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1. Einleitung
Derzeit werden vermehrt verschiedene Verkehrsbeeinflussungsmaßnahmen zur Verbesserung der verkehrsbedingten Luftschadstoffbelastung vor allen in urbanen Räumen ergriffen. Unter anderen werden Maßnahmen zum umweltsensitiven Verkehrsmanagement (UVM) genutzt, um lufthygienisch hochbelastete Bereiche (Immissions-Hotspots) innerhalb des innerstädtischen Straßennetzes zu entlasten. UVM-Maßnahmen zielen auf das Management und die Optimierung von verkehrsbedingten Emissionen im bestehenden Netz durch Verflüssigung oder Verlagerung des Verkehrs in weniger belastete und gut durchlüftete Netzbereiche ab. Die positiven Wirkungen der UVM-Maßnahmen werden dabei in vielen Fällen begrenzt durch lokale Rahmenbedingungen (z. B. eine vorhandene Alternativroute sowie einen geeigneten Pförtnerungsbereich an der Stadtgrenze mit unkritischer Luftschadstoffbelastung).
In den nächsten Jahren wird eine weitere Zunahme von Elektrofahrzeugen im Straßenverkehr angestrebt, welche als eine Chance zur Emissionsreduktion (nicht nur von Treibhausgasen, sondern auch der lokalen Schadstoffemissionen) gesehen wird. Obwohl Elektrofahrzeuge in letzter Zeit von Regierungen und lokalen Behörden ehrgeizig unterstützt werden, ist es kurzfristig nicht möglich, die Fahrzeugflotte komplett auf E-Fahrzeuge umzustellen, um die Emissionsreduktionsziele zu erreichen. Einerseits werden statische Maßnahmen, welche E-Fahrzeuge im Verkehr dauerhaft privilegieren (z. B. kostenlose Parkplätze im Stadtzentrum), kritisiert, da diese die Nutzung von Privatfahrzeugen fördern können. Andererseits haben drastische Maßnahmen, die umweltschädliche Fahrzeuge gänzlich verbieten (z. B. Dieselverbot), Akzeptanzprobleme von mehreren Seiten. Aus diesem Grund können dynamische Verkehrs-managementstrategien bis zum Erreichen eines bestimmten Anteils von E-Fahrzeugen in der Fahrzeugflotte eine Chance bieten, die Potentiale von E-Fahrzeugen zur lokalen Emissionsreduktion zu nutzen.
Beispiele bereits umgesetzter UVM-Maßnahmen (Diegmann, et al., 2020) zeigen, dass die härteren Maßnahmen, welche die Verkehrsbelastung oder -zusammensetzung in einem Hotspot beeinflussen (z. B. Lkw-Durchfahrtsverbot, Verkehrsverlagerung), größere Reduzierungspotenziale aufweisen als Maßnahmen mit Fokus auf der Optimierung des Verkehrsflusses (z. B. Geschwindigkeitsreduzierung, Optimierung von Lichtsignalanlagen). Derartige Strategien können darin bestehen, E-Fahrzeugen während einer aktivierten Zugangsbeschränkung (z. B. Umleitung/Re-Routing, Zuflussdosierung) Vorrang einzuräumen oder kurzfristige Anreize zur Nutzung von E-Fahrzeugen während Emissionsspitzen zu geben (z. B. dynamische Elektrofahrzeug-Spuren). Somit würde im gleichen Sinne auch die Verwendung von E-Fahrzeugen gefördert, was langfristig zu einem erhöhten E-Fahrzeug-Anteil und Verbesserung der Luftqualität beitragen kann.
