FGSV-Nr. FGSV 002/124
Ort Bergisch Gladbach
Datum 27.03.2019
Titel Multidisziplinäre Pfade und interdisziplinäre Strategien zur nachhaltigen Gewährleistung guter Luftqualität mit besonderem Augenmerk auf den Straßengüterverkehr
Autoren Dr. Dipl.-Ing. Heinz Dörr, Dipl.-Ing. Viktoria Marsch, Dipl.-Ing. (FH) Andreas Romstorfer MA, Dipl.-Ing. Yvonne Toifl
Kategorien Luftqualität
Einleitung

Der Beitrag möchte den Blick auf das Potenzial multidisziplinärer Vorgehensweisen zur Lösung komplexer Aufgaben zu Fragen der Luftqualität lenken und die Verkettung von Verursachungen, Wirkungen, Betroffenheiten und Lösungsansätzen hervorheben. Dies wird einführend anhand eines Beispiels für die Verschränkung der Wissensgebiete Logistikwirtschaft, Raum- und Verkehrsplanung sowie Fahrzeugtechnologie anhand der täglichen Versorgung der Gütersenke im Ballungsraum ausgeführt. Ziel war es, zur Entwicklung von realistischen, d.h. emissionsrelevanten, Fahrzyklen von Nutzfahrzeugen beizutragen und in weiterer Folge ein für betriebliche Logistikentscheidungen relevantes transportökologisches Indikatorenkonzept aufzustellen. Damit wurde ein Hauptemittent, nämlich der Straßengüterverkehr, ins Blickfeld der Handlungsoptionen zur Luftreinhaltung gerückt. Man möge uns die ungewöhnlich erscheinende Abfolge nachsehen, aber diese Bottom-up-Betrachtung ist vielleicht verständlicher als eine hochaggregierte und damit abstrakte Voranstellung (globale „Gigatonnen“) der weltweiten Problematik; statt herunterbrechen also hinaufhanteln.

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Der Fachvortrag zur Veranstaltung ist im Volltext verfügbar. Das PDF enthält alle Bilder und Formeln.

Einleitung

Der Beitrag möchte den Blick auf das Potenzial multidisziplinärer Vorgehensweisen zur Lösung komplexer Aufgaben zu Fragen der Luftqualität lenken und die Verkettung von Verursachungen, Wirkungen, Betroffenheiten und Lösungsansätzen hervorheben. Dies wird einführend anhand eines Beispiels für die Verschränkung der Wissensgebiete Logistikwirtschaft, Raum- und Verkehrsplanung sowie Fahrzeugtechnologie anhand der täglichen Versorgung der Gütersenke im Ballungsraum ausgeführt. Ziel war es, zur Entwicklung von realistischen, d.h. emissionsrelevanten, Fahrzyklen von Nutzfahrzeugen beizutragen und in weiterer Folge ein für betriebliche Logistikentscheidungen relevantes transportökologisches Indikatorenkonzept aufzustellen. Damit wurde ein Hauptemittent, nämlich der Straßengüterverkehr, ins Blickfeld der Handlungsoptionen zur Luftreinhaltung gerückt. Man möge uns die ungewöhnlich erscheinende Abfolge nachsehen, aber diese Bottom-up-Betrachtung ist vielleicht verständlicher als eine hochaggregierte und damit abstrakte Voranstellung (globale „Gigatonnen“) der weltweiten Problematik, statt herunterbrechen also hinaufhanteln.

Ein Projektrückblick als Einstieg

Üblicherweise werden bei wissenschaftlichen Ausführungen die Darstellungen zu einem Thema im Fachdiskurs anhand von Literaturaufzählungen vorangestellt und sodann die theoretisch-methodischen Grundlagen erläutert, um schließlich mit Hilfe von Beispielen für Modellierungen und Anwendungen die Thematik zu veranschaulichen. Aber was ist, wenn die Literatur dazu zersplittert und karg ist, die Theorie sich als wenig konsistent herausstellt und die Fallbeispiele kein Gesamtbild erlauben, weil sie Insel-Betrachtungen bleiben?

Es kann daher bei der Entwicklung einer Thematik manchmal dienlich sein, einen dringenden Wissensbedarf aufgrund einer offensichtlich (und vielleicht auch öffentlich) gewordenen Problematik mit einem alternativen Denkansatz und einem ungewohnten Zugang anzupacken, um einen Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung der Phänomenologie und in der Methodik der Problemaufbereitung auszulösen. Aus diesem Grund soll hier von einem aus der Praxis des Wirtschaftsverkehrs abgeleitetes und auf die Verkehrslogistik zielendes Forschungsprojekt ausgegangen werden. Es handelte sich dabei um eine Forschungs- und Entwicklungsdienstleistung für das österreichische Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) namens „EFLOG“, die 2013 bis 2015 zusammen mit dem international bedeutenden Entwicklungsunternehmen für Antriebstechnologien AVL List (Headquarter in Graz), dem Fachbereich Verkehrssystemplanung der TU Wien und dem Energiemarktanalysten Energy Comment (Hamburg) vom Autorenteam erarbeitet wurde.

Eine multidisziplinäre Zusammenstellung des Konsortiums, wie diese, gehört zu den eher raren Beispielen von Forschungskooperationen (wie Motorentechnik, Verkehrslogistik, Verkehrsplanung und Marktbeobachtung). Eine solche fachübergreifende Konstellation verspricht vorderhand noch kein interdisziplinäres Endergebnis. Aber das Zusammenfinden für eine Projektentwicklung über die Grenzen von Communities hinweg ist ein erster Erfolg, wenn eine gemeinsame Aufgabe erkannt worden ist und eine fächerübergreifende Schnittfläche definiert werden konnte. Damit ist zunächst eine multidisziplinäre Plattform gebildet, auf der das Dargebot an Wissensständen und Fachbeiträgen in Hinblick auf die methodische Verknüpfbarkeit zur Lösung der Aufgabe eingebracht werden kann. Im gegenständlichen Fall war es – bei durchaus unterschiedlichen Motiven und Erkenntnisinteressen der Forschungspartner – das Einsparungspotenzial von Antriebsenergie und von Emissionen bei Wirtschaftsverkehren unter Simulation (nahezu) aller technisch einsetzbaren Antriebsformen und Kraftstoffe für realistisch abgeleiteten Fahrzyklen von Nutzfahrzeugen. Das war zum damaligen Zeitpunkt recht neu angedacht.

