FGSV-Nr. FGSV 002/127
Ort online-Konferenz
Datum 13.04.2021
Titel Wirkungsabschätzung alternativer Tarif- und Finanzierungskonzepte im ÖPNV am Beispiel des Rhein-Main-Verkehrsverbundes
Autoren Univ.-Prof. Dr.-Ing. Carsten Sommer, Dominik Bieland
Kategorien HEUREKA
Einleitung

In diesem Artikel werden drei Tarif- und Finanzierungsinstrumente betrachtet sowie die Auswirkungen einer Einführung ebendieser auf die Fahrgastnachfrage und die Einnahmen für das Untersuchungsgebiet des RMV in Hessen anhand von Modellrechnungen abgeschätzt. Berücksichtigt wurden die Einführung einer kostengünstigen hessenweiten Jahreskarte, eines Bürgertickets, bei dem alle Einwohner Hessens einen verpflichtenden Beitrag zahlen und im Gegenzug eine Fahrtberechtigung für den ÖPNV in Hessen erhalten, sowie eines sogenannten Basispreismodell, bei dem die Einwohner Hessens einen verpflichtenden Solidarbeitrag (Basispreis) zahlen, auf dessen Grundlage die Fahrpreise der Tarifprodukte für Gelegenheitskunden (Einzelfahrt, Kurzstrecke, Tageskarte) halbiert werden.

Mit der Einführung dieser Finanzierungsinstrumente kann der Zugang zum ÖPNV für bestehende und neue Kunden vereinfacht werden. Das Bürgerticket erzielt erwartungsgemäß aufgrund des (gefühlten) Nulltarifs die höchste Nachfragesteigerung, während die Zunahme der Nachfrage bei Einführung des Pauschaltickets und des Basispreismodells in etwa gleich hoch ausfällt. Erlösverluste werden lediglich bei Einführung der hessenweiten Jahreskarte generiert, da bei Einführung des Basispreismodells sowie des Bürgertickets die monatlichen Solidarbeiträge so kalkuliert wurden, dass die Verluste aus dem Fahrausweisverkauf vollständig kompensiert werden.

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1 Anlass und Ziel der Untersuchung

Bei der Tarifentwicklung sind aktuell zwei Grundtendenzen festzustellen. Einerseits werden die bisherigen Verbundtarife durch eine stärkere Entfernungsorientierung ergänzt und ausdifferenziert. Hierdurch können Preissprünge abgebaut, die Leistungsgerechtigkeit erhöht und die Preisbereitschaft der Kunden gezielter genutzt werden. Andererseits werden durch neue Pauschalangebote, insbesondere in Hessen, sehr einfache Zugänge zum ÖPNV eröffnet, die keine weitere Leistungsdifferenzierung ermöglichen (z. B. hessenweites Schülerticket, hessenweites Jobticket für Landesbedienstete). Diese Pauschalangebote sind häufig für die Kunden sehr kostengünstig, so dass sich i. d. R. für die Verbünde bzw. Verkehrsunternehmen ein Erlösverlust ergibt [1].

Darüber hinaus wird in letzter Zeit häufig über neue Finanzierungsinstrumente diskutiert, bei denen über Drittnutzer bzw. Nutznießer zusätzliche Mittel für den ÖPNV zur Verfügung gestellt werden können (ggf. unter der Voraussetzung eines geänderten Rechtsrahmens). Ein im politischen Bereich häufig genanntes Instrument ist dabei das so genannte „Bürgerticket“, bei dem der ÖPNV über Beiträge der Bewohner finanziert wird. Beide Vorschläge – kostengünstige Pauschalangebote und neue, beitragsfinanzierte Instrumente – werden in erster Linie von der Politik ins Gespräch gebracht [2].

Das vom Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) finanzierte Forschungsprojekt „Finanzierung des ÖPNV auf Basis von alternativen Finanzierungsinstrumenten“ hatte das Ziel, drei unterschiedliche Tarif- und Finanzierungsszenarien im Detail zu konzipieren und hinsichtlich wesentlicher Wirkungen auf die Fahrgastnachfrage, Erlöse sowie ggf. zusätzlich anfallende Kosten für den ÖPNV-Betrieb zu bewerten. Die Wirkungsabschätzung war dabei auf das Gebiet des RMV in Hessen – d.h. ohne die Stadt Mainz – begrenzt (Untersuchungsgebiet). Darüber hinaus wurde es als zielführend erachtet, das Spannungsfeld zwischen vollständiger Nutzer- und Haushaltsfinanzierung (Status quo) sowie weitgehender Beitragsfinanzierung abzudecken. Folgende drei Finanzierungsinstrumente (Planfälle) wurden untersucht:

Hessenweite Jahreskarte („Pauschalticket“)

Die hessenweite Jahreskarte (Pauschalticket) ist eine persönliche Jahreskarte, die gegen Zahlung eines Preises für die Dauer von einem Jahr zur Nutzung des ÖPNV in ganz Hessen berechtigt (als Weiterentwicklung des hessenweiten Schülertickets [3]),. Der Zugang zum ÖPNV wird damit erheblich vereinfacht. In Abhängigkeit des Preises können dabei – sofern der Preis der günstigsten Jahreskarte im Verkehrsverbund höher liegt als der Preis des Pauschaltickets – bisher angebotene Jahreskarten vollständig obsolet werden. Bei der hier durchgeführten Untersuchung wurde von einem Preis der Jahreskarte in Höhe von 365,- Euro pro Jahr ausgegangen.