Es gibt zahlreiche Studien zur Gesamt-Umweltwirkung von Elektrofahrzeugen, welche die Effekte von alternativen Antriebssystemen von der Produktion bis zum Recycling analysieren (z. B. Ökobilanz- oder Lebenszyklusanalyse). Bisher liegen jedoch kaum Erkenntnisse zu dynamischen Verkehrsmanagementmaßnahmen unter Berücksichtigung von Elektrofahrzeugen und ihren Wirkungen auf lokale Schadstoffbelastungen in den Straßenschluchten (insbesondere im Bereich von Hotspots) vor. In (Celikkaya, Busch, & Plank-Wiedenbeck, 2020) wurden bereits die Potenziale von Elektrofahrzeugen zur Verringerung lokaler Emissionen und Immissionen unter verschiedenen Randbedingungen dargestellt. Als wesentliche Erkenntnis daraus kann festgehalten werden, dass ein steigender Anteil von Elektrofahrzeugen im Verkehr vor allen in Streckenabschnitten mit hohen Emissionsbelastungen (z. B. Hauptverkehrsstraßen mit Rückstaus und vielen Halten an Lichtsignalanlagen) und unter ungünstigen Wetterbedingungen einen besonders hohen Beitrag zur Verbesserung der Luftqualität leisten können. Somit zeigt sich, dass die Berücksichtigung von Elektrofahrzeugen nicht nur in statischen Maßnahmen zur Luftreinhaltung (z. B. finanzielle Förderung, Park-Bevorrechtigung etc.), sondern auch in dynamischen UVM-Maßnahmen eine zielgerichtete Beeinflussung der Luftschadstoffbelastung sowie eine verursacherbezogene Ausrichtung derartiger Maßnahmen ermöglicht. Im Bericht „Dynamisches umweltsensitives Verkehrsmanagement“ der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wird darauf hingewiesen, dass zukünftige Maßnahmen zur NO2-Reduktion in Hotspots dynamische Beschränkungen auch nach Fahrzeugtypen (z. B. Antriebsart, Emissionsklasse) berücksichtigen können (Diegmann, et al., 2020, S. 66- 67).
2. Zielsetzung und Methodik
Im vorliegenden Beitrag wurden die Wirkungen von beispielhaften dynamischen UVM-Maßnahmen mit Integration von Elektrofahrzeugen auf die NO2-Immissionsbelastung im Straßennetz im Rahmen einer weiterführenden Simulationsstudie untersucht. Anhand der Betrachtung eines fiktiven innerstädtischen Straßennetzes mit unterschiedlichen Straßentypen und Verkehrsbelastungen werden zwei UVM-Maßnahmen (1: dynamisches Re-Routing, 2: dynamische Zuflussdosierung) abgebildet. Beide Maßnahmen werden jeweils mit verschiedenen Elektrofahrzeuganteilen der Kfz-Flotte (5 %, 10 %, 20 %, …) untersucht. In unterschiedlichen Szenarien wurden für die Maßnahmen sowohl mit als auch ohne Priorisierung bzw. Bevorrechtigung von Elektrofahrzeugen die Auswirkungen auf die NO2-Belastung ermittelt.
Mit Hilfe dieser Studie sollen Antworten auf folgende Fragen zur Betrachtung von Elektrofahrzeugen im Rahmen des UVM gegeben werden:
- Kann die Berücksichtigung und Priorisierung bzw. Bevorrechtigung von E-Fahrzeugen die Wirkung der UVM-Maßnahmen verbessern? (d. h. zeigt sich eine reduzierte Verlagerung von Emissionen und Staus in alternative Straßennetzbereiche?)
- Können solche Maßnahmen signifikante Vorteile für Elektrofahrzeuge bringen?
- Wie ändern sich die verkehrlichen und lufthygienischen Wirkungen einer priorisierten Betrachtung von E-Fahrzeugen mit steigendem E-Fahrzeug-Anteil?
Aufgrund der Schwierigkeiten, die Effekte von hohen Ausstattungsraten von Elektrofahrzeugen mit realen Messungen zu ermitteln, wurde für die Untersuchung eine Verkehrssimulation eines beispielhaften urbanen Straßennetzes genutzt. Für die Nachbildung des Verkehrs wurde PTV VISSIM (Version 11) verwendet, da mit diesem mikroskopischen Verkehrsflusssimulations-Tool einzelne Fahrzeuge mit ihrem detaillierten Fahrverhalten simuliert werden können. Zur Berechnung der fahrzeugbedingten lokalen NOX-Auspuffemissionen wurden das Motorkennfeldbasierte Emissionsmodell PHEM (Version 12.0.10) genutzt, welches Emissionen von einzelnen Fahrzeugen anhand ihrer Trajektorien (basierend auf sekündlichen Bewegungsdaten aus der VISSIM-Verkehrssimulation) berechnet. Aufbauend darauf wurden die resultierenden stündlichen NO2-Immissionsbelastungen in den einzelnen Streckenabschnitten durch Verwendung des Ausbreitungsmodells Operational Street Pollution Model (OSPM, Version 5.2.33) ermittelt, mit dem verkehrsbedingte Zusatzimmissionsbelastungen in einer Straßenschlucht durch eine Kombination aus Gauß‘schem Rauchfahnenmodell mit einem Boxmodell berechnet werden (Neunhäuserer, Diegmann, Gäßler, & Pfäfflin, 2011, S. 19). Bei der Berechnung der NO2-Immissionen wurden konstante Wetterdaten und Hintergrundimmissionen (fiktiv und auf stündlicher Basis) sowie eine definierte Randbebauung berücksichtigt.