Thematisierung als Anstoß zur Methodenentwicklung

Angesichts der oftmals grenzwertigen Immissionsbelastungen entlang stark befahrener Verkehrskorridore werden große Hoffnungen in die marktreife Entwicklung und in die Verbreitung von Nutzfahrzeugen gelegt, die imstande sind, noch emissionsärmer als bisher vorgeschrieben oder überhaupt emissions-frei ihre Gütertransporte zu fahren. Dafür gibt es zwar bereits eine Reihe von technisch weitgehend ausgereiften Antriebskonzepten, die in unterschiedlichen Fahrzeugmodellen eingebaut den fuhrparkbetreibenden Unternehmen bereits angeboten werden oder vor der Markteinführung stehen. Die Weichenstellung, welche dieser Antriebsvarianten sich in absehbarer Zeit erfolgreich am Nutzfahrzeugmarkt durchsetzen lassen, hängt von der Wirtschaftlichkeit ihrer Anschaffung (total cost of ownership) und der Wettbewerbsfähigkeit in der Transportlogistik ab. Das umso mehr, als am Güterverkehrsmarkt ein beinharter Wettbewerb herrscht, sodass bewährte Technik, wie es der Dieselantrieb nun mal ist, und berechenbare Fahrzeugkosten für die Anbieter von Transportleistungen unabdingbar sind.

Übrigens je schwerer ein Nutzfahrzeug ist, desto mehr wird der Wiederverkaufswert am Sekundärmarkt eine kalkulatorische Größe, was sich in einem rasanten Erneuerungszyklus von wenigen Jahren bei schweren Lastkraftwagen niederschlägt; was Segen und Fluch zugleich sein kann, weil die weiterverkauften Fahrzeuge durchaus wieder auf unseren Fernstraßen auftauchen. Außerdem hat sich für Nutzfahrzeuge mit ungewohnter Antriebstechnik noch kein nennenswerter Sekundärmarkt entwickelt, sodass die Pioniere damit nicht rechnen können. Ein höherer Anschaffungspreis und ein kaum vorhandener Wiederverkaufswert müsste also durch eine deutliche Energiekostenreduktion beim Fahrbetrieb kompensiert werden. Dem steht aber wiederum der hohe Personalkostenanteil gegenüber, der die Kraftstoffkosten im Regelfall bei Weitem übersteigt. Diese betriebswirtschaftliche Mechanik behindert Umstellungsstrategien in Hinblick auf Umwelt- und Klimaerfordernisse wesentlich.

Simulation von realistischen Nutzfahrzeug-Zyklen

Es war also an der Zeit, den Blick auf die Einsatzbedingungen der Güterverkehrsmittel zu lenken, um alternative Fahrzeugmodelle auf ihre wirtschaftliche Alltagstauglichkeit hin zu prüfen. Da gegenwärtig noch zu wenige solcher Fahrzeugmodelle im Kfz-Bestand vertreten und im Straßennetz unterwegs sind, braucht es Simulationsrechnungen, die auf regelmäßigen Bedienungsfahrten zur Warenversorgung der Bevölkerung und der regionalen Wirtschaft beruhen. Dazu dienen sogenannte Fahrzyklen, das sind hier Fahrstrecken von Logistik-Touren, wo der Antrieb unterschiedlichen Anforderungen aufgrund der Fahrverhältnisse im Straßennetz und der Gewichtsverhältnisse des Nutzfahrzeuges (mit wechselndem Beladungszustand) ausgesetzt ist. Dafür wurde im EFLOG-Projekt ein Modell zur Erzeugung von Eingangsdaten entwickelt. Diese fließen als Randbedingungen in die Simulation von Fahrzyklen ein, die mit Hilfe des AVL-Cruise-Programmes gerechnet wurden. Es brauchte also ein motorisches Simulationstool, über solche verfügen nur bedeutende Forschungslabors des Automotiv-Sektors, aber ebenso einen Daten-Input aus der analytischen Beobachtung der praktizierten Verkehrslogistik und aus der Kenntnis über Verkehrsabläufe im Straßenverkehr, um die Fahrdynamik der unterschiedlichen Nutzfahrzeugtypen realistisch zu modellieren. Wie überhaupt die Sortierung der logistischen Settings, der verkehrsinfrastrukturellen Randbedingungen und der verkehrsdynamischen Netzzustände und deren systemische Verknüpfung eine Herausforderung darstellen, wenn der Aufwand in Grenzen gehalten werden muss, bevor zur Kernaufgabe der Nutzfahrzyklen-Simulation geschritten werden kann. Derart stellte sich ein Doppel-Ping-Pong-Spiel zwischen den Forschungspartnern ein.

Auswahl einer Referenzroute und verkehrslogistischer Dateninput

Als repräsentativ anzusehende Referenzstrecke für solche Güterbedienungen wurde nach einem Screening von 22 Umland-Kernstadt-Straßenzügen mit hohem Lkw-Anteil in der Metropolregion Wien die Zulaufroute vom Wirtschaftspark Industriezentrum Niederösterreich Süd an der Südautobahn A2 bis in den gründerzeitlichen Wiener Außenbezirk Ottakring gewählt. In diesem Wirtschaftspark sind zahlreiche Logistikzentralläger zur Warenversorgung des Ballungsraumes angesiedelt und ebenso sind hier Transporteure nahe an den Spediteuren und dem Großhandel niedergelassen. Der 16. Wiener Gemeindebezirk ist dicht verbaut mit einem rasterartigen Straßennetz, sodass eine hohe Lieferfrequenz erforderlich ist, die auf recht günstige Bedingungen im Straßenraum trifft. Die Lieferfahrzeuge verkehren auf diesem Laufweg, der sich in der Streckenabfolge in drei charakteristische Straßenkategorien I (Autobahn), II (Hauptstraße) und III (Erschließungsnetz) gliedert.

Dazu sind straßennetzspezifische Aufbereitungen („Infrastrukturelles Setting“) notwendig. Diese umfassen Ausstattungsattribute, wie Zahl der Fahrstreifen, Knotenabstände, Längsneigungen, verkehrslichtsignalgeregelte Knoten und ortsspezifische Beschränkungen, die für die Kapazität des Fahrweges maßgeblich sind und das frequentierte Netz in Streckenabschnitte und nach Straßenkategorien aufgliedern lassen. Dazu gesellen sich dynamische Einflussfaktoren der Verkehrsteilnahme der Güterfahrzeuge im Kontext des Fließverkehrs.

Bild 1: Auswahl repräsentativer Routen für unterschiedliche verkehrslogistische Touren in der Metropolregion Wien (Quelle: Dörr et al.,2016)

Dazu gehört die Interpretation der werktäglichen Verkehrslagebilder, die aus der Erfassung des Zeitganges der Verkehrsstärken über automatische Zählstellen gewonnen werden. Damit kann eine Einstufung der Verkehrsqualität im Abgleich von theoretischer Kapazität und tatsächlicher Verkehrsabwicklung differenziert im Tagesgang als Level of Service (LoS) definiert werden, der mit einer dadurch erreichbaren Fahrgeschwindigkeit der Nutzfahrzeuge nach Klassen (N1, N2, N3) bezogen auf Kanten in die Simulation einfließen kann (Bild 2, 3).