Bürgerticket für Hessen

Das Bürgerticket bezeichnet ein rein beitragsfinanziertes Finanzierungsinstrument, bei dem die Einwohner Hessens einen verpflichtenden Solidarbeitrag zahlen und als Gegenleistung den ÖPNV ohne weitere Kosten nutzen können. Folglich entfällt für die Einwohner Hessens die Notwendigkeit des Fahrscheinkaufs sowohl im Gelegenheitsverkehr als auch im Bereich der Zeitkarten vollständig. Der Zugang zum ÖV wird erheblich vereinfacht. Aufgrund fehlender Rechtsgrundlagen kann ein Bürgerticket derzeit nicht eingeführt werden. Details zu möglichen Bürgerticket-Modellen liefert [4].

Die bisherigen Tarifprodukte im RMV bleiben für Besucher („Nicht-Hessen“) erhalten, wobei bei einer Einführung geprüft werden sollte, ob und wenn ja, welche Tarifprodukte tatsächlich für die verbleibende Kundengruppe der Besucher vorgehalten werden sollten. Dabei sind insbesondere die Vertriebskosten zu berücksichtigen.

Basispreismodell für den RMV in Hessen

Der Kern des Basispreismodells liegt in der Zahlung eines monatlichen Beitrags (Basispreis) durch die beitragsfähigen Einwohner im RMV-Gebiet in Hessens, auf dessen Grundlage die Fahrpreise für den Gelegenheitsverkehr (Einzelfahrt, Kurzstrecke, Tageskarte) halbiert werden. Um Zeitkarteninhaber dabei nicht (gefühlt) zu benachteiligen, werden die Fahrpreise der Monats- und Jahreskarten um die Beitragshöhe reduziert. Die Preise für Wochenkarten bleiben unverändert. Als Alternative zum Solidarmodell besteht die Möglichkeitkeit, die Einführung des Basispreismodells durch den Landeshaushalt zu finanzieren.

Das Basispreismodell zielt insbesondere auf Selten- und Gelegenheitskunden mit bislang ca. 1 bis 15 Fahrten im Monat ab, für die im herkömmlichen Tarifsystem kein attraktives Angebot besteht. Mit der Einführung erhöht sich die Nutzenschwelle von Zeitkarten gegenüber dem Kauf von Einzelfahrkarten, sodass Wanderungen aus dem Zeitkartensegment in das Segment des Gelegenheitsverkehrs zu erwarten sind. Gleichzeitig bietet das Basispreismodell durch die erhebliche Preissenkung im Gelegenheitsverkehr die Chance, Nicht-Kunden sowie Selten- und Gelegenheitskunden an den ÖPNV heranzuführen und/oder zu binden. Ein Modellversuch im Rahmen des Forschungsprojekts „FlexiTarife“ hat gezeigt, dass die Nachfrage bei einer Halbierung der Fahrpreise im Gelegenheitsverkehr bei den entsprechenden Kunden um ca. 49 bis 54 % gestiegen ist, obwohl diese Kunden einen monatlichen Basispreis in Höhe von 5,- Euro selbst zahlen mussten [5, 6].

In der Modellrechnung steht auch Besuchern der rabattierte Fahrpreis im Gelegenheitsverkehr zur Verfügung. Bei Einführung sollte eine detaillierte Abwägung zwischen Vertriebs-, Kommunikations- und Kontrollaufwand gegenüber den zu erwarteten entgangenen Fahrgeldeinnahmen durch Besucher durchgeführt werden. Im Gegensatz zu den vorherigen Finanzierungsinstrumenten wird beim Basispreismodell der räumliche Geltungsbereich nicht erweitert.

2 Methodisches Vorgehen

Für die Abschätzung der Fahrgastnachfrage bzw. der Festlegung der Beitragshöhe (Basispreismodell, Bürgerticket) wurde für jedes Finanzierungsinstrument ein Modell erstellt, das i. W. auf Preiselastizitäten, Fahrausweiswanderungen und dem maximal erreichbaren Fahrgastpotenzial aufbaut. Da diese Modelleingangsparameter hauptsächlich von der Qualität des ÖPNV-Angebotes und der Erreichbarkeit des nächsten Oberzentrums abhängen, wurden diese beiden Merkmale in Form von Raumtypen berücksichtigt. Räumliche Grundlage für die Abschätzung der Nachfrage- und Erlöswirkungen durch die Modellrechnungen stellte das Verbundgebiet des RMV in Hessen dar. Um die Unsicherheit bei der Abschätzung zu berücksichtigen, wurden im Modell jeweils die eine Unter- und Obergrenze der wahrscheinlichen Entwicklung abgebildet (Szenario Untergrenze und Szenario Obergrenze). Im Rahmen der Modellabschätzung wurde davon ausgegangen, dass erforderlichen Kapazitäten für die Nachfragesteigerungen vorhanden sind, die in der Realität ggf. erst geschaffen werden müssen (i. W. ÖPNV-Angebotsausbau).

Die übergeordnete Struktur des methodischen Vorgehens zur Abschätzung der Nachfrage- und Erlöswirkung sowie der Beitragshöhe für das Bürgerticket und Basispreismodell zeigt Bild 1.

Bild 1: Überblick zum methodischen Vorgehen [7]

Ausgehend von den zu erwartenden Nachfragesteigerungen bei den einzelnen Finanzierungsinstrumenten war ggf. davon auszugehen, dass die bisherige Betriebsleistung nicht ausreicht, um die zusätzliche Nachfrage bedienen zu können. Daher wurde für alle drei Finanzierungsinstrumente aufgezeigt, mit welcher Nachfragesteigerung zu rechnen wäre. Da die Abschätzung notwendiger Angebotsausweitungen und damit auch die Abschätzung zusätzlicher ÖPNV-Betriebskosten komplex und von vielen Details abhängig sind, wurden hier vorrangig qualitative Ergebnisse abgeleitet.

