pflanzen gebietseigener Herkünfte vorwiegend von stark blühenden Arten (z. B. Holunder, Vogelkirsche etc.) verwendet.

Dies erfolgt vorrangig durch Umsetzung einer standardisierten Pflege nachfolgenden Grundsätzen:

  • Die Wiesenflächen werden grundsätzlich einmal im Jahr gepflegt.
  • Größere zusammenhängende Bereiche werden abschnittsweise alle zwei Jahre gepflegt. Hierzu zählen Böschungsbereiche mit einer Mindestbreite von zwei Metern ab einer Länge von 100 Metern, breite Trennstreifen sowie größere Anschlussstellen.
  • Zur abschnittsweisen Pflege werden zwei Methoden unterschieden. Sie erfolgt entweder in zur Fahrbahn parallelen Pflegestreifen oder in Abschnitten senkrecht zur Die Pflege der Streifen bzw. Abschnitte erfolgt im jährlichen Wechsel. Senkrecht zur Fahrbahn angeordnete Pflegeabschnitte sind besonders für schmale Böschungen geeignet.
  • Die Pflege erfolgt durch eine Die Schnitthöhe beträgt mindestens 10 cm.

Bild 5: Normalflächenpflege mit parallelen Pflegestreifen

Der Pflegegang auf den Normalflächen erfolgt zusammen mit den Flächen des Intensivbereichs, vorzugsweise im Sommer, sodass die nachgewachsenen Wiesenpflanzen als Altgras im Winter zur Verfügung stehen und das Mulchgut möglichst verrottet.

  • Flächen mit Gehölzdruck sind einmal im Jahr, idealerweise im Sommer/Spätsommer (Mitte Juli bis Ende September), zu pflegen.
  • Ein Absaugen des Mähguts erfolgt zum Schutz der Kleintierfauna regelmäßig nicht. Das damit eventuell erreichbare Ziel des Nährstoffentzugs wird demgegenüber hintenange

Bild 6: Normalflächenpflege mit senkrechten Pflegestreifen

4.5.2 Auswahlflächen

Auf den Auswahlflächen werden durch spezifisch festzulegende Pflegekonzepte (Pflege- und Entwicklungsplan) die genannten ökologischen Ziele zur Förderung der Biodiversität bestmöglich umgesetzt.

4.5.2.1 Eignung als Auswahlfläche und konzeptionelle Festlegung

Als Auswahlflächen sind Flächen geeignet, die aufgrund ihrer Lage im Raum, dem vorhandenen Bewuchs und/oder den standörtlichen Verhältnissen bereits jetzt oder potenziell durch Umstellung der Pflege, in begründeten Einzelfällen ggf. auch gekoppelt mit flankierenden baulichen Maßnahmen, folgende Merkmale aufweisen bzw. aufweisen können:

  • artenreiche Bestände oder Biotopqualität,
  • Vorkommen gefährdeter oder geschützter Tiere und Pflanzen,
  • Schutzfunktion für angrenzende Biotope/Schutzgebiete (Pufferzone),
  • besondere Bedeutung für das Wandern und die Ausbreitung von Tieren,
  • Trittstein in der Biotopvernetzung,
  • besondere Bedeutung für das Landschaftsbild.

Besonders eignen sich Flächen als Auswahlflächen in nur geringer Entfernung zu anderen naturschutzfachlich besonders wertvollen Flächen wie:

  • Naturschutzgebiete, flächenhafte Naturdenkmäler, geschützte Landschaftsbestandteile, Natura-2000-Gebiete,
  • Biotope nach der Bayerischen Biotopkartierung,
  • Ausgleichsflächen,
  • landwirtschaftliche oder kommunale Blühstreifen,
  • weitere öffentliche Grünflächen in anderer Zuständigkeit (z. B. Streuobstwiesen, magere Säume und Böschungen entlang von Fuß- und Radwegen etc.).

Aus dem Pool möglicher Auswahlflächen werden auf Basis einer fachlichen Priorisierung diejenigen Auswahlflächen ausgewählt, die das größte Potenzial zur ökologischen Aufwertung besitzen, als Element des Biotopverbundes dienen und die besten Pflegemöglichkeiten bieten.

4.5.2.2 Pflegeziele/-grundsätze der Auswahlflächen

Prioritär sind auf Auswahlflächen artenreiche Grün- und Offenlandbiotope zu erhalten und zu entwickeln. Insbesondere Magergrünland, blütenreiche Pflanzenbestände und Saumbiotope.

Neue Gehölze werden nur

  • zur Strukturanreicherung ausgeräumter Landschaften,
  • zum Schließen von Lücken im Biotopverbund oder
  • zur Schaffung von Pufferzonen für angrenzende Biotope/Schutzgebiete

Die Pflege (Häufigkeit, Zeitpunkt und Arbeitsverfahren) der Auswahlflächen wird entsprechend dem Ausgangsbestand und dem Entwicklungsziel (Zielarten bzw. Zielvegetationsbestand) in einem Pflege- und Entwicklungsplan spezifisch festgelegt. Gegebenenfalls bestehende naturschutzfachliche Zielkonflikte sind hier konzeptionell zu lösen.