Logistische Tourenplanung und transportwirtschaftliches Regime

Als Determinante der Transportkette kommt die Tourenplanung zum Tragen, die im Kundenauftrag eines Verladers oder Empfängers durchgeführt wird. Diese bestimmt das Lieferzeitfenster, die Dichte und Anzahl der anzufahrenden Abladestationen (wie Points of Sale, Points of Delivery etc.) sowie das Ausmaß der Ladungsabschichtung dort.

Dieses „Logistische Setting“ führt zur Auswahl des Transportregimes, d.h. entweder wird mit eigenem Fuhrpark des Lieferanten oder mit Nutzfahrzeugen eines Kontraktlogistikers gefahren, und des einzusetzenden Fahrzeugtyps, dessen Kenndaten, wie das jeweilige sich im Laufe der Tour verändernde Fahrzeuggesamtgewicht, auf die Kanten der als Netzgraph dargestellten Fahrtroute umgelegt werden.

Bild 2: Verkehrszustände im Zeitfenster einer Logistiktour nach frequentierten Straßenkategorien (Quelle: EFLOG 2014)

Bild 3: Level of Service (LoS) A* auf Straßenkategorie I, LoS C* auf Straßenkategorie II, LoS E* auf Straßenkategorie III im Zeitfenster einer Beobachtungsfahrt

Dieser Modellaufbau erlaubt es sodann, unterschiedliche logistische Flächenbedienungen von Gütersenken oder Transportrelationen im Punkt-zu-PunktVerkehr für Fahrzyklen-Simulationen herzunehmen. Als Einstieg dafür wurden drei Mustertransportläufe innerhalb der Metropolregion Wien angenommen, die sich aus folgenden Komponenten konstituiert haben: Es handelt sich um werktägliche Logistikprozesse, nämlich Verteiltouren von Logistiklägern im Umland zu einem innerstädtischen Lieferbezirk im KEP-Dienst (PC=Parcel Service) und für die Belieferung im Lebensmittelhandel (FSD= Food Supply Delivery) sowie eine industrielle Lieferfahrt von einer innerstädtischen Produktionsstätte zu einem Großabnehmer (IDS=Industrial Delivery Service) im Umland und retour mit einer Lauflänge zwischen 36 und 40 km. Diese Touren werden mit typischen Nutzfahrzeugen der Klassen N1 (bis 3,5 t Gesamtgewicht), N2 (12 t maximales Gesamtgewicht) und N3 (bis 40 t zulässiges Gesamtgewicht, hier aber im Nahverkehr mit maximal 35 t unterwegs) durchgeführt.

Für die jeweiligen Logistiktouren wurden ab dem Auslieferlager übliche Zeitfenster definiert (z.B. KEP-Dienst mit N1: 8-17h, LEH-Tour mit N2: 6-20h, Industrielle Zulieferung zu einem Zentrallager ZZG-Tour mit N3: 17-22h), um für die drei Straßenkategorien die im Zeitfenster des Tagesganges der Verkehrsstärken auftretenden Anteile der drei Verkehrszustände Level of Service A*, C* und E* zu ermitteln (Bild 2). Ausgehend vom klassischen Ansatz der Stufen A (freier Verkehrsfluss) bis F (stockender Verkehr) wurden jedoch die Stufen A+B zu A*, C+D zu C* und E+F zu E* zusammengefasst. Das geschah, weil Nutzfahrzeuge über 3,5 t Gesamtgewicht mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung belegt sind und daher den LoS A nicht in gleicher Weise nützen können wie Pkw. Dabei konnte auf Auswertungen der UNECE-Zählungen 2010 an den automatischen Zählstellen für das Land Wien mit 96 Zeitschnitten in 24 Stunden (viertelstündliche Änderung der Verkehrsstärken) zurückgegriffen werden.

Durchführung der Fahrzyklen-Simulation

Die Fahrzyklen-Simulationen wurden für die erwähnten Nutzfahrzeug-Klassen N1, N2 und N3 durchgeführt. Dazu wurde jeweils ein repräsentatives Nutzfahrzeug ausgewählt, das den derzeitigen Stand der Technik darstellt und in kommerziellen Fahrzeugflotten breit vertreten ist. Diese Fahrzeugkategorien absolvieren täglich typische Logistik-Einsätze im Straßennetz, repräsentieren also Realfahrzyklen. Die Zielgeschwindigkeitskurven enthalten während der Phasen der Fahrzeugbeschleunigung dafür keine exakte Vorgabe, sondern geben sprungartig die Endgeschwindigkeit vor, sodass der „Fahrerregler“ (quasi der fiktive Fahrer) in der Simulation die Zielgeschwindigkeit (beispielsweise 50 km/h in der Stadt oder bis zu 130 km/h auf der Autobahn) unter Vollastbetrieb zu erreichen versucht. Das kommt dem typischen Betrieb solcher Nutzfahrzeuge nahe. Für jede Fahrzeug-Fahrzyklus-Kombination wurde als wesentliche verbrauchswirksame Randbedingung eine zeitliche Abfolge des Fahrzeugbeladungszustandes, also das während der Tour variable Fahrzeuggesamtgewicht, berücksichtigt.

Bild 4: Verkehrslogistisches Daten-Input-Modell zur Fahrzyklen-Simulation von Nutzfahrzeugen (N1, N2, N3) (Quelle: EFLOG, 2014)

In der Fahrzeugsimulation werden ausgewählte Fahrzeugmodelle bezüglich ihrer längsdynamischen Eigenschaften mathematisch abgebildet und entlang virtueller Teststrecken, wie die entworfenen Laufwege der Logistiktouren, gefahren. Zu ihnen gehören Geschwindigkeits- und Höhenprofile der Route, die in der Simulation als Randbedingungen eingehen und so unter Berücksichtigung der Spezifikation des Fahrzeugs und seines Antriebsstrangs (Masse, Fahrwiderstand, Übersetzungen usw.) bzw. der Betriebsstrategie (gewählter Gang usw.) die verbrauchsrelevanten Parameter Motordrehzahl sowie Motordrehmoment bestimmen lassen. Unter Verwendung dieser beider Parameter wird automatisch der momentane Kraftstoffverbrauch ausgewertet, aus welchem per Integration der Zyklusgesamtverbrauch bzw. die CO2-äquivalenten Emissionen ermittelt werden.

Die Fahrzyklen-Simulationen wurden mit dem AVL-CRUISE-Simulations-Programm im AVL-List-Stammsitz in Graz durchgeführt. Als Antriebskonfigurationen wurden für die erwähnten Nutzfahrzeug-Typen zunächst herkömmliche Diesel- und Gasantriebe (CNG) als Basisvarianten auf dem Stand der Technik (EURO VI) unter Zugrundelegung der genannten verkehrslogistischen Fahrzeugeinsätze gewählt und deren Kraftstoff- bzw. Energieverbrauch und die CO2-äquivalenten Emissionsmengen berechnet.