2.1 Abgrenzung von Raumtypen

Die hessischen Gemeinden unterscheiden sich teils stark hinsichtlich struktureller Merkmale, die das Nachfragepotential für den ÖPNV beeinflussen (Einwohnerzahl, ÖPNV-Angebot etc.). Durch diese strukturellen Unterschiede ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Daher wurde das Untersuchungsgebiet auf räumlicher Ebene der lokalen Nahverkehrsorganisationen (LNO) in sechs Raumtypen untergliedert, die die Grundlage für differenzierte Eingangsgrößen der Modelle darstellen. Die Typisierung der LNO basiert auf

  • der spezifischen Angebotsdichte (Anzahl gewichteter Abfahrten je qkm Siedlungs- und Verkehrsfläche (SVF))

und

  • der Erreichbarkeit der nächsten Großstadt (Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Kassel), abgebildet über die mittlere Beförderungszeit im ÖV nach RIN [9].

Für die weitere Modellrechnung gilt: Je besser die ÖPNV-Angebotsqualität und die Erreichbarkeit der nächsten Großstadt (Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Kassel) eines Raumtyps sind, desto höher ist

  • das maximale ÖV-Nachfragepotential,
  • der Anteil von Neukunden bei zusätzlicher Nachfrage,
  • der Anteil von zusätzlichem Verkehr (induzierte Fahrten, verlagerte Fahrten) durch Neukunden bei zusätzlicher Nachfrage.

2.2 Abschätzung der Nachfragewirkung

Die Abschätzung der Nachfragereaktion geht vereinfacht von einem ökonomischen Kaufverhalten aus. Die Nachfragereaktion wurde abgeschätzt durch

·      Elastizitäten, die auf Veränderungen des Fahrpreises sowie des räumlichen Geltungsbereichs der Finanzierungsinstrumente reagieren,

  • Fahrausweiswanderungen, die aufgrund veränderter Nutzenschwellen zwischen den Fahrausweisen entstehen

und

  • das maximal erreichbare Fahrgastpotenzial in Abhängigkeit des Raumtyps (Best-Practice).

Elastizitäten wurden genutzt, um die Anzahl zusätzlicher Fahrten infolge der Preisänderung abzuschätzen. Die Elastizität ist ein Maß für die relative Nachfrageänderung bei einer der relativen Änderung eines unabhängigen Faktors (Preis, Qualität, etc.). Eine Preiselastizität von -0,1 bedeutet, dass die bei einer Preisreduzierung von 10% die Nachfrage um 1% steigt.

Elastizitäten wurden bisher größtenteils für Preissteigerungen ermittelt. In zahlreichen Studien, vor allem aus Großbritannien, Australien und den USA wurden Elastizitäten für den ÖPV ermittelt, wobei sich ein Mittelwert von -0,3 für eine Preiserhöhung gefestigt hat [10]. Eine einfache Übertragung der ermittelten Auswirkungen von Preissteigerungen auf Preissenkungen ist nicht möglich [10]. Weiterhin wird auf die Grenzen der Übertragbarkeit, aber auch auf Schwächen bisheriger Forschungsergebnisse hingewiesen.

Für starke Änderungen des Preises oder für die Einführung eines Nulltarifs können nur grobe Näherungswerte für Elastizitäten angenommen werden, die mit Unsicherheiten verbunden sind [11, 12, 4]. Die im Rahmen dieses Projekts getroffenen Annahmen zu Elastizitäten und Fahrausweiswanderungen wurden anhand aktueller Forschungsergebnisse [13, 14] getroffen, die Übertragbarkeit auf den Untersuchungsraum ist jedoch nicht nachgewiesen. Es handelt sich somit um Annahmen, die durch die Autoren plausibilisiert wurden.

Bei Fahrausweiswanderungen handelt es sich um bestehende Kunden, die ihr genutztes Tarifprodukt wechseln. Fahrausweiswanderungen können infolge deutlicher Preisänderungen ausgelöst werden, sodass bestehende Kunden zwischen dem Bartarif (Einzelkarte, Kurzstrecke, Tageskarte) und dem Zeitkartensegment (Wochen-, Monats-, Jahreskarte) oder innerhalb der jeweiligen Tarifart wechseln. Bei Fahrausweiswanderungen vom Zeitkartensegment zum Bartarif ist davon auszugehen, dass bislang durch die Zeitkarte induzierter Verkehr nicht oder aufgrund einer Preisreduzierung im Bartarif nur noch teilweise stattfindet. Daraus folgt, dass sich die Nachfrage der Fahrausweiswanderer reduziert. Entgegengesetzt verhält es sich bei Fahrausweiswanderungen vom Bartarif zum Zeitkarten-Segment. In diesem Fall kann angenommen werden, dass die wechselnden Kunden aufgrund der „ÖPNV-Flatrate“ Fahrten induzieren [15]. Für diese Reduktion bzw. Steigerung der Nachfrage durch induzierten Verkehr wurden differenziert nach Raumtypen und Finanzierungsinstrument Annahmen getroffen.

Zur Abschätzung der Fahrausweiswanderungen im Basispreismodell wurde beispielsweise die Annahme getroffen, dass die Kunden aufgrund des neu eingeführten Basispreismodells ihre Kaufentscheidung zwischen den reduzierten Einzelfahrkarten und einer Zeitkarte aus rein ökonomischen Gründen treffen, sodass genau der Anteil an Zeitkarteninhabern wandert, der die Nutzenschwelle unterschreitet.