Folgende allgemeine Ziele und Grundsätze zur Pflege und Entwicklung können aufgestellt werden:

  • Habitatstrukturen wie Rohbodenstandorte, Stein-, Holz- und Reisighaufen oder Totholzstämme sind wichtige Teillebensräume. Für Rohbodenstandorte sind insbesondere flachgründige Standorte auf Sand, Kies oder Kalkschotter geeignet. Sind Habitatstrukturen anzulegen, erfolgt dies zum Schutz der Tiere (verkehrsbedingte Verluste) möglichst straßenfern. Des Weiteren dürfen für die Verkehrsteilnehmer von den Strukturen keine Gefahren ausgehen.
  • Bei bestehenden Restbeständen blütenreicher Vegetation (z. Margerite, Glockenblumen, Wilde Möhre etc.) innerhalb oder am Rande der Nitrophyten-Fluren (insbesondere Brennnessel) ist eine Aushagerung der Bestände anzustreben, außer die Nitrophyten-Fluren sollen als Lebensraum für Tagfalter erhalten bleiben.
  • Die eingesetzten Maschinen zum Mähen, zur Aufnahme und zum Abtransport des Mähguts sind abhängig von den am Markt zur Verfügung stehenden Techniken und den örtlichen Gegebenheiten.
  • Grundsätzlich ist auf eine Mulchmahd zu verzichten. Stattdessen ist ein schneidendes Mähgerät (z. B. Balkenmäher) einzusetzen und das Mähgut zu entfernen. Die Mindestmahdhöhe von 10 cm ist Das Mähgut sollte aus ökologischen Gründen einen Tag liegen gelassen werden. Ein Einwehen auf die Fahrbahn muss aus Verkehrssicherheitsgründen vermieden werden. Eine Absaugtechnik ist, soweit möglich, zum Entfernen des Mähguts nicht einzusetzen.
  • Rücksichtnahme auf den jährlichen und tageszeitlichen Aktivitäts-/Entwicklungsrhythmus der Zielarten, soweit möglich.
  • Bei einer engen räumlichen Verzahnung von Grünflächen der Straße und umliegenden Wiesen sind die Auswahlflächen und die benachbarten Flächen möglichst nicht zeitgleich zu mähen, um Tieren immer Rückzugsmöglichkeiten zu gewähren.
  • Sollen Gehölzsäume als artenreicher Lebensraum im Übergangsbereich zwischen den Wiesenflächen und Gehölzen entwickelt werden, ist zu beachten, dass Flächen mit großem Gehölzdruck einmal im Jahr zu pflegen Ansonsten ist mit einer schnellen Verbuschung zu rechnen.
  • In begründeten Einzelfällen können Pflegemaßnahmen auch durch bauliche Maßnahmen flankiert werden. Ist z. B. eine Änderung der Vegetationszusammensetzung durch Aushagerung und Umstellung der Pflege allein nicht zielführend, kann zum Erreichen des Zielbestandes eine flächenhafte oder streifenhafte Neuanlage in Betracht kommen. Bei der streifenhaften Ansaat erfolgt die Ausbreitung der Zielarten im Laufe der Zeit auch in die angrenzenden, nicht eingesäten Flächen. Für Ansaaten ist gebietseigenes Saatgut entsprechend der Zielvegetation zu verwenden. Sofern sich wertgebende Vegetationsstrukturen auch ohne Aussaat entwickeln lassen (z. B. durch Mähgutübertragung von benachbarten Biotopflächen oder durch das eigenständige Entstehen ruderaler Fluren), soll auf eine Aussaat verzichtet Jede Neuanlage erfordert eine Saatbettvorbereitung (Mulchen des Bestands und Aufbruch der bestehenden Grasnarbe durch Fräsen zur Reduzierung der Konkurrenzkraft der Altnarbe) und eine anschließende Fertigstellungspflege. Im Rahmen der Fertigstellungspflege ist ggf. ein Schröpfschnitt durchzuführen, um unerwünschten Aufwuchs zu bekämpfen.
  • Sind in begründeten Einzelfällen Gehölzflächen anzulegen, sind Pflanzen gebietseigener Herkünfte vorwiegend von stark blühenden Arten (z. B. Holunder, Vogelkirsche etc.) zu verwenden.
  • Sind Flächen mit Problempflanzen benachbart, sind präventive Maßnahmen vorzusehen, um eine Einwanderung in die Auswahlflächen zu verhindern.

Bild 7: Beispielhafte Pflegemaßnahmen an einer Auswahlfläche

4.6 Organisation der Pflege der Wiesenflächen

Regelmäßig kann die Pflege der Wiesenflächen des Intensivbereichs und der Normalflächen des Extensivbereichs der Straßenbetriebsdienst durchführen. Im Einzelfall wird die Pflege auch durch Dritte umgesetzt. Sind Böschungsbereiche der Normalflächen abschnittsweise zu mähen, können sich die jährlichen Pflegeabschnitte an den Leitpfosten orientieren (Abstand 50 Meter). Eine Markierung vor Ort ist im Regelfall nicht notwendig. Zur Aufteilung der Flächen innerhalb der Anschlussstellen und Trennstreifen in Pflegeabschnitte ist eine Markierung vor Ort sinnvoll und ist in geeigneter Weise dauerhaft und leicht erkennbar anzubringen.

Die Umsetzung der Pflegegrundsätze auf den Auswahlflächen wird einzelfallbezogen festgelegt. Vielfach wird die Durchführung durch Dritte erfolgen müssen.

Bild 8: Abschnittsweise Pflege einer Normalfläche

Dieser Beitrag basiert in wesentlichen Teilen auf der Broschüre „Ökologische Aufwertung von Straßenbegleitflächen entlang von Bundes- und Staatsstraßen in Bayern“ des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr 2020. Die Broschüre ist über die Homepage des Staatsministeriums unter folgender Adresse abrufbar:

https://www.stmb.bayern.de/assets/stmi/vum/strasse/betriebsundwinterdienst/oekologische_ aufwertung.pdf