Um Reduktionspotenziale herauszufinden, wurden jene Antriebsvarianten für die Hybridisierung und Elektrifizierung ausgewählt, die bis zum Jahr 2020 für die gestellten Anforderungen als technisch einsatzfähig gelten können, auch wenn solcherart ausgestattete Nutzfahrzeugmodelle noch wenige am Markt angeboten werden. Bei den Systemauslegungen, was die Motorleistungen oder die Kapazität der Energiespeicher (insbesondere Batterie) betrifft, wurde Augenmaß angelegt, da nur Fahrzeuge den Fuhrparkhalter überzeugen, die alltagstauglich im Wirtschaftsverkehr einsatzfähig sind. Je nach Hybridisierungsgrad der Antriebsvariante wurde z.B. beim N2-Fahrzeug für den simulierten Einsatzzweck ein maximaler Leistungsbedarf des Elektromotors von 160 kW festgelegt, womit das Rekuperationspotenzial zu rd. 2/3 ausgeschöpft wird. Dadurch kann das Batteriegewicht in zweckmäßigen Grenzen gehalten werden. Denn die Batterie stellt einen wesentlichen Kostenfaktor bei der Anschaffung und bei der Wirtschaftlichkeit des Betriebes eines Nutzfahrzeuges dar.

Von besonderer Relevanz für die Emissionscharakteristik sind „Dual-Energy“- oder „Hybrid“-Varianten (HEV), in denen je nach Hybridisierungsgrad Verbrennungsmotor und Elektromaschine sowie Kraftstofftank und Batterie unterschiedlicher Leistung und Kapazität kombiniert werden. Mikro- und Mild- Hybrid-Fahrzeuge sparen durch die Start-Stopp-Funktionalität vor allem im Stadtverkehr schon erheblich an fossilem Kraftstoff ein, Voll-Hybrid-Fahrzeuge erlauben über gewisse Strecken rein elektrisches Fahren, z.B. um immissionsgefährdete Siedlungsräume zu entlasten. Diese können mit einer Plug-In-Funktion zum leitungsgebundenen Aufladen der Batterie ausgestattet sein, um neben der Energierückgewinnung während der Fahrt (Rekuperation) auch während eines längeren Stopps extern Strom aufzunehmen. Damit kann die Reichweite für das elektrische Fahren wesentlich gesteigert werden. Das muss aber mit einem steigenden Gewicht der Batterie, was wiederum die Nutzlastkapazität des Fahrzeuges reduziert, und mit einer stärkeren Leitungsbelastung des Stromnetzes bezahlt werden.

Schließlich stellen die rein batteriegestützten Elektrofahrzeuge (BEV) beim Stand der Batterietechnologie in absehbarer Zeit nur für den Leistungsbedarf der leichteren und maximal mittleren Nutzfahrzeugklassen (N1, N2) eine Alternative dar. Sie sind allerdings die für den Gütertransport innerhalb von Ballungsräumen bevorzugten Verkehrsmittel, sofern die verkehrslogistisch erforderliche Reichweite, z.B. durch Batterie-Ladeinfrastruktur im Bedienungsgebiet, gewährleistet werden kann. Außerdem können weitere fahrzeugseitige Maßnahmen zur Reduktion von Energieverbrauch und Emissionen beitragen, indem die Abwärmenutzung (Waste Heat Recovery) in Betracht gezogen wird und am Fahrwerk (einschließlich der Reifen), an der Karosserie und am Aufbau zur Verringerung des Roll- und Luftwiderstands angesetzt wird. Um die Transportproduktivität des Fahrzeuges zu verbessern, kommen zudem Leichtbaukomponenten in Frage, womit das Verhältnis zwischen Nutzlastgewicht und Fahrzeuggesamtgewicht, also die Transportproduktivität, verbessert werden kann.

Ausgesuchte Ergebnisse der Fahrzyklen-Simulation

Neben der jeweiligen Basiskonfiguration der Nutzfahrzeug-Triebstränge für die drei unterschiedlichen Nutzfahrzeugklassen N1, N2 und N3 waren davon abgeleitete Varianten mit unterschiedlichen Hybridisierungsvarianten bis zum reinen batteriebetriebenen E-Fahrzeug (BEV) Gegenstand der Fahrzyklussimulation.

Fahrzyklen-Simulation für Dieselantrieb in Abhängigkeit vom Level of Service

Um eine Grundlage für die Interpretation verkehrslogistischer Aufgabenstellungen zu schaffen, wurden in einem ersten Durchgang nur herkömmliche diesel-angetriebene Nutzfahrzeuge unter den Verkehrsbedingungen von jeweils Level of Service A* (z.B. bei Nachtanlieferung), C* (z.B. Tour außerhalb der Verkehrsspitzenzeiten) und E* (z.B. Terminlieferung in der Morgenspitze) simuliert. Dabei ergab sich wenig überraschend, dass der lockere Fließverkehr mit LoS C* dem Gütertransport aller drei Nutzfahrzeugklassen am besten entgegenkommt und die Dieselverbräuche daran zu messen sind. Diese variieren zwischen dem 2,6-fachen (bei N1) und dem 5,6-fachen Kraftstoffmehrverbrauch (bei N3) bei Verschlechterung der Verkehrsqualität von C* zu E*, aber auch zwischen 24 % und 30 % Mehrverbrauch bei einer Verbesserung zu A*. Das spricht sowohl für eine fahrzeugseitige Innovationsoffensive als auch für ein Verkehrsmanagement, das für eine Homogenisierung der Verkehrsflüsse im Tagesablauf sorgt.

Reduktionspotenziale im Energieverbrauch im Vergleich der Antriebsvarianten

Die Simulationsergebnisse für die verschiedenen Antriebsvarianten ergaben bemerkenswerte Reduktionspotenziale, wie in Bild 5 bis 7 dargestellt ist. So zeigt sich, dass schon kleinere technologische Maßnahmen, wie die Start-Stopp-Funktion (Micro Hybrid), über alle Nutzfahrzeugklassen zwischen 11 % und 39 % Reduktionspotenzial beim Energieverbrauch erzielen. Eine volle Hybridisierung mit einem Dual-Energy-Concept, das konventionelles mit elektrischem Fahren kombinieren lässt, könnte sogar bis zu 75 % Energie- und ähnliche Emissionseinsparungen erbringen. In Hinblick auf Energieeffizienz und mit dem Vorteil von Nullemission vor Ort sind reine Elektrofahrzeuge kaum zu übertreffen, aber ihre Einsatzfähigkeit ist aufgrund der Reichweitenanforderungen von Güterverkehren noch begrenzt. Die Möglichkeit zur Rekuperation ist sowohl ein Argument für den Einsatz reiner Elektrofahrzeuge als auch von entsprechend ausgerüsteten Hybridfahrzeugen, um eine umweltsensible Strecke emissionsfrei zurücklegen zu können.