In Bild 2 ist der kumulierte Anteil der Zeitkartenbesitzer in Abhängigkeit von der Nutzungshäufigkeit (Anzahl Fahrten pro Monat) sowie die Verschiebung der Nutzenschwelle skizziert. Im Status quo beträgt der Anteil der Zeitkartenbesitzer, für die sich die Zeitkarte aus ökonomischer Sicht nicht rechnet etwa 2% (Nutzenschwelle im Status quo). Die Verschiebung der Nutzenschwelle (vom Status quo zum Basispreismodell) führt dazu, dass ein größerer Anteil an Zeitkarteninhabern aus ökonomischen Gründen zur Einzelfahrkarte wechselt. Der Anteil der Wechsler ist dabei abhängig von der Nutzenschwelle im Basispreismodell, die differenziert nach Raumtyp und Preisstufe vorliegt. Um die Bandbreite der wahrscheinlichen Entwicklungen abzubilden, wird die berechnete Nutzenschwelle im Basispreismodell um 10% erhöht (Untergrenze, maximale Wanderung) bzw. um 10% verringert (Obergrenze, minimale Wanderung). Diese Bandbreite berücksichtigt einerseits Ungenauigkeiten bei der Datengrundlage und andererseits Verschätzungen der Kunden bei der Entscheidung über die Wahl des Fahrausweises. Eine minimale Wanderung bedeutet, dass ein Maximum an Gesamtnachfrage erreicht wird, da die Wechsler in den Gelegenheitsverkehr eine geringere Nutzungshäufigkeit aufweisen als Zeitkarteninhaber (Rückgang der Nachfrage durch wegfallende induzierte Fahrten bei Zeitkarten).

Bild 2: Anteil der Fahrausweiswanderung von Zeitkarteninhabern in Abhängigkeit von der Nutzenschwelle im Planfall, Basispreismodell [7]

Bei der Abschätzung der zusätzlichen Nachfrage bei Einführung des Bürgertickets (inkl. erforderlicher Angebotsausweitungen) wird von dem Elastizitätsansatz abgewichen, da für derart starke Preissenkungen (Nulltarif) keine validen Elastizitäten vorliegen. Stattdessen wird hier die Nachfragewirkung auf Basis von Best-Practice-Beispielen aus dem nationalen und internationalen Umfeld festgelegt. Dazu wurde u.a. auf die umfangreiche Sammlung der Modal-Split-Werte der European Platform on Mobility Management [16] zurückgegriffen.

2.3 Betriebswirtschaftliche Effekte

Wirkungen auf die wirtschaftliche Situation des Verkehrsverbunds ergeben sich aus Veränderungen in den Erlösen aufgrund der zuvor abgeleiteten Nachfrageänderungen sowie Veränderungen der Kosten für den operativen Betrieb (Angebotsausweitung).

Bestimmung der Erlöse
Aus der ermittelten Nachfrage im Planfall kann auf Grundlage der spezifischen Nutzungshäufigkeiten je Fahrausweistyp im RMV die Anzahl der verkauften Fahrausweise im Planfall (Bartarif, Zeitkarten) abgeschätzt werden. Dabei wurden unterschiedliche Nutzungshäufigkeiten zwischen bestehenden ÖPNV-Kunden sowie Neukunden und Fahrausweiswanderern berücksichtigt.

Auf Grundlage der Anzahl der verkauften Fahrausweise im Planfall differenziert nach Preisstufen wurden die Einnahmen im Planfall bestimmt. Die Fahrausweispreise entsprechen dabei den Preisen des RMV (Stand 2018) [17] ergänzt um die Anpassungen infolge der Einführung des jeweiligen Finanzierungsinstruments:

  • Hessenweite Jahreskarte: Die hessenweite Jahreskarte wird zu einem Preis in Höhe von 365,- Euro pro Jahr angeboten.
  • Bürgerticket: Die bisherigen Tarifprodukte im RMV bleiben für Besucher („Nicht-Hessen“) erhalten.
  • Basispreismodell: Die Fahrausweispreise im Gelegenheitsverkehr (Einzelfahrt, Kurzstrecke, Tageskarte) werden halbiert.

Gemäß den Vorgaben hat lediglich die Einführung der hessenweiten Jahreskarte eine Wirkung auf die Erlöse des Verkehrsverbunds. Für die Finanzierungsinstrumente Bürgerticket und Basispreismodell wurden die (theoretischen) Erlösverluste berechnet, um die Höhe der Beitragszahlungen zu ermitteln.

Angebotsausweitung
Konkrete Wirkungen auf das ÖV-Angebot erfordern eine detaillierte Untersuchung der Nachfragezuwächse auf den einzelnen Linien. Dies war im Rahmen der hier durchgeführten Studie nicht möglich. Daher wurde im Folgenden grob anhand der raumtypenspezifischen Ergebnisse zur Nachfrage abgeschätzt, ob die vorhandenen Kapazitäten ausreichen. Generell ist davon auszugehen, dass

  • die ÖV-Fahrzeuge außerhalb der urbanen Zentren und der SPNV-Hauptachsen noch über (genügend) freie Kapazitäten verfügen, um einen Teil der zusätzlichen Nachfrage aufzunehmen,
  • aufgrund der tageszeitlichen Schwankungen Angebotsausweitungen i.d.R. nicht über den gesamten Betriebstag erforderlich sind.

Die Kosten für Angebotsausweitungen wurden nur für das Finanzierungsinstrument Bürgerticket ermittelt. Für die hessenweite Jahreskarte und das Basispreismodell wurden qualitative Ergebnisse abgeleitet, d. h. zusätzliche Kosten durch Angebotsausweitungen wurden nicht bestimmt.

Unter Berücksichtigung der genannten Punkte wurde die grobe Annahme getroffen, dass die Kostensteigerung etwa ein Drittel der Nachfragesteigerung beträgt. Daraus ergibt sich für die Kostensteigerung infolge der Einführung des Bürgertickets folgende Formel:

          KostenP = 33% x Δ Nachfrage x GesamtkostenSQ                                                                    (1)

Hinsichtlich zusätzlicher Fixkosten, etwa für Fahrzeugbeschaffung und Infrastrukturausbau, liegen dabei große Unsicherheiten vor. Diese Formel wurde lediglich bei der Modellrechnung zum Bürgerticket verwendet.