Da aufgrund der Zufälligkeit in den mikroskopischen Simulationen die Aussagekraft eines einzelnen Simulationslaufs niedrig ist (FGSV, 2006), wurden für jedes Szenario vier Simulationsläufe durchgeführt. Bei der Analyse wurde jeder Simulationslauf wie eine 1-Tages-Erhebung betrachtet und die Ergebnisse dieser 4 Tage (Simulationsläufe) berücksichtigt. Für Emissionen und Immissionen wurden stündliche Mittelwerte berechnet; für verkehrliche Indikatoren (Fahrzeit, Anzahl Halte… usw.) wurden 5-Minuten-Mittelwerte genutzt.
Für die Simulationen und Berechnungen wurden folgende Annahmen berücksichtigt:
- E-Fahrzeuge sind rein-elektrisch angetrieben und erzeugen keine NOX-Auspuff-Emissionen.
- Es kommt die Flottenzusammensetzung für Deutschland für das Jahr 2020 des Handbuchs für Emissionsfaktoren im Straßenverkehr (HEBFA 3.3) zur Anwendung.
- In allen Szenarien wurde für alle Fahrzeugtypen des Individualverkehrs (Pkw, leichte und schwere Nutzfahrzeuge) der jeweils gleiche E-Fahrzeuganteil verwendet. Der ÖPNV ist nicht elektrifiziert.
- NO2-Hintergrundbelastung von 35 µg/m³, Temperatur 20°C, Windgeschwindigkeit 2 m/s, konstante Windrichtung
- Zur Definition von Hotspots und zur Aktivierung von UVM-Maßnahmen wird eine Überschreitung des NO2-Stundenmittelwertes von 50 µg/m³ verwendet.
3. Ausgangssituation
Die erstellte Simulationsumgebung umfasst ein innerstädtisches Straßennetz mit einer Länge von ca. 28 km und enthält unterschiedliche Straßentypen (Bundesstraßen, Hauptverkehrsstraßen und Sammelstraßen) sowie verschiedene Strukturelemente (z. B. plangleiche und planfreie Knotenpunkte, Kreuzungen mit/ohne Lichtsignalanlagen, Abschnitte mit/ohne Längsneigung). Für die Berechnung der Emissionen wurden die Straßen in Abschnitte mit der Länge von 100 m unterteilt. Hierbei wurden vor allem die Rückstaubereiche vor den Lichtsignalanlagen (LSA) und die Verflechtungsbereiche aufgrund ihrer besonderen Verkehrszustände als separate Abschnitte berücksichtigt. Für ein realitätsnahes Netz wurden Eigenschaften wie die zulässige Höchstgeschwindigkeit oder die Verkehrszusammensetzung in Abhängigkeit der Straßentypen variiert (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Eigenschaften des Straßennetzes
In der Simulation wurde beispielhaft ein Zeitraum von 4 Stunden (07:00 Uhr bis 11:00 Uhr) betrachtet. Die Hauptverkehrsrichtung der Bundes- und Hauptverkehrsstraßen stellt die Nord-Süd- bzw. West-Ost-Richtung dar. Die Verkehrsbelastungen jeder Zufahrt in das Untersuchungsgebiet wurden bis 07:30 Uhr kontinuierlich gesteigert und ab 09:00 Uhr in der gleichen Weise reduziert. In der Folge bilden sich zwischen 08:30 Uhr und 09:30 Uhr im Netz in mehreren Bereichen Staus. Das Ausmaß des Staus variiert nach Straßentyp und Fahrtrichtung (Abbildung 1).