Bild 5: Reduktionspotentiale bei Emissionen für Antriebsvarianten für Lieferfahrzeuge bis 3,5 t Gesamtgewicht für den Einsatz im KEP-Dienst in Bezug auf die Ausgangsbasis mit Diesel oder Erdgas (CNG) betriebener Fahrzeuge (Quelle: EFLOG 2014, gerechnet mit –CRUISE)

Bild 6: Reduktionspotentiale bei Emissionen für Antriebsvarianten für Lieferfahrzeuge bis 12 t Gesamtgewicht (hier mit 9 t bei voller Beladung) für die Belieferung von Points of Sale im Lebensmittelhandel in Bezug auf die Ausgangsbasis mit Diesel oder Erdgas (CNG) betriebener Fahrzeuge (Quelle: EFLOG 2014, gerechnet mit –CRUISE)

Bild 7: Reduktionspotentiale bei Emissionen für Antriebsvarianten für Sattelzüge bis 40 t Gesamtgewicht (hier mit 35 t bei voller Beladung) für den Einsatz im industriellen Zulieferverkehr an Logistikläger in Bezug auf die Ausgangsbasis mit Diesel oder Erdgas (CNG) betriebener Fahrzeuge Quelle: EFLOG 2014, gerechnet mit –CRUISE

Nachhaltigkeitsindikatoren als Evaluierungstool für Logistikkonzepte

Schließlich hatte sich die Aufgabe gestellt, nicht nur eine Vergleichbarkeit der Antriebsvarianten in Hinblick auf ihre Reduktionspotenziale innerhalb einer Fahrzeugklasse und einer typischen Logistik-Tour herzustellen, sondern auch Indikatoren für eine übergreifende Bewertung aufzustellen. Denen liegt als Schlüsselgröße das sich verändernde Gesamtfahrzeuggewicht (FzG) zugrunde, wenn eine Abschichtung der Zuladung während einer Tour passiert. Darauf bezieht sich die Umrechnung in Tonnenkilometer für den zu leistenden Transportaufwand. Wegen der unterschiedlichen Antriebsenergien wurden hierbei der Energieverbrauch in Mega-Joule (MJ) sowie die Emissionsmenge in Gramm CO2-Äquivalenten bezogen auf Tonnenkilometer äquivalentem Fahrzeuggesamtgewicht ausgedrückt. Damit liegt ein Konzept für eine brauchbare Indikatorentafel zur Evaluierung der Nachhaltigkeit von Transportläufen vor. In Tabelle 1 sind als Beispiel die Antriebs-Bestvarianten je Tour und Nutzfahrzeugklasse im übergreifenden Vergleich dargestellt. Zuvor seien die verwendeten Indikatoren erläutert. Sie sollen den Paradigmenwechsel in der Bewertungsoptik zur Optimierung der verkehrslogistischen Planung verdeutlichen.

„Zukunftsfähige“ Bewertungsoptik der Verkehrslogistik

Um den ökonomischen Aspekten gebührend Rechnung zu tragen, wird zwischen fahrökonomischen Datengrundlagen der Antriebscharakteristik und den fahrtökonomischen Eingangsdaten unterschieden. Bis auf die fahrdynamischen Leistungsparameter, die vom ausgewählten Fahrzeugtyp abhängen, und daher exogene fahrzeugtechnische Randbedingungen darstellen, könnten durch die verkehrslogistische Tourenplanung, etwa durch die Variation des Touren-Zeitfensters und durch die Routenwahl sowie durch das Nutzlastmanagement den Beladungszustand und die Abschichtungssequenzen der Lieferstopps betreffend, Steuerungen vorgenommen werden. Deren Effekte auf den kumulierten bzw. anteiligen Energieverzehr und die Emissionsmenge sollten sich schließlich ablesen lassen. Dafür fehlen freilich für die Logistikplaner und Fuhrparkdisponenten noch die handhabbaren Werkzeuge. Dazu würde es eine Simulationsplattform, etwa cloudbasiert für kleinere Fuhrparkbetreiber oder als proprietäres Software-Tool für Flottenbetreiber, brauchen. Darin gehörten Daten zur kapazitiven Aufnahmefähigkeit der Verkehrsinfrastruktur und zum Zeitgang des Verkehrsaufkommens integriert. Die bisher als Shareware benützbaren Tools sind zwar ein erster Schritt in diese Richtung, dienen aber eher der allgemeinen Orientierung vor allem in Hinblick auf die CO2-Problematik.

Drei verkehrslogistische Schlüsselindikatoren sind primär für die betriebliche Kostenkalkulation und Wettbewerbsfähigkeit der Logistikdienste relevant, aber auch in Hinblick auf ein umweltorientiertes Verkehrsmanagement privater- und öffentlicherseits von Interesse, diese sind:

  • Vollbeladungs-Äquivalente + Leerfahrten-Äquivalente = Transportaufwand in Tonnen-Km Gesamt-Fahrzeuggewicht auf der Fahrbahn für eine Tour
  • Anteile der bewegten Fahrzeugmasse in tkm für die Zuladung zur Kundenbelieferung = Transportleistung
  • Als Verhältnis Bewegte Fahrzeugmasse in tkm zur Zuladung in tkm = Transport-Produktivität

Umgelegt auf den Energieverbrauch und den Emissionsausstoß geben die Nachhaltigkeits-Indikatoren Hinweise für eine transportökologische Optimierung der Verkehrslogistik und für den Innovationsbedarf bei der Fahrzeugentwicklung.

Systematik der verkehrslogistischen Datenstrukturen

Um letztlich die simulierten Effekte auf nachvollziehbare Bezugsgrößen umlegen zu können, bedarf es einer konsistenten Datenstruktur. Dabei stellt sich weniger das Problem des Datenschutzes als der Anforderungen an Vollständigkeit und Flächendeckung. Denn es braucht für die Durchführung der Fahrzyklussimulation als Dateninput:

  • Basisdaten zur Laufwegcharakteristik der Verkehrswege, damit die beanspruchte Straßeninfrastruktur nach ihren Merkmalen in Kanten gleicher Befahrungsbedingungen aufgegliedert vorliegt. Eine Kompetenz, die im weitesten Sinn bei der „Verkehrsplanung“ angesiedelt ist. Solche netzgraphischen Datengrundlagen stehen vielfältigen Anwendungen zur Verfügung.
  • Basisdaten zu den Fahrzeuggewichten im Laufe einer geplanten Tour, die vom gewählten Nutzfahrzeugtyp und der Nutzlastcharakteristik der Waren abhängt. Das entscheiden die Fahrzeugdisponenten und die, auch software-gestützte, Logistikplanung. Solche Daten könnten standardisierbar abrufbar gemacht werden.
  • Kennwerte zur Transportcharakteristik und den Fahrleistungen von Touren. Diese Daten sind branchenspezifisch zwar ähnlich angelegt, variieren aber je nach Geschäftsbeziehungen in der Supply Chain der Transportkette. Dabei sind oftmals Bestellerwünsche bei den Warenlieferungen zu berücksichtigen.