2.4 Ermittlung der Beitragshöhe

Mit der Einführung des Basispreismodells bzw. des Bürgertickets kommt es auf Grund der deutlichen Reduzierung der Fahrpreise bzw. dem fast vollständigen Wegfall von Fahrgeldeinnahmen zu erheblichen Einnahmeverlusten für den Verkehrsverbund. Die fehlenden Fahrgeldeinnahmen sollten gemäß der Vorgabe vollständig durch Beiträge der beitragspflichtigen Einwohner ausgeglichen werden (Einnahmenkonstanz).

Beitragspflichtig sind alle Einwohner in Hessen (Bürgerticket) bzw. im RMV-Gebiet in Hessen (ohne Studierende) (Basispreismodell), die mindestens 18 Jahre alt und durch den ÖPNV erschlossen sind. Als erschlossen gilt ein Bürger, wenn dieser innerhalb von 1.000 m eine bediente ÖPNV-Haltestelle erreichen kann. Die Höhe des Beitrags wurde aus Gründen der Leistungsgerechtigkeit und Akzeptanz nach der ÖPNV-Angebotsqualität differenziert. Dazu wurden die Gemeinden in Hessen zunächst auf Grundlage ihrer ÖPNV-Angebotsdichte, gemessen in gewichteten ÖV-Abfahrten je qkm Siedlungs- und Verkehrsfläche, in fünf Klassen eingeteilt. Die Klassengrenzen sind in Tabelle 1 dargestellt. Die Tabelle zeigt, dass knapp 4,9 Mio. Einwohner der rund 6,2 Mio. Einwohner in Hessen über 18 Jahre alt und durch den ÖPNV erschlossen sind [18].

Die Höhe der klassenspezifischen Beiträge wurde so bestimmt, dass sowohl die fehlenden Fahrgeldeinnahmen als auch zusätzliche Kosten für die Angebotsausweitung durch die Einnahmen aus dem Beitrag vollständig ausgeglichen wurden. Vereinfacht zahlen dabei alle Einwohner einer Gemeinde denselben Beitrag des entsprechenden Raumtyps. Bei einer Umsetzung würde auch innerhalb einer Gemeinde der Beitrag nach der Qualität des ÖPNV-Angebots differenziert.

Tabelle 1: Klasseneinteilung zur Bemessung der Beitragshöhe (Bürgerticket) auf Basis [19]

3 Ergebnisse

3.1 Hessenweite Jahreskarte

Mit der Einführung der hessenweiten Jahreskarte kommt es zu einer erheblichen Preisreduktion im Zeitkartensegment des RMV von bis zu 85%. Die Nutzung von Zeitkarten gegenüber der Nutzung von Einzelfahrkarten wird somit zunehmend attraktiv – die Nutzenschwelle sinkt. Mit sinkender Nutzenschwelle bzw. geringeren Kosten für Zeitkarten kommt es i. W. zu zwei Wirkungen: Fahrausweiswanderungen und Nachfragezuwachs.

Auf Grundlage der Modellrechnung kommt es unter den getroffenen Annahmen im Untersuchungsgebiet zu

  • Wanderungen von Monatskarten, Wochenkarten und Fahrausweisen des Gelegenheitsverkehrs in die neue Jahreskarte, die der entscheidende Grund für eine Steigerung der Jahreskartenkunden um den Faktor 2 bis 2,5 sind,
  • einer Nachfragesteigerung von 41 bis 96 Mio. Fahrten (relative Änderung in Höhe von 6% bis 14%) durch Mehrnutzung vorhandener Kunden und vereinzelt durch neue Kunden,
  • einem Erlösverlust in Höhe von 165 bis 193 Mio. Euro (relative Änderung in Höhe von 20% bis 24%), der durch die erhebliche Preisreduktion verursacht wird,
  • Überlastungen in den Großstädten, am stärksten in Frankfurt (Nachfragesteigerung um bis zu 20%), die eine Erhöhung der Kapazitäten erforderlich machen. In übrigen Räumen können mit einer Nachfragesteigerung von 1% bis 8% ebenfalls geringe Anpassungen der Kapazitäten notwendig werden.

Bei der Interpretation der Wirkungen auf das ÖPNV-Angebot ist zu berücksichtigen, dass die Ausweitung des ÖPNV-Angebots i. W. von der spezifischen Nachfragesteigerung innerhalb der Gemeinde bzw. LNO sowie den vorhandenen Kapazitäten abhängt.

3.2 Bürgerticket

Die Ergebnisse der Modellrechnung hinsichtlich der Einführung eines Bürgertickets im Untersuchungsgebiet zeigen, dass

  • die Einführung in Verbindung mit Angebotsausweitungen zu erheblichen Nachfragezuwächsen zwischen 273 Mio. und 517 Mio. Fahrten (Nachfragesteigerung von 39% bis 75%) führt,
  • Gemeinden mit derzeit geringem ÖPNV-Anteil (= hohes Potential) eine höhere (relative) Nachfragesteigerung erfahren, als Gemeinden, in denen der ÖPNV bereits häufig genutzt wird (Großstädte),
  • neben einer belastbaren Finanzierung auch Maßnahmen im Angebot (Angebotsausweitung, notwendige Infrastrukturelle Anpassungen, Erhalt bzw. Verbesserung der Qualität) essentiell sind,
  • die Höhe der monatlichen Beiträge im Szenario Untergrenze, in Abhängigkeit der ÖPNV-Angebotsqualität, zwischen 12,- Euro und 35,- Euro je Monat, im Szenario Obergrenze zwischen 15,- und 38,- Euro pro Monat durch die beitragspflichtigen Einwohner liegen. Aus diesen Einnahmen können die entfallenden Fahrgeldeinnahmen und die zusätzlichen Betriebskosten vollständig gedeckt werden. Die Kosten für das Bürgerticket könnten somit (sozialverträglich)  durch den Hartz4-Regelbedarf für Verkehr i. H. v. 34,66 Euro pro Monat gedeckt werden [20]. Lediglich in Frankfurt liegt die monatliche Gebühr im Szenario Obergrenze mit 38,- Euro über dem Hartz-4-Regelbedarf.