Abbildung 1: Ausgangssituation Verkehr (links) und Immissionen (rechts)
4. Hotspots, Maßnahmen und Szenarien
Abbildung 2: Darstellung von Hotspots und Maßnahmen
Wie in Abbildung 1 (rechts) zu sehen ist, werden an zwei Stellen im Straßennetz die definierten stündlichen Grenzwerte der NO2-Belastung in den Spitzenstunden (um 08:00 und 09:00 Uhr) überschritten. Diese Straßenzüge, welche aus mehreren Straßenschluchtabschnitten bestehen, werden als Hotspots identifiziert Abbildung.
Hotspot 1befindet sich auf einer Bundesstraße. Die mittlere Querschnittverkehrsbelastung beträgt in der Spitzenstunde 4.250 Kfz/h bei einem Schwerverkehrsanteil von 5 %. Der maximale NO2-Stundenmittelwert liegt bei 62 µg/m³. Hotspot 2 befindet sich auf einer Hauptverkehrsstraße. Die mittlere Querschnittverkehrsbelastung beträgt in der Spitzenstunde 1.800 Kfz/h bei einem Schwerverkehrsanteil von 4 %. Der maximale NO2-Stundenmittelwert liegt bei 64 µg/m³.
Im Rahmen der Studie wurden zwei unterschiedliche UVM-Maßnahmen zur Reduzierung der Verkehrsbelastung in den Hotspot-Bereichen untersucht:
- Dynamisches Re-Routing
- Dynamische Zuflussdosierung
Bei der Gestaltung der Maßnahmen wurde sichergestellt, dass mit der jeweiligen Maßnahme (sowohl mit als auch ohne Priorisierung von E-Fahrzeugen) die Immissionsüberschreitungen in den Hotspots vermieden und keinen neuen Hotspots generiert wurden.
4.1 Maßnahme 1: Dynamisches Re-Routing
In der ersten Maßnahme „Dynamisches Re-Routing“ wurde eine Alternativroutensteuerung berücksichtigt, welche einen Teil des Verkehrs im Hotspotbereich statisch auf eine Alternativroute umleitet und somit den kritischen Bereich sowohl verkehrlich als auch immissionsmäßig entlastet. Im Aktivierungszeitraum der Maßnahme (08:00 bis 10:00 Uhr) werden alle Fahrzeuge aus Norden kommend zum Knotenpunkt C, deren Route über die Hotspot-Bereiche verläuft, auf die Alternativroute umgeleitet (Abbildung 2). Alle anderen Fahrten, die die Hotspotbereiche betreffen, bleiben gegenüber dem Ausgangszustand unbeeinflusst. Neben der Anpassung der genutzten Routen wurde das Festzeit-Signalprogramm an den Knotenpunkten A und C so angepasst, dass für den zusätzlichen Verkehr auf der Alternativroute eine verlängerte Grünzeit vorgesehen wurde. Bei der Maßnahmennachbildung wurde einer Befolgungsrate von 70 % modelliert.
Zur Priorisierung von Elektrofahrzeugen im Rahmen der Maßnahme wurde eine Ausnahmeregelung von der oben beschriebenen Alternativroutensteuerung für alle Elektrofahrzeuge berücksichtigt. Demzufolge können in den Szenarien mit Priorisierung alle Elektrofahrzeuge ihre ursprünglichen Routen (Hauptroute) weiterverfolgen, wohingegen Fahrzeuge mit konventionellem Verbrennungsmotor die Alternativroute nutzen müssen.
4.2 Maßnahme 2: Dynamische Zuflussdosierung
Mit der Zuflussdosierung wird das Ziel verfolgt, den Verkehr im Hotspotbereich und damit den Rückstau an den Knotenpunkten B und C zu reduzieren. Die Maßnahme besteht dabei aus zwei Teilmaßnahmen. In der ersten Teilmaßnahme werden bauliche Änderungen wie die Einrichtung einer neuen Pförtner-LSA sowie die Nutzung eines zusätzlichen Fahrstreifens vorgesehen (Hotspot 1). Die zweite Teilmaßnahme berücksichtigt die vorhandene Infrastruktur ohne bauliche Ergänzungen; die Dosierung erfolgt dabei durch Anpassung einer bestehenden LSA (Hotspot 2).