Liegt eine solche Datengrundlage tourenspezifisch aufbereitet vor, können die Effekte nach Energieaufwand bzw. Kraftstoffverbrauch sowie nach Emissionsausstoß, prinzipiell auch unterschieden nach Schadstoffen, wie Partikel und NOx, oder nach Treibhausgasen, also voran CO2, in der Fahrzyklen-Simulation berechnet werden. In Tabelle 1 wird beispielsweise demonstriert, welche Antriebsvarianten in welchen Fahrzeugklassen für welche logistische Bedienung die Bestvariante für die gewählte Tour darstellen würden, wenn solche Fahrzeuge marktfähig wären.

Tabelle 1: Die Bestvarianten im Vergleich der Antriebsvarianten für die jeweilige typische Logistik-Tour (Quelle: EFLOG, 2014)

Darin wird verdeutlicht, wie die Indikatoren erstellt und mit welchen Bezügen sie ausgedrückt werden und wo Optimierungen bei der Verkehrslogistik ansetzen könnten. Aber es sind nicht nur die Bezüge zur Route einer Logistikfahrt aufschlussreich. Das Herstellen verschiedener Bezüge, etwa zur kommissionierten Warenlieferung, z.B. auf Paletten, kann für die beteiligten Akteursgruppen ungeahnte Optimierungsaussichten oder Reformschritte eröffnen. Es kommen beispielsweise folgende Effekteausprägungen in Hinblick auf die Beiträge zur Belastungsabsenkung der Atemluft entlang der Straßenzüge in Betracht:

  • Aggregierungen von Touren gleichen, z.B. werktäglichen, Laufweges, aber zu Zeiten unterschiedlicher Verkehrszustände (LoS)
  • Kumulierungen von unterschiedlichen Logistiktouren verschiedener Frachtführer auf gleichen Straßenabschnitten aufgrund von Beobachtungen
  • Segmentierungen in Hinblick auf Fahrzeugklassen unterschiedlicher Transportproduktivität und fahrdynamischer Leistungscharakteristik sowie nach Varianten der Hybridisierung
  • Standardisierungen zu vergleichbaren Kennwerten mit gewohnten Bezugsgrößen (wie pro Km Laufweg, pro tkm Fahrzeugmasse oder Nutzlast u.ä.)

Solche Herangehensweisen setzen aber die zielgerichtete und lösungsorientierte Formulierung einer Aufgabenstellung voraus und die Benennung der an den Ergebnissen interessierten Auftraggeber und derjenigen, die diese EffektSimulationen durchführen können. Schließlich soll ein erkanntes Problem gelöst werden, sodass die Güterverkehr praktizierenden Akteure ins Boot zu holen sind.

Fazit zu den Nutzfahrzeugzyklen und weiterführende Handlungsfelder

Als Fazit ist auf die multidisziplinäre Verschränkung von der fahrzeugseitigen über die verkehrslogistische bis zur standortpolitischen Optimierung der Straßengütertransporte hinzuweisen, diese umfasst insbesondere die Handlungsfelder und Angriffspunkte bei:

  • den motorischen Wirkungsgraden der Fahrzeuge (Antriebsstrang)
  • den fahrzeugseitigen Nutzlastkapazitäten (Transportproduktivität)
  • den zeitabhängigen Straßenkapazitäten (Ideallast-Zeiten)
  • regulierenden Eingriffen für belastete Gebiete (Brechung von Belastungsspitzen unter die Grenzwerte)
  • der Nfz-fahrleistungsreduzierenden Logistikstandortpolitik (Reduzierung des Wegeaufwandes für die Versorgung der urbanen Gütersenke)
  • die Begrenzung von Mehrverkehren durch Hinterfragung von überschießenden Lieferserviceangeboten („same day delivery“ etc.)
  • der emissionsreduzierten (multi-)modalen Gestaltung der Transportketten (Wahl umweltverträglicher Verkehrsmittel)

Damit wird eine Vielfalt von Akteuren bzw. Stakeholdern adressiert, die sehr unterschiedliche Optimierungsziele bei ihren Aktivitäten verfolgen, die aber auch eine beruflich interessenfokussierte und fachlich segmentierte Wahrnehmung ihrer Aufgaben und der dadurch ausgelösten Phänomene auszeichnet. Das betrifft vor allem das Phänomen Straßenverkehr und seine Umwelteffekte, die aus den verschiedenen praktischen Blickwinkeln erlebt und verursacht werden. Also sind die inneren Sichtweisen (und Wissensbestände) der entscheidenden und praktizierenden Akteure mit den Erkenntnissen der (forschenden) Beobachter aus der Außensicht zu verknüpfen. Auch diese Außenstehenden vertreten Motive, wie die Luftreinhaltung oder die Erreichung der Klimaziele, oder sie folgen ihrer Forschungsneugierde, wenn sie sich damit befassen können. Dabei zeigt sich, dass Phänomene eine imaginäre Klammer zwischen Wissensgebieten darstellen, deren Vertreter nicht unbedingt miteinander direkt kommunizieren oder aktiv zusammenwirken, weil ihre Wahrnehmungsoptiken zu verschieden sind und ihre methodischen Arbeitsweisen offenkundig keine Schnittstellen anbieten.

Bild 8: Die Verschränkung der Fächerwelten in der zivilisatorischen Entwicklung in Bezug auf die Umweltgestaltung (Quelle: AIDA-F 2016, Entwurf Dörr/Toifl)

Es sind dies in einer pragmatischen Zusammenschau: die „Maschinenwelt“, die uns den technischen Fortschritt und die Fülle der Wohlstandsgüter sichert, die „Bauwelt“, die uns die Infrastruktur für die Mobilität bereitstellt, die „Wirtschaftswelt (Ökonomie)“, die uns den Lebensunterhalt ermöglicht, die „Geisteswelt“, die uns ein Wertegerüst vermittelt, die „Naturwelt“, die uns mehr oder minder knappe Ressourcen zur Verfügung stellt und die „generalistische Welt der Formal- und Integrativwissenschaften“, die die kognitiven Basisleistungen für unsere zivilisatorische Entwicklung bereitstellt. Alle diese Fächerwelten und ihre zugehörigen Fachdisziplinen mit ihren Wahrnehmungsoptiken und Arbeitsweisen haben einen Bezug zur Thematik „Luftqualität“. 