3.3 Basispreismodell

Die Einführung des Basispreismodells im Untersuchungsgebiet führt zu

  • Wanderungen von Zeitkarten in die Tarife des Gelegenheitsverkehrs, so dass die Nachfrage dieser Tarife um den Faktor 2 bis 2,5 steigt,
  • einer Nachfragesteigerung um 29 bis 106 Mio. Fahrten (4% bis 15%) durch Mehrnutzung vorhandener Kunden und neue Kunden,
  • einem (fiktiven) Erlösverlust in Höhe von 43 bis 144 Mio. Euro, der durch geringe Solidarbeiträge ausgeglichen wird,
  • einem Basisbeitrag der Beitragszahler zwischen 2,50 Euro und 5,- Euro (Szenario Untergrenze) und 0,50 Euro und 2,- Euro (Szenario Obergrenze) in Abhängigkeit der ÖPNV-Angebotsqualität),
  • Überlastungen in den Großstädten, die eine Erhöhung der Kapazitäten erforderlich machen. In den übrigen Räumen können mit einer Nachfragesteigerung von 1% bis 10% ebenfalls geringe Anpassungen der Kapazitäten notwendig werden.

Bei der Ermittlung der Beitragshöhe wurde die Rückkopplung zwischen der Höhe des monatlichen Beitrags und der Abschätzung der Fahrgastnachfrage sowie der damit verbundenen Höhe der Erlösverluste berücksichtigt. Das bedeutet, dass mit zunehmendem monatlichen Beitrag die Einnahmen durch den Basispreis steigen, gleichzeitig aber die Nutzenschwellen der Zeitkarten sinken und somit auch die Anzahl von Fahrausweiswanderungen von den Zeitkarten zum Gelegenheitsverkehr sinkt (Bild 2).

3.4 Zusammenfassung

Die Ergebnisse der Modellrechnungen zur Abschätzung der Nachfrage- und Erlösentwicklung durch die Einführung sind zusammengefasst in Tabelle 2 dargestellt. Alle Finanzierungsinstrumente haben gemeinsam, dass durch ihre Einführung die Nachfrage im ÖPNV zunimmt. Die Höhe der Nachfragesteigerung hängt dabei von den unterschiedlichen Raumtypen ab, sodass Angebotsausweitungen in unterschiedlichem Umfang in Abhängigkeit noch vorhandener freier Kapazitäten notwendig werden.

Tabelle 2:    Vergleichende Gegenüberstellung der Ergebnisse der Modellrechnungen

Erlösverluste werden lediglich bei Einführung der hessenweiten Jahreskarte generiert. Die Angaben zu der Erlösentwicklung bei Einführung des Basispreismodells sind rein informell und geben Aufschluss über die Entwicklung der Fahrgeldeinnahmen, wenn kein Basispreis (als Beitrag) erhoben würde. Bei Einführung des Basispreismodells, ebenso wie bei Einführung des Bürgertickets, wurden die monatlichen Beiträge so kalkuliert, dass die Verluste aus dem Fahrausweisverkauf vollständig kompensiert werden.

4 Fazit

Für die zukünftige Finanzierung im ÖPNV stehen verschiedene Optionen zur Wahl, u. a.:

  • Tarifprodukte zum Pauschalpreis wie die hessenweite Jahreskarte bieten den Vorteil, den Zugang zum ÖPNV für die Kunden stark zu vereinfachen, sind jedoch in der Regel aufgrund des sehr geringen Preises mit hohen Erlösverlusten verbunden.
  • Der Einbezug von Drittnutzern bzw. Nutznießern (Bürgerticket, Basispreismodell) basiert auf dem Solidarmodell. Der ÖPNV wird vollständig oder teilweise durch einen monatlichen Beitrag aller Erwachsenen mit Zugang zu einer bedienten ÖPNV-Haltestelle finanziert. Die Gruppe der Beitragszahler erhält im Gegenzug die Berechtigung zur kostenlosen oder vergünstigten ÖPNV-Nutzung. Vorteile ergeben sich für ÖPNV-Nutzer (ÖPNV-Nutzung wird günstiger), ÖPNV-Nichtnutzer (höhere Nutzung des ÖPNV führt zu Entlastung des Straßennetzes) und Verbünde durch die neue Finanzierungsquelle. Die Beiträge können dabei so kalkuliert werden, dass die Erlösverluste und Kosten für die Angebotsausweitung ausgeglichen werden. Nachteile bestehen i. W. für Nicht-Nutzer des ÖPNV, die den Beitrag zahlen aber die Gegenleistung nicht wahrnehmen können oder möchten (MIV-Zwangskunden).

Durch die Einführung dieser Finanzierungsinstrumente kann der Zugang zum ÖPNV für bestehende und neue Kunden vereinfacht werden. Bei der Beurteilung der Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen ist zu berücksichtigen, dass die Verkehrsteilnehmer i. d. R. Alternativen bevorzugen, die das häufig durch Routinen bestimmte Verhalten eher wenig ändern. Zu diesen Alternativen zählen z. B. eine geringe Verschiebung des Abfahrtszeitpunktes, eine andere Fahrtroute, für Pkw-Fahrer ein andere Stellplatzort, für ÖV-Kunden ein anderer Fahrausweis.