4.2.1 Zuflussdosierung an zusätzlicher Pförtner-LSA
Zur Beeinflussung des Hotspotbereiches 1 wird eine neue Pförtner-LSA vorgesehen, welche den Zufluss aus Norden in den Hotspotbereich 1 reduziert. Zur adaptiven Steuerung des Grünzeitanteils der Dosierungs-LSA werden zwei Rückstaudetektoren im nördlichen Zulauf auf Knotenpunkt B berücksichtigt (Abbildung 2).
Für die Szenarien mit Priorisierung von Elektrofahrzeugen wird eine bauliche Anpassung vorgesehen. Dabei wird ein zusätzlicher Sonderfahrstreifen für Elektrofahrzeuge auf der rechten Fahrbahnseite (vergleichbar mit einer Seitenstreifenfreigabe) betrachtet. Dieser Sonderfahrstreifen (300 m) erhält an der Pförtner-LSA Dauergrün, sodass Elektrofahrzeuge ungehindert in den Hotspotbereich einfahren können. Weiterhin wird die Anzahl der Elektrofahrzeuge im nördlichen Zulauf detektiert und es erfolgt eine Reduzierung der Grünzeiten für die Hauptfahrbahn in Abhängigkeit der Anzahl der detektierten Elektrofahrzeuge, sodass sichergestellt ist, dass in jedem LSA-Umlauf nur eine definierte Anzahl an Fahrzeuge in den Hotspotbereich einfährt.
4.2.2 Zuflussdosierung an bestehender LSA
Für den Hotspotbereich 2 erfolgt die Zuflussdosierung durch eine Anpassung des Festzeitsignalprogrammes am bestehenden Knotenpunkt B, indem die Grünzeit der geradeausfahrenden Fahrzeuge aus der westlichen Zufahrt in den Hotspot-Bereich reduziert wird (Abbildung 2). Um den ÖPNV durch die Dosierungsmaßnahme nicht zu benachteiligen, wird während der Maßnahmenaktivierung der Rechtsabbiegefahrstreifen aus der östlichen und westlichen Zufahrt jeweils als Bypass für die Nutzung durch geradeausfahrende Busse freigegeben (sog. „Bus Queue Jump Lane“). In den Szenarien mit Priorisierung von Elektrofahrzeugen wird dieser Bypass auch für geradeausfahrende Elektrofahrzeuge freigegeben.
4.3 Szenarien
Ausgehend vom Basis-Nullfall sind zunächst mehrere Szenarien ohne Maßnahmen simuliert worden, in denen die Wirkung eines gesteigerten E-Fahrzeug-Anteils untersucht wurde. Dabei zeigte sich, dass im untersuchten Straßennetz ab einem E-Fahrzeug-Anteil von 40 % Überschreitungen des definierten NO2-Grenzwertes (>50 µg/m³) nur noch in den Zufahrtsbereichen zu den LSA auftreten. Ab einem E-Fahrzeug-Anteil von 70 % treten in allen Streckenabschnitten keine Überschreitungen des NO2-Grenzwertes mehr auf. Aufgrund der vermehrten Anzahl an Halten und den durch die entsprechenden Anfahrvorgänge hervorgerufenen Emissionsbelastungen ist eine Reduzierung der NO2-Belastung in den Zufahrtsbereichen zu den LSA (100 m) nur schwer zu erreichen. Aus diesem Grund werden für die Analyse der Maßnahmenwirkungen in dieser Studie nur Szenarien bis zu einem E-Fahrzeug-Anteil von 40 % betrachtet (Tabelle 2).