Der Handlungsbedarf global, regional und lokal

Am Beginn der Verursachungskette der verkehrsbedingten Luftbelastungen steht die „Versuchung“ durch den Energierohstoff Erdöl, der die gegenwärtige zivilisatorische Ära prägt und den Energierohstoff Kohle als Kraftstoff weitgehend abgelöst hat, was übrigens mit erheblichen Verbesserungen in der lokalen Luftqualität („Smog“) einherging. Die nächste Ablösung zu postfossilen Energieträgern steht bevor, auch wenn die Umstellung voraussichtlich einen jahrzehntelangen Prozess darstellen wird, wobei regionale Schwerpunkte (unter gewissem Problemdruck) als Innovationspole vorgezogen realisiert werden können. Global werden rund 55 % des Erdöls für Transportzwecke verbraucht, 18 % darunter allein für den Straßengüterverkehr (Bild 9).

Bild 9: Der weltweite Erdölverbrauch nach Sektoren (Quelle: adaptiert nach IEA in ITF 2018)

Aber noch gilt es die Barrieren, die einer breiten Umstellung („Verkehrswende“) entgegenstehen, abzubauen. Diese vorbereitenden Maßnahmen sind vielfältiger Natur, wozu unter dem Dach dieser gemeinsamen „Jahrhundert-Aufgabe“ eine Fülle von Fachleuten aus den erwähnten Fächerwelten beitragen muss (Bild 10). Die von Experten vermuteten Hindernisse bei der Durchsetzung alternativer Antriebsformen reichen von den Betriebskosten für die jeweilige Antriebsenergie (Fuel costs) über die Wirkungsgrad(-verluste) bzw. Emissionskumulierungen entlang der Versorgungskette Well-to-Wheel, die Gewährleistung der Versorgungsinfrastruktur (Charging networks), die etwaigen fahrbetrieblichen Nachteile (Vehicle lacks operational requirements) bis zu den kritischen Anschaffungskosten für die alternativ angetriebenen Fahrzeuge (Vehicle costs). Dazu gibt es noch Gründe, wenn bei der Erzeugung der Antriebsenergie rationelle Produktionsverfahren und -anlagen erforderlich sind, wie z.B. beim als Ressource nicht vorkommenden Wasserstoff (difficult to scale up production). Das bedeutet, dass zur Überwindung der Hürden bestimmte Konstellationen von Expertisen und Entwicklungsträgerschaften gefordert sind, wie Motorenentwicklung, Kraftstoffchemie, Verfahrenstechnik, Speichertechnologie u.a.). Aber für die Implementierung bedarf es des politischen Willens, der ökonomischen Kalkulation und der ökologischen Bilanzierung, wozu der Entlastungseffekt für die Atemluft vor Ort des Verkehrs und die Abschätzung der Minderung der volksgesundheitlichen Schäden gehören.

Bild 10: Expertenbefragung zu den Barrieren bei der Durchsetzung alternativer Antriebe

Wahrnehmung des Faktors Luft

Da Luft allgegenwärtig ist, wurde sie in der klassischen ökonomischen Theorie als freies Gut angesehen, sie gilt also nicht als knappe wertvolle Ressource. Aber Luft wird nicht nur als überall verfügbares Abfalldepot mit Schadstoffen belastet, sondern auch verbraucht, ist also ein unsichtbarer Produktionsfaktor bei allen Formen der Verbrennungsmotorik. Die disziplinären Wahrnehmungsoptiken zur Luftqualität reichen von der Analyse von Feinstaub im Rasterelektronenmikroskop und der gasförmigen Schadstoffe in der Gaschromatographie bis zur atmosphärischen Immissionserfassung durch die Satellitenfernerkundung. Das stellt ein enormes Maßstabsspektrum dar, was die Gefahr der Zersplitterung in akademische Hoheitsgebiete in sich birgt und eine synthetische Sichtweise nicht leicht macht. So spielen Hot Spots eine mobilisierende Rolle, wenn die Einbuße an Atemluftqualität Betroffenheit auslöst, etwa weil die Gefahr gesundheitlicher Schädigungen bewusst wird und an Bildern mit Menschen mit Schutzmasken oder am Medium (Smog-Glocke) selbst sichtbar wird. Bei genügender Dichte von Luftmessstellen lassen sich die Immissionen flächendeckend modellieren, was das Problembewusstsein anregt, welche Emissionsquellen (Industrie, Kraft-Heizwerke, Straßenverkehr) dafür verantwortlich sein könnten. Dazu lohnt dann der Blick in die Verkehrszählungen.

Bild 11: Jährlich mittlere Feinstaubbelastung (PM10) und Stickoxid-Belastung (NO2) in der Metropolregion Paris 2016, Quelle: Plan Climat Air Énergie de la Métropole du Grand Paris 2017

Wie in Bild 11 anschaulich wird, sind die Bebauungsdichte und die Verkehrserzeugung wesentliche Ursachen für die von der Peripherie zum Stadtzentrum zunehmende Partikel- und Stickoxid-Belastungen, sodass zu den Hot Spots auch (konzentrische) Hot Areas ausgemacht werden können. Damit sind sowohl die Mobilitätsplanung als auch die Logistikkonzepte als Verkehrssteuerung für den urbanen Raum sowie der Städtebau als Steuerung der Verteilung der Baumassen und für die Vorsorge von Lüftungsschneisen angesprochen. Dabei hat eine diesbezüglich verantwortungsbewusste Politik schon viele Wirtschaftslobbies gegen sich versammelt. Dieser Diskurs sollte daher öffentlich und sachorientiert geführt werden. Dabei sollte man keine Angst vor zuviel „Expertentum“ haben, wenn der Prozess professionell moderiert und verständlich aufbereitet wird. 

Disziplinaritäten im Forschungsfortgang zur Aufgabenbewältigung

Wird ein interdisziplinäres Zusammenwirken zu einer definierten Aufgabenstellung für gesellschaftlich notwendig und zielführend gehalten, dann ist zunächst die mögliche Arbeitsorganisation angesprochen, wer wann welche Ergebnisse aus einem anderen Fachbereich benötigt, um den eigenen fachlichen Beitrag leisten zu können. Die Art der Verwendung fremddisziplinärer Beiträge bestimmt darüber, ob es sich um ein zufällig pluridisziplinäres, um ein koordiniertes multidisziplinäres, um ein Erkenntnisse-integrierendes interdisziplinäres oder gar um ein Fächer-verschmelzendes kondisziplinäres Wechselspiel in der Aufgabenlösung handelt. Die Organisationsformen, die interdisziplinäre Prozesse ermöglichen sollen, reichen von gelegentlichem Meinungs- und Datenaustausch über einen systematisch organisierten Wissenstransfer für bestimmte Aufgaben bis zu einer in gewissem Maße institutionalisierten Kooperation zu Themenfeldern und Kollaboration zur Lösung konkreter Aufgaben.