Die Wahl eines anderen Verkehrsmittels zählt dagegen zu einer Alternative, die eine größere Verhaltensänderung und eine höhere kognitive Leistung voraussetzt (Informationen über anderes Verkehrsmittel und dessen Nutzung sind erforderlich). Darüber hinaus ist bei der Verkehrsmittelwahl zu beachten, dass nur ein Teil der Personen die Wahlfreiheit für einzelne Alternative hat, da objektive und subjektive Gründe gegen bestimmte Verkehrsmittel sprechen [21].

Die Einführung des hessenweiten Bürgertickets führt ohne Zweifel zu erheblichen Verlagerungen der Verkehrsnachfrage zum ÖPNV und damit zu einem sehr hohen volkswirtschaftlichen Nutzen. Die Maßnahme kann einen wesentlichen Beitrag leisten, um

  • klima- und umweltpolitische Ziele zu erfüllen,
  • die soziale Teilhabe vieler Menschen zu verbessern und
  • die Aufenthaltsqualität insbesondere in den Städten zu erhöhen.

Im Vergleich zu den beiden anderen Finanzierungsinstrumenten steigt die Nachfrage in etwa um das Fünffache stärker. Die monatlichen Beiträge liegen mit 12,- Euro und 35,- Euro (Untergrenze) bzw. 15,- Euro und 38,- Euro (Obergrenze) um mehr als das Fünffache über den Beiträgen des Basispreismodells.

Eine Einführung des Bürgertickets als Solidarmodell erfordert jedoch die Anpassung des Rechtsrahmens sowie einen massiven Ausbau des ÖPNV in allen Räumen Hessens, um Kapazitätsengpässe zu vermeiden und die Akzeptanz vor allem in ländlichen Räumen sicher zu stellen. Auch bei Einführung der hessenweiten Jahreskarte oder des Basispreismodells sind Maßnahmen zum Ausbau der ÖPNV erforderlich, allerdings in deutlich geringerem Umfang.

Risiken bei der Einführung ergeben sich vor allem dann, wenn die Voraussetzung des ÖPNV-Angebotsausbaus nicht erfüllt wird. Der fehlende Ausbau würde sich massiv auf die ÖPNV-Qualität und damit auch auf das Image des ÖPNV auswirken. Die ermittelten positiven Effekte treten dann nicht bzw. in erheblich geringerem Maße auf. Auch sind in diesem Fall Akzeptanzprobleme aufgrund der Einführung der hohen monatlichen Belastung zu erwarten. Darüber hinaus tritt bei Flatrate-Angeboten (Bürgerticket, Pauschalticket) häufig der unerwünschte Effekt von verlagerten Fuß- und Radwegen infolge des Optionsnutzens auf [4].

Die hessenweite Jahreskarte stellt eine Erweiterung des Zeitkartensegments dar. Aus der Modellrechnung geht hervor, dass erhebliche Verluste aus der Wanderung bisheriger Zeitkartenkunden zur hessenweiten Jahreskarte entstehen. Die abgeschätzten zusätzlichen Einnahmen aus dem Verkauf an Neukunden können dabei die Verluste nicht kompensieren. Bei der Abschätzung sind die Kosten für erforderliche Angebotsausweitungen durch die Nachfragesteigerung bislang unberücksichtigt. 

Der Nachfragezuwachs durch Einführung des Basispreismodells liegt in etwa auf dem Niveau der hessenweiten Jahreskarte. Mit dem Basispreismodell wird insbesondere die Kundengruppe der Gelegenheitskunden angesprochen, für die bislang keine adäquaten Tarifprodukte bestehen. Die Gruppe der Gelegenheitskunden besitzt ein sehr hohes Nachfragepotential für den ÖPNV [22]. Gleichzeitig sind die (fiktiven) Erlösverluste bei Einführung des Basispreismodells erwartungsgemäß (deutlich) geringer als bei Einführung der hessenweiten Jahreskarte. Die monatlichen Beiträge liegen zwischen 2,50 Euro und 5,- Euro (Untergrenze) bzw. 0,50 Euro und 2,- Euro (Obergrenze). Bei einer Einführung besteht darüber hinaus die Möglichkeit, die Kosten für Angebotsausweitungen in den monatlichen Beitrag einzupreisen.

Trotz ähnlicher Nachfragezuwäche ist das Basispreismodell eindeutig dem Pauschalticket vorzuziehen:

1.   Das Basispreismodell ist erheblich effizienter als das Pauschalticket, da bei einer ähnlichen Nachfragesteigerung ein geringerer Zuschuss (Solidarbeitrag oder Finanzierung aus dem Landeshaushalt) notwendig ist.

2.   Das Basispreismodell verlagert weniger Fahrten von Fuß und Fahrrad auf den ÖPNV, da im Gegensatz zu einem vorhandenen Pauschalticket die einzelnen Fahrten immer noch etwas kosten (wenn auch nur 50% des „regulären“ Fahrpreises). Es ist daher davon auszugehen, dass die Umwelt- und Klimaeffekte beim Basispreismodell höher sind als beim Pauschalticket.

3.   Mit dem Basispreismodell kann der ÖPNV mehr Menschen erreichen als mit dem Pauschalticket. Im Gegensatz zum Pauschalticket (v.a. Fahrausweiswanderung [13]) werden vor allem Gelegenheits-, Selten- und Nichtkunden angesprochen. Daraus ergibt sich, dass beim Basispreismodell mehr Menschen den ÖPNV nutzen als beim Pauschalticket mit der Folge einer stärkeren Verankerung des ÖPNV in der Gesellschaft.