Tabelle 2: Beschreibung und Codierung der Szenarien
5. Analyse
An dieser Stelle ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die durchgeführten Analysen nicht die Effekte der Maßnahmen (d. h. kein Vergleich zwischen Basis-Fall und Maßnahme) betreffen. Beide Maßnahmen, Re-Routing und Zuflussdosierung, lösen das Problem der NO2-Grenzwertüberschreitung und generieren keine neuen Hotspots. Die Analyse fokussiert sich lediglich auf die Wirkungen einer Elektrofahrzeug-Priorisierung innerhalb der Maßnahme (d. h. der Vergleich zwischen mit- und ohne-Fall) und untersucht, ob die Maßnahmen im mit-Fall effektiver werden (Frage 1 der Zielsetzung) und welche Vorteile sich für Elektrofahrzeuge ergeben (Frage 2 der Zielsetzung). Weiterhin wird ein Einblick gegeben, welche Effekte durch unterschiedliche E-Fahrzeug-Anteile hervorgerufen werden können (Frage 3 der Zielsetzung).
Dafür wurden verschiedene Wirkungen auf die Hotspot- und Verlagerungsbereiche (d. h. im Falle des Re-Routings auf die Alternativroute, bei der Zuflussdosierung auf die Rückstaubereiche) untersucht: (1) Verkehrliche Wirkungen, (2) Emissionswirkungen und (3) Immissionswirkungen. Zusätzlich zur gesamtverkehrlichen Betrachtung wurden verkehrliche Wirkungen separat für elektrische und konventionelle Pkw berechnet, um die möglichen Vorteile von Elektrofahrzeugen zu prüfen.
Die Ergebnisse werden beispielhaft für die Szenarien mit einem Elektrofahrzeuganteil von 20 % dargestellt. Auf die Tendenzen in den Ergebnissen der anderen Szenarien wird ebenfalls eingegangen.
5.1 Dynamisches Re-Routing
Die Ergebnisse zeigen, dass die verkehrlichen Indikatoren für die Alternativroute signifikant verbessert werden (ca. 50 %), wenn Elektrofahrzeuge von der Re-Routing Maßnahme ausgenommen sind. Dabei werden auch Emissionen und Immissionen auf der Alternativroute leicht reduziert (im Vergleich zum ohne-Fall). Hingegen verursacht diese Priorisierung auf der Hauptroute eine geringe Zunahme der Verkehrs- und Emissionswirkungen. Durch die Re-Routing-Maßnahme selbst wird die Immissionsbelastung in den Hotspots so stark reduziert, dass diese leichte Steigerung durch die Priorisierung von E-Fahrzeugen keine signifikante Verschlechterung der Luftqualität auslöst (Tabelle 3).
Tabelle 3: Ergebnisse Re-Routing (relative Änderungen Szenario E-Fahrzeug-Priorisierung gegenüber Ohne-Fall)
Werden die Vorteile von elektrischen Fahrzeugen betrachtet, so zeigt sich, dass eine E-Fahrzeug-Priorisierung nicht nur für Elektrofahrzeuge, sondern auch für konventionelle Fahrzeuge verkehrliche Vorteile bringt. Elektrofahrzeuge, die aufgrund der Priorisierung auf der Hauptroute verbleiben dürfen, profitieren von einer Reduzierung der Fahrtzeit und der Stoppzeit (ca. 40 %) und müssen ca. 60 % weniger halten (im Vergleich zum ohne-Fall, in dem sie die Alternativroute nutzen müssen). Andererseits, aufgrund der reduzierten Verkehrsbelastung, zeigen sich auch für konventionelle Fahrzeuge auf der Alternativroute verbesserte verkehrliche Indikatoren (im Vergleich zum ohne-Fall, wobei Elektrofahrzeuge auch auf der Alternativroute fahren müssen).
Mit steigendem E-Fahrzeug-Anteil wird die Hauptroute zunehmend belastet. Aufgrund der weiterhin vorhandenen konventionellen Fahrzeuge auf der Hauptroute (sowohl Fahrzeuge, die die Maßnahme nicht befolgen, als auch die Fahrzeuge, deren Route von der Maßnahme nicht betroffen ist) verschlechtern sich die verkehrlichen und lufthygienischen Indikatoren in den Hotspots mit steigendem E-Fahrzeug-Anteil (Abbildung 3). Das kann bei einem E-Fahrzeug-Anteil von 40 % sogar erneute NO2-Grenzüberschreitungen in den Hotspot-Bereichen hervorrufen. Jedoch kann dieses Problem mit adaptiver LSA-Steuerung für die Hauptroute (verlängerte/angepasste Grünzeitanteile in den Zufahrten zu Knoten B und C) gelöst werden (siehe Szenario R40 V2 adaptive Steuerung in Abbildung 3).