Die in Bild 12 dargestellte hyperbelartige Form im Forschungsfortgang darf als geometrische Metapher verstanden werden, die andeuten soll, dass nicht über den ganzen Forschungspfad entlang immer die gleichen Disziplinen und noch dazu in gleichem Maße beteiligt sein müssen. Schließlich ist ein interdisziplinärer Overkill manchmal kontraproduktiv, wenn die Ergebnisse nicht mehr kommuniziert werden können. Versucht man anhand dieser Skizze Aufgabenfelder und Expertisen zum komplexen Thema Luftqualität zuzuordnen, so stehen am Beginn der Forschungskette pluridisziplinäre Befassungen unterschiedlichster Disziplinen im Bereich der Grundlagenschaffung auf verschiedenen Maßstabsebenen (global, regional, lokal), die zu einer Problematisierung verdichtet werden und in der Folge eine vertiefte problemnahe Ursachenforschung auslösen.

Bild 12: Forschungsfortgang zu einer Aufgabe in Hinblick auf Disziplinaritäten, (Quelle: AIDA-F, 2016) 

Forschungs- und Strategiepfad

  • Klimaforschung und -politik (globaler Wissensgewinn)
  • Immissionsklimatologie (regional problemnaher Erkenntnisgewinn)
  • Messtechnik/Immissionsmonitoring lokal Umweltpolitik (Welt-, EU …)
  • Ursachen-/Emissionsforschung (an den Quellen) Verfahrenstechnik/Technologieentwicklung Städtebau, Raumordnungsstrategien
  • Mobilitäts- und Logistikkonzepte
  • Nfz-Einsatzszenarien und -simulation
  • Modellierung Emissionsausbreitung und Immissionsbelastung (Kfz-Technik, Witterungsklimatologie, Stadtbautechnik, Fremdemittenten, medizinische Luft-Hygiene, Photokatalytik)
  • Luftreinhalte-Strategie (Ziele, Mitwirkende)
  • Modellierung umweltverträglicher Verkehrs-beeinflussung (Verkehrsmengen in Netzteilen)
  • Managementsystem, Maßnahmen- u. Zeitplan Organisationsstrukturen (Steuerung, Wartung, Überwachung, Zielkontrolle)

Bild 13: Zuordnung themenrelevanter Aufgaben auf dem Implementierungspfad mit dem Ziel, die Luftqualität in Bezug auf den (Güter-)Verkehr zu verbessern

Ist man den Ursachen für die Anreicherung der Atmosphäre mit Treibhausgasen und der Belastung der bodennahen Luftschichten mit Schadstoffen auf den Grund gegangen, stellen sich die Herausforderungen, mit Mitteln der Normensetzungen und der Regulierungen die Technologie-Entwicklung anzustoßen, um Problemlösungen zu erarbeiten. Aber auch die Art und Weise der Ausübung der Grunddaseinsfunktionen (Wohnen, Wirtschaften, Mobilität) stehen somit auf dem Prüfstand zur Reformierung an. Damit ist die territoriale Organisation unserer Gesellschaft angesprochen. Schließlich muss die Befassung mit der komplexen Thematik in einen permanenten Prozess des Monitorings, der Zielkontrolle und der Weiterentwicklung der Technologien, Modelle und Methoden übergeführt werden. Dazu gibt es vielversprechende Schritte, die allerdings noch nicht alle Regionen, Wissensbereiche und Wirtschaftssektoren erfasst haben.

Literaturhinweise:

Eigene Veröffentlichungen (chronologisch):
  1. EFLOG 2014 – Wirkungspotentiale der Leistungsangebote neuer Fahrzeugtechnologien für die Bedienungsangebote der Logistikdienstleister. Endbericht zur Forschungs- und Entwicklungsdienstleistung für das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) erstellt von arpplanning.consulting research (Wien), AVL List GmbH (Graz), dem Fachbereich Verkehrssystemplanung der TU Wien und Energy Comment (Hamburg). Wien
  2. Heinz Dörr, Yvonne Toifl, Arno Huss, Peter Prenninger (2015): Antriebstechnologie und Nachhaltigkeit im Straßengüterverkehr. Verknüpfung von Verkehrslogistik und Fahrdynamik von Nutzfahrzeugen. In: Internationales Verkehrswesen 67. Jg. Heft 1/2015. S.40-44
    AIDA-F 2016 – Potenzial interdisziplinärer Ansätze für organisatorische Innovationen im Güterverkehr, Endbericht zur Forschungs- und Entwicklungsdienstleistung für das Bundes-ministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) erstellt von arp-planning.consulting research. Wien
  3. Heinz Dörr und Viktoria Marsch (2016): Interdisziplinäre Wissensvernetzung im Verkehrswesen angesichts von Zukunftsherausforderungen. Voraussetzungen und Innovations-bedarf. Tagungsband der 25. Verkehrswissenschaftlichen Tage 2016 an der TU Dresden
    Heinz Dörr (corresponding author) et al. (2016): Eco-optimisation of goods supply by road transport: from logistic requirements via freight transport cycle to efficiency-maximised vehicle powertrains. Transportation Research Procedia 14 (2016) 2785-2794
Weitere Quellenhinweise:
  1. ADAC (2016): Zahlen, Fakten, Wissen. Aktuelles aus dem Verkehr. Ausgabe 2016 International Transport Forum (ITF) (2018): Towards Road Freight Decarbonisation. Trends Measures and Policies, ITF Policy Papers, OECD Publishing, Paris.
  2. International Energy Agency (IEA): Advanced Motor Fuels. Annual Report 2017. IEA (2018): Hybrid and Electric Vehicles. The Electric Drive Automates
  3. EnergyComment (2015): Global Energy Briefing. Feature: Ölpreiskollaps, Verkehr & Klima Daten und Strategien für den Klimagipfel in Paris. Kurzstudie im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Hamburg
  4. EPRS | Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments: Plenum – Oktober II 2018. Förderung sauberer und energieeffizienter Fahrzeuge
  5. Plan Climat Air Énergie de la Métropole du Grand Paris. Projet validé par le Conseil Métropolitain 8 décembre 2017
  6. Umweltbundesamt, Texte 32/2015: Zukünftige Maßnahmen zur Kraftstoffeinsparung und Treibhausgasminderung bei schweren Nutzfahrzeugen. Bearbeitet im Auftrag des Umweltbundesamtes von Frank Dünnebeil, Carsten Reinhard, Udo Lambrecht ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH, Heidelberg und von Antonius Kies, Stefan Hausberger, Martin Rexeis Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik, Technische Universität Graz, Österreich. Dessau-Roßlau