4.   Das Basispreismodell kann (sollte) den Einstieg in ein neues Finanzierungsinstrument darstellen, das zusätzliche haushalts- und konjunkturunabhängige Mittel für den ÖPNV bereitstellt. Aufgrund der geringen, nach der ÖPNV-Angebotsqualität differenzierten monatlichen Beiträge kann eine relativ hohe Akzeptanz und damit auch politische Durchsetzbarkeit vermutet werden.

5 Literatur

[1]    von Bebenburg, P. Zuschuss für Schülerticket [online] – 11,5 Millionen für Schülerticket, 2016 [Zugriff am: 11.12.2018], http://www.fr.de/rhein-main/zuschuss-fuer-schuelerticket-11-5-millionen-fuer-schuelerticket-a-326062.

[2]    Berger, M. Jahresticket 365 Euro: Deutsche Städte mögen Wiener Modell [online]. In: Der Tagesspiegel, 2018 [Zugriff am: 11.12.2018], https://www.tagesspiegel.de/politik/oeffentlicher-nahverkehr-jahresticket-365-euro-deutsche-staedte-moegen-wiener-modell/22751878.html.

[3]    Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen: FAQ zum Schülerticket, 2019, https://www.schuelerticket.hessen.de/ [Zugriff am: 03.07.2019].

[4]    Waluga, G.: Das Bürgerticket für den öffentlichen Personennahverkehr, Bergische Universität-Gesamthochschule Wuppertal; Gesellschaft für Ökologische Kommunikation mbH, Dissertation, 2017.

[5]    Leonhäuser, D.; Dietrich, M.; Sommer, C. et al.: Flexible Tarife im Praxistest – Potenziale von EFM-Systemen zur Weiterentwicklung des Tarifangebots im ÖPNV. In: Der Nahverkehr (2019), 7+8.

[6]    Dietrich, A.-M.; Leonhäuser, D.; Haiawi, T. et al.: FlexiTarife - Entwicklung, Anwendung und Wirkungsermittlung flexibler Tarife auf Basis von EFM-Systemen : gemeinsamer Schlussbericht : Projektlaufzeit: 01.01.2017-30.09.2018.

[7]    Sommer, C.; Bieland, D.; Sauer, J.: Finanzierung des ÖPNV auf Basis von alternativen Finanzierungsinstrumenten – Endbericht des Forschungsprojekts im Auftrag der RMV GmbH. unveröffentlicht, 2018.

[8]    WVI Prof. Dr. Wermuth Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH: Tarifstrukturreform im Rhein-Main-Verkehrsverbund – Bestandsaufnahme, Braunschweig Ausgabe 2010.

[9]    Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Richtlinien für integrierte Netzgestaltung – RIN. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV R1 - Richtlinien und Vertragsunterlagen Heft 121, FGSV Verlag GmbH, Köln, 2009.

[10]  Bastians, M.: Preiselastizitäten im öffentlichen Personenverkehr (ÖPV) – Anwendungspotenziale und ihre Übertragbarkeit im räumlichen Kontext. (Dissertation an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel), Kiel, 2009.

[11]  Steger-Vonmetz, C.; Dujmovits, R.; Hagen, A.: Nulltarif im öffentlichen Verkehr - Ökonomische, gesellschaftliche und verkehrspolitische Aspekte der Einführung eines Nulltarifs im Verkehrsverbund Vorarlberg – ERGEBNISBERICHT, Bregenz, Graz, Wien., 2008.

[12]  Isenmann, T.: Wirtschaftsverträglichkeit und Raumwirksamkeit umweltorientierter marktwirtschaftlicher Verkehrspolitik. Basel, Universität Basel, Dissertation, 1994.

[13]  Sommer, C.; Bieland, D.: Das "Wiener Modell" - ein Modell für deutsche Städte? In: Der Nahverkehr 09/2018 (2018).

[14]  Ritz, C.: Modellierung und Wirkung von Maßnahmen der städtischen Verkehrsplanung. Dissertation (Entwurf). Universität Stuttgart Ausgabe 2018.

[15]  Wirtz, M.: Flexible Tarife in elektronischen Fahrgeldmanagementsystemen und ihre Wirkung auf das Mobilitätsverhalten. Karlsruhe, Karlsruher Institut für Technologie, Dissertation, 2013.

[16]  European Platform on Mobility Management: TEMS – The EPOMM Modal Split Tool, 2018, http://www.epomm.eu/tems/result_cities.phtml?more=1 [Zugriff am: 10.10.2018].

[17]  Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH: RMV-Preisliste, 2018, https://www.rmv.de/c/fileadmin/documents/PDFs/_RMV_DE/Fahrgastinfos/Broschueren/Infomaterial/Fahrkarten-%20und%20Tarifinformationen/RMV-Preisliste_2018.pdf [Zugriff am: 10.10.2018].

[18]  Statistisches Bundesamt: Bildung und Kultur – Studierende an Hochschulen -Vorbericht, 2018, https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/Hochschulen/StudierendeHochschulenVorb2110410188004.pdf?__blob=publicationFile [Zugriff am: 10.10.2018].

[19]  Hessisches Statistisches Landesamt, Wiesbaden: Die Bevölkerung der hessischen Gemeinden am 30. Juni 2017 Ausgabe 2018.

[20]  HartzIV.org: Hartz IV Regelsatz – Regelbedarf 2018 & 2019 beim Arbeitslosengeld II Ausgabe 2018.

[21]  Sommer, C.; Krichel, P.: Wer nutzt welche Verkehrsmittel? In: Der Nahverkehr 03/2012 (2012).

[22]  Sommer, C.; Mucha, E.: Multimodale Angebote zur Ergänzung des klassischen Nahverkehrs – Nahverkehrs-Tage 2013 in Kassel greifen aktuelle Trends und Angebote zur Multimodalität auf. In: Der Nahverkehr 31 (2013), Heft 6, S. 18-22.