Abbildung 3: Änderung der Anzahl Halte von Gesamtverkehr (links) und Gesamtemissionen (rechts) mit steigendem E-Fahrzeug-Anteil in den Re-Routing Szenarien für Hauptroute
5.2 Dynamische Zuflussdosierung
Wie in Kapitel 4 erläutert, wird die Zuflussdosierung für Hotspot 1 mit einer adaptiven Steuerung umgesetzt. Mithilfe der von Detektoren erfassten Messwerte wurde sichergestellt, dass die Rückstaulänge kontrolliert wird und die Verkehrsbelastung im Hotspot 1 in jedem LSA-Umlauf gleichbleibt (d. h. für jedes Elektrofahrzeug, das die Zuflussdosierung passiert, müssen konventionelle Fahrzeuge an der Pförtner-LSA länger warten). Bei der Zuflussdosierung für Hotspot 2 wurden keine Grünzeiten angepasst (d. h. Elektrofahrzeuge fahren zusätzlich zu allen anderen Fahrzeugen, die in einem Umlauf die LSA durchfahren können). Die Ergebnisse zeigen, dass diese unterschiedlichen Strategien der Zuflussdosierung unterschiedliche Wirkungen haben (Tabelle 4).
Tabelle 4: Ergebnisse Zuflussdosierung 1 und 2 (relative Änderungen Szenario E-Fahrzeug-Priorisierung gegenüber Ohne-Fall)
Maßnahme 2.1: Hotspot- und Rückstaubereich 1
- Eine adaptive Priorisierung von E-Fahrzeugen hat minimale positive Wirkungen auf alle Indikatoren (Verkehr, Emission und Immission) für den Hotspot 1.
- Mit adaptiver E-Fahrzeug-Priorisierung haben Elektrofahrzeuge signifikante Vorteile bezüglich Stopzeit (ca. -80 %) und Fahrtzeit (ca. -40 %) im Rückstaubereich 1.
- Im Rückstaubereich 1 halten die konventionellen Fahrzeuge geringfügig häufiger (ca. +7 %) und deutlich länger (ca. +30 %) aufgrund dieser adaptiven Priorisierung (im Vergleich zum ohne-Fall). Dadurch werden die Emissionen im Rückstaubereich (ca. +20 %) erhöht, was sich aber weniger auf die Immissionen (+1 %) auswirkt, da sich die Rückstaubereiche der Zuflussdosierung in unkritischen Straßenschluchten (ohne Bebauung) befinden.
- Obwohl die Anzahl der Halte von konventionellen Fahrzeugen gestiegen ist, wird die Rückstaulänge an der Pförtner-LSA reduziert (-7 %). Das zeigt, dass der Rückstaubereich 1 (und damit der Bereich mit hohen Emissionen) kompakter wird, da nur noch konventionelle Fahrzeuge im Rückstau vor der LSA stehen. Das heißt, mit einer E-Fahrzeug-Priorisierung kann die Verlagerung von Staus und Emissionen durch die UVM-Maßnahmen auf einem kleineren Bereich begrenzt werden.
- Diese kompakte Stau-/Emissionsverlagerung zeigt sich im besonderen Maße beim 20 %-Szenario; mit geringeren (5 % und 10 %) und höheren (30 % und 40 %) E-Fahrzeug-Anteilen ist dieser Effekt geringer ausgeprägt (Abbildung 4).
Abbildung 4: Änderung der Anzahl Halte (konventionelle Pkw, links) und Gesamtemissionen (rechts) mit steigendem Anteil-Elektrofahrzeuge in den Zuflussdosierungs-Szenarien für Rückstaubereich 1
Maßnahme 2.2: Hotspot- und Rückstaubereich 2
- Die Elektrofahrzeug-Priorisierung hat im Hotspot 2 negative Effekte auf alle Indikatoren (Verkehr, Emission und Immission). Jedoch werden in allen Szenarien (5, 10, 20, 30, 40 %) keine neuen Grenzwertüberschreitungen hervorgerufen.
- Mit Elektrofahrzeug-Priorisierung werden die verkehrlichen Indikatoren im Rückstaubereich 2 signifikant verbessert.
- Diese Verbesserung der verkehrlichen Indikatoren im Rückstaubereich 2 (ca. 60 %) fällt höher aus als die Verschlechterung der verkehrlichen Indikatoren im Hotspot 2 (ca. 30 %).
- Die Emissionen im Hotspot-Bereich 2 werden leicht erhöht, führen aber zu keiner statistisch signifikanten Steigerung der Immissionen.
6 Zusammenfassung und Diskussion
Die Untersuchung zeigt, dass eine Elektrofahrzeug-Priorisierung bei dynamischen Re-Routing Maßnahmen im UVM einen Beitrag zur Vermeidung von Stau- und Emissionsverlagerungen auf die Alternativrouten leisten kann. Ein solches Vorgehen bringt nicht nur verkehrliche Vorteile für E-Fahrzeuge, sondern auch für konventionelle Fahrzeuge, da der Verkehr (unter Berücksichtigung der verschiedenen Antriebsarten) besser auf die beiden Routen aufgeteilt werden kann. Werden LSA nicht adaptiv gesteuert, kann dieses Konzept bei hohen Elektrofahrzeug-Anteilen (≥40 %) dazu führen, dass die Hotspot-Bereiche erneut belastet werden.
Die Ergebnisse zeigen, dass für eine dynamische Zuflussdosierung mit Elektrofahrzeug-Priorität ein adaptives Vorgehen zu bevorzugen ist. Dürfen Elektrofahrzeuge priorisiert in den Hotspot-Bereich einfahren, ohne dass die Gesamtanzahl der Fahrzeuge überwacht wird, kann dies dazu führen, dass diese höhere Anzahl an konventionellen Fahrzeugen im Hotspot-Bereich entsprechend mehr Emissionen ausstoßen (im Vergleich zum ohne-Fall). Deswegen sollte der Algorithmus der Zuflussdosierung sicherstellen, dass die Fahrzeuganzahl im Hotspot gleichbleibt und sich nur die Verkehrszusammensetzung ändert. Bei hohen Elektrofahrzeug-Anteilen kann dieses Konzept im Rückstaubereich mehr Emissionen verursachen, wobei die Staulänge dabei reduziert wird. Zuflussdosierungsmaßnahmen zielen ohnehin darauf ab, den Verkehr in immissionsmäßig unkritische Bereiche zu verlagern.
Insgesamt zeigt die Analyse, dass die Berücksichtigung und Priorisierung von emmissionsärmeren Fahrzeugen (in dieser Untersuchung rein elektrische Fahrzeuge) in dynamischen UVM-Maßnahmen verkehrliche und lufthygienische Vorteile bringen kann. Insbesondere ist dies bei niedrigeren E-Fahrzeug-Anteilen vorteilhaft. Bei hohen E-Fahrzeug-Anteilen (>40 %) ist es wahrscheinlich, dass weniger kritische Bereiche vorhanden sind und der Einsatz von statischen Maßnahmen denkbar ist.
Literaturverzeichnis
Celikkaya, N., Busch, F., & Plank-Wiedenbeck, U. (2020). Potenziale von Elektrofahrzeugen zur Verringerung lokaler NOX-Emissionen und NO2-Immissionen: Eine mikroskopische Simulationsstudie. Straßenverkehrstechnik, S. 79-86.
Diegmann, V., Wursthorn, H., Breitenbach, Y., Düring, I., Schönharting, J., Kraus, T., . . . Löhner, H. (2020). Dynamisches umweltsensitives Verkehrsmanagement. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), ISBN: 978-3-95606-481-4. Bremen: Fachverlag NW in Carl Ed. Schünemann KG.
FGSV. (2006). Hinweise zur mikroskopischen Verkehrsflusssimulation - Grundlagen und Anwendung. Technische Regelwerke. FGSV.
Neunhäuserer, L., Diegmann, v., Gäßler, G., & Pfäfflin, F. (2011). Stand der Modellierungstechnik zur Prognose der NO2-Konzentrationen in Luftreinhalteplänen nach der 39. BImSchV. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